* 12DuhaFreedomof / or / forParadiseSamir201840Freedom of / or / forParadise22.11.2018DEDer öffentliche Platz, ein harmonischesSzenario von Freiheit, Akzeptanz und Raumfür (fast) alle. Die unsichtbaren Grenzen inden Köpfen und Herzen werden in dieserRauminszenierung aufgedeckt und betont.Die (freie) Fläche wird neu interpretiert undstrukturiert. Die Akzentuierung des Bodenszwingt die Passant*innen, in eine andereRichtung zu gehen, engt sie ein, lässt sie allein,fängt sie auf, weist ihnen den Weg.
Sicher vor Kapital-Aneignungund Hetzkampagnen:Mut stattVerbot imöffentlichenRaumSicherheit im öffentlichen Raum?Ja, sicher. So einfach sich dassagen lässt, so sehr muss differenziertwerden, was wir unteröffentlichem Raum und unterSicherheit verstehen.DEÖffentlichen Raum sicherstellenÖffentlicher Raum ist Möglichkeitsraum:Es ist – exemplarisch in größeren Städten –der Raum des Zusammentreffens von Verschiedenen,von zueinander Anderen, vonunvorhergesehenen Akteur*innen. Letzteresganz dezidiert: Mit Hannah Arendt (ihremBuch Vita Activa) formuliert, ist der öffentlicheRaum ein Raum des Handelns, und demHandeln haftet etwas Nicht-Vorbestimmtesan, ein Moment der Freiheit und des Anfangensvon etwas Neuem. Wenn an einemOrt alle Handlungen und deren Subjekte imvornherein festgelegt sind, ist er kein öffentlicherRaum (egal, wie städtisch und weitläufiger sein mag). Und öffentlicher Raum alssozialer Raum bedeutet natürlich Konflikt,Konflikt ist für öffentlichen Raum geradezukonstituierend, ihn zum Verschwinden zubringen, lässt auch öffentlichen Raum verschwinden.Arendt zufolge ist im Handeln im öffentlichenRaum Mut ein wichtiger Faktor: Esbraucht Mut, private Zonen zu verlassen, bishin zum Ergreifen des Worts oder Sich-Exponierenan der Öffentlichkeit. Mut zum öffentlichenHandeln, das ist ein Konzept, dasDifferenzierungen nahelegt, fordert: Das isthier nicht neoliberal selbstunternehmerischgemeint, es geht nicht ums „Annehmen vonHerausforderungen“ und um die Risikobereitschaftder Durchsetzungswilligen – eher:Wer nicht über Kaufkraft verfügt oder alsunerwünscht gilt, braucht umso mehr Mut.Bedenken wir, wieviel Mut ein Kind im öffentlichenRaum braucht, dessen Vater oderMutter ständig polizeilich kontrolliert wird,weil es sich um eine migrantische Familiehandelt. Aber Mut allein reicht nicht. ÖffentlicherRaum, auch das lässt sich von Arendtlernen, muss eingerichtet werden (er ist nichtvon allein da), und ich füge dem die Bedeutunghinzu: Er muss geschützt, gesichertwerden gegen private Aneignungen durchInvestitionskapital, das heute auf der Suchenach Betongold-Veranlagungen die Städtezunehmend aneignet (und die Öffentlichkeitenteignet).Zudem gilt es, den öffentlichen Mutscharf entgegenzusetzen zu der rechten Propaganda,die heute über diverse städtischeRäume behauptet: „Da brauchst du viel Mut,diese Straße nachts oder jenen Platz als Frauzu überqueren …“ Es ist ja umgekehrt: Es bedarfdes Muts zum Handeln und Sich-Äußern,um öffentliche Räume vor genau solchenKampagnen, die sich die gewünschtenNotstände selber schaffen, und ihren Auswirkungenzu schützen – zu denen u.a. Verunsicherungzählt. Es bedarf öffentlicherEinrichtungen von Solidarität, um Spielräumegegen Law & Order-Politik, Angstmanagementund rassistische Übergriffe abzusichern.Wobei es falsch wäre, Unsicherheit alseinen rein symbolischen Effekt oder gar alsbloßes „falsches Bewusstsein“ zu verstehen.Vielmehr: Neoliberale Politik der „Entsicherung“wirkt sich schon seit langem verunsicherndaus; Deregulierung und Flexibilisierungin der Arbeitswelt und auf demWohnungsmarkt bringen kürzere Arbeitsverhältnisseund befristete Mietverträge mitsich, um nur zwei Beispiele zu nennen fürSituationen, in denen Leute Existenznotwendiges– ihren Job, ihre Wohnung – heutesehr leicht verlieren können. Und auch öffentlicherRaum geht verloren: Er wird in derbaulich verdichteten Stadt physisch weniger– nicht einfach so, sondern durch politischgewollte ökonomische Prozesse (Kapitalisierung).Für die Kombination aus neoliberalerStadt der Verkürzungen und Verknappungenfür die Vielen und des Totsparens öffentlicherHaushalte einerseits und rechtspopulistischerbzw. nationalautoritärer Stadtder ständig geschürten Ängste vor Minderheitenverwenden Kulturarbeits-Kolleginnenund ich die Metapher der Scare City (dieStadt der scarcity und des scaring) – der eseine solidarische, sich um Sicherheit für alleradikaldemokratisch sorgende Care City entgegenzusetzengilt. (Beck/Haybach/Heindl/Totschnig: „Care not Scare City“ in DorotheaTrappel, Hg., Der abgestellte Bahnhof. Wien:Falter Verlag 2018)Law & Order in der Praxis am PratersternErstmalig gibt es seit April 2018 in Wienein Alkoholverbot im öffentlichen Raum: amPraterstern und Umgebung. Ein Ergebniswird diese (un)sicherheitspolitische Maßnahmeganz sicher haben: die „self-fulfillingprophecy“ zunehmender Straftaten am Pratersternin Zusammenhang mit dem Alkoholverbot.Über Jahre hinweg wurde der Praterstern,der zentrale Wiener Bahnhofs-Knotenpunkt– eine Verkehrsinsel im Autoverkehr– als eine No-Go-Area konstruiert. Abernicht etwa weil da zu viele Autos wären oderzu wenig Platz für die 150.000 Menschen, dieda täglich ankommen oder abfahren, sondernu.a. zuletzt wegen einer Szene von Obdachlosen:laut Polizei 20 bis 60 Leute, diesich (Alkohol konsumierend) am Pratersternaufhalten. Vor allem von Gratismedien hörtenwir ständig, dass „die Menschen Angsthaben“ vor diesem Ort. Vorweg: Es sprichtnichts dagegen, dass die Stadtpolitik Sorgender Bürger*innen, ob sie konstruiert wurdenoder aus Alltagserfahrungen entstandensind, ernst nimmt. Aber nicht in Formvon Verboten, Verdrängung und Diskriminierung.Aber genau das ist das Alkoholverbot.Nicht nur zeugt es von Unverständnis bestehendergesellschaftlicher Strukturen: Sorgender Leute sind ein Symptom; wenn sie richtigverstanden, nicht bloß zum Anstoß für Hetzegegen Minderheiten genommen werden,dann zeigen sie auf, dass es immer mehrMenschen sozio-ökonomisch schlecht geht.Allerdings lautet die verdrehte Logik der GemeindeWien: Statt Sozialpolitik zu stärken,wird mit Diskriminierung und mit Ausweitungpolizeilicher Strukturen reagiert.Das Alkoholverbot im öffentlichen Raumdiskriminiert. Es betrifft nicht die Oktoberfest-Trinkrunden,nicht die in Lokalen Konsumierenden,sondern Arme, Obdachloseund Suchtkranke. Kurzum, es ist ein Verbotnicht von Alkohol, sondern von genau diesenstigmatisierten Menschen – verklausuliertim Polizeijargon: „Menschen ohneBeförderungsabsicht“. Ihre Diskriminierungdurch das Verbot hat auch eine rassistischeNote: Zum einen sind in der steigendenZahl armutsgefährdeter Menschenauch viele Migrant*innen, zum anderen istder Praterstern zum Brennpunkt der eigentlichenFrage geworden: wie es die Österreicher*innenmit Zureisenden halten. Vier Jahrenach den fast singulären Erfahrungen vonHumanität und Solidarität im „Sommer derMigration 2015“ ist perfider Weise wieder einBahnhof der Ort, an dem sich öffentlichesHandeln rund um Migration bündelt, nunaber rechte Anti-Migrationspolitik in polizeilicherForm. Die sozialdemokratische Antwortauf den politischen Druck von rechts isteine „Aus den Augen aus dem Sinn“-Politik:Menschen, die gesellschaftlich marginalisiertsind, werden von dem von ihnen gewählten,sozial reichhaltigen Ort, an dem sie immerhinsichtbar sind, verdrängt und müssensich einen anderen öffentlichen Ort suchen.Der Floridsdorfer Bezirksvorsteher weiß dasund reagierte auf die kurzsichtige Maßnahmebereits mit dem nächsten gleichermaßenkurzsichtigen Verbotsvorschlag für den FloridsdorferBahnhof. (Und auch in der Praterstraßewurden öffentliche Sitzbänke, die denUnerwünschten dort als Rastplätze dienenkönnten, abmontiert.) Weder Obdachlosigkeitnoch Fluchtursachen noch Suchtkrankheitenwerden durch Verbote aus der Weltgeschafft.Hier wird mit Unsicherheit Politik gemacht:Das Alkoholverbot ist eine rechtspopulistischeLaw & Order-Maßnahme,die durch Strafandrohungen weitere Verunsicherungproduziert (nicht zuletzt fürdie polizeilich unter Dauerstress gesetztenMenschen selbst). Aber schon aus der berüchtigtenLaw & Order-Amtszeit von BürgermeisterRudy Giuliani in New York wissenwir, wie gut sich Security-, VerdrängungsundVerbotspolitik verträgt mit Privatisierungund mit Profiten, die aus dem öffentlichenRaum geschöpft werden. Damals, inden 1990ern, wurden ganze Parks in NewYork privatisiert. Es spricht ja Bände, dass dieKaiserwiese vor dem Wurstlprater-Zugangbeim Riesenrad nicht Teil des Verbotsgebietsist: Die Gäste des umsatzstarken Oktoberfestsdürfen unbehelligt trinken. Das bringtmich zu des Pudels Kern: Arme werden gemaßregelt,Profitstrategien dereguliert. DasVerbot freier Nutzung des Stadtraums für dieArmen geht erstens einher mit dem Ausverkauföffentlichen Raums durch Deregulierungim großen Maßstab – und zweitens mitdem großflächigen Abbau des Sozialstaats.Öffentlicher Raum ist nur dann öffentlicherRaum, wenn er für alle offen ist. Lebenswertist eine Stadt, wenn in ihr auchMenschen „mit Problemen“ Platz haben(nicht nur am Rand!) und Unterstützung finden.Gabu Heindl, Architektin und Stadtplanerin41