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Tete-a-Tete - Newspaper

Bewegungs-/Aktions-/Interventionsradius Praterstern Die künstlerischen Projekte von Tête-à-Tête setzen am Praterstern einen neuen gesellschaftlich und sozial relevanten Impuls. Exemplarisch soll das Projekt aufzeigen, dass Transitzonen auch Orte der Kunst und Kreativität benötigen, um inmitten des austauschbar kommerziellen Geschehens in Bahnhofseinkaufzentren die Seele der Stadt präsent werden zu lassen. Wir realisieren Kunst nicht, um ihr eine Funktion zu geben – es ist Aufgabe der Stadtregierung, hier adäquat aktiv zu werden. Vielmehr wollen wir eine „Parallelwelt“ initiieren, die irritiert, verwundert, interessiert, mit der Intention, dass es so zu einem Miteinander kommen könnte. Wichtig ist dabei, die ortsspezifische, historische und soziale Entwicklung wahrzunehmen und sich darauf einzulassen. Den Praterstern im 2. Wiener Gemeindebezirk passieren ober- und unterirdisch täglich mehr als 250.000 Menschen. Um hier neue Gestaltungs- und Handlungspotenziale zu aktivieren, wird dieser Ort im Sinne eines erweiterten Kunstbegriffs im Zeitraum von Januar 2018 bis Juni 2019 von Studierenden bespielt. Tête-à-Tête, wortwörtlich „Kopf an Kopf“, bedeutet französisch ein vertrauliches Gespräch unter vier Augen. Im deutschen Gebrauch schwingt der romantische Unterton eines Rendezvous mit. Ein wichtiger Aspekt des Projektes Tête-à-Tête ist, dem Areal, den Menschen und Gruppierungen vor Ort nicht Meinungen oder künstlerische Äußerungen überzustülpen, sondern subtil und selbstverständlich Teil eines „Ganzen“ zu werden. Parallele Welten gewinnen so die Option zum „Verschmelzen“.

Bewegungs-/Aktions-/Interventionsradius Praterstern

Die künstlerischen Projekte von Tête-à-Tête setzen am Praterstern einen neuen
gesellschaftlich und sozial relevanten Impuls. Exemplarisch soll das Projekt aufzeigen, dass Transitzonen auch Orte der Kunst und Kreativität benötigen, um inmitten des austauschbar kommerziellen Geschehens in Bahnhofseinkaufzentren die Seele der Stadt präsent werden zu lassen. Wir realisieren Kunst nicht, um ihr eine Funktion zu geben – es ist Aufgabe der Stadtregierung, hier adäquat aktiv zu werden. Vielmehr wollen wir eine „Parallelwelt“ initiieren, die irritiert, verwundert, interessiert, mit der Intention, dass es so zu einem Miteinander kommen könnte. Wichtig ist dabei, die ortsspezifische, historische und soziale Entwicklung wahrzunehmen und sich darauf einzulassen. Den Praterstern im 2. Wiener Gemeindebezirk passieren ober- und unterirdisch täglich mehr als 250.000 Menschen. Um hier neue Gestaltungs- und Handlungspotenziale zu aktivieren, wird dieser Ort im Sinne eines erweiterten Kunstbegriffs im Zeitraum von Januar 2018 bis Juni 2019 von Studierenden bespielt. Tête-à-Tête, wortwörtlich „Kopf an Kopf“, bedeutet französisch ein vertrauliches Gespräch unter vier Augen. Im deutschen Gebrauch schwingt der romantische Unterton eines Rendezvous mit. Ein wichtiger Aspekt des Projektes Tête-à-Tête ist, dem Areal, den Menschen und Gruppierungen vor Ort nicht Meinungen oder künstlerische Äußerungen überzustülpen, sondern subtil und selbstverständlich Teil eines „Ganzen“ zu werden. Parallele Welten gewinnen so die Option zum „Verschmelzen“.

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genüber ein Standpunkt des universellen

Geschmacks zu lokalisieren wäre.

Das passt zu der Frage nach den

Schwellenängsten bezüglich Kulturräumen

und Kulturinstitutionen: das Schlimme daran

ist, dass sich die Steuerung von außen kaum

noch identifizieren lässt. Die Verhältnisse

sind organisch schon da, und in der Regel

halten wir uns gemäß der jeweiligen sozialen

Position an bestimmte Trennungen und

Vorgaben. Was die Schwellenängste mit Kulturinstitutionen

betrifft, war das Beispiel des

Frankfurter Flohmarkts für mich immer am

prägendsten. In Frankfurt am Main gibt es

jede Woche einen riesengroßen Flohmarkt

an der Museumsmeile. Das ist ein ganz

tolles Beispiel für einen Alternativmarkt, der

verschiedene Milieus bedient. Er ist durchaus

auch eine Mischung zwischen legalem

Markt und Schwarzmarkt, wo alle möglichen

Wasserhähne, die vielleicht vorher aus

irgendwelchen Wohnungen geklaut wurden,

verkauft werden. Damit hat er einen ganz

anderen Charakter als die Haupteinkaufstraße

und die Museen direkt nebendran

und adressiert auch andere Kunden. Zum

Thema Schwellenängste ist dieses Beispiel

lehrreich: Jedes dieser Museen hat eine

sauber geputzte, wunderbare Lobby, viele

haben außerdem frei zugängliche Toiletten,

die direkt anzusteuern sind. Dennoch steht

am Frankfurter Flohmarkt eine riesige Reihe

von Chemieklos. Das Hauptmilieu des

Flohmarkts ist sich der Möglichkeiten der

Nutzung öffentlicher Güter also gar nicht

bewusst. Sie kommen gar nicht auf die Idee,

dort die Infrastruktur zu nutzen. Das ist für

mich ein gutes Beispiel für die Materialisierung

der Schwellenangst.

Huemer: Man muss Insider, also schon

mal im Museum drin gewesen und mit der

Infrastruktur vertraut sein, um zu sehen, dass

sie eigentlich für alle frei zugänglich ist.

Hartle: Alles ist an ein Insidertum gebunden

– aber das ist, für Institutionen, die

der Öffentlichkeit gehören und die Frage des

Gemeinguts verhandeln, ein Widerspruch!

Huemer: Das geht völlig am öffentlichen

Auftrag vorbei, wie bei Kultur und Bildung,

die ebenfalls weggekürzt und wegrationalisiert

werden.

Hartle: Der Wert verschiedener Kulturformen

und ihr Verhältnis zum finanziellen

Kapital hat eine Geschichte. Ob man nun

Bildung oder Geld als besonders einschlägiges

Kapital sieht, das Verhältnis der verschiedenen

Kapitale zueinander und deren

historische Gewichtung sind Ausdruck

der allgemeinen politischen Landschaft, der

hegemonialen Situation. Es gab Zeiten, in

denen bestimmte Formen von Kultur und

Bildung viel zählten, und in anderen Zeiten

wurden sie wieder abgewertet. Selbst

das Verhältnis von Finanzkapital und Kultur

– wobei Kultur alles Mögliche heißen kann –

ist politisch und politisch hergestellt. Es ändert

sich mit den politischen Kräfteverhältnissen.

Huemer: Soziale Ungerechtigkeit und

Ungleichheit nehmen heute zu.

Hartle: Das ist richtig und berührt ebenfalls

die Frage der Kunst. In diesem Sinn ist

allerdings auch in der Kunst das Problem des

„gut Gemeinten“ nicht unerheblich. Viele

der sozialen und partizipatorischen Kunstprojekte,

die möglicherweise von den besten

Absichten getragen wurden, sind in letzter

Instanz zu einer Form des „Artwashings“ von

Sozialkürzungen geworden. Ganz explizit

unter Tony Blair, wo es massive Sozialkürzungen

und Einschränkungen in bestimmten

sozialen Milieus und Quartieren gab. Dort

wurden dann die partizipatorischen Kunstprojekte

reingeschickt, damit es wenigstens

gut aussah.

Huemer: Das ist ja auch im Kontext der

Gentrifizierung ein Problem. Zuerst werden

Künstler*innen mit billigen Mieten angelockt,

bis das Viertel zu einer attraktiven urbanen

Zone geworden und schön aufgewertet

ist. Dann steigen die Mieten unfassbar

an, was die Künstler*innen wieder vertreibt.

Eine Entwicklung, die international leider

schon viel länger zu beobachten ist. Es gab

ja mal ein soziales Wien, ein rotes Wien, da

sind Sie ja der Experte.

Hartle: Ja, in anderen Städten haben

Verdrängungsprozesse allerdings schon

mehr Erfolg gehabt. Das zeigt vielleicht auch,

dass selbst große politische Projekte, die tragische

Niederlagen erfahren haben, sich in

der Geschichte nicht einfach in Luft auflösen.

Das „rote Wien“ mit der Ermöglichung von

Gemeindebauprojekten drückt bis heute die

Mietpreise in Wien, obwohl es schon 1934

zerschlagen wurde. Das kann einem auch

Mut machen – nichts ist ganz umsonst.

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