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Barbara Piotrowski
bitte setzen
60 Tage60 Sitzplätze
60 Gedanken über das Sitzen am Fluss
Impressum
Barbara Piotrowski lebt und arbeitet in Elsfleth an der Unterweser. Nach langjähriger Arbeit als Pressesprecherin
und Theaterleiterin im Rheinland zog es sie 2007 in eine über zweihundert Jahre alte Fischerkate an die Weser.
Wenn sie nicht vom und über das Wasser schreibt, ist sie als leidenschaftliche Freizeitskipperin gemeinsam mit ihrem
Mann auf den Flüssen und Kanälen in Europa unterwegs.
Bisher sind folgende Bücher erschienen: „Kanalgesichter. Menschen zwischen Dortmund und Emden“ und „Schiffsbegegnungen
an der Unterweser“ (Isensee Verlag Oldenburg) sowie „Gestrandet in Cusey – von einer schrecklich
schönen Bootsreise ans Mittelmeer“ (Verlag Edition Winterwork).
Katalog – zum Blog „Bitte setzen“ (barbarapiotrowski.wordpress.com), 2015
Foto Vorwort: Städel Museum Frankfurt – U.Edelmann, Arthothek
Gestaltung: Nadine Duveneck (naddinanders.de)
© Barbara Piotrowski
Website: barbarapiotrowski.com
Inhalt
1 Jonas im Spiegel
2 Entscheidung
3 Gertrud sammelt
4 Sei umschlungen
5 Monoblock gestapelt
6 Halluzination
7 Vergessen
8 Morbider Charme
9 Tulpen – nicht aus Amsterdam
10 Außenseiter
11 Strandgut
12 Weinseligkeit
13 Rettet den Elisabeth-Feen-Kanal
14 Turven Tronen
15 Paare im Grünen
16 Blau + gelb = grün
17 Pique-nique
18 Durchblick
19 Europapaletten-Idylle
20 Dreierlei mit Schleikahn
21 Willommen, tervetuloa
22 Kingfischer am Kanal
23 Aufgehängt
24 Nasse Füße
25 Schwimm, Trabi, schwimm
26 Allein gegen den Wind
27 Andrea Doria
28 Shakespeare fängt Karpfen
29 Burnout
30 Zomergasten
31 Modell Nordsee
32 Warten auf ein Floß
33 Reserviert
34 Am Noor
35 Paare am Steg
36 Prost
37 Gummistiefel
38 Gefährdet
39 Sakte-TV
40 Die Vecht zeigt Bein
41 Nummer eins
42 Rosa Träume
43 Lila Philosophereien
44 Mahlzeit
45 Drei sind drei zuviel
46 Lebensträume
47 Werder Bremen
48 Spieglein, Spieglein
49 Endlich, doch noch…
50 Paare mit Gästen
51 Tonga
52 Wünsche
53 Weser XXL
54 Wo die Wut sitzt
55 Souvenir
56 Annäherung
57 Wo ist mein Engel?
58 Störfaktor
59 Um Himmels willen
60 Und tschüss…
Goethe brauchte keinen Stuhl
Auf einem Steinquader sitzend schaut er im Jahre 1787
nachdenklich auf die zu seinen Füßen ausgebreitete
Landschaft in der römischen Campagna.
Wir wollen das heute nicht mehr. Wir sind es gewohnt
auf einem Stuhl zu sitzen. Auf einem Stein wäre es
uns zu kalt, die Wiese ist oft feucht und schmutzig. Da
nützt auch die Outdoor-Kleidung nichts, die wir deshalb
lieber in der Stadt tragen. Ob sich Goethe auf dem
Steinquader wohlgefühlt hat, und woran er gedacht
hat, ist nicht überliefert. Aber er saß auch nicht zum
Vergnügen dort, er saß dort, weil die Inszenierung des
Malers Johann Heinrich Tischbein es erfordert hat.
Wer wohl dort sitzt?, habe ich mich gefragt, als ich
begann, vom Wasser aus Stühle und Bänke am Ufer
zu fotografieren. Erst zufällig, dann gezielter, zum
Schluss süchtig jagend. Während der Fahrt mit unserem
Motorboot kann ich nicht lange überlegen, von
welcher Seite das Sitzmöbel am besten aussieht oder
wie ich es gerne im Bildausschnitt
herausheben möchte.
Motiv erblicken, Kamera
ergreifen und Klick. Entweder
ich hab’s oder ich hab’s
nicht, denn schon sind wir
wieder weg, weiter, immer
weiter auf langen Sommerreisen
dem Ziel des Tages
entgegen.
Städel Museum Frankfurt, U. Edelmann Arthothek
Als sich die bürgerlichen Schichten in Europa des
Stuhles bemächtigten und den Thron damit zum Alltagsobjekt
herabstuften, hat sich der Mensch quasi
aus der Natur verabschiedet. Statt sich wie bisher
irgendwo hinzuhocken oder nach einer geeigneten
Kuhle oder Steinmulde Ausschau zu halten, nahm er
seinen Stuhl und stellte ihn in sein Haus. Er wurde
selbständig. Er machte sich von der Natur unabhängig
- und gleichzeitig abhängig von seinem Stuhl.
Heute sehnen wir uns wieder nach einem einfachen
und archaischen Dasein in der Natur. Weil wir sie aber
nicht mehr kennen und sie uns daher auch Angst macht,
brauchen wir einen Schutz. Außerdem sind wir bequem
geworden. Zum einen wollen oder können wir die Natur
nicht mehr nur laufend, stehend oder hockend genießen,
zum anderen stehen uns zuhause wie auch im
öffentlichen Raum unglaublich viele Sitzmöglichkeiten
zur Verfügung. Waren es früher meist derbe, aus ganzen
Baumstämmen bestehende Bänke, sind sie heute leichter
und luftiger geworden. Aus Holz, Stein, Beton oder Stahl
gebaut, passen sie sich von ihrer Form her immer stärker
der Landschaft an, in der sie ihren Platz finden. Und wir
können uns - auf ihnen geborgen - wieder als Teil der
Natur fühlen. Während der Stuhl klaglos unser Gewicht
erträgt, dürfen wir uns ausruhen und einen Moment
innehalten. Wir vergessen, dass uns zu langes Sitzen
nicht gut tut und folgen unserer Sehnsucht, lassen uns
mit den Wellen des Flusses davontragen. Denn wir sind
zwar sesshaft geworden, aber immer noch Reisende geblieben.
Wir reisen in reale wie in geistige fremde Welten
und sind immer unterwegs.
Warum aber fotografiere ich Stühle am Ufer? Warum
steht der Stuhl im Fokus meines Kameraauges, während
ich meiner Sehnsucht im Unterwegssein fröne? Widersprüchliche
Bedürfnisse treten zu Tage. Auf See, sagt
man, sehnt sich der Seemann stets nach Hause an Land.
Ist er dort, sehnt er sich wieder aufs Wasser. Und noch
ein Widerspruch ist nicht zu übersehen: Auf meinen
Stühlen sitzt keiner!
So begann im Januar 2015 mein 60 Tage lang dauernder
Blog mit 60 Fotos von Sitzplätzen am Wasser und 60 Gedanken
über das Sitzen am Fluss (www.barbarapiotrowski.wordpress.com)
Und Leser wie Betrachter des Blogs
nahmen eifrig an meinen Gedanken teil, schickten mir
Kommentare, Fotos und eigene Geschichten.
Dachte ich erst, die Geschichten seien auserzählt, alle
Sitzgelegenheiten am Wasser fotografiert, ging es doch
noch weiter. Ich fotografierte nicht mehr jeden Stuhl,
den ich auf unseren Reisen entdeckte. Aber es gab immer
wieder einmal einen in einem neuen Umfeld, einen,
der aus der Reihe fiel und meine Sammlung wurde größer
und erweitert sich noch immer. Und bevor die neue
Reihe mit spannenden Sitzgelegenheiten am Ufer wieder
auf meiner Homepage startet, wird der Blog „Bitte setzen“
hiermit in einem neuen, besser lesbaren und blätterbaren
Format präsentiert.
Barbara Piotrowski, im März 2020
1
Jonas im Spiegel
Darf ich vorstellen? Motorboot Kent 27, erbaut
1999 von einer niederländischen Werft in Woudsend,
von der Bauart den englischen Lotsenbooten
nachempfunden. Seit 2002 sind wir damit auf den
Flüssen und Kanälen in Deutschland und Europa
unterwegs. Hier spiegeln wir uns in den großen
Fensterscheiben eines Ausflugsschiffes mit Gastronomie
am Ufer des Sacrow-Paretzer Kanal bei
Potsdam. Die noch zusammengeschobenen Stühle
und Tische werden gerade auf dem Oberdeck aufgebaut,
gleich wird das Ausflugsschiff mit seinen
Gästen ablegen, die sich auf einen wunderschönen
und warmen Tag auf der Havel freuen dürfen – so
wie wir auch.
Sacrow-Paretzer Kanal, Deutschland 2010
2
Entscheidung
So luftig und leicht sie erscheint: auf die grün lackierte,
eiserne Bank am Ufer der Peene kann man sich
nicht einfach setzen, denn vorher erfordert sie eine
Entscheidung!
Wohin soll ich mich setzen? Wohin soll mein Blick
fallen? Zum Hang hinauf, auf das Gartengrundstück,
das hinter dem durchsichtigen Gitterzaun beginnt?
Oder auf den Fluss, der mal in die eine, dann wieder
die andere Richtung fließen kann? Bei anhaltendem
Ostwind oder Ostseehochwasser fließt der „Amazonas
des Nordens“, wie die Peene auch genannt wird,
bergauf, ein seltenes Phänomen bei Flüssen. Und eine
seltene Gelegenheit, bei dieser Doppelbank den Blick
selber bestimmen zu können, ist er doch meistens
vorgegeben.
Peene, Deutschland 2014
3
Gertrud sammelt
Mit einem Boot kann man nicht mal eben schnell am
Straßenrand anhalten wie bei einem Auto. Schon gar
nicht bei privaten Anlegern. Manchmal bedauere ich
das, wie zum Beispiel bei diesem Haus an der Müritz-Elde-Wasserstraße
bei Lübz. Gerne hätte ich die
auf Sitzplätze versessene Gertrud kennengelernt.
Allein auf diesem Foto befinden sich fünf verschiedene
Möglichkeiten, Platz zu nehmen. Beim Vorbeifahren
meinte ich sogar, noch mehr gezählt zu haben.
Auch in ihre Nautiquitäten-Sammlung hätte ich mich
vertiefen wollen. Draußen auf dem Grundstück, aber
auch drinnen, denn vom ehemaligen Hoftor, das in
ein riesengroßes Fenster verwandelt wurde, lockte
mich der aufgeriggte Zweimaster herein. Meine Neugierde
hatte damals keine Chance, aber heute noch
freue ich mich über dieses maritime „Wimmelbild“.
Müritz-Elde-Wasserstraße, Deutschland 2012
4
Sei umschlungen
Zu der blauen Plastikbank mit den einladend ausgebreiteten
Lehnen zum entspannenden Sitzen am
Küstenkanal hat schon lange keiner mehr den Weg
gefunden. Sei umschlungen, mögen Holundertriebe,
Schilfgräser, Gierschkraut und Wicken tröstend
gedacht haben, bevor sie sich den Sommer über um
Beine, Sitzleisten und Rückenlehne wickelten und die
einsame Bank in ein natürliches Kunstwerk verwandelten.
Zu sehen ist das Werk mit weißer Wickenblüte
als Krönung nur vom Wasser aus. Wer die Bank vom
Land aus erreichen möchte, muss schon eine Machete
mitbringen.
Küstenkanal, Deutschland 2014
5
Monoblock gestapelt
Angelkahn, Brennholz, ein Gehöft - und mitten drin
in der archaischen Idylle an der Eider der Monoblock,
im Viererpack gestapelt. Monoblock heißt der „gemeine
weiße Plastikstuhl“, weil er aus einem Stück
gegossen wird. In den 1970er Jahren entstanden, verbreitete
er sich so rasant, dass er heute praktisch
zu jedermanns Haushalt gehört. Er ist das meistverkaufte
Möbel und hat den ersten industriell hergestellten
Massenstuhl der Welt, den 1859 von Thonet
entwickelten „Wiener Cafehausstuhl“ schon in seinen
ersten Verkaufsjahren millionenweit überholt.
Während der Thonet-Stuhl jedoch ausnahmslos bewundert
wird und es schon früh in die Design-Geschichte
geschafft hat, wird der Monoblock meist
herablassend als billiges Massenprodukt angesehen.
Jeder kennt ihn, jeder saß schon auf ihm, die meisten
besitzen mehrere von seiner Art. Er ist praktisch, billig
und sogar einigermaßen bequem. Aber man liebt
ihn nicht. Vielleicht hat man sich an ihm aber einfach
auch nur sattgesehen. Und dafür, dass es so viele von
seiner Art gibt, habe ich vom Wasser aus eher wenige
entdeckt.
Eider, Deutschland 2014
6
Halluzination
Auf dem Weg nach Köpenick zu den Seengebieten
im Südosten Berlins war mir natürlich der rote Liegestuhl
mit dem Ufo dahinter aufgefallen. Der Liegestuhl
erwies sich als Halluzination und konnte
beim späteren Heran zoomen als eine umgekippte
Torwand mit einem langwallenden roten Tuch
identifiziert werden. Das Ufo blieb ein Ufo, außerirdisch
schön mit alienartigen Augen steht es auf
seinen Stelzen in einem Garten am Spreeufer. Zum
Glück habe ich dann auf dem Foto auf der linken
Seite die Sitzecke mit den blauen Stühlen entdeckt
sowie eine im dichten hellen Grün fast untergehende
dunkelgrüne Sitzbank rechts hinter der Laterne.
Somit durfte das Foto in meine Sammlung
und ich kann die Ufo-Geschichte mit allen Neugierigen
teilen.
Das Ufo wurde in einer kleinen Serie als mobiles Futuro-Haus
1968 von dem finnischen Architekten Matti
Suuronen entwickelt und hat die Seriennummer 13.
Es wiegt 4,5 Tonnen und verfügt mit Küche und Bad
über knapp 50 Quadratmeter Wohnfläche. Elf Exemplare
soll es heute noch geben. Das Futuro 13 wurde für
eine Ausstellung auf der Hannover Messe gebaut und
später als Funkstudio im Kulturpark Treptow genutzt.
Nach dem Ende der DDR-Zeit wurde es auf einem
Schrottplatz abgestellt, bis es von der jetzigen Besitzerin
entdeckt und spacig-frisch in den Original-Zustand
zurückversetzt wurde. Im Juni 2008 konnte es endlich
in ihrem Garten direkt hinter dem Funkhaus Berlin am
Ufer der Spree landen. Drinnen sind sämtliche Möbel
aus Kunststoff, so auch die rund um die Außenwand
angeordneten Sesselstühle, die man zum Schlafen ausziehen
kann.
Spree, Deutschland 2010
7
Vergessen
Dass ich dieses verrottende Etwas überhaupt noch
erblickt habe, ist ein Wunder. Hinter uns liegen vier
harte Stunden Schleusenarbeit auf dem Canal des Ardennes,
in der wir, zusammen mit „Rüpel“ aus Berlin
auf neun Kilometern 27 Schleusen hintereinander zu
Tal bewältigt haben. Einfahren in die bis an den Rand
mit Wasser gefüllte Schleuse, absteigen, die Achterleine
um den einen Poller, die Vorderleine um den anderen
legen, und wenn auch bei „Rüpel“ alles klar ist, die
blaue Stange zum Schleusen ziehen. Leinen fieren und
ausfahren, sobald die Schleusentore geöffnet sind. Ein
paar Meter weiter beginnt alles wieder von vorn.
Und nun dieser Stuhl, der im hoch geschossenen mit
vertrockneten braunen Placken durchsetzten grünen
Gras fast verschwindet. Sitz und Lehne sind aufgequollen
und lösen sich in Fetzen auf. Nur seine mit
Gummi umwickelten Armlehnen aus Metall stemmen
sich kraftvoll dem Verfall entgegen. Wer hat ihn dort
hingestellt, wer wollte so nahe an der Spundwand sitzend
auf den Kanal gucken? Um Leuten wie uns beim
Vorbeifahren zuzuwinken? Oder wollte jemand einfach
nur nach der Arbeit entspannen?
Warum aber ist der Stuhl vergessen worden? Ist sein
Besitzer vielleicht, wie so viele hier in dieser mit 52
Einwohnern auf einen Quadratkilometer am dünnsten
besiedelten Champagne-Ardenne-Region in die
Stadt geflohen um Arbeit zu suchen? Vielleicht gar
als die Schleusen auf Fernbedienung umgestellt wurden
und die Schleusenwärter nicht mehr gebraucht
wurden?
Canal des Ardennes, Frankreich 2013
8
Morbider Charme
Diese Grabsteine müssen etwas ganz Besonderes
sein, wenn sich daneben Stühle und Bank vor ihrem
morbiden Charme verneigen. Der Steinmetz am Ufer
des Dortmund-Ems-Kanals spaltet und schneidet,
schleift und poliert schwarzen Basalt, weißen Marmor
oder roten Sandstein und gestaltet aus dem ungeschlachten
Material kunstvolle Stelen, Steinsockel
und Grabsteine, ganz viele todesschwere Grabsteine.
Aber die Sonne scheint, die kugeligen Buchsbäume
verbreiten mediterrane Leichtigkeit und im Vorbeifahren
lösen sich etwaige letzte Bedrohungen im
hellflirrenden Ufergras auf.
Dortmund-Ems-Kanal, Deutschland 2008
9
Tulpen - nicht aus Amsterdam
Es gibt nichts, was so eng mit den Niederlanden
verknüpft ist wie die Tulpe. Dabei stammt sie aus
Zentralasien und wurde erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts
in Europa eingeführt. Die ersten Zuchtbetriebe
entstanden in den Niederlanden. Die Tulpe
wurde so stark begehrt, dass eine regelrechte Tulpenhysterie
entstand und mit ihr die erste Spekulationsblase
der Wirtschaftsgeschichte. Heute sind
die Niederlande der weltweit größte Produzent von
Tulpenzwiebeln. Auf rund zehntausend Hektar Anbaufläche
wachsen jährlich 4,2 Milliarden Zwiebeln
heran.
An der Kalenberger Gracht aber haben Tulpenzwiebeln
eine ganz besondere Tulpenart ausgetrieben:
eine Tulpenbank. Minzgrüne, hölzerne Stengel mit
langen fleischig-schmalen Blättern und dunkelroten,
glockenförmigen Blüten recken sich dem niederländischen
Himmel entgegen, in ihrer Mitte tragen sie
ein Brett zum Sitzen. Eine grandiose Idee, die aus
einer Gartenbank ein Kunstwerkwerk macht, das in
einem prächtigen Garten steht und mit seinem gepflegten
Haus im Herzen des Nationalparks Weeribben
steht. Früher wurde hier Torf gestochen. Kleine
Häuser für die Arbeiter säumten die Ufer des Torfkanals.
Heute sind die Häuser zumeist in Ferienwohnungen
umgewandelt, luxuriöser und größer geworden.
Die Tulpenbank passt dazu: sie hat auch etwas
von einem Thron an sich, der ja früher den Großen
und Mächtigen der Welt vorbehalten war.
Kalenberger Gracht, Niederlande 2009
10
Außenseiter
Eine blaue Bank mit Tisch, ein blauer Stuhl an der
Seite. Doch etwas stört die beschauliche Runde an
der Vecht. Weil der Stuhl quer zum Ufer steht, wird
der Blick desjenigen, der dort sitzen möchte, unweigerlich
auf Bank und Tisch fallen. Dennoch wird er
nicht zur Runde gehören, denn sein Stuhl steht abseits
- weit weg von Bank und Tisch. Der, der dort
vielleicht sitzen möchte, kann aber auch nicht auf
den lieblichen Fluss schauen, dafür müsste er sich
unangenehm den Hals verrenken.
Was ist dort geschehen? fragt man sich unwillkürlich.
Wurde der Stuhl versetzt? Warum wurde er
zum Außenseiter? Und wie passt diese merkwürdige
Sitzrunde zum „Wassergarten der Niederlande“
wie die Vecht hier genannt wird?
Loenen an der Vecht, Niederlande 2013
11
Strandgut
Die Île de France ist die am dichtesten besiedelte
Region Frankreichs. In ihrem Herzen liegt Paris,
im äußersten Osten wird sie vom Seitenkanal der
Aisne begrenzt. Hier ist von einem Ballungsgebiet
nichts mehr zu spüren. Hier gibt es nur winzige
Dörfer, Weizenfelder und Wälder. Das bemerkenswerteste
aber ist das seidig-grüne Kanalwasser.
Es ist so rein und klar, dass man glaubt, bis auf
den Kanalgrund sehen zu können. Solch ungewöhnliches
Wasser schwemmt auch ohne Meeresströmung
und Tide Strandgut ans Ufer. Immerhin
fahren wir ja ganz nahe an einer Insel vorbei. Und
der Klappstuhl sieht aus, als ob er noch gut zu gebrauchen
wäre.
Canal latéral à l’Aisne, Frankreich 2013
12
Weinseligkeit
Eins, zwei, drei ganz viele: in Pünderich an der Mosel
gibt es genug Platz. Trotz der vielen leeren Bänke
am Fähranleger zur Marienburg hinüber wählt sich
ein älteres, gemütlich-beleibtes Ehepaar die einzige
besetzte Bank zum Ausruhen aus. Die Bank, auf der
sich ein junges Paar so innig umarmt, dass es kein
Zweifel bleibt: Die beiden wollen alleine bleiben.
Aber die beiden Alten nehmen die Jungen kurzerhand
in ihre Mitte. Ein Gespräch beginnt, lebhaft,
heiter, vielleicht gar angeheitert? Die weinseligrosigen
Gesichter der Alten fröhlich, die der Jungen
lächelnd, einander immer noch in der Umarmung
festhaltend. Ob sie von ihrem Besuch in der
Straußwirtschaft erzählen? Vom feinherben Riesling
schwärmen? Von der Steillage, dem porösen
Schieferboden, der die Wärme so gut speichert und
für besondere Geschmackserlebnisse sorgt? Es
scheint auf jeden Fall eine nette Bekanntschaft zu
werden.
Mosel, Deutschland 2013
13
Rettet den Elisabeth-Fehn-Kanal
Lochmetall auf zwei Stahlträger geschraubt, unauffällig,
abwaschbar, praktisch. Dennoch ist diese Bank etwas
Besonderes, denn sie steht am Ufer des Elisabeth-
Fehn-Kanals und das ist der letzte intakte und noch
durchgängig schiffbare Fehnkanal in Deutschland.
Und nicht nur das: diesem knapp fünfzehn Kilometer
langen Kanal, der 1855 bis 1885 als Teil des Hunte-
Ems-Kanals erbaut wurde, verdankt die gesamte Region
ihre Existenz. Mit seiner Hilfe konnte das sumpfige
Moorland entwässert und Torf gestochen werden,
so dass sich hier erstmals Menschen ansiedeln und
Häuser bauen konnten. Erst waren das nur Hütten aus
Torfplacken, später wurden sie durch Steinhäuser ersetzt,
die sich eins ums andere am Kanal entlang aufreihen.
Der Elisabeth-Fehn-Kanal mit seinen vier, immer noch
handbetriebenen Schleusen und sieben Klappbrücken
ist die Lebensader der Region. 1995 ist er unter Denkmalschutz
gestellt worden. Das alles liegt, wenn man
es mit den vielen anderen Ortschaften vergleicht, die
auf eine Jahrhunderte alte Geschichte zurückblicken
können, gerade erst einmal 155 Jahre, also etwa fünf
Generationen zurück, als die Bundesregierung im Jahre
2012 beschließt, die Mittel für den Neubau der ältesten,
inzwischen marode gewordenen Schleuse Osterhausen
zu streichen. Nun gut, Frachtschiffe fahren
hier seit den 1960er Jahren nicht mehr, und für die Freizeitschiffer
will man nicht so viel Geld ausgeben. Aber
ohne Kanal verliert die Region ihre Identität und den
Glauben an die Zukunft, die sich heute eher auf den
Tourismus gründet. Eine Bürgerinitiative gründet sich
und findet Unterstützung bei über zwölftausend Menschen
sowie Vereinen und Institutionen. Inzwischen
zeigt ihre Arbeit zur Rettung des Elisabeth-Fehn-Kanals
Erfolge, die Politiker haben sich überzeugen lassen,
dennoch ist das Ziel ist noch lange nicht erreicht.
Der Elisabeth-Fehn-Kanal ist heute noch weitgehend
im Originalzustand erhalten. Er hat nicht viel Wassertiefe,
aber er schenkt uns über die Leda, die Jümme
und den Nordgeorgsfehnkanal ein großes Fluss- und
Kanalrevier, über das wir bis nach Aurich, Emden und
Wilhelmshaven gelangen können, mit Tidengewässern,
engen Moorkanälen und kleinen Häfen in einer für uns
heute als natürlich empfundenen Landschaft.
Elisabeth-Fehn-Kanal, Deutschland 2014
14
Turven Tronen
An der neugestalteten Kade in Stadskanaal am gleichnamigen
Kanal recken sich drei majestätisch schwere
und dennoch luftig leichte Throne aus dem hellen
Steg in den Himmel. Ein Thron, so kann man im Lexikon
nachlesen, ist in der Regel ein erhöhter, kunstvoll
gearbeiteter Stuhl mit hoher Rückwand, ein Sinnbild
weltlicher und geistlicher Herrschaft, auch Sitz der
Götter. Vom Kaiserthron und dem Heiligen Stuhl entwickelte
sich im Mittelalter das Chorgestühl, Sitzreihen
im Chorraum einer Kirche mit Klappsitzen und
einer festen Rückwand für die Mönche. Die Kirchenbänke
für das Volk wurden erst viel später eingeführt,
und selbst dann durfte noch lange nicht jeder
dort sitzen, wo er es wollte.
Die Räder unter den Sitzen dieser drei Throne scheinen
auf den ersten Blick nicht zum hehren Bild des
Thrones zu passen. Eher erinnern sie mich an die
Mechanik der vielen handbetriebenen Brücken und
Schleusen an diesem Kanal, aber der Steinhaufen vor
den Thronen lässt sich damit nicht erklären. Doch
dann entdecke ich gleichmäßige Rillen in den Steinen,
die mich zu den Spuren führen, die ein scharfkantiges
Stecheisen im weichfeuchten Brauntorf hinterlässt,
der früher in Soden gestochen und ausgehoben
worden ist. Und aus den Thronen werden drei hochgestellte
Torfkarren, deren Räder tatsächlich Räder
sind mit einem Haufen Torf-Briketts, die darauf warten,
aufgeladen und zum Trockenplatz gezogen zu
werden. Wegen der fehlenden Seitenwände konnten
sie so gekippt werden, dass sie ohne weiteres Umsetzen
trocknen konnten: ein Kunstwerk von Hans Mes,
das an die Geschichte von Stadskanaal als Veenkolonie
erinnern soll. Auf diesen Turven Tronen (Torf-
Thronen) darf man sogar auch sitzen oder genauer
gesagt thronen. Wer aber lieber zu den Thronen aufschauen
möchte, kann dies auch von den langen, in
die Steinmauer eingelassenen Bänken aus.
Stadskanaal, Niederlande 2013
15
Paare im Grünen
Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei.
So steht es im ersten Buch Mose, als Gott der
Herr beschloss, dem Menschen eine Gehilfin
an die Seite zu stellen. Und der Mensch mag
das, wie man in dieser Bildergalerie sehen
kann. Gerne stellt er sich einen zweiten Stuhl
zu seinem eigenen, damit sie sich zu ihm setzen
kann.
Mosel, Deutschland 2013
Küstenkanal, Deutschland 2014
Hadelner Kanal, Deutschland 2014
Dortmund-Ems-Kanal, Deutschland 2013
16
Blau + gelb = grün
Wer behauptet eigentlich immer, dass der Küstenkanal
langweilig sei? Stimmt nicht, weiß ich als
langjährige Bootsfahrerin, die mit ihrem „Kapitän“
dort nicht so schnell wie möglich durchrauscht,
wie viele es empfehlen, sondern bei gemütlichen
zehn Stundenkilometern entdeckt, was zu entdecken
ist. Zum Beispiel die Rhododendron-Pracht
im Frühsommer, das bunte Laub oder den feinen
aufsteigenden Nebel im Herbst, aber auch den freien
Blick auf Straße und Grundstücke im Winter.
Im Hochsommer mag der Küstenkanal ein bisschen
eintönig grün sein, aber wenn einem dann so eine
blaue Sitzbank unter die Linse kommt, unter der
eine knallgelbe Kiste steht, ist man für eine lange
Zeit beschäftigt.
Vielleicht hält man sich kurz bei der Deutschen Bundespost
auf, könnte aber dann, weil ich auch schon einmal
Goethe erwähnt habe, bei seiner Farbenlehre landen.
Neben den vielen dichterischen Werken hat sich
Goethe sein Leben lang mit naturwissenschaftlichen
Fragen beschäftigt. Dabei spielte die Farbenlehre mit
der „sinnlichen und sittlichen“, also der psychologischen
Wirkung der einzelnen Farben eine große Rolle.
In seinem Farbenkreis liegen links vom Grün das Blau
und rechts das Gelb. Zusammengemischt ergeben sie
das Grün. Während er das Blau mit Verstand verbindet
und das Gelb mit Vernunft, schreibt er der Farbe Grün
eine große Sinnlichkeit zu. Bei diesem schwelgerisch
ausufernden und intensiven Grün kann man Goethe
da nur zustimmen und sich darüber wundern, wie
schnell die Zeit vergangen ist.
Küstenkanal, Deutschland 2014
17
Pique-nique
Dass die Franzosen oft und gerne picknicken, stand
schon in meinem Französisch-Schulbuch. Aber ich
hatte es ganz vergessen, bis wir auf unserer Frankreichreise
2013 auf die vielen Picknickplätze an den
Flüssen und Kanälen stießen. Sie sind aus Holz mit
einem Dach über Tisch und Bänken, wie man sie
auch bei uns kennt. Viele dieser Bank-mit-Tisch-
Kombinationen sind jedoch aus hellem Stein wie
diese hier am Canal de la Meuse. Es gibt sie auch
in einer runden Variante. Sie wirken etwas altmodisch,
aber man kann wunderbar auf ihnen sitzen
und seine mitgebrachte Mahlzeit genießen. Die
Franzosen können allerdings auch ohne Picknicktisch
picknicken, nur mit einer Wolldecke auf einer
Wiese. Am schönsten aber ist es, wenn man eingeladen
wird, sich (egal wohin) dazuzusetzen, um dann
radebrechend und mit viel Gelächter einen Wein
miteinander zu trinken.
Canal de la Meuse, Frankreich 2013
18
Durchblick
Bei diesem Bild wird wahrscheinlich jeder sofort an
Vandalismus denken, zumal auch der zerbeulte Abfallkorb
neben der zerstörten Bank keine andere Deutung
zulässt. Man könnte die Bank aber auch ganz anders
wahrnehmen und sich über den freien Blick auf den
Peenekanal freuen.
Er ist gut viereinhalb Kilometer lang und verbindet die
Stadt Malchin mit dem Kummerower See. Seine Blütezeit
hatte der 1861 fertiggestellte Kanal in den 1880er
Jahren als Transportweg für die hier ansässigen Zuckerfabriken.
Seit 1945 liegt er brach, und obwohl der
Industriehafen 2003 für viel Geld renoviert wurde,
sind auch heute größere Binnenschiffe eine Seltenheit
auf dem Kanal. Darüber freuen sich die vielen Kanuten
und Segler wie wir, die von hier aus ins Freizeitvergnügen
starten.
Von dieser Bank gibt es im Übrigen auch noch einen
Blick vom Wasser aus. Weil der jedoch auf eine langgestreckte
langweilig-graue Industriefassade fällt,
habe ich mich ausnahmsweise für die Präsentation
des schöneren Durchblicks entschieden.
Peenekanal, Deutschland 2014
19
Europaletten-Idylle
Nicht ahnend, dass ich solche Fotomotive einmal aus
ganz anderen Gründen sammeln sollte, habe ich diese
Idylle an der Stör-Wasserstraße festgehalten, weil
wir auf der Suche nach Ideen für eine Sitzgruppe
für unseren Garten waren. Sie sollte selbst gebaut
werden und die Idee mit den Europaletten fanden wir
einfach grandios.
Wir waren auf dem Weg nach Dömitz an der Elbe und
schon früh morgens war es sehr heiß. Dort angekommen
wurde uns jedoch keine Pause gegönnt. Wenn
wir nicht in Dömitz festhängen wollten, mussten wir
sofort weiter, denn die Elbe verlor täglich wertvolle
Zentimeter Wassertiefe, schon am nächsten Tag
könnte es zu wenig sein, um bei Hitzacker vorbeizukommen
ohne aufzulaufen. Während jede Sandbucht
der Elbe mit fröhlichen, im Wasser sitzenden und
planschenden Leuten besetzt war, sind wir, schwitzend,
leidend und immer Ausschau nach eventuellen
Untiefen haltend, an den gefährlichen Stellen vorbei
noch bis Lauenburg gekommen. Wie sich später
herausstellte, war es das heißeste Wochenende des
Jahres 2012. Und das Foto mit der Europaletten-Sitzgruppe
haben wir dann irgendwie vergessen.
Stör-Wasserstraße, Deutschland 2012
20
Dreierlei mit Schleikahn
Auch an der Schlei ist für ausreichende Sitzplätze
gesorgt, neben Stein- und Holzbank gibt es sogar
einen überdachten Picknickplatz. Genau den würde
ich für diese kleine Bucht auswählen, vorausgesetzt
man hat den Grill mitgenommen und sich – vielleicht
sogar vom Fischer des Schleikahns Nr. 18 aus
Schleswig – fangfrischen Fisch besorgt.
Dorsch und Steinbutt sind meine Lieblingsfische, es
schwimmen aber noch viel mehr in der Schlei und fast
überall werden sie auch direkt vom Kutter aus zum Verkauf
angeboten. Einfach in der Alu-Schale mit Kräutern
aus der Provence grillen, zum Schluss ein paar Cocktailtomaten
und Frühlingszwiebeln mit braten und dann
mit Baguette und einem Glas Weißwein genießen. Mehr
braucht es nicht für einen schönen Sommerabend.
Schlei, Deutschland 2014
21
Willkommen, tervetuloa
Schon seit Tagen verfolgten uns dicke, feuchtschwarze
Wolkenschichten. Sie ließen sich weder
von der deutsch-französischen Grenze abhalten
noch von den, uns nach vielen Wochen auf engen
französischen Kanälen wie Wolkenkratzer vorkommenden
Häuser der Stadt Saarbrücken. Nur ab und
an hellten sie sich ein wenig auf, um sofort wieder
zu einem grauen Feld zusammenzuwachsen. Derart
trüb gestimmt, ließ uns auch das vielstimmige
Konzert der Willkommensrufe in Völklingen kalt.
Wie könnten wir uns hier, allein an diesem riesigen,
mit seinen Wegen, Treppen und Stegen schier unermesslich
langen Schiffsanleger zur aufkommenden
Nacht wohlfühlen? Im Schatten der tiefliegenden
Wolken luden uns weder die blauen Bänke hinter
dem blauen Schutzgitter noch die leerblickenden
Fassaden der Stadthäuser zum Bleiben ein.
Wohl aber fand ich Gefallen an der anderen Uferseite
der Saar. Dort, wo sich die verfallenen Industriegebäude
mit ihren zerborstenen Fensterscheiben
und die ausgestorbenen, rostenden Rohrlandschaften
der stillgelegten Alten Völklinger Hütte, die seit
1994 zum industriegeschichtlichen Weltkulturerbe
zählt, in harmonischem Einklang mit dem dichten
Grau-Schwarz der überquellenden Wolkengebilde
vermengten, während meine Kamera die düstertraurige
Stimmung bewundernd in sich aufnahm.
Saar, Anleger Völklingen, Deutschland 2009
22
Kingfischer am Kanal
Eigentlich hatte ich Anglerstühle aus meiner Sammlung
ausschließen wollen. Erstens sind sie inmitten
des sie umgebenden grünen Zubehörs samt
eines auf ihnen sitzenden grün gekleideten Anglers
schlecht zu erkennen. Zweitens stehen sie nicht nur
einfach am Kanalufer herum, sie haben eine klare
Aufgabe: auf einem Anglerstuhl versucht der Angler
sein Anglerglück. Drittens handelt es sich meistens
um einfache, klappbare grüne Faltstühle mit
oder ohne Armlehne und mit oder ohne Halter für
eine Dose Bier. Sie sind aus Nylon, können schnell
und platzsparend in einer Transporttasche verstaut
werden und außer Anglern macht sich kein Mensch
Gedanken über einen Anglerstuhl.
Dieser hier ist klar erkennbar keiner dieser üblichen
Anglerstühle und sein Besitzer gehört wahrscheinlich
nicht zu den üblichen Anglern. Das sage ich, obwohl
ich keinen Angler persönlich kenne, diese Spezies jedoch
beim Vorbeifahren auf verschiedenen Kanälen
immer wieder beobachten konnte. Auf der verlängerten
Hoogeveensen Vaart in der Nähe von Nieuw Amsterdam
ist nicht viel los, so dass mir dieser hochwertige,
zum Angeln zweckentfremdete Gartenstuhl aus
schwarzem Metall, der von neun (!) Rutenhaltern umgeben
ist, nicht verborgen bleiben konnte. Dieser Angler
ist ein Kingfischer, er will den Königsfisch, muss
sich aber mit Plötzen, Brassen, verschiedenen Karpfenarten,
Hecht, Zander und Barsch zufrieden geben.
Verlengde Hoogeveense Vaart, Niederlande 2013
23
Aufgehängt
Als die Flüsse begradigt wurden, lief die Flut immer
schneller und höher auf und es mussten Deiche gebaut
werden zum Schutz vor dem Hochwasser. Auch
an Hunte und Weser hat diese Entwicklung ihre Spuren
hinterlassen: Viele Häuser sind durch den Deich
mitsamt seiner Versorgungswege von ihrem Garten
am Fluss getrennt worden. Will man zum Fluss,
muss man erst über den Deich. Deshalb wird hier im
Sommer alles herangeschleppt, was man am Wasser
braucht. Neben dem Grill, Tisch und Stühlen auch einen
Wohnwagen und diverse Schuppen, um alles regen-
und windsicher unterzubringen. So wird es auf
dem Wassergrundstück schnell voll und gemütlich.
Auf diesem Grundstück dagegen ist alles sehr übersichtlich:
Bürsten, Besen und Pütz sind akkurat im
Windschutz festgezurrt und sogar der weiße Plastikstuhl
hängt am Haken, genauer gesagt an zwei Haken,
die wie für ihn maßgeschneidert angebracht zu sein
scheinen. Vom Wasser aus macht es trotz des Badestegs
einen spärlichen, vielleicht sogar traurigen
Eindruck. Wenn man jedoch auf dem vom Haken gelassenen
Stuhl sitzt, wird man gar nicht mehr brauchen,
weil die Aussicht auf den 18 Hektar großen,
tidefreien Yachthafen des „Segelclub Weserstrand
Elsfleth“ und die direkt dahinter mit der Weser zusammenfließende
Hunte überwältigend ist.
SWE-Yachthafen Elsfleth im Altarm der Hunte, Deutschland 2014
24
Nasse Füße
Wer hier sitzen möchte, wird nasse Füße bekommen.
Aber das werden die Besitzer dieser leichten
und doch robusten Stühle aus Metall schon kennen.
Die unmittelbar an diesem Gartengrundstück vorbeifließende
Petite Saône ist über Nacht um einen
Meter gestiegen. Das macht sie gerne, auch im Sommer.
Ihr Wassereinzugsgebiet ist groß, es umfasst
die Vogesen und den Jura. So kann es innerhalb kurzer
Zeit zu Hochwassern kommen.
Als wir mit unserem Boot am frühen Abend an dem
idyllischen, stufenförmig angelegten Steinanleger in
Mantoche festmachten, wussten wir davon nichts. Der
einsetzende starke Regen war ärgerlich, und der heftige
Stoß in der Nacht blieb auch nach einem Blick in
die Dunkelheit draußen unerklärlich. Erst am Morgen
entdeckten wir, dass wir mit dem hohen Wasser aufgeschwommen
waren und schräg auf einer der Steinstufen
hingen. Die Fender boten keinen Schutz mehr,
und so flüchteten wir schleunigst aus der unwirtlich
gewordenen Idylle.
Petite Saône, Frankreich 2013
25
Schwimm, Trabi, schwimm
Wie viele Personen samt Dachzelt und Gepäck für
eine Reise auf den Spuren Goethes nach Neapel
in einen Trabi passen, haben wir 1991 in der Filmkomödie
mit dem hellblauen Schorsch gelernt.
Richtig gemütlich war es drinnen nicht, aber der
Trabi schaffte es nach zahlreichen Abenteuern
und einem verlorenen Dach als Cabrio zurück
nach Bitterfeld. Dieses hellblaue Cabrio ist nicht
Schorsch (der hat seinen Altersruhesitz im Norddeicher
Automuseum gefunden). Dieses hellblaue
Cabrio heißt Finowfurt und schwimmt auf einem
Ponton im Finowkanal bei Finowfurt. Und damit
man am Wochenende frei und gemütlich seinen ostalgischen
Gefühlen nachhängen kann, steht neben
dem hellblauen Trabant Finowfurt eine Sitzgruppe
aus weißem Plastik.
Einen größeren Gegensatz gibt es kaum. Der weiße
Plastikstuhl, von Insidern meist Monoblock oder modern-denglisch
Monobloc genannt, weil er aus einem
Guss ist, ist milliardenfach und weltweit vertreten. Jeder
kennt den billigen Stuhl aus Plaste. Trotzdem ist er
nicht sehr beliebt, man hat sich mit ihm arrangiert und
in Wirklichkeit hat er auch gar keinen Namen. Sein Name
ist seine Material- und gleichzeitig Funktionsbezeichnung:
weißer Plastikstuhl. Davon sind hier vier Exemplare
rund um einen weißen Plastiktisch verteilt neben
dem hellblauen Trabi platziert. Der heißt eigentlich Trabant
und wurde früher auch liebevoll Rennpappe genannt.
Von 1957 bis 1991 wurden insgesamt 3.096.099
Fahrzeuge der Trabant-Reihe produziert. Schon seit den
1960er Jahren galt er als veraltet. Dennoch war er in der
damaligen DDR begehrt und entwickelte sich nach der
Wende zu einem Kultfahrzeug.
Finowkanal, Deutschland 2012
26
Allein gegen den Wind
So ein Strandkorb, indem man sich gegen Wind und
schäumende Wellen geschützt, allein oder zu zweit
einkuscheln kann, ist der beste Ort der Welt, um sich
in ein Buch über einen Mann zu vertiefen, der von hier
aus, von dem nur wenige Kilometer entfernten Brodersby
an der Schlei im August des Jahres 2000 zu
einer Nonstop-Fahrt um die Welt aufgebrochen ist: Allein
gegen den Wind. 343 Tage hat Wilfried Erdmann
gebraucht, allein mit seiner „KATHENA NUI“, mit der
er bereits 1984/85 einhand um die Welt gesegelt war.
Damals allerdings ostwärts. 15 Jahre später bricht er
westwärts, größtenteils gegen die vorherrschenden
Winde auf zu der härtesten Route um die Welt. Ein extrem
gefährliches Wagnis, das vor ihm weltweit erst
vier Segler geschafft haben. Ein spannendes Buch, in
dem Erdmann von seinen stürmischen Abenteuern
erzählt, sich jedoch auch nicht scheut, euphorische
Gefühle genauso wie Angst und Zweifel offenzulegen.
Weshalb ich an dieser Stelle einen Buchtipp abgebe,
statt mich mit der Beliebtheit von Strandkörben zu beschäftigen,
die seit den 90er Jahren immer stärker ins
Binnenland abwandern, liegt zum einen daran, dass
ich dieses Buch auf unserer Schlei-Fahrt gelesen habe,
womit ich aber auch gleichzeitig deutlich mache, dass
sich unser Boot als bester Ort der Welt ebenso gut
zum Lesen dieses Abenteuers eignet wie der Strandkorb
im Sportboothafen Lindaunis.
Schlei, Sportboothafen Lindaunis, Deutschland 2014
27
Andrea Doria
Da hat sich jemand aber einen nicht gerade Glück
bringenden Namen für sein luftiges Gefährt ausgesucht.
Zwar war die Namensgeberin Andrea
Doria der größte und schnellste und zudem der
beliebteste Luxusdampfer zu seiner Zeit, jedoch
kollidierte sie 1956 im Nebel auf dem Weg nach
New York vor der Küste von Nantucket mit einem
schwedischen Passagierschiff und kenterte. Das
Wrack liegt immer noch auf dem Meeresgrund.
Vielleicht hatte der Erbauer dieser Andrea Doria,
von Zweifeln geplagt, ob sein Floß den stürmischen
Wellen des Oder-Havel-Kanals trotzen könne, einfach
nur Rat gefunden in dem ironisch-flapsigen
Refrain des gleichnamigen Liedes von Rocksänger
Udo Lindenberg. Wie jeder Vorbeifahrende erkennen
kann, ist schon deutlich mehr als die übliche
Sicherheitsvorsorge getroffen worden, denn die
beiden gut gepolsterten Autosessel auf dem Floß
verfügen trotz des Umbaus immer noch über die
Möglichkeit, den Sicherheitsgurt schließen zu
können. Es ist nur nicht erkennbar, ob die Sicherheitsgurte
vorhanden sind. Aber wie hieß das noch
im Lied? „Und ich glaub‘, dass unser Dampfer bald
untergeht. Aber sonst ist heute alles klar auf der
Andrea Doria.“
Oder-Havel-Kanal, Deutschland 2012
28
Shakespeare fängt Karpfen
Dass es sich bei diesem Exemplar nicht um einen gewöhnlichen
Campingstuhl handelt, weil er außergewöhnlich
wulstig und dick gepolstert ist, konnte ich
bereits durchs Kameraauge erkennen. Zu welcher
Gattung könnte er aber gehören? Wegen der Farbe
fiel mir die Bundeswehr ein und die jungen Männer,
die früher nach dem Ende des Wehrdienstes ihren
olivgrünen Parka mitnehmen durften. Aber dass die
Bundeswehr ihre Bediensteten neuerdings mit Campingstühlen
ausstatten würde, erschien mir absurd.
Eine erste Google-Suche allerdings ergab, dass Feldund
Campingstühle aus Armeebeständen durchaus
verkauft werden. Eine zweite Google-Suche führte
mich zu William Shakespeare, was mich noch mehr
verwirrte, weil ich selbstverständlich an den großen
englischen Dramatiker dachte, bis ich feststellte, dass
dieser William Shakespeare im Jahre 1887 die William
Shakespeare Jr Company gründete, nachdem er eine
neuartige Angelrolle entwickelt hatte, die die Angelschnur
gleichmäßig zurück auf die Spule wickeln
konnte. Auch wenn die Firma heute für ihre Marke mit
dem Satz „Angeln oder nicht angeln“ wirbt, hat das
eine mit dem anderen nichts zu tun. Beim dritten Google-Versuch
angelte ich dann den Karpfenstuhl.
Der Karpfenstuhl wird zwar nicht von der Shakespeare
Company hergestellt, wohl aber von vielen anderen
Firmen. Er besitzt ein Thermopolster, das den
Rücken warm hält, hat Teleskop-Beine, um die Bodenunebenheiten
am Ufer ausgleichen zu können und ist
„forest-green“. Die Luxusvarianten können sogar zu
einer Liege ausgezogen werden, damit man sich bei
oder nach der anstrengenden Angelei richtig ausruhen
kann. Warum dieser Karpfenstuhl ohne Angelausrüstung
auf diesem idyllischen Ufergrundstück an der
Eider steht, wusste Google jedoch nicht.
Eider, Deutschland 2014
29
Burnout
Die Diagnose lautete: Burnout. Sicher, eine moderne
Krankheit, überall herum wütend wie ein
ansteckender Virus, vielleicht ein wenig überstrapaziert,
aber was will man machen, wenn die Energie
fehlt, wenn die Leistung nicht mehr erbracht
werden kann. Zu viele Überstunden gemacht, zu
viel Stress gehabt. Zu oft „ja woll Chef“ mit gestöhnt,
zu viel geflucht und zu viele dreckige Witze
mit anhören müssen. Immer mehr Kilos hat er im
Laufe der Zeit tragen müssen, mit ihren Schuhen
auf der Fußstütze herumtretend, rutschten Männer
und Frauen immer unruhiger auf seinem roten
Schalensitz herum, der allmählich blass und
blasser wurde. Freudig um seine Achse wurde
er schon lange nicht mehr gedreht. Das Rascheln
beim Blättern in den Akten ging ihm auf die Nerven,
das matte Klack Klack der Computertastatur
schlug ihm auf den Magen, beim letzten Klingeln
des Telefons besuchte ihn der Tinnitus. Es wurde
Zeit für eine Auszeit. Doch irgendwie erscheint es
mir, als ob sich der alte Bürodrehstuhl mit diesem
Uferplatz an der Petite Saône einen Erholungsort
ausgesucht hat, der seinem deprimierenden Büroleben
zum Verwechseln ähnelt.
Petite Saône, Frankreich 2013
30
Zomergasten
Während unserer Fahrt auf der neuen Wasserwegverbindung
von Ter Apel nach Erica in der Provinz
Drenthe (die Niederländer geben wirklich noch viel
Geld für die Wassersportler aus), war es mir zunächst
nicht möglich, dieses Gebilde eindeutig zu
identifizieren.
Es ist kein Stuhl, eher eine Art Thron, so majestätisch
wie es an der Landspitze zwischen Kanal
und Hafen platziert ist. Es könnte auch ein Haus
sein oder ein Turm. Auf jeden Fall gibt es drinnen
ein Fenster mit Bänken zum Sitzen. Insofern gehört
dieses Gebilde in meine Sammlung und – wie
ich später herausfand – zur Gattung Kunst. „Zomergasten“
(Sommergäste) hat der niederländische
Künstler Cune van Groeningen sein Bildobjekt
genannt. Zum einen soll es in der Landschaft
wachen und die Passanten des kleinen Hafens in
Rogat beschützen. Zum anderen kann man dort
drinnen Platz nehmen, allein oder zu zweit, sich
Geschichten erzählen oder einfach nur durchs
Fenster schauen und sich sein eigenes Bild vom
Ort machen, von der Hoogeveense Vaart und den
Deutungsmöglichkeiten in der Kunst.
Hoogeveense Vaart bei Klazienaveen, Niederlande 2013
31
Modell Nordsee
Was macht der denn hier? Ein Strandkorb mitten im
Schilf. Fein in Plastik gehüllt, um sich vor den Wetterunbilden
am Küstenkanal zu schützen. Mit einer
muschelartigen Schale an der einen und einer Möwe,
die nicht wegfliegen kann, an der anderen Seite. Inzwischen
kenne ich mich mit Stühlen und Bänken am
Ufer ein wenig aus, an Strandkörbe im Garten habe
ich mich gewöhnt, aber hier am Kanal? Wenigstens
ein bisschen Sand gehört doch dazu, wenn schon die
Küstenkanalwellen nicht weißkronig an die Spundwand
unterm Schilf heran rollen können.
Der Strandkorb wurde 1882 als Strandstuhl geboren.
Der Hofkorbmacher Wilhelm Bartelmann fertigte
ihn im Auftrag einer rheumakranken Dame an, damit
sie windgeschützt frische Seeluft und die Aussicht
aufs Meer genießen konnte. An den Sandstränden
von Nord- und Ostsee verbreiteten sie sich rasant.
Aus den anfangs einsitzigen Strandstühlen mit einer
Überdachung aus Weiden und Peddigrohr, die mit
einer Art lackierten Leinwand überzogen war, entwickelten
sich die heutigen, meist zweisitzigen Strandkörbe.
Die können viel mehr als nur zu einer Liege
aufgeklappt zu werden. In der Luxusversion verfügen
sie über eingebaute Heizungen, eine Bar mit
Kühlschrank, eine Musikanlage und bestimmt auch
WLAN. Schon immer haben sich Strandkörbe jedoch
nach Ostsee- und Nordseemodellen unterschieden.
Während die an der sanften Ostsee gerundet und geschwungen
modelliert sind, zeigen Nordseemodelle
wie dieses hier am Küstenkanal Ecken und harte
Kanten.
Küstenkanal, Deutschland 2014
32
Warten auf ein Floß
Die Nachfahren von Huckleberry Finn und dem entlaufenen
Sklaven Jim haben sich eine vom Land aus
kaum sichtbare höhlenartige Hütte gebaut. Sie steht
zwar nicht auf Jackson’s Island, aber auf einem schönen
Sandstrand mit leicht verwildertem Deichland
dahinter. Die beiden scheinen gerade unterwegs zu
sein, vielleicht sammeln sie Beeren oder suchen Reisig
fürs Feuer am Abend.
Mit den blauen Faltstühlen und einer Plastikliege ist
ihre Hütte recht komfortabel ausgestattet. Bei Mark
Twain müssen sich Huck Finn und Jim mit einem kalten
Steinboden zum Sitzen und Schlafen zufrieden geben.
Aber ihre Nachfahren befinden sich ja auch nicht
auf der Flucht. Sollten sie aber noch ein Floß finden,
können sie sich auf eine wunderbare Flussreise freuen.
Die Mosel ist zwar nicht der Mississippi, aber auch
heute noch geizt sie nicht mit Abenteuern, wovon jeder
Bootsfahrer viel und gerne zu berichten weiß.
Mosel, Deutschland 2013
33
Reserviert
Diese elegant-graue Kunststoffbank, die sich hinter
der rostigen Spundwand des neuen Veenkanaals
an den Gabionenwall aus pastellgrauen Steinen zu
schmiegen scheint, möchte ich für eine Persönlichkeit
reservieren, von der ich viel über das Sitzen und
das Sitzen auf Stühlen gelernt habe.
Normalerweise denkt man nicht viel über das Sitzen
nach, man tut es ganz einfach, so wie man isst,
trinkt oder schläft. Auch ich wusste nicht, dass es
so viel Wissenswertes über dieses Thema gibt. Aber
dann habe ich Hajo Eickhoff über seine Bücher und
seine Homepage „kennengelernt“. Er ist Kulturhistoriker,
Ausstellungsmacher, Philosoph. Er schreibt
Texte zur Geschichte der Kultur, zur Kunst, zum
aufrechten Dasein, über Lebenshaltungen und den
Menschen, das verstuhlte Wesen. Als Autor von
„Himmelsthron und Schaukelstuhl. Die Geschichte
des Sitzens“ wird er sich sehr wahrscheinlich
nicht auf diese Bank setzen wollen. Vielleicht wird
er sich schrägsetzen, liegendlümmeln oder stehendruhen.
Auf jeden Fall wird er es vermeiden, dass
seine Bandscheiben allzu lange gequetscht werden,
seine Atmung flach wird, seine Nackenmuskulatur
schlecht durchblutet wird, seine Organe eingeengt
werden, nur weil unser Becken beim entspannten
Sitzen nach hinten, von der natürlichen S-Form in
eine C-Form gedreht wird.
Auf seiner Homepage finden sich überaus anregende
Informationen wie auch ein (anlässlich der Ausstellung
„Sitzen“ 1997 im Deutschen Hygiene Museum
Dresden gedrehter) Fernsehbeitrag, in dem kurzweilig
das Wichtigste zum Thema zusammengefasst ist.
Veenkanaal, Niederlande 2013
34
Am Noor
Ich liebe Chaiselongues, diese gemütlichen, gepolsterten
Liegen mit Kopf- oder kleiner Rückenlehne.
Zuhause kann man mich am Abend kaum davon wegbekommen.
Diese hier in Maasholm (ausnahmsweise
einmal vom Land aus festgehalten) ist allerdings in
Stein gehauen, zum Sitzen also eher abschreckend.
Stimmt aber nicht. Den Blick auf die sich von der
Schlei ausbreitende seeartige Bucht, die im Norden
Deutschlands Noor genannt wird, kann man durchaus
auf dieser steinernen Chaiselongue genießen.
Wer lieber auf Holz sitzt, kann sich aber auch in
dem alten Schleikahn vor der Chaiselongue ausruhen.
Er ist einer von vielen anderen, die halbiert und
mit einer Sitzplatte ausgestattet auf dem gesamten
Wanderweg entlang der historischen Kahnstellen in
Maasholm aufgestellt worden sind. Mich erinnern
sie irgendwie auch an Kreuzwegstationen. Auf jeden
Fall sind sie nicht nur windgeschützt und gemütlich,
sie erzählen auch ganz nebenbei, welche Rolle die Fischerei
einst in Maasholm gespielt hat.
Maasholm, Schlei, Deutschland 2014
35
Paare am Steg
Gleich und gleich gesellt sich gern, so lautet eine
Volksweisheit. So ist es nicht verwunderlich, dass
die Stuhlpaare in dieser Bildergalerie alle gleich sind.
Warum aber?, frage ich mich. Denn bei dieser Weisheit
fällt einem meist auch der andere, ebenfalls sehr
bekannte Spruch „Gegensätze ziehen sich an“ ein.
So könnte man auf den Gedanken kommen, dass man
ebenso oft auf ungleiche Stuhlpaare treffen wird.
Das allerdings scheint ein Irrtum zu sein. Zumindest
habe ich noch keine entdeckt und grübele seitdem
über das Bedürfnis nach, sich anderen angleichen zu
wollen und gleichzeitig danach zu streben, so einzigartig
wie nur möglich zu sein.
Peene, Deutschland 2014
Wetering, Niederlande 2013
Mosel, Deutschland 2013
Vecht, Niederlande 2013
36
Prost
A la vôtre (Prost), rief uns die Champagnerflasche
von der kleinen Terrasse aus zu. Wir warteten wieder
einmal auf das Öffnen der Schleusentore und waren
dabei dem Ufer sehr nahe gekommen. Aber sonst hätten
wir sie wahrscheinlich gar nicht gehört. Sie schien
sich auf dem winzigen Bistrotisch zwischen den beiden
eleganten Teakholzstühlen zu langweilen, denn
ohne unsere Antwort abzuwarten, begann sie selbstverliebt
zu schwärmen: Von ihrem blumigen Bouquet,
ihren fruchtigen Aromen, der grüngoldenen Farbe.
Das Schleusentor öffnete sich, aber die Ampel war
noch rot. Die Flasche hatte sich immer noch nicht
vorgestellt, und es war trotz Ufernähe nicht zu erkennen,
mit wem wir es zu tun hatten? Piper Heidsieck,
Moët & Chandon, Ruinart, Taittinger? Es gibt so viele
Champagnersorten in Frankreich. Lediglich den Veuve
Clicqot konnten wir ausschließen, das orangefarbene
Etikett hätten wir erkannt, wir kamen ja gerade
aus Reims. Aber welche Champagnermarke sich durch
Schwatzhaftigkeit auszeichnet, hatten wir dort nicht
gelernt.
Aus der Schleuse schraubte sich langsam eine Péniche
heraus. Die Péniches haben auf jeder Seite nur
etwa fünf Zentimeter Platz bis zur Schleusenwand,
dementsprechend dauert es bis sie draußen sind. Die
Flasche aber war nicht zu stoppen, und als sie von
dem feinen Prickeln erzählte, das man auf der Zunge
fühlt, wenn man einen Schluck nimmt, spürte ich wie
mein Gaumen trocken, meine Lippen fast rissig wurden.
Die Stühle blieben stumm, vielleicht kannten sie
ihre Geschichte, wir aber konnten nicht weg, weil sich
jetzt die Péniche in dem engen Canal des Vosges an
uns vorbeiquetschte. Die Flasche sprudelte und perlte
geradezu überschäumend vor Begeisterung, ich versuchte,
mit dem Bootshaken an sie heranzukommen.
Dann machte es Plopp.
Canal des Vosges, Frankreich 2013
37
Gummistiefel
Drei machen sich morgens auf den Weg. Sie laufen,
springen und hüpfen den ganzen Tag durch Wald
und Wiesen. Abends kühlen sie ihre Stiefel und ruhen
sich aus: der Große auf dem weißen Stuhl, der
Kleine auf dem gelben Kinderstuhl und der dritte
im Bund legt sich auf das weichblumige Polster der
Klappbank am Storkower Kanal im Land Brandenburg,
südwestlich von Berlin.
Storkower Kanal, 2010
38
Gefährdet
Langsam gleiten wir
durch den grünnassen
Dschungel.
Das Nilpferd mit den dicken Augenwülsten am Ufer erweist
sich bei näherem Hinsehen als ein umgestürzter
Baum, dessen untere Stammhälften aufgeklappt sind
wie ein großes Maul. Die weißen Seerosen und die gelben
Teichmurmeln haben ihre Blüten zum Schutz vor
dem tropfenden Nass geschlossen, Schwanenblume
und Pfeilkraut ducken sich im Schilf, der Biber hat sich
in seine Burg verzogen. Nur die Vögel scheint der Regen
nicht zu kümmern, aus dichtem Laub zwitschert und
flötet es fröhlich-laut, hier ist nicht nur der Eisvogel zuhause,
auch der Pirol wurde bereits gesichtet, ein Symbol
für lebendige Flüsse und Auen. Bänke wie diese hier
sind an den meist naturbelassenen Ufern allerdings rar,
aber man muss ja wirklich nicht überall sitzen können.
Mit seinen 32 Kilometern ist der Finowkanal die älteste,
noch schiffbare künstliche Wasserstraße Deutschlands.
Seit über 400 Jahren verbindet er die Havel mit
der Oder, ebenso lange wie vergeblich kämpfte er
wie viele seiner Art gegen die fortschreitende Entwicklung
an. Nach seinem fast vollständigen Zerfall
im 30jährigen Krieg wurde er wieder aufgebaut und
mehrmals erweitert, seine Schleusen wurden vergrößert
und verdoppelt. 14.000 Kähne und 53.000
Floßhölzer schleuste er jährlich in den 1840er Jahren.
Mit dem Bau des Oder-Havel-Kanals 1914 verlor er jedoch
seine wirtschaftliche Bedeutung, 1972 kam der
Schiffsverkehr völlig zum Erliegen.
Die Natur hat sich die Landschaft am Ufer zurückerobert,
an die Industriegeschichte des Kanals erinnern
nur noch die Namen der handbetriebenen Schleusen
wie z. B. Schöpfurth oder Kupferhammer sowie wenige
nur zum Teil restaurierte Brücken und Industriegebäude.
1998 wurde der Kanal mit großem finanziellem
Aufwand für den Wassertourismus wieder in
Stand gesetzt. Damit ist für uns Sportbootfahrer eine
einzigartige, und selbst bei Regen wunderschöne Wasserstraße
entstanden. Leider ist auch dieser Kanal gefährdet.
Die alten Schleusen müssen dringend saniert
werden. Aber die Brandenburger Landesregierung hat
den Wassertourismus von ihrer Prioritätenliste gestrichen.
Während der Lange Trödel endlich wieder an den
Finowkanal angeschlossen wird und damit interessante
neue Rundwege für Touristen entstehen, will man den
Finowkanal schließen. Das ist absurd. Der Verein „Unser
Finowkanal“ braucht noch Unterstützung.
Finowkanal, Deutschland 2012
39
Sakte-TV
Mit den drei Antennen (2008 waren es noch zwei)
ist diese Sitzbank am Ufer der Ems gut aufgestellt.
Da wird die Auswahl zwischen den Krimis aus der
Eifel oder aus Leipzig, Criminal Minds oder Law &
Order schwerfallen. Deshalb möchte ich an dieser
Stelle einen Fernsehtipp für ein neues, cooles Programm
abgeben: Langsamfernsehen oder Sakte-TV
wie es in Norwegen heißt, wo der Trend herkommt.
In Deutschland sind wir noch nicht so weit. Unter
dem Motto „Und täglich grüßt der Tatort“ sind die
Programmdirektoren zwar ihrer Aufgabe, die komplexen
Inhalte im Fernsehen zu vereinfachen sehr
nahe gekommen, aber der Mut zum letzten Schritt
fehlt. Die Norweger haben es gewagt: Sakte-TV
zeigt sieben Stunden lang live eine Zugfahrt von
Bergen nach Oslo, ein 13 Stunden laufendes Wettstricken
oder die knapp 135 Stunden dauernde
Schiffspassage entlang der Hurtigroute. Auch eine
Kaminfeuernacht zur Hauptsendezeit wird zum
Quotenrenner.
Von dieser Bank aus kann man den neuen Trend hervorragend
und noch viel besser als die Norweger es
vermögen, ausprobieren. Der Fernsehschirm ist riesig
groß, die Farben sind natürlich, der Ton ist perfekt.
Ganz ohne große Investitionen in einen Fernsehschirm
oder eine Antenne kann man hier ruhig und
friedlich sitzen und live zuschauen, was auf der Ems
los ist. Mal fährt ein Frachtschiff vorbei, mal ein Tankschiff,
der Angler in seinem Kahn treibt im Strom, die
Sportboote werden meist am Abend ausgeführt. Die
Handlung ist beruhigend und trotzdem lebendig, viel
interessanter als die ewig gleichen Gespräche in der
Leichenhalle. Das Programm läuft Tag und Nacht ohne
Werbeunterbrechungen. Nur ein bisschen Bewegung
sollte man zwischendurch nicht vergessen.
Ems, Deutschland 2014
40
Die Vecht zeigt Bein
Schon immer haben Frauen gerne Bein gezeigt.
Und schon immer hat diese Methode, die zumeist
Männerblicke von dem, was sie gerade tun, abzulenken
und auf sich zu ziehen, funktioniert. Das
mit den Beinen klappt aber auch ohne Frau, was
wir u. a. von Helmut Newtons Kunstfotos wissen,
was aber auch dieses Foto hier beweist, bei dem
meine Kamera voll auf das strahlende Beinkunstwerk
am Ufer der Vecht gerichtet ist und die vom
Fluss abgewandten Liegestühle oder die fein gearbeiteten
Sesselstühle auf der Terrasse zu Nebendarstellern
degradiert.
Vecht, Niederlande 2009
41
Nummer eins
Auch hier steht das Sitzmöbel noch nicht im Vordergrund
des Fotos, wie man unschwer sehen
kann. Die immer noch weit verbreitete, aus dicken
Bohlen zusammengezimmerte, wetterfest-rustikale
Parkbank am Dortmund-Ems-Kanal versteckt
sich schüchtern auf der rechten Bildseite
und überlässt dem Ruderkahn mit dem schmalen
Sitzbrett in der Mitte die Aufmerksamkeit des Betrachters.
Damals sammelte ich noch keine Sitzmöbel
am Ufer, mir ging es um Impressionen von
der Ems für mein Buch „Kanalgesichter. Menschen
zwischen Dortmund und Emden“.
Wenn auch zufällig entstanden, ist es doch das erste
Bild meiner Sammlung. Und dennoch sind alle
wesentlichen Merkmale schon darin enthalten: der
umgekehrte Blick, das Spiel zwischen fließender
Bewegung und statischen Verharren, die Einladung,
die von der leblosen Leere des Sitzmöbels
ausstrahlt.
Ems, Deutschland 2008
42
Rosa Träume
Pink Lady döst zwischen weißen Gänseblümchen
und gelbem Löwenzahn im grünen Gras am Ufer
des Drentsche Diep, einem schmalen, wunderbar
mäandernden Wiesenfluss kurz hinter dem
Zuidlaarder Meer. Sie träumt von dem Wolf, der
vielleicht schon hinterm Deich in der eintönigen
weißen Wohnwagensiedlung lauert und sie zum
Anbeißen rosa findet. Aber dann sind es nur wir,
die langsam vorbeifahren und mit der Frage beschäftigt
sind, wie lange die Waterhuizer Brug,
die wir in Kürze erreichen, wohl noch Mittagspause
machen wird. Aber auch Pink Lady wird nicht
mehr lange warten müssen, der Wolf ist schon weit
in den Westen vorgedrungen. Gerade erst ist er
im Emsland gesichtet worden, und von dort ist es
nicht mehr weit.
Drentsche Diep, Niederlande 2013
43
Lila Philosophereien
Die kleine Ortschaft Fontenoy-le-Château, in deren
Mitte der Fluss Côney parallel zum Canal des Vosges
fließt, liebt die Farbe Lila. Parkbänke wie diese hier
am Kanalufer, die Schutzgitter zwischen Fluss und
Kanal und an abschüssigen Gehwegen wie auch die
mit roten Geranien geschmückten Brückengeländer:
alles trägt Lila. Noch ungewöhnlicher sind jedoch die
am Geländer hängenden weißen, natürlich auch mit
lila umrahmten Wolken aus Pappe mit ihren handgeschriebenen
Sprüchen und Zitaten.
Die Nietzsche-Weisheit „Wenn man viel hineinzustecken
hat, so hat ein Tag hundert Taschen.“
probierten wir sofort aus. Motorschaden, Abschleppmanöver,
Ankerverlust, Riefen im Rumpf
nach einem misslungenen Bremsmanöver an der
Schleusenwand und schließlich ein wunderschönes
Abendessen im Moulin Cotant mit neugewonnenen
Freunden. Mehr kann man kaum an einem
Tag erleben.
Canal des Vosges, Frankreich 2013
44
Mahlzeit
Beladen mit Schüttgut hat das Frachtschiff abgelegt,
in dem Hafen am Küstenkanal ist es Zeit für
eine Mittagspause. Der Stuhl aus dem Bauwagen
steht schon bereit, und auch wenn die Sonne noch
auf sich warten lässt, könnte man jetzt sein Butterbrot
auspacken, wenn man es am frühen Morgen
noch geschmiert hätte. Aber die Zeiten sind lange
vorbei. Den Henkelmann, in dem die warme Mahlzeit
zum Arbeitsplatz transportiert wurde, kennt man
nur noch aus alten Filmen. Heute geht man mittags
zur nächsten Imbissbude und holt sich eine Currywurst,
einen Döner oder eine Pizza. Allerdings sind
Angebote dieser Art am Küstenkanal rar, hier gibt
es weit und breit keinen McDonald’s. Nicht dass ich
dafür werben möchte, wir ernähren uns ohnehin
schon ungesund genug. Aber es wäre ja auch möglich,
dass jemand just in diesem Moment einen Apfel
aus seiner Tasche im Bauwagen holt, oder?
Küstenkanal, Deutschland 2014
45
Drei sind drei zu viel
Der kleine Mann mit dem Lockenschopf möchte sich
setzen. Die Frage ist nur, auf welchen Platz? Die
Bank mit dem blauen Polster sieht sehr bequem aus,
aber über die mächtige Blumenschale wird er nicht
hinweg sehen können, sie ist zu hoch für ihn. Die
drei Bänke aus Lochblech, die einst an einer Bushaltestelle
oder auf einem Bahnsteig ihren Dienst
getan haben mögen, sind skurril, aber sie haben zu
viel Moos angesetzt, er würde seinen hellen Anzug
verschmutzen. Und während er noch überlegt, ob er
die weiße Holzbank ausprobieren sollte, die so dekorativ
an der Hausecke steht, merkt er, dass er mit
seinen Beinen baumelnd auf der Kante der Holzterrasse
schon längst seinen Platz gefunden hat.
Vecht, Niederlande 2013
46
Lebensträume
Wahrscheinlich sind es Australier oder Neuseeländer,
die hier am Ufer der Meuse angelegt haben.
Sie leben ihren Traum, einen großen Teil des Jahres
mit einem alten, für Freizeitzwecke ausgebauten
Frachtschiff auf den europäischen Wasserwegen
unterwegs zu sein. Das cremefarbene Sofa mit
Sessel fällt jedoch aus der Reihe der schön restaurierten
Lebensträume. Es scheint noch nicht fertig
zu sein, denn auf das Deck eines solchen „bateau
de plaisance“, eines Vergnügungsschiffes, wie
die Franzosen sie so treffend bezeichnen, gehören
stets robuste Fahrräder oder ein kleines Motorrad,
ein Schlauchboot mit Motor, diverse Packsäcke,
eine Wäscheleine mit oder ohne Kleidungsstücke
zum Trocknen und gemütliche Stühle und Tische.
Das wichtigste sind jedoch die überall aufgestellten
Pflanzkübel mit roten Geranien und die Blumenkästen,
in denen die Kräuter für den Eigenbedarf
gezogen werden.
Auch wenn es auf diesem Foto nicht zu erkennen
ist, hat sich die Crew den schönsten Uferplatz für
ihren Start in ihren Lebenstraum ausgesucht. Die
Meuse schlängelt sich hier kurz hinter Liège an malerischen
Dörfern, Schlössern und Herrenhäusern
vorbei, während sich bizarr abfallende Felshänge in
ihrem Flusswasser abkühlen. Das schmale Tal inmitten
der grünen Wälder ist so schön, dass man
sich kaum vorstellen kann, wie hart und grausam
es früher umkämpft wurde. Nur wenige Kilometer
weiter hat Napoleon im Jahre 1815 sein Waterloo gefunden
und die vielen Gräber und Friedhöfe sind
eine bleibende Erinnerung an die Ardennenschlachten
der beiden Weltkriege.
Meuse, Belgien 2013
47
Werder Bremen
Wer in der Nähe von Bremen lebt, denkt bei den
Farben Grün und Weiß ausschließlich an den sich
endlich wieder im Aufwind befindlichen Fußballverein
Werder Bremen. Bei so viel Wiesengrün am
Elbe-Weser-Schifffahrtsweg kommen dem nachdenklichen
Fan allerdings auch die vom Geflügelfabrikanten
Wiesenhof finanzierten Trikots in den
Sinn, die wegen des Namenszuges ihres Sponsors
als Hühnerbrüste verspottet werden. Sorgenvoll
könnte man sich bei diesem Foto auch fragen, ob -
mit Wiese und Bank, aber ohne Hof - nicht nur die
Hühner glücklicher wären.
Elbe-Weser-Schifffahrtsweg, Deutschland 2014
48
Spieglein, Spieglein
Sie prägen die ostdeutsche Seenlandschaft und lassen
uns im Nu von einem romantischen Leben am
Wasser und in der Natur träumen. Diese hier am
Schweriner See sind wahrscheinlich in den 1960er
oder 1970er Jahren entstanden und so einzigartig
wie kaum ein Bootshaus mehr sein kann, das heute
neu entsteht. Und nicht nur in der Spiegelung des
weichzeichnenden Morgenlichtes ergänzen die auf
den kleinen Wasserterrassen aufgestellten weißen
Plastikstühle das stimmungsvolle Bild perfekt. Unauffällig
hellen sie mit ihrem strahlenden Weiß den
dunkel-waldigen Hintergrund auf und überlassen
den Bootshäusern die Ehre, die Schönsten im ganzen
Land zu sein.
Schweriner See, Deutschland 2012
49
Endlich, doch noch...
Nachdem wir im Jahr 2013 die Rhône auf unserer großen
Bootsreise durch Frankreich auf eigenem Kiel
nicht mehr erreichen konnten, ist es mir doch noch
vergönnt gewesen, vom Fluss aus ein Sitzmöbel am
Ufer der Rhône zu „erjagen“.
Denn ein Jahr später machten wir uns mit Wohnwagen
auf den Weg zum Mittelmeer, schwelgten in
Erinnerungen und erkundeten Orte und Häfen, die
wir mit dem Boot nicht mehr hatten erleben können.
Hier fahren wir mit der navette fluviale, einer kleinen
elektrisch betriebenen Fähre, über die Rhône an der
berühmten Pont Saint-Bénézet, auch genannt Pont
d’Avignon, vorbei zur Île de la Barthelasse.
Rhône, Frankreich 2014
50
Paare mit Gästen
Ein Paar lädt sich gern Gäste ein. Beim Betrachten
der Fotos fragt man sich nur, auf welches Fest und
welche Rolle die Gastgeber ihren Gästen wohl zugedacht
haben mögen? Wollen sie sich mit ihnen aufwerten?
Dienen sie nur als schmückende Kulisse für
das Fest oder werden sie gar ignoriert? Unstreitig ist
jedoch zu erkennen, dass es an der Hunte bunt und
sehr lebendig zugeht.
Hunte, Deutschland 2014
Eider, Deutschland 2014
Vecht, Niederlande 2013
Dahme-Wasserstraße, Deutschland 2010
51
Tonga
Auf Tonga gibt es keinen Torf. Dort fahren auch keine
Feldbahnen, wie die hinter dem unauffällig-erdfarbenen
Plastikstuhl, an dessen Rückenlehne getrocknete
Torfreste kleben. Wahrscheinlich wird ihn der
Feldbahnfahrer vom Torfwerk dort hingestellt haben,
um zwischendurch einmal auf kühl-grünes Küstenkanalwasser
zu schauen, statt immerzu Torfplacken
durch eine braun-schwarze verwüstete Landschaft
zu fahren.
In Niedersachsen werden jährlich 6,5 Millionen Kubikmeter
Torf produziert. 353.632 Tonnen davon
haben die vier am Küstenkanal gelegenen Torfwerke
im Jahre 2014 über ihre werkseigenen Verladestellen
verschifft. Wurden früher 15 Meter lange Torfkähne
mit einer Ladung von 28 Tonnen gesegelt bzw. bei
fehlendem Wind getreidelt, sind viele Schiffe auf dem
Küstenkanal heute bereits 100 Meter lang, und jedes
Einzelne darf hier bis zu 1350 Tonnen laden.
Es sind aber auch noch kürzere Schiffe unterwegs,
meist älteren Jahrgangs, charmant angerostet und liebenswert.
Eines davon heißt Tonga. Mit der gleichnamigen
Insel im Südpazifik hat sie nichts zu tun, im Gegenteil:
sie kommt aus Duisburg-Ruhrort. Aber in ihrem
Bauch führt sie regelmäßig kleine Torfberge spazieren
und jedes Mal, wenn wir sie auf dem Küstenkanal erblicken,
freuen wir uns und fangen an zu träumen.
Küstenkanal, Deutschland 2014
52
Wünsche
Hier kämpft ein prächtiger, weißblumig-barocker
Gartenthron um ein bisschen Platz zwischen wintergrauen
Buschstengeln und gelbblühenden Kriechgewächsen.
Seine wohlgeformten Beine scheinen fast
im hoch schießenden grünen Gras zu versinken. Mitten
im „Wassergarten der Niederlande“ wie die Vecht
genannt wird, hat er das nicht verdient. Sein Weiß
braucht Weite und Farben, die seine Anmut zum Leben
erwecken. Ich wünsche ihm einen Platz auf blauen
Krokuskissen inmitten eines kurz geschnittenen
grünen Rasens, mit Astern in Orange, gelben Margeriten,
pinkstrahlenden Rosen und zartlila Flieder
um ihn herum. Ob er mir dann aber noch aufgefallen
wäre?
Vecht, Niederlande 2013
53
Weser XXL
Ob man auf dieser übergroßen Holzbank bequem und
gemütlich sitzen kann, wage ich zu bezweifeln. Wenn
überhaupt wird man viele Polster und Kissen benötigen,
und von ihrer schlichten Schönheit wird kaum
noch etwas zu entdecken sein. In diesem privaten
Park an der Unterweser hat sie allerdings einen perfekten
Platz gefunden, denn eine XXL-Bank braucht
auch ein XXL-Panorama.
Da wäre zuallererst die Weser zu nennen, die sich
das Flussbett hier mit einer Insel teilt, dem Harriersand.
Unser Blick fällt auf spielende Kinder, die sich
im breiten Sandstrand vergnügen und den Inselanleger,
der im Sommer von der Guntsiet angesteuert
wird, eine allseits beliebte, wenn auch schon leicht
betagte Personen- und Fahrradfähre. Segeljollen
lassen vor der Insel ihren Anker fallen und warten
aufs Trockenfallen, etwas weiter weg liegen Binnenschiffe
auf Reede. Überhaupt die Schiffe. Wir
blicken nicht nur auf die Vorbeifahrenden, wir können
sogar den weiter flussabwärts am Hafen festgemachten
großen Seeschiffen beim Löschen ihrer
Ladung zusehen. Fischkutter fahren in die Schleuse
zum Braker Binnenhafen, um dort ihren Fang anzulanden.
Und falls wir durch die mit ihren Zweigen
bis zum Boden reichenden, ebenfalls riesengroßen
Bäumen hindurch schauen könnten, würde uns
auch der Braker Telegraph nicht verborgen bleiben,
in dem heute ein Teil des Schifffahrtsmuseums beheimatet
ist.
Weser, Deutschland 2014
54
Wo die Wut sitzt
Kurz bevor ihn die klebrig-bleierne Müdigkeit endgültig
kapitulieren ließ, ergreift den Mann die Wut.
Seit Wochen verfolgte ihn das immerwährende Gedröhn
der Bagger, die die einstmals ebene, grüne
Landschaft aufwühlten, verwüsteten, zu schwarzen
Erdwällen aufschütteten, die blühenden Bäume
zu verschütten drohten. Er geht hinaus und
ergreift die Axt. Tief lässt er sie in den mächtigen
Baumklotz dringen. Er spaltet, hackt, ritzt, schneidet,
schlägt, raspelt und schmirgelt. Dann rollt er
den Klotz ans Ufer des Valse Trog, setzt sich und
schaut aufs Wasser.
Valse Trog, Niederlande 2013
55
Souvenir
Diese edle Bank aus Stein steht in Girancourt am
Ufer des Canal des Vosges kurz vor dem zweithöchsten
Wasserscheitel in Frankreich. Wir dagegen
befanden uns dort auf dem absoluten Tiefpunkt
unserer Reise. Mit 38,5 Meter Länge und 5,10 Meter
Breite, dem sogenannten Freycinet-Maß für die
Ende des 19. Jahrhunderts in Frankreich erbauten
Kanalschleusen, war unsere Welt klein geworden.
Seit Wochen schienen wir nicht mehr weiterzukommen,
unsere Tagesstrecken maßen wir in Schleusen,
nicht mehr in Kilometern. Gestern haben wir 11 geschafft,
heute waren es 14 auf gerade einmal 15 Kilometern,
morgen werden es hoffentlich 19 werden.
Von der Landschaft sehen wir nichts mehr, der Kanal
ist als reine Wasserstraße auf das Erreichen
der nächsten Schleuse reduziert. Warten auf die
Schleusenöffnung, hineinfahren, die Leiter erklimmen,
von oben die Leinen um die Poller legen, die
blaue Stange ziehen und schon beginnt das Wasser
ins Schleusenbecken zu schießen. Rausfahren,
ein paar Meter weiter fahren, und das Spiel beginnt
von vorn.
Diese Welt war zu klein für uns geworden, und
in Girancourt waren wir fast bereit, unseren „Jonas“
aufzugeben. Vom Fahrersitz eines Wohnmobils
beispielsweise würde doch die Welt offen und
riesengroß sein. Das Foto von dieser Steinbank ist
für mich ein Souvenir an die insgesamt 451 Schleusen
auf unserer großen Frankreichreise im Sommer
2013 – und an unsere Entscheidung, bald mal
wiederzukommen, mit unserem „Jonas“ selbstverständlich.
Canal des Vosges, Frankreich 2013
56
Annäherung
Weiß, rund, fröhlich, ein Rheinländer am Rhein.
Denkt (vielleicht): Ich kenne dich nicht, was willst du
hier, brauner Fremder! Sagt (hoffentlich): Du siehst
ziemlich ausgelaugt aus, erzähl, woher kommst du?
Rhein, Deutschland 2013
57
Wo ist mein Engel?
Einen Cocktail kann man hier nicht bestellen, auch
wenn es sich auf den rotbraunen Barhockern noch
so gut sitzen lässt. Die Bars und Restaurants, die
nicht nur über uns, sondern auch in der Kelleretage
der Stadt bedienen, liegen hinter uns. Wir fahren
durch die Oude Gracht von Utrecht. Am frühen
Morgen, wenn die Tretboote noch angebunden sind
und die Ausflugsboote nicht auf Vorfahrt pochen,
ist es ein einmalig-wunderschönes Erlebnis. Die
Grachten sind schmal und wir bugsieren uns, immer
auf die Mitte zuhaltend, vorsichtig unter den
gemauerten Bogenbrücken hindurch. Von den Straßen
und Plätzen über uns braust klingelnd der Fahrradverkehr,
winken die Touristen von den Brücken
herab und fotografieren mit ihren Handys, verneigt
sich der Dom. Hier unten ist es ruhig, lediglich ein
Müllboot sammelt Abfallsäcke ein, vor einer offenen
Tür lädt das Bierboot mit einem kleinen Kran Bierfässer
und Lebensmittel ab.
In den Kellern der Oudegracht haben sich auch
Künstler niedergelassen, zumindest war das bei
unserer ersten Durchfahrt 2009 so. Auf dem winzigen
Hof am Kanalufer wurde gesägt, gemalt und
ausgestellt. Mein Lieblingsobjekt, ein Engel aus
Pappmasché, schaukelte selig lächelnd von einem
Baum herab. Ein paar Jahre später hat sich das Bild
verändert: Designer und Architekten scheinen die
Kelleretagen übernommen zu haben und mein Engel
ist verschwunden.
Oude Gracht Utrecht, Niederlande 2013
58
Störfaktor
In diesem trüben, braungrauen Hafen am Dortmund-
Ems-Kanal fällt er auf, der weiße Plastikstuhl, der sich
lässig vom Betrachter abwendet und sich voll auf die
abgestellten Transportbänder unter dem Trichter zu
konzentrieren scheint. Der Stuhl stört, er passt nicht
dort hin und er muss doch dorthin, denn sonst würde
das Foto nicht wirken. Die Brauntöne von Kanalwasser,
Spundwand, Förderbändern und Kieselsteinhaufen
würden ineinander verlaufen und dem Auge
keinen Halt bieten. Dieser weiße Plastikstuhl jedoch,
der dort nicht hingehört, lenkt in Verbindung mit dem
rotblauen Halteverbot- und dem gelbem Warnschild
die Aufmerksamkeit des Betrachters auf diesen eher
langweiligen Schauplatz und sorgt dafür, dass man
dieses Bild genau betrachtet. Hoffentlich glaubt aber
jetzt keiner, ich hätte ihn extra dort platziert.
Dortmund-Ems-Kanal, Deutschland 2008
59
Um Himmels willen
Der blaue Stuhl mit dem Himmelbett an seiner Seite
ist nur wenige Schritte vom Ufer der Peene entfernt.
Wenn man auf ihm sitzen könnte und ihn dann noch um
180 Grad drehen würde, hätte man einen wunderbaren
Blick auf den Wasserwanderrastplatz und die hier
breite und unter den Brücken von Anklam gemächlich
dahinfließende Peene. Aber der luftig durchscheinende
Stuhl hat sich vom Fluss abgewandt. Vielleicht, weil
sich noch vor diesen Blick die hier gerade entstehende
Ortsumgehungsstraße mit Brücke schieben wird,
die die Idylle der Uferlandschaft mit den eigenwilligen
und überhaupt nicht durchgestylten Datschen am
Entensteig zerstört. Unzweifelhaft ist die Umgehungstraße
notwendig, und sicher wird die Uferlandschaft
wieder aufgebaut werden. Ob es aber zwischen den
dann entstehenden Fußwegen mit Blumenbeeten und
bestimmt vielen schicken Parkbänken samt Abfallkörben
noch Platz geben wird für diese skurrile Datsche
mit ihrer herrlichen Installation? Um Himmels willen
- lasst sie stehen!
Anklam, in der Nähe der Peene, Deutschland 2014
60
bitte setzen
60 Tage60 Sitzplätze
Und tschüss...