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Patrouille_Teil_1

Meine Eisscholle misst 120 Quadratkilometer und wird von Tag zu Tag kleiner. Ich habe sie nach Klagenfurt benannt, jener Stadt, in der ich normalerweise lebe und arbeite. Da ich nicht weiß, ob ich sie je wiedersehe, umrunde ich sie im Geiste. Ich gehe entlang der Grenze, manchmal überschreite ich sie.

Meine Eisscholle misst 120 Quadratkilometer und wird von Tag zu Tag kleiner. Ich habe sie nach Klagenfurt benannt, jener Stadt, in der ich normalerweise lebe
und arbeite. Da ich nicht weiß, ob ich sie je wiedersehe, umrunde ich sie im Geiste. Ich gehe entlang der Grenze, manchmal überschreite ich sie.

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Patrouille (1)


Meine Eisscholle misst 120 Quadratkilometer und wird

von Tag zu Tag kleiner. Ich habe sie nach Klagenfurt

benannt, jener Stadt, in der ich normalerweise lebe

und arbeite. Da ich nicht weiß, ob ich sie je wiedersehe,

umrunde ich sie im Geiste. Ich gehe entlang der Grenze,

manchmal überschreite ich sie. Die Kapitänin hat mich

beauftragt, Ausschau nach ungewöhnlichen Dingen zu

halten und regelmäßig Bericht zu erstatten.

Begleitet werde ich von einem der Engel, die einst Wolf

Biermann besungen hat: „Was soll aus uns noch werden / Uns

droht so große Not / Vom Himmel auf die Erden / Falln sich

die Engel tot!“



Ich mache mir Notizen und schieße Fotos für ein Album,

das in der Offiziersmesse zur Einsicht aufliegt. Die

Mannschaft zeigt allerdings wenig Interesse und spricht

lieber dem Rum zu.



17. April 2020

Ich beginne mit meiner Patrouille im Südosten der

Scholle, dort, wohin ich noch nie einen Fuß gesetzt habe.

Ein Vaporetto hat mich hierher gebracht. Die Station heißt

Pfaffendorf / Hovja vas und liegt unter der Steilküste

der Sattnitz.



Einfamilienhäuser dümpeln vor sich hin, die meisten

scheinen verlassen.



Eine Inschrift erinnert an eine Seeschlacht vor

100 Jahren, bei der die slowenische Flotte versenkt

wurde.



Ein kranker Inuit hat seine Skier vor die Hütte gestellt

und den Hund ein letztes Mal gefüttert.



Die Eingeborenen nennen sich Windische und verehren

den Heiligen Martin. Er gilt als Erfinder des Anoraks.

Seine Kirche steht auf einer Moräne, die der Gletscher

vor 10.000 Jahren zurückgelassen hat. Die Kultstätte

wurde von Germanen geplündert.



Ihre Kriegsbeute kann in Gurnitz/Podkrnos, einem

malerischen Fischerdorf im gleichnamigen Fjord,

besichtigt werden.



Am Ortsrand tut sich eine Gletscherspalte auf, in der

die Besiegten einst Zuflucht suchten. Als alle Vorräte

aufgebraucht waren, soll es zu Kannibalismus gekommen

sein.



Zurück auf dem Schelfeis, lasse ich mich ostwärts treiben,

wo sich zwei Schmelzwasserbäche namens Sattnitz und

Gurk zu einem Fluss vereinen.

Lange verharre ich am Kap und höre dem Wasser zu.



Etwas weiter im Norden stoße ich auf mehrere Einbäume,

die vermutlich von Jägern auf der Flucht vor Narwalen

zurückgelassen wurden.



Nebel zieht auf und erschwert die Orientierung. Fast wäre

ich vom Weg abgekommen.



Plötzlich taucht wie aus dem Nichts das Wrack eines

Eisbrechers auf. Er ist in der Tundra auf Grund

gelaufen.



Der rettende Hafen, ein Munitionslager südlich der

Völkermarkter Straße, wäre nur eine Harpunenleine

entfernt gewesen.



Stattdessen lief die Besatzung, halb wahnsinnig vor

Angst, in ihr Verderben. Was müssen die armen Kerle

ausgestanden haben?!



Endlich Zivilisation – eine Siedlung am Ende der

Welt! Sie heißt Niederdorf und wurde von Missionaren

gegründet. Die zwergwüchsigen EinwohnerInnen hausen in

einfachen Katen.



Sie züchten Schneehühner …



… sind gastfreundlich …



… und handeln mit Lebertran.



Auch betreiben sie Sport …



… und pflegen ihre Kultur.



Der Häuptling, kein unfreundlicher Mann, besitzt das

Tabak- und Alkoholmonopol. Außerdem betreibt er ein

Bordell.



Seine Nachbarin stammt aus Sibirien und beliefert die

größten Reedereien mit Essiggurken. Aufgrund der

tristen Auftragslage ist die Stilllegung der Fabrik wohl

nur eine Frage der Zeit.



Es dämmert. Nordlichter flackern. Der Luftdruck fällt.

Ein Biwak bietet nur notdürftig Schutz.



Höchste Zeit, mit der Linie 12 das Mutterschiff

anzusteuern. Der Bootsführer ist vermummt und lässt

kein Wort mit sich reden. Also setze ich einen Funkspruch

ab, erhalte aber keine Antwort. Ich bin beunruhigt.



Fortsetzung folgt.



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