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RUTH HUTTER

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<strong>RUTH</strong> <strong>HUTTER</strong><br />

Text von Stefanie Schubert<br />

„So macht Motorsport richtig Spaß“,„Gridgirls in sexy Outfits gehören zum Motorsport wie das<br />

Adrenalin der Zuschauer beim Aufbrüllen der Motoren! Gridgirls sind aufregend, jung, sexy und<br />

leider oft der unerreichbare Traum vieler Männer. (...) versprechen mit himmlischen Kurven<br />

fantasievolle Abenteuer“ so lauten die Intros vieler Motorsportwebseiten und spiegeln deren<br />

meistens auf das Körperliche reduzierte Frauenbild - mit durchschlagendem Erfolg! - in einer<br />

männlich dominierten Motorsportwelt.<br />

Für die Ausstellung im Mannheimer Kunstverein wählt die Video- und Fotokünstlerin Ruth Hutter<br />

zwölf Arbeiten aus ihrer 20teiligen Fotoserie „Grid Girls“ aus. Aus der Ferne zeigen sie das<br />

gewohnte Bild eines Grid Girls als Objekt des Verlangens und ergänzendes Beiwerk der<br />

hochtourigen Maschinen: nackte Frauenoberkörper dienen als Werbeflächen, aufreizende Posen<br />

blonder Schönheiten auf schweren Motorrädern, leichtbekleidete, sonnenbebrillte Blondinnen,<br />

hochpolierte Autooberflächen garniert mit langbeinigen Frauen auf hochhakigen Schuhen in sexy<br />

Posen, Frauen in kurzen körperbetonten Kleidern, Hotpants, Lackstiefeln und freizügigen<br />

Décolletees. Standardbilder wie man sie aus den schönen, bunten Hochglanzmagazinen und<br />

Liveübertragungen der großen internationalen Events des Motorsports kennt.<br />

Erst beim Näherkommen fällt auf, dass hier etwas nicht stimmt: Ruth Hutter setzt ihr eigenes<br />

Gesicht, zum Teil bis zur Unkenntlichkeit verfremdet oder bis zur Fratzenhaftigkeit verzerrt,<br />

anstelle der gängigen, gestylten Gesichter der Grid Girls. Die Gegensätze könnten nicht größer sein:<br />

makellose Körper gepaart mit der Häßlichkeit der Physiognomien. Faltige, grobporige, völlig<br />

ausgemerkelte Gesichter werden zur Schau getragen, proletenhafte Mimik wechselt mit<br />

abgestumpften, leeren Blicken. Ruth Hutter verwendet in dieser Fotoserie Vorlagen aus digitalen<br />

Bildarchiven und ersetzt die Gesichter der Abgebildeten durch die Montage ihrer eigenen, digital<br />

bearbeiteten Physiognomie.<br />

Es ist typisch für Ruth Hutters künstlerische Arbeit, das eigene Gesicht als Requisit einzusetzen.<br />

Mehrmals schlüpfte sie in verschiedene Rollen, wechselte ihre Identitäten oder überprüfte dadurch<br />

die Eigene. In dieser Fotoserie allerdings ist nicht der Rollenwechsel oder die Frage nach der<br />

eigenen Identität das Thema, sondern hier geht es um die Demontage der Medien, die uns tagein,<br />

tagaus eine Scheinwelt, bunte Bilder von Glück, Wohlstand etc. transportieren. Ruth Hutter<br />

konterkariert – nicht ohne eine gehörige Portion Ironie - das Ewig-schön-sein-müssen-Image,<br />

zerstört die Illusion perfekter Schönheit in der Werbeästhetik und entblößt die Schönheit als reines<br />

Konstrukt, um der Wirklichkeit näher zu kommen. Sie deckt die Simplizität mancher Medienbilder<br />

auf, mit der die Menschen in und durch die Medienmaschine manipuliert werden. Ruth Hutter<br />

versucht, „mit unattraktiven Bildern dem Realen näher zu kommen. Der Hochglanzbilderflut etwas<br />

entgegen zu setzen, weil die Medien all das ausblenden“. 1<br />

Auch in einem weiteren Werk in der Ausstellung begegnen wir einer Selbstdarstellung Ruth<br />

Hutters: „Bad Artist I“, einer neuen Videoarbeit, die zu einem Werkkomplex mit dem gleichen Titel<br />

1 Zitiert nach: www.goethe.de/ins/cn/sha/de3552468.htm; Interview mit Ruth Hutter und Janina Hübner von der<br />

Abteilung Kultur und Bildung , Goethe Institut Shanghai, Anfang Juli 2008 (Stand: 25.07.2008)


zählt. 2 Diesmal ohne manipulativen Eingriff, ohne digitale Veränderung der eigenen Physiognomie<br />

präsentiert sie sich - wie sie sagt ganz „pur“, „roh“ 3 -in frontaler Nahsicht dem Publikum.<br />

Nach wenigen Sekunden Stille beginnt eine unsichtbare Menschenmenge unter dem Anschein eines<br />

Startschusses zu gröllen und zu johlen. Sie werden immer lauter und heizen sich gegenseitig an.<br />

Wieder wenige Sekunden später fliegt das erste rohe Ei und trifft! Weitere folgen. Ohne die Arme<br />

oder Hände schützend vor das Gesicht halten zu können, ist die Künstlerin ganz dem<br />

Bombardement der fliegenden und hörbar zerberstenden, glibbrigen Eier wie auch den empörten<br />

Beschimpfungen ausgeliefert. Der Anblick der sichtbar physisch leidenden Künstlerin ist schwer<br />

erträglich, man möchte einschreiten und es beenden. Sofort assoziiert man das Bild des<br />

mittelalterlichen Strafvollzugs am Pranger, an dem das Volk aktiv teilhaben konnte. Nach etwa<br />

zwei Minuten ist alles vorbei. Eine plötzlich erscheinende Hand wischt alles weg und das Gesicht<br />

erscheint wie unberührt. Ruth Hutters Videoarbeit ist eine Reflektion über das Künstlerdasein, über<br />

dessen Erfolg und Mißerfolg. Doch wer bestimmt, welche Kunst gut ist und welche schlecht? Ist<br />

Kunst nur gut, wenn sie sich auch auf dem Markt durchsetzt und ist dabei der Anteil der<br />

meinungsbildenden Medien nicht überproportional beteiligt? Bekanntlich sind Karrieren genauso<br />

schnell zerstört wie sie gemacht werden. Dennoch, verbindliche Antworten und Wege gibt es keine.<br />

Früher waren es die Akademien, die mitbestimmten, wer ein guter Künstler ist, heute dirigieren<br />

andere, oft marktwirtschaftliche Gesetzte das Spiel.<br />

Nach dieser 'aufregenden' Videoarbeit wirkt es geradezu entspannend, wendet man sich dem dritten<br />

und letzten Werk Ruth Hutters in der Ausstellung zu. „Tiefer als Grün“ ist eine Videoinstallation,<br />

bestehend aus zwei kleinen digitalen Bilderrahmen, die den Betrachter aufgrund des Formats<br />

auffordern, näher heranzutreten. Das Bild auf den Monitoren ist äußerst minimalistisch. Und je<br />

nachdem, zu welchem Zeitpunkt man sich dem als Loop gezeigten Video nähert, sieht man außer<br />

der leichten, sanften, beruhigenden Wellenbewegung eines Gewässers, dem grünen Grund und den<br />

unscheinbaren Lichtreflexen nichts. Diese Darstellung lädt zur Meditation ein, doch – wie so oft bei<br />

Ruth Hutter - die unbeschwerte Leichtigkeit trügt. Nichts ist wie es scheint. Auf subtile Weise<br />

versteht es die Künstlerin immer wieder, den Betrachter zu schockieren und ihm, wie in diesem Fall<br />

Unbehagen zu bereiten. Denn ganz unvermittelt erscheint, der sanften Wellenbewegung des<br />

Wassers folgend, ein regungsloser Fuß und eine Hand am jeweils linken und rechten Bildrand. Eine<br />

schwimmende Leiche? Ophelias Liebestod? Freitod oder Mord? Was ist hier passiert?<br />

Ruth Hutters Werk lebt von Brüchen und von überraschenden Wendungen. „Tiefer als Grün“<br />

signalisiert einen solchen Bruch: weg von den digital verfremdeten und manipulierten Arbeiten hin<br />

zu einer 'puren' fast puristischen Visualisierung.<br />

2 Diese Arbeiten waren in einer Einzelausstellung in der Mannheimer Produzentengalerei „Peng“ im Juli 2008<br />

ausgestellt.<br />

3 Zitiert nach: Sigrid Feeser, Sprung ins Ungewisse; in: Die Rheinpfalz, Kultur regional, Nr. 151, 01.Juli 2008

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