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Morbus Trump

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<strong>Morbus</strong> <strong>Trump</strong><br />

Warum wir den amerikanischen Präsidenten überschätzen<br />

Seit über drei Jahren verfolge auch ich, durchaus fasziniert, die täglichen Folgen der<br />

<strong>Trump</strong>-Show. Ebenso die internationale Berichterstattung darüber.<br />

Dabei wird nicht selten versucht, hinter all dem erratischen Irrlichtern eine Agenda zu<br />

erkennen. Sei es eine klientelbezogene, marktradikale, nationalistische oder gar rassistische.<br />

Bisweilen liest man sogar Kommentare, die den amerikanischen Präsidenten<br />

für unterschätzt halten.<br />

Nein, wie überschätzen Donald <strong>Trump</strong> genau dann, wenn wir psychopathologische<br />

Symptome zu politischen Statements aufwerten. Jede Äußerung, jeder Tweet offenbart<br />

meines Erachtens eine psychische Störung, die weit über das unübersehbare<br />

Fehlen an Bildung und über einen limitierten Intellekt hinausreicht. Ich will diesem<br />

Krankheitsbild einen Namen geben: <strong>Morbus</strong> <strong>Trump</strong>.<br />

Was sind dessen Symptome?<br />

Es geht bei keiner Äußerung primär um inhaltliche Botschaften. Es steht nicht einmal<br />

der Wahlkampf im Vordergrund. Nein, es geht nur um eines: das Ringen um permanente<br />

Aufmerksamkeit. Eine frühkindliche Verhaltensweise hat sich hier über sieben<br />

Jahrzehnte tradiert.<br />

Das Kommunikationsverhalten besteht nahezu ausschließlich aus Eigenlob. Dabei<br />

genügt es nicht, eigene Qualitäten zu betonen. Nein, dies erfolgt generell in Superlativen.<br />

Beim Aufnehmen, Verarbeiten und Weitergeben von Information werden diese nicht<br />

hinsichtlich von Wahrheit oder Relevanz gefiltert, sondern lediglich hinsichtlich ihrer<br />

Verwertbarkeit für die eigen Selbstdarstellung. Es geht niemals um das "es", sondern<br />

ausschließlich um das "ich".<br />

Das Verhältnis zur Wahrheit ist ein rein taktisches. Es geht nicht um fundierte Fakten,<br />

um überprüfbare Realitäten. Es geht um die reine Behauptung des Gewünschten,<br />

des von der Klientel Erwarteten. Der an <strong>Morbus</strong> <strong>Trump</strong> Erkrankte spricht nicht<br />

über das "ist", sondern über das "soll". Bei ihm verschwimmen die Grenzen zwischen<br />

Faktum und Fiktion. Dabei kommt kommunikativ der permanenten Wiederholung<br />

eine entscheidende Rolle zu. Repetierte Lüge soll beim Hörer einen Gewöhnungsprozess<br />

einleiten. So wird ein Klima erzeugt, bei dem man sich Wahrheiten aussuchen<br />

zu können scheint. Unerfreulichen Fakten wird eine pseudofaktische "Alternative"<br />

beigegeben, die eine Auswahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Wahrheiten<br />

suggeriert. Beleg- und beweisbare Realitäten werden unbegründet zu "Fake News"<br />

herabgewürdigt.


Eng verwandt ist das Symptom, dass das Argument im Diskurs keine Rolle mehr<br />

spielt. Beweise und Belege werden durch reine Behauptungen ersetzt. An die Stelle<br />

inhaltlicher Auseinandersetzung tritt die Diffamierung des Gegners. Hierzu gehört,<br />

dass man diesen stets mit abwertenden Adjektiven benennt ("Sleepy Joe", "Crocked<br />

Hillary"), damit so dessen Argumente von vornherein diskreditiert werden. Dies jedoch<br />

nicht durch Gegenargumente, sondern durch Ehrverletzung des Argumentierenden.<br />

Einziges Kriterium bei der Beurteilung von Menschen ist deren Loyalität. Kritik ist per<br />

se ein Angriff, Kritiker generell Feinde. Wir gegen die. Freund gegen Feind. Sozialverhalten<br />

als permanenter Krieg.<br />

Integraler Bestandteil des Denkens und Fühlens von an <strong>Morbus</strong> <strong>Trump</strong> Erkrankten ist<br />

die Selbstverortung über Feindbilder. Im Falle des Namensgebers sind dies etwa<br />

Demokraten, unabhängige Journalisten, Ökologen, Immigranten und neuerdings Chinesen.<br />

In der Summe der Symptomatik lässt sich als Kern der Erkrankung das gemeinsame<br />

Auftreten zweier scheinbar widersprüchlicher Faktoren ausmachen: mangelndes<br />

Selbstbewusstsein und Selbstüberschätzung. Ersteres zeigt sich u. a. in der Unfähigkeit,<br />

sich mit Kritik und Widerspruch auseinanderzusetzen. Letzteres in der kommunikativen<br />

Reduktion auf Eigenlob. Die Vermittlung zwischen diesen beiden Selbstempfindungspolen<br />

erfolgt nicht zuletzt durch Allmachtsphantasien, die sich beim<br />

Namensgeber der Erkrankung u. a. in der Überschätzung eigener Machtbefugnisse<br />

und Kompetenzen (man denke an die Therapievorschläge des selbsternannten Virologen<br />

<strong>Trump</strong>) sowie in der neidvollen Bewunderung von Diktatoren und Antidemokraten<br />

zeigt.<br />

Ein weiterer innerer Widerspruch des Krankheitsbildes ist der zwischen einer komplett<br />

fehlenden Empathiefähigkeit und dem dringenden Bedürfnis, selbst geliebt<br />

und geachtet zu werden. Der Betroffener bedarf jener Gefühle, die er selbst nicht zu<br />

geben vermag.<br />

Warum hat die Diagnose von <strong>Morbus</strong> <strong>Trump</strong> Relevanz?<br />

Weil sich diese Erkrankung als hochinfektiös erwiesen hat. Sie befällt vor allem Menschen,<br />

die nicht durch Intellekt und Bildung vor Ansteckung geschützt sind. Bei ihnen<br />

finden sich oft die typischen Symptome: das Ersetzen fundierter Fakten durch verworrene<br />

Verschwörungstheorien, die Aufwertung von Unwissen zu Geheimwissen,<br />

die Selbstdefinition über Feindbilder, das argumentlose Diffamieren des Gegners.<br />

Dabei kennt auch diese Krankheit keine Staatsgrenzen. Längst hat sie auch Europa<br />

und Deutschland erreicht. Eine zunehmend größere Anzahl von Menschen hierzulande<br />

hat sich in "postfaktische" Filterblasen und Echokammern zurückgezogen. Die<br />

der Wahrheitssuche verpflichtete Wissenschaft und die freie Presse werden zu<br />

Feindbildern jener, die fiktiv Wünschenswertes über faktisch Wahres stellen. So erweist<br />

sich etwa die jüngst ausgebrochene #Covidiotie als ein #<strong>Morbus</strong><strong>Trump</strong> eng<br />

verwandtes Krankheitsbild. Die von ihr Betroffenen versammeln sich derzeit in deutschen<br />

Großstädten, um ihre ahnungslose Meinung lauthals kundzutun. Der als<br />

Schlüsselsymptom auftretende Glaube an krudeste Verschwörungstheorien ist hierbei<br />

ebenso zu beobachten wie das Beschwören von Feindbildern, zu denen neben


Einzelpersonen (Bill Gates) auch wissenschaftliche (RKI) und demokratische Institutionen<br />

gehören.<br />

Es scheint auch bezeichnend, dass Donald <strong>Trump</strong> in Deutschland ausschließlich dort<br />

Anhänger findet, wo Politik nicht auf Basis verifizierbarer Fakten betrieben wird: dem<br />

parlamentarischen Arm der Klimawandel-, Corona- und Holocaust-Leugner, der Verschwörungstheoretiker<br />

jedweder Schwachsinnsstufe: in der Alternative-Faktenpartei<br />

Deutschlands (AFD). Deren Kampf gegen demokratische Institutionen, gegen "political<br />

correctness" und gegen die freie Presse zeigt ebenso enge symptomatische Verwandtschaft<br />

wie die Definition gemeinsamer Feindbilder (Greta, Grüne, Gutmenschen).<br />

Auch die Problematik tief sitzender Minderwertigkeitskomplexe lässt sich u.<br />

a. daran festmachen, dass man sich nicht über sich selbst, sondern über Übergeordnetes<br />

(Volk und Vaterland) definiert.<br />

Welche Therapieansätze aber folgen aus der Diagnose von <strong>Morbus</strong> <strong>Trump</strong>?<br />

Da die Heilung der einmal davon Befallenen erst möglich sein wird, wenn Intelligenz-<br />

Injektionen oder Bildungspillen entwickelt und verfügbar sind, kommt der Prävention<br />

entscheidende Bedeutung zu.<br />

Hierbei ist es wichtig, schon im Kindesalter die Fähigkeit zu erlernen, Informationen<br />

zu hinterfragen, zu filtern, Fakt von Fake zu unterscheiden. Eine immense Schutzwirkung<br />

ist hier von der Vermittlung humanistischer Bildung zu erwarten. Auch Einblicke<br />

in die Methoden ergebnisoffen forschender Wissenschaft tragen zu einer Immunität<br />

gegenüber auf Behauptungen und Pseudoplausibilitäten beruhenden Verschwörungstheorien<br />

bei.<br />

sapere aude!<br />

Markus Golser

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