Gesprächsausschnitt von Noëlle (nicht resilient) - FHNW
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Schreiballtag und Textqualitäten<br />
bei Jugendlichen<br />
Prof. Dr. Annelies Häcki Buhofer<br />
Deutsches Seminar<br />
Universität Basel<br />
22.08. 2011 Centro Stefano Franscini, Monte Verità, Ascona<br />
22.8.2011 1
Das Nationale Forschungsprogramm „Sprachenvielfalt<br />
und Sprachkompetenz in der Schweiz“<br />
Ausgangslage: Die institutionell viersprachige Schweiz im Zeitalter der<br />
Globalisierung<br />
• Erste Fremdsprache<br />
• Migration<br />
• Mehrsprachigkeit als wirtschaftliche Ressource<br />
• Nationale Sprachenpolitik, Sprachengesetz<br />
Ziel: allgemein Wissenschaftliche Grundlagen für Schweizer<br />
Sprachenpolitik legen<br />
Projektziel: Literale Kompetenzen und literale Sozialisation <strong>von</strong><br />
Jugendlichen aus schriftfernen Lebenswelten - Faktoren der Resilienz<br />
oder: Wenn Schriftaneignung trotzdem gelingt (Laufzeit: Okt 2005-2008)<br />
2 22.8.2011
Die MitarbeiterInnen des Projekts „Literale Kompetenzen und literale<br />
Sozialisation <strong>von</strong> Jugendlichen aus schriftfernen Lebenswelten - Faktoren<br />
der Resilienz oder: Wenn Schriftaneignung trotzdem gelingt“<br />
• Erziehungswissenschaft:<br />
• Wassilis Kassis, <strong>FHNW</strong>, Uni Basel<br />
• Ursula Stalder, <strong>FHNW</strong>, Uni Basel<br />
• Winfried Kronig, PH Bern, Uni Fribourg<br />
• Leseforschung:<br />
• Andrea Bertschi-Kaufmann, <strong>FHNW</strong><br />
• Esther Wiesner, <strong>FHNW</strong><br />
• Hansjakob Schneider, <strong>FHNW</strong><br />
• Schreibforschung:<br />
• Annelies Häcki Buhofer, Uni Basel<br />
• Christine Beckert, Uni Basel<br />
3 22.8.2011
Literale Resilienz<br />
Literal: Das Lesen und Schreiben betreffend<br />
Resilienz:<br />
• Fähigkeit, widrigen Umständen zu trotzen, d.h. trotz<br />
ungünstiger Voraussetzungen eine sinnvolle Entwicklung<br />
durchzumachen<br />
• Dabei werden Risikofaktoren durch so genannte<br />
Schutzfaktoren ausgeglichen.<br />
Literale Resilienz:<br />
• Was hilft Jugendlichen aus bildungsfernen Elternhäusern bei<br />
der erfolgreichen Bewältigung der Lese- und<br />
Schreibentwicklung?<br />
4 22.8.2011
Erfassung <strong>von</strong> Resilienz im Hinblick auf Lese- und<br />
Schreibkompetenzen<br />
• Resilienz ist im Rahmen unserer Studie eine ausschliesslich<br />
lesebezogene Festlegung, die als Test realisiert werden kann.<br />
• Das Schreiben ist schwieriger in einem Test zu erfassen.<br />
• Die Orthographie stellt ein Nebenthema der Schreibkompetenz<br />
dar.<br />
Als Ergänzung zu der Leistungsdimension „Orthographie“ (und<br />
den Dimensionen „Grammatik“ und „Stil), wurden im<br />
Schreibteil – bei der Erhebung der Schreibleistung – Kriterien<br />
der Funktionalität in den Mittelpunkt gestellt (basierend auf<br />
verschiedenen Arbeiten <strong>von</strong> Annelies Häcki Buhofer: 1985,<br />
1993, 1995, 1998, 2000).<br />
22.8.2011 5
Literalitätskonzept<br />
• Aus einer reflektierten linguistischen Perspektive heraus muss<br />
ein Konzept <strong>von</strong> Literalität vertreten werden, das über das<br />
kognitiv fassbare Lesen- und Schreibenkönnen in einem<br />
technisch-orientierten Wissenssinn hinausgeht (vgl. dazu<br />
Häcki Buhofer 2007, Häcki Buhofer/ Beckert 2009 und Beckert<br />
2011).<br />
• Motivationale, emotionale und funktional-kommunikative<br />
Aspekte sind wichtig: Sowohl für die Forschung als auch die<br />
Lehre (im Hinblick auf die Lehrerinnenausbildung und sowohl<br />
zum Schreiben als auch zum Lesen).<br />
22.8.2011 6
Nutzen der Lese- und Schreibkompetenz<br />
Wer sich mit Lesen und Schreiben intensiv beschäftigt und wer<br />
schriftliche Aktivitäten als wichtigen Teil seines Lebens versteht,<br />
hat bessere Entwicklungsperspektiven.<br />
22.8.2011 7
Stichprobe: SchülerInnen des 8. Schuljahrs<br />
Die Anfangsstichprobe bestand aus ungefähr 1500 Jugendlichen des 8. Schuljahrs in<br />
der Sekundarstufe 1.<br />
Gesamtstichprobe (Fragebogen, Tests): 1503<br />
Schreiberhebung: 78<br />
Interviews: 28<br />
SMS-Erhebung: 16<br />
8 22.8.2011
Durchgeführte Tests<br />
• Die Jugendlichen wurden zu beiden Zeitpunkten mit zwei<br />
verschiedenen Verfahren zur Erhebung <strong>von</strong> Lesekompetenz getestet,<br />
einem kognitiv orientierten Leseverstehenstest und einem Test zur<br />
Erhebung der empathischen Leseleistung.<br />
• Etwa 70 Jugendliche wurden ebenfalls zu beiden Zeitpunkten<br />
zusätzlich bezüglich ihrer Schreibkompetenzen getestet. Von diesen<br />
wurden 14 eingehend zu ihrer literalen Entwicklung interviewt.<br />
Bei diesen Jugendlichen wurden ausserdem die Leseaktivitäten<br />
erhoben: Mit einer so genannten „SMS-Studie“ der Lesealltag <strong>von</strong><br />
Jugendlichen und ihre Bewertung desselben erforscht.<br />
• Für die kleinste Unterstichprobe (14 Jugendliche zum Zeitpunkt t1, 9<br />
zu t2) wurden Paare <strong>von</strong> Jugendlichen gleichen Geschlechts<br />
zusammengestellt, die sich bezüglich der Einflussgrössen „Alter“,<br />
„soziale Herkunft“, „sprachliche Herkunft“ und „nonverbale<br />
Intelligenz“ sehr ähnlich waren, sich aber in der Leseleistung deutlich<br />
unterschieden. So bestand ein Paar immer aus einer <strong>resilient</strong>en und<br />
einer <strong>nicht</strong>-<strong>resilient</strong>en Person.<br />
22.8.2011 9
Verteilung <strong>von</strong> Resilienz<br />
• Deutschsprachige Mädchen: fast die Hälfte ist <strong>resilient</strong>.<br />
• Mehrsprachige Jungen: Resilienz liegt bei lediglich 10%.<br />
• Deutschsprachige Jungen und mehrsprachige Mädchen: leicht<br />
über 20%.<br />
22.8.2011 10
Schreibaufgabe<br />
• Eine <strong>von</strong> zwei Schreibaufgaben betraf das Verfassen eines<br />
argumentativen Briefs.<br />
• Als Schreibimpuls wurde den Jugendlichen folgende Situation<br />
vorgegeben: Sie waren an einem See baden, vergassen die Zeit<br />
im Gespräch mit einer Bekannten und kamen deshalb sehr<br />
knapp zum Bahnhof, wo sie ihren Zug gerade noch erreichen<br />
konnten. Allerdings setzten sie sich nach dieser Aufregung aus<br />
Versehen in ein Abteil der ersten Klasse und wurden vom<br />
Kontrolleur dafür mit einer Busse <strong>von</strong> 80 Franken belegt.<br />
• In einem Brief an den verantwortlichen Beamten der Bahn<br />
sollten sie eine Zurücknahme der Busse erwirken. Dabei<br />
mussten sie aus mehreren vorgegebenen, ausformulierten<br />
Argumenten drei auswählen und in einen Erfolg<br />
versprechenden Brief einbetten.<br />
22.8.2011 11
Schreibaufgabe – Bsp. 1<br />
„Wir, 2 Kollegen und ich hätten um ein Haar den Zug verpasst.<br />
Also rannten wir in einem schnellen Spurt in den Zug, ohne auf<br />
die Abteile zu achten. Wir hatten uns 2. Klass Billette gekauft also<br />
fuhren wir <strong>nicht</strong> schwarz. Die Kontrolleure wollten uns gar <strong>nicht</strong><br />
erst zuhören, sie schrieben uns einfach eine Busse <strong>von</strong> 80.- Fr auf.<br />
Wir möchten sie bitten uns diese Busse zu erlassen, sie würde<br />
unser Taschengeld erheblich schädigen, und wäre ungerecht.<br />
Wir finden auch, dass es unfair ist, uns wie Schwarzfahrer zu<br />
behandeln, denn wir hatten ja ein Billet.<br />
Wir hoffen auf ein baldiges Zurückschreiben Ihrerseits mit<br />
positiven Auswirkungen.“<br />
22.8.2011 12
Schreibaufgabe – Bsp. 2<br />
„Wir hatten ehrlich, keine Ahnung das wir hier im falschen<br />
Abteil sind! Wir hatten solchen stress! Ich finde es<br />
ungerecht das sie uns eine Busse <strong>von</strong> 80 Fr. geben.<br />
Es gibt andere die kaufen gar keine Fahrkarte und diese<br />
Leute behandeln sie gleich! Wen sich diesen Vorfall herum<br />
spricht, steht die SBB <strong>nicht</strong> gut da. Wegen eines solchen<br />
Missverständnis, ein solches Theater machen.<br />
Wir sind <strong>nicht</strong> mit absicht in die 1. Klasse gestiegen, wir<br />
waren so im Stress, da haben wir <strong>nicht</strong> mehr auf die Klasse<br />
geschaut. Und dan haben wir uns einfach hinein gesetzt.<br />
Wir haben es wirklich <strong>nicht</strong> gemerkt. Also die 80 Fr. Busse<br />
ist wirklich übertrieben, finde ich. Wir haben es wirklich<br />
<strong>nicht</strong> gesehen. Das können sie uns glauben. Es tut uns Leid<br />
das wir soviel Unruhe gemacht haben.“<br />
22.8.2011 13
Unterschiede zwischen <strong>resilient</strong>en und <strong>nicht</strong>-<strong>resilient</strong>en<br />
Jugendlichen<br />
• Lesen und Schreiben sind Fähigkeiten, die sich <strong>nicht</strong> parallel<br />
zu entwickeln brauchen.<br />
• Ein Individuum kann zu einem Zeitpunkt z.B. dürftige<br />
Leistungen im Lesen erbringen, jedoch beim Schreiben<br />
erfolgreich sein.<br />
• Unterschiede liegen in der Realisierung der sozialen Normen<br />
wie Höflichkeit, Adressatenperspektive und Adressatenbezug.<br />
22.8.2011 14
Für alle Jugendlichen: Praxis ausserhalb der Schule<br />
• Ausserhalb der Schule existiert eine extensive und vielseitige<br />
Schreibpraxis, die sich nur ansatzweise mit schulischen<br />
Praktiken und Anforderungen deckt.<br />
• Das ausserschulische Schreiben wird in Abstimmung mit<br />
individuellen Bedürfnissen gestaltet.<br />
22.8.2011 15
Nicht-<strong>resilient</strong>e Jugendliche<br />
• Auch <strong>nicht</strong>-<strong>resilient</strong>e Jugendliche machen vielfältige literale<br />
Erfahrungen mit Bildschirmmedien.<br />
• SMS-Teilstudie hat ergeben, dass die Verwendung des<br />
Computers weitestgehend in den Bereich der Freizeit fällt.<br />
• Die Vorstellung vom „richtigen Lesen“ der Jugendlichen ist auf<br />
Buchlektüren ausgerichtet.<br />
• Literale Erfahrungen, die mit Bildschirmmedien gemacht<br />
werden (z.B. Chatten), werden oft gar <strong>nicht</strong> als literale Praxis<br />
wahrgenommen.<br />
• Als Folge da<strong>von</strong> sehen sich viele Jugendliche <strong>nicht</strong> als<br />
LeserInnen und SchreiberInnen.<br />
22.8.2011 16
Verwendung <strong>von</strong> Schweizerdeutsch und Hochdeutsch<br />
• Generell ist sowohl bei <strong>resilient</strong>en als auch bei <strong>nicht</strong><strong>resilient</strong>en<br />
Jugendlichen zu beobachten, dass sie in den neuen<br />
Kommunikationsmedien eher Schweizerdeutsch gebrauchen,<br />
während sie <strong>von</strong> Hand eher Hochdeutsch schreiben.<br />
• Hochdeutsch wird nach wie vor mit Schule assoziiert,<br />
während das Schweizerdeutsche für Freizeit und<br />
Kommunikation unter Freunden steht.<br />
• Resiliente Jugendliche machen eine weniger scharfe Trennung<br />
bzw. bringen mehr unterschiedliche Kriterien für die Wahl der<br />
Sprachform ins Spiel.<br />
22.8.2011 17
<strong>Gesprächsausschnitt</strong> „Varietät/Standardsprache“ <strong>von</strong><br />
Sofie (<strong>resilient</strong>)<br />
S Also je nachdem. Wenn ich weiss, dass sie es verstehen, auf<br />
Bern- deutsch und sonst schicke ich sie auf Hochdeutsch zurück.<br />
I Sms’en dir deine Eltern manchmal auch?<br />
S Ja, aber auf Berndeutsch.<br />
22.8.2011 18
<strong>Gesprächsausschnitt</strong> „Varietät/Standardsprache“ <strong>von</strong><br />
Sofie (<strong>resilient</strong>)<br />
I Und deine Gedichte zum Beispiel? In welcher Sprache schreibst du<br />
die?<br />
S Es ist verschieden. Manchmal auf Schweizerdeutsch und manchmal<br />
auf Hochdeutsch.<br />
I Kannst du sagen, wann du einen Unterschied machst? Oder wieso?<br />
S Ich fange einfach mal an. Und plötzlich, manchmal geht es irgendwie<br />
besser, wenn man schreibt und manchmal passt Berndeutsch besser.<br />
I Also machst du es bewusst oder merkst du es plötzlich im Nach-<br />
hinein?<br />
S Ich merke es erst später.<br />
I Und was hast du das Gefühl, welche Sprache hast du mehr benutzt?<br />
S Hochdeutsch.<br />
I Hochdeutsch. Weisst du denn wieso?<br />
S Nein.<br />
22.8.2011 19
<strong>Gesprächsausschnitt</strong> <strong>von</strong> <strong>Noëlle</strong> (<strong>nicht</strong> <strong>resilient</strong>)<br />
N Geschichten auf Hochdeutsch.<br />
I Wieso schreibst du diese auf Hochdeutsch und die anderen Sachen auf<br />
Schweizerdeutsch?<br />
N Ich weiss auch <strong>nicht</strong>. So Geschichten schreibe ich einfach meistens auf<br />
Hochdeutsch. Es ist einfach mal etwas anderes, eine Geschichte auf<br />
Hochdeutsch zu schreiben, einfach auch mal so als Abwechslung. Al- so<br />
gerade beim Geschichtenschreiben fällt es mir auf Hochdeutsch leichter,<br />
und so das Tagebuch oder Briefe schreibe ich leichter auf Berndeutsch.<br />
I Und worauf führst Du das zurück? Wieso ist das so?<br />
N Ich weiss auch <strong>nicht</strong>. Im Tagebuch hält man eher persönliche Sachen<br />
fest, die man sonst...ich weiss auch <strong>nicht</strong>, es ist einfach persönlich. Und<br />
wenn es für mich persönlich ist, das schreibe ich einfach auf Berndeutsch,<br />
wie meine Gedanken. Die sind ja auch auf Berndeutsch. Und so<br />
Geschichten, die <strong>von</strong> anderen gelesen werden, da scheint mir<br />
Hochdeutsch einfach passender zu sein.<br />
22.8.2011 20
<strong>Gesprächsausschnitt</strong> „Varietät/Standardsprache“ <strong>von</strong> Mirco (<strong>resilient</strong>)<br />
I Wenn du schreibst, schreibst du dann auf Hochdeutsch oder eher auf<br />
Dialekt?<br />
M Nein, Hochdeutsch.<br />
I Auch die SMS?<br />
M Ja.<br />
I Auch Hochdeutsch.<br />
M Also, das ist unterschiedlich. Wenn ich schnell etwas schreiben will,<br />
schreibe ich auf Hochdeutsch und wenn ich gerade ein wenig Zeit ha- be,<br />
schreibe ich auf Berndeutsch.<br />
I Okay. Und was schreibst du lieber? Berndeutsch oder Hochdeutsch?<br />
M Hochdeutsch.<br />
I Hochdeutsch, ja. Und warum?<br />
M Ja, weil ich jetzt weiss, wie da die Buchstaben richtig hingehören. Wenn<br />
ich etwas auf Schweizerdeutsch schreibe, dann habe ich immer ein wenig<br />
länger, weil alles anders tönt, dann brauche ich ein wenig länger, um die<br />
Buchstaben richtig zu setzen.<br />
22.8.2011 21
<strong>Gesprächsausschnitt</strong> zu „Schreibkonzept, Motivation<br />
Schreiben, Schulisches Schreiben“ <strong>von</strong> Andreas*<br />
I (...) Und einfach in der Schule: machst du das gerne oder <strong>nicht</strong>?<br />
A Mhm. Also eigentlich mache ich es <strong>nicht</strong> ungern, aber wenn ich in der<br />
Schule Aufsätze schreiben muss in Deutsch, dann rege ich mich immer<br />
darüber auf, dass wir viele Aufsätze nur zur Probe schreiben müssen. Weil<br />
die Proben, die kann man lernen, und danach kann man genau das<br />
hinschreiben, das man gelernt hat. Und beim Aufsatz muss man einfach<br />
irgendetwas hinschreiben und wenn das dann vom Schreibstil her der<br />
Lehrerin <strong>nicht</strong> gefällt, hat man eine schlechte No- te, auch wenn man alles<br />
fehlerfrei geschrieben hat oder so. Und das finde ich <strong>nicht</strong> so cool.<br />
I Du hast das Gefühl, dass es bei den Proben eher ein Richtig und ein Falsch<br />
gibt, weil Wissen abgefragt wird.<br />
A Genau, ja.<br />
I Und im Aufsatz ist es eher Geschmackssache?<br />
A Mhm.<br />
22.8.2011<br />
* (mit einem hohen Sozioökonomischen Status und einem tiefen ELFE-Resultat, der<br />
sich längsschnittlich verschlechtert hat)<br />
22
<strong>Gesprächsausschnitt</strong> zu „Schreibkonzept, Motivation<br />
Schreiben, Schulisches Schreiben“ <strong>von</strong> Andreas*<br />
A (...). Es gibt solche, die immer alles so gefühlvoll, eigentlich komisch schreiben.<br />
Und manchmal versuche ich dann auch so zu schreiben, und das gefällt ihr dann<br />
manchmal <strong>nicht</strong>. Und dann schreibe ich manchmal wieder ganz normal und dann<br />
gefällt ihr das auch <strong>nicht</strong>. Oder manchmal gibt es die gleiche Note und dann weiss<br />
ich auch wie- der <strong>nicht</strong>, wie ich jetzt schreiben soll, es gefällt ihr ja sowieso <strong>nicht</strong>s,<br />
was ich schreibe. Ich weiss auch <strong>nicht</strong>, es stinkt mir dann manchmal, Aufsätze zu<br />
schreiben. Und dann ist da noch die Rechtschreibung, die ist auch <strong>nicht</strong> immer<br />
perfekt.<br />
I Was findest du einfach beim Schreiben? Findest du überhaupt etwas einfach?<br />
A Beim Schreiben?<br />
I Mhm. Also weisst du, etwas, <strong>von</strong> dem du glaubst, dass du es gut kannst.<br />
A Also, wenn wir irgendeinen ganz hochstaplerischen Aufsatz schreiben müssten,<br />
das könnte ich vermutlich gut. Irgendwie ganz viele Fremdwörter und so.<br />
I Das hast du im Griff?<br />
A Mhm.<br />
22.8.2011 23
<strong>Gesprächsausschnitt</strong> <strong>von</strong> Sofie (<strong>resilient</strong>) auf die Frage,<br />
was wäre, wenn sie gänzlich aufs Schreiben verzichten<br />
müsste:<br />
S Ja, es ist einfach <strong>nicht</strong> so das! Also früher habe ich mir den<br />
Arm aufgeschnitten und solche Sachen. Und da habe ich<br />
begonnen, Gedichte zu schreiben. Und seit dann mache ich das<br />
<strong>nicht</strong> mehr. Also ich denke schon, dass mir etwas fehlen würde<br />
(...). Nein, ich kann <strong>nicht</strong> ohne Schreiben sein! Und auch<br />
Gedichte, das muss einfach manchmal sein.<br />
22.8.2011 24
Psychoregulation<br />
• Das Schreiben hat eine persönliche Bedeutung <strong>von</strong><br />
nützlichkeitsorientiert bis emotional entlastend.<br />
• Schreiben ist aus alltagspraktischen Gründen wichtig, zum<br />
Kommunizieren und zum Formulieren.<br />
22.8.2011 25
Auf die Frage, ob Telefonieren eine Alternative wäre zu<br />
Chat bzw. MSN, sagt Laura:<br />
L Jein, es würde einfach teurer werden.<br />
I Ok, ist das der einzige Grund, warum du <strong>nicht</strong> telefonierst?<br />
L Ich denke einfach, ich telefoniere <strong>nicht</strong> mehr wirklich gerne,<br />
weil ich es irgendwie besser ausdrücken kann, wenn ich<br />
schreibe.<br />
22.8.2011 26
Literale Identität<br />
• Unterschied, ob die Jugendlichen eine Parallele zwischen ihren<br />
freizeitlich gehandhabten literalen Praxen und den in der Schule<br />
geforderten zu ziehen vermögen.<br />
• Resiliente Jugendliche sind überzeugt, aus ihrer privat getätigten<br />
Schriftlichkeit einen Nutzen ziehen zu können.<br />
• Resiliente Jugendliche können in der Freizeit gehandhabtes Lesen<br />
und Schreiben mindestens bezüglich gewisser Aspekte mit der<br />
schulisch gehandhabten Literalität verbinden.<br />
• Den <strong>nicht</strong>-<strong>resilient</strong>en gelingt dies weniger gut bzw. gar <strong>nicht</strong>.<br />
Ursache: Ein Großteil der Jugendlichen ist sich der Bedeutung ihres<br />
freizeitlichen Lesens und Schreibens <strong>nicht</strong> bewusst � enges<br />
Literalitätskonzept und eine wenig ausgebaute literale Identität.<br />
22.8.2011 27
Denkkategorien<br />
Die Denkkategorien der Jugendlichen sind auf der sozialen Ebene<br />
der interpersonalen Kommunikation bzw. auf der<br />
psychologischen Ebene der intrapersonalen Klärung breit<br />
gefächert und verbunden mit:<br />
•Intrapersonale Klärung (Schreiben),<br />
•Sachorientierung und Information (Lesen und Schreiben),<br />
•Erleichterung, psychologische Entlastung (Schreiben),<br />
•Erlebnis und Genuss (Lesen).<br />
Unbekannt war bisher, dass auch Jugendliche mit tiefem<br />
sozioökonomischem Status, die <strong>nicht</strong>-<strong>resilient</strong> sind, über viele<br />
dieser Kategorien verfügen und über ihre eigene Schreibpraxis<br />
sprechen können.<br />
22.8.2011 28
Literaturliste<br />
• Beckert, Christine (2011): Schreibend und lesend Textkompetenz entwickeln: Eine<br />
sozialisationstheoretisch orientierte Untersuchung des Erwerbs <strong>von</strong> Schriftlich- keit<br />
bei Jugendlichen. Tübingen: Francke.<br />
• Bertschi-Kaufmann, Andrea; Wiesner, Esther (2009): Lesealltag und Leseglück in den<br />
Selbstaussagen <strong>von</strong> Jugendlichen. In: Bertschi-Kaufmann, Andrea; Rose- brock,<br />
Cornelia (Hrsg.): Literalität. Forschungsfeld und Bildungsaufgabe. Weinheim,<br />
München: Juventa, S. 217-232.<br />
• Häcki Buhofer, Annelies; Beckert, Christine (im Druck): Wenn die Schreibsozialisation<br />
trotzdem gelingt. In: Schneider, Hansjakob (Hg.): Wenn Lesen und Schreiben<br />
(trotzdem) gelingen. Literale Sozialisation und Sinnerfahrung. Weinheim: Juventa.<br />
• Häcki Buhofer, Annelies; Beckert, Christine (2009): Wenn Schriftlernen trotzdem<br />
gelingt. In: Uni Nova 112, S. 22-24.<br />
• Häcki Buhofer, Annelies (2007): Leseförderung in der Schweiz. In: Schweizer<br />
Monatshefte 87, S. 18-20.<br />
• Häcki Buhofer, Annelies; Schneider, Hansjakob; Beckert, Christine (2007): Mehrsprachige<br />
Jugendliche im Umgang mit Dialekt und Hochsprache in der Deut- schen<br />
Schweiz. In: Linguistik online 32/3, S. 49-70. Elektronisch verfügbar unter<br />
http://www.linguistik-online.de/32_07/index.html (Zugriff am 13.2.2011).<br />
22.8.2011 29
Literaturliste<br />
• Häcki Buhofer, Annelies (2000): Mediale Voraussetzungen: Bedingungen <strong>von</strong><br />
Schriftlichkeit allgemein. In: Brinker, Klaus; Antos, Gerd; Heinemann; Wolf- gang;<br />
Sager, Sven F. (Hrsg.): Text- und Gesprächslinguistik. Ein internationales Handbuch<br />
zeitgenössischer Forschung. 1. Halbband. Berlin, New York: de Gruyter, S. 251-261.<br />
• Häcki Buhofer, Annelies (1998): Schreiben vor und in der Schule, In: Hollenweger,<br />
Judith; Studer, Thomas (Hrsg.), Lesen und Schreiben in der Schule: Beiträge zu<br />
einem interdisziplinären Verständnis des Schriftspracherwerbs. Bern: Lang, S. 65-83.<br />
• Häcki Buhofer, Annelies (1995). Schriftliches und mündliches Erzählen in der<br />
Primarschule. Ein europäisches Forschungsprojekt; die monolinguale Entwicklung in<br />
der deutschen Schweiz. In Richard James Watts (Ed.), Perspektiven der<br />
angewandten Linguistik (pp. 171-189). Neuchâtel: Université de Neuchâtel. Institut<br />
de linguistique.<br />
• Häcki Buhofer, Annelies (1993): Instrumentelles Schreiben im Alltag – Schriftliche<br />
Versandhandelskommunikation, In: Werlen, Iwar (Hrsg.), Schweizer Soziolinguistik –<br />
Soziolinguistik der Schweiz. Neuchâtel: Bulletin CILA, S. 213-232.<br />
• Häcki Buhofer, Annelies (1985): Schriftlichkeit im Alltag: theoretische und empirische<br />
Aspekte: am Beispiel eines Schweizer Industriebetriebs. Bern: Peter Lang.<br />
22.8.2011 30