EuWis Saarland - GEW-Saarland
EuWis Saarland - GEW-Saarland
EuWis Saarland - GEW-Saarland
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
THEMA: SÜDAFRIKA<br />
Musiknation Südafrika<br />
Unterschiedliche Entwicklungslinien einer großen Musiktradition<br />
In Südafrika haben längst nicht alle jungen<br />
Menschen die gleichen Chancen. Das<br />
Land hat riesige Probleme, aber es besitzt<br />
auch einen großen Schatz, an dem gerade<br />
die benachteiligten Bevölkerungsgruppen<br />
teilhaben. Es verfügt über eine lange und<br />
große Chortradition, durch die bis heute<br />
original afrikanisches Liedgut gepflegt<br />
wird. Singen ist in Südafrika so populär<br />
wie Fußball.<br />
Kwaito: Musik der kritischen<br />
Jugend<br />
Mit der Befreiung Südafrikas von der<br />
Apartheid erlangte ein neuer Musikstil<br />
Popularität und liegt bis heute bei den<br />
Jugendlichen des Landes im Trend: Der<br />
Kwaito. In dieser Musik können die<br />
Jugendlichen jetzt offen die gesellschaftlichen<br />
Verhältnisse kritisieren. Früher war<br />
dies nur versteckt oder zwischen den<br />
Zeilen möglich.<br />
Der musikalische Ursprung des Kwaito<br />
ist eine Synthese aus vielen Quellen,<br />
darunter R&B, House, Hip-Hop und<br />
Ragga. Natürlich hat auch die afrikanische<br />
Musik ihre Spuren hinterlassen. Auch<br />
dürfte die Selbstverständlichkeit, mit der<br />
in Südafrika musiziert wird, für die großflächige<br />
Ausbreitung der Kwaitoszene verantwortlich<br />
sein. Die genaue Herkunft des<br />
Namens für diesen Musikstil ist nicht<br />
geklärt. Es wird vermutet, dass Kwaito für<br />
eine Kombination des Wortes „Kwaai“, was<br />
in Afrikaans soviel wie „voller Ärger“<br />
bedeutet, mit der Abkürzung „To“ für<br />
Townships steht oder auf eine Band aus<br />
den1950er Jahren, der „Amakwaitos-<br />
Gang“ aus Soweto anspielt.<br />
Dass benachteiligte junge Menschen in<br />
Südafrika auf amerikanische Musikstile<br />
zurückgreifen, um ihren Zorn zum<br />
Ausdruck zu bringen, ist insofern nicht<br />
verwunderlich, als sich Jugendliche spätestens<br />
seit dem Ende des 19. Jahrhunderts<br />
mit der afro-amerikanischen Gesellschaft<br />
und ihren kulturellen Werten identifizieren.<br />
Eigenartig, auf den ersten Blick sogar<br />
befremdlich wirkt hingegen ein musikalisches<br />
Bildungsangebot, das auch in der<br />
Kulturszene Deutschlands zur Kenntnis<br />
genommen wurde.<br />
EuWiS 07-08/2010 | 6<br />
Nachwuchssolisten der<br />
Cape Town Opera unterwegs<br />
auf Schultour<br />
Als im Sommer vor zwei Jahren die<br />
Oper von Kapstadt für einen ganzen<br />
Monat nach Berlin kam, um an der<br />
Deutschen Oper ihre Version von<br />
Gershwins "Porgy and Bess" zu spielen,<br />
war die Kritik ziemlich ratlos. Manche<br />
maulten über einen Kassenfüller mit<br />
Multikultiappeal, und tatsächlich konnte<br />
die Inszenierung den Maßstäben des deutschen<br />
Regietheaters nicht genügen. Wer<br />
aber den Mut hatte, seinen Ohren zu trauen,<br />
stand erst recht vor einem Rätsel. Die<br />
Stimmen dieser allesamt völlig unbekannten<br />
Sänger und Sängerinnen waren<br />
unglaublich: jede für sich ein Ereignis, glühend<br />
vor Ausdruck und elementarer<br />
Musikalität selbst in den Nebenrollen. Wie<br />
war das möglich, ein Niveau, das die<br />
Standards des globalisierten Musikgeschäfts<br />
mühelos in den Schatten stellte, so<br />
endlos weit entfernt von den Zentren des<br />
Opernbetriebs?<br />
In seinem Dokumentarfilm „Kap der<br />
guten Stimmen“, der am 14.06.2010 auf<br />
ARTE gesendet wurde, versucht der<br />
Filmemacher Ralf Pleger diesem Rätsel auf<br />
die Spur zu kommen. In einem Drehbericht,<br />
den er für das ARTE-Magazin<br />
geschrieben hat, zitiert Pleger Michael<br />
Williams, den Intendanten der Cape Town<br />
Opera: „Irgendwo da draußen (Gemeint<br />
sind die Townships von Kapstadt) wächst<br />
der nächste Pavarotti heran.“<br />
Williams kennt das musikalische<br />
Potenzial Südafrikas und entwickelt<br />
darauf eine ganz einfache Projektidee:<br />
Einmal im Jahr schickt er die besten<br />
Nachwuchssolisten der Oper in einem<br />
Kleinbus bis in entlegensten Winkel des<br />
Landes. Die jungen Opernstars sollen<br />
SchülerInnen mit Gesang begeistern und<br />
zugleich nach neuen Stimmtalenten<br />
Ausschau halten.<br />
„Was soll das?“, mag man fragen.<br />
Während der Apartheid war die Oper ein<br />
Prestigeobjekt der urbanen weißen Elite.<br />
Warum sollten sich junge Südafrikaner<br />
aus nicht weißen Bevölkerungsgruppen<br />
dafür interessieren? Sendet da ein leidenschaftlicher<br />
weißer Opernintendant seine<br />
Sänger aus, um in entlegenen Regionen<br />
eurozentrische Hochkultur zu predigen?<br />
Die jungen SängerInnen, zumeist<br />
Schwarze oder Coloureds sehen es anders:<br />
„Oper, eurozentrisch? Weißes Kulturgut?<br />
So ein Quatsch! Das war vielleicht irgendwann<br />
mal so. Beim Fußball würde schließlich<br />
auch keiner diese Frage stellen. Wir<br />
wollen den Kindern da draußen zeigen,<br />
dass Oper kein weißes Ding ist!“, betonen<br />
sie.<br />
Opernbegeisterung in der<br />
Provinz<br />
Was Pelger, der die Operntruppe mit der<br />
Kamera begleitet hat, über seine Erlebnisse<br />
in der Provinz berichtet, ist beeindruckend.<br />
In Upington, einer Kleinstadt an<br />
der Grenze zu Namibia besuchte die<br />
Gruppe eine Schule mitten in den Townships<br />
am Stadtrand. Pelger beschreibt eine<br />
Szene auf dem Pausenhof: „Teenager spie-<br />
Foto: www.capetownopera.co.za/<br />
len Fußball in Schuluniformen, wie aus<br />
dem Ei gepellt. Andere schneiden<br />
kichernd Grimassen in die Kamera.<br />
Plötzlich dringt ein Laut durch den Lärm:<br />
ein heller Sopran. Eine Melodie.<br />
Koloraturen. Etwa Mozart? Von den<br />
Sängern aus Kapstadt ist niemand auf dem<br />
Hof. Im Schatten blättern Schüler in<br />
Notenheften. Ein Mädchen singt. Sie ist<br />
höchstens 17. Ihre Stimme ist schön und<br />
klangvoll.<br />
Die Paminas Arie aus<br />
Mozarts Zauberflöte. Auf<br />
Deutsch!<br />
Ein 17-jähriger Tenor intoniert kraftvoll<br />
„O sole mio“, drei noch jüngere Mädchen<br />
trällern ein Terzett aus „Così fan tutte“.<br />
Das alles mit einer unverzagten, herzerfrischenden<br />
Selbstverständlichkeit!<br />
Diese Kinder leben in windschiefen<br />
Hütten am Rande der namibischen<br />
Wüste. Vielen mangelt es am Nötigsten;<br />
vielleicht mussten einige Gewalt erleben,<br />
andere haben Familienangehörige durch<br />
Aids verloren. Aber sie sprühen vor<br />
Lebensfreude und Optimismus<br />
und verbringen ihre Schulpause<br />
damit, fremdsprachige Bravur-Arien<br />
zu schmettern.“<br />
Diese für einen Europäer höchst<br />
ungewöhnlichen Vorgänge erklärt<br />
July Zuma, der Wortführer der<br />
Operntruppe:<br />
„In Südafrika singt jedes Kind in einem<br />
Chor. Das ist unsere Tradition. Alle wachsen<br />
hier mit Gesang auf und die meisten<br />
haben von Natur aus fantastische<br />
Solostimmen. Was fehlt, sind schwarze<br />
Vorbilder und Lehrer. Deshalb sind wir<br />
hier.“<br />
Die Gastauftritte der Cape Town Opera<br />
finden in Aulen und Turnhallen statt.<br />
Alles, was die Sänger brauchen, ist ein<br />
Klavier. Die Performance, Donizettis<br />
„Liebestrank“, wird zum Hit, doch noch<br />
begehrter ist der anschließende Workshop.<br />
Die Jugendlichen brennen darauf, von den<br />
Profis gecoacht zu werden.<br />
Traditionelle<br />
Chorwettbewerbe eröffnen<br />
Zugang zur Oper<br />
Naturbegabung und ein sangesfreudiges<br />
Umfeld liefern eine Erklärung für die südafrikanische<br />
Opernbegeisterung. Eine<br />
andere sind die populären Chorwettbewerbe<br />
des Landes. Seit einigen Jahren<br />
ergänzt man das traditionelle Repertoire<br />
mit Arien und Ensembles aus Opern, um<br />
den vielen Solotalenten Herausforderungen<br />
zu bieten. Auf diese Weise erhalten<br />
Jugendliche aller Volksgruppen und sozialen<br />
Schichten einen praktischen, sportiven<br />
Zugang zur Oper. Genauer gesagt, zu einer<br />
Auswahl beliebter Stücke mit provisorischer<br />
Klavierbegleitung, denn die meisten<br />
jungen Leute in Südafrika haben noch nie<br />
eine Oper auf der Bühne gesehen.<br />
Dennoch entdecken viele, dass sie die<br />
THEMA: SÜDAFRIKA<br />
stimmlichen Voraussetzungen für diese<br />
Art von Musik haben und wollen sich mit<br />
ihr profilieren.<br />
Doch was passiert mit den jungen<br />
Leuten, wenn der Bus aus Kapstadt weg<br />
ist? Talent und Wille sind im Überfluss<br />
vorhanden, aber das genügt nicht, um das<br />
südafrikanische Opernwunder zur Entfaltung<br />
zu bringen. Siphokazi, die Pamina<br />
aus Upington, will unbedingt in Deutschland<br />
Gesang studieren. Sie hat sich nicht<br />
nur in die Oper, sondern auch in die deutsche<br />
Sprache verliebt und rezitiert stolz ein<br />
paar Sätze. In einem Land mit elf offiziellen<br />
Sprachen kennt man keine Berührungsängste<br />
mit Fremdsprachen. Aber wie<br />
soll Siphokazi nach Deutschland kommen,<br />
wenn sie sich nicht mal eine Reise<br />
nach Kapstadt oder Johannesburg leisten<br />
kann? Moloko, ein 16-jähriges Mädchen<br />
aus einem Dorf bei Polokwane, hat sich<br />
das Singen zu Hause vorm Spiegel beigebracht.<br />
Ihr Mezzosopran klingt unglaublich<br />
reif und tragfähig, nur die Atemtechnik<br />
muss sie noch verbessern. Und ihr fehlen<br />
Notenkenntnisse, denn moderne<br />
Notation ist in Südafrika unbekannt. Es<br />
gäbe viel zu tun, aber im autodidaktischen<br />
Alleingang kann Moloko es nicht schaffen.<br />
Die Cape Town Opera, Südafrikas einziges<br />
Opernhaus, ist weder finanziell noch<br />
logistisch in der Lage, so vielen jungen<br />
Menschen nachhaltige Perspektiven zu<br />
bieten. Angesichts der gravierenden<br />
Probleme am Kap stellt sich außerdem die<br />
Frage, ob es überhaupt sinnvoll ist, in<br />
musikalische Ausbildung zu investieren,<br />
wo doch zuerst an Versorgung, Sicherheit<br />
und Gesundheit gedacht werden sollte.<br />
„Probleme gibt es überall auf der Welt“,<br />
sagt Lesoko von der Kapstädter Operntruppe.<br />
„Und ja: Wir haben Armut, Drogenprobleme<br />
und eine katastrophale Ausbreitung<br />
von Aids. Aber das beeinträchtigt<br />
nicht die Macht von Kunst und Kultur.“<br />
Die Begeisterung, die der fahrende<br />
Opernworkshop bei jungen Menschen im<br />
ganzen Land auslöst, ist Beweis genug. <br />
Georg Eich<br />
http://www.capetownopera.co.za/<br />
http://www.capetownopera.co.za/getinvolved/friends-of-cape-town-opera/<br />
EuWiS 07-08/2010 | 7