Wenn Sie da nicht mitgehen, sind Sie selber schuld...
Prag: Ein Spaziergang von Holyně nach Klukovice
Prag: Ein Spaziergang von Holyně nach Klukovice
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Wenn Sie da nicht mitgehen, sind Sie selber schuld…
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Wenn Sie da nicht mitgehen, sind Sie selber
schuld…
Holyně-Klukovice, Prokoptal: Ein Spaziergang durch eine unglaubliche
Idylle
Prag ist so ziemlich die inkonsistenteste Stadt, die ich kenne. Und ich kenne viele
Städte. Prag wechselt sein Gesicht wie ein Chamäleon, und das meine ich nicht
negativ. Die oft abrupten Veränderungen im Stadtbild, vor allem ausserhalb des
Zentrums, sind verblüffend.
Ich kannte die malerische Szenerie des Prokoptales, des Prokopské údolí, natürlich
schon von früher. Seit der Entdeckung vielfach versteckter Dorfkerne wuchs jedoch
meine Neugier auf gerade diese Bereiche der Prager Stadtlandschaft, und nach
einigem digitalen Kreisen rund um das Prokoptal machte ich mich auf den Weg zum
Bahnhof Smíchov. Dieser, und seine Umgebung eine ziemlich perfekte (post-)
kommunistische Szenerie, wobei die Bahnhofshalle selbst, umgebaut 1953-56, das
damals noch ernstliche Bemühen zeigt, die Ideologie des Arbeiter- und
Bauernstaates tatsächlich umzusetzen, obwohl sich mit den fast gleichzeitig
laufenden Slánský-Prozessen bereits die hässliche Fratze des Stalinismus zeigte.
Von dort ratterte ich mit dem Bähnle, das sich auch S-Bahn nennt, neun Minuten
lang in ein vergessenes Tal weitab jeglicher urbaner Zivilisation, möchte man
annehmen.
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So zumindest mein Eindruck. Weniger Minuten nach Verlassen des Bahnhofs
bereits die für Prag typische bahnbegleitende Wildnis, ein paar Industrieruinen,
dann wieder heftige Autobahnkreuze, plötzlich Felsen, und dort, wo sich die Strecke
nach Westen wendet, die Viadukte des „Prager Semmering“ – Pražský Semmering,
eine weitere sehr sehenswerte eingleisige Bahnstrecke, die einst auf Betreiben des
Grossindustriellen František Ringhoffer zu den Kohlerevieren im Westen gebaut
worden war (Dazu gibts sowohl Vortrag wie auch Führung von mir). Dann das
Eintauchen in ländliche Idylle: Häuschen, Bächlein, im Hintergrund die Felsen des
Prokoptales. Wenn es in der Folge immer kitschiger wird, ertragen Sie es, es geht
nicht anders.
Ich steige in Praha-Holyně aus. Ein Bahnsteig, ein kleines Stationshäuschen,
verbunden mit einem blumengeschmückten Privathaus, ein Wegelchen entlang
eines Gartenzauns, ein Bach. Weit hinter dem Zaun, unter hohen Nadelbäumen
versteckt, ein Häuschen mit Veranda. Der Weg führt zu einer Brücke, unten am
Bach ein ganz kurzer Kiesstrand, ein junger Mann mit seinem Hund.
Der steinige, schattige Weg führt steil nach oben, kurvt sich, nach wenigen hundert
Metern die ersten Felsen. Kein Ton ausser Vogelgezwitscher, irgendwo
Nestgeraschel.
Man glaubt es nicht: Ich befinde mich in einer Entfernung von ca. 500 Metern
südlich der Sidliště Velká ohrada, Teil des ausufernden Neubauviertels Stodůlky,
mit Plattenbauten, Hochhäusern, vierspurigen Ausfallstrassen und der U-Bahn.
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Dort, wo die Felsen näher rücken, sehe ich auf der steilen Anhöhe hinter den
Baumkronen ein Hausdach. Ich, neugierig, schlage mich durch die Büsche, das
steile Wegelchen führt mich tatsächlich zu einem niedrigen Zaun, einem hübschen
Garten und einem alten Bauernhaus in traumhafter Lage. Am Zaun steht:
„Jste-li na výletě, zvolte, prosíme, jinou cestu. Chodíte-li tudy domů, procházejte“
„Sind Sie hier auf einem Ausflug, wählen Sie bitte einen anderen Weg. Wenn Sie
hier zu Hause sind, kommen Sie weiter“
Ich mache mein Foto und klettere wieder hinunter, ganz beglückt. Dann erst sehe
ich die Zettel am Baumstamm, zwei Schritte nach der Abzweigung. Das Haus da
oben gehört einem alternativen Kunstverein, „Chaloupa v Prokopském“, „Häuschen
im Prokoptal“, der meditative, aber auch Liederabende und Workshops anbietet. Es
gibt dort auch ab und zu Theater. Ich glaube es nicht.
Nach wenigen Schritten weitet sich der Weg, ein Plätzchen mit einer Installation
von Felsbrocken des Künstlers Kurt Gebauer.
Noch ein paar Schritte weiter ein Häuschen hinter einem überwucherten Zaun, fast
ganz versteckt.
Nach ein paar Aufs und Abs komme ich zum „Hauptweg“ des Prokoptales, beliebter
Spazier- und Fahrradweg. Ich komme zu einem hübschen Spielplatz und einer
Abzweigung nach rechts, durch ein Viadukt „meiner“ Bahnlinie. Eine grosse,
ziemlich sicher saure Wiese – eine richtige Wiese, wo alles wuchert, links die
denkmalgeschützte Ruine einer alten Mühle, deren Besitzer, wie so oft hier, nur
darauf wartet, dass sie endgültig zusammen bricht, damit er endlich das hinbauen
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kann, was er will, mit ein Bisschen Zusatzinvestment an die Baubehörde…
Am anderen Ende der Wiese ein Holzzaun. Ich, wieder neugierig, stapfe durch das
hohe Gras. Ein Gemüse- und Blumengarten, Hühner gackern. Ich gehe zurück zur
Strasse, dort eine Abzweigung, unter schattigen Bäumen ein Schild: „Lucie&Brett‘s
Garden“ (Auf Facebook als “Supermarket” kategorisiert…). Eine junge Dame winkt
mir, ich möge näher kommen. Ein Verschlag, besagte glückliche Hühner. Die beiden
verkaufen selbst angebautes Gemüse, immer Freitag Nachmittags, ansonsten via
Facebook. Im Winter sind sie auf Urlaub. Die perfekte Idylle.
Weniger Schritte weiter die Abzweigung zu einer kleinen Brauerei mit einem
Restaurant. Ich vegönne mir einen Illy-Capuccino im Garten und schwelge im
Glück.
Dann bereits das Dorf Klukovice, der Dorfkern so, „wie er schon immer gewesen
ist“, zumindest in unserer romantisierenden Vorstellung. Aus dem dortigen
Restaurant Gelächter und Bravos, eine Hochzeit, wie man mir erklärt. Zwei alte
Damen in einem Hof, das Tor offen, ich darf ein Foto machen. Am Gartenzaun einer
ausnahmsweise ganz modernen Villa etwas oberhalb des Dorfes sehr schöne
Keramik ausgestellt, aussen, einfach so. Diesem Phänomen bin ich in Prag schon
öfter begegnet. Ich werde die Adressen dieser Häuser niemals veröffentlichen, sonst
sind diese schönen Sachen weg.
Die Richtung Barrandov führende Strasse unspektakulär, Villen „gehobenen
Charakters“ mit perfekt gepflegten Gärten, nicht mein Geschmack. Dann die
Bushaltestelle, allerdings möchte ich wissen, ob der Pfad auf mapy.cz (Viel besser
als Google!) tatsächlich zur Strassenbahn führt, und zweige rechts ab, eine kurze
Strasse, Zäune, und nahezu unsichtbar ein schmaler Durchlass links im Gebüsch,
tatsächlich ein ansteigender Weg, manchmal durch Gestrüpp, dann wieder Wiese,
bis ich das Klingeln einer Strassenbahn höre, weiter oben auch schon den
Stromabnehmer sehe, weiter die Anhöhe hinauf gehe, und mich umdrehe.
Ein optischer Knalleffekt. Das, woher ich komme, ist verschwunden. In der Ferne
die Silhouetten von Plattenbauten, eine sehr moderne Szenerie. Vor mir die
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Siedlung Barrandov, breite Verkehrsflächen, halbkreisförmige Plexiglaswände der
Strassenbahnhaltestelle, von „Prag“ keine Spur. Es gibt Märchen, wo verwunschene
Gegenden nie wieder auftauchen. Fast so hat es sich angefühlt. Gottseidank weiss
ich, dass es nicht so ist.
Meine Führung
„Von Dorf zu Dorf II“ am 3.10.2020 um 13:00, Treffpunkt vor der Halle des
Bahnhofs Smíchov, €20. Details und Anmeldung auf
www.arcoacademy.wordpress.com ab 01.09.2020.
Da das Prokoptal vermutlich das Rückzugsgebiet des Heiligen Prokop war, hören
Sie auf dieser Tour, was es mit dem „Slawischen Ritus“, Cyrill&Method, sv. Prokop,
dem Kloster Emmaus und Karls IV. Ostfantasien für eine Bewandtnis hat. Zum
Abschluss gehen wir in die Brauerei.