4 | 8 Tonnen BOA KOMPONENTEN 2 | 4
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158<br />
KRONENSICHERUNG<br />
ABC DER KRONENSICHERUNGEN<br />
Seit der Gründung von freeworker vor zwölf Jahren<br />
standen neben der Kletterausrüstung immer auch<br />
Kronensicherungen im Fokus unseres Interesses.<br />
In Zusammenarbeit mit namhaften Sachverständigenbüros<br />
haben wir uns durch eigene Messungen<br />
regelmäßig detaillierte Informationen zu diesen<br />
Produkten verschafft.<br />
Die 2006 aktualisierte ZTV Baumpflege hält dazu<br />
an, baumschonenden Kronensicherungen den Vorzug<br />
vor einem Rückschnitt zu geben oder maßvollen<br />
Rückschnitt und Kronensicherungen zu kombinieren.<br />
Bei Praktikern viel diskutiert und umstritten ist<br />
die Neuerung der im Anhang B (ZTV Baumpflege)<br />
beigefügten Tabellen 1 und 2 über Traglastanforderungen.<br />
Hier werden Seilbruchlasten von 8 und<br />
16 <strong>Tonnen</strong> verlangt, obwohl es wahrscheinlich nur<br />
sehr wenige tragende Äste geben dürfte, die solch<br />
hohen Kräften überhaupt widerstehen können. Die<br />
diesen Werten zugrundeliegenden wissenschaftlichen<br />
Voruntersuchungen sind durchaus glaubhaft.<br />
Dennoch bestehen hier bei vielen Praktikern<br />
Zweifel. Letztendlich ist die ZTV kein Gesetz und<br />
beruht vor allem auf Erfahrungswerten. Es wird sich<br />
zeigen, ob sich die derzeitigen Werte langfristig<br />
durchsetzen können.<br />
Bei allen Kronensicherungsprodukten finden Sie<br />
in unserem Katalog Kraft-Dehnungsdiagramme.<br />
Aufgrund der unterschiedlichen Angaben von<br />
Herstellern und der mangelnden Vergleichbarkeit<br />
einzelner Größen, hatte Freeworker den Auftrag<br />
erteilt, die Seilsysteme miteinander zu vergleichen<br />
(s. Bericht auf Homepage und im Katalog 2010).<br />
Die Diagramme zeigen die von uns gemessenen<br />
physikalischen Eigenschaften des jeweiligen Pro-<br />
duktes. Bruchlast oder Seildehnung sind nur dann<br />
interpretierbar, wenn auch klar wird, bei welcher<br />
Krafteinwirkung die Werte gemessen wurden. Diese<br />
Diagramme helfen, das jeweils richtige Seil für<br />
die jeweilige Aufgabe zu finden.<br />
Beispiel:<br />
Fachbegriffe aus dem Umfeld der Kronensicherungen<br />
kN<br />
140<br />
120<br />
100<br />
80<br />
60<br />
40<br />
20<br />
Boa 8 t | 9,9 t*<br />
2 4 6 8 10 12 14 %<br />
Niedriglastschwingbreite:<br />
Bäume schwingen auch bei leichtem Wind hin<br />
und her. Ihr Schwingungsbereich und ihre Schwingungswilligkeit<br />
hängen von vier Faktoren ab: der<br />
Windböenfrequenz, der Kronenform, der Höhe des<br />
Kronenansatzes und der Dicke des Stammes. Bäume<br />
mit hohem Feinastanteil und tief ansetzender<br />
Krone sind deshalb sicherer, weil die Windenergie<br />
in Bewegung und damit letztlich in Dehnung der<br />
Äste umgewandelt und auf diesem Wege auch abgebaut<br />
wird.<br />
Reaktionsholzbildung:<br />
Bäume, die sich bei niedrigen Windgeschwindigkeiten<br />
geringfügig bewegen, befinden sich im<br />
ständigen „Training“. Sie bilden „Muskeln“ in Form<br />
von Reaktionsholz. Starre Kronensicherungssysteme<br />
unterbinden diese Bewegung und somit auch<br />
die Bildung von Reaktionsholz. Der Baum stabili-<br />
siert sich nicht selbst und verlässt sich auf die starre<br />
Kronensicherung. Wird diese später gelöst oder<br />
entfernt, besteht Ausbruchgefahr.<br />
Gründe für straffe Seile:<br />
Wird eine Verbindung zwischen zwei Stämmlingen<br />
eingebaut, so stellt man einige Jahre später oft<br />
fest, dass das Seil immer straffer zu werden scheint.<br />
Gründe hierfür sind:<br />
Einbau im Winter ohne Laub, Senkung der Äste im<br />
Sommer bei Laublast<br />
Jährliches Dickenwachstum der Äste führt ebenfalls<br />
zu einer zunehmenden Straffung von Seilen<br />
Besonderheit bei Polyamidseilen: Es wurde beobachtet,<br />
dass diese Seile nach intensivem Wasserkontakt<br />
regelrecht „eingelaufen“ sind und sich verkürzt<br />
hatten.<br />
Achtung: Werden Seile nach Vorgabe straff eingebaut,<br />
ist eine Überdehnung von Seilen aus zuvor<br />
genannten Gründen kaum mehr feststellbar.<br />
Seildehnung:<br />
Alle zur Zeit in der Baumpflege verwendeten Kronensicherungssysteme,<br />
außer denen, die aus dem<br />
Material „Dyneema“ bestehen, verfügen über ein<br />
spezifisches Dehnungsvermögen.<br />
Die Dehnung hängt von dem Krafteintrag ab. Treten<br />
nur geringe Lasten bei Schwachwind auf, sind auch<br />
die Kräfte im Seil sehr gering und es erfolgt keine<br />
Dehnung. Erst bei sehr hohen Lasten werden dann<br />
Dehnungen erreicht, die je nach Produkt im Bereich<br />
von 12-25 Prozent liegen. Das Problem hierbei ist,<br />
dass die Seile mit zunehmender Last immer länger<br />
werden, so dass vor allem bei langen Verbindungen<br />
die Gefahr besteht, dass zu viel „Weg im System“ ist<br />
und bei starken Stürmen Überdehnungen der gesicherten<br />
Kronenteile auftreten können.<br />
Bei Kunststoffseilen, die unter Dauerlast eingebaut<br />
sind, lassen sich Kriechvorgänge nicht vermeiden.<br />
So kann es passieren, dass eine Kronensicherung<br />
einen abbrechenden schweren Ast zunächst trägt;<br />
hängt dieser jedoch über lange Zeit, dehnen sich<br />
die Filamente des Seils allmählich aus, bis sie die<br />
Dehnungsgrenze überschreiten und reißen. Für die<br />
steifen und unnachgiebigen Dyneemaseile gilt dies<br />
nicht. Als Statikseile mit extrem geringer Dehnfähigkeit<br />
sind sie besser für die Aufnahme von Dauerlasten<br />
geeignet.<br />
Seildehnung kann sehr gut mit dicken Ruckdämpfern<br />
gesteuert werden (System Cobra und Boa). Sie<br />
sorgen dafür, dass sich die Seile im Niedrigschwinglastbereich<br />
dehnen und bei stärkeren Lasten halten.<br />
Ruckdämpfungselemente:<br />
Rückdämpfungssysteme sollen dynamischen und<br />
statischen Anforderungen gerecht werden. Dynamisch<br />
bei geringen Windlasten und statisch bei<br />
hohen Lasten im Sturm. Ruckdämpfer federn den<br />
Dehnungsvorgang des Seils ab, so dass die Last-<br />
aufnahme nicht abrupt, sondern „weich“ erfolgt.<br />
Dies verhindert den sogenannten Karateeffekt.<br />
Der Seilkanalinnendurchmesser zieht sich bei zunehmender<br />
Last zusammen und drückt auf die<br />
Oberfläche des Ruckdämpfers, der dadurch zusammengedrückt<br />
wird. Dieser seitliche Druck führt zu<br />
einer Verlängerung des Ruckdämpfers, was dann<br />
die gewünschte Dynamik bringt. Ist das Maximum<br />
an Dehnbarkeit erreicht, kommen die statischen Eigenschaften<br />
des Seiles zum Tragen und verhindern,<br />
dass sich die Äste zu weit auseinander bewegen.<br />
Mit Ruckdämpfern lässt sich ein Kronensicherungssystem<br />
weich einstellen und die Bewegung der<br />
Äste steuern.<br />
Materialermüdung:<br />
Kunststoffseile können eine bestimmte Anzahl<br />
von Lastgängen fahren, bevor sie auch unterhalb<br />
ihrer angegeben Lastgrenze versagen. Ein Seil, das<br />
drei Mal bis zu 80 Prozent seiner Bruchlast belastet<br />
wurde, kann bereits beim vierten Mal bei gleicher<br />
Last reißen, ohne je die Bruchlastgrenze erreicht zu<br />
haben. Aus diesem Grund müssen solche Systeme<br />
immer dann ausgewechselt werden, wenn hohe<br />
Belastungen auf das System gewirkt haben.<br />
Ob ein Kronensicherungssystem tatsächlich hohen<br />
Lasten ausgesetzt war, kann vom Boden aus<br />
bestenfalls mit einem Fernglas festgestellt werden,<br />
bei Verdacht ist eine Besteigung erforderlich. Hohe<br />
Lasten können bei Systemen mit Spreizbändern<br />
zu dauerhaften Verformungen an den nur wenige<br />
Millimeter dicken Polypropylenfolien (PP) führen.<br />
Andere Systeme verwenden Kennungsfäden, die<br />
bei einer vom Hersteller definierten Last reißen,<br />
dann herabhängen und so bei einer Baumkontrolle<br />
erkannt werden können.<br />
Zeitstandsfestigkeit:<br />
Alle Gegenstände, die im Freien der Witterung ausgesetzt<br />
sind, degradieren, altern und verlieren an<br />
Tragkraft. Kunststoffseile aus Polyethylen (PE) weisen<br />
je nach verwendetem Material, in Abhängigkeit<br />
von dem Durchmesser der Seilfasern (Filamente)<br />
unterschiedlich hohe Abbauraten auf.<br />
Bereits über zehn Jahre zurückliegende Untersuchungen<br />
von SCHRÖDER (1996) haben gezeigt,<br />
dass PES-Seile trotz theoretisch guter UV Stabilität<br />
überraschend hohe Festigkeitsverluste aufwiesen:<br />
in fünf Jahren bis zu 60 Prozent. Nun ist anzunehmen,<br />
dass die Degradation nicht in gleichem Tempo<br />
voranschreitet, sondern dann abnimmt, wenn<br />
alle äußeren Fasern UV geschädigt sind und dann<br />
die vor UV Licht geschützten inneren Fasern die<br />
Kräfte abtragen. Wessolly vermutete nach Bekanntwerden<br />
der Ergebnisse, dass hierfür die sehr feinen<br />
Fasern mit ihrer großen Oberfläche verantwortlich<br />
sind.<br />
Untersuchungen an PP-Seilen von BRUDI und<br />
SPIESS (1998) haben gezeigt, dass die Tragkraft<br />
der Seile nach fünf Jahren Einsatzdauer um durchschnittlich<br />
zehn Prozent abgenommen hatte. Möglicherweise<br />
kam hier dem potenziell UV-sensitiven<br />
PP die Dicke der Filamente entgegen, da sie über<br />
eine geringere Oberfläche verfügen und weniger<br />
Oberfläche UV exponiert ist.<br />
Die Hersteller von Kronensicherungssystemen<br />
müssen im Geltungsbereich der ZTV Baumpflege<br />
die Bruchfestigkeit der Seile über einen Zeitraum<br />
von mindestens acht Jahren gewährleisten. Damit<br />
braucht ein Seil, das auch acht Jahre nach seinem<br />
Einbau noch vier <strong>Tonnen</strong> tragen können muss, eine<br />
Ausgangsbruchfestigkeit von mindestens 4,7 <strong>Tonnen</strong><br />
aufweisen. Einige Hersteller geben sogar noch<br />
längere Gewährleistung. Ist die Kronensicherung<br />
starr, bewegen sich die Stämmlinge durch gegenläufige<br />
Bewegungen aufeinander zu und werden<br />
im nächsten Moment voneinander abgestoßen,<br />
kann es passieren, dass der Kronenteil über der Verbindungsstelle<br />
aufgrund von Trägheit abbricht.<br />
KRONENSICHERUNGEN<br />
Dynamische Bruchsicherung<br />
Dynamische Bruchsicherungen ermöglichen der Baumkrone,<br />
frei zu schwingen und dämpfen lediglich die Spitzenlasten,<br />
die durch kräftige Böen entstehen können.<br />
Das System bewahrt seine Dynamik entsprechend der<br />
Bemessung von Seilen und Dämpfermodulen. Je starrer<br />
das System, desto stärker die Lastspitzen der auftretenden<br />
Fangstöße bei starken Ausschlägen.<br />
Statische Bruchsicherung<br />
Statische Bruchsicherungen kommen zum Einsatz, wenn<br />
eine Verzweigung bereits deutliche Schädigungen aufweist.<br />
Die statische Variante verzichtet auf Ruckdämpfer<br />
und erfordert zudem ein dehnungsarmes Seil, um den<br />
gefährdeten Ast möglichst ruhig zu stellen.<br />
Haltesicherung<br />
Haltesicherungen verhindern, dass ein abbrechender Ast<br />
auf den Boden stürzt. Auch sie erfordern ein besonders<br />
dehnungsarmes Seil um hohe Fangstöße beim Abbrechen<br />
zu verhindern. Hier müssen auch Anschlagpunkt<br />
und Material stark genug sein, den abbrechenden Ast<br />
halten zu können.<br />
BAUMPFLEGE<br />
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