neunerNEWS 16/2010 2 / 3 EDitorial In dieser Ausgabe der neunerNEWS informieren wir Sie über zwei wichtige Projekte, die der Verein <strong>neunerHAUS</strong> in den letzten Monaten umgesetzt hat: Unsere so genannten Startwohnungen und die Tierärztliche Versorgungsstelle. Mit den Startwohnungen gehen wir vom Verein <strong>neunerHAUS</strong> – unterstützt von conwert- Immobilien – einen ganz neuen Weg, um zu verhindern, dass Menschen in Obdachlosigkeit geraten. Wir unterbrechen die Abwärtspirale und sorgen dafür, dass von Delogierung betroffene Menschen nicht in ein Nächtigerquartier oder gar auf die Straße müssen, sondern gleich wieder eine leistbare Wohnung in einem Mietshaus bekommen. Eine erste Bilanz zeigt, dass der Bedarf groß ist. Daher suchen wir weitere Partner aus der Immobilienbranche, die mit uns gemeinsam Verantwortung übernehmen wollen, indem sie Wohnraum zur Verfügung stellen. Auch die neue rot-grüne Stadtregierung ist gefordert, in den nächsten Jahren für von Armut bedrohte WienerInnen leistbaren Wohnraum zu schaffen! Dass Obdachlose als letzten Freund oftmals ein Tier haben, wird Ihnen aus dem Stadtbild bekannt sein. Wer aber versorgt die vierbeinigen Begleiter im Krankheitsfall, wer impft und chipt sie? Gemeinsam mit der Österreichischen Tierärztekammer haben wir vom <strong>neunerHAUS</strong> ein neues Angebot geschaffen: Ein Team von ehrenamtlichen TierärztInnen behandelt kostenlos die Tiere von wohnungs- und obdachlosen Menschen in Wien. Auch hier bieten wir Hilfe ganz gezielt an, wo sie gebraucht wird. Um auch in Zukunft die bedarfsgerechte Versorgung obdachloser Menschen garantieren zu können – sei es in Form von Wohnraum, allgemein- und zahnmedizinischer Versorgung oder tierärztlicher Betreuung – sind wir auf Ihre Spende angewiesen. Sie können dazu beitragen, die Lebenssituation obdachloser Menschen zu verbessern. Dafür danke ich Ihnen sehr herzlich! Mag. Markus Reiter, Geschäftsführer »Wir uNtErbrEchEN DiE abWärtSSpiralE!« Markus Reiter ? ? ? WuSStEN SiE, DaSS… ...am 1. September 2010 die bedarfsorientierte Mindestsicherung in Höhe von EUR 744 in Kraft getreten ist und damit die Sozialhilfe österreichweit vereinheitlicht wurde? Dieser Betrag stellt allerdings keine Sicherheit für die BezieherInnen dar, aus der Armutsgefährdung zu kommen. …die neue rot-grüne Wiener Stadtregierung plant, die bedarfsorientierte Mindestsicherung für Kinder auf EUR 200 pro Kind zu erhöhen? ...im Juni 2010 im Wiener Landtag eine Novellierung des Landes-Sicherheitsgesetzes – bekannt als Bettelverbot – beschlossen wurde? De facto ist Betteln jetzt strafbar und schränkt massiv die Persönlichkeitsrechte jener Menschen ein, die betteln müssen oder wollen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. ...2,5 Millionen Menschen in Österreich (mehr als 30%) keine Steuern zahlen müssen? Der Grund ist kein erfreulicher: sie haben monatlich weniger als EUR 1.100 brutto zur Verfügung. …das Team <strong>neunerHAUS</strong>ARZT mit zehn ÄrztInnen bereits in 16 Einrichtungen der Wiener Wohnungslosenhilfe aufsuchend tätig ist? imprESSum: herausgeber: Verein <strong>neunerHAUS</strong>, Margaretenstraße 166/1. Stock, 1050 Wien Tel.: +43/1/990 09 09, Email: verein@neunerhaus.at, www.neunerhaus.at ZVR-Zahl: 701846883, DVR-Nr.: 2110290 Spendenkonto: RLB NOE-Wien, BLZ: 32.000, Konto-Nr.: 5.929.922 redaktion: Ruth Gotthardt mitarbeit: Julia Emprechtinger, Hanna Esezobor Gestaltung: BÜRO MARKUS/ZAHRADNIK Fotos: Klaus Pichler, Johannes Hloch, u.a. Druck: Donau Forum Druck Fotos und Gestaltung wurden kostenlos zur Verfügung gestellt. Das <strong>neunerHAUS</strong> dankt sehr herzlich! uND DaNN ENDlich: aNGEkommEN Es sind eingespielte Bewegungen, die immer gleichen Abläufe mit ähnlich sich einstellenden Empfindungen. Schlüssel ins Schloss. Mit der linken Schulter drücke ich gegen die schwere Eingangstür, rechts an der Wand taste ich nach dem Lichtschalter. Der Gang zum Lift ist automatisiert, die wenigen Sekunden des Hinauffahrens in den vierten Stock ein Moment der Ortslosigkeit. Wieder stehe ich vor einer Tür, wieder drehe ich den Schlüssel im Schloss. Und dann endlich: angekommen. Es riecht nach mir, alles, was mein Auge sieht, gehört mir. Mantel in den Garderobenschrank, Schuhe ins Regal. Erst mal schauen, wie es den Blumen geht. Das Sofa lächelt mich an. „Komm“, sagt es, „leg Dich kurz her“. Mach ich dann auch. Geschützter Raum, Ruhe, fremdes Eindringen quasi unmöglich. Meines. Mein Zuhause. Nach offiziellen Schätzungen sind ungefähr 2.000 Menschen in Österreich wohnungs- oder obdachlos und 19.000 Menschen leben in sozialen Einrichtungen, Obdachlosenheimen. Das macht also insgesamt 21.000 Menschen aus. Wie ist das, wenn man kein Zuhause hat? Wie ist das, wenn man in so einer „Einrichtung“ untergebracht ist, in der man keine Rechte, im besten Fall nur Pflichten hat und behandelt wird, als sei der Zustand der Obdachlosigkeit, in dem man sich befindet, kriminell – auf jeden Fall selbstverschuldet? Infantilisierung wird es wohl sein. Verlust jedes Selbstwertgefühles. Und vielleicht auch Wut verursachen. Die zu zeigen man sich aber wohl nicht leisten kann. Dann ist man „auffällig“. Arme Menschen dürfen nicht auffällig sein. „Die sollen doch froh sein, dass…“ Man hat auch keine Nachbarn. Kann keine FreundInnen einladen. Nie den Stolz der Gastgeberin fühlen. Nichts gestalten. Da ist es doch besser, nicht hin zu schauen. Hinschauen tut nämlich weh und macht Angst. Angst, eines Tages selbst davon betroffen sein zu können. Erinnert außerdem daran, wie fragil das klein- und bürgerliche Leben der meisten von uns ist. Nach offiziellen Schätzungen sind 83.000 Menschen in Österreich von Delogierung bedroht. Delogierung ist meist die Vorstufe zur Obdach- und Wohnungslosigkeit. Die häufigsten Ursachen von Obdach- und Wohnungslosigkeit sind: Scheidung, Langzeitarbeitslosigkeit, Armut und Verschuldung sowie prekäre Familiensituationen und psychische Probleme. Ja, das ist es, was Menschen passieren kann. Die wenigsten der Obdachlosen haben ihren Zustand selbst gewählt. Die wenigsten hängen einer romantischen Vorstellung vom „freien Leben“ auf der Straße an. Die Leute vom Verein <strong>neunerHAUS</strong> haben das ver- standen. Und zwar von Anfang an. Das hat mir immer schon gefallen. Z.B. die Tatsache, dass die Bewohner- Innen der mittlerweile 3 neunerHÄUSER und der 10 Startwohnungen in die Gestaltung ihrer Wohnungen einbezogen werden. Sie bestimmen, wie’s aussieht. Sie leben ja auch drin. Armut ist kein Grund für Entmündigung. Und sie werden auch nicht wie BittstellerInnen behandelt, sondern wie ernst zu nehmende Menschen, die – aus welchen Gründen auch immer – in eine Notsituation geraten sind. Respekt zu bekommen ist eine Erfahrung, die oft am Beginn einer Selbstheilung oder auch Selbsthilfe steht. Dass dann auch noch medizinische Versorgung und jede Art von anderer Unterstützung dazu kommt, macht den Respektraum nur noch größer. In dem haben dann sogar Haustiere Platz. „Hilf Dir selbst, dann hilft Dir Gott?“ Damit kann ich nichts anfangen. Niemandem ist damit geholfen. Das Schönste an Weihnachten (beeindruckt auch, wenn man nicht religiös ist): Gott ist Mensch geworden, damit wir menschlich werden. Er hat’s uns quasi vorgetanzt! Damit wir unter anderem anderen helfen, den Respekt vor sich selber wieder zu finden. Damit jene so ihr Leben wieder in den Griff bekommen. Kol ha kawod fürs Team vom <strong>neunerHAUS</strong>! Und schöne Weihnachten für alle! RENATA ScHMIDTKUNZ, Redakteurin, Filmemacherin und Moderatorin Foto: ORF, Ali Schafler