neunerNEWS 16/2010 6 / 7 kostenlose tierärztliche versorgung für haustiere wohnungs- und obdachloser menschen GESuNDEr rückhalt auF viEr bEiNEN Es ist zehn Uhr vormittags an einem Montag – in der Hagenmüllergasse 34 herrscht im wahrsten Sinne des Wortes tierischer Andrang. Im Warteraum der neuen <strong>neunerHAUS</strong>-TierärztInnen tummeln sich vier Hunde und fünf Katzen mit ihren Herrchen und Frauchen und warten, bis sie von Frau Doktor aufgerufen werden. Tierärztin Eva Wistrela-Lacek hat heute Dienst – für Rocky, Sultan, Goliath und co bedeutet das Impfen, chippen oder einfach Gesundheitskontrolle. Ein ehrenamtliches Team von TierärztInnen sorgt seit diesem Herbst regelmäßig dafür, dass die Tiere wohnungs- und obdachloser Menschen aus ganz Wien die Gesundheitsversorgung bekommen, die ihnen und ihren menschlichen Haltern gut tut. Die manchmal unreflektiert gestellte Frage, warum Menschen mit wenig oder keinem Einkommen auch noch Tiere halten müssen, beantwortet Wistrela-Lacek sehr bestimmt: „Diese Menschen hatten zuvor ein anderes Leben – ihr Haustier ist häufig das Einzige, was ihnen geblieben ist.“ An vier, bald schon fünf Tagen in der Woche stellt das <strong>neunerHAUS</strong> gemeinsam mit der Österreichischen Tierärztekammer die Behandlungsräume für das Projekt zur Verfügung. Dr. Maurizio colcuc, Präsident der Österreichischen Tierärztekammer Landestelle Wien, erklärt das Engagement der TierärztInnen bei der Verwirklichung des Projektes: „Eine tierärztliche Betreuung der Haustiere verringert unser aller Risiko der Verbreitung von Tierkrankheiten und ermöglicht Obdach- und Wohnungs- losen eine starke emotionale Erfahrung im Zusammenleben mit Tieren. One health – eine Gesundheit: TierärztInnen sehen ihre Arbeit als Beitrag für die Gesundheit von Mensch und Tier“. Übrigens ist Dr. colcuc selbst regelmäßig als ehrenamtlicher Tierarzt hier im Einsatz! Allen wohnungs- und obdachlosen Menschen und ihren Vierbeinern steht die Einrichtung offen. Einerseits soll so die einmal im Jahr vorgeschriebene Kontrolle der vierbeinigen Begleiter sichergestellt werden – dann wird entwurmt oder geimpft und im Sinne des Wiener Hundehaltergesetzes werden die Hunde auch gechipt. Andererseits behandeln und kurieren die TierärztInnen im Rahmen der Sprechstunden kleine Wehwehchen und gröbere Probleme wie Durchfall oder Verletzungen. Im Notfall ist die Praxis sogar für kleinere Operationen gerüstet. Auch das Kastrieren ist notwendig, denn ungewollte Vermehrung ist neben einem Platz- auch ein Kostenproblem. letzter halt Für die Tiere bedeutet die Initiative die Sicherstellung eines gesunden, artgerechten Lebens, für ihre Halter eine große finanzielle Erleichterung, denn Tierarztrechnungen sind naturgemäß hoch. Und auch therapeutisch machen die Haustiere Sinn: „Es ist wichtig, dass die Menschen ihre Tiere behalten können, denn Verantwortung ist eine bedeutende Komponente. Können sie Verantwortung für ein Tier übernehmen, gelingt es ihnen vielleicht später auch für sich selber“, ist die Tierärz- tin überzeugt. Ein Hund habe außerdem kein Problem damit, wenn sein Besitzer psychisch krank ist, er urteilt auch nicht nach der Optik. Was die Mitmenschen oft nicht schaffen, gelingt den Tieren – nämlich soziale Wertschätzung. Das gibt den Menschen, die nicht so viel Glück im Leben hatten, ein Stück Geborgenheit und andererseits das Gefühl, gebraucht zu werden. Als Ersatz für Familie oder Freunde sind die Tiere oft die einzigen treuen Begleiter im Alltag. In den neunerHÄUSERN waren Tiere daher schon immer willkommen – bereits vor zehn Jahren konnten Menschen ins <strong>neunerHAUS</strong> als erste Einrichtung in Wien ihre tierischen Freunde mitbringen. „Eine sichere veterinärmedizinische Versorgung für die Tiere aller Obdachlosen in Wien ist Voraussetzung dafür, dass künftig noch mehr Einrichtungen obdachlose TierhalterInnen aufnehmen – dazu wollen wir gerne beitragen“, so Markus Reiter, Geschäftsführer des Vereins <strong>neunerHAUS</strong>. Bevor die neue Tierärztliche Versorgungsstelle zur fixen Institution wurde, haben TierärztInnen und SozialbetreuerInnen gelegentlich mit Hausbesuchen ausgeholfen. „Tiere tun den BewohnerInnen einfach gut“, weiß Reiter aus Gesprächen mit den Menschen. Gesunde tiere – gesunde menschen Für Eva Wistrela-Lacek und ihre KollegInnen sind gesunde Tiere die Voraussetzung für gesunde Menschen. Milben oder andere Parasiten können beispielsweise von Tieren auf Menschen übertragen werden. Ihre Mo- tivation für die ehrenamtliche Sprechstunde beschreibt sie so: „Als Tierärztin übernehme ich so einerseits soziale Aufgaben und ich will andererseits natürlich auch den Tieren helfen.“ Verwahrloste Tiere sind ihr in den <strong>neunerHAUS</strong>-Sprechstunden bisher noch nie untergekommen – den Menschen ist es wichtig, dass es ihren Tieren gut geht. Die Ärztin sieht sich als ganz normale Dienstleisterin für ihre KlientInnen, manchen ist es auch unangenehm, dass sie finanziell nichts zur Behandlung beitragen können. Für sie selbst bedeutet die offiziell eine Stunde dauernde ehrenamtliche Sprechstunde alle zwei Wochen tatsächlich fast zweieinhalb Stunden Arbeit – denn in einer richtigen Praxis muss auch Bürokratie erledigt werden, damit alles rechtens funktioniert. offener Zugang Anmelden müssen sich die TierhalterInnen für die Sprechstunden nicht, der Zugang ist offen. Beim ersten Besuch ist eine Überweisung einer betreuenden Organisation in Wien notwendig – das kann auch eine Notschlafstelle, die Gruft, etc. sein. Im Moment wohnen allein in den neunerHÄUSERN 15 Hunde, 28 Katzen, unzählige Fische, zwei Papageien und einige Meerschweinchen, Mäuse und andere Kleintiere. Zehn TierärztInnen kümmern sich um die Schützlinge – aufgrund der großen Nachfrage sind weitere ehrenamtliche tierärztliche MitarbeiterInnen und Spenden gerne willkommen. So werden Bello und co auch in Zukunft ihre Besitzer munter begleiten können. MARIETTA TÜRK, Journalistin <strong>neunerHAUS</strong> Tierärztliche Versorgungsstelle 1030 Wien, Ecklokal Hagenmüllergasse 34 Aktuelle Öffnungszeiten: jederzeit abfragbar unter tierarzt@neunerhaus.at oder 0650 21 00 158 Anfahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln: U3 Kardinal-Nagl-Platz, Bus 77A Haltestelle Lechnerstraße