Drei dinge - Sailing Classics
Drei dinge - Sailing Classics
Drei dinge - Sailing Classics
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d o s sie r > s e g e l r e i s e n<br />
neptuns Rache<br />
Zwei von drei seglern werden seekrank.<br />
Forscher kennen die Ursachen der Übelkeit noch<br />
immer nicht genau. Helfen etwa Hausmittel?<br />
Es beginnt Mit gähnen. Dann<br />
bricht Schweiß aus, und das Gesicht<br />
wird blass, sehr blass. Die nächste<br />
Welle, die übernächste, allmählich kommt<br />
das Grauen. Wer es erlebt hat, der weiß, was<br />
„kotzübel“ bedeutet. Nach zehn Minuten<br />
steht man an der Reling. Nach weiteren<br />
zehn Minuten möchte man sterben. Man<br />
fühlt sich krank, todkrank – und nur, weil<br />
sich alles unter einem hebt und senkt.<br />
Die Seekrankheit entsteht durch einen<br />
Konflikt zwischen verschiedenen Sinnes‑<br />
systemen, besonders in Schiffs‑ und Flug‑<br />
zeugkabinen. Das Auge meldet: „Alles sta‑<br />
bil!“ Doch das Gleichgewichtssystem im<br />
Innenohr dementiert: „Alles schwankt!“<br />
Dieser Widerspruch setzt das Zentrale Ner‑<br />
vensystem unter Stress. Zu seiner Bewälti‑<br />
gung schüttet es Neurotransmitter aus.<br />
Allerdings weiß man nicht genau, wel‑<br />
che Faktoren die Übelkeit auslösen. „Sicher<br />
ist nur, dass das vegetative System an der<br />
Seekrankheit beteiligt ist“, sagt Andrew<br />
Clarke, er ist Professor für experimentelle<br />
Gleichgewichtsforschung an der Berliner<br />
Charité. Er untersucht die Crewmitglieder<br />
der Internationalen Raumstation ISS. „Von<br />
der Evolution her sind wir nicht für den<br />
Aufenthalt in bewegten Objekten ange‑<br />
legt“, sagt der Wissenschaftler. Egal ob<br />
Raumschiff oder Jolle – der Mensch sei dort<br />
eigentlich am falschen Platz.<br />
Eine neue These vertritt der Wiener<br />
Dermatologieprofessor und Allergiespe‑<br />
zialist Reinhart Jarisch. Das gestresste<br />
Nervensystem schütte zu viel Histamin<br />
aus, der Botenstoff sei also die Ursache<br />
für die Übelkeit. Jarisch kam durch das<br />
Studium historischer<br />
Seefahrerberichte auf<br />
diesen Gedanken. Auf<br />
den Schiffen jener Zeit<br />
wurden oft lebende<br />
Schweine als Proviant<br />
mitgenommen – aber ganz offenbar nie<br />
seekrank. „Schweine haben besonders viel<br />
Diaminoxidase“, sagt Jarisch, „das baut die<br />
Histamine ab.“<br />
Der Mensch kann seinen Histamin‑<br />
spiegel senken, wenn er gelagerte Lebens‑<br />
mittel wie Rotwein, Konserven und gereif‑<br />
ten Käse meidet. Die Ausschüttung des<br />
körpereigenen Stoffs lässt sich zudem<br />
durch eine hohe Dosis Vitamin C blockie‑<br />
ren. Jarisch: „Warum das so ist, wissen wir<br />
noch nicht. Ich habe aber bei meinen Pati‑<br />
enten gute Erfolge mit Vitamin C gegen<br />
Übelkeit beobachtet.“ Gegen Seekrankheit<br />
muss es vorbeugend genommen werden,<br />
ein bis zwei Gramm, am besten als Lutsch‑<br />
tablette. Trotz rauer See machte damit<br />
auch die GEO‑SAISON‑Autorin bei ihrem<br />
Törn auf der „Kairós“ (S. 114) gute Erfah‑<br />
rungen – früher war sie immer die erste an<br />
der Reling gewesen.<br />
Wer schnell seekrank wird, interessiert<br />
sich weniger für Entstehungstheorien als<br />
für die Frage: Was hilft? Zur Vorbeugung<br />
sollte man Stress vermeiden. Das heißt:<br />
ausreichend schlafen, nicht zu viel und zu<br />
fett essen, keinen Alkohol trinken – und<br />
nicht mit Leuten segeln, mit denen man<br />
noch eine Rechnung offen hat. Während<br />
der Fahrt ist es ratsam, an Deck zu bleiben,<br />
am besten stehend, und den Blick auf den<br />
Horizont zu richten. Auch hilft es, selbst<br />
das Ruder zu führen, weil das dem Nerven‑<br />
system Bewegung meldet.<br />
Die Psyche spielt eine wichtige Rolle.<br />
Manche Skipper zum Beispiel reden nie<br />
über Seekrankheit – zu Recht, wie eine Stu‑<br />
die der Universität Tel Aviv belegt. Die Wis‑<br />
senschaftler hatten 25 Kadetten vor einer<br />
Reise gesagt, dass sie mit Sicherheit nicht<br />
seekrank würden. Tatsächlich zeigte diese<br />
Gruppe auf See weniger Symptome als<br />
eine Kontrollgruppe, die nicht auf diese<br />
Weise gecoacht worden war.<br />
Wissenschaftlich nachgewiesen ist die<br />
Wirkung bestimmter Medikamente. Sie<br />
senken den Histaminspiegel (Antihista‑<br />
minika), unterdrücken den Brechreiz<br />
(Cholinolytika), dämpfen das Zentrale Ner‑<br />
vensystem (Neuroleptika). Alle drei Medi‑<br />
kamentengruppen müssen vorbeugend<br />
genommen werden. Sie haben leider die<br />
Nebenwirkung, müde bis benommen zu<br />
machen.<br />
Daher suchen Segler nach Alternativen<br />
– und testen die ungewöhnlichsten Metho‑<br />
den. Viele Skipper schwören auf Ingwer.<br />
Nach Erkenntnissen von Forschern der<br />
Universität Zürich hilft die Wurzel so gut<br />
wie chemische Mittel. Eine dänische Studie<br />
bestätigt allenfalls einen schwachen Effekt.<br />
Der Berliner Gleichgewichtsforscher An‑<br />
drew Clarke hat den Ingwer in einem Dreh‑<br />
stuhl‑Experiment getestet: Der Teilneh‑<br />
mer sitzt auf einem fest stehenden Stuhl<br />
in einer großen Trommel, die von innen<br />
schwarz‑weiß gestrichen ist und sich be‑<br />
wegt. Unwillkürlich fixiert die Testperson<br />
das flirrende Muster, hat den Eindruck, in<br />
Bewegung zu sein, doch das Gleichge‑<br />
wichtsorgan meldet: Alles ruhig. Nach<br />
diesem Muster tritt die Seekrankheit auf.<br />
Clarke: „Wir konnten keine eindeutige<br />
Wirkung des Ingwers feststellen.“<br />
Ähnlich widersprüchlich sind die For‑<br />
schungsergebnisse zur Akupressur mit‑<br />
hilfe spezieller Armbänder: Mal wird ein<br />
deutlicher Effekt festgestellt, vor allem in<br />
chinesischen Studien, mal überhaupt kei‑<br />
ner. Allerdings wird vielen Probanden<br />
später übel. Auch Akupunktur im Ohr soll<br />
helfen. Im Internet finden sich sogar An‑<br />
leitungen zum Selbststechen, doch davor<br />
sei gewarnt. Schließlich werden auch Ho‑<br />
nig, Äpfel, Bananen, Mohrrüben, Salzbre‑<br />
zeln mit lauwarmer Cola, Fernet Branca<br />
und das Pilzgetränk Kombucha gegen<br />
Seekrankheit empfohlen.<br />
Tröstlich: Bei fast allen Menschen ver‑<br />
geht die Übelkeit nach einigen Tagen,<br />
weil sich das Gleichgewichtssystem ange‑<br />
passt hat. „Das neue Bewegungsmuster“,<br />
sagt Clarke, „ist dann im Zentralen Ner‑<br />
vensystem angenommen worden.“<br />
➢ info: Europäisches Segel‑Informa‑<br />
tionssystem; www.esys.org/seekrank<br />
Wellentäler: herausforderung<br />
für alle, die leicht seekrank werden<br />
törns für jeden typ<br />
sind sie Traditions- oder moderner Yachtsegler? lieben sie<br />
das raue nord- oder das liebliche Mittelmeer? Wollen sie<br />
faulenzen oder den Kampf mit den elementen? eine Auswahl<br />
FüR EInS tEIgER<br />
➢ teil der crew zu sein ist auf vielen<br />
Booten möglich. Gebucht wird die Koje,<br />
für die Verpflegung sorgen alle gemein‑<br />
sam. Beispiel: mit der Yacht „Myrto“ im<br />
Frühling zwischen Athen und Peloponnes,<br />
zwei Wochen ab 820 Euro. Reisedienst<br />
Ehret, Bad Homburg, Tel. 06172-93 95 16,<br />
www.gibsea442.de<br />
Weitere Angebote: www.segelboerse.de,<br />
www.mitsegeln.de<br />
➢ ausprobieren kann man das Segeln<br />
bei einem Wochenendtörn auf der Ostsee,<br />
an der Nordseeküste oder auf dem Ijssel‑<br />
meer (Wochenende ab 120 Euro). Beispiel:<br />
mit dem Plattbodenschiff „Nooit Vol‑<br />
maeckt“. Windbeutel Reisen, Köln, Tel. 0221-<br />
949 90 33, www.windbeutel-reisen.de<br />
Weitere Angebote: www.freizeit-segeln.de,<br />
www.segelboerse.de<br />
➢ tagestouren bieten Traditionssegler<br />
bei der Kieler Woche und der Hanse Sail in<br />
Rostock. Beispiel: auf dem <strong>Drei</strong>mastscho‑<br />
ner „Albert‑Johannes“ den 1. Mai feiern.<br />
Tagesausflug ab Rostock 58 Euro. Steffen<br />
Schwarze, Rostock, Tel. 0381-121 14 87, www.<br />
albert-johannes.de<br />
Weitere Angebote: www.maritime-reisen.<br />
de, www.marefrisium.de, www.stade-touris<br />
mus.de<br />
FüR SP oRtlER<br />
➢ grenZerfahrungen kann man bei<br />
„Meilentörns“ machen. Das Schiff wird<br />
überführt, etwa vom Mittelmeer zu den<br />
Kanarischen Inseln. Gesegelt wird rund<br />
um die Uhr und bei jedem Wetter! Bei‑<br />
spiel: von Kiel nach Brest, elf Tage ab 685<br />
Euro. Natus-Tours, Düsseldorf, Tel.: 0211-<br />
57 27 65, www.natus-tours.de<br />
Weitere Angebote: www.skipperteam.de<br />
➢ regatten kann man ebenfalls an Bord<br />
miterleben. Auf einigen Schiffen ist man<br />
bloß Gast, auf anderen muss man mitar‑<br />
beiten. Beispiel: Wochenende auf dem<br />
Ijsselmeer ab 145 Euro. De Zeilvaart, Enkhuizen/Niederlande,<br />
Tel. 0031-228-32 30 30,<br />
www.zeilvaart.com<br />
Weitere Angebote: www.well-sailing.de<br />
gletscher voraus: törn in der antarktis<br />
118 geo saison | 2.2008 2.2008 | geo saison 119