SZ-Special zur US-Präsidentschaftswahl
Das Rennen um das Weiße Haus wird knapper als erwartet. Lesen Sie in unserem Special zur Wahl in den USA alle Fakten aktuell im Überblick.
Das Rennen um das Weiße Haus wird knapper als erwartet. Lesen Sie in unserem Special zur Wahl in den USA alle Fakten aktuell im Überblick.
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Montage: RND, Fotos: JTSorrell/iStockphoto/Getty Images, Alex Brandon/AP, Andrew Harnik/AP
Amerika
hat gewählt
und weiß noch nicht, wen ...
Stand:
6.30 Uhr
Aktualisierung
folgt in Kürze
Trump 136 Biden 205
Stand: 6.30 Uhr, Quell e: CNN
Mehrheit: 270 Wahlleute
Das Zittern geht weiter: Die
Präsidentschaftswahl in den
USA ist auch nach Schließung
aller Wahllokale noch nicht
entschieden. Herausforderer
Joe Biden von den Demokraten
gelang damit nicht der erhoffte
Erdrutschsieg. Die Welt schaut
in den nächsten Stunden auf
die Staaten des Mittleren
Westens. Wer dort gewinnt,
wird der mächtigste Mann der
Welt.
Washington. Es ist knapper als
von vielen erwartet. Bei der US-
Präsidentschaftswahl gab es am
Mittwochmorgen noch keinen
Sieger. Der republikanische
Amtsinhaber
Donald
Trump lag in Florida
und Ohio
knapp in Führung.
Landesweit
sah es deshalb
nicht mehr
nach einem überwältigenden
Sieg
für Biden aus, der in
Umfragen vor der Wahl
deutlich vorne gelegen hatte.
Als auch die bevölkerungsreichen
Staaten der Westküste ihre
Wahlbüros schlossen, hatten
US-Medien bereits für rund 30
Staaten einen Gewinner ausgerufen.
In keinem dieser Staaten
hat es im Vergleich zu 2016
einen Wechsel der siegreichen
Partei gegeben.
Die Entscheidung
läuft nun
wohl auf Michigan,
Wisconsin
und Pennsylvania
im Mittleren
Westen sowie Arizona
im Südwesten
hinaus. Dort gab es für
den Demokraten Grund
zur Hoffnung. Die Auszählung
an einigen wichtigen Orten dieser
Staaten scheint jedoch noch
länger anzudauern.
Demokraten halten Repräsentantenhaus +++ Swing States hart umkämpft +++ So geht es jetzt weiter
2 Wahl in den USA Mittwoch, 4. November 2020
In Kürze
Qanon hat jetzt
eine Abgeordnete
Atlanta. Ins US-Repräsentantenhaus
zieht nach der Wahl mit Marjorie
Taylor Greene künftig eine
Unterstützerin der umstrittenen
Qanon-Bewegung. Die 46-jährige
Republikanerin und Geschäftsfrau
aus Georgia ist Anhängerin von
Verschwörungstheorien, wonach
Präsident Donald Trump heimlich
gegen eine ihm feindlich gesonnene
Elite in den Tiefen des Staatsapparats
und einen Kindesmissbrauchsring
satanischer Pädophiler
und Kannibalen ankämpft. Der
Präsident sagte unlängst, Greene
sei ein „künftiger republikanischer
Star“. Als Politneuling hat sie eine
große Anhängerschaft in sozialen
Medien, wo sie mit als rassistisch
kritisierten Posts für Aufsehen
sorgte. So behauptete sie unter
anderem, dass Schwarze und Latinomänner
durch „Gangs und Drogenhandel“
in ihrer Entwicklung
zurückgeworfen würden, und
sprach von einer „islamischen Invasion“
von Regierungsgebäuden.
BU
Im Schwebezustand
Zu knapp für eine Entscheidung: Solange nicht alle Briefwahlstimmen ausgezählt sind,
gibt es keinen Sieger zu verkünden. Das stellt auch Europa vor drängende Fragen
Foto: Gerald Herbert/dpa
Glaubt an Verschwörungstheorien:
Wahlsiegerin Marjorie Taylor
Greene. Foto: J. Bazemore/AP
McConnell gewinnt
zum siebten Mal
Washington. Der bisherige Mehrheitsführer
der Republikaner im
US-Senat, Mitch McConnell, hat
seinen Sitz in der Kongresskammer
verteidigt. Der erzkonservative Senator
aus Kentucky ist einer der
mächtigsten politischen Spieler in
Washington und hat zuletzt, am
Ende seiner sechsten Amtszeit im
Senat, die Bestätigung der Supreme-Court-Richterin
Amy Coney
Barrett durchgepeitscht. Die Demokraten
hatten den 78-Jährigen
zu einem ihrer wichtigsten Ziele
gemacht. Sie schickten die ehemalige
Pilotin Amy McGrath (45) mit
viel Geld, doch vergeblich ins Rennen
gegen ihn. „Heute Nacht hat
Kentucky gesagt: ,Wir sind noch
nicht fertig‘“, rief McConnell gestern
Abend Unterstützern in Louisville
zu. „Kentucky will mehr von
der Politik, die die beste Wirtschaft
in der modernen Geschichte unserer
Nation geschaffen hat – nicht
Sozialismus.“
Heißer Kampf
um den Senat
Von Marina Kormbaki
Washington. Auf diese Präsidentschaftswahl
hat die Welt lange gewartet.
Und sie wird weiter warten
müssen, ehe sie weiß, wer der führenden
Macht auf dem Planeten in
den kommenden vier Jahren vorstehen
wird. Die Stimmenauszählung
in den USA dauert an, die guten Umfragewerte
von Joe Biden haben
sich nicht in den von den Demokraten
erhofften Erdrutschsieg verwandelt.
Biden bangt, und Donald
Trump twittert: „(Tweet aus der
Nacht).“
Amerika tritt ein in eine neue
Phase der Ungewissheit. Zu befürchten
ist, dass im tage-, vielleicht
auch wochenlangen Kampf um die
Auslegung dieser Wahl die Institutionen
des Landes weiter Schaden
nehmen werden; dass sich die Unversöhnlichkeit
der Amerikaner
untereinander zur Feindseligkeit
auswächst. Wer auch immer dann
am Mittwoch, 20. Januar, auf den
Stufen des US-Kapitols in Washington
als Präsident vereidigt wird,
wird mit der gewachsenen Spaltung
der Gesellschaft umgehen müssen.
Schwer vorstellbar, dass Trump
nach vier Jahren spalterischer Politik
zu deren Überwindung ansetzen
wird. Fraglich ist aber auch, ob Biden
über die Autorität verfügt, um
im Trump-Lager Gehör und Gefolgschaft
zu finden.
Fest steht nur, dass Amerika nach
diesem unerbittlich geführten
Wahlkampf und dieser endlos anmutenden
Wahlnacht noch lange
mit sich selbst beschäftigt sein wird.
Für Deutschland und Europa ist das
keine gute Nachricht.
Allzu optimistisch mochte sich in
Berlin und Brüssel zuletzt kaum
einer über den Wahlausgang äußern.
Die enttäuschten Hoffnungen
von 2016 wiegen noch immer
schwer. In Gesprächen mit Politikern
und Diplomaten war oft so etwas
wie Aberglaube zu vernehmen
– als würde die laut geäußerte Hoffnung
auf einen Wahlsieg Bidens direkt
zum Gegenteil führen. Doch
auch in der betonten Zurückhaltung
war der Wunsch nach einem Wahlsieg
der US-Demokraten stets vernehmbar.
Er rührt von dem Glauben,
dass damit das in den Trump-
Jahren lädierte transatlantische
Verhältnis geglättet werden könnte.
Ob Pandemie oder Erderwärmung:
Die gegenwärtigen Krisen
erfordern Zusammenarbeit – doch
eben die verweigert Trump mit seiner
Doktrin des „America First“.
Der von ihm initiierte Austritt der
So haben die USA gewählt (Stand der Auszählung: 6.30 Uhr)
USA aus der Weltgesundheitsorganisation,
aus dem Pariser Klimaabkommen
und dem Atomdeal mit
dem Iran sind schwere Schläge für
den Westen – mit unabsehbaren, in
der Tendenz aber klar negativen
Folgen. Was, wenn die Staatengemeinschaft
sich nicht auf eine faire
Verteilung eines Anti-Corona-Impfstoffs
einigen kann? Wie soll die
Erderwärmung beschränkt werden,
wenn die größte Volkswirtschaft der
Welt nicht mitzieht? Es stellt sich
jetzt nicht mehr die Frage, ob der
Iran in den Besitz einer Atombombe
kommt, sondern: wann? Und was
macht er damit?
Die diesseits des Atlantiks großen
Hoffnungen auf einen Wahlsieg
Bidens gehen einher mit der Annahme,
dass sich einige folgenschwere
Entscheidungen Trumps wieder zurückdrehen
lassen. Und mit der Sorge,
dass nach weiteren vier Jahren
Trump irreparabler Schaden entstehen
wird, etwa für den Zusammenhalt
der Nato und auch der EU. In Biden
wissen viele Europäer einen
Verbündeten.
Im Gegensatz zu Trump ist er davon
überzeugt, dass sich Probleme
nur in internationaler Zusammenarbeit
lösen lassen. Dass die Einbindung
der USA in internationale Regelwerke
und Institutionen in deren
Interesse liegt. Gewiss ist auch Biden
zuallererst den Interessen Amerikas
verpflichtet. Aber den
Schlachtruf „America First“ und die
darin mitschwingende Lizenz zur
Rücksichtslosigkeit wird man von
ihm nicht hören. Er ist ein überzeugter
Multilateralist und hat angekündigt,
dies im Falle eines Wahlsiegs
sogleich unter Beweis zu stellen.
Doch auch mit einem Präsidenten
Biden würden nicht plötzlich rosige
Zeiten im transatlantischen
Verhältnis anbrechen. Seine Haltung
etwa zu Cybertechnik aus China
oder Gas aus Russland ist härter,
als es vielen im politischen Berlin
lieb ist. In vielem bliebe der Dissens
bestehen. Aber er würde gewiss in
freundlicherem Ton ausgetragen
als in vier weiteren Jahren Trump.
Darauf muss die Welt weiter warten.
Washington. Auch der einflussreiche
republikanische Senator Lindsey
Graham hat sich eine weitere
Amtszeit im US-Senat gesichert.
Der Vertreter von South Carolina
setzte sich gegen seinen demokratischen
Herausforderer durch. In
Alabama nahm der Republikaner
Tommy Tuberville dem Demokraten
Doug Jones den Sitz. Im Bundesstaat
Colorado hingegen hat
der Demokrat John Hickenlooper
den Republikaner Cory Gardner
von dem Senatssitz verdrängt. Das
große Ziel der Demokraten, die
Mehrheit im Senat zu erobern, war
am frühen Morgen noch nicht erreicht.
Sieben demokratische Senatoren
und acht Republikaner
hatten ihre Sitze verteidigt.
Bisher halten die Republikaner
eine Mehrheit von 53 der 100 Sitze.
35 Senatssitze standen zur Neubesetzung
an, davon wurden bisher
23 von Republikanern gehalten
und zwölf von Demokraten. Bei
einem hängt das Stimmgewicht im
Senat davon ab, wer im Weißen
Haus sitzt. Denn dann kann der Vizepräsident
eingreifen.
Viele Europäer hatten sich für
heute Morgen den Wecker
etwas früher gestellt. Sie
hofften auf Klarheit aus den
USA. Doch die Amerikaner konnten,
wieder einmal, lange Zeit nicht
liefern.
Für einen Erdrutschsieg Joe Bidens
hat es nicht gereicht. Dazu
hätte er Florida gewinnen müssen
– wo aber wohl erneut Donald
Trump siegte, offenbar mit Unterstützung
von Exilkubanern, bei
denen seine Warnungen verfingen,
Biden sei ein Sozialist.
Wichtige weitere Swing States
wie Pennsylvania schienen diesmal
mathematisch kaum zu fassen
zu sein. Denn erstens macht der
pandemiebedingt sehr hohe Briefwähleranteil
die Auszählung komplizierter
denn je. Zweitens kann
jeder einzelne Staat in den USA
Von Matthias Koch
das Wahlrecht regeln, wie er will.
Dies alles macht dann die Verwirrung
perfekt.
Manche Staaten hatten gestern
alle Briefwahlzettel schon bei
Schließung der Wahllokale säuberlich
ausgezählt und die Annahme
geschlossen. Andere warten immer
noch auf Post, die auch verspätet
eintreffen darf – wenn sie den
Stempel vom 3. November trägt.
Land und Leuten gefiel es, den
Bundesstaaten die Kompetenz auf
Kommentar
Die Entdeckung der Langsamkeit
diesem Feld zu geben. Nun müssen
alle Amerikaner damit leben –
und mit ihnen der Rest der Welt.
Trump betonte in den letzten Tagen
immer wieder, er wünsche sich
ein klares Ergebnis noch am 3. November
– alles andere sei hoch
problematisch. Doch dass in den
USA ein Wahlergebnis schnell vorliegen
müsse, steht in Wahrheit nirgends
geschrieben. Im Gegenteil.
Bei den vielfältigen, umständlichen
und oft belächelten Vorschriften
des amerikanischen Wahlrechts
ging es nie um Geschwindigkeit,
immer aber um Glaubwürdigkeit.
Der Präsident, die Medien im Inund
Ausland, die Hauptstadt Washington:
Alle hecheln schon seit
Tagen viel zu sehr.
Wer die Wahrheit sucht über
Amerika, wird sie in den Provinzen
finden. In Iowa zum Beispiel gibt es
einen Wahlleiter namens Paul Pate.
Der ist 62 Jahre alt und ein achtbarer
Republikaner, quer durch die
USA hat er sich zum Beispiel für
eine bessere Unterstützung von
Behinderten bei Wahlen eingesetzt.
Pate spricht ein wahres Wort
gelassen aus: „Wahlen sind in diesem
Land kein Spiel, in dem es um
Tempo geht. Es geht um Integrität,
um Sicherheit.“
Genau so ist es. Diesen altmodischen,
aber guten Geist atmen seit
244 Jahren auch die Verfassung
und das Wahlrecht der USA.
Warum wohl soll das 538-köpfige
Wahlleutegremium den Präsidenten
immer erst „am zweiten
Montag nach dem zweiten Mittwoch
im Dezember“ wählen (in
diesem Jahr also am 14. Dezember)
– wo doch dessen Wahl durch die
Menschen in den Bundesstaaten
dann schon sechs Wochen her ist?
Man stößt auf jahrhundertealte
Festlegungen einer gewollten
Langsamkeit. Diese Regeln haben
ihren Sinn, und sie sollten Land
und Leute auch jetzt durchatmen
lassen: Hektik ist in diesem Prozess
ausdrücklich nicht gewollt.
Dies gilt umso mehr in Zeiten
einer Pandemie. Was genau spricht
eigentlich dagegen, verspätet eintreffende
Briefe auszuwerten?
Was derzeit von vielen aus dem
Augenblick heraus als unerträglich
dargestellt wird, liegt durchaus im
Rahmen dessen, was mit dem geltenden
Recht bezweckt ist. Das
Gebot der Stunde lautet jetzt: Nerven
bewahren – und alles ganz in
Ruhe abwarten. Wer wie Trump
aufs Tempo drückt, handelt ganz
und gar unamerikanisch.
Mittwoch, 4. November 2020
Wahl
in den USA
3
Nervenkrieg
in Washington
Der Gouverneur von Florida erklärt Präsident Donald Trump
schon mal kurzerhand zum Sieger. In den Swing States
weiter nördlich kann die Auszählung noch einen Tag
dauern. Droht am Ende juristischer Streit?
Von Karl Doemens
Washington. Drinnen bei der Watch-
Party im East Room des Weißen
Hauses werden Mini-Burger, Chicken-Wings
und Pommes Frites serviert.
Draußen vor dem nördlichen
Zaun um den Lafayette Square machen
sich in einer kalten, klaren
Nacht die ersten Menschen auf den
Heimweg. Mit Plakaten, Lautsprechern
und Trommeln haben sie sich
vor dem Regierungsgebäude versammelt,
um das Ende der vierjährigen
Trump-Präsidentschaft zu feiern.
Doch bald an diesem Wahlabend
zeichnet sich ab, dass mit
einem frühen Ergebnis nicht zu
rechnen ist.
Zwei Stunden, nachdem die
Wahllokale im Osten der USA geschlossen
haben, gibt es durchaus
positive Meldungen für den demokratischen
Präsidentschaftsbewerber
Joe Biden: In den Speckgürteln
der großen Städte und auch unter
weißen Arbeitern hat er nach ersten
Zahlen offenbar besser abgeschnitten
als seine Vorgängerin Hillary
Clinton.
Doch es ist klar, dass der Erdrutschsieg,
von dem manch ein Beobachter
geträumt hatte, eine Fata
Morgana bleibt. Der sogenannte
Sun Belt traditionell konservativer
Staaten im Süden des Landes hat
sich offenbar deutlich weniger von
Donald Trump entfernt, als die Demokraten
dies erhofft und viele Beobachter
vorausgesagt haben.
Viel früher als andere Bundesstaaten
melden die Offiziellen aus
Florida erste Zahlen. Bei Präsidentschaftswahlen
kommt dem Swing
State traditionell eine besondere
Bedeutung zu. Vor vier Jahren hatte
hier Trump gewonnen, doch in den
Umfragen lag seit Wochen Joe Biden
vorne. Ein früher Sieg wäre
nicht nur ein psychlogisch wichtiges
Signal gewesen, sondern auch ein
mächtiger Schlag für die Trump-
Kampagne: Ohne die 29 Wahlmänner
aus Florida gab es für ihn keine
realistische Chance auf eine zweite
Amtszeit.
Joe Biden und Donald Trump haben
sich im Wahlkampf hier mächtig
eingehängt. Am Abend vor der
Wahl hat Ex-Präsident Barack Obama
noch in Miami für seinen ehemaligen
Vizepräsidenten geworben.
Tatsächlich sehen die Zahlen am
Wahlabend zunächst gut für die Demokraten
aus.
Doch anfangs werden vor allem
Briefwahlstimmen ausgewertet. Je
mehr Stimmzettel ausgezählt werden,
die am Wahltag abgegeben
wurden, desto deutlicher zeigt sich,
dass Biden ein Problem hat: Ausgerechnet
in der demokratischen
Hochburg Miami hat der 77-Jährige
Setzt jetzt alle Hoffnung auf den
Rostgürtel: Joe Biden braucht die
Stimmen aus Wisconsin, Michigan
und Pennsylvania zum Sieg.
Foto: Carolyn Kaster/AP
„Floridas Wähler haben sich Gehör
verschafft und dem Präsidenten
einen großen Sieg beschert“: Gouverneur
Ron De Santis verkündet vorzeitig
den Sieger. Foto: C. O’Meara/AP
deutlich schlechter als Hillary Clinton
abgeschnitten. Offenbar punktete
er bei älteren weißen Wählern,
konnte aber die Latinos nicht ausreichend
für sich gewinnen.
Beim rechten Sender Fox kann
Trumps Lieblingsmoderator Tucker
Carlson sein Glück kaum fassen. „In
Florida sollte es eine blaue Welle geben“,
lästert er mit Bezug auf die
Parteifarbe der Demokraten: „Die
Realität sieht wohl ein bisschen anders
aus.“ Tatsächlich kann Trump
sich in der multiethnischen Metropole
Miami verbessern. „Der Präsident,
den sie als Rassisten diffamieren,
kommt besser bei den Latinos
an“, jubiliert Carlson.
Und Floridas republikanischer
Gouverneur Ron DeSantis verkündet
via Twitter schon mal vorzeitig
den Sieger: „Floridas Wähler haben
sich Gehör verschafft und dem Präsidenten
eine GROSSEN SIEG beschert.“
Es ist nicht die einzige Enttäuschung,
die linksliberale Amerikaner
am frühen Abend einstecken
müssen. Kurz darauf wird klar, dass
der republikanische Mehrheitsführer
Mitch McConnell seinen Senatssitz
verteidigt hat. Das ist zwar nicht
wirklich überraschend, aber
McConnell ist als Trumps eiskalter
Vollstrecker und Strippenzieher der
Hauruck-Neubesetzung des Supreme
Courts bei den Demokraten
verhasst wie kaum ein anderer repulikanischer
Parlamentarierer. Sie
haben die aberwitzige Summe von
88 Millionen Dollar investiert, um
die graue Eminenz in den Ruhestand
zu schicken. Dass er in seinem
Heimatstaat Kentucky die Herausforderin
Amy McGrath mit zwölf
Punkten Vorsprung deklassiert, ist
ein echter Stimmungsdämpfer für
die Demokraten.
Was folgt, ist ein Nervenkrimi der
Gruselklasse. Nicht wenige Beobachter
fühlen sich an 2016 erinnert,
als Hillary Clintons Siegeschancen
plötzlich schwanden. Doch die Wahl
ist für Biden keineswegs gelaufen.
Es wird allerdings länger dauern,
bis das Ergebnis feststeht. Unter
normalen Umständen wäre das kein
Problem. Doch angesichts Trumps
Drohung, Stimmen, die nicht am
Wahltag ausgezählt sind, entgegen
der Gesetzeslage nicht zu akzeptieren,
erhöht sich damit das Potenzial
für politische, rechtliche und
schlimmstenfalls auch gewalttätige
Auseinandersetzungen.
Es wäre elegant gewesen, wenn
sich Biden dank der Südstaaten Florida,
North Carolina, Georgia oder
gar Texas früh auf den Spitzenplatz
geschoben und die magische Zahl
von 270 Delegiertenstimmen gesichert
hätte. Daraus wird nichts. Also
muss der Herausforderer wieder zu
Plan A zurück und die Swing States
Wisconsin, Michigan und Pennsylvania
gewinnen – den traditionell
demokratischen Rostgürtel im Mittleren
Westen des Landes also, den
Trump aber 2016 erobert hatte. Die
ersten Zahlen sahen nicht schlecht
aus – bis es zum Morgen wieder sehr
viel enger wurde. Doch werten diese
Staaten die Stimmzettel bei weitem
nicht so schnell aus wie Florida.
Pennsylvania beginnt überhaupt
erst am Wahlabend damit, die Briefstimmen
zu öffnen und zu sortieren.
Drei Tage kann das dauern. In Wisconsin
arbeitet man etwas schneller,
doch mit dem Ergebnis wird auch
hier nicht vor der amerikanischen
Mittwochmorgen – also gegen Mittag
in Deutschland – gerechnet.
Die Amerikaner müssen sich nun
vor allem Geduld haben. In einem
bis in die Fingerspitzen polarisierten
Land ist das keine leichte
Übung.
Der Präsident hat das Weiße Haus zum Wahltag mit einem Extrazaun absichern
lassen – den seine Gegner flugs zur Plakatwand umfunkionieren und damit
gegen Trump protestieren.
Foto: Mike Theiler/imago images
In Kürze
Demokraten halten
Repräsentantenhaus
Washington. Bei der parallel zur
US-Präsidentschaftswahl laufenden
Kongresswahl haben die Demokraten
wie erwartet ihre Mehrheit
im Repräsentantenhaus verteidigt.
Zu diesem Ergebnis kommen
Hochrechnungen des Umfrageinstituts
NEP/Edison. Im Repräsentantenhaus,
das anders als die
Senatskammer komplett zur Abstimmung
steht, halten die Demokraten
bislang 232 der 435 Sitze.
Für die Mehrheit sind 218 Stimmen
nötig. Die gewonnenen und verlorenen
Sitze bei den Demokraten
und Republikanern hielten sich am
Mittwochmorgen die Waage.
Der große Tag
der „Fake News“
Wahlbetrug in Pennsylvania? Ein
gefährliches Gerücht. Foto: AP
Washington. Der umkämpfte US-
Staat Pennsylvania ist am Wahltag
zum Hotspot der Falschinformationen
geworden. Facebook
und Twitter mühten sich, Beiträge
mit falschen Informationen zu
Wahllokalen in Scranton, Philadelphia
und anderen Orten zu löschen
und ihre Verbreitung zu minimieren.
Beiträge mit Falschinformationen
wurden Tausende
Mal in sozialen Netzwerken geteilt
und fanden sogar ihren Weg in
den Twitterfeed von Präsident
Donald Trumps Sohn Donald Jr.
Die Behörden widersprachen ausdrücklich
„unbegründeten Anschuldigungen“,
die behaupteten,
es gebe Wahlbetrug oder Versuche
„die Wahl zu stehlen“. Diese
Falschmeldungen würden auch
von Republikanern und Rechtsextremen
verbreitet.
Junge Transgender
erobert Senatssitz
Dover. Mit der Demokratin Sarah
McBride zieht erstmals eine offen
lebende Transgender-Person in
den Senat eines Staates ein. McBride
bezwang am Dienstag in Delaware
den Republikaner Steve Washington.
Sie hoffe, dass ein junger
LGBTQ-Mensch auf die Ergebnisse
des Wahlabends blicke und wisse,
„dass unsere Demokratie auch
groß genug für sie ist“, erklärte
McBride. LGBTQ ist die englische
Abkürzung für lesbisch, schwul, bisexuell,
transgender und queer.
Unsere Botschaft
nach Washington
ist: Wir wollen
die Brücke über
den Atlantik
erneuern. Wir
werden in unsere
Brückenpfeiler
investieren.
Heiko Maas,
SPD, Bundesaußenminister
Unkritische Gefolgschaft
ist kein guter
Weg, reflexhaftes
Abarbeiten an einem
Zerrbild auch nicht.
Den Westen stark
halten können Amerika
und Europa nur
gemeinsam.
Annegret Kramp-Karrenbauer,
CDU-Vorsitzende
Diese Wahl in den
USA war nicht die
Wahl zwischen
zwei Kandidaten,
sondern eine
Entscheidung
für oder gegen
die Demokratie.
Luisa Neubauer,
Deutsche Fridays-For-Future-
Sprecherin
Wenn aus Washington
nicht mehr ständig
„America first“ über
den Atlantik tönt,
sondern wir wieder zu
einem verträglichen
Miteinander kommen,
dann wäre schon
viel erreicht.
Jean Asselborn,
Außenminister von Luxemburg
Die innenpolitische
Verfassung der USA
hat Auswirkungen auf
ihre internationale
Gestaltungsmacht.
Deshalb ging es auch
um die Zukunft der
Nato.
Norbert Röttgen,
CDU, Vorsitzender des
Auswärtigen Ausschusses
Ich hoffe, dass das
zerrissene Land
zusammenfindet
und wieder ein starker,
verlässlicher Partner
für liberale,
demokratische Werte
und faire Kooperation
im Vertrauen wird.
Annalena Baerbock,
Grünen-Vorsitzende
4 Wahl in den USA Mittwoch, 4. November 2020
Foto: SMG/imago Images
Foto: Olivier Douliery/ap
Das Schreiduell der Kontrahenten
29. September: Die Kommentare danach lasen sich wie Einträge ins
Klassenbuch: Donald Trump ist beleidigend, unterbricht und schreit.
Joe Biden verliert sich in Satzschleifen, vergisst Argumente und lässt
sich unterbuttern. Die erste TV-Debatte war ein lautes, chaotisches
Trauerspiel, unwürdig der ältesten Demokratie der Welt. In der Kategorie
„unwürdig“ war die zweite Runde am 22. Oktober allerdings
nicht viel besser: Damit es nicht wieder zum Schreiwettbewerb kommt
wie im Kindergarten, wurde das Mikrofon des einen von der Moderatorin
immer wieder stummgeschaltet, damit der jeweils andere zwei ungestörte
Minuten Redezeit nutzen konnte. Es ging gesitteter zu. Fazit:
Trump war angriffslustig und persönlich, Biden hinterließ den präsidialeren
Eindruck, beide Debatten blieben fakten- und informationsarm.
Der Weg ins
Foto: Evan Vucci/AP/dpa
Der amerikanische
Patient
3. Oktober: Lange hat er die
Pandemie verharmlost. Dann
hat Corona den Präsidenten
selbst erwischt. Er ist, auch
dank eines experimentellen
Antikörper-Cocktail, schnell genesen
und lässt sich noch in der
Klinik beim Arbeiten fotografieren:
„Ich fühle mich so stark wie
nie.“ Covid-19 sei halb so wild.
Die Familien von gut 230 000
Corona-Toten in den USA sehen
das anders.
Foto: Matt Slocum/AP/dpa
Schlagabtausch
der Vizekandidaten
7. Oktober: Es war der Moment, den die
Demokraten fürchteten. Würde Kamala
Harris, Senatorin, Juristin und auserkorene
Vize Joe Bidens, sich beherrschen
können? Ihre frühere Bewerbung als
Spitzenkandidatin hatten vor allem
Männer als aggressiv empfunden. In der
TV-Debatte mit Vizepräsident Mike
Pence aber trat die einzige Frau und
Schwarze im Rennen sachlich und exzellent
vorbereitet auf. Ihr Gegenüber auch.
Dann kam Obama doch noch
21. Oktober: Im Vorwahlkampf soll Joe Bidens
einstiger Chef seine Demokraten gewarnt haben:
„Unterschätzt bloß nicht Joes Fähigkeit,
die Dinge zu versauen.“ Jeder wusste, worauf
Barack Obama anspielte: Auf Bidens Talent, im
richtigen Moment vergeblich das richtige Wort
zu suchen. Trotzdem hält Obama große Stücke
auf seinen einstigen Vize und „Freund Joe“.
Und so brachte er in Philadelphia gegen Ende
des Wahlkampfes seine größte Stärke, seine
Anziehungskraft auf junge und schwarze Wähler,
doch noch auf öffentlicher Bühne ins Spiel.
Mit Gespür für den richtigen Moment.
Oval Office
Foto: Patrick Semansky/AP/dpa
Foto: Morry Gash/imago images
Selten zuvor hat ein Wahlkampf
die Amerikaner so sehr entzweit
wie in diesem Jahr: Donald Trump
polarisierte so sehr, dass sich schon
frühzeitig ganze Massen zu den
Briefwahllokalen aufmachten –
die einen wollten dem Republikaner
eine weitere Amtszeit sichern,
die anderen einen neuen Mann
ins Weiße Haus setzen: Joe Biden.
Der Wahlkampf in Bildern.
Im Namen
des Herrn?
1. Juni: Ein Präsident und eine Bibel,
ein Bild, das nicht ungewöhnlich
ist in den USA. Dieses
Foto aber verstörte viele. Als
Zehntausende im Land gegen die
Tötung des Schwarzen George
Floyd durch einen Polizisten, der
minutenlang auf seinem Hals
kniete, protestierten, zog Trump
sich in seinen Bunker zurück. Um
dann aber doch Stärke zu zeigen,
ließ er den Lafayette Square
in Washington gewaltsam räumen,
spazierte über den Platz zur
St.-Johns-Kirche – und posierte
mit einer Bibel, die seine Tochter
Ivanka ihm zugesteckt hatte.
Kandidat auf Abstand
5. Oktober: Rücksicht aus Verantwortung – das war die
Botschaft, die Ex-Vizepräsident Joe Biden mit einem extrem
zurückhaltenden Wahlkampf und konsequentem
Maskentragen bis zum Schluss aussenden wollte. Der
Großteil der von Covid-19 in verheerendem Maße getroffenen
Amerikaner nahm es mit Respekt zur Kenntnis. Allerdings
ist der ohnehin wenig mitreißende Biden dadurch
auch für viele gesichtslos geblieben.
Foto: Andrew Harnik/AP/dpa
Raus zum Wählen!
Masse ohne Maske: Trumps
Großveranstaltungen
18. Juni: Covid-19 oder „Kung flu“, wie Trump
die Cornoa-Epidemie wegen ihres Ursprungs
in China gern nennt, ist kein Problem. Jedenfalls
nicht in den Augen des 45. Präsidenten.
Viele seiner Wahlkampfevents wie hier in Orlando
hielten Trump und Tausende Anhänger
ohne Masken und Abstand ab. Zum
Superspreader-Ereignis wurde offenbar die
Vorstellung seiner Kandidatin für den Supreme
Court, Amy Coney Barrett, im Rosengarten
vor dem Weißen Haus Ende September.
Die Gäste blieben masken- und distanzlos.
Corona zog ein ins Weiße Haus.
29. Oktober: Ein Rekord ist früh gefallen: Fünf
Tage vor dem eigentlichen Wahltag hatten bereits
mehr als 80 Millionen Amerikaner beim
„early voting“ ihre Stimme abgegeben – und
damit den Weg freigemacht für die höchste
Wahlbeteiligung seit mehr als einem Jahrhundert.
Das Rekordtempo der Frühwähler – deren
Zahl allein schon weit mehr als die Hälfte
der Wähler 2016 ausmachte – hat zweierlei bewiesen:
das enorme Interesse an der Entscheidung
und (zusammen mit der großen Zahl an
Briefwählern) die Angst vor einer Corona-Infizierung
in einem überfüllten Wahllokal.
Foto: Ashlee Rezin Garcia/Chicago Sun-Times/AP