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West-Ostalpen Challenge mit Ténéré 700

Motorradreise von den Westalpen über den Ligurischen Grenzkamm nach Venetien.

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C O R O N A - T R A N S A L P

West-Ostalpen-

Challenge

Die Via del Sale!

Der Ausblick reicht von

vielen Stellen bis zum Meer.

Hier am Rifugio Grai, unten

der Lago di Tenarda.

Die Alta Via führt zum

bewirteten Rifugio Allavena

Melosa, wo man sich

mit Kuchen und Speisen

in einfacher Atmosphäre

verwöhnen lassen kann.

V O N M A R K U S G O L L E T Z

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Meeting am Col d’Izoard:

Berge, soweit das Auge

reicht an der Route des

Grandes Alpes

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Nummer 3 der

Alpen-Highlights:

Colle dell’Agnello

zwischen Piemont

und den Alpes

Côte d’Azur

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Etwas Eile ist geboten: Zwischen den Corona-Lockdowns im

Sommer 2020 habe ich die Gelegenheit, einen Alpencross der

besonderen Art zu unternehmen: Mit einer brandneuen Ténéré

700 mache ich eine Reise, um Vertrautes in den Westalpen zu

besuchen und Neues in den Ostalpen zu suchen.

Corona &

overtourism

entfliehen

Vermummtes, internationales Publikum im Hambacher

Forst: Die Forstbesetzer:innen sind meist sehr konspirativ

und haben sich feste Pfade im geliebten Hambi

eingerichtet. Als Neugieriger werde ich skeptisch beäugt, kann

mir aber endlich ein Bild machen. Den Tagebau sehe ich in diesen

Ausmaßen zum ersten Mal: Hier und bei Garzweiler gibt es

die größten Löcher des Rheinischen Reviers, sogar ganz Deutschlands,

zu sehen, der Flächenverbrauch ist immens. So konnte man

sich nicht vorstellen, dass einmal auch 900 Jahre

alte Dörfer wie Buir in das Visier der Braunkohlebagger

rücken würden. Kirchen wurden entweiht,

Schaufelbagger rückten beängstigend nahe, das

alles brachte neben direkt betroffenen Anrainern

auch Klimaschützer:innen und Fridays-for-Future-Aktivist:innen

auf den Plan. Ausgerechnet

eine Fledermauspopulation brachte vorerst die

Bagger zum Stillstand, doch der Disput zwischen

Arbeiter:innen, Aktivist:innen und Energieriesen

ist nur temporär befriedet. So ist die Stimmung

unter den Besetzer:innen als eher vorsichtig optimistisch zu beschreiben.

Ich trolle mich wieder und denke, dass mein Verbrenner wenigstens

einen halbwegs geringen Verbrauch hat. Dann starte ich

durch in die Vogesen.

Majestätische Phalanx

mit Monviso-Panorama:

königliches Wetter in den

Cottischen Alpen

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Nur für

Wandersleut:

Alte Kasernen

am Monte Frontè.

Was für ein

Panorama!

Legal Motorradfahren, wo es schön ist?

Zwischen Bitche und Zinswiller ist das Elsass, wie ich es mir

vorstelle: kurvig, grün und angenehm ruhig. Der Campingplatz

am Etang von Hanau passt voll in diese Kategorie. Ich habe große

Fahrlust, und so bin ich bei Hagenau schnell wieder aus dem grünen

Dschungel raus und peile das weithin sichtbare Münster von

Strasbourg an. Bei Gerstheim verschlägt es mich auf eine erstaunlich

gute Alternative zur langweiligen Rheintalautobahn A5: Direkt

am Rhein verläuft die gut ausgebauten Departments-Straßen 52

oder 20, die mich flott zur Vauban-Festungsstadt von Neuf-Breisach

führen.

In Basel nehme ich mit einem Freund eine leckere Stärkung ein.

Die muss reichen für die gesamte Rest-Schweiz bis zum Großen-

St.-Bernhard-Pass. Ab Martigny macht sich ein Gewitter bemerkbar,

ich schenke mir den Aufenthalt auf dem abgelegenen Cammotorradreisefuehrer.de

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Galleria del Garezzo:

Über den Wolken nach

Ligurien hinunter

pingplatz von La Fouly am Mont-Blanc-Massiv, habe dafür aber

noch ein paar Pässe vor mir: Durch die Wolken schrauben Ténéré

8° C in der

Nacht im

Hochsommer

und ich sich den Großen Sankt Bernhard hinauf. Der ist immer wieder

ein Erlebnis – auch bei Regen. Langsam, wegen der Feuchtigkeit,

rollen die T7 und ich auf der italienischen

Seite hinunter. Bei diesem Wetter

fahren die meisten Menschen durch den

Sankt-Bernhard-Tunnel …

In einer kleinen Schäferei kaufe ich

Leckereien ein, alles Weitere wird bei Gewitterstimmung

und 27° C am Abend in

Aosta ergänzt. Noch weiterfahren? Gut

700 km stehen schon auf dem Tageskilometerzähler.

Okay, – bis zum letzten Licht über Colle San Carlo

(1951 m), den kleinen Sankt Bernhard (2188 m) und hinauf zum

Cormet de Roselend (1968 m).

Die erste Nacht auf fast 2000 Metern ist kalt im neuen Wechsel-

Zelt. Doch der stahlblaue Himmel im Hochgebirge am Morgen ist

so beeindruckend, dass ich mir einfach Zeit nehmen muss. Die T7

kann warten, ich gehe auf Gletscher-Suche und folge dem Ziegenglocken-Gebimmel

bis zur Chèvrerie des Chapieux, einem Hirtenladen

mit dem leckeren Beaufort-Käse.

Der Zeltplatz ist gratis: der Natur zuliebe

Im Hochsommer sind eine Menge Wohnmobile auf dem kostenlosen

Aire-Naturelle-Campingplatz von Les Chapieux. Das ist eigentlich

nicht im Sinne des Erfinders, aber es ist so. Die Gletscherfahrt

auf eigener Achse ist in der Saison zwischen 4.7. und 22.8. in

das Valle des Glaciers verboten. Dafür pendelt der Umwelt zuliebe

und für kleines Geld ein Shuttlebus.

Leider habe ich es verpasst rechtzeitig zu tanken, daher mach

ich einen Umweg über Beaufort, ehe es hinauf geht zum Cormet

d’Arêchs. Die frühe Spritwarnung der T7 ist ein Ärgernis, besonders,

wenn man sie noch nicht kennt. Auf dem geschotterten Cormet

befindet sich ein saisonal geöffnetes Rifugio, das wegen seiner

Lage an der Schotterpiste nur mäßig frequentiert wird. Im Refuge

de la Coire stärke ich mich für kleines Geld, ehe es ab hier etwas

steiler stetig bergab geht durch ein von zahlreichen Alpwirtschaften

genutztes Hochtal. Das Gebimmel der Kuhglocken verfolgt

mich noch lange, beinahe bis zum nächsten Pass.

Route des Grandes Alpes: wird nur gekreuzt

Der Col de la Madeleine (1993 m) wirft seine Schatten voraus. Er

hat eine wunderschöne Anfahrt und liegt auf einem sonnigen Plateau.

Es folgt der Col du Galibier und später die Anfahrt zum Col

du Granon, so nähere ich mich über die Crème de la Crème der

Französischen Westalpenpässe meinen Freunden, die ein Chalet in

der Nähe von Briançon am Col du Granon gemietet haben. An der

Nord rampe des Galibiers liegt der Col de Rochilles, mit dem ich

noch eine alte Rechnung offen habe. Auch diesmal fahre ich vorbei,

keine Zeit für eine schöne Enduro-Eskapade.

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Col d’Izoard, Château Queyras,

dann begleiten mich

meine Freunde noch auf

die lange Rampe des Colle

dell’Agnello, auf dessen

Kamm der sage und

schreibe 3841 Meter hohe

Monviso, höchster Berg

weit und breit, seine Dominanz

versprüht. Der dem

Paramount ähnliche Gipfel

zieht selbst an warmen Tagen

wie diesen gerne die Wolken an,

sodass wir für einen Cappuccino

Am Colle Valcavera:

in Chianale noch einmal gemein-

Kurz vor Sonnen -

sam in den Genuss der steilen Südrampe

nen Kalksteinsäulen der Rocca la Meja entlang, bevor ich am über

untergang zur blauen

Größen- und

kommen. In der Gegend könnte man sich eine

2400 Meter hohen Valcavera-Halbpass tief hinunter ins Tal blicken

Stunde

Gewichtsvergleich:

ganze Woche aufhalten, was hilfts, nach der Verabschie-

kann. Die Schranke am Valcavera ist zerstört und damit offen, und

Ténéré-Ein- und

dung meiner Freunde im Varaita-Tal geht es gleich wieder hinauf

so lass ich die Ténéré einfach runterrollen durch das einsame Val-

Zweizylinder an der

zum Colle di Sampèyre. Oben treffe ich einen greisen GS-100-Fah-

lone dell’Arma. Reste von Graffiti des letzten Giro d’Italia (ja, der

Bassa di Sanson

rer, der heute noch (!) auf dem Col de la Bonette übernachten will.

hat tatsächlich im Oktober stattgefunden) sind hier und da noch

Ich tingele vom atemberaubenden (und seit Jahren wegen Fels-

zu erkennen, dann lege ich einen Einkehrschwung im Locanda Lou

sturz gesperrten) Elvatal ins Mairatal, statte meinem Lieblings-

Stau ein.

Campingplatz Lou Dahu einen Besuch ab (dort gab es einen Be-

Italien ist stark gebeutelt von korrupten Eigeninteressen der

sitzerwechsel) und schlage in Erwartung, dass es klappt, den Weg

Politik, von der Corona-Pandemie und Anfang Oktober noch von

nach Preit zur Gardetta-Hochebene ein. Tatsächlich gibt es dort

den Sturmtiefs Alex und Brigitte, die verehrend heftige Unwetter

neuerdings für die Ferragosto-Zeit einer Sperrung, die durch eine

in die Seealpen brachten und eine Schneise der Zerstörung hinter

automatische Schranke untermauert wird (zwischen 4. Juli und 15.

sich zogen.

September an Wochenenden, generell nachts zwischen 21 und 5 Uhr,

Es ist viel passiert dort oben: Es wurde planiert, aufgeräumt, ein

sowie an allen Tagen zwischen 10. und 20. August).

Mautsystem eingeführt, und das Sturmtief hat große Vermurun-

Es ist Sommer auf der Maira-Stura-Kammstraße, ich fahre

gen gerissen, den halben Neubau des Tendetunnels zerstört. Im

nahe am Rif. Gardetta vorbei uns schätze mich glücklich, dass ich

Royatal sind kaum Brücken heil geblieben, nur einige alte Teufels-

legal weiter ins Sturatal fahren kann, die traumhafte Hochebene

brücken haben standgehalten. Die Spur der Verwüstung zieht sich

durchqueren darf, ohne jemanden zu stören.

hauptsächlich durch die oberen Läufe der Valle Vermenagna und

Am Colle Margherina stehen wieder ein paar Schilder, auf denen

des Royatals. Es bleibt unklar, wie der Saisonstart 2021 verlaufen

alles erklärt ist, dann gleiten die T7 und ich unterhalb der erhabe-

wird. Das alles ist deutlich zu spüren, doch irgendwie zeigen die Li-

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Balcone di Marta:

Sanfte Hügelketten

fallen allmählich

zum Mittelmeer ab.

Mittendrin die

Clue de la Bendola.

gurer Langmut und versuchen, den Alltag so positiv wir nur möglich

zu sehen.

Bei La Brigue und dem Colle Sanson kreuze ich den Grenzkamm

und treffe prompt italienische Ténéristi. Wir stellen den Einzylinder

und die T7 nebeneinander und bemerken, dass gewichtsmäßig

kaum ein Unterschied besteht. Erstaunlich, wie gut die T7 doch geworden

ist.

Nach der turbulenten Anreise kehrt nun Ruhe ein. In den Touristen-Gebieten,

an den warmen Wogen des Mittelmeers, ist von

der Pandemie allen Unkenrufen zum Trotz nicht so viel zu spüren.

Mir ist es sogar eher zu belebt, sodass ich mir ruhige Plätze an den

Badegumpen im Hinterland suche. Ich kümmere mich etwas ums

Motorrad und mich selbst, und dann steht dem Besuch der Via del

Sale, auch bekannt als Ligurischer Grenzkamm, nichts im Wege.

Ligurischer

Grenzkamm im

Sommer

Die Temperaturen sind

hoch, es ist ein Mittwoch

und ich rufe vorsichtshalber

einen der LGKS-Kontrollposten

an: Ja, es sind noch

Tickets frei, aber es ist voll im

August 2020, schreibt mir Gianni.

Endlich mal ohne Gepäck

unterwegs und da bewegt sich die

T7 doch leichtfüßiger. Das ABS schalte

ich nicht aus, denn es ist wirklich gut abgestimmt

und stört kaum beim bergab fahren.

Der Abschnitt gilt mittlerweile als einer der schwersten,

aber wer weiß, was noch kommen sollte ...

Der Passo Tanarello ist im südlichen Teil der LGKS noch eine

Herausforderung, dann wird es einfacher bis zum Kontrollposten

im oberen Ùpega-Tal. Das Tal ist besonders, da mit Alpenrosen,

Lärchen und ausgedehnten Wiesenmatten gesegnet.

Giannis Warnung ist mir gut im Gehör, die Strecke ist gut frequentiert

und hinter jeder Kurve können Gruppen von Fahrern verschiedenster

Nationalität lauern. 2020 wurden die Tickets für die

Fahrradcamp

der Kids unter der

Cima di Marta

Wettergegerbt:

Straßenschilder an

der Alta Via del Sale

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Befahrung des nördlichen Teils der

Ich überlege lange und fahre dann vorsichtig los. Heute bin ich

LGKS in den Sommer monaten

ohne Gepäck und mit Crossstiefeln unterwegs, endlich mal ideale

erstmals knapp, die Organi-

Voraussetzungen für einen Essay. Nur bin ich leider allein.

sierten kaufen langfristig alles

Ein alter Mann kommt mir auf einem steinigen Abschnitt ent-

weg, was es extrem schwierig

gegen, ich überlege das erste Mal umzudrehen. Dann dieser Aus-

macht für Solo-Selbstfahrer,

blick ...

noch eine Passage zu ergat-

Am Monte Frontè, 2 km hinter dem alten Rif. San Remo, muss

tern. Ich zahle also mein Salär

ich absteigen und den Weg ausgiebig zu Fuß inspizieren. Unter mir

und fahre weiter, die T7 fühlt

liegen ruinösen Kasernen-Gebäude und die Gegend ist einfach

sich wohl in ihrem proprietär

wundervoll. Ich werde es wagen! Transpiration, Schweißbildung

angestammten Geläuf.

auf der Stirne, dann nehme ich die steile Passage mit der T7 ihn

Am Rifugio Don Barbera steht

Angriff. Kein Aufsetzen, gut dosierbar fährt die 200-kg-Fuhre ein-

eine Kolonne 4×4-SUVs, die par-

fach gutmütig drüber. Um es kurz zu machen, man ist irgendwann

ken alles zu. Neu ist eine Art Parkplatz

am höchsten Punkt, der Weg bleibt schmal und steinig, sehr stei-

hier oben, und zum Rifugio ist die Abfahrt

nig, große Steine ... Ein Ausblick jagt den nächsten, und schließlich

Danke!

gesperrt. Der Rifugio-Wirt ist ganz entspannt,

geht es nur noch auf dem geschotterten Trail entlang von Kuhwei-

Kaffee-

aber irgendwie wirkt die italienische Hauptsaison

den stetig bergab zum Scheiteltunnel des Garezzo. Hochzufrieden,

Monte-Tomba-

bereitung unter

etwas befremdlich. Auch der touristisch-motorisierte Hype, dem

mit nass geschwitztem Hemd und intaktem Motorrad rolle ich auf

Impressionen:

Hüttenbedingungen

ich ja selbst angehöre. Vermutlich ist das der Corona-Pandemie

MT-Biking mit

und der nun neu geweckten Lebensfreude geschuldet. Gianni sagt

Scooterbegleitung

mir noch, ich solle besser in der Nachsaison im September kommen,

2020 ist es einfach fürchterlich voll im Sommer.

Ich drehe um und fahre am Monte Saccarello zum neuen Rifugio

La Terza, für mich und die Ténéré der Tipp abseits der Tour. Es

ist einfach schön hier abseits des Trubels, und die Anfahrt entlang

des Monte Saccarello auf dem schmalen Kamm entlang ist heute

gespenstisch von durchwabernden Wolken durchzogen. Die Neueröffnung

des Rifugios scheint gelungen, und ich komme mit dem

neuen Gestore, dem Wirt, ins Gespräch. Ob man denn von hier dem

Weg weiter folgen könne zum Colle del Garezzo? Der ist Luft linie

nur 5 km entfernt. Der Weg beginnt mit groben Steinen, sieht aber

fahrbar aus. Der Wirt, der auch den Eindruck macht, als verstünde

er etwas davon, antwortet mir, dass der Weg für Motorräder

›machbar‹ sei. Am Monte Frontè solle ich aber unbedingt scharf

rechts hoch abbiegen!

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den Sträßchen des ligurischen Hinderlandes zurück nach Triora

und Apricale. Da lässt es sich gut aushalten.

Es kommt der Tag, an dem die Ténéré und ich die Alpenseite

wechseln müssen, ich habe das bei den konstanten 36° C herausgezögert,

nun ist es soweit. Am Freitag will ich einen Stopp einlegen

im Parco naturale delle Capanne di Marcarolo, durch den das

Flüsschen Gorzente fließt. Der Park liegt im äußersten südlichen

Zipfel des Piemonts, das überall an Ligurien grenzt. Hier findet

man eine wunderbare Ansammlung von kleinen Straßen, Furten

und Badegumpen. Nach dem obligatorischen Bad im Fluss breche

ich am nächsten Tag vor Sonnenaufgang auf, um der Hitze der Po-

Ebene zu entgehen.

»Die Po-Ebene zieht regelmäßig den Fluch

der Biker auf sich – weil sich niemand Muße

und Zeit nimmt.«

Die Po-Ebene? Besser nicht ausführlich zu dieser Jahreszeit. Wer

aber Zeit hat, sollte sich die Wiege der lombardischen Kultur etwas

genauer ansehen (s. Literaturtipp unten). Bei fast 40° C ist sie meist

kein Vergnügen auf dem Motorrad. Die Padania ist schlechterdings

berühmt-berüchtigt wegen Hitze, Mücken oder Nebel, aber auch

wegen ihrer 100 Städte, die ein sattes Welterbe-Angebot bieten.

»Das ist die

Lagune von

Venezia!«

Bergamo, Vò – Ortsnamen fliegen am mir vorbei, die man mit

dem Beginn der Corona-Pandemie im Februar

eng in Verbindung bringt. Am Paragliding Relais

Garden Hotel unterhalb des Monte Grappa

lege ich eine Pause ein, danach beginnt das

Abenteuer an den 100 Kurven des geschichtsträchtigen

Monte Grappa: Die Aufwärtswinde

ziehen Paraglider (oder Parapendisti, wie sie

hier heißen) an, und die Straßen des südlichen

Alpenrandes sind eine einzige Panoramastrecke.

An der Trattoria da Miet nahe des Monte Tomba muss ich

eine Pause einlegen. Als mir dort jemand die Hand schüttelt, bekomme

ich fast einen Corona-Schock, so abwegig erscheint die

sonst so alltägliche Geste. Weiter surfe ich immer der letzten Reihe

Berge entlang, bis die sanften Hügel des Prosecco-Gebietes in

südöstlicher Richtung auftauchen. Wo der feinperlige Still- und

Schaumwein wächst, mache ich mich allmählich auf die Schlafplatzsuche.

Hinter dem schön gelegenen Rifugio Poser Puner steigt die

Piste weiter leicht an, und ich entdecke ein Bivacco in einem restaurierten

Kasernen-Gebäude. Wie ich später herausbekommen

sollte, gibt es an meiner Route noch eine weit komfortablere

Unterkunft: Die Malga Mont auf der Bergkuppe hat einen

Biwakraum zu bieten, den mir am nächsten Morgen bei einem

prima colazione der Wirt präsentiert. Es ist ein Traum hier oben,

und die Malga-Wirtin bereitet mir einen Cappuccino auf dem

Herd mit von Hand aufgeschäumter Milch. Dass das Frühstück

samt selbstgebackenem Kuchen dann auch nur 4,50 kostet, ist

ebenfalls normal in Italien. Ich wusste, dass mir Italien fehlt.

In den sanften

Hügeln des

Prosecco-Gebietes

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Routeninfo

»Da hinten«, sagt mir der Rifugio-Wirt

und zeigt mit dem Zeigefinger

aufs Meer, »kannst du

es erkennen? Das ist die Lagune

von Venezia!«

Es ist eine Kammstraße, fast

ein Wanderweg, und trotzdem

kommt mir eine Gruppe Allradler

entgegen, dann wieder

kleine Gruppen von wandernden

Familien. Alle grüßen sich hier

koexistenziell, man genießt einfach

gemeinsam den schönen Tag – eine

Situation, die in Deutschland auf einer Ge-

Einbahn-

birgswiese nicht so einfach vorstellbar wäre.

Hängebrücke am

Ich checke hier oben noch etwas rum, schaue mir

Lago di Barcis,

in den Vorgebirgen der Belluneser Dolomiten den Passo di San

Ténéré, Autor

Boldo und das ländliche Nevegal an. Ab und zu noch einen

Route UMaps: http://u.osmfr.

Hotel Draconerium (Dronero)

›Paragliding-Gipfel‹, von denen es in der Gegend am südlichen

org/m/524801/

ORP Lebensmittel (Camporosso)

Alpenrand zahlreiche (wie den Col Visentin) gibt.

Vogesen, Basel, Aosta, Briancon,

Rifugio Meira Garneri (Sampèyre)

Nach Belluno im Cadore-Tal beginnt eine andere Welt. Das Friu-

Provinz von Cuneo, Roiatal, Apricale,

Relais Garden Hotel (Bassano del

li hat begonnen, am geschichtsträchtigen Stausee von Longarone,

Gorzente, Monte Grappa, Monte

Grappa)

und ich muss langsam Kurs auf meinen letzten Campingplatz der

Tomba, Barcis, Tagliamento, Villach

Reise setzen: Der Camping Bresin bei Cimolais ist sehr schön gele-

Literatur

Paolo Rumiz: Die Seele des

genen. Von hier kann ich kleine Ausflüge in den Wintersportort Pi-

Camping Camping Les Chapieux,

Flusses – Abenteuerliche

ancavallo und an den Gestaden des türkisblauen Stausee von Barcis

L’Epicerie des Chapieux

Flussbefahrung (2018) des Po, von der

unternehmen, ehe ich mich am nächsten Tag auf nach Villach zum

Camping delle Rose Isolabona

Mündung bis zum Delta. Zahlreiche

Autozug mache. Dort treffen immer mehr T7-Fahrer:innen ein, ein

Camping Bresin Cimolais

interessante Plätze leiten sich aus der

Fest für die Freunde der Rally-Enduros, und das beschert uns gute

Baita Rio Gorzente

Lektüre ab.

Gespräche auf der Rückfahrt nach Düsseldorf.

Essen & Unterkunft

Videos Adventourist: Erste

Epilog: Ich bin zweimal kostenpflichtig mit dem Motorrad geblitzt

Rifugio La Terza (Monte Saccarello)

Enduroalpentour mit der Entfield

worden, einmal in den Vogesen, einmal im Friaul. Die Schonzeit für

Locanda Lou Stau (Vallone dell’Arma)

Himalayan und Abenteuer-Westalpen

Biker scheint vorbei, denn die Tickets werden, teils mit Bild, zuge-

Lou Pitavin (Marmora)

(Westalpentour 2020)

stellt.

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