Der Ebay-Engel
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Der ökumenische Ebay-Kleinanzeigen-Engel im Bremer
Fernsehgottesdienst am Heiligabend.
Der Engel, von dem ich heute erzähle, ist 13 cm groß, aus leichtem Tannenholz
geschnitzt, 110 Jahre alt, und er hat schon eine bewegte Geschichte hinter sich.
Auch wenn seine Geschichte in Bremen und umzu gerade jetzt erst beginnt.
Denn vom Internet beflügelt, kam er am Nikolaustag hier an - für einen
Fernsehauftritt im Dritten am Heiligabend, aber nicht nur!
Schöne Flügel hat der Engel. Man kann sie abnehmen. Und die Züge in seinem
fein geschnitzten Gesicht sind weder deutlich männlich noch weiblich.
In der Weihnachtszeit schwebt er – von einer winzigen Schraube am Rücken
gehalten – über einem geschnitzten Holzstall. 16 bekannte Figuren umgeben
ihn dort: Maria, Josef, das Jesuskind, die Hirten, die Weisen, einige Schafe, der
Ochse und der Esel. Und eine ganze Reihe feiner Zäune für die Tiere aus
Weidenholz. Das sind die „Hürden“ von denen in der Weihnachtsgeschichte bei
Lukas die Rede ist.
Friedel Reuter hat die ganze Gruppe und den Stall geschnitzt. Er war kein
Bildhauer, sondern ein Werkzeugmacher im Bergischen Land Anfang des
letzten Jahrhunderts. An ihm ist ein Künstler verloren gegangen, denn
sie hat eine eigentümliche Ausstrahlung, diese Krippe. Man kann sich in ihrem
Anblick verlieren und in fast meditative Stimmung geraten.
Friedel Reuter war katholisch, und in seiner Gemeinde wusste man von seinem
Talent. So bat man ihn 1910, eine Holzkrippe für die Kirche zu schnitzen.
So fein wie die Figuren alle geworden sind, hat er sicher viele Wochen oder
Monate mit ganzer Liebe und Hingabe daran gearbeitet.
Jahrzehntelang stand die Krippe als Leihgabe in der Gemeinde St. Martinus in
Nettesheim. Menschen standen vor ihr, die den ersten Weltkrieg erlitten
haben, aber auch die schwere Wirtschaftskrise der 20er und 30er Jahre, die
Nazi-Diktatur und den zweiten Weltkrieg.
Was mag es für sie in diesen schweren Jahren bedeutet haben, für einen
Moment in diese stille und schöne Stimmung von Liebe, Hoffnung und
Harmonie einzutauchen.
Als der alte Pfarrer Johannes Brendgen Mitte der 90er Jahre in Ruhestand ging,
gab er die Leihgabe der Familie Reuter zurück. Der Künstler und Uropa war
längst verstorben. Die Familie hatte auch schon eine andere Krippe von ihm.
Sie hingen zwar auch an der Kirchenkrippe, aber fanden es einfach zu schade,
dass die Kunst von Friedel Reuter jahrelang ungesehen in einem Karton lagerte.
Sie beschlossen, dass Engel und Krippe ein neues Wirkungsfeld finden sollten.
Nun suchten wir für unseren Fernsehgottesdienst im Dom am Heiligabend noch
eine hübsche Krippe – mit allem Zipp und Zapp – und waren bisher nur bis Zipp
fündig geworden. Irgendetwas fehlte immer noch.
Am Freitag Abend vor Nikolaus hatte ich dann auf der Fahrt nach Hause eine
zündende Idee. Ich liebe schöne, alte Dinge und kaufe vieles second hand im
Internet. Warum nicht mal gucken, ob es da auch schöne Krippen gäbe?
So verbrachte ich den Abend forschend auf Ebay-Kleinanzeigen.
Dort entdeckte ich irgendwann die Reuter-Krippe und war sofort fasziniert von
ihrem Ausdruck, ihrem Alter und ihrer Geschichte. Ich hinterließ der Familie auf
ebay-Kleinanzeigen eine Nachricht mit meiner Telefonnummer. Noch am
selben Abend meldete sich der Urenkel von Friedel Reuter bei mir telefonisch.
Ich freute mich, dass die Krippe noch zu haben war, und der Urenkel freute
sich, dass jemand so begeistert von der Kunst des Urgroßvaters war. Wir sind
uns schnell einig geworden, und am Nikolaustag habe ich die Krippe abgeholt.
Am Heiligabend wird sie im Fernsehen zu sehen sein, wenn wir im Dritten
Programm einen ökumenischen Gottesdienst aus dem Bremer Dom senden.
Der Weihnachtsengel von Friedel Reuter, der lange Jahre in einer katholischen
Kirche wohnte, wird dann in einer evangelischen Kirche über seiner Krippe
schweben und ganz wunderbar in diese ökumenische Weihnachtsfeier passen.
Und nach dem Gottesdienst zieht er in ein evangelisches Pfarrhaus um, denn
weil ich die Krippe so wunderschön fand, hat sie mir mein Mann
kurzentschlossen zu Nikolaus geschenkt.