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Inhaltsverzeichnis
Vorwort.............................................................................................................................3
Einleitung..........................................................................................................................4
Der Anfang......................................................................................................................5
Die ersten Tage...............................................................................................................8
Lillimelitta.....................................................................................................................11
Rivella..............................................................................................................................13
Berührung.....................................................................................................................15
Abschiede.......................................................................................................................17
Innerhalb von Mauern,Vorwort............................................................................22
Innerhalb von Mauern...........................................................................................22
Der zweite Tag.........................................................................................................25
Der dritte Tag..........................................................................................................28
Der letzte Tag...........................................................................................................33
Erneute Abberufung und innerhalb von Mauern..........................................36
Ein Pflegefall.............................................................................................................39
Die Fälschung............................................................................................................41
Der letzte Tag...........................................................................................................44
Ein neues Heim........................................................................................................46
Intermezzo.................................................................................................................49
Glücklicher Juli............................................................................................................54
Taragita.......................................................................................................................56
Ein lauer Sommerabend......................................................................................58
Ein besonders schöner Tag..................................................................................64
Die Genesung............................................................................................................68
Glücksmomente.......................................................................................................69
Blumen für Rivella................................................................................................71
Der Herbst hält Einzug...........................................................................................74
Ansbach, A.D. 1. September 1457................................................................76
Ansbach, A.D. 9. September 1457................................................................77
Ansbach, A.D. 11. September 1457.............................................................77
Der Reinfall..............................................................................................................78
Ansbach, A.D. 23. September 1457.............................................................79
Ansbach, A.D. 25. September 1457.............................................................82
Ansbach, A.D. 26. September 1457.............................................................82
Eichstätt im Oktober 1457..............................................................................83
Passau, Oktober 1457........................................................................................84
Passau im November 1457...............................................................................85
Das Ende.......................................................................................................................88
Dezember 1457.....................................................................................................88
Januar 1458, das Nachtlager..........................................................................89
Vorwort
Dieser Bericht ist entstanden, weil mir zufällig ein paar Manuskripte,
Notizen und ein umfangreiches Tagebuch in die Hände gespielt worden
sind. Vieles war unvollständig und ein heilloses Durcheinander, welches
ich hiermit zusammengefügt, geordnet und als Erzählung nieder
geschrieben habe. Irgendwann habe ich den, der Bit genannt wurde,
auch persönlich kennengelernt.
Simplicius von Blankstein, A.D. Im Juni 1458
3
Einleitung
Wie habt ihr ihn euch vorzustellen, den der im Mai in
Ansbach 1457 auftauchte, der dann nur Bit genannt
wurde?
Bit ist weder ein Riese, noch ein Zwerg, weder ein
Adonis, noch ein Gnom. Er ist eigentlich ein lustiger
Geselle, meist zu Späßen aufgelegt, spielt gerne mit
Worten und mit vielen anderen Dingen. Er lächelt jeder und jedem
freundlich zu. Alle behandelt er mit Respekt und Höflichkeit ohne
Ansehen der Person.
Für alle hat er ein offenes Ohr und Herz, hilft allen so gut er kann.
Er ist kräftig gebaut und kann zupacken, wenn er will. Manchmal ist
er ganz still und nachdenklich, dann wieder lebhaft und redend.
Er hat ein fast ovales Gesicht aus denen, zwei graublaue Augen, die
mit gelben, braunen und grünen Sprenkel versehen sind, neugierig in
die Welt schauen.
Seine Interessen reichen von A wie Astronomie bis Z wie Zeichnen.
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Der Anfang
Es war wohl so, dass Bit völlig entkräftet, mehr tot als lebendig im
Jahre des Herrn am 15. Mai 1457 in Ansbach ankam.
Bevor er die rettenden Tore der Stadt erreichte, stolperte er über eine
Baumwurzel und purzelte einen Hang hinunter. Als er zu sich kam,
sah er sich am Fuße eines Hanges liegen. In seinem Schädel brummte
es, wie in einem Wespennest.
Zu blöd, dachte er, wenn ich doch nur in dem hohlen Baum
übernachtet hätte. Er richtete sich auf und befühlte seinen
brummenden Schädel. Dann hielt er eine mit Blut überströmte Hand
vor sich. Er versuchte sich zu erinnern, wie er in diese missliche Lage
gekommen war. Die vermaledeite Wurzel tauchte vor seinem inneren
Auge auf.
Aber als er sich zu erinnern versuchte, warum er hier mit zerkratztem
Körper hockte, zogen nur Fetzen aus seiner Vergangenheit an ihm
vorbei. Er kauerte sich zusammen und seufzte vor sich hin. Mit
schmerzendem Kopf versuchte er in sein Inneres zu dringen, suchte
nach Bildern, die ihm alles zurückbringen würden.
Vergebens, es waren nur noch Relikte übrig.
Die Sonne stand schon hoch am Himmel als er aufstand, um den Weg
zu den Toren der Stadt zu finden, deren Lichter ihm am Abend zuvor,
so verheißungsvoll zugeleuchtet hatten. Aber nachdem er die Tore
durchschritten hatte, wurde ihm klar, dass niemand ihn erwartete.
Selbst die Torwachen schüttelten den Kopf: „Was willst Du denn hier,
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Du Habenichts. So was wie Dich ... ach gehe er zum Rathaus und lasse
sich dort registrieren, Du armes Würstchen.“ Naserümpfend gaben die
Torwachen ihm den Weg frei.
Bit nahm den Hinweis dankbar auf und schlich, wie ein Büßer an den
Torwachen vorbei.
Stadtluft macht frei, dachte er sich. Nur, dass die Ansässigen ihm aus
dem Wege gingen, dass irritierte ihn sehr. Immer wenn er anhob,
nach dem Weg zum Rathaus zu fragen, zeigten sie ihm mit einer
Handbewegung den Weg.
„Was haben die nur?“, zuckte es ihm durchs Hirn, „Ich habe Ihnen
doch nichts getan.“
Es war ein schöner Frühlingstag und Bit ließ sich durch dererlei
Verhalten nicht aus dem Gleichgewicht bringen. Er war immer
überzeugt davon, dass wenn er niemanden etwas antat, diese ihm
auch nichts antun würden.
Im Rathaus angekommen wies eine mürrische Wache auf eine Tür. Bit
klopfte an. Herein, hörte er eine schnarrende Stimme.
Er trat ein und vor ihm stand ein Stehpult hinter dem ein sich ein
feister Kerl verbarg.
„Was will er?“, feixte der Mann. Er hob seinen Blick kurz ohne auf eine
Antwort zu warten. Kritzelte mit einer Feder auf einem Blatt herum
und sagte dann: ,,Hier, hat er, was er will.“
Er reichte Bit das Blatt und keifte ihn an: „Nun verschwinde Du
Habenichts, ich habe zu tun. Und wenn er nicht lesen kann, dann
suche er einen Schreiberling.“
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Bit nahm das Blatt, betrachte es, sich aus dem Raum zurückziehend
und die Tür hinter sich verschließend.
Je länger er das Blatt betrachtete, umso deutlicher kam eine
Erinnerung zurück.
Da stand: „Es ist da draußen im Wald eine Hütte, die kann er
beziehen. Begebe er sich zum südlichen Rand des Orte, dort wird er sie
finden. Es hat die Nummer neun. Sollte die Nummer abgewaschen
sein, dann möge er sich eine andere aussuchen. Es sind da einige nicht
bewohnt. Besorge er sich in diesem Fall ein Stück Kreide und male eine
große 9 auf eine Wand.“
Bit las es immerzu. Mit Erstaunen stellte er fest, das er verstand, was
die Zeichen bedeuteten. Erinnerungsfetzen jagten durch sein Hirn.
Er sah sich als Bub, mit einem Griffel in der linken Hand, versuchend
die Zeichen auf einer großen Tafel vor ihm nachzumalen. Das
Schwirren einer Rute, die die Luft zerschnitt, hallte in seinen Ohren.
Schmerzhaft traf sie seine linke.
Er sah sich, wie er mit zusammengebissen Zähnen, ein Schreien und
Tränen unterdrückend, den Griffel in die rechte Hand nahm. Vor
seinem geistigen Auge tauchte eine große, in einer weinroten Kutte
gekleidete, finster blickende Gestalt auf.
Bit schüttelte sich und begab sich auf den Weg nach Süden.
An einem Waldrand, fast unter Dickicht
verborgen fand er das, was das Blatt ihm
verhieß.
Die Hütte, in die er sich nun zurückziehen
konnte, war mehr als nur ein Loch.
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Sie war feucht, roch muffig und es deuchte ihm, dass sie keinem
Regen Widerstand leisten würde.
So kam es, wie es kommen musste.
Er wurde so krank, dass er nicht einmal in der Lage war, sich zu
versorgen. Zusehendst wurde er weniger und weniger.
Nach wenigen Tagen fiel er in ein Delirium. Sein Körper war so heiß,
dass sich einer an ihm die Finger hätte verbrennen können. Er wäre
dem Delirium erlegen, wenn ihn nicht zufällig zwei Frauen gefunden
hätten. Sie kümmerten sich um ihn und versorgten ihn.
Sie fragten nach seinen Namen aber mehr als: „Bitte .... ein .... bit...."
brachte er nicht hinaus.
So beschlossen die beiden, ihn einfachheitshalber Bit zu nennen.
Seine kräftige Natur und die gute Pflege der beiden sorgte dafür, dass
er nach geraumer Zeit, wieder für sich selbst aufkommen konnte.
Die ersten Tage
Nach seiner Genesung beschloss Bit, sein Leben in die Hand zu nehmen
und den Ratschlägen der beiden Frauen, so gut es ging und so gut er
konnte, zu folgen.
Um Taler anzusparen, aß er nicht jeden Tag. Er hatte eh selten
Appetit und schmecken tat ihm das, was er auf dem Markt besorgte,
auch nicht sonderlich.
So kam es, dass er auch manchmal an zwei bis drei aufeinander
folgenden Tagen, nichts aß. Selbst den Mäusen, die mit ihm seine
Bruchbude teilten, war das ein Greuel. Sie blieben einfach weg. Dabei
waren sie zu jener Zeit seine einzigen Weggefährten.
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Amüsiert beobachtete er sie, wenn sie aufgeregt piepsend zwischen
den Brettern nach Brotkrümeln suchten, die er für sie ausgelegt hatte.
Nach einiger Zeit wurden zwei von Ihnen so zutraulich, dass sie die
Brotkrumen aus seiner Hand fraßen. Er redete auf sie ein und hatte
dabei den Eindruck, als ob sie ihm zuhörten. Wenn er nach
geschafftem Tagwerk in seine Hütte zurückkehrte, saßen beide
aufgerichtet auf einem an einer Wand angebrachten Brett und
piepsten, so laut sie nur konnten. Hin und wieder, wenn er mal wieder
vergessen hatte, sich Brot oder anderes zu besorgen, zeigte er Ihnen
seine leeren Hände. Ihr Piepsen wurde daraufhin noch lauter und
aufgeregter, so sein Eindruck.
„Schnick, schnack“, sagte er meist, „Heute ist mal wieder Schmalhans
Küchenmeister.“
Manchmal, wenn er abends im untergehenden Licht der Sonne durchs
Dorf schlich und hier und da mal durch ein Wirtshausfenster schaute
und Leute sah, die lachend und plappernd miteinander herzten,
beschlich ihn ein Gefühl von Wehmut. Aber so wie er gekleidet war,
traute er sich nicht, dort hinein zu gehen. Erst als er ein paar Schuhe
sein eigen nannte, ging er aufs Geratewohl in eine der Schänken am
Ort.
Es gab derer zwei, die ihm zusagten. Zum einem war da die
„Wassermühle am Bach” und zum anderen das „s'Huesy zu Ansbach”,
aber davon später.
Zum Glück, so fand er, war auch eine von den Frauen anwesend, die
ihn gepflegt hatten. Von alledem, was dort von den anderen gesagt
oder getan wurde, verstand er nichts. Er fragte sich zuweilen, ob er
außer Latein noch eine andere Fremdsprache zu erlernen hätte.
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Wieder half ihm Daggi, so nannte er sie, auch diese Klippen zu
umschiffen.
Dennoch, sein absolut sicherer Instinkt für aufgestellte Fettnäpfchen,
ließ ihn immer wieder in peinliche Situationen hineinschliddern. Seine
Gesichtsfarbe wechselte dann in rascher Folge von kalkweiß zum
peinlichen Rot. Erst allmählich gelang es ihm, die schlimmsten
Fettnäpfchen auszulassen und sich an den Gesprächen zu beteiligen.
Wie immer, wenn Bit etwas Spaß oder Freude machte, so übertrieb er
es manchmal ein wenig. Er machte die Nacht zum Tage, trank häufig
einen über den Durst, was ihm anderntags einen Brummschädel
verschaffte, so dass er nur seitlich gehend aus der Tür kam. Aber das
verdross ihn nicht. Er war begierig darauf, Leute kennenzulernen, mit
ihnen zu plaudern und zu scherzen. Es bereitete ihm keine Mühe
Kontakte zu knüpfen.
Er hatte so viele Fragen, dass es ihm mitunter peinlich war, die
anderen damit zu belästigen.
Bit hatte sich in wenigen Wochen nach seiner Ankunft in Ansbach für
seine Verhältnisse relativ schnell eingelebt. Die Menschen waren nett zu
ihm und es gelang ihm auch zunehmend, die allzu grob aufgestellten
Fettnäpfchen zu vermeiden. Er ging jeden Tag zum Rathaus, um sich
die Stellenaushänge anzuschauen. Leider verhielt es sich so, dass er
selten, eigentlich so gut wie nie, eine dieser Stellen ergatterte.
Es blieb ihm nichts anderes übrig als sich in den umliegenden
Bergwerken zu verdingen oder für die örtliche Kirche zu arbeiten.
Es war ihm damals schlicht egal, woher er die notwendigen Taler zum
Überleben bekam.
10
Anm. des Autors:
Bit’s Aufzeichnungen sind hier leider nicht vollständig und seine Notizen zu einem Thema
verstreuen sich über viele Randnotizen und Zettel. Nur wenige Personen schilderte er so
plastisch, das es sich lohnt, sie an dieser Stelle zu erwähnen.
Einige Namen jedoch hatte er fein säuberlich in einer Liste aufgeführt.
Diese sind: Picard, Baum, Kafrikas, Schnibbel und Jasper aber auch Soraja, Naliruna,
Lillimelitta, Celaphor, Rivella, Erdmute und Daggi.
Lillimelitta
Während dieser turbulenten Tage, wenig Schlaf, wenig Essen, fast nur
im Wirtshaus kam ihm die Idee, etwas für sein Ansehen zu tun. Er
machte einen Aushang, in dem er um Vertrauen warb. Einige Zeit
danach, fast hatte er den Aushang vergessen, schenkte ihm eine
namens Lillimelitta ihr Vertrauen.
Anm. des Autors: Lillimelitta war übrigens die Einzige.
Bit war ebenso überrascht wie auch erfreut.
Schnell nahm er Feder, Tinte und Papier zur Hand und schrieb ihr
einen Dankesbrief. Er wollte sich erkenntlich zeigen und bot ihr an,
sein Gemüse für einen stolzen Lohn ernten zu können. Lillimelitta
antwortete, aber ein Treffen kam nicht zustande. Lange Zeit hörte er
nichts von Ihr und so quälte er erneut den Federkiel, um zu erfahren,
warum sie nicht antwortete und ob er ihr mit seinen Briefen zu nahe
getreten sei. Lillimelitta antwortete einfach nicht. Die Tage vergingen
und Bit machte sich ernsthaft Sorgen um Lillimelitta. Eines Tages
jedoch, meldete Sie sich und bot ein Treffen an. Bit schlug ein und
erwartete diesen Tag.
11
Anm. des Autors: Hier überschneiden sich einige Ereignisse. Bit hatte inzwischen Rivella
kennen gelernt.
Als er Lillimelitta
begegnete, war er sehr von
ihr angetan. Sie hatte
graublaue Augen, dunkles bis
schwarzes Haar, eine
zierliche aber nicht magere
Figur. Obwohl er wie
ein Wasserfall auf sie
einredete, antwortete
sie nicht. Den Grund dafür
erhielt er mittels einer
Notiz. Bit half ihr, die
wichtigsten Dinge der
Kommunikation zu erlernen.
Warum auch immer, das Zusammensein dauerte nur wenige Minuten.
Ihre Wege trennten sich, weil Bit mittlerweile viel Zeit mit Rivella
verbrachte und Lillimelitta die Schänken zu einer Zeit besuchte, zu der
er nicht konnte. Ein einziges Mal tauchte sie wieder auf. Als sie aber
sah, wie innig sein Verhältnis zu Rivella war, verschwand sie, nicht
aber aus seinen Gedanken und nicht aus dem Dorf. Bit bat andere
darum, sich um sie zu kümmern, weil er glaubte, dass sie einsam war.
Er sorgte sich, weil er etwas ahnte, dass er nicht in Worte fassen
konnte.
Lange Zeit später erhielt er einen Brief von ihr, indem sie sich ihm
offenbarte. Als er ihn las, war er wie vom Donner gerührt. Jetzt
wusste er mit einem Mal, was er die ganze Zeit über geahnt hatte und
sah, wie sich jetzt jedes Steinchen zu einem Mosaik fügte. Es zerriss
ihm fast das Herz und das war umso schlimmer, weil er Ihr nicht
mehr helfen konnte. Ab da war ihm klar, dass er sie zu Grabe tragen
würde.
12
Am 23. August A.D.
am 16. September
beerdigen.
1457 bahrte er sie auf, um sie
A.D. 1457 in aller Stille zu
Rivella
Wie immer wenn Bit sich in aller Früh aufmachte, um
seine Fron zu leisten, führte sein Weg über den
Marktplatz hinaus auf die Felder oder in die Bergwerke.
Bit gefiel das bunte Treiben und manche der
Marktfrauen blickten ihn hin und wieder mit einem so
seltsamen Gesichtsausdruck an, dass es ihm mulmig wurde und er
gesenkten Blickes das Weite suchte.
„He Bit,“, rief eine, „Komm doch mal her und helf mir die Körbe vom
Karren zu hieven.“
Eine andere rief: „Willst einen Apfel?“ und beugte sich soweit über ihre
Auslagen, dass Bit nicht umhin konnte, auf die verlockenden Äpfel zu
sehen und seinen Blick schamhaft zu senken.
Er konnte schlecht nein sagen und half immer bei solchen
Gelegenheiten. Was häufig dazu führte, dass er verspätet bei seinem
Fronherrn eintraf. Das war nicht sonderlich gut und sorgte für
13
Verdruss. Aber Bit konnte nicht anders handeln und er ging
unverdrossen immer wieder über den Markt. Er half hier. Er half dort.
Eines schönen Frühlingstages, der Mai ging seinem Ende entgegen,
bemerkte er ein junges, brünettes Fräulein, das mit tiefgründig blauen
Augen in die Welt schaute. Ihre hellbraunen Haare, die leicht wellig
fast bis auf die Schulter fielen, umrahmten ein leicht ovales Gesicht.
Das Gesicht war mit einer zierlichen, kaum gebogenen Nase und einem
Mund geschmückt, der immer leicht zu schmollen schien.
Sie saß so da, zwischen ihren hölzernen Löffeln, Gabeln, Tellern,
Schalen, Eimer und alles was ein Haushalt so braucht, wie eine Statue,
die sich ausruhte.
Bit war so beeindruckt des sich ihm darbietenden Anblicks, dass er
nicht bemerkte, wie sich sein Schritt deutlich verlangsamte. Verstohlen
schaute er zu ihr hinüber. Aber im Gegensatz zu den anderen
Marktfrauen, würdigte sie ihn kaum eines Blickes. Wenn doch, dann
hatte er den Eindruck als wenn sie spöttisch an ihm hinabblickte. Bit
verdross es nicht, war ihm doch der Anblick Geschenk genug.
Die Tage flossen dahin und Bit fühlte sich immer heimischer. Seine
Hütte hatte er notdürftig repariert und es regnete nur noch hindurch,
wenn ein schweres Gewitter über das Land zog. Wenn es nicht gerade
in der Nacht war und ein Gewitter heraufzog, dann lief er, so schnell
er konnte in die nächste Schänke, um im Trockenen zu sein.
An einem der letzten Tage im Mai war es mal wieder soweit. Ein
Gewitter zog herauf und er flüchtete in die Wassermühle, eine
Schänke. Der Schankraum war nahezu ausgefüllt, nur ein Platz in
einer abgelegenen Ecke war frei. Nicht weit von ihm erblickte er, zu
seiner Überraschung, die junge Marktfrau. Sein Herz begann höher
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und höher zu schlagen als er immer wieder verstohlen nach ihr
schielte. Doch schien sie seine Blicke nicht zu bemerken.
Dennoch meinte er, die Andeutung eines flüchtigen Lächelns über ihr
Gesicht huschen zu sehen. Sie blieb nicht lange. Kurz nachdem das
Gewitter abgezogen war, stand sie auf, ging zur Tür, winkte und warf
ihm einen Blick aus ihren blauen Augen zu, der ihm durch und durch
ging.
Wenige Tage später, es war der 03. Juni im Jahre des Herrn 1457,
betrat sie erneut den Schankraum. Nur, dieses Mal musste sie
notgedrungen, neben ihm Platz nehmen. Sein Herz klopfte so laut,
dass er glaubte, sie könne es hören. Er lud sie zu einem Getränk ein
und ganz entgegen seinen Erwartungen, nahm sie die Einladung
lächelnd an.
Bit war so überrumpelt davon, dass er vor lauter Aufregung, so wie er
annahm, nur dummes Zeug brabbelte. Umso mehr erstaunte es ihn,
dass sie blieb und ihn ermunterte weiter zu reden. Sie stellten sich
gegenseitig vor und er hörte sich immer häufiger ihren Namen
aussprechen. Rivella hieß sie.
Berührung
An einem dieser schönen Tage
verließen Rivella und er zu
später Stund die Wassermühle
am Bach. Beide hatten mächtig
gepichelt und wussten nicht so
recht, ist was oder nicht.
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Schüchtern hatte er versucht, ihre Hand zu ergreifen und war erneut
überrascht, dass sie ihm diese nicht verweigerte sondern den Druck
seines Griffes erwiderte.
Mehr stolpernd als aufrecht gehend, trieben sie auf das Häuschen von
Rivella zu. Die Nacht war sternenklar.
Bit sagte zu Rivella, „Schau Dir diesen Himmel an. Ist der nicht
wunderschön?"
Rivella war in Gedanken versunken und antwortet nicht. Nur noch
wenige Schritte waren es bis zum Haus von Rivella. Sie kramte in Ihrer
weiträumigen Umhängetasche nach dem Hausschlüssel. Fand ihn und
schloss die Tür auf.
Bit fasst allen Mut zusammen, ging einen Schritt auf sie zu und
drückte ihr einen flüchtigen Kuss auf die Stirn. Errötend und um
Verzeihung bittend, verabschiedete er sich, wendete sich um und
schlenderte, noch gut gelaunt, in Richtung seiner Hütte.
„War das ein Tag. Nicht mehr weit bis zur Hütte.“, dachte er.
Aber es kam, wie es kommen musste. Das viele Bier verfehlte seine
Wirkung nicht.
Der Weg, der vor ihm lag, verzweigte sich nach rechts und nach links.
Abrupt blieb er stehen und dachte: „Hier war doch sonst nur ein
Weg!? Ist wohl 'ne Täuschung.“ Um das zu überprüfen, schloss er erst
das linke und dann das rechte Auge. Keine Veränderung! Es blieben
drei Wege, einer links, einer in der Mitte und einer rechts.
„Auch egal“, dachte er sich, „Wenn das so bleibt, dann gehe ich eben
mal nach links, mal nach rechts und dann wieder geradeaus“, kicherte
er in sich hinein.
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Wie einer Schlangenlinie folgend, schlenderte er, vergnügt und leise ein
Liedchen vor sich hersummend, seinem Heim entgegen. Das Letzte was
er hörte, war das Kikeriki der Dorfhähne. Sein letzter Gedanke galt
Rivella und er hoffte, sie anderntags wiederzusehen.
Anm. des Autors:
Ab jetzt wurden seine Aufzeichnungen spärlicher, so dass ab jetzt nur noch Episoden erzählt
werden können.
Abschiede
Die Tage vergingen wie im Fluge. Einer war schöner als der andere. Sie
trafen sich, so oft, wie es ihre Zeit zuließ.
Sie plauderten miteinander, lächelten sich an, erzählten von ihren
Geschichten und musizierten miteinander, wobei Rivella sang und Bit
sie begleitete.
Einige male
wenn er
Taverne auf ihr
war häufig so in sein
nichts um sich
überraschte sie ihn,
musizierend in einer
Kommen wartete. Er
Spiel vertieft, dass er
herum wahrnahm.
Erst wenn der letzte
Ton verklungen war,
applaudierte sie leise und kam geschmeidigen Schrittes auf ihn zu.
Der milde Sommer, das Musizieren, ihr Plaudern erzeugte eine
Atmosphäre, die beider Herz verzauberte. Dennoch sind sie nicht so
eng auf einander zugegangen, als das sie sich dafür hätten schämen
oder sich etwas vorwerfen müssen.
Rivella war zu dieser Zeit noch mit einem gewissen Lordironman
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verlobt. Davon hatte sie Bit am ersten gemeinsamen Tag berichtet und
so kam es, wie es kommen musste.
Eines Tages erschien ihr Verlobter, beschimpfte sie und veranstaltete
ein solch einen Ärger, dass selbst Rivella und ihre Freunde ihn nicht
zur Räson bringen konnten.
Lordironman geriet oft wegen seines Jähzorns in missliche Lagen.
Rivella erzählte Bit, dass er auch Fremde zutiefst beleidigte.
Letztendlich geriet das dazu, das Lordironman vors Gericht geschleppt
und enthauptet wurde. Rivella traf das sehr tief, denn so gestand sie
Bit, sie hatte ihn sehr, sehr geliebt.
Während dieser Tage rieten Rivellas und seine Freunde ihm, sich aus
allem rauszuhalten und die Schänken zu meiden.
Bit zog sich daraufhin ins Kloster zurück und grübelte darüber, warum
er, obwohl er es besser wusste, sich ihr erneut genähert hatte. Er
machte sich schwere Vorwürfe, fühlte sich am Tode Lordironmans
mitschuldig, redete mit anderen darüber und fand dennoch keinen
Trost.
Er fragte nach den Gründen und Motiven. Niemand gab ihm
befriedigende Antworten. Als er Rivella danach befragte, erzählte sie
ihm nur, dass er einen hohen Adeligen beleidigt haben solle, dass er ihr
vorgeworfen hat, sie sei Schuld an der Anzeige vor Gericht bzw. sie ihn
verraten hätte. Weiter ließ sie sich nicht darüber aus.
Bit konnte es nicht glauben, dass das alles war. Weder Rivella noch die
anderen, die vorgaben seine Freunde zu sein, äußerten Konkretes.
In diesen Tagen suchten sie einander, um sich gegenseitig zu trösten.
Er sie, weil er ihre Trauer und Erschütterung spürte und sie ihn, weil
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sie ihm das Gefühl der Schuld nehmen wollte. Nach und nach, wenn
auch nur zögerlich, kehrte die verzaubernde Atmosphäre zurück, die
beide erneut in ihren Bann schlug.
Mit jedem Mal kamen sie sich ein wenig näher und dennoch war da
eine Hürde, über die sich beide nicht hinwegtrauten.
Manchmal saßen sie nur still beieinander, manchmal berührten sich
ihre Hände wie zufällig. Hin und wieder flüsterten sie sich etwas zu
und ließen dem anderen den Hauch des Atems verspüren. Bit hielt sich
mit aller Macht zurück. Gerne hätte er sie vor lauter Glück und
Freude in seine Arme geschlossen, aber er war unsicher darüber, ob sie
es zulassen und sich freuen würde. So unterließ er es, wagte es nicht,
sich zu öffnen und sich ihr zu zeigen. Auch das Wissen darum, dass er
sie oft allein lassen musste, machte es ihm schwer, sich ihr
anzuvertrauen. Längst war im bewusst, dass er in Rivella mit allem
was er war, verliebt war.
Eines schönen Abends, sie saßen auf einer Bank vor einer Schänke im
wärmenden Sonnenlicht als Rivella verspürte, dass ihn was bedrückte,
dass er was mit sich rumschleppte und bedrängte ihn ermutigend, sich
zu öffnen.
Nur zögerlich sprudelte es aus seinem Mund: „Rivella, ich werde Dich
immer mal wieder für Tage, ja sogar Wochen verlassen müssen. Ich
habe Kontrakte mit den Mönchen, die ich erfüllen muss, um nicht auf
dem Scheiterhaufen zu enden.“
Rivella lachte: „Ach mein süßer Tollpatsch, was machst Du Dir für
Sorgen. Ich warte einfach auf Dich, bist Du zurückkommst.“
Bit schaute ihr fassungslos in die blauen Augen und versuchte in ihnen
zu lesen. Was meinte sie damit, fragte er sich in Gedanken. War sie
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etwa auch in ihn ...... er hielt den Atem an und wagte nicht einmal
den Gedanken fortzusetzen. Stattdessen erhob er sich, die tief im
Westen stehende Sonne warf ein liebliches Licht auf ihr Gesicht.
Schwalben jagten laut kreischend um die Wassermühle herum. Rivella
hob an, etwas zu sagen. Bit legte ihr sanft lächelnd den Zeigefinger auf
die Lippen. Fassungslosigkeit und doch auch Verständnis lagen in ihren
Augen.
Mit zwei langsamen, rückwärtigen Schritten entfernte er sich von ihr,
nahm ihr Abbild in sich auf und drehte sich um, um dem Weg zum
Kloster zu folgen.
Ein leises Schluchzen hinter ihm ließ ihn stillstehen. Noch einmal
drehte er sich um, sah Rivella in der Tür stehen und wie sie sich
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verstohlen Tränen aus ihren Augen wischte.
Er war unfähig sich zu rühren, noch etwas zu sagen. Nach einem
Augenblick des Zögerns schaffte er es, sich schweren Herzens von
ihrem Anblick los zu reißen und der Biegung des Weges zu folgen. Er
führte ihn vorbei an blühenden Wiesen und Feldern, stetig hinauf zum
Kloster. Seine Gefühle, seine Gedanken, waren ein kunterbuntes
Durcheinander und wirbelten durcheinander wie Herbstlaub im Wind.
21
Innerhalb von Mauern,Vorwort
Die folgenden Berichte entstanden in der Zeit als Bit sich gerade in
Ansbach eingelebt hatte und sich in die Maid Rivella verliebt hatte.
Sein Lebenswandel wurde argwöhnisch von einigen Bruderschaft
beobachtet und so kam es, wie es kommen musste. Sie wollten diesen
Lebenswandel unterbinden und zitierten ihn immer wieder für längere
Zeiten hinter die Mauern ihrer Klöster.
Geschehen und berichtet zu Ansbach im Juni 1457
Niedergeschrieben und herausgegeben im Juni 1463 von Simplicius
Blankstein
Innerhalb von Mauern
Es war nun mal so, dass verschiedene Bruderschaften etwas gegen Bit
in der Hand hatten oder etwas wussten, dass sie nach Belieben gegen
ihn einsetzen konnten.
Üblicherweise bedeutete das, dass er eine kurze Nachricht erhielt, er
möge sich auf schnellsten Wege irgendwo einfinden. Meistens war das
mit Frondiensten verbunden. Dann arbeitete er in Ställen, in
Werkstätten, auf Feldern oder auch in irgendwelchen Kontoren.
Ständig zerbrach er sich den Kopf deswegen. Es musste da etwas in
seiner Vergangenheit geben, dass die Macht über ihn, den
Bruderschaften in die Hand gab. Dagegen anzugehen, oder die
Weisungen zu missachten wagte er nicht. Niemand redete darüber und
wenn er die seltene Gelegenheit hatte, in manchen Archiven zu
stöbern, wurde er auch nicht fündig.
Wenn er dann abberufen wurde, war das in der Regel damit
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verbunden, dass er dann keinen Kontakt mehr zur Außenwelt hatte.
So war es auch diesmal.
Bevor er sich mit Rivella treffen wollte, steckte ihm ein vermummter
Kerl eine Nachricht zu. Er überflog sie und fluchte leise vor sich hin, als
der Kerl um die nächste Ecke verschwand.
Der Weg führte ihn vorbei an blühenden Wiesen und Feldern, stetig
hinauf zum Kloster. Seine Gefühle, seine Gedanken, alles wirbelte wild
durcheinander. Völlig gebannt von dem Chaos in seinem Kopf und
seinem Herzen, bemerkte er nicht einmal, dass er vor der
Klostermauer stand.
„Wie lange stehe ich hier eigentlich?”, fragte er sich, hob den Klopfer
des imposanten Tores und ließ ihn fallen. Dumpf knallend landete
dieser auf das dunkle Eichenholz.
Knarrend öffnete sich das Tor und ein freundlich lächelnder, etwas
älterer Mönch stand vor ihm und sagte:
„Guten Abend. Ich habe mich schon gefragt, wie lange er noch vor
dem Tor verweilen wollte. Ich heiße Ullrich”
„Guten Abend Bruder Ullrich, mich nennt man schlicht Bit”
„Der Abt schickte mich, ihn zu empfangen. Darf ich fragen, was ihn
herführt?”
„Nein!”, sagte Bit so verbittert, dass er darüber erschrak.
Ullrich nickte nur, winkte nach hinten, verschränkte seine Arme unter
seiner Kutte und ging in Richtung Kapelle davon. Ein großer, dunkel
wirkender Mönch trat auf ihn zu. „Ich bin Bruder Wilfried und bin für
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die Dauer seines Aufenthalts sein persönlicher Betreuer. Folge er mir
bitte.”
Wilfried ging auf ein Gebäude zu, dass wie ein zu groß geratenes
Gesindehaus aussah. Bit folgte ihm. Im Haus angelangt gingen sie eine
knarrende Stiege hinauf in das zweite Stockwerk des Gebäudes. Sie
folgten einer engen Diele nach rechts und Wilfried blieb vor einer Tür
stehen.
„Das wird für seine Zeit hier, seine Kammer sein. Trete er ein. Auf
dem Tisch findet er ein Blatt, auf dem alles steht, was er wissen
muss.“
Wilfried drehte sich um und ging in eine Kammer, die direkt neben
Bits Kammer lag.
Bit öffnete die Tür und trat über die Schwelle. Ein kleines Fenster ließ
die letzten Sonnenstrahlen, der am Horizont verschwindenden Sonne,
in die Kammer.
Die Kammer war in warmes, gelb und rötlich schimmerndes Licht
getaucht und ließ die Konturen der Gegenstände vor dem Hintergrund
verschwinden. Die Atmosphäre dieses kleinen Raumes tauchte ein in
sein Gemüt und ließ den Sturm, der immer noch tobte, abebben.
In der Kammer befand sich links von ihm eine strohbedeckte Liege. Ein
kleiner Tisch stand vor dem Fenster und davor ein grob gezimmerter
Stuhl. Bit lehnte seine Gitarre rechts von ihm an die kahle, weiß
verputzte Wand und ging mit drei Schritten auf den Tisch zu. Auf
dem Tisch lag das Blatt und daneben ein dickes Buch. Er hob das Blatt
hoch. Die voll beschriebene Seite war in lateinischer Schrift verfasst.
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Bit drehte das Blatt verwirrt um. Auf der anderen Seite las er:
„Werter Bit, die Hausordnung und noch anderes Wissenswerte sind
auf der anderen Seite in Latein verfasst. Weil ich weiß, dass er in
einem Kloster aufwuchs, nehme ich an, dass er dort auch Latein
gelernt hat. Das Buch ist ein Wörterbuch, das ihm sicherlich helfen
wird, die andere Seite zu lesen. Sind die Schwierigkeiten zu arg, dann
helfe ich ihm gerne. Nur soviel voraus, morgen steht ihm der ganze
Tag zur freien Verfügung. Er darf aber nicht die Ländereien des
Klosters verlassen. Um sechs Uhr morgens, gibt es ein Frühstück im
Gesindesaal unten hier im Haus.”
Schmunzelnd legte Bit das Papier zur Seite, öffnete das Fenster,
schaute in die anbrechende Dämmerung und konnte auf Ansbach
hinunter schauen, dass sich sanft in die Landschaft einschmiegte. Er
wendete sich ab, setzte sich auf den Stuhl und machte sich daran, das
Lateinische zu lesen. Nach einiger Zeit, es war schon dunkel geworden,
legte er sich auf die Liege und fiel in einen unruhigen Schlaf.
Der zweite Tag
Früh in der Morgendämmerung weckten Ihn die Hähne mit ihrem
lauten Geschrei aus unruhigen Träumen. Bit stand auf, wusch sich und
hörte die Kapellenglocke sechs mal schlagen.
Hunger verspürte er nicht aber Neugier darauf, wer dort unten sein
wird,
Bit betrat den Gesindesaal, wollte ein "Guten Morgen" rufen, erinnerte
sich aber, dass bei den Mahlzeiten ein absolutes Schweigegebot galt.
Nachdem er sich seinen Weizenbrei auf seinen Holzteller klatschen ließ,
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schaute er sich nach einem freien Platz um. Weit hinten im Raum,
neben einen etwas dicklichen Mönch, war noch Platz. Bit nahm den
hölzernen Teller und Löffel und schritt auf diesen freien Platz zu. Die
Blicke, die ihn verfolgten, nahm er nicht wahr. Zu sehr war er in
seinen Gedanken versunken. Bit setzte sich hin und schaute kurz zu
seinem Nachbar. Dessen Teller war leer und Bit bemerkte, wie dieser
begehrlich auf seinen Teller schaute. Bit schob ihm seinen zu und
rückte den leeren zu sich.
Das freundliche Gesicht seines Nachbarn rührte ihn und er nickte ihm
mehrmals zu. Der Mönch strahlte und genoss offenbar die unverhoffte
Mahlzeit.
Bit malte mit seinem Löffel, seinen Kopf mit der anderen Hand
stützend, lauter Rivellas auf den Teller, den nur eine Spur von
Flüssigkeit bedeckte.
Wie sehr er sich auch mühte, es gelang nicht. Immer wieder flossen die
Linien zu einer glatten Oberfläche zusammen.
Die Kapellenglocke schlug drei viertel sieben. Die Mönche und das
Gesinde verließen gemächlich den Raum.
Bit trat hinaus. Die Sonne war schon über dem Horizont und wärmte
sein Herz. Langsam ging er auf das Tor zu und machte sich auf, die
Landschaft zu erkunden.
Der Weg führte ihn zwischen hin und her wogenden Getreidefelder,
vorbei an hochstehenden Wiesen auf denen Kühe grasten und
Schmetterlinge umherschwirrten, eine kleine Anhöhe hinauf.
Die frühe Sommersonne tauchte alles in eine Helligkeit, die die
Konturen schärfte und die Farben der Tiere, Gräser, Bäume und
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Blumen brillieren ließ. Vögel flogen durch die Luft und trällerten ihre
Lieder.
Eine alleinstehende Baumgruppe auf der Kuppe der Anhöhe, weckte
sein Interesse.
Es waren zwei Eichen, unter denen sich eine aus groben Hölzern
gezimmerte Bank befand, die ihn zum Verweilen einlud. Bit setzte sich
und schaute sich um. Von hier aus hatte er einen weiten Blick in die
Landschaft ringsum. Zu seinen Füßen lag das Kloster. Links von ihm
schlängelte sich ein kleiner Fluss durch die Landschaft.
Rechts von ihm führte ein breiter Weg in einen Forst hinein. Die milde
Sommerluft, der Duft der Felder und Wiesen ringsum, das Singen der
Vögel und das Summen und Schwirren von Insekten, ließ in ihn
allmählich Ruhe einkehren. Seine Gedanken flogen davon, wie
Schmetterlinge, die von Blüte zu Blüte flatterten. Er schlief ein.
Mit schmerzenden Gliedern, vom Schlagen der Klosterglocke
aufgescheucht, wachte er auf. Bit rieb sich die Augen und sah die
Sonne tief am Horizont stehen und er eilte zum Kloster hinunter.
Am Tor erwartete ihn schon Wilfried.
Im missbilligenden Ton sagte er, „Was soll nur aus ihm werden. Den
ganzen Tag nichts zu sich zu nehmen. Morgen, nach dem
Frühstücksgebet soll er sich beim Abt melden.”
„Danke", sagte Bit kurz und ging zu seiner Kammer.
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Der dritte Tag
Bit schaute sich im Gesinderaum um. Wie gestern, war nur der Platz
neben dem dicklichen Mönch frei. Bit ging geradewegs auf ihn zu und
nickte einen Morgengruß. Freundlich nickte dieser zurück. Wieder war
dessen Teller leer und abermals schob Bit ihm den seinen zu. Der
Mönch blickte ihn fragend an. Bit nickte zustimmend.
Punkt dreiviertel sieben kam Mönch Wilfried auf ihn zu. „Gehen wir".
Bit stand wortlos auf und folgte ihm. Sie überquerten den Hof vor
dem Gesindehaus und schritten auf ein kleineres als das Gesindehaus
aber sehr schön anzusehendes Haus zu. Eine große Diele empfing sie.
Bit folgte Wilfried eine breite Treppe hinauf.
Am Ende der Treppe baute sich eine imposante zweiflügelige Tür auf.
Wilfried klopfte kurz, öffnete diese und winkte Bit hinein.
Der Raum war beeindruckend. Einige Meter vor ihm fiel das Tageslicht
durch drei Fenster, die mit Motiven aus Christi Passion geschmückt
waren. Davor ein großer, wuchtiger Tisch auf dem sich Pergamente,
Bücher, mehrere Federkiele, ein Tintenfass und ein dreiarmiger
Kerzenhalter, der wie das Kreuz Christi aussah, befanden. Vor dem
Tisch stand ein mit Schnitzereien versehener Stuhl.
An den Wänden, in nicht allzu großer Entfernung links und rechts
vom Tisch, befanden sich wuchtige Buchregale, die bis zur Decke
reichten. Von der Decke herunter, in der Mitte des Raumes, hing ein
wagenradgroßer Kerzenleuchter, der kunstvoll mit Schnitzereien
übersät war.
Die ehrfurchtseinflößende Gestalt auf der anderen Seite zeigte mit
seiner linken Hand auf den Stuhl vor ihm. Mit leisen Schritten und
gebeugtem Haupt ging Bit darauf zu und setzte sich.
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„Guten Morgen mein Sohn", sagte die Person ihm gegenüber mit
markanter Stimme.
„Guten Morgen Hochwürden", sagte Bit leise aber deutlich hörbar und
hob dabei seinen Kopf. Er sah in ein wie aus Holz geschnitztes Gesicht.
Graue, wie Eisen wirkende Augen musterten ihn. Seitlich hinter dem
Abt stand eine hoch aufragende Gestalt, die sich zum Abt beugte und
ihm etwas zuflüsterte, was Bit nicht verstand. Die Gestalt war in ihrer
Kutte furchteinflößend. Vom Gesicht war kaum etwas zu sehen. Nur
die Augen stachen wie zwei Kohlestücke hervor.
Der Abt war abgelenkt und schaute auf ein Papier, das ihm die Gestalt
reichte, um darauf einen Schritt in den Hintergrund zu machen.
Der Abt las das Dokument flüchtig, so schien es Bit. Dann blickte er
ihn wieder mit diesen eiskalten, grauen Augen an.
„Er ist also der, der Bit genannt wird?”, fragte seine markante
Stimme, aber so das sie sie keine Antwort zuließ.
Bit nickte nur. Er traute sich nicht auch nur ein Wort zu sagen.
„Er weiß nicht, woher er kommt und warum er hier ist?”, auch wieder
in einem Ton, der keine Antwort zuließ. Bit nickte erneut.
Die Stimme änderte sich, auch der Blick.
„Mein Sohn! Wie ich erfahren habe bist du des Lesens und Schreibens
mächtig, spielst die Laute auf hohem Niveau und kennst dich sowohl
mit Tablaturen als auch mit Noten aus."
Bit nickte zustimmend.
„Dann höre er genau zu. Ein zweites Mal erkläre ich es nicht.”
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„Wie du weißt, müssen alle Gäste, für die Zeit Ihres Aufenthaltes auf
den Liegenschaften des Klosters für das Kloster arbeiten. Jeder darf
sich aussuchen, wo und was er tun will."
Die Stimme machte eine kurze Pause und fuhr dann fort, „Du nicht
mein Sohn."
Bit zuckte kaum merklich zusammen.
„Ich habe bestimmt, dass du in der Bibliothek arbeitest und die
Tablaturen in Notenschrift transkribierst. Und hüte er sich, gegen die
Regeln zu verstoßen”
Ganz beiläufig fragte ihn der Abt dann: „Und er erinnert sich wirklich
nicht, woher er kommt und von wem er stammt?”
Bit schüttelte heftig mit dem Kopf.
Damit war die Unterredung beendet. Der Abt wies ihm die Tür und
die unheimliche Gestalt im Hintergrund blickte ihn unverwandt mit
diesen schwarzen Augen an. Eine Erinnerung kam zurück. Diese Augen
hatte er irgendwo schon einmal gesehen.
Nachdenklich stand er auf, verbeugte sich und ging auf die wuchtige
Tür zu.
Wilfried erwartete ihn schon und ging, ohne ein Wort zu verlieren,
voraus.
Bit fragte sich, was er getan hat, dass kaum einer auch nur mehr als
die nötigen Worte sprach.
Beide strebten auf ein etwas kleineres Gebäude zu, als es das
Gesindehaus war. Wilfried öffnete eine Tür, die nicht so groß war, wie
die des Gesindehauses, wies ihn hinein und verschloss sie hinter ihm.
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Bit schaute in einen Raum, der ihm riesig groß vorkam und ringsum
mit Regalen versehen war. Die Regale waren voll mit großen und
kleinen in Leder gebundenen Büchern. Im Raum verteilt, standen
Pulte wie zufällig aufgestellt herum. An zweien standen Mönche, die in
ihre Bücher vertieft waren.
Aus dem Hintergrund kam ein etwas kleiner und dicklicher Mönch auf
ihn zu. Wie ein Blitz traf es ihn. Das ist doch der, der beim Frühstück
neben mir saß.
Der Mönch lächelte ihn an und sagte, „Willkommen mein Sohn, ich bin
der Bibliothekar hier und der Klosterschreiber. Mein Name ist Markus"
Bit verbeugte sich vor ihm und erwiderte, „Sehr erfreut, ehrwürdiger
Markus."
„Mein Sohn, Markus reicht. Komm ich zeige dir, was du zu tun hast.
Und hmm, vielen Dank für die zusätzlichen Portionen. Morgens bin ich
immer hungriger als die anderen." Bit taute auf und sagte freundlich,
„Und ich habe zur Zeit keinen großen Appetit und verspüre keinen
Hunger."
Markus packte ihn am Unterarm und zog in quer durch den Raum auf
ein Pult zu. „Das wird Dein Arbeitsplatz für die restlichen Tage sein.
Neben dir auf dem Stuhl findest du die Mappen, mit denen du dich
beschäftigen sollst. Wenn du etwas brauchst oder wissen musst, dann
frage mich. Und, eh ich es vergesse, dass Pergament, die Tinte und die
Kiele sind sehr kostbar. Behandele alles sehr schonend. Für den Anfang
gebe ich dir zehn Blätter minderwertigen Papiers, auf dem du erst
einmal üben kannst."
Bit nickt verständnisvoll.
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„Noch etwas, du darfst den Raum nicht ohne Erlaubnis verlassen, die
Pausenzeiten sind davon ausgenommen. So, dann viel Glück, dass es
dir gelingen möge und leicht von der Hand geht." Markus zog sich in
den Hintergrund zurück.
Bit hob die erste Mappe auf das Pult und schnürte die Knoten an den
Ecken der Mappe auf. Zuoberst lag eine wunderschön
niedergeschriebene Tablatur eines Liedes mit der Überschrift
„Greensleeves"
Er folgte den Linien und den Ziffern zwischen und auf den Linien. Die
Zeit verrann und in seinem Kopf formte sich allmählich eine Melodie
und er begann leise vor sich hin zu summen.
Er war so vertieft, dass er nicht merkte, wie ein Mönch hinter ihn
trat, ihn leicht antippte und mit dem Kopf schüttelte. Bit verbeugte
sich entschuldigend. Der Mönch nickte und ging wieder an sein Pult.
Immer wieder verfolgte er die unterschiedlichen Stimmen und
allmählich erschloss sich ihm die schöne Schlichtheit des Liedes. „Das
muss ich auswendig lernen“, nahm er sich vor.
Er nahm den Kiel, tauchte diesen in das Tintenfass und begann fünf
Linien untereinander zu setzen.
Seine ungeübte Hand drückte etwas zu fest auf und die Linien gerieten
etwas zu dick. ,,Macht nix, ist ja nur die Erstschrift,", dachte er.
Vorsichtiger aber immer noch mit ungelenker Hand, setzte er,
Buchstabe für Buchstabe, den Titel des Liedes über die Linien am
oberen Rande des Blattes. Schaute dabei immer wieder zum Original
und war für's erste zufrieden.
Vertieft in sein tun, hörte er nicht einmal die Glocke. Bruder Markus
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tippte ihn an und sagte. ,,Gehen wir zu Tisch." Bit nickte und folgte
ihm.
Bis spät in den heraufziehenden Abend hinein, arbeitete er an seinem
Werk, setzte Note für Note zwischen und auf die Linien und hörte
dabei sein Instrument klingen.
Markus trat auf ihn zu: „Es ist schon spät, du darfst jetzt aufhören.",
und blickte mit leichtem Seitenblick erstaunt auf das Notenbild.
Bit bemerkte, dass die Bibliothek in tiefrotes Licht getaucht war. Nur
er und Markus waren noch im Raum. Als er das Blatt an sich nehmen
wollte, sagte Markus mit bedauernder Stimme, „Das darfst du nicht
mitnehmen."
Bit sagte mit enttäuschter Stimme, „Gute Nacht, Bruder Markus" und
machte sich auf den Weg zu seiner Kammer.
Dort angekommen setzte er sich auf die Kante der Liege, nahm seine
Gitarre in den Schoß und begann leise die einzelnen Stimmen der
Melodie zu spielen. Erst als die Glocke elf schlug und die Nacht
heraufzog, legte er die Gitarre beiseite. Wie die beiden Tage zuvor
schaute er, bevor er sich hinlegte, aufs Dorf hinunter.
Der letzte Tag
Wie jeden anderen Tag auch, setzte er sich zum Frühstück neben
Bruder Markus.
Irgendwas war anders. Bruder Markus's Teller war noch nicht leer.
Markus lächelte ihn noch freundlicher und verschmitzter an als all die
anderen Tage.
Widerwillig stopfte Bit den Haferflockenbrei in sich hinein. Schielte
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immer wieder auf den Teller von Markus, der nicht leerer wurde. Was
ist nur heute anders, fragte er sich. Legte den Löffel beiseite und
stützte seinen Kopf auf beide Hände. Markus klopfte Ihm auf die
Schulter und nahm seinen Teller an sich. Dankbar nickte Bit Markus
zu. Die Glocke schlug dreiviertel sechs. Markus und Bit standen auf
und gingen schweigend nach draußen.
Markus wollte was sagen aber Bit war schneller, als wenn er Markus's
Gedanken lesen konnte, sagte er,
„Ich werde erst spät am Nachmittag das Kloster verlassen und nicht
bevor ich die letzte Tablatur transkribiert habe."
An seinem Pult angelangt, malte er die Linien und Noten wie von
Flügel getragen mit Leichtigkeit auf das Pergament. Die Glocke läutete
die Vesperstunde ein. Noch zwei Stunden, dann wandere ich ins Dorf
hinunter.
Er malte den letzten Akkord auf das Pergament als die Glocke sechs
schlug. Nur noch die beiden Schlussstriche und das Werk ist vollendet.
Markus trat zu ihm und fragte, „Gehst du jetzt mein Sohn?"
Bit antwortete, „Ja, jetzt ist es soweit. Habt Dank für Eure Geduld
mit mir.", und reichte ihm die letzte Niederschrift.
„Ich hol nur noch meine sieben Sachen aus der Kammer und
verschwinde dann." Er legt den Kiel nieder, dreht sich um und ging in
Richtung seiner Kammer.
Nachdem er seinen sieben Sachen zusammen gesammelt hatte, betrat
er die Stiege nach unten. Verlässt das Gesindehaus und geht dem Tor
entgegen.
Gerade wollte er das Tor öffnen als Wilfried und Markus aus einem
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Nebengelass des Tores auf ihn zu traten.
Wie aus einem Mund sagten sie, „Er war uns ein netter Gast."
Wilfried, „Ich habe heimlich zugehört, wenn er sein Instrument spielte
und es klang gut."
Bit schaute verschämt zur Seite, das hatte er nicht erwartet.
Wilfried gab ihm einen Beutel. „Ich habe ihm ein wenig Wegzehrung
hineingelegt. Und verschenke er sie nicht wieder." Bit lächelte verlegen
Markus, „Ich habe auch etwas für dich, mein Sohn." und reichte Bit
ebenfalls einen Beutel.
Bit schaute beide abwechselnd an, „Ich danke Euch. Vielleicht sehen
wir uns wieder."
Beide sagten beinahe wie aus einem Mund, „Gehe hin und möge unser
Herr dich beschützen."
Bit wurde warm ums Herz, wollte etwas sagen aber seine Stimme
versagte ihm den Dienst.
Er verbeugte sich und schritt frohen Mutes den Weg zum Dorf
hinunter.
Auf halben Weg, weitete sich der Weg sich zu einem kleinen Platz aus.
Linker Hand erhob sich ein großer Buschrosenstrauch, der bereits
Knospen trug und einige davon schon leicht geöffnet waren. Vor dem
Busch befand sich eine kleine Bank.
„Ein nettes Plätzchen zum Verweilen." und er saß bereits auf der
Bank.
Im gegenüber standen, dicht an dicht gereiht, Haselnussträucher. Ihr
Blätterwerk war nahezu undurchdringlich.
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Im fiel ein, das Bruder Markus nicht gesagt hatte, was er ihm
mitgegeben hatte, öffnete den Beutel sah hinein und wäre beinah nach
hinten umgefallen.
In dem Beutel fand er mehrere Federkiele ein Fass Tinte und ein Stoß
Blätter. Er nahm den Stoß heraus und zuoberst befand sich:
„Greensleeves"
Bit war so überrascht, dass er aufstand und sich das Blatt genau
anschaute und feststellte, dass es seine erste Reinschrift war. Fröhlich,
die Melodie vor sich hinsummend, stopfte er alles wieder in den Beutel
hinein.
Als die Turmuhr sechs schlug, war er zu Hause, verweilte nicht lange
in seiner kleinen Hütte und machte sich auf die Suche nach Rivella.
A.D. 1. Juli 1457
Erneute Abberufung und innerhalb von Mauern
Bit trennte sich kurz und schmerzlos von Rivella. Es tat ihm weh, aber
es ging nicht anders, er musste los. Die Glocke schlug sechs und er
stapfte, ohne sich umzusehen aus dem Wirtshaus hinaus und den Weg
zum Kloster hinauf. Er spürte, dass Rivella in der Tür stand und ihm
nachschaute. Aber er war unfähig sich umzudrehen und ihr
zuzuwinken. Es hätte ihm das Herz zerbrochen.
Auf halber Höhe drehte er sich um. Gewitterwolken zogen heran. War
das ein böses Omen?
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Im
der
Gegenlicht
untergehenden Sonne war das ein großartiges Schauspiel.
Blitze zuckten über den Himmel und das Grollen des Donners rückte
immer näher. Bit hatte keine Angst vor dem Gewitter und starrte
fasziniert auf das Spektakel. Schnell kam es näher. Dunkle, schwarze
Wolken türmten sich wie ein Gebirge vor ihm auf. Blitze fingerten
schon den Hang hinauf. So schnell er konnte, eilte er auf das Kloster
zu.
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Als er in seiner Kammer war, erreichte das Gewitter das Kloster. Wie
hypnotisiert starrte Bit aus dem Fenster. Blitze zuckten durch die
Wolken und tauchten alles in ein seltsam fahles Licht. Heftiger Regen
prasselte auf Dächer, Wände und den gepflasterten Hof. So schnell wie
es gekommen war, so schnell verzog es sich. Die Sonne am Horizont
trieb noch ein paar schwarze Wolken vor sich her. Der Regen hörte auf
und es stiegen überall Nebelschwaden auf.
Bit wandte sich um und widmete sich dem Blatt, was er auf dem
kleinen Tisch fand.
Außer den Regeln, die er schon kannte, las er drei weitere:
Ihm ist es verboten, Briefe zu schreiben oder welche zu empfangen.
Ihm ist es verboten, die Klostermauern ohne die Begleitung eines
Bruders zu verlassen.
Ihm ist es verboten, die Bibliothek ohne ausdrückliche Zustimmung zu
verlassen..
Bit sackte auf den Stuhl als er die Verbote las. Was geschieht hier,
fragte er sich. Warum diese verschärften Regeln?
Müde von der Situation und den aufregenden letzten Tagen, legte er
sich hin und fiel in einen unruhigen Schlaf.
Am nächsten Tag nach dem Frühstück ging Bit nachdenklich zur
Bibliothek hinüber, denn Bruder Markus war nicht an seinem Platz
gewesen. Als er den Lesesaal betrat, suchten seine Blicke vergeblich
nach ihm.
Bruder Mathias trat auf ihn zu und sagte: „Bruder Markus ist schwer
krank. Er hat dir alles, was du erledigen sollst, auf Dein Pult gelegt.“
Bit wurde fahl als er das hörte. „Darf ich ihn besuchen? Und wo finde
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ich ihn.“
„Niemand hat erwähnt, dass du das nicht darfst.", und zeigte auf eine
unauffällige Tür am gegenüberliegenden Ende der Halle.
Bit ging raschen Schrittes auf die Tür zu, klopfte an. Nichts rührte
sich. Nachdem er mehrmals angeklopft hatte, wagte er es die Tür zu
öffnen.
Er trat in einen Raum, der um einiges größer als seine Kammer war.
Ihm gegenüber war ein abgedunkeltes Fenster, durch das nur wenig
Licht den Raum schummrig erleuchtete.
Vor dem Fenster befand sich ein großer, kunstvoll getischlerte Tisch,
der über und über mit Büchern und Dokumenten beladen war. Rechts
von ihm, befand sich ein Bücherregal das über die ganze Wand reichte,
bis an die Decke ragte und mit Büchern, Mappen und Dokumenten
vollgestopft war.
Links von ihm, fiel ein schwerer wollener Vorhang zu Boden, der die
Hälfte der Wand verdeckte. Diesem schloss sich ein Bücherregal an, das
wie das andere ebenfalls Bücher, Mappen und Dokumente in
kunterbunter Reihenfolge enthielt.
Bit würde der Raum wohl gefallen, wenn er nur nicht von einem
fürchterlichen Gestank erfüllt wäre. Er rannte förmlich auf das
Fenster zu, schob den Vorhang beiseite und riss beide Fensterläden
weit auf.
Ein Pflegefall
Dann vernahm er hinter dem Vorhang ein bellendes Husten. Er schob
den Vorhang beiseite und sah Bruder Markus in einem jämmerlichen
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Zustand.
Völlig vom eigenen Schweiß durchnässt, mit heißrotem Kopf, hustend
und nach Luft schnappend, lag Bruder Markus unter einer wollenen
Decke, die wohl eine der Geruchsquellen war. Er nahm Bruder Markus
rechte Hand in die seine und legte seine andere ihm auf die Stirn.
Beide, die Hand und die Stirn waren so heiß, dass Bit meinte, sich die
Hände verbrennen zu müssen. Bruder Markus, nahm das wohl nicht
wahr, denn was er da kaum verständlich von sich gab, war nur wirres
Zeug aus lateinisch, griechisch und deutsch.
Ohne viel Aufhebens machte Bit sich an die Arbeit. Entsorgte alle
stinkenden Gegenstände, wie Lappen, Decken, Tücher, Laken und
Latrinengegenstände. Besorgte sich aus der Wäscherei frische Sachen
und zwei Eimer mit frischen, kalten Wasser. Dann wusch er Bruder
Markus, so gut es ging und so gut er konnte.
Legte ihm kalte Wickel um Füße und Hände, zog ihm frische
Nachtsachen an und legte ihm einen kühlen Lappen auf die Stirn.
„Danke", hauchte Bruder Markus und schlief auf der Stelle ein.
Auf einem kleinen Nachtschränkchen neben den Bett stand ein kleines
Fläschen. Dessen Etikett war mit, morgens, mittags und abends jeweils
ein Esslöffel nehmen, beschriftet. Bit, neugierig wie immer, öffnete die
Flasche und wäre fast umgefallen. Das Zeug roch so stark, dass selbst
der vorherige Geruch eine Wohltat gewesen war.
Schnell schloss er die Flasche. Ging hinaus in die Halle. Suchte mit
flinken Finger den Katalog ab und notierte sich verschiedene
Standorte. Bit sammelte die Bücher aus verschiedenen Regalen
zusammen. Ging an sein Pult. Wälzte in den dicken Schwarten herum
und notierte sich einige Dinge, bevor er die Bücher wieder an ihren
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korrekten Platz zurückstellte. Um diese Uhrzeit war selten ein anderer
Mönch anwesend, so dass sein Tun unbeobachtet blieb.
Während der nächsten fünf Tage betreute er Bruder Markus so gut er
konnte. Legte im Wickel, sorgte für Trinken und Essen, säuberte ihn
und wechselte immer wieder die nassen Sachen aus. Selbst während
der Nächte, Bit hatte sich die Erlaubnis geholt in der Bibliothek
schlafen zu dürfen, schaute er immer wieder nach Bruder Markus.
Am Morgen des sechsten Tages sagte Bruder Markus mit klarer
Stimme, „Bit, die Hitze lässt nach und ich habe Appetit auf eine
leckere Hühnerbrühe."
Freudig erwiderte Bit, „Ich besorge eine. Ich habe mich nämlich
inzwischen mit der Köchin angefreundet."
Sagte es, verschwand und kam nach wenigen Minuten mit einem
dampfenden Krug voller Suppe zurück. Gierig trank Bruder Markus
aus dem Krug und sagte, „Gelobt sei der Herr. Das tat gut."
Bit strahlte vor Freude und wischte sich verstohlen eine Träne aus
seinen Augen.
Das war wieder der Bruder Markus, den er kannte. Am vorletzten Tag
von Bits Anwesenheit erschien Bruder Markus zum Frühstück. Zwar
noch etwas wackelig auf den Beinen, dafür aber wieder mit gesundem
Appetit.
A.D. 9. Juli 1457
Die Fälschung
Bit hatte viel Zeit in der Bibliothek und stöberte in allem herum, was
da so herum lag.
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Die Annalen interessierten ihn besonders. Er suchte nach Einträgen, zu
all denen, die er kennengelernt hat und insbesondere nach Einträgen
über Rivella.
Er wollte wissen, woher sie kam, wer sie war.
Aber nichts, er fand nur den lapidaren Eintrag: „Rivella, im Jahre des
Herrn 1429 geboren zu Ansbach. Eltern und deren Namen sind nicht
bekannt. Rivella wurde in eine Bauernfamilie abgegeben." Das war
nicht mehr, als er ohnehin schon wusste. Enttäuscht schlug er die
Kladde zu.
Ein anderes mal, an einem anderen Tag, fand er eine Mappe mit
Protokollen und einer Anklageschrift an die Inquisition.
Oben auf, „Auf Fehler überprüfen und dann in den Ausgangskorb für
unseren Abt ablegen."
Bit studierte die Akte. Schreckliches Zeug, was er da las.
Ein Oheim beschuldigte sein Mündel der Hexerei. Mehrfach studierte er
die Protokolle. Die Anklage fußte in weiten Teilen auf den Aussagen des
Oheims und eines Zeugen, der nach Bits Einschätzung ein
Zechkumpan des Oheims war. Demgegenüber standen allein die
Aussagen des Mündels, dass ihre Unschuld wieder und wieder
beteuerte. Dem Oheim waren ein paar Karnickel, die sein eigen waren,
darunter auch ein Zuchtrammler, auf elendige Weise umgekommen.
Samt und sonders hatten sie ihr Fell verloren und über den ganzen
Körper seien eitrige Beulen verteilt gewesen. Da er sich fürsorglich um
sie gekümmert hätte, käm für ihn nur Hexerei als Ursache in Frage.
Der Oheim beteuerte, was sein Kumpan bestätigte, dass sich das ganze
von einem Tag auf den anderen ereignet haben sollte. In der Früh, so
sagte er aus, habe er die Karnickel in ihrem Laufgehege auf die Wiese
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unweit des Hauses zum Grasen gebracht. Anderntags seien sie verreckt
gewesen.
In einem weiteren Protokoll stand, dass dem Mündel, wenn es
volljährig würde, aller Besitz, den ihr Oheim verwaltete, ihm zufallen
würde. Und das Mündel würde in zwei Monaten mündig. Immer
wieder blätterte er die Akte durch und ihm wurde zunehmend klarer,
dass nur Habgier die Triebfeder des Oheims war. Woran die Karnickel
tatsächlich verendet waren, war ihm nicht klar. Da stand zwar als
Randnotiz, dass es unter den Wildkaninchen zu einem Massensterben
gekommen sei, aber dass das wohl nichts mit Hauskaninchen zu tun
gehabt hätte.
Bit überlegte lange, noch war es zu keiner Anklage und damit zur
Verurteilung des Mündels gekommen.
Das Verfahren sah vor, dass die Anklageakte dem Abt zur
Abzeichnung und Weiterleitung an das Inquisitionsgericht vorgelegt
werden musste. Daraufhin würde die Verhandlung stattfinden, die
Maid zum Tode durch Verbrennen verurteilt werden und die Sache
danach an die weltliche Obrigkeit übergeben werden.
Wieder und wieder studierte Bit die Empfehlung des Anklägers, der
ein gewisser Bartolomäus aus der Provinzhauptstadt Nürnberg war.
„Wir empfehlen, nach gründlichster Prüfung aller Umstände und
Aussagen, ein Verfahren gegen die Maid Hildegard Isenbrecht
aufzunehmen und durchzuführen.
Oheim und Zeuge erscheinen uns glaubwürdig und unbescholten.”
Darunter war die Unterschrift. Bit überlegte und überlegte. Immer
wieder betrachtete er Buchstabe um Buchstabe. Nahm eine Elle und
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maß Höhe und Breite der Buchstaben und begann mit einer Abschrift.
Nach mehreren Tage und Nächte war es soweit.
Sein Empfehlung lautete:
„Wir empfehlen, nach gründlichster Prüfung aller Umstände und
Aussagen, kein Verfahren gegen die Maid Hildegard Isenbrecht
aufzunehmen und durchzuführen.
Oheim und Zeuge erscheinen uns nicht glaubwürdig genug und der
Zeuge gilt nicht als unbescholten, sondern als stadtbekannter Lügner,
Schnorrer und Säufer.”
Zufrieden betrachtete Bit das Blatt, das er austauschte, ordnete es ein
und schloss die Akte.
Der letzte Tag
Nach dem Frühstück nahm ihn Markus bei der Hand: „Lasse uns ein
wenig wandeln."
Im Freien angekommen sagte Markus: „Weißt du, dass du mein Leben
gerettet hast?"
„Nein", sagte Bit ehrlich.
„Mein Sohn, du hast dir einen mächtigen Feind geschaffen."
,,Wen denn?", fragt Bit verzagt.
,,Bruder Antonius, unseren Quacksalber. Der kann mich nicht leiden
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und hat mir deshalb das stinkende Zeug auf den Nachttisch gestellt."
„Ups, ich habe es immer weg gegossen."
,,Du weißt, das unserer Abt bald ableben wird?"
,,Nein, weiß ich nicht"
,,Ist aber so. Bruder Antonius und ich sind die Kandidaten für dieses
Amt. Bruder Antonius ist ein wenig älter als ich und wird die Wahl
wohl gewinnen. Du weißt, was das für dich bedeutet?"
,,Nein. weiß ich nicht. Ich habe Bruder Antonius doch nichts angetan."
,,Doch, das hast du. Du hast ihn als Quacksalber entlarvt."
,,Und? Ich habe keine Angst. Was kann er mir tun?"
„Sehr viel mein Sohn. Er kann dich der Hexerei anklagen. Er kann dir
alle Privilegien nehmen, die du bisher genossen hast. Er kann dich
einsperren lassen, bis Deine Zeit hier abgelaufen ist. Geh' nun zu
Deiner Rivella und möge Gott bei dir sein!”
Nachdenklich wanderte Bit ins Dorf hinunter.
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Ein neues Heim
Am Tage des Herrn, 1. Juli 1457, machte sich Bit zu seinem von der
Bürgermeisterei erworbenen Häuschen auf.
„Sehr niedlich und hübsch
anzuschauen!", dachte er. „Gute Lage,
direkt am Markt und neben dem
Rathaus.“, überlegte er.
Er nahm seinen Schlüssel zur Hand und
schloss die ziemlich dunkel wirkende
Haustür auf. Leicht und ohne Knarren
ließ sich die Tür öffnen, so als wäre sie gestern erst geschmiert
worden. Er trat in eine kleine Diele und musste sich erst an das
dämmrige Licht gewöhnen. Er blickte sich um. Rechts von ihm, führte
eine steile hölzerne Treppe nach oben. „Schön“, entwich es ihm,
„Sogar Obergeschoss gibt es.“
Mit wenigen Schritten durchquerte er die Diele und öffnete die links
von ihm liegende Tür. Mildes Sonnenlicht, das durch ein kleine Fenster
eindrang, erhellte den Raum. Bit stellte seine Guitarra espanol ab, die
die Mönche für ihn aufbewahrt hatten und ging auf das Fenster zu. Er
öffnete es und ließ die warme Sommerluft herein. Sein Blick schweifte
über den Marktplatz, der unmittelbar an sein Häuschen grenzte.
Weiter hinten erblickte er die Gemeindeschänke. „Och, das ist aber
nicht weit!“, dachte er.
Der Raum, war wohl als Gesellschaftsraum und Küche gedacht. An der
ihm gegenüberliegenden Wand befand sich ein gemauerter Herd, der
über zwei Kochöffnungen verfügte und der rechts und links neben den
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Kochöffnungen genügend Platz bot, um Geschirr oder ähnliches
abzustellen. Vor dem Fenster links von ihm, befand sich ein roh
gezimmerter Tisch und davor ein Stuhl von ebensolcher Machart. In
der rechts von ihm liegenden Wand war ebenfalls eine Fensteröffnung
vorhanden, die ihn auf einen kleinen Garten, in dem sich auch die
Kloake befand, blicken ließ. Mehr gab es in diesem Raum nicht zu
sehen.
Er drehte sich um, betrat die Diele und schaute nach links. Am
dortigen Ende der Diele war eine Tür, die wohl zum Garten
hinausführte. Unter der steilen Treppe war so etwas wie eine kleine
Vorratskammer untergebracht. Er ging die steile Treppe hinauf, die
unter seinen Tritten ächzte und krächzte. Am Ende der Treppe gab es
einen kleinen Absatz, der genügend Platz bot, um die linker Hand
liegende Tür problemlos zu erreichen und zu öffnen. Bit trat in den
Raum, der ebenso geschnitten war, wie der darunter liegende. Statt
eines Herdes, gab es hier einen Kamin, der über einen Sims zum
abstellen allerlei Gerätes, verfügte.
Unterhalb des linken Fensters befand sich eine Liegestatt, die aus
Säcken und einer oder zwei Decken errichtet worden war.
Demgegenüber befand sich eine Kommode und rechts davon wohl so
was wie eine Ecke, die wegen eines Bottichs und zweier Eimer, die
Waschecke sein sollte.
Schnell holte er seine sieben Sachen von dem Karren, den er bis
hierhin gezogen hatte. Viel war es ja nicht, was er da hatte aber es
reichte ihm. Nachdem alles verstaut war, fühlte er sich schon heimisch.
Bit schnappte den einen Stuhl, es war der einzige, den er besaß und
setzte sich vor sein Heim und genoss den wunderschönen
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Sommerabend. Er blickte zum westlichen Horizont, wo die Sonne
gerade im Begriffe war, hinter einem Baum zu verschwinden.
Die Turmuhr schlug dreiviertel sieben
am Abend als er sich auf den Weg
machte, um nach Rivella zu suchen. Alle
die er unterwegs traf, fragte er nach
Ihr. Erntete aber nur Kopfschütteln.
Kreuz und Quer, jede Ecke absuchend,
durchstreifte er das Dorf.
Schaute in jede Schänke. Sie war nicht da ....... und er hatte sich so
darauf gefreut! Enttäuschung breitete sich in ihm aus. Erschöpft vom
vielen Suchen kehrte er zu seinem kleinem Häuschen zurück, das ihm
aber auch nicht das geben konnte, wonach er suchte.
Enttäuscht setze er sich auf den einzigen Stuhl, den er besaß. Vergrub
sein Gesicht in seine Hände. Wie lange er so da gesessen hatte, wusste
er nicht bis die Turmuhr 10 mal schlug. Die Dämmerung war längst
herein gebrochen. Er stand auf, fasste wieder Hoffnung, vielleicht finde
ich sie doch noch, dachte er.
Erneut schaute er in jede Schänke, doch Rivella war nirgends zu sehen.
Er wollte schon zu seinem Häuschen umkehren, als aus einer Schänke
Stimmen drangen, die er kannte.
Er ging hinein, nickte zur Begrüßung und setze sich an einen freien
Platz, bestellte ein Bier und versank in Träumen. Sein Gesicht in
seinen Händen verbergend, grübelte er vor sich hin. Wieder entglitt
ihm die Zeit, hörte die Glocke halb 11 schlagen und die Wirtshaustür
leicht knarren.
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Bit drehte er sich um und es verschlug ihm fast den Atem. Er
erblickte seinen Traum, dessen Silhouette sich gegen das Mondlicht
deutlich abhob. Der Traum bewegte sich mit geschmeidiger Eleganz auf
ihn zu. Bit kniff sich mächtig in seinen Arm. Der Traum kam näher.
Wie durch Watte gedämpft, hörte er eine lieblich klingende Stimme,
„Hallo mein lieber Bit“.
Unfähig auch nur Wort zu sagen, bewunderte er mit aufgerissenen
Augen die Erscheinung vor ihm. Die Erscheinung setzte sich zu ihm
und er spürte den Hauch eines Kusses auf seiner Wange. Träumte er?
Bit griff nach einer Hand und diesmal war es anders als in seinen
Träumen. Die Hand entschwand nicht, sondern begrüßte mit sanften
Druck die seine. Bit wachte auf, das war kein Traum, sondern da war
sie, seine Rivella.
Leise stammelte er: „Hallo schöne Frau, ich freue mich, Sie
wiederzusehen.“
Intermezzo
Zu Ansbach, A.D. 9. Juli 1457
Seit der ersten Trennung und dem Wiedersehen mit Rivella, war es
mit der Ruhe in seinem Herzen vorbei. Er wusste, dass er binnen
weniger Tage erneut zum Frondienst und sich von Rivella trennen
musste. Bit grübelte darüber, wie er ihr das mitteilen konnte, ohne
Ihr allzu sehr weh zu tun.
Mit jedem Tag der verging und die Trennung unerbittlich näher
rückte, fiel es ihm von Tag zu Tag und von Stunde zu Stunde immer
schwerer, ihr sein Herz auszuschütten. Zu schön waren die Tage und
die Stunden mit ihr als das er dieses Glück durch eine tollpatschige
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Geste verderben wollte.
Jeden Tag erlebte er Rivella anders. Mal plauderte er mit Ihr. Ein
anderes mal verstand er sie ohne viele Worte. Dann saßen sie bei
einander und herzten und liebten sich, von einem Gefühl getrieben,
dass ihnen zwar die Worte raubte aber nicht das Verstehen nicht das
Wissen darüber, was der andere sich vom Gegenüber insgeheim
erhoffte. Mal war es so, als wenn er sich soeben in Sie verliebt hätte.
Dann war es so, als wären sie schon eine kleine Ewigkeit zusammen.
Jeden Augenblick, den er mit ihr verbrachte, genoss er ohne Reue. Für
einen Augenblick des Zusammenseins hätte er sein Leben verschenken
können.
In diesen Tagen war er glücklich, wie lange nicht mehr. Dennoch
trübte die bevorstehende Trennung sein Glück. Wenn sie sich abends
trennten, war er häufig in solch einem Hochgefühl, dass an ein
Schlafen nicht zu denken war und er noch eine Weile vergnügt
plaudernd im Wirtshaus blieb.
Es war einer jener Abende als er eine gewisse Karana
näher kennen lernte, er fasste sich ein Herz und fragte
sie: „Wie gut kennst Du Rivella?“
„Nicht so gut, wie Du es Dir wünschst, mein lieber Bit.
Aber was bedrückt Dich? Ich fühle, dass Dich etwas quält.“
„Ach, weißt Du Kara“, erwiderte er, „Rivella und ich, wir sind uns so
nahe gekommen, dass ich vor lauter Glück bersten könnte. Mich quält
nur der Gedanke, wie ich Rivella erklären kann, dass ich in wenigen
Tagen erneut unterwegs bin. Ich kann ihr weder schreiben noch einen
Brief erhalten. Wie soll ich Ihr es sagen, ohne Sie zu verletzen?“
„Bit, was bist Du doch manchmal für ein arger Kindskopf. Hab'
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Vertrauen zu ihr, sag's ihr einfach oder schreibe ihr. Wenn sie Dich
wirklich lieb hat, dann wird sie es verstehen. Du bist doch sonst auch
nicht auf den Mund gefallen und findest diesmal keine Worte?“
„Ich traue mich einfach nicht. Mehrfach schon habe ich es versucht
und dann wenn ich den Mund aufmachen will, lächelt Sie mich an
oder macht irgendeine andere nette Geste und nimmt mir allen Mut
damit. Ich werde es Ihr wohl schreiben müssen.“
„Mache das Bit.“, tröstete ihn Kara.
Am vorletzten Tag, als der innere Druck kaum noch auszuhalten war,
schrieb er Rivella einen Brief, indem er Ihr alles beichtete. Nachdem er
den Brief verschickt hatte ging er, um sich abzulenken, spät am Abend
in die „Wassermühle am Bach“. So genau konnte er sich nicht mehr an
Einzelheiten dieses Abend erinnern aber es wurden mehr als nur
ablenkende Stunden.
Celaphor, die er als junges, nettes und hübsches Mädel
kennengelernt hatte und die ihn, ihren großen Bruder
nannte, war wie von Sinnen und außer sich. Sie
lamentierte immerzu, alles mache ich verkehrt, allen
bringe ich Unglück, ich bin es nicht wert von Jasper
geliebt zu werden ..... und so weiter und so weiter.
Er versuchte sie zu beruhigen, was anfänglich auch einigermaßen
gelang. Nur wenige Zeit später jammerte sie erneut herum und klagte
bitterlich über ihr Schicksal. Sie schrie Bit an, „Auch Du, lasse mich
einfach in Ruhe.“
Bit schrie zurück. Ein Wort ergab das nächste. Die Anwesenden gingen
in Deckung und staunten mit offenem Mund über diesen
ohrenbetäubenden Streit. Solch ein Bit war ihnen absolut neu. So
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hatten sie ihn noch nie erlebt. Bit, sonst so bedächtig und friedlich,
wurde von den Worten und dem Gehabe von Cela so aufgebracht, dass
er aufstand, sich vor Cela aufbaute und ihr links und rechts kräftige
Ohrschellen verpasste. Die Stille, die daraufhin entstand, war so leise,
dass ein fallender Strohhalm lautes Krachen verursacht hätte.
Cela öffnete den Mund so, als wenn sie erneut losbrüllen wollte.
Offenbar war sie aber ob dieser Reaktion von Bit so verdutzt, dass sie
keinen Laut herausbrachte und inne hielt. Wie nach einer Trance
erwacht, war sie wie ausgewechselt.
Bit bedauerte es sehr, dass er sich so hatte gehen gelassen. Wie
bedröppelt stand er, noch vor Erregung schnaufend vor ihr, wollte
etwas sagen, ließ es aber und setzte sich wieder an seinen Platz.
„Was habe ich getan?“, fragte er sich. „Das war doch nicht ich.“ Eine
Frau zu schlagen, das hatte er nie zuvor getan. Bit forschte in seinem
Gedächtnis. So sehr er sich auch mühte, er fand nichts Vergleichbares
in seinen Erinnerungen. Um sich weiter abzukühlen bestellte er sich
noch einen Humpen Bier und verließ alsbald darauf die Schänke.
Der Tag des Abschieds verlief genauso turbulent wie der vorige. Rivella
und er hatten keine ruhige Minute, um sich zu verabschieden. Immer
wieder waren andere dabei, die einen Abschied mit Tränen
verhinderten. Bit war das nur recht, denn er konnte mit
Abschiedsszenen einfach nicht umgehen.
Er bewunderte, wie Rivella diesen Abschied hinnahm. Nach außen
gefasst und ruhig und nach innen? Bit spürte, wie sie gegen die
aufkommenden Tränen tapfer ankämpfte. Hilflos saß er neben Sie und
war nicht in der Lage sie zu trösten.
Die Glocke schlug sechs und er stapfte, ohne sich umzusehen aus dem
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Wirtshaus hinaus auf den Weg, der zur Abtei führte. Er spürte, dass
Rivella in der Tür stand und ihm nachschaute. Aber er war unfähig
sich umzudrehen und ihr zuzuwinken. Es hätte ihm das Herz
zerbrochen.
Tage vergingen, bis er wieder in Ansbach war. Bit sah die schönen
Blumen und die Bank vor seinem Haus. „Endlich wieder da!“, dachte
er. Öffnete die Tür und trat in die Diele. Irgendetwas nahm er wahr.
Konnte es aber nicht identifizieren.„Schnick, Schnack“, rief er, „Ich bin
wieder da.“
Trat in die Speisekammer. Diese war leer. An sich nichts
Ungewöhnliches für seine Verhältnisse aber Schnick und Schnack
waren nicht da. Nirgends eine Spur von Ihnen. Einer plötzlichen
Eingebung folgend, rennt er in die Diele. Greift an den Türrahmen
und ein mächtiger Schreck fährt ihn in die Glieder. Der zweite
Schlüssel hing noch an seinem Platz!
„Oh, Du Schussel. Du wolltest ihn doch Rivella geben, damit sie das
Haus hüte.“
Er öffnete alle Fenster und ließ frische Luft herein. Betrübt dachte er
an Schnick & Schnack, „Hoffentlich sind die beiden zu Verwandten.
Clever waren die ja immer. Wird schon werden.“, ging nach draußen,
setzte sich auf seine Bank und schaute dem Treiben auf dem Markt zu.
Die Turmuhr hatte gerade sechs geschlagen.
Seine Gedanken wanderten allmählich zu Rivella. War das Bild durch
die vielen Ereignisse im Kloster in den Hintergrund gerückt, so
drängte es sich jetzt zunehmend in den Vordergrund. Ihr Umriss
wurde zunehmend deutlicher und ihr Gesicht gewann an Farben und
Konturen. Ihre Augen strahlten und ihre Haare bewegten sich wie
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Federn im Wind. „Da bist Du ja endlich, mein lieber Bit. Ich habe so
schrecklich lange auf Dich warten müssen. Willkommen zu Hause!“
Bit wollte etwas erwidern brachte aber nichts, so sehr er sich auch
anstrengte, über seine Lippen. Er fuhr hoch, als ihn ein dumpfer Ton
hinter seinem Rücken, aus seinem Traum riss. „Mist! Hätte ich die
blöde Haustür doch zugemacht, dann würde ich jetzt noch weiter
träumen.“
Bit schaute zum Rathausturm und sah, dass es schon sieben war. Er
stand auf, ging ins Haus, säuberte sich und machte sich auf den Weg
zur "Wassermühle am Bach", um den Rest des Tages bei einem Krug
Bier zu verbringen. Dort traf er auf Christin und Erdmute und
plauderte mit ihnen über dies und das.
Mute sagte beiläufig: „Bit, weißt Du eigentlich, dass Rivella auf Reisen
ist?“
Mit betrübter Stimme antwortete er, „Ja, ich weiß. Ich fand die
Nachricht soeben in meiner Diele.“
Glücklicher Juli
Die Tage des Julis waren bald gezählt. Aus
Rivella und Bit war ein glückliches Paar
geworden. Nahezu jeden Tag schrieb er ihr
glühende Liebesbriefe. Er liebte sie über alles. Sie
hatten sich einander geschenkt und genossen
immer aufs Neue die Liebe, die sie eng
aneinander schmiedete. Wenn er sie sah,
begrüßte er sie mit einem: „Hallo schöne Frau.“,
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oder „Werte Dame, sind sie glücklich?“.
An einem Abend dieser Tage trafen sie sich unter der Linde, die
abseits des Marktplatzes, nicht unweit des kleinen Häuschen von Bit
lag. Sie begrüßten sich mit einem freundlichen, „Ich liebe Dich.“ Sie
versanken einander in ihre Arme und küssten sich, sich selbstlos
dahingebend. Beide verfolgten mit ihren Augen die Schwalben, als Bit
die Augen schloss und seine Fingerkuppen über ihr Gesicht wandern
ließ. Rivella genoss diesen Moment und fragte leise: ,,Was machst Du
da?“
Bit schwieg. Dann nahm er ihre rechte Hand und stülpte einen
güldenen Ring, der aus geflochten Bändern geschmiedet war, über
ihren Ringfinger.
Leicht schob er den Ring auf den Finger, gerade
so als wenn der Ring für diesen Finger
geschaffen ward. Bit öffnete seine Augen und
schaute sie mit einem sonderbaren Blick an.
Rivella wunderte sich über diesen Blick, „Was
hast Du, warum schaust mich so sonderbar an?“
Bit erwiderte leise: „Der Ring, warum passt
er?“
Er jetzt nahm Rivella wahr, was er ihr geschenkt hatte. Versonnen
drehte sie den Ring an ihrem Finger, lächelte, und sagte leise: „Ich
liebe Dich, mein Bit.“
Er erwiderte, mit zweifelnden Ausdruck, zärtlich: „Sind wir jetzt
verlobt?“
Rivella lachte und überfiel ihn mit Liebkosungen. Sie bedeckte sein
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Gesicht mit Küssen und streichelte ihn, wo immer sie seiner habhaft
werden konnte.
Lachend sagte sie: „Ach Bit, was bist du nur für ein Kindskopf. Wir
sind es schon, seit wir uns das erste mal gesehen haben.“
Bit fiel in das Lachen ein: „Ich bin so glücklich mit Dir, meine Rivella.“
Seit geraumer Zeit verbrachten sie auch gemeinsam ihre Nächte. Beide
beschenkten sich so sehr, dass kaum ein Augenblick verging, der kein
unbeschreibliches Verlangen auslöste, dem sie sich kaum erwehren
konnten. Mitunter konnten sie nicht eine Minute nebeneinander still
sitzen, ohne dass ein Kribbeln durch ihre Körper fuhr. Schon ein Wort
reichte aus, um ihre Fantasie ins Spiel zu bringen. Sie kicherten und
lachten dann miteinander, dass es eine Freude war ihnen zuzuschauen.
Sie waren ein schönes Paar. Sie wurden bewundert und waren beliebt.
Taragita
An einem der schönen und warmen
Sommerabende ging Bit zu einem kleinen See,
inmitten eines Waldes, den er bei seinen vielen
Spaziergänge in der Umgebung von Ansbach
entdeckt hatte.
Weil er sich unbeobachtet fühlte, entkleidete er
sich vollständig. Viel war es ja nicht, was er so
anhatte. Ein Paar Schuhe, eine dreiviertel lange Hose und ein
Hemdchen, das ihm etwas zu groß war und wenn er nur dies anhatte,
fast bis zu den Knien reichte. Vorsichtig ging er in den See hinein,
denn war kein guter Schwimmer und eine Untiefe hätte ihm schnell
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zum Verhängnis werden können.
Als ihm kalt wurde, weil ein kühler Wind über den See strich, watete
er laut plätschernd zum Ufer zurück.
Ein Schrecken erfasste ihn als er bemerkte, dass seine Sachen nicht
mehr an der Stelle lagen, wo er sie vermeintlich hingelegt hatte.
Bewusst seine Aufregung unterdrückend schaute er sich genau um.
War das überhaupt die Stelle, von wo aus er in den See gestiegen war?
Nahezu mit hilfloser Mine betrachtete er den Boden und entdeckte
seine Spuren. Ja, das war die Stelle aber wo waren die Sachen,
gestohlen?
Die Stelle war mit etwa mannshohen Büschen umgeben. Er hatte sie
mit bedacht gewählt aber nun war sie ihm nicht mehr geheuer.
Er wollte gerade hinter die Büsche schauen als ihm über diese, seine
Sachen, begleitet von kichernden Frauenstimmen, entgegen flogen.
Hastig und ungelenk streifte er die schnell über und spürte, wie er rot
anlief.
Dann tauchten über den Büschen drei lachende Frauengesichter auf.
Eine mit tief, schwarzen Haaren, ein Blondschopf und eine rothaarige.
Bit mochte rothaarige fing sich wieder und begrüßte die Mädels, sie
waren gleichaltrig und in seinem Alter, mit einem freundlichen
Lachen, wohl wissend, dass sie einen Schabernack mit ihm getrieben
hatten.
Die Mädels kamen hinter den Büschen hervor und hatten alles dabei,
was für ein zünftiges Picknick am See so von Nöten war. Sie stellten
sich, ihn anlachend als Diana, Zara und Taragita vor und luden ihn
ein mit ihnen zu picknicken.
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Zu dieser Zeit war er zwar schon in Rivella verliebt aber er hatte es
ihr und sich selber noch nicht eingestanden.
Die vier verbrachten einen herrlichen Sommerabend, gingen in ihren
Hemdchen ins Wasser, wenn sie Lust dazu verspürten und neckten
sich gegenseitig. Immer zu schafften die Mädels es, dass er errötete
und ins Stottern geriet.
Als es Zeit wurde, verabschiedete er sich von Diana und Zara mit
einem Luftkuss. Tara aber nahm er in seine Arme und hauchte ihr
einen Kuss auf die Lippen.
Mit den Worten: „Sollten wir uns auch nie wiedersehen, deine Lippen
werden die meinen nie vergessen, Tara.“, verließ er sie und die beiden
anderen.
Anm. des Autors: Ab da verband beide eine tiefe Freundschaft. Beide gingen ihrer Wege und
verloren sich aus den Augen, nicht aber aus dem Sinn. Hin und wieder schrieben sie sich.
Lange Zeit auch nicht. Sie trafen sich wieder als Bit längst durch die Lande streifte und sie
beide sich des Weges begleiteten.
Ein lauer Sommerabend
Längst war es August geworden. Die Sonne hatte ihren Zenit
überschritten und wanderte am westlichen Horizont zu dem Punkt
zurück, von wo aus sie seit dem letzten Winter hergekommen war. Bit
schaute gerne in den Himmel und freute sich immer über das
Farbspiel, dass nur die Sonne am Firmament malen konnte.
Manchmal hing er dem Gedanken nach, wenn er in den blauen
Himmel sah, ob die sichtbare Welt dort oben irgendwo aufhörte. Wenn
es so wäre, so spekulierte er, was ist dann hinter diesem Ende. Mit
diesen Gedanken im Kopf wanderten er und Rivella zum Stadttor in
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die naheliegenden Felder und Wiesen hinaus. Sie fanden ein lauschiges
Plätzchen unter einer Linde, die am Rande einer mit Blumen
übersäten Wiese stand.
Rivella setzte sich und lehnte sich mit Ihrem Rücken an den Stamm
der Linde. Er, ein wenig von seinem Tagwerk erschöpft, legte sich hin
und sein Kopf ruhte im Schoß von Rivella. Beide waren sichtlich
glücklich miteinander und plauschten über Dies und Das, über Ihre
Sorgen und Ihre Freuden. Die warme Abendluft streichelte beider Haut
und Seele und die untergehende Sommersonne tauchte die Szenerie in
ein warmes aber unwirkliches Licht.
Schwalben schwirrten im schnellen Flug dicht über die Wiese oder
jagten kreischend hintereinander her. Beide schwiegen eine Weile und
hingen ihren Gedanken nach als Bit sie fragen hörte:
„Bit, an was kannst Du Dich aus deiner Vergangenheit noch erinnern?
Du hast Dich bisher immer beharrlich darüber ausgeschwiegen oder
bist Fragen danach ausgewichen.“
„Ach Rivella, da gibt es nicht viel zu erzählen. Der Schlag auf den
Kopf, den ich erhielt bevor ich hier her kam, hat mich nicht nur
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beinahe umgebracht, sondern auch meine Erinnerung in alle Winde
verstreut. Warum fragst Du mich danach?“
„Weil ich alles über Dich Wissen will, um Dich besser verstehen zu
können.“
Bit kämpfte mit sich. Über sich selber redete er so gut wie nie. Die
Atmosphäre dieses Abend löste ihm aber die Zunge.
Da war meine Mutter.
Ich sehe sie noch, wie sie mit mir an der Hand durch Felder und
Wiesen einen Hügel empor wanderte. Ich war vielleicht drei oder vier,
aber auf jeden Fall noch sehr klein. Den ganzen Weg über weinte und
schluchzte sie bitterlich.
Ich verstand das nicht. Hat sie sonst doch
auch nicht geweint, wenn sie, mich an der
Hand, irgendwo hingegangen ist. Ob ich
mitgeheult habe, weiß ich nicht mehr.
Nach einiger Zeit gelangten wir vor ein
einschüchternd großes Tor. Meine Mutter
klopfte an. Das Tor öffnete sich und ein
für mich riesiger, schwarz verhüllter Mann
trat heraus. Er begrüßte meine Mutter
mit einer wohlklingenden Stimme, die so
ganz im Gegensatz zu seinem Äußeren
stand. Er reichte meiner Mutter einen Beutel, den sie hastig unter
ihrer Schürze verbarg. Meine Mutter kniete sich vor mir nieder und
schaute mich mit ihren verweinten, tief braunen Augen an: „Mein
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Kleiner, wenn Du groß bist, wird eines Tages der Tag kommen an dem
Du alles verstehen wirst.“
Sie legte mir ein ledernes Band um, an dem sich ein sehr kleiner,
völlig zugenähter Beutel befand. „Das ist alles, was ich Dir mit auf
Deinen Weg geben kann. Achte und behüte es.“
Ich schlang meine kleinen Arme um ihren Hals und wimmerte still ich
mich hinein. Dann trat der dunkle Mann hinter mich, löste meine
Umklammerung und zog mich durch das Tor. Ich weiß nicht, ob ich
geschrien habe. Ich habe nur noch wenige Augenblicke meine Mutter
vor dem Tor sehen können, bis es sich schloss.
Über die Zeit seit jenes Augenblicks bis zum Zeitpunkt als ich vielleicht
14, 15 oder 16 war, weiß ich nur, dass ich auf den Feldern und in
den Stallungen schuften musste, dass ich immer etwas mit dem
Rohrstock über bekam, wenn ich eine Vokabel nicht kannte oder falsch
malte.
Ja, und da war noch ein Mönch, der an Sommerabenden immer mal
wieder unter einer Linde saß und ein wohlklingendes Instrument
spielte. Ich stand dann immer mit offenem Mund staunend vor ihm
und hörte gespannt zu.
Rivella kraulte ihm die Haare und sagte: „Das war wohl der, der dir
das Spielen auf der Guítarra beigebracht hatte.“
Bit nickte: Ja und dann erinnere ich mich noch daran, dass meine
Kameraden und ich sonntags, wenn wir nachmittags frei hatten, ins
Dorf liefen. Dort trafen wir uns unter der Dorflinde mit den Mädels
des Dorfes. Die größeren von uns neckten und scherzten mit ihnen. Ich
war der jüngste und wohl auch der kleinste, stand immer etwas
abseits und beobachtete alles mit aufmerksamen Augen. Eines dieser
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Mädel, eine hübsche rothaarige, schaute mich mit ihren grünen Augen
aus der Gruppe heraus an und hielt mir einen Apfel hin. „Na kleiner,
willst einen Apfel?", spöttelte sie und ich, ich lief rot an und lief weg.
Schallendes Gelächter verfolgte mich.
Eines schönen Sonntages zogen die Mädchen mit uns Klosterjungs zu
den Wiesen hinaus. Wir spielten: „Bäumchen wechsle dich“ und eines
der älteren, die rothaarige, machte sich den Spaß und zwinkerte nur
mir zu. Meistens gelang es mir bei diesem Spiel, meinen
Aufpasserinnen, die hinter mir standen zu entwischen. Nur bei ihr, bei
ihr gelang es mir nicht. Jedes mal, wenn mir eine andere zuzwinkerte,
schlossen sich blitzartig ihre Arme um mich und zogen mich an ihren
Körper.
Ich verliebte mich wohl in sie und gab ihr eines Sonntages den Ring,
der sich in dem Beutelchen befand, den mir meine Mutter gegeben
hatte. Ob sie mich geliebt hat, weiß ich nicht mehr. Sie nannte mich
immer nur, mein Kleiner. Eines weiteren Sonntags, der Sommer war
fast vorüber, trafen wir uns auf der Waldlichtung, die an anderen
Tagen unser geheimer Treffpunkt war. Sie schimpfte mich wütend aus
und warf mir den Ring vor die Füße.
Ich weiß nur noch, dass ich diesen wortlos aufhob, noch einmal die
Inschrift las, die ich nun übersetzen konnte und mich wortlos
umdrehte und davonlief.
Das letzte, an was ich mich aus jener Zeit erinnere war, dass ich auf
Geheiß des Abtes das Kloster zu verlassen hatte. Keiner brachte mich
zum Tor oder verabschiedete sich von mir, bis auf jenen Mönch der
mich das Guitarraspielen lehrte.
Seine Worte höre ich noch genau als er mir den Sack mit der Guitarra
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darin überreichte.
„Mein Sohn, bewahr Dir alles, was Du hier gelernt hast und wende es
nur zum Guten an. Erfreue mit Deinem Spiel diejenigen Herzen, die
Dir zuhören können.
Gott sei mit Dir.
Das ist alles, was ich aus jener Zeit noch weiß.
Rivella schwieg, streichelt ihm versonnen das Haar, blickte zu ihm
hinab und küsste ihn auf die Stirn.
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Ein besonders schöner Tag
A.D. 13. August 1457
In aller Frühe brach Bit frohen Herzens auf, um Holz zu schlagen. Es
war ein schöner, heller und sonniger Sommertag.
Am blauen Himmel trieben hin und wieder putzige kleine Wölkchen
vorüber.
Die Axt geschultert wanderte er
an goldgelben, sich im Wind
wiegenden Feldern und
hochstehenden, nach Sommer
riechenden Wiesen auf den Wald
zu.
In Gedanken ließ er die letzten
Tage an sich vorbeiziehen. Da
waren schöne als auch weniger schöne Tage dabei.
Besonders zwei Tage hafteten ihn im Gedächtnis. Da war zum einem
jener Tag, an dem er seiner verdutzten Rivella seinen Ring gab und
zum anderen der Tag danach, an dem er ihr die Geschichte des
Ringes, die mit seiner ersten großen Liebe zu tun hatte, erzählte. Mit
diesen Gedanken und Erinnerungen bemerkte Bit nicht einmal, dass er
schon tief im Wald war.
Schon beim letzten Mal als er hier war, hatte er sich eine prächtige
Eiche zum Schlagen ausgesucht. Es dauerte nicht lange, dann hatte er
sie gefunden. Er bestaunte sie noch einmal, bevor er mit seinem Werk
anfing. Als es zu dunkeln anfing, hielt er inne und stützte sich mit
beiden Händen auf den Stiel der Axt. ,,Nur noch einen Hieb, dann fällt
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sie.", dachte er.
Im gleichen Moment begann die Eiche zu stürzen. Lautes Krachen,
Ächzen und Rascheln von Laub
drang in seine Ohren. Bit
versuchte sich mit einem
Sprung zur Seite, aus der
Fallrichtung des Baumes zu
bringen. Stolperte dabei über
die Axt, taumelte in der
Sprungrichtung weiter, spürte
einen mächtigen Schlag im
Rücken, der ihn in einen ziemlich steilen Abhang hinunter stieß. In
furioser Weise purzelte er den Hang hinunter. Dornen, Zweige von
Büschen und kleinen Bäumen zerkratzten ihm Hände, Gesicht, Arme
und Beine. Das letzte was er merkte, war ein dumpfer Schlag an
seinem Kopf, der ihm das Bewusstsein raubte
Bit kam zu sich. Sah den Mond hoch am Himmel stehen. Alles
schmerzte. Nicht eine Stelle seines Körpers war frei davon und er
konnte sich nicht erinnern, so viele Knochen, Haut und Haare seines
Körpers gespürt zu haben. Bit versuchte aufzustehen. Der ihn, mit
brutaler Gewalt überkommende Schmerz, ließ ihn wieder
besinnungslos werden.
Wahnsinniger Durst weckte ihn. Spürte, dass seine rechte Hand in
Wasser lag. Schöpfte, so gut er es konnte, Wasser in seinen Mund.
Leckte die mit Blut, Lehm und Wasser verschmierte Hand ab.
,,Wie lange lieg ich hier?", sieht dabei, wie die Sonne die Wipfel der
Bäume erklimmt.
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Bit dreht sich unter heftigen Schmerzen
auf seinen rechten Arm und stützte sich
hoch.
Was er sah, gefiel ihm überhaupt nicht.
Seinen linken Arm konnte er nicht
bewegen. Sein linker Fuß sah merkwürdig
verrenkt aus. Er nahm nur kurz die
Umgebung war. Über ihm, weit über den Abgrund ragend, drohte die
Eiche herabzufallen.
Sah, dass er an einem Bachufer zwischen Gräsern, Kieselsteinen und
Gestrüpp lag.
Immer wieder griff er ins Wasser, um seinen Durst zu stillen.
Letztendlich überwältigten ihn die Schmerzen und gnädig umfing ihn
erneute Ohnmacht.
Bit erwachte aus einem schrecklichen Albtraum. Sein ganzer Körper
glühte. Er war schweißgebadet.
,,Gott sei Dank!", dachte er und wollte im gleichen Moment aufstehen.
Die Schmerzen, die ihn durchfuhren, sprachen eine andere Sprache.
Erst allmählich erkannte Bit seine Lage. ,,Wo bin ich?", fragte er sich
verwirrt. ,,Träum ich schon wieder?" Seine Schmerzen überzeugten
ihn, dass es nicht so war. Die Kammer war schummrig, durch das
zum kleinen Fenster hineinscheinende letzte Tageslicht beleuchtet. Bit
warf das weiße Laken beiseite, um sich zu betrachten. Sein linkes Bein
war vollständig in Tücher verschnürt und kaum zu bewegen. Sein
linker Arm lag abgewinkelt in einem Dreieckstuch auf seinem Bauch.
Über seine Brust und die linke Schulter verlief ebenfalls ein straff
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gewickeltes Tuch. Die Binde um seinen Kopf setzte dem Ganzen die
Krone auf.
Langsam setzte seine Erinnerung ein. ,,Murks, und das alles nur wegen
dieser blöden Axt." ,,Wie hat Rivella mich gefunden und hierher
gebracht?"
Die Hitze, die hinter seinen Augen und in seinem Körper brodelte, ließ
keine weiteren Gedanken zu. Sie raubte ihm das Bewusstsein.
Anderntags, als die Turmuhr sechs schlug, schaute Rivella in Bit's
Kammer.
Bit war in einem bedauernswerten Zustand. Schweiß stand ihm auf
der Stirn und sein Atem rasselte wie ein Kettenhemd.
Tapfer unterdrückte sie ihre Tränen, ging auf ihn zu, legte ihre Hand
auf seine Stirn. Die Hand zuckte zurück, als wenn sie einem glühenden
Scheit zu nahe gekommen wäre.
Rivella richtete ihn auf, gab ihm zu trinken und wickelte Waden,
Handgelenke und Stirn in kaltnasse Wickel. Sie überlegte nicht lange,
holte Hilfe aus der Nachbarschaft und gemeinsam schafften sie Bit ins
öffentliche Lazarett der Nonnen zu Ansbach.
Dort angekommen versprachen die Nonnen, ihn gut zu versorgen und
wenn es der Herr so will, werde Bit am Montag das Lazarett verlassen
können. Rivella atmete tief durch und verabschiedete sich von den
Nonnen, nach dem sie noch einen flüchtigen Blick auf Bit geworfen
hatte.
„Hoffentlich wird es wahr, was die Nonnen sagten.", sagte sie betrübt.
67
Die Genesung
A.D. 17. August 1457
Bit verließ am Nachmittag das Lazarett der Nonnen zu Ansbach.
Langsam schlenderte er in der wärmenden Sommersonne am
Mühlenbach entlang, auf sein kleines Haus zu. Jeder heftige Schritt
und Fehltritt löste in seinem Kopf ein Dröhnen wie das einer Glocke
aus. Bedächtig und durch seinen Stab gestützt setzte er Schritt auf
Schritt.
Endlich erreichte sein kleines Haus ging schnurstracks in die Kammer
und legte sich hin, um auszuruhen. Sofort fiel er in einen traumlosen
aber unruhigen Schlaf.
Als die Turmuhr sieben schlug, wachte er auf. ,,Gut, wieder daheim zu
sein", dachte er.
Sein Blick fiel auf seine Guitarra (Gitarre Anm. d. Autors).
Er nahm sie an sich, ging vor die Tür und setzte sich auf die Bank vor
seinem Haus in die Abendsonne. Von hier konnte er den ganzen
Marktplatz überblicken, dem bunten Treiben und dem Kommen und
Gehen zuschauen. Wortfetzen, ab und zu lautes Lachen unterbrochen
von Rufen der Marktfrauen und -männer, die ihre Ware lauthals
anboten, schallten zu ihm hinüber. Das Gegenlicht der Sonne tauchte
die Szene in ein solch friedvolles Licht, das es sein Gemüt wie ein
heilendes Streicheln berührte. Geistesabwesend griff er zu seiner
Gitarre und fing an zu spielen. Nach wenigen Tönen ergriff der Klang
des Instrumentes von ihm Besitz. Mit offenen Augen immer noch zum
Marktplatz hinüberschauend, spielte er die Weisen, die ihm einfielen.
Alle Gedanken waren entrückt. Die dahin huschenden Schatten auf
dem Markt, die Reflexe des Lichtes, das die untergehende Sonne
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erzeugte und die Klänge seiner Musik verschmolzen zu einem in
pastellenen Tönen gehaltenen mit kräftigen Farbklecksen gemaltes
Bild.
Er wusste nicht, wie lange er so da gesessen und gespielt hatte. Er sah
nur, dass die Schatten des Marktplatzes um vieles länger geworden
waren. ,,Eigentlich schade, dass keiner zugehört hatte", dachte er.
Zuckte mit den Schultern und stand auf.
Vor ihm im Gras lag ein kleiner Hund.
Bit versuchte den Hund zu locken aber der kleine Hund hob nur seine
Ohren und schaute ihn unentwegt an.
,,Schade, wenn ich nur einen Knochen oder ein Stück Fleisch hätte. Ich
würd's dir geben."
Aber wie so häufig in der letzten Zeit, seine Speisekammer war so
leer, wie ein umgestülpter Bierkrug. Ja sogar so leer, dass seine beiden
Mäuse, Schnick und Schnack, das Weite gesucht hatten.
Mit hängenden Schultern ging er ins Haus zurück.
Glücksmomente
A.D. 20. August 1457
Die Turmuhr schlug die halbe Stunde vor eins des Nachts als Rivella
und Bit das Wirtshaus verließen.
Sie traten hinaus in eine milde, klare Sommernacht. Der Mond war
nicht oder noch nicht zu sehen. Über Ihnen funkelte und blitzte ein
besonders schöner Sternenhimmel.
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Eng umschlungen, ihre Köpfe zueinander geneigt, schlenderten sie auf
Bits Haus zu. Ab und zu blieben sie stehen, wendeten sich einander zu
und herzten miteinander. Bit deutete immer wieder mit einem Arm
auf den Sternenhimmel und redete auf Rivella ein.
Rivella hob nur ab zu ihren Kopf, zu sehr war sie damit beschäftigt
ihn von der Seite her zu betrachten und ihm lächelnd seine Wange zu
küssen. Sie erreichten Bit's Haus und blieben vor der Tür stehen. Bit
kramte in seinen Taschen.
Traurig blickte er Rivella ab: ,,Du, ich glaube ich habe meinen Schlüssel
verloren."
Sie sah ihn an und lachte: ,,Hast Du auch noch vergessen, dass Du mir
den zweiten gegeben hast?" und zeigte ihm den Schlüssel.
,,Soll ich mal probieren, ob sich die Tür damit öffnen lässt?", sagte sie
verschmitzt. ,,Wie bin ich nur vorher ohne Dich zurechtgekommen?",
sagt er neckisch.
Rivella öffnete die Tür, trat ins Haus, wendete sich um und reichte Bit
die Hand.
,,Komm, ich bring Dich jetzt zu Bett. Ich will nicht, dass Du Dich noch
verläufst!"
Bit wollte etwas erwidern aber Rivella verschloss ihm den Mund mit
einem Kuss und zog ihn ins Haus. Nur kurze Zeit brannte noch Licht
in Bits Kammer. Leise drang etwas Gekicher nach draußen. Dann
verlöschte das Licht.
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Blumen für Rivella
A.D. 21. August 1457
Bit machte sich spät nachmittags in Richtung Wald auf. Nicht um Holz
zu hacken, sondern um Blumen für Rivella zu pflücken. Gut gelaunt
schritt er in den Wald hinein und folgte dem Pfad, den er mal
gegangen war. Nach einigen Stunden erreichte er den Weiher, an dem
er die schönen gelb leuchtenden Blumen gesehen hatte. Auf der
gegenüberliegenden Seite entdeckte er sie. ,,Nur, wie komme ich
dahin?", dachte er. ,,Ach, einfach rum um den Weiher und dann hab
ich sie."
Bit folgte dem Ufer des Weihers bis zu der Stelle, wo ein Bach
einmündete. ,,Wenn ich schon mal hier bin, kann ich mir ja mal die
Unglücksstelle genauer ansehen." Wenige Minuten später war er dort.
Der Bach strömte ihm aus einer größeren Schlucht entgegen, deren
Hänge in Richtung Weiher seicht abfielen. Das Bachbett war links und
rechts von breiten Streifen aus Schotter, Büschen, Gras und
Dornengestrüpp gesäumt. Bit ging ein Stück weiter bachaufwärts.
Dann erkannte er die Stelle wieder.
Der Hang rechts von ihm fiel nicht sonderlich steil herab und war
auch nicht sehr hoch. Oben an der Kante lag immer noch der Baum,
den er gefällt hatte. Daran schloss sich ein breiter Streifen aus Sand,
Steinen und Lehm, der nur spärlich bewachsen war an. Den unteren
Abschluss dieses Streifens bildete eine steile Kante aus blanken,
zerfurchten Fels.
Die Kannte war vielleicht so hoch, wie ein Mann mit nach oben
gestrecktem Arm. An dieser Stelle war der Bachsaum gerade mal
etwas mehr als schulterbreit. ,,Man oh man, da muss mein
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Schutzengel aber mächtig aufgepasst haben."
Bit wollte einen Schritt rückwärts machen, um bessere Sicht auf den
Hang zu bekommen, stolperte prompt über einen der vielen
rumliegenden Brocken und landete mit lautem Platsch auf seinem
Allerwertesten im Bach. Bit richtete sich auf, zog seine Beine an und
umschloss seine Knie mit seinen Armen.
„Das hast Du nun davon, von Deiner Neugier.", dachte er amüsiert.
Stand auf und konnte nun wirklich besser den Hang überblicken. Was
er sah, ließ sein Herz einen kleinen Hupfer machen. An einem
Gestrüpp hing sein Brotbeutel.
,,Hmm, soll ich oder soll ich nicht?"
Er schaute zur Sonne, die nur wenig über dem Horizont stand. „Zeit
genug ist ja noch!"
Kaum gedacht, hatte er die Felskante erklommen. Bis zum Brotbeutel
waren es vielleicht 100 Ellen (Eine Elle ca. 60cm, Anm. des Autors).
Er machte sich an den Aufstieg. Das Geröll, der Sand und der Lehm
waren so locker, dass er immer wieder hangabwärts rutschte. Bit ließ
nicht locker. Auf allen Vieren kriechend, alles Erreichbare auf seinen
Halt prüfend, kam er Elle um Elle immer näher an den Busch heran.
Als er ihn erreicht hatte, griff er nach seinem Beutel, kam aber nicht
heran.
,,Aufrichten? Wohl besser nicht, dann gibt es eine Schlitterpartie, wie
im Winter."
Bit kroch noch näher auf den Busch zu, ergriff ein paar Zweige und
schüttelte daran.
Sein Brotbeutel kam um einiges näher. Mit einer blitzschnellen
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Bewegung der anderen Hand ergriff er den Riemen des Beutels. In
diesem Augenblick rissen die Äste ab und er landete bäuchlings, nur
am Riemen seines Brotbeutels hängend im Dreck. Verzweifelt suchte er
mit der anderem Hand nach irgendeinem Halt. Bekam einen
Felsbrocken zu greifen und hoffte, dass dieser nicht lose war. Bit zog
sich vorsichtig an diesem Brocken hoch. Er hielt.
Schweiß rann ihm übers Gesicht. ,,Mann, das war knapp!" Seine Füße
hatten mittlerweile auch Halt gefunden. Er kroch wieder auf den
Busch zu, so das ein Fuß auf dem Felsbrocken zu stehen kam, wo zuvor
seine Hand war. Jetzt konnte er sich leicht aufrichten und den Riemen
des Beutels von den Zweigen streifen. Bit hängte sich den Brotbeutel
um. Er saß nun mit dem Rücken zum Hang. Beide Hände und Füße
stemmten sich in den Lehm und er schaute hangabwärts. Der Bach
unmittelbar unter ihm war nicht zu sehen. Nur zur linken Seite
tauchte er unter dem Hang hervor.
,,Und nun? Wie jetzt runter? Von hier oben sieht der Hang viel steiler
aus als von unten."
Vorsichtig, immer auf seinem Hosenboden bleibend, sich mit Händen
und Füßen gegen den Hang
stemmend, rutschte Bit
stückchenweise den Hang hinunter.
Dabei lösten sich kleinere Steine,
die mit lustig anzusehenden
Hüpfern, über den Hang kullerten.
Völlig verdreckt aber gesund und
mit seinem Brotbeutel versehen,
erreichte er die Abschlusskante und stand im Nu wieder am Bachufer.
73
,,So, jetzt noch die Blumen."
Eiligen Schrittes ging er zurück zum Weiher. Vorsichtig trat er hinein
und sackte tief in den Uferschlamm.
,,Nö, nicht auch das noch."
Mit schmatzenden Geräuschen ging er zum Ufer zurück. Lief bis zu der
Stelle wo der Bach einmündete. Durchwatete diesen und stand am
jenseitigen Ufer des Teiches.
Die gelben Blumen waren nicht weit weg. Er brauchte nur am Rande
des Schilfes vorbeilaufen und schon hatte er sie. Vorsichtig ging er in
den Teich. Seine Füße sackten längst nicht so tief ein, wie auf der
anderen Seite. Hüfthoch stand er im Wasser als er die Blumen
erreichte. Eine nach der anderen knickte er um und riss sie von ihrem
Stengel. Zufrieden mit seinem Tun, watete er zurück zur
Bacheinmündung. Schaute sich von oben bis unten an. Die Kleidung
waschen und sich im Bach säubern war eins.
Die Sonne stand genau über dem Horizont als er sich auf den Weg
nach Hause machte
Der Herbst hält Einzug
Nur wenige wussten, dass Bit sich wieder für längere Zeit
zurückziehen musste. Im Grunde interessierte es ja auch niemanden,
so seine Gedanken. Auch Rivella nicht. Sie hatte sich rar gemacht, war
häufiger mir einer namens Mariak zusammen und plauderte eben, was
Weiber eben zu plaudern hatten. Bei solchen Gelegenheiten dachte er,
schön dass sie auch Freundinnen hatte.
Den ganzen Vormittag bis in den Abend hinein brachte er damit zu,
74
sein kleines Häuschen zu säubern, aufzuräumen, gewisse Pergamente
zu sortieren, zu ordnen und zu Mappen zu schnüren. Die, die er ins
Kloster mitnehmen wollte, legte er neben seine Gitarre und seinem
Bündel. Er schaute sich im ganzen Häuschen um. Alles sah ordentlich
und adrett aus.
,,Rivella würde stolz auf mich sein."
Sein letzter Blick galt seiner Speisekammer. Sie war, wie immer, frei
von Speisen aber über und über mit Pergamentstößen voll gepackt.
Sorgfältig verschloss er die Kammer. Als seine Vorbereitungen
abgeschlossen waren, ging er hinaus und setzte sich auf seine Bank.
Der Himmel war grau und es nieselte ab und zu. Allerdings nicht so
heftig, dass er nicht hätte draußen sitzen bleiben könnte. Sein Blick
wanderte hinüber zum Marktplatz, hielt inne und ruhte auf einem
Paar, dass Arm in Arm zwischen den Ständen wandelte. Nett waren
sie anzuschauen die beiden, Gypsi und Kaiten. Da war auch Kafri, der
eiligen Schrittes auf das Rathaus zustrebte und viele andere, die er
nicht kannte.
Die letzten drei Wochen waren wie im Fluge vorbeigegangen. Es waren
glückliche als auch weniger glückliche Tage dabei. Ein Tag davon, war
ihm wie eingebrannt, in seinem Gedächtnis geblieben. Es war ein
Sonntag, wohl der 23. August. Der Tag begann hell und sonnig und
endete mit Trauer und einem unendlichem Gefühl von Hilflosigkeit.
Zuerst bahrte er Lillimelitta auf. Ja, die, die er in sein Herz
geschlossen hatte und dann kam die Nachricht, dass Mandala
lebensbedrohlich erkrankt sei und sich ins Kloster zurückziehen wolle,
um dort zu verrotten, wie sie sich ausdrückte. Beides zusammen war
zu viel für ihn.
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Bit schüttelte die Gedanken aus seinem Kopf, stand auf und machte
noch eine Runde durchs Dorf. Spät abends kehrte er zurück, packte
sein Bündel und wanderte nachdenklich aus dem Dorf. Wie lange er
wegblieb, stand auf einem anderen Blatt.
Ansbach, A.D. 1. September 1457
Spät abends, der Mond stand schon hoch am Himmel, kehrte Bit nach
acht Tagen von seinen abermaligen Klosteraufenthalt für nur wenige
Tage zurück.
Hatte er erwartet, irgendwelche Nachrichten vorzufinden, so sah er
sich getäuscht. Nichts, aber auch nichts hatte sich verändert. Bit stand
vor seinem Häuschen und fand es so vor, als wenn er es gerade
verlassen hätte. Er hatte vor seiner Abreise Rivella darum gebeten, sich
um sein Häuschen zu kümmern.
Enttäuscht und verärgert betrat er sein Heim, legte sein Bündel ab,
erfrischte sich etwas und ging anschließend ins ,,La Moulin Rouge".
Obwohl Bit Celaphor lange nicht gesehen hatte, fiel seine Begrüßung,
zu seiner eigenen Verwunderung, mehr als frostig aus.
Bit war froh, dass sie mit zwei anderen, die er nicht kannte, in
Gespräche vertieft war. Von ihr erfuhr Bit, dass Rivella in Eichstätt sei.
Seine Stimmung war eh auf dem absoluten Nullpunkt und es konnte
ihn nicht mehr weiter enttäuschen, dass er Rivella wohl kaum noch
vor seiner erneuten Abreise zu Gesicht bekommen würde.
Später stieß noch eine die Teufelsweib genannt wurde und eine von
Rivellas Freundinnen war, dazu.
Seiner Stimmung tat das gut. Sie plauderten über Gott und die Welt
und über die Liebe. Dezent fragte er sie über Rivella aus, aber die
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Antworten kamen über oberflächliches nicht hinaus.
Ansbach, A.D. 9. September 1457
Dieser kurze Zwischenaufenthalt hatte Bit überhaupt nicht gut getan.
Für nur wenige Stunden hatten Rivella und er Zeit füreinander.
Sicher, sie herzten, scherzten und plauderten miteinander, aber es
war eher so, als wenn zwei Ertrinkende sich an einem Strohhalm
klammerten.
Mit ungutem Gefühl führten ihn anderntags seine Füße hinauf zum
Kloster.
Wie lange Bit sich diesmal dort aufhalten musste, er wußte es nicht.
Es stand nicht in seiner Gewalt, darüber zu entscheiden.
Wie ein böses Omen hing eine dunkle Wolke über dem Horizont.
Ansbach, A.D. 11. September 1457
Seit dem 11. September 1457 musste Bit sich per Order ins Kloster
zurückziehen.
Obwohl er eigentlich absolutes Ausgehverbot hatte, gelang es ihm hin
und wieder zu entweichen und sich im Dorf umzusehen. War Bit
entwichen, konnte er ungestört Nachrichten schreiben und lesen.
Traurig schaute Bit auf sein Haus.
Die Sommerblumen waren verwelkt und säumten als hässliche braune
Flecken links und rechts von der Eingangstür die Hauswand. Wenn er
das Haus betrat, so erschien es ihm als wenn er es seit Ewigkeiten
nicht mehr betreten hatte. Überall bedeckte eine feine Staubschicht die
wenigen Gegenstände, die sich in den Räumen befanden.
Bit hatte weder Zeit noch sonderlich Lust am Staub im Haus noch an
den verwelkten Blumen vor dem Haus was zu ändern. Betrübt machte
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er sich dann erneut auf den Weg ins Kloster.
Der Reinfall
A.D. 15. September 1457
Bit wusste es nicht genau, wann es
war, dass er nach Ansbach zurück
kehrte. Eigentlich war es wie immer.
Alle grüßten ihn, waren freundlich.
Selbst Rivella, die manchmal etwas
zurückhaltend war, begrüßte ihn
stürmisch. Eigentlich hätte er
zufrieden sein können aber in den
Untiefen seiner Seele regte sich etwas. Es bewegte ihn, er wusste aber
nicht, was es war.
So kam es, dass er sich auf den Weg machte, um Rivella einen Besuch
abzustatten. Längst fühlte er, dass es ihr in Ansbach nicht mehr recht
gefiel. Er hockte sich auf einen kleinen Steg, der über einen Bach, zu
Rivellas Häuschen führte. Angeklopft hatte er, aber aus dem Haus
drang keine Stimme zu ihm. Er saß nur da und folgte mit seinen
Augen, den Luftblasen, die das fließende Wasser, wenn es auf einen
Stein traf, herauf wirbelte. Ganz versunken in dem Anblick nahm er
nicht wahr, dass Rivella mit zwei Körben bewaffnet, auf ihn zu kam.
„Hallo, mein Schatz“, hörte er ihre Stimme, „da bist du ja wieder.“
Er sprang auf, sie stellte die Körbe ab, als er ihren gellenden Ruf
hörte: „Nicht, Schatz! Pass auf.“
Leider zu spät. Bit verlor das Gleichgewicht und landete unsanft mit
beiden Beinen im Bach. Bedröppelt blickte er zu Rivella hoch. Rivella
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reichte ihm lachend ihre Hand. „Ach mein süßer Tollpatsch, will dir
heute mal wieder gar nichts gelingen.“ Seine Hand anfassend, zog sie
ihn an sich, umarmte und herzte ihn. Er lachte, schloss sie in seine
Arme, bedeckte ihr Gesicht mit Küssen. Zu seinen Füssen bildeten sich
zwei Lachen. Sie schmiegt sich an ihn, drängt ihren Leib gegen seinen.
Er spürt ihn und Verlangen rührt seinen Körper. Auch er drängt sie
an sich und hört, wie sie flüstert: „Bit, nicht hier.“
Er nahm die Körbe an sich und wollte gerade das Haus betreten, als
er ein: „Untersteh dich!“, hinter sich hörte. Verdutzt stellte er die
Körbe ab und brav wie er war, zog er Schuhe und Strümpfe aus.
Streute die Hose hinterher, denn Rivella mochte es nicht, wenn der
Boden ihres Häuschen bekleckert wurde, womit auch immer.
Gerade wollte er die Körbe hochheben als er ihren Leib an seinem
Rücken spürte: „Ich hab dich lieb, mein Tollpatsch.“ Sie drückte ihn
zur Tür hinein, schloss sie hinter sich, küsste ihn fortwährend und
drängte ihn küssend in ihr Gemach.
Es wurde Abend, es wurde Nacht. Lange hätte man sie kichern hören
können, wenn nicht der Schlaf sie ereilt hätte.
Ansbach, A.D. 23. September 1457
Gestern, spät abends durfte Bit das Kloster verlassen. Für wie lange,
das wusste er nicht. Er machte mich ans Werk und wischte ziemlich
lustlos in allen Räumen den Staub von den Gegenständen. Er öffnete
Fenster und Türen und ließ die frische Herbstluft herein. Bit ging vor
die Tür und entfernte mit ein wenig Wehmut die verwelkten
Sommerblumen. Zum Glück hat der beginnende Herbst auch seine
Schönheiten.
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Der September war für Rivella und Bit ein ruhiger Monat. Vielleicht
lag es daran, dass der Sommer so allmählich ausklang, die Tage kürzer
wurden und hie und da sich das Laub der Bäume verfärbte. Den
beiden ging es ausgesprochen gut, wenn nicht da ein Tag gewesen
wäre, es muss wohl einer der letzten im September gewesen sein, der
mit dem Aus ihrer Liebe hätte enden können.
Das kam so.
Rivella hatte ihn zu einem Abendessen eingeladen. Es war wohl
Sonntag und so gab es neben einer Suppe auch Gemüse mit einem
guten Stück gebratenem Fleisch. Bit hatte auf dem Markt einen
Weinschlauch mit rotem Wein darin, ergattern können. Dieser
mundete vorzüglich zu dem Braten. Das gemeinsame Essen verlief
äußerst harmonisch, wenn Bit sie nicht immer so forschend angeblickt
hätte. „Komm, lass uns noch nach draußen gehen,“, sagte sie in ihrer
gewohnt forschen manchmal auch barschen Art. Bit nahm das immer
mit Gelassenheit und Amüsement hin.
Es muss wohl die romantische Atmosphäre gewesen sein, die
hervorgezaubert durch das milde Licht, der untergehenden Sonne, Bit
schwermütig werden ließ. Er merkte mit aller Deutlichkeit, dass eine
Entscheidung bevorstand, das etwas in Rivella vorging, dass er nicht
greifen konnte. Er redete auf sie ein, versuchte zu ihrem Innersten vor
zu dringen, versuchte seine Gefühle zu beschreiben und zu
umschreiben. Es gelang wohl nicht. Auch Rivella antworte in
ungewöhnlich ausführlicher Weise. Die, die eher etwas wortkargere,
schüttete ihren ganzen Frust über Ansbach und über ihn aus. Er fühlte
sich in die Enge gedrängt, überrascht von ihren Gefühls- und
Redeausbrüchen. Ihn verließ der Mut, was darin gipfelte, dass er sagte:
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„Rivella, ich weiß und ich spüre es, so wie ich deinen Leib spüren kann,
was mit dir los ist. Du bist frei und unabhängig und mir zu nichts aber
auch nichts verpflichtet. Zieh unbesorgt mit Mariak nach Steyr los.
Bring sie Heim. Ich komme nach, wann immer ich kann.“
Das was das danach kam, war für ihn unfassbar. Rivella brach in
heftiges Weinen aus. Sie schluchzte und seufzte wie ein Schlosshund. Er
verstand diesen Gefühlsausbruch zunächst nicht. Wollte er ihr doch mit
seinen Worten eine goldene Brücke bauen, die ihr den Weg in die
Freiheit zeigte, ohne ihn zu verlieren oder zu verletzen.
Erst als der Tränenstrom zu versiegen begann und sie schluchzend und
herzergreifend sagte: „Nie, nie gehe ich ohne dich irgendwo hin. Ich
liebe dich und ich werde dich immer lieben, warum glaubst du mir
nicht? Denke doch nicht soviel nach, versuch doch nicht immer alles zu
ergründen und es zu Tode zu analysieren. Genieße doch das Glück mit
mir.“
Als er ihre Worte vernahm und er den tieferen Sinn dieser begriff,
begann ein Sturm von Gefühlen in ihm loszubrechen. Wie von selbst,
ohne Beeinflussung von Gehirn und Verstand nahm er sie in seine
Arme und liebkoste sie voller Mitgefühl und Zärtlichkeit. Entgegen
seiner Vermutung, dass sie ihn brüsk abweisen würde, flüchtete sie
geradezu in seine Arme.
Der so begonnene Abend endete mit einer unvergesslichen und nicht
zu beschreibenden Nacht.
Anm. des Autors: Kurze Zeit später, so gegen Ende September lernten sie eine Frau
namens Mariak kennen, die laut ihrer eigenen Aussage auf dem Weg nach Hause,
nach Styer war. Rivella freundete sich mit ihr an.
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Ansbach, A.D. 25. September 1457
Mit mehr als gemischten Gefühlen, verließ Bit gegen Mittag Rivellas
Haus.
Sie war schon lange vor ihm aufgebrochen. Auf dem Weg zu seinem
Haus las er immer wieder die Nachricht, die Sie ihm hinterlassen
hatte.
Guten Morgen mein Murmeltier,
lass Dir den Tee schmecken.
Ich bin unterwegs zum Markt. Du weißt, die Vorbereitungen!
Ich küsse Dich,
Rivella.”
Nur langsam ließen es seine Gefühle zu, dass sein Verstand die
Tragweite der Worte der vergangenen Nacht begreifen konnte. Hatte
er erwartet, dass es ihm das Herz zerreißen würde, so war er erstaunt
darüber, wie gefasst er war. Bit musste wohl schon tief im Innern
darauf vorbereitet gewesen sein.
Wie sonst auch, beschlich ihn Wehmut und Melancholie, wenn er sah,
wie die kräftigen Sommerfarben den milden, pastellfarbenen Tönen
des kommenden Herbstes wichen. In Begleitung dieser Gefühle und
Gedanken wanderte Bit am Markt vorbei auf mein Haus zu.
Ansbach, A.D. 26. September 1457
Den ganzen lieben langen Tag über war Bit in Ansbach unterwegs.
Ist an vielen Häuschen in denen die wohnten und lebten, die er
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wahrscheinlich niemals mehr wiedersehen würde, vorbeigeschlendert.
Wenn ihn jemand nach seinen Empfindungen gefragt hätte, der hätte
ein Kopfschütteln geerntet.
Am späten Nachmittag erreichte er den zur Abreise verabredeten
Treffpunkt am Ortsausgang. Die anderen waren bereits da.
Das Fuhrwerk, dass sie und ihre Habseligkeiten in die nächste
Ortschaft bringen würde, stand schon beladen zur Abfahrt bereit.
Freunde und Nachbarn bereiteten den Fahrenden einen herzlichen
Abschied.
Eichstätt im Oktober 1457
Vieles und auch Widersprüchliches hatte Bit über Eichstätt in den
Kneipen seines Heimatortes gehört. Ja, Rivella und er waren
unterwegs, um eine neue Heimat zu suchen. Nicht, weil er das
unbedingt wollte, sondern weil es ein heimlicher Wunsch von Rivella
war. So kam es, dass sie losgezogen waren, mit nicht mehr als einem
Bollerwagen, den Bit hinter sich herziehen musste, weil es an Geld
mangelte, um sich einen Esel oder gar ein Pferd leisten zu können.
Gegen Mittag kamen sie, die drei, Mariak, Rivella und er in Eichstätt
an.
Die beiden Frauen verzogen sich in eine Herberge und Bit, obwohl auch
er zum Umfallen müde war, gönnte sich ein Bier in einer Gaststube
unweit des Sees von Eichstätt.
Wider Erwarten traf er auf einen Mann und zwei Frauen. Wie sich
später herausstellte, waren die drei die berühmt, berüchtigten
Geschwister de Discordias. Nur an den Namen des Mannes konnte er
sich erinnern. Er hieß Uladrak.
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Es ging das Gerücht um, dass die drei, Wegelagerer der übelsten Sorte
seien. So ganz konnte Bit dem Gerücht keinen Glauben schenken, denn
in seiner Gegenwart benahmen sie sich nicht demgemäß. Nur die
Jüngste schielte unverhohlen auf die Stelle, wo sie seine Geldkatze, das
Beutelchen mit dem Gelde vermutete. Bit bemerkte das und
unerschrocken, nahezu neckisch, sagte er: „Junges Fräulein, was schielt
sie so? Dort in dem Beutelchen ist nichts zu holen.”
Worauf sie im süffisanten Ton entgegnete: „Das ist schade,
jammerschade. Ich hatte mich schon darauf gefreut, euer Beutelchen
entleeren zu können.”
Alle drei lachten lauthals los. Bit schmiss eine Runde und zog sich dann
auch in die Herberge zurück. Anderntags erreichte das Trio
unbeschadet Ingolstadt. Weiter ging die Fahrt über Regensburg und
Deggendorf nach Passau.
Passau, Oktober 1457
Mitte Oktober war es als die drei Passau erreichten.
Die Grenze hinüber nach Österreich zu überschreiten, war gefährlich.
Hieß es doch es doch, dass sich zwischen Passau und Linz eine
Räuberbande aufhalten würde.
Bevor es zu diesem Grenzübergang kam, schrieb Bit eine gewisse
Taragita an, um näheres über das Räubergesindel zu erfahren. Sie
schrieb ihm zurück, dass ein sofortiger Übergang zu gefährlich sei und
er noch ein paar Tage in Passau bleiben sollte.
Als der Weg frei wurde und die drei, Rivella, Mariak und er, hätten los
ziehen können, da erkrankte Bit so schwer, dass es Rivella Angst und
Bange um ihn wurde. Er wollte nicht ins Spital, wusste er doch, dass
ein Spitalaufenthalt für die meisten ein Aufenthalt ohne Wiederkehr
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war. Die beiden Frauen vertrauten ihn einer der Kräuterkunde
kundigen Frau älteren Alters an.
Bit befand sich nahezu tagelang im Delirium, erholte sich langsam und
nahm die fürsorgliche Alte kaum war. Als es ihm besser ging und er
wieder auf eigenen Füßen stehen konnte, verabschiedete er sich von
der Frau und entlohnte sie nach seinem dafürhalten, mehr als
angemessen.
Rivella war mittlerweile auch wieder am Ort und Mariak ebenfalls.
Beide waren, während er das Bett hüten musste in den Heimatort
von Mariak gewandert. Rivellas Antwort nach seiner Frage, wie es
dort war, fiel knapp aber präzise aus. „Blöd.“, sagte sie kurz
angebunden.
Sie und er wollten weiter nach Linz als sich eine Frau und ein Mann
namens Corbie und Georgwalter zu ihnen gesellten. Corbie, eine stille,
freundliche und zurückhaltende junge Frau wollte nach Hause, nach
St. Pölten. Georgwalter, der immerzu still war, wortkarg aber nicht
unfreundlich, dem war es egal, wohin in seine Füße trugen.
So also brachen sie zu viert auf, denn Mariak wollte nicht mit. Bit
bemerkte es, nicht ohne eine gewisse Erleichterung.
Anm. des Autors: „Bit schmunzelte immer wenn er an Tara zurück
dachte und wenn er mal schlecht gelaunt war, dann genügte meistens
ein Blick zurück und seine Laune hellte sich auf.“
Passau im November 1457
Es wurde November als beide im Dom zu Passau getauft und verlobt
wurden. Er war glücklich und dennoch zweifelte er. Viele Freunde
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waren anwesend, beglückwünschten sie und dennoch spürte er, dass es
da etwas gab, was sie auseinander reißen würde.
Viele Gäste waren anwesend. Sogar welche, die er nicht kannte. Da
war eine, sie saß in den hinteren Reihen, völlig in Schwarz gekleidet,
die er nicht kannte, sie aber kennen lernen wollte. Die Anderen,
Kurun und Karana, Celaphor, Daggi, Erdmute, Christin, Lavly,
Georgwalter, Gypsy und, und, und, tuschelten miteinander.
Bit freute sich, dass so viele ihrer gemeinsamen Freunde erschienen
waren und warf immer scheue Blicke zu Rivella. Ihr gefiel es wohl, so
im Mittelpunkt zu stehen und er freute sich, dass es so war.
Als die offizielle Zeremonie vorüber war und sich Rivella umringt von
der Gästeschar ins Freie begab, nutze er die Gelegenheit und bewegte
sich auf die völlig in Schwarz gekleidete Frau zu. Er übersah aber
dabei, dass sich ein Schnürsenkel gelöst hatte. Und wie er sich so durch
die Bänke zwängte, begann das Unvermeidliche. Er trat auf den
Schnürsenkel, stolperte und fiel der Dame zu Füßen.
Geistesgegenwärtig sagte er: „Habt Dank, dass ihr der Zeremonie
beigewohnt habt. Nie, werde ich euch vergessen“
Die Dame blickte milde auf ihn hinab, sagte nichts aber lächelte ihn
an. Bit trat den Rückzug an, ging hinaus vor das Portal, setzte sich
auf die kalten Stufen und begann zu musizieren. Er spielte das Lied,
dass er so häufig im vergangenen Sommer gespielt hatte.
Schemenhaft sah er, wie die Gäste nach diesem und jenem Ausschau
hielten, wie Rivella, umringt von ihren Freunden und Freundinnen,
umarmt wurde.
Es beglückte ihn, eine solch beneidete Frau, seine Verlobte nennen zu
können. Er saß da und musizierte seine Gefühle hinaus. Das, was er
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spielte, war das, was er fühlte.
Völlig in seine Musik versunken, spürte er nicht, wie ihm kälter und
kälter wurde. Erst als Rivella ihm eine Hand auf seine Schulter legte
und leise sagte: „Komm mein Liebster, es ist vorbei.“, blickte er auf
und ließ sich folgsam in die vorgesehene Herberge geleiten.
Sie teilten ihr Bett und Bit klammerte sich nackten Leibes fröstelnd
an sie.
Siedendheiß war er und dennoch verschmolzen beide zu Einem. Als er
erwachte, fand er sich in einem Spitalzimmer wieder. War er wirklich
so krank?
Seine Natur bäumte sich auf und er verließ wenige Tage später das
Spital.
Rivella und er brachten Corbie wohlbehalten nach St. Pölten. Rivella
kränkelte. Ihr war morgens speiübel und er wusste nicht, was das zu
bedeuten hatte. Er hütete sie. Sorgte sich um sie. Zog sie aus.
Bewunderte ihren Leib und wusch sie. Sie nahm es hin und dennoch
spürte er, dass eine Wandlung in ihr vorging.
Mit Gypsy, Lavly und Georgwalter kehrten sie nach Ansbach zurück,
um beider Hausstände aufzulösen. Nur Tage später, es war
mittlerweile Mitte Dezember geworden, zogen sie wieder los. Beider
Absicht war, sich nun endlich in Linz niederzulassen.
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Das Ende
Dezember 1457
Schön war es in Regensburg als sie dort ankamen. Beide verbrachten
einen so wunderschönen Abend, dass er als sich Rivella von ihm
verabschiedete, keine Ruhe fand. Innerlich aufgewühlt ging er durch
die Gassen von Regensburg, um sich nach einer Bleibe umzuschauen.
Lautes und fröhliches Gelächter drang ihm in die Ohren. Er überlegte,
die Stimmen kannte er doch.
Das waren doch die Beiden, die er zuvor am Mittag kennen gelernt
hatte. Die, die so nett zu ihm waren. Die, die ihn mit Herzlichkeit und
Freundlichkeit überschüttet hatten. Er überlegte kurz und betrat das
Wirtshaus, aus dem die Stimmen an sein Ohr drangen.
Ja, das waren sie. Sein Ohr hatte ihn doch nicht getäuscht.
Bit lächelte beiden zu und wünschte ihnen einen guten Abend. Sie
lächelten ihn mit einem freudigen "Hallo Bit" an.
Beide plauderten lustig miteinander. Bit lauschte nur der Melodie
ihrer Stimmen. Der Sinn ihrer Worte verschloss sich ihm. Es war ihm
auch egal. Das Zwitschern ihrer Stimmen bereitete ihm sichtliches
Vergnügen. Irgendwann wechselte das Thema auf seinen Sack, in dem
er seine Guitarra aufbewahrte.
Bit erdreistete sich zu fragen, ob er eine Kostprobe geben dürfe.
Peinlich war ihm das schon, denn er spielte nur ungern vor Publikum.
Mochten viele doch nicht das, was er so spielte.
Er war überrascht, als er das erste Stück gespielt hatte, Applaus zu
bekommen.
"Madrigal gavota" hieß das Stück, das ihm den Applaus bescherte. Sie
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forderten ihn auf, doch noch etwas zu spielen. Bit tat es und war es
zufrieden, dass er Ihnen ein solches Geschenk darbieten konnte.
Er verabschiedete sich mit den Worten:
„Wenn es das Schicksal will, komme ich noch einmal her und gebe ein
Konzert aber nur für die, die hinhören können."
Dann reichte er einen von beiden seinen Arm und ging mit ihr ins
Dunkel hinaus.
Passau wenige Tage später ….
Erneut erkrankte er so schwer, dass Rivella und die anderen ihn in
Passau bei einer Kräuterfrau zurücklassen mussten. Wenn es ihm
besser ginge, so deuteten sie an, würden sie ihn abholen, um ihn nach
Linz zu begleiten. Es kam aber anders als er es sich vorstellte.
Heftiges Schneetreiben verhinderte, dass er sich sofort und allein auf
den Weg nach Linz machen konnte. Da ihm das Geld ausgegangen
war, konnte er sich nicht einmal Herberge leisten.
Januar 1458, das Nachtlager
Insgeheim hoffte er ja, dass Rivella im Ort sein würde. Aber sie war es
nicht. Von allen, die er fragte, bekam er nur ein Kopfschütteln. Eine
Müllerin namens Alistanneneth bot ihm an, in ihrer Mühle zu
nächtigen. Dankbar nahm er an. Es war bitter kalt und eine
Übernachtung irgendwo im Freien hätte den sicheren Tod bedeutet.
Bit hatte endlich die am nordöstlichsten Winkel von Passau gelegene
Nr. 177 gefunden.
Er hatte eine Pechfackel in der Hand, öffnete die Tür zur Mühle, die
leicht knarrend den Weg ins Innere des Mahlraumes freigab.
Hoffentlich hat das Knarren niemanden geweckt, dachte er noch als er
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mit der Fackel den Raum erleuchtete.
Wie Alis es ihm gesagt hatte, die Mühle
war warm und trocken und die
Decken, die fein säuberlich über einem
Schemel lagen, sahen vielversprechend
aus.
Bit ging hinein, zog die Tür hinter sich
leise zu und suchte nach einer
besonders warmen Ecke.
Er nahm die Decken vom Schemel,
legte sie in die erkorene Ecke, schaute
sich um nach einem Eimer Wasser, um die Fackel zu löschen.
Entdeckte diesen im entgegengesetzten Winkel des Raumes, lief auf
diesen zu und, wie konnte es anders sein, übersah den Schemel, der
ihm den Weg versperrte.
Mit lautem Krachen stolperte er über diesen, fiel der Länge nach hin
und begrub die brennende Pechfackel unter sich.
Nachdem der Lärm verebbt war, kroch er auf allen Vieren auf den
Winkel zu, indem er die Decken vermutete. Irgendwann fühlte er einen
Zipfel einer Decke, kroch zufrieden drunter und wickelte sich ein.
Nach wenigen Augenblicken schlummerte er murmelnd: „Dank Dir
Alis" ein.
Alis schälte sich aus ihren Decken, lief in die Küche um Tee
aufzusetzen.
Dann holte sie ein Brot aus der Kammer, schüttete etwas
Milch in eine Kanne und lief hinaus durch den in der
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Nacht gefallenen Schnee zur Mühle. Vorsichtig öffnete sie die Tür, sah,
dass Bit noch schlief und stellt die Sachen neben die Tür.
Er wird sie schon finden wenn er aufsteht. dachte sie sich.
Alis ging zurück ins Haus und frühstückte selbst.
Bit wachte von ein ihm ungewohntes Geräusch langsam auf. Er schlug
die Augen auf und nur langsam kehrte die Realität in sein Bewusstsein
zurück.
Aus den Augenwinkel erfaßte er gerade noch, wie die Tür ins Schloß
fiel.
Er streckte und reckte sich, um den Schlaf aus seinen kalten Gliedern
zu vertreiben.
Er erhob sich, besah sein Hemd, das angesenkt und mit Pech
verschmutzt war.
Das erinnerte ihn an den Schemel, der ihm niederträchtiger Weise in
der Nacht ein Bein gestellt hatte.
Bit schmunzelte, faltete die Decken zusammen, nahm den Schemel
auf, stellte ihn in eine Ecke, wo er seiner Meinung nach, kein Unwesen
mehr treiben konnte und legte die Decken fein säuberlich darüber.
Gerade als er sich zum Gehen wandte, entdeckte er ein Tablett auf
dem sich eine Kanne und ein Stückerl Brot befand, unmittelbar neben
der Tür.
„Was nun,“, dachte er: „Allein frühstücken oder alles mit hinüber zum
Wohngebäude nehmen? War es nicht eher ein Hinweis darauf, dass er
niemanden dort antreffen würde?“
Unschlüssig zuckte er mit den Schultern, nahm das Tablett auf, setzte
sich auf den nun weich gepolsterten Schemel und begann, das Tablett
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auf seinen Oberschenkel balancierend, mit dem Frühstück. Als er es
zufrieden war, stellte er das Tablett zur Seite und bepackte sich mit
seinen Habseligkeiten. Dann nahm er das Tablett, ging hinaus in die
Kälte geradewegs auf das Wohnhaus zu, stellte das Tablett neben der
Eingangstür ab und klopfte leise an.
Als er nach einigem Warten die Kälte an ihm hochkrabbeln spürte und
sich im Haus nichts rührte, drehte er sich um und wanderte in
Richtung Ortsmitte.
Bit war sehr traurig als er als er den Leuchtturm spät in der Nacht
verließ. Vergeblich hatte er den ganzen Tag über nach seiner Rivella
gesucht. Er war sogar auf einer Hochzeit und hatte dort ein
Ständchen in der Hoffnung vorgetragen Rivella anzutreffen. Er war
nur imstande ein Stück vorzutragen. Ein weiteres hätte ihm die
Tränen in die Augen getrieben.
Der starke Wind pfiff ihm um die Ohren und trieb ihm Tränen in die
Augen, so dass er nicht mehr wußte, ob es echte Tränen waren oder
ob es der eisige Wind war.
Bit stemmte sich gegen den Wind und wanderte bibbernd auf die
Mühle von Alis zu.
Was ist mein Problem gegen das von Alis, dachte er. Kaum das sie
einem Würmchen das Leben geschenkt hatte, verschwand ihr edler
Ritter.
Der Schnee knirschte unter seinen Füßen, die er kaum noch spürte als
er die Mühle vor sich sah. Zum Glück hatten ihn die Mönche mit einer
Kutte versorgt, die sich bei der Kälte und dem Wind als Glückstreffer
erwies. Leise öffnete er die Tür zur Mühle und fand sich auch im
Halbdunkel des Raumes zurecht.
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Übermüdet schnappte er sich die Decken, die er vortags über den
Schemel gelegt hatte und verkroch sich in die wärmste Ecke, die er
finden konnte.
Vorsichtig, so es seine klammen Finger zuließen, entledigte er sich
seiner Habseligkeiten. Ganz vorsichtig legte er den Sack mit seiner
Gitarra beiseite und kroch unter die Decken.
Wo war nur Rivella, schoss es ihm durch den Kopf.
Unruhig wälzte er sich von einer Seite auf die andere. Mühselig zwang
er sich den Melodien zu lauschen, die ihm den ganzen Abend zuvor
durch den Kopf gegangen waren. Als er endlich ein Volkslied in seinen
Kopf zaubern konnte, entspannte er sich und schlummerte ein.
Alis machte gegen Mittag eine Pause mit der Arbeit und
lief durch den Schnee zurück zu ihrem Haus. Bits Husten
war noch nicht besser geworden, sie hatte ihn heute
morgen, als sie losgegangen durch die Mühlenwand gehört.
Alis suchte ein paar alte Laken zusammen und machte sich daran
einen Sack aus ihnen zu nähen. Als er endlich fertig war, stopfte sie
ihn aus mit allem was sie finden konnte: Heu, Stroh, Stoffreste...
Als der Sack ihr dick genug erschien, nähte sie die noch offene Seite zu
und legte ihn auf den Boden um ihn auszuprobieren. Manchmal
stachen sie ein paar der Strohhalme, aber die Härte des Bodens
konnte sie nicht mehr spüren.
Zufrieden mit ihrem Werk, brachte sie die Schlafunterlage für Bit in
die Mühl e und legte eine kleine Notiz dabei, Damit du nicht so hart
schlafen musst...
Dann packte sie sich selbst etwas Brot und den Fisch, den sie gestern
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geangelt hatte, ein und ging zurück zur Arbeit.
Bit wachte vom Getöse des Windes, der durch alle Fugen und Ritzen
der Mühle pfiff, aus unruhigen Schlaf auf.
Er hockte sich hin, umschloss seine Knie mit beiden Armen, starrte
wie seelenlos in das Halbdunkel des Mühlenraumes und hing seinen
düsteren Gedanken nach.
Wenn er nur wüsste, wo er noch nach seiner Rivella suchen sollte.
Sorgenvoll erhob er sich. Wenn ihr nur nichts zugestoßen ist, seufzte er.
Bit zog sich die schwere Mönchskutte über, ging zur Tür und sah das
Bündel, dass wohl Alis, als er noch schlief, neben die Tür gelegt hatte.
Er entdeckte ein kleines Stück Pergament auf dem mit zierlicher
Schrift geschrieben stand: Damit du nicht so hart schlafen musst...
Ein mildes Lächeln schlich sich in sein Gesicht und besänftigte sein
Gemüt. Er ließ alles, bis auf seinen Umhängebeutel, liegen und stehen
und ging in das Schneetreiben hinaus. Schneeflocken tanzten um ihn
herum und der heftige Wind zerrte wie wild an der Kutte. Wie tags
zuvor ging er an die, sich im Schnee duckenden kleinen Häuschen,
vorbei auf die Stadt zu. Ich muss sie finden, war der Gedanke, der nun
alles beherrschte.
Bit hatte den ganzen Tag gesucht und gesucht, hier mal jemanden
und dort mal jemanden nach Rivella gefragt. Aber nichts, sie schien
wie vom Erdboden verschluckt. Systematisch hatte er Wirtshaus für
Wirtshaus, Herberge für Herberge abgesucht, aber ohne Erfolg.
Überall erntete er nur ein Kofpschütteln oder ein lapidares: ,,Nicht
gesehen".
Sorgenvoll, müde und niedergeschlagen machte er sich auf den Weg
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zur Mühle von Alis. Heftiges Schneetreiben nahm ihm die Sicht und
machte den Weg
zur Mühle
mühselig und
beschwerlich.
Bit wachte
anderntags mit
klammen
Gliedern, heftigem
Kopfweh, einem
üblen Gefühl und
schlecht gelaunt
auf. Er setzte sich
auf,
umklammerte
seine Knie, stützte den Kopf darauf und ließ die Tage seit seiner
Rückkehr aus dem Kloster bis hierhin Revue passieren.
Was war passiert, dachte er. Was habe ich getan oder unterlassen? So
sehr er auch in sich hineinhorchte, er hörte keine Antwort.
Seufzend erhob er sich, schnürte sein Bündel, zog die wärmende Kutte
über und schritt langsam auf die Tür zu. Er stutzte, ging zurück zu
dem Schemel, fand das Stück Pergament und kritzelte auf dessen
Rückseite:
Werte Alis,
habt Dank für alles, was Ihr für mich getan habt.
Ich hoffe, dass ich es Euch vergelten kann.
So nicht heute, dann ein andermal.
Möge Gott Dich und Deine Kleine beschützen.
Euer dankbarer Bit
Er drehte sich um, nahm das Pergament zu sich, ging zur Tür,
schulterte sein Bündel und trat hinaus in die kalte Luft des
anbrechenden Tages. Leise schloss er die Tür die Mühle hinter sich zu,
ging hinüber zum Wohnhaus und schob das Pergament unter die Tür
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und wandte sich abrupt um. Mit hängenden Schultern ging er den
Weg auf die Stadt zu.
Alis ging in die Küche runter um sich essen zu machen,
und fand dabei den Zettel neben der Tür. Er war etwas
klamm vom Schnee, aber die Schrift war gut lesbar...
waren...
Alis fand es schade, dass sie sich nicht mehr begegnet
Bit hatte in den Tagen etwas bedrückt gewirkt. Alis hoffte, er würde
finden wonach er auf der Suche war. Er schien ein sehr lieber Mensch
zu sein... Alis dachte schmunzelnd daran, wie er für Philo gesungen
hatte, und wie sehr ihre Tochter das gemocht hatte.
Ich hoffe wir sehen uns wieder Bit....dachte sie.
Als der Schneesturm sich legte, stapfte er allein nach Linz und suchte
sofort nach seiner Rivella. Er fand sie nicht und er traf auch niemand,
der sich an sie erinnern konnte oder sie gesehen hatte. So trieb er sich
des Abends, immer auf der Suche nach ihr, in den vielen Gaststuben
des Ortes umher. Er sorgte sich sehr, weil er nicht eine Spur von ihr
fand. Wieder erkrankte er, so dass er sich erneut ins Klosterspital
begeben musste.
Es wurde Ende Januar als er sie wiedersah. Ihr Wiedersehen kam ihm
so kalt vor, wie es der Winter war. Sie wollten sich anderntags erneut
wiedersehen, aber dazu kam es nicht mehr. Obwohl er ihr mehrmals
Nachricht zu kommen ließ, vermied sie es, mit ihm in Kontakt zu
treten. Er war wie vor dem Kopf geschlagen, wusste nicht ein noch
aus, konnte sich nicht erklären, warum sie ihn mied.
Er war drauf und dran sich am nächsten Baum aufzuknüpfen, wenn
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da nicht die beiden, Vilya und Dorie gewesen wären. Beide sprachen
ihm Mut zu und er solle sich und Rivella eine Frist setzen.
Die Frist verstrich und er begleitete Dorie nach St. Pölten. Kurze Zeit
später kehrte er nach Linz zurück. Er hatte sich vorgenommen, nach
Ansbach allein zurück zu kehren, aber aus diesem Entschluss wurde
nichts.
Am Vortag seiner Abreise traf er unverhofft auf Rivella, die in
Begleitung zweier Freundinnen war. Ihm klopfte das Herz bis zum
Halse. Da das Wiedersehen so ungewollt zu Stande kam, wusste er
nicht, wie er sich verhalten sollte. Ja, er wollte sie nach dem Warum
fragen, als sie ihn ihren beiden Freundinnen als ihren Ex- oder immer
noch Verlobten vorstellte. Eine der beiden Freundinnen fragte sie, ob
sie sich nicht gegeneinander erklären wollten, worauf Rivella in ihrer
manchmal schroffen Art lapidar antworte: „Es ist alles gesagt.“
Bits Herz verkrampfte sich als er das vernahm. Mit versteinerter Mine
saß er ihr gegenüber und war unfähig sich zu äußern. Es dauerte eine
kurze Zeitspanne, bis er sich in Gewalt hatte, wortlos aufstand und
zur Tür ging. In der Tür stehend winkte er ihr und den beiden
anderen zu und wünschte Rivella mit fester Stimme, viel, viel Glück
auf allen ihren Wegen.
Gerade als er die Tür hinter sich verschließen wollte, lief Rivella auf ihn
zu, hielt ihn am Ärmel fest, drehte ihn zu sich und sprach die Worte,
die sich ihm ab da tief in sein Gedächtnis gruben: „Ich werde dich
immer lieben. Vergiss das nie.“
Abrupt löste er ihren Griff, schaute sie verständnislos und doch milden
Blickes an. Noch einmal prägte er sich ihr Antlitz ein, versuchte ihre
tiefblauen Augen zu durchdringen, um doch noch Antworten zu
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finden. Vergebens, er fand keine Antworten. Schweigend drehte er sich
um und stapfte durch die verschneite Gasse einem unbekannten Ziel
entgegen.
Anm. des Autors: Hier enden Bits Aufzeichnungen über einen Sommernachtstraum aber es
gibt noch weitere Notizen, Briefe und Dokumente aus jener Zeit, die ich in diesen Bericht
nicht unterbringen konnte. Es war wohl Februar 1458 geworden als unser Bit aus Ansbach
von Linz weg zog. Irgendetwas drängte ihn dazu, nach Süden zu ziehen. Wovon im nächsten
Abschnitt die Rede sein wird.
Eine Reise nach Süden in einem Bilderbuch festgehalten
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