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Frau Q erklärt und ihre Welt

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<strong>Frau</strong> Q <strong>erklärt</strong> uns <strong>ihre</strong> <strong>Welt</strong><br />

Mit fre<strong>und</strong>licher Unterstützung von:<br />

Gefördert durch:


Auf dem Weg in die Schule<br />

Gleich treffen wir <strong>Frau</strong> Q am Bahnhof. Sie ist so nett <strong>und</strong> hilft uns dabei,<br />

diese Foto-Geschichte zu gestalten. <strong>Frau</strong> Q ist eine viel beschäftigte <strong>Frau</strong>,<br />

die neben <strong>ihre</strong>r Arbeit gerne Querflöte spielt, liest <strong>und</strong> auch selbst tolle<br />

Geschichten schreibt. Wie ihr dies gelingt, obwohl sie nicht sehen kann,<br />

das werden wir sie auch noch fragen. Heute haben wir sie aber um etwas<br />

anderes gebeten. Heute <strong>erklärt</strong> sie uns, wie sie es schafft, ohne sehen zu<br />

können, den Weg zur Schule zu finden.<br />

Da ist sie ja.<br />

„Hallo“, „Guten Tag“, “Schön Sie zu sehen“,<br />

begrüßen wir uns alle. „Wir sind so gespannt“,<br />

teilen wir ihr mit. Für uns alle ist es das erste<br />

Mal, dass wir mit einem blinden Menschen<br />

die <strong>Welt</strong> entdecken dürfen“. Auch <strong>Frau</strong> Q freut<br />

sich darauf, uns zu erklären, wie es für sie ist,<br />

sich im Straßenverkehr zurechtzufinden.<br />

Sie steigt aus dem Zug aus <strong>und</strong> verlässt<br />

sofort die Bahnsteigkante, um einen sicheren<br />

Abstand zu den Schienen zu erhalten.


Auf geht’s! Wir machen uns auf den Weg<br />

zur Schule. Inmitten des Gehweges auf dem<br />

Bahnhof verläuft ein weißer geriffelter Streifen,<br />

der bis zum Ausgang führt. „Dies ist eine<br />

spezielle Hilfe“, sagt <strong>Frau</strong> Q, „man nennt sie<br />

Leitlinie. Leitlinie deshalb, weil sie Menschen<br />

mit Sehbehinderung den Weg leiten kann.<br />

Für Menschen, die nicht ganz blind sind, sondern<br />

noch ein wenig sehen können, beispielsweise<br />

Schatten oder kleine Ausschnitte, ist es gut,<br />

dass die Leitlinien in einer anderen Farbe<br />

sind, als der Rest des Gehweges. So kann<br />

die Leitlinie besser erkannt werden. Die Riffel<br />

in den Platten lassen sich zusätzlich noch mit<br />

dem Stock <strong>und</strong> den Füßen ertasten.“


„Ich kann aber durch viele andere Dinge meinen<br />

Gehweg erkennen“, sagt sie <strong>und</strong> gleitet mit <strong>ihre</strong>m<br />

Blindenstock an den Rand des Weges. Dort gibt<br />

es eine Kante, die den Gehweg vom Grünstreifen<br />

trennt. Auch ein Gitter für die Abdeckung der<br />

Regenwasserrinne verläuft am Wegesrand.<br />

„Das Gitter, die Kante am Wegrand <strong>und</strong> der<br />

Grünstreifen sind meine Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> helfen mir,<br />

zu erkennen wo <strong>und</strong> wie ich laufen kann.“ Sie<br />

lächelt <strong>und</strong> ergänzt: „Mit meinem Blindenstock<br />

kann ich sie ertasten <strong>und</strong> an ihnen entlanggehen.<br />

Es sind natürliche Leitlinien. Das Geräusch, das<br />

entsteht, wenn ich mit dem Blindenstock auf den<br />

Untergr<strong>und</strong> klopfe oder darüber gleite, hilft mir<br />

auch“.


Wir lauschen ihr gespannt <strong>und</strong> beobachten, wie<br />

sie auf diese Weise <strong>ihre</strong>n Weg vom Gleis zur<br />

Treppe findet. „Können wir helfen <strong>und</strong> sagen,<br />

wo es Hindernisse auf dem Weg gibt, oder wir<br />

eine Treppe erreichen?“<br />

„Nein, nein, dass braucht ihr nicht“, sagt sie.<br />

Mit meinem Stock <strong>und</strong> meinen Ohren finde ich<br />

meinen Weg. Ich kenne mich in dieser Stadt<br />

auch ganz gut aus“.<br />

Wir können verstehen, dass <strong>Frau</strong> Q hören kann,<br />

wo Autos fahren <strong>und</strong> Menschen laufen. Wie ist es<br />

aber mit feststehenden Dingen, die geräuschlos<br />

sind, wie Häuser, stehende Fahrräder oder<br />

ähnliche Sachen? „Die können sie bestimmt<br />

nur mit dem Stock ertasten, oder <strong>Frau</strong> Q?“<br />

„Auch, aber nicht nur“, sagt <strong>Frau</strong> Q, „ich kann<br />

zudem den Schall hören <strong>und</strong> einordnen. Wenn<br />

wir beispielsweise an einem Haus vorbeilaufen,<br />

kann ich hören, ob es nah oder weit weg ist“.


<strong>Frau</strong> Q bleibt stehen <strong>und</strong> schnipst mit <strong>ihre</strong>n<br />

Fingern vor einer Häuserwand, dann lauscht sie<br />

dem Klang. Nun entfernt sie sich ein wenig von<br />

der Häuserwand <strong>und</strong> schnipst noch einmal. Der<br />

Klang vom Schnipsen hört sich nun anders an. So<br />

ist es mit allen Geräuschen. Mit Schnipsen kann<br />

man absichtlich Laute erzeugen <strong>und</strong> lauschen, wie<br />

ein Echo zurückhallt“, <strong>erklärt</strong> sie uns. „Das kann<br />

zusätzlich zu den natürlichen Geräuschen helfen,<br />

den Abstand zu Dingen <strong>und</strong> Menschen besser zu<br />

erkennen.<br />

Auch Schnalzlaute oder Geräte mit Klicklauten<br />

werden dafür genutzt.“ Wir finden das sehr<br />

interessant <strong>und</strong> später werden wir es vielleicht<br />

selbst mal probieren <strong>und</strong> testen, wie gut unsere<br />

Ohren sich trainieren lassen.<br />

„Aber nicht alle Gegenstände sind darüber gut<br />

zu orten“, sagt <strong>Frau</strong> Q „ Die Gegenstände sollten<br />

schon eine größere Fläche besitzen. Fahrräder<br />

geben zum Beispiel keinen hörbaren Schall zurück.<br />

Die muss ich schon ertasten. An Orten, wo es sehr<br />

laut ist, wird es auch schwer, sich über das Gehör<br />

zu orientieren.“


<strong>Frau</strong> Q kennt sich wirklich gut aus. Sie zählt<br />

uns viele Dinge auf, die am Weg bis zur Schule<br />

zu entdecken sind. Indem sie sich Einzelheiten<br />

merkt, weiß sie, an welcher Stelle des Weges<br />

sie sich befindet. „Dort kommen wir gleich an<br />

einem Haus vorbei, vor dem eine Bank steht .<br />

Ein Stück weiter, links um die Ecke, gibt es ein<br />

großes Tor auf der linken Seite“.<br />

<strong>Frau</strong> Q hat ein sehr gutes Gedächtnis, das<br />

hilft ihr, sich Wege einzuprägen. Alles, was<br />

sie unterwegs entdeckt, spürt, ertastet oder<br />

auch hört, sind Wegweiser für sie. „Manchmal<br />

brauche ich auch Unterstützung“, sagt <strong>Frau</strong><br />

Q, dann muss ich jemanden fragen, ob er mir<br />

helfen kann“.


Wir kommen an eine Kreuzung ohne Ampel <strong>und</strong> müssen die Straße überqueren. „Ganz wichtig“,<br />

sagt <strong>Frau</strong> Q, „ist es hier für mich, dass ich hören kann, ob ein Auto rechts abbiegt, anhält oder<br />

weiterfährt.“ Wir nicken zustimmend <strong>und</strong> merken erst dann, dass sie unser Nicken nicht sehen<br />

kann. Deshalb sagen wir ihr, dass wir es verstanden haben. „Es ist aber nicht ganz einfach“, erwidert<br />

<strong>Frau</strong> Q „An der Kreuzung fahren zu viele Autos in unterschiedliche Richtungen, da ist es schwer für<br />

mich, alle auseinanderzuhalten. Aus diesem Gr<strong>und</strong> gehe ich immer erst ein Stück auf dem Gehweg,<br />

entlang der kreuzenden Straße nach rechts oder wenn ich auf der linken Seite laufe – nach links.<br />

Nun höre ich besser, ob das Auto auch für mich hält <strong>und</strong> kann sicher die Straße überqueren.“


Nach kurzer Zeit kommen wir an einen großen<br />

Platz. Hier ist nicht zu erkennen, wann die Straße<br />

oder der Fahrradweg anfängt <strong>und</strong> der Fußweg<br />

aufhört. Es gibt keine Wände <strong>und</strong> keine Kanten,<br />

die als Leitlinie dienen <strong>und</strong> die <strong>Frau</strong> Q mit dem<br />

Stock ertasten könnte.<br />

„Für diese Situationen wäre ein Blindenh<strong>und</strong><br />

sehr gut. Er könnte mir in einer solchen Situation<br />

anzeigen, wann <strong>und</strong> wo ich stehen bleiben muss<br />

<strong>und</strong> wann ich gefahrlos weiterlaufen kann.“


Sie wendet sich an uns: „Könnte mich<br />

stattdessen einer von Euch führen?<br />

Normalerweise mache ich es auch alleine,<br />

aber auf diese Weise ist es einfacher“.<br />

Wie schön, dann lernen wir direkt, worauf<br />

man beim Führen achten muss. Wenn <strong>Frau</strong> Q<br />

geführt wird, muss sie der Person vertrauen<br />

können. Derjenige, der führt, muss für sich<br />

selbst <strong>und</strong> für <strong>Frau</strong> Q den Straßenverkehr gut<br />

im Blick haben. Beim Führen muss man auch<br />

ein gemeinsames Tempo finden, welches für<br />

beide passt. <strong>Frau</strong> Q will ja nicht gezogen oder<br />

geschoben werden, sondern es ist eher ein<br />

nebeneinander Hergehen. <strong>Frau</strong> Q überlässt<br />

sich dann überwiegend der Führung des<br />

anderen <strong>und</strong> muss selbst nicht mehr ganz<br />

so stark aufmerksam sein. Es ist ja auch<br />

anstrengend, sich die ganze Zeit mit dem<br />

Stock auf den Weg <strong>und</strong> die Umgebung zu<br />

konzentrieren, dann gleichzeitig mit den Ohren<br />

auf alle Geräusche zu achten <strong>und</strong> nebenbei<br />

unsere Fragen zu beantworten. „Hut ab, <strong>Frau</strong><br />

Q.“


<strong>Frau</strong> Q <strong>erklärt</strong> uns nun weiter, worauf man beim<br />

Führen achten muss. „Einer von Euch sollte mir<br />

seinen Arm reichen, sodass ich mich einhaken<br />

oder am Oberarm festhalten kann“. Ein Arm wird<br />

ihr gereicht <strong>und</strong> <strong>Frau</strong> Q hakt sich ein.<br />

„Jetzt wäre es hilfreich, wenn wir so nebeneinander<br />

laufen, dass die Person, die mich führt, einen<br />

halben Schritt vor mir läuft. Ich habe dann einen<br />

Augenblick Zeit, die Bewegungen zu spüren<br />

<strong>und</strong> darauf zu reagieren.“ Dann sagt sie: „Wenn<br />

ich mich nicht irre, müsste jetzt bereits das<br />

Schulgebäude zu sehen sein.


So ist es auch. Wir können die Schule schon<br />

sehen. Der Schulhof ist von einem Zaun<br />

umschlossen.<br />

Über den Zaun klettern wollen wir natürlich<br />

nicht. Wir müssen das Eingangstor finden.<br />

„Ich kann mich gut mit meinen Händen an den<br />

Zaungittern entlangtasten“, sagt <strong>Frau</strong> Q „<strong>und</strong> mit<br />

dem Stock spüre ich auch den Mauersockel. So<br />

ist es kein Problem für mich, um den Schulhof<br />

herum zu gehen.“ Wir fragen uns, wie sie es<br />

schafft, die Klinke zu finden.<br />

„Die sind in Deutschland fast alle auf gleicher<br />

Höhe angebracht“, klärt uns <strong>Frau</strong> Q auf. Auf<br />

dieser Höhe lässt sie dann auch <strong>ihre</strong> Hand<br />

entlang des Zaunes gleiten <strong>und</strong> findet so die<br />

Klinke, um das Tor zu öffnen.


In die Schule zu gehen, schaffen wir heute leider<br />

nicht mehr. Da werden wir uns ein weiteres<br />

Mal treffen. „Jetzt haben wir uns erstmal einen<br />

heißen Kaffee verdient“ sagt <strong>Frau</strong> Q, <strong>und</strong> dabei<br />

kommt ihr eine Idee. „Das wird die Kinder, die<br />

dieses Buch schauen werden, bestimmt auch<br />

interessieren“, sagt sie lächelnd.<br />

Was genau sie meint, verrät sie uns, als wir uns<br />

im Café mit einer Tasse Kaffee aufwärmen. „Ich<br />

zeige Euch jetzt, wie ich beim Bezahlen den<br />

Wert der Scheine <strong>und</strong> Münzen erkennen kann.<br />

Bei Euroscheinen ist der Wert der Scheine in<br />

Braille-Schrift eingedruckt, aber diese sind nach<br />

einigem Gebrauch eingedrückt <strong>und</strong> nicht mehr<br />

gut lesbar. Deshalb brauche ich ein Hilfsmittel.“<br />

Sie zeigt uns eine kleine weiße Karte, an der sie<br />

abmessen kann, um welchen Geldschein es sich<br />

handelt. Auf der Karte gibt es Markierungen,<br />

die sie ertasten kann, um abzulesen, welchen<br />

Geldschein sie in der Hand hält.


„Alle Scheine haben eine unterschiedliche<br />

Größe“, <strong>erklärt</strong> <strong>Frau</strong> Q. Hier habe ich einen 10<br />

Euro Schein“. Es braucht Übung, bis man alles<br />

so schnell erkennen kann, wie es <strong>Frau</strong> Q gelingt.<br />

Da heißt es: „Übung macht den Meister“.<br />

Für Münzen gibt es eine ähnliche Vorrichtung,<br />

aber die braucht <strong>Frau</strong> Q nicht. Sie <strong>erklärt</strong> uns,<br />

dass alle Münzenränder eine unterschiedliche<br />

Markierung haben, so kann sie diese auch ohne<br />

ein extra Hilfsmittel unterscheiden.<br />

„Das könnt ihr ja selber bei euren Geldmünzen<br />

nachschauen oder mit geschlossenen Augen<br />

den Unterschied erspüren“, sagt sie. Erst einmal<br />

schauen wir uns die Münzen an <strong>und</strong> tatsächlich<br />

sehen die Ränder der Münzen, je nach <strong>ihre</strong>m<br />

Wert, unterschiedlich aus. Uns war es bisher<br />

nur nie aufgefallen.


„Vielen Dank, das war ein sehr interessanter<br />

Vormittag. Schön, dass Sie sich so viel Zeit für<br />

uns genommen haben.“ „Gern geschehen“,<br />

sagt sie. Die Fotos für den ersten Teil der<br />

Bildergeschichte haben wir im Kasten.<br />

Beim nächsten Treffen besuchen wir einen<br />

Klassenraum in der Schule. Was es da alles<br />

zu entdecken gibt, erfahrt ihr dann. Da hoffen<br />

wir auch auf Antworten zu unseren Fragen,<br />

wie <strong>Frau</strong> Q es eigentlich schafft, zu lesen, zu<br />

schreiben <strong>und</strong> Flöte zu spielen, obwohl sie<br />

doch gar nicht sehen kann. Da sind wir alle<br />

mal sehr gespannt!


Ein Blick ins Klassenzimmer<br />

Heute sitzen wir gemeinsam mit <strong>Frau</strong> Q in der<br />

Schule <strong>und</strong> sind gespannt, was wir noch alles<br />

von ihr erfahren werden.<br />

<strong>Frau</strong> Q hat uns zwei Bücher mitgebracht, die<br />

in der Schrift für Blinde - der Braille-Schrift<br />

geschrieben sind. Die Schrift heißt übrigens so,<br />

weil Louis Braille die Schrift entwickelt hat. Sie<br />

ist eine Schrift, die man mit den Fingern ertasten<br />

kann.


„Das erste Buch ist das Lehrbuch aus meinem Flötenunterricht“, informiert uns <strong>Frau</strong> Q. „Ich lese<br />

Euch mal einen Text daraus vor <strong>und</strong> erkläre Euch die Braille-Schrift.“ Ihre Finger gleiten geschwind<br />

von links nach rechts über die erhöhten Punkte der aufgeschlagenen Seite. Wir w<strong>und</strong>ern uns, wie<br />

schnell <strong>und</strong> flüssig sie alle Worte vorlesen kann.


Zahlenzeichen<br />

„Aber wie werden denn die Zahlen geschrieben?!“,<br />

fragen wir. „Es gibt in der Braille-Schrift keine<br />

speziellen Symbole für die Zahlen. Zahlen sind<br />

in der Brailleschrift jeweils einem Buchstaben<br />

zugeordnet“, antwortet <strong>Frau</strong> Q uns. „Zum<br />

Beispiel wird für die „1“ das „a“ genommen <strong>und</strong><br />

vor dem „a“ das sogenannte „Zahlenzeichen“<br />

geschrieben. Das Zahlenzeichen zeigt mir an,<br />

dass es sich jetzt nicht um den „Buchstaben<br />

a“, sondern um die „Zahl 1“ handelt.“ Puh, ganz<br />

schön schwierig, denken wir. <strong>Frau</strong> Q lächelt<br />

leicht über unsere Verwirrung. Aber es wird noch<br />

komplizierter….


... da wäre nämlich noch die Frage, wie denn<br />

die Noten in der Braille-Schrift geschrieben<br />

werden. Wir erfahren, dass es bei den<br />

Noten genauso ist. Auch sie leiten sich aus<br />

den Buchstaben der Braille-Schrift ab. Sie<br />

erhalten aber eine ganz andere Bedeutung<br />

in der Musik, so ist z. B. das „Sch“ eine<br />

¼-Note D.<br />

„Wenn ich ein Musikstück spielen möchte,<br />

lese ich vorher die Noten mit meinen Fingern<br />

<strong>und</strong> lerne sie auswendig, denn meine Hände<br />

benötige ich ja, um die Querflöte zu spielen“,<br />

verrät uns <strong>Frau</strong> Q.<br />

Und wie gut <strong>Frau</strong> Q das Flötenspiel bereits<br />

nach einem halben Jahr Querflötenunterricht<br />

beherrscht, zeigt sie uns. Sie steht auf <strong>und</strong><br />

spielt uns einwandfrei ein Musikstück vor.<br />

„Es ist einfach toll, was für ein Gedächtnis<br />

<strong>und</strong> wieviel Ausdauer Sie haben!“ Wir sind<br />

uns nicht sicher, ob wir so viele Noten<br />

auswendig lernen könnten. „Bisher haben<br />

wir eine ganze Menge über das „Lesen“<br />

von Buchstaben, Worten, Zahlen <strong>und</strong> Noten<br />

erfahren, aber wie „schreiben“ Sie denn<br />

eigentlich?“


<strong>Frau</strong> Q holt aus <strong>ihre</strong>r Tasche einen<br />

Gegenstand heraus, der aus zwei Teilen<br />

besteht, die mit Scharnieren verb<strong>und</strong>en sind<br />

<strong>und</strong> sich wie ein Buch auf <strong>und</strong> zu klappen<br />

lassen. Der eine Teil ist wie ein Gitter, der<br />

andere Teil ist eine dünne Plastikplatte. „Das<br />

ist meine Schreibtafel. Auf die Plastikplatte<br />

lege ich ein Papier <strong>und</strong> klappe das Gitter<br />

darüber. Jetzt liegt das Gitter auf dem Papier<br />

<strong>und</strong> wird in kleine Vierecke aufgeteilt. Ein<br />

Viereck für jeden Buchstaben. Mit meinem<br />

speziellen Metallstift drücke ich die Punkte<br />

für die Buchstaben durch. Es ist so ähnlich,<br />

als ob man mit einer Prickelnadel Bilder<br />

aussticht. Beim Braille-Schreiben muss ich<br />

aber alles spiegelverkehrt von rechts nach<br />

links eindrücken, sonst ist es auf der anderen<br />

Seite des Papiers ja nicht in der richtigen<br />

Reihenfolge fühlbar.“<br />

Es erfordert sehr viel Konzentration. Deshalb<br />

hat <strong>Frau</strong> Q während unseres Gesprächs<br />

einfach so ins Papier gestochen, um uns<br />

zu zeigen, wie die Tafel funktioniert. Einen<br />

ganzen Text richtig zu schreiben, wäre<br />

ohne die erforderliche Ruhe nicht gut<br />

möglich. „Viele Blinde nutzen natürlich auch<br />

technische Hilfsmittel, z. B. ein Diktiergerät oder<br />

den PC“, teilt <strong>Frau</strong> Q uns mit, „hierbei kann man die<br />

gleiche Tastatur nutzen, wie sehende Menschen.<br />

Früher lernten alle in den Berufsschulen das<br />

„10-Finger Blindschreiben“. Genauso haben wir<br />

es in unserer Schule gelernt. Wobei es mittlerweile<br />

auch spezielle Braille-Aufkleber für die Tasten<br />

gibt. “


Es interessiert uns natürlich auch, was blinden oder<br />

sehbehinderten Kindern in der Schule helfen kann.<br />

Wir fragen <strong>Frau</strong> Q: „Wenn Sie sich zurück erinnern,<br />

was war für Sie im Klassenraum eine wichtige Hilfe?“<br />

„ Nun zum einen, dass ich einen festen Platz hatte,<br />

damit ich mir den Weg einprägen konnte“, antwortet<br />

sie. „Besonders wichtig war es aber auch, dass die<br />

Gegenstände, z. B. Stühle, Tische <strong>und</strong> Materialien<br />

immer an derselben Stelle blieben. Wir hatten ein<br />

eigenes Regalfach, in dem wir Dinge aufbewahren<br />

konnten <strong>und</strong> dort hatte auch alles einen festen Platz.<br />

Das Suchen nach Gegenständen ist nämlich sehr<br />

mühevoll <strong>und</strong> zeitaufwändig. Ihr könnt euch bestimmt<br />

vorstellen, wie schwer es ist, mit geschlossenen<br />

Augen, nach Dingen zu suchen. Das könnten die<br />

Kinder auch einmal selbst probieren“.<br />

Ordnung zu halten, ist für einen blinden oder<br />

sehbehinderten Menschen ganz wichtig“. Heute gibt<br />

es aber noch mehr Hilfen als früher. Heute kann man<br />

beispielsweise die Brailleschrift oder auch Symbole in<br />

Folien drücken, so dass es für uns tastbar ist. Damit<br />

kann man dann zusätzlich noch Fächer, Bücher, Hefte<br />

<strong>und</strong> Vieles mehr fühlbar beschriften.


„ Hatten Sie auch Sportunterricht?“ <strong>Frau</strong><br />

Q.scheint über diese Frage erstaunt.<br />

„Natürlich. Wir hatten Turnen <strong>und</strong><br />

Schwimmen. Als erstes haben wir die Sport<br />

- oder Schwimmhalle natürlich erk<strong>und</strong>en<br />

müssen. Beim Schwimmen wurden die<br />

Bahnen mit Bändern abgegrenzt, so dass<br />

jeder seine Bahn hatte <strong>und</strong> fühlen konnte,<br />

wo es lang ging. Beim Ballspielen gab es<br />

Bälle mit Glöckchen im Inneren, die gerollt<br />

wurden. So konnte man den Weg des Balles<br />

über das Gehör verfolgen. Zusätzlich wurde<br />

ein mit Glöckchen versehenes Band auf<br />

eine festgelegte Höhe gespannt, die das<br />

Spielfeld nach oben begrenzte. Warf man zu<br />

hoch, gab das Klingelzeichen an, dass der<br />

Ball außerhalb des Spielbereichs gespielt<br />

wurde.“<br />

<strong>Frau</strong> Q erzählt uns noch, dass es die<br />

Möglichkeit gibt, mit sogenannten<br />

„So<strong>und</strong>boxen“ die Wurfrichtung anzugeben.<br />

Man kann mittlerweile auch schon eine<br />

abgewandelte Form des Tischtennis spielen.<br />

Es gibt also viele Möglichkeiten, als blinder<br />

oder sehbehinderter Mensch mit Anderen<br />

Sport zu treiben.


Bevor wir uns von einander verabschieden,<br />

wollen wir nochmal bewusst beobachten,<br />

wie <strong>Frau</strong> Q sich hinsetzt <strong>und</strong> worauf sie<br />

dabei achtet, um sicher zu gehen, dass sie<br />

sich nicht neben den Stuhl setzt. „ Ach, das<br />

ist nicht schwer“, meint sie, „ich fasse immer<br />

zuerst die Rückenlehne an <strong>und</strong> streiche dann<br />

links <strong>und</strong> rechts an ihr mit meinen Händen<br />

hinunter.Dabei merke ich, ob der Stuhl auch<br />

Armlehnen hat, an denen ich mich stoßen<br />

könnte. Ich streiche dann nach vorne, gehe<br />

dabei an einer Seite um den Stuhl herum<br />

<strong>und</strong> setze mich auf die Sitzfläche.“<br />

„Das hört sich so leicht an, aber wenn wir<br />

es versuchen, kann es auch mal passieren,<br />

dass wir uns daneben setzen.“ <strong>Frau</strong> Q<br />

schmunzelt: „Auch hier gilt: „Übung macht<br />

den Meister.“


Auch dieser Vormittag mit <strong>Frau</strong> Q hat uns sehr viel Spaß gemacht.<br />

„Vielen Dank <strong>Frau</strong> Q, dass sie uns so viel <strong>erklärt</strong> <strong>und</strong> gezeigt<br />

haben. Hoffentlich können wir bald einmal mit Ihnen Schulkinder<br />

besuchen. Für die Kinder wäre es bestimmt noch interessanter,<br />

Sie persönlich zu treffen <strong>und</strong> direkt von Ihnen zu hören <strong>und</strong> zu<br />

lernen.“<br />

„Das würde ich sehr gerne machen! Bestimmt hilft bis dahin<br />

diese Fotogeschichte, mehr darüber zu erfahren, wie wir die<br />

<strong>Welt</strong> erleben“, meint <strong>Frau</strong> Q lächelnd.<br />

Das hoffen wir auch <strong>und</strong> wünschen allen viel Freude beim Lesen!


Ein Projekt der Inklusionsbüros Geldern-Kevelaer e.V.<br />

Projektteam: Adele Hoff, Sigrid Thomas<br />

sowie Monika Vollmer (ehrenamtliche Mitarbeiterin)<br />

Dieses Buch zeigt anschaulich einen Teil der Herausforderungen,<br />

denen sich ein blinder Mensch im Alltag stellen muss. Es soll dazu<br />

beitragen, ein Bewusstsein <strong>und</strong> eine Sensibilität für blinde <strong>und</strong><br />

sehbehinderte Menschen zu entwickeln.<br />

Ebenso soll es deutlich machen, wie bereichernd Vielfalt für uns alle<br />

ist. Das Gelingen dieses Buches war nur durch das Engagement einer<br />

inklusiven Gruppe möglich. Jeder Einzelne hat seine Fähigkeiten mit<br />

eingebracht <strong>und</strong> dazu beigetragen, dass dieses Buch seine jetzige<br />

Form angenommen hat.<br />

Unser Einsatz hat sich gelohnt, wir alle sind reicher geworden.<br />

Reicher an Wissen, an Verständnis, an Erfahrung, aber auch an<br />

schönen, berührenden, interessanten, humorvollen <strong>und</strong> persönlichen<br />

Begegnungen.<br />

Wir danken allen Mitwirkenden für dieses unbeschreibliche Erlebnis!<br />

Unser Dank gilt den mitwirkenden Besucher*innen <strong>und</strong><br />

Mitarbeiter*innen von Papillon e.V. für die fotografische Begleitung,<br />

das Layout <strong>und</strong> den Druck dieses Fotobuches.<br />

Allen voran danken wir unserer Protagonistin: Christiane Quenel,<br />

die sich die Zeit genommen hat, uns viel Wissen über „<strong>ihre</strong> <strong>Welt</strong>“ zu<br />

vermitteln.<br />

Sie hat uns gezeigt, dass sie nicht nur blind, sondern vielmehr ein<br />

Mensch ist, der viele interessante Facetten <strong>und</strong> Begabungen hat <strong>und</strong><br />

mit dem wir gerne Zeit verbracht haben.<br />

Impressum:<br />

Herausgeber:<br />

Caritasverband Geldern-Kevelaer e.V.<br />

Südwall 1-5, 47608 Geldern<br />

Tel. 02831 9395-0<br />

Fax 02831 9395-60<br />

E-Mail: info@caritas-geldern.de<br />

Vorstand: Karl Döring, Stephan von Salm-Hoogstraeten<br />

Text:<br />

Sigrid Thomas <strong>und</strong> Monika Vollmer<br />

Inklusionsbüros Caritasverband Geldern-Kevelaer e.V.<br />

Foto, Layout <strong>und</strong> Druck:<br />

Papillon e. V.<br />

Hagsche Str. 86<br />

47533 Kleve<br />

Tel. 02821 77500<br />

Fax 02821 775084<br />

E-Mail: info@vereinpapillon.de<br />

1. Vorsitzender: Karl- Peter Röhl<br />

Geschäftsführer: Josef Berg<br />

Protagonistin:<br />

Christiane Quenel<br />

Diplom-Pädagogin<br />

Kontakt:<br />

Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (EUTB ®) Kreis Kleve<br />

Nassauerstraße 1<br />

47533 Kleve<br />

Tel. 02821 780021<br />

www.teilhabeberatung-kreis-kleve.de

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