Alte Heimat - Neue Heimat: Grenzwertig
Aufgewachsen mit der Grenze Mitten durch Deutschland wirft das Buch einen Blick auf das heutige Leben mit der deutsch-niederländischen Grenze, zeigt Parallelen und Unterschiede auf.
Aufgewachsen mit der Grenze Mitten durch Deutschland wirft das Buch einen Blick auf das heutige Leben mit der deutsch-niederländischen Grenze, zeigt Parallelen und Unterschiede auf.
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Alte Heimat
Neue Heimat?
Aufgewachsen an der deutsch-deutschen Grenze
bestimmten deren Folgen
unser Leben.
Täglich hörten wir
explodierende Minen.
Uns Kindern erzählte man
von Kaninchen, die an der Grenze
auf eine Mine gelaufen sind.
Zu spät!
Ein Schwager arbeitete
beim Bundesgrenzschutz.
Oft weinte er am Tisch
über die grausamen DDR-Grenzer.
Die jungen Männer mussten alles
beobachten und darüber berichten,
hilflos zusehen
wie verletzte Menschen
vor ihren Augen
gequält wurden.
Zu spät!
Vater war im Osten aufgewachsen.
Er durfte nicht über die Grenze
als seine Mutter im Sterben lag.
Viel später erst
durften wir Ostfamilie besuchen,
nach den immer gleichen
erniedrigenden Schikanen.
Der Fall der Grenze
hätte sein Heimweh trösten können.
Zu spät!
Heute bestimmt
die deutsch-niederländische Grenze
unser Leben.
Täglich höre ich
von Problemen
durch kulturelle Unterschiede.
Freunde erzählen
über tolerante Niederländer.
Der Alltag hier
spricht eine andere Sprache.
Das Büro im alten Grenzgebäude
erlebe ich
zwischen den Welten
die Gräben
gegensätzlicher Mentalitäten.
Fehlendes Verständnis
macht Zusammenleben
manchmal
unerträglich.
Im geteilten Deutschland aufgewachsen,
viele Grenzen überschritten,
immer der Versuch
das Andere zu verstehen,
zu vermitteln
wo Offenheit
Verständnis möglich
machen könnte.
Wieder zwischen den Fronten,
nirgends echt heimisch.
Oder überall?
2016
2021
Heimat
wo Bodenständigkeit
und Heimweh
sich die Hand reichen,
das verzweifelte Festhalten
am Jetzt
Trost sein muss
für verlorene Verbundenheit
aus grenzenlosen Zeiten.
Neue Heimat
wo Bodenständigkeit
und Flüchtigkeit
sich die Hand reichen,
das verzweifelte Festhalten
am Eigenen
Stütze sein muss
für verlorene Verwurzeltheit
aus früheren Zeiten.
Alltag
das Leben diesseits
das Herz jenseits
der unüberwindbaren Grenze
Sehnsucht zieht fort
weit weg
von der täglichen Zerrissenheit.
Die Fremde ist
nur das hilflose Pflaster
auf der schmerzenden Wunde
quälender Heimatlosigkeit.
Alltag
das Leben diesseits
das Herz jenseits
der offenen Grenze
Sehnsucht zieht fort
von der täglichen Zerrissenheit
widersprüchlicher Mentalitäten.
Bleiben wird irgendwann
das dünne Pflaster
auf der nie heilenden Wunde
ermüdender Heimatlosigkeit.
Hundezwinger für die Grenzhunde
Grenzladen für Tierfutter
Angst
wo sie regiert
sind die Hunde scharf.
Sie schlagen an
jedes Mal
auch
wenn ein unschuldiger Hase
über das Minenfeld huscht
nebenan.
Freiheit
wo sie regiert
braucht es keine Hunde
die anschlagen
wenn jemand
den Grenzstein passiert
und neue Möglichkeiten
erkundet
nebenan.
Drüben
das sind wir
die, die alles haben
alles dürfen
die Mitbringer
die Freien.
Darum sind wir gefährlich
bringen kritisches Gedankengut
jedes Mal empfangen
mit Kalaschnikows im Anschlag
müssen wir alles auspacken
auch uns selbst
bis auf die Haut
durchsucht
nach verbotenem Saatgut
des Freiheitswillens.
Drüben
das sind die
Relaxten und Freien.
Darum pilgern
Massen über die Grenze
um im Kurzurlaub
durch die Dünen zu heizen.
Drüben
das sind die
wo alles billiger ist.
Darum pilgern
Massen über die Grenze
um jedes Wochenende
mit vollem Caddy
durch Supermärkte
zu heizen.
Hinter dem Berg
dort, nicht weit weg von hier
war die Kindheit unbeschwert
und fröhlich!
Ritten wir auf den Pferden des Onkels
über die Hügel
zu den Sommerfesten
der anderen Dörfer.
Sie ist lange vorbei
Die Unbeschwertheit
fröhlichen Beisammenseins
verbannt
hinter dichtem Maschendrahtzaun.
Drei Meter hoch.
An der deutschen Seite
gleich neben dem Grenzstein
im Winter
hinterlassen die Schlittschuhe
beider Seiten kratzend
ihre Spuren unbeschwert
und fröhlich!
Im Sommer
wird streng darauf geachtet
woher die Angel kommt.
Unbeschwertheit
verbannt
hinter strengen Regeln.
Vis-Spass ausgesschlossen!
Erstarrt
Zu groß war der Schmerz
der unerreichbaren Nähe.
Der Vorhang ist gerissen
die Hunde schweigen
auch die Selbstschussanlagen.
Das Herz könnte fliegen.
Zu spät.
Perspektive schaffen
Wunden des Krieges heilen!
Die Grenze öffnen
aber nicht den Geist.
Die Unterschiede bleiben
doch der andere soll sein
wie man selbst.
Ist das Freundschaft?
Das Grenzmuseum Duderstadt/Worbis mit der Durchfahrsperre
Grenzübergang Wyler/Ubbergen mit symbolischer Grenzmarkierung
Fotos und Texte: © Mona Berg
Projekt: Parallelen
Drittelregel Fotoschule
Frühjahr 2021