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VKD-Praxisberichte 2015

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<strong>Praxisberichte</strong><br />

Zu aktuellen Fragen des<br />

Krankenhausmanagements <strong>2015</strong><br />

Kernthemen der Qualität:<br />

Patientensicherheit<br />

und Entlassmanagement


Herausgeber:<br />

Verband der<br />

Krankenhausdirektoren<br />

Deutschlands e.V.<br />

Geschäftsstelle <strong>VKD</strong><br />

Oranienburger Straße 17<br />

D-10178 Berlin<br />

Telefon (030) 28 88 59 – 14<br />

Telefax (030) 28 88 59 – 15<br />

Internet: www.vkd-online.de<br />

ISBN 978-3-00-050612-3


Editorial<br />

Patienten im Krankenhaus erwarten Heilung und<br />

Linderung. Häufig haben sie durch ihre Krankheit<br />

das Gefühl, in einer mit Risiken behafteten<br />

Lebenssituation zu sein. Werden die Ärzte und<br />

Pflegenden mir helfen können? Ich bin sicher:<br />

Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den<br />

Kliniken tun ihr Bestes. Das uralte ethische Gebot<br />

der Mediziner, zuallererst keinen Schaden<br />

anzurichten (primum nihil nocere), gilt auch für<br />

das ganze Krankenhaus. Die Sicherheit unserer<br />

Patienten hat oberste Priorität und ist auch eine<br />

Frage der Organisation und des Managements.<br />

Diese Sicherheit hat zahlreiche Facetten, zumal<br />

Krankenhäuser heute komplexe Unternehmen<br />

mit vielen Schnittstellen sind, die Risiken beinhalten<br />

können. Dazu gehört nicht nur die immer<br />

wieder in der Öffentlichkeit kommentierte<br />

Hygiene. Dazu gehören sichere Prozesse im OP<br />

und überall in einer Klinik, eine funktionierende<br />

Kommunikation zwischen Fach- und Berufsgruppen,<br />

ganz wesentlich auch die Arzneimittelsicherheit,<br />

aber auch die Sicherheit von Medizintechnik<br />

und IT.<br />

Die Krankenhäuser stellen sich aktiv diesen Themen.<br />

Ihr umfangreiches Qualitätsmanagement<br />

ist in seiner Detailliertheit und auch Transparenz<br />

nach innen und außen ein wesentlicher Faktor<br />

zur stetigen Verbesserung aller Leistungen und<br />

damit gleichzeitig der Patientensicherheit. Sie<br />

vergleichen sich aktiv, um vom Besseren zu lernen.<br />

Sie befragen Patienten, einweisende Ärzte<br />

und Mitarbeiter. Seit Jahren werden sowohl von<br />

den Ärztekammern als auch den Krankenkassen<br />

Fehlerstatistiken geführt und veröffentlicht.<br />

Viele Kliniken haben ein so genanntes CIRS, ein<br />

Meldesystem für Beinahe-Fehler, eingeführt, um<br />

kritische Ereignisse bereits im Vorfeld verhindern<br />

und daraus auch deren Vermeidung lernen<br />

zu können. Handlungsempfehlungen zu sicherheitsrelevanten<br />

Themen gibt es vom Aktionsbündnis<br />

Patientensicherheit, das im Jahr 2005<br />

gegründet wurde. Das sind nur einige Beispiele.<br />

Patientensicherheit endet aber nicht an der<br />

Krankenhaustür. Der Erfolg einer Behandlung<br />

hat oft auch damit zu tun, was danach passiert.<br />

Ein strukturiertes Entlassmanagement ist seit<br />

2012 gesetzliche Pflicht für Krankenhäuser. In<br />

vielen Kliniken wurde bereits in den Jahren davor<br />

der Krankenhaus-Sozialdienst personell aufgestockt<br />

und professionalisierte sich. Die Organisation<br />

des »Danach« beginnt in vielen Fällen<br />

bereits bei der Aufnahme eines Patienten. Die<br />

Verweildauern haben sich im Vergleich zu Vorjahren<br />

deutlich verkürzt. Das bedeutet, hier sehr<br />

schnell aktiv werden zu müssen.<br />

Dabei stoßen die Verantwortlichen allerdings<br />

häufig auf Lücken in den anderen Behandlungssektoren.<br />

Entlassmanagement muss, um tatsächlich<br />

wirksam zu sein, zu einem gegenseitigen<br />

Verlegungsmanagement werden, das auch<br />

die anderen Bereiche – niedergelassene Ärzte,<br />

ambulante Pflegedienste, Pflegeheime und andere<br />

Beteiligte in eine gesetzliche Pflicht nimmt.<br />

Davon sind wir allerdings noch weit entfernt.<br />

Vergleichbare Qualitätskriterien gibt es bisher<br />

kaum. Wir in den Krankenhäusern wüssten sehr<br />

gern mehr über die Qualität und Patientensicherheit<br />

in der ambulanten medizinischen und<br />

pflegerischen Welt, um guten Gewissens unsere<br />

Patienten dorthin entlassen zu können. Dort, wo<br />

es Lücken in der ambulanten Versorgung gibt,<br />

würden die Krankenhäuser gern selbst die Weiterbehandlung<br />

übernehmen. Dafür fehlen aber<br />

die gesetzlichen Grundlagen.<br />

Beispiele dafür, wie Krankenhäuser für die Sicherheit<br />

ihrer Patienten und auch für deren<br />

Weiterbetreuung sorgen, werden in den <strong>Praxisberichte</strong>n<br />

dieses Jahres vorgestellt. Dabei geht<br />

es u.a. um Themen, die auch in der Öffentlichkeit<br />

immer wieder zum Teil sehr skandalisiert<br />

dargestellt werden – etwa um Hygiene und Arzneimittelsicherheit<br />

- aber auch um die besonderen<br />

Bedingungen in psychiatrischen Kliniken,<br />

um den strategischen Aufbau von Sektor übergreifenden<br />

Strukturen, um die Einbeziehung von<br />

Angehörigen, die helfen, Behandlungserfolge zu<br />

stabilisieren und zu sichern.<br />

Ich freue mich daher, dass dem teilweise schiefen<br />

Bild, das Versicherte und Kranke irritiert, engagierte<br />

Ärzte und Pflegende auf Dauer demotiviert,<br />

hier etwas Handfestes entgegengesetzt<br />

wird.<br />

Dr. Josef Düllings<br />

Präsident des Verbandes<br />

der Krankenhausdirektoren<br />

Deutschlands<br />

1<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement


Ein wesentliches Ziel des Verbandes der Krankenhausdirektoren<br />

Deutschlands ist der Know-<br />

How-Transfer, das Lernen voneinander. Dem<br />

dienen auch die Berichte aus der Praxis, die nun<br />

schon zum 10. Mal erscheinen. In einer Zeit des<br />

immer härteren Wettbewerbs auch der Krankenhäuser<br />

untereinander zeigen sie, dass der Sinn<br />

und die Aufgabe eines Krankenhauses dennoch<br />

immer auf das Wohl und die Sicherheit unserer<br />

Patienten gerichtet sind. Sie stehen an erster<br />

Stelle.<br />

Den Lesern der <strong>Praxisberichte</strong> wünsche ich eine<br />

anregende Lektüre. Den Autorinnen und Autoren<br />

danke ich für die interessanten Einblicke.<br />

Ihr<br />

Dr. Josef Düllings<br />

2<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement


Kernthemen der Qualität:<br />

Patientensicherheit<br />

und Entlassmanagement<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

Patientensicherheit<br />

Safety first in einem komplexen System<br />

Qualität und Patientensicherheit sind zentrale Kompetenzen der Krankenhäuser<br />

Gabriele Kirchner, Geschäftsführerin des Verbandes der Krankenhausdirektoren Deutschlands . . . . . . . . . . . . . . . Seite 7<br />

Wir warten nicht erst auf eine Hygiene-Initiative!<br />

Die Bodden-Kliniken Ribnitz-Damgarten haben ein umfassendes Hygienemanagement etabliert<br />

Dr. Falko Milsky, Geschäftsführer der Boddenkliniken Ribnitz-Damgarten GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 11<br />

Das Ziel: Eine funktionierende Sicherheitskultur<br />

Aufbau eines Medizinischen Risikomanagements im Krankenhaus Märkisch-Oderland<br />

Angela Krug, Geschäftsführerin Krankenhaus Märkisch-Oderland Strausberg/Wriezen<br />

Katharina Paul, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Krankenhaus Märkisch-Oderland Strausberg/Wriezen . . Seite 16<br />

Der etwas andere Blick auf die Patientensicherheit<br />

Großes Engagement in den psychiatrischen und psychosomatischen Einrichtungen<br />

trotz wachsender wirtschaftlicher Unsicherheit<br />

Holger Höhmann, Kaufmännischer Direktor und Vorstandsvorsitzender der LVR-Klinik Langenfeld,<br />

Vorsitzender der Fachgruppe Psychiatrische Krankenhäuser im Verband der Krankenhausdirektoren<br />

Deutschlands (<strong>VKD</strong>) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 19<br />

Der Erfolg: Aufbau einer positiven Fehlerkultur<br />

Erfahrungen mit Risikomanagement und Critical Incident Reporting System (CIRS)<br />

im Psychiatrischen Fachkrankenhaus<br />

Dr. Annette Egloff, Qualitätsmanagement, Asklepios Fachklinikum Göttingen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 22<br />

Medikationsfehler sind vermeidbare Risiken<br />

AMTS - wichtiges Thema für unsere Krankenhäuser<br />

Dr.rer.nat. Albrecht Eisert, Chefapotheker, Apotheke Uniklinik RWTH Aachen<br />

Rebekka Lenssen, Fachapothekerin für Klinische Pharmazie, Apotheke Uniklinik RWTH Aachen<br />

Peter Asché, Kaufmännischer Direktor Uniklinik RWTH Aachen, Vizepräsident des Verbandes<br />

der Krankenhausdirektoren Deutschlands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 27<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement 3


Medikationsprozess optimal gestaltet<br />

Projekt zur Arzneimitteltherapiesicherheit mit hohem Nutzen für die Patienten<br />

Adelheid May, Geschäftsführerin, Susanne Graudenz, Pflegedirektorin, Birte Jerkel, Apothekerin,<br />

Mechthild Wenke, Fachapothekerin für Klinische Pharmazie, Apothekenleitung,<br />

Asklepios Harzkliniken GmbH, Goslar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 34<br />

Der Demenzkoordinator im Akutkrankenhaus<br />

Wie kann die Versorgung von Menschen mit Demenz im klinischen Alltag verbessert werden? –<br />

Bericht über ein Modellprojekt<br />

Maud Beste, Geschäftsführerin des Klinikums Gütersloh,<br />

Verena Beckmann, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Klinikums Güterloh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 38<br />

Das Anti-Delir-Konzept – ein Notdienst für Demenzkranke<br />

Krankenhäuser benötigen Strategien für betroffene Patienten<br />

Kerstin Ganskopf, Geschäftsführerin des Sankt Elisabeth Krankenhauses Eutin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 41<br />

Entlassmanagement<br />

Entlassmanagement erfordert Kooperation auf allen Seiten<br />

Die meisten Krankenhäuser arbeiten bereits nach festen Standards –<br />

Lücken gibt es an den Schnittstellen<br />

Horst Defren, Geschäftsführer der Kliniken Essen-Mitte Evang. Huyssens-Stiftung/Knappschaft GmbH . . . . . Seite 49<br />

Projektbezogene Partnerschaften<br />

Strategie als Grundlage eines integrierten Gesundheitsunternehmens<br />

Dipl.-Kfm. Hans-Jürgen Winkelmann, Geschäftsführer der St. Marien-Krankenhaus Siegen gem. GmbH<br />

Dipl.-Volksw. Dr. rer. pol. Christian Stoffers, Leiter Referat Kommunikation & Marketing der St. Marien-<br />

Krankenhaus Siegen gem. GmbH, Vertr. Professur & Dozent im Fach Marketing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 54<br />

Gibt es Hoffnung beim Entlassmanagement?<br />

Ein gemeinschaftlicher neuer Versuch im Einbecker BürgerSpital<br />

Hans-Martin Kuhlmann, Kaufmännischer Geschäftsführer, Einbecker BürgerSpital, Einbeck<br />

Markus Krahforst, Hochschule Osnabrück . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 59<br />

Verlegungsmanagement: Krankenhaus - Pflegeeinrichtung – Krankenhaus<br />

Strukturierte Überleitung sichert Weiterversorgung und Behandlungsergebnisse<br />

Franz Hartinger, Einrichtungsleiter Alten- und Pflegeheim Klinikum Ingolstadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 65<br />

Familiale Pflege – der Übergang vom psychiatrischen Krankenhaus<br />

in die häusliche Pflege<br />

Unterstützung für pflegende Angehörige: Beraten – Begleiten – Schulen - Trainieren<br />

Silke Ludowisy-Dehl, Pflegedirektorin, LVR-Klinik Langenfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 69<br />

Impressum ................................................................................................... Seite 73<br />

4<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement


Patientensicherheit<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement 5


6<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement


Safety first<br />

in einem komplexen System<br />

Paentensicherheit<br />

Qualität und Patientensicherheit sind zentrale Kompetenzen der Krankenhäuser<br />

Gesetzlich verpflichtet<br />

Krankenhäuser in Deutschland sind zur Installation eines einrichtungsinternen<br />

Qualitäts- und patientenorientierten Beschwerdemanagements verpflichtet (§ 135a<br />

Abs. 2 Nr. 2 SGB V). Sie müssen außerdem einen Beauftragten für das Risikomanagement<br />

haben (§137 Abs. 1d SGB V). Ein anonymes Meldesystem für Beinahe-Fehler<br />

und kritische Ereignisse (CIRS) soll eingeführt werden. Ziel ist die Verbesserung der<br />

Patientensicherheit.<br />

Seit dem Jahr 2005 müssen Krankenhäuser in Deutschland regelmäßig strukturierte<br />

Qualitätsberichte veröffentlichen(§ 137a Abs. 2 Nr. 4 SGB V).<br />

Jährlich finden in deutschen Krankenhäusern<br />

mehr als 18,7 Mio. Menschen medizinische<br />

Hilfe. Hinzu kommt eine große Zahl von Patienten,<br />

die ambulant behandelt werden - in<br />

den Notaufnahmen, in Institutsambulanzen,<br />

in ambulanten OP-Zentren. Sie alle befinden<br />

sich in einer durch die Krankheit besonderen<br />

persönlichen Situation. Sie vertrauen zu Recht<br />

darauf, dass auf ihre Sicherheit das besondere<br />

Augenmerk aller Mitarbeiterinnen und<br />

Mitarbeiter gerichtet ist. Patientensicherheit<br />

ist im Krankenhaus ein besonders hohes Gut<br />

– auch wenn das in der Öffentlichkeit häufig<br />

anders dargestellt wird. Es wird viel Kraft<br />

darauf verwendet, sie im komplexen System<br />

einer Klinik zu gewährleisten. Eine Fülle von<br />

Faktoren spielt dabei eine Rolle – Sicherheit<br />

der Medizintechnik zum Beispiel oder die<br />

sicheren Übergaben innerhalb und zwischen<br />

den Berufsgruppen - Faktoren, die ein Patient<br />

oft gar nicht wahrnimmt, die aber zu seiner<br />

Sicherheit beachtet werden müssen.<br />

Krankenhäuser in Deutschland haben in den<br />

vergangenen Jahren eine stabile, gesetzlich<br />

vorgeschriebene Qualitätssicherung aufgebaut.<br />

Sie unterziehen sich in diesem Zusammenhang<br />

permanenten Qualitätsprüfungen, deren Ergebnisse<br />

veröffentlicht werden. Auffälligkeiten<br />

werden dabei erkannt und es wird darauf entsprechend<br />

reagiert. Im Mittelpunkt steht dabei<br />

immer die Qualität der medizinischen Behandlung<br />

– also die Sicherheit der Patienten.<br />

Ebenfalls gesetzlich gefordert ist der Aufbau<br />

eines strukturierten Qualitätsmanagements,<br />

das auf das Funktionieren von Prozessen und<br />

Strukturen gerichtet ist – auch dies ist eine<br />

wichtige Voraussetzung dafür, dass am Ende<br />

auch die medizinische Qualität stimmt.<br />

Hinzu kommen in den meisten Kliniken freiwillige<br />

Zertifizierungen des gesamten Krankenhauses<br />

und einzelner Abteilungen. Organzentren<br />

müssen zudem von den medizinischen<br />

Fachgesellschaften zertifiziert werden. Alle<br />

diese Zertifikate werden nach wenigen Jahren<br />

erneut überprüft. Auch die nichtmedizinischen<br />

Bereiche der Krankenhäuser, wie etwa Küchen<br />

und Labore – müssen ihre Arbeit überprüfen<br />

lassen. Mehr als 500 Krankenhäuser sind von<br />

der Kooperation für Transparenz und Qualität<br />

KTQ in der Regel bereits mehrfach und nach<br />

immer weiter verschärften und erweiterten<br />

Anforderungen zertifiziert worden. Es gibt<br />

Stillfreundliche Krankenhäuser, zertifiziert von<br />

der WHO, es gibt Krankenhäuser, die besonders<br />

viel für Diabetiker tun, zertifiziert von der<br />

Deutschen Diabetes-Gesellschaft, es gibt Qualitätssiegel<br />

von Krankenkassen, zahlreiche Zertifikate<br />

von medizinischen Fachgesellschaften<br />

und vieles mehr.<br />

Alle diese unterschiedlichen Zertifikate zeigen<br />

den Patienten, den niedergelassenen Ärzten,<br />

anderen Partnern der Krankenhäuser und der<br />

Öffentlichkeit, dass eine Klinik nicht nur die<br />

vom Gesetzgeber verlangte Qualitätssicherung<br />

betreibt, damit alle Qualitätsanforderungen<br />

erfüllt, zu denen auch die medizinische Behandlung<br />

gehört, sondern darüber hinaus weitere<br />

Anstrengungen unternimmt, interne Pro-<br />

Gabriele Kirchner<br />

Geschäftsführerin<br />

des Verbandes der<br />

Krankenhausdirektoren<br />

Deutschlands (<strong>VKD</strong>)<br />

»Patientensicherheit gehört<br />

zu den wesentlichen Kompetenzen<br />

der Krankenhäuser<br />

in Deutschland. Um sich<br />

hier ständig weiter zu<br />

verbessern, haben sie in<br />

den vergangenen Jahren<br />

viel Kraft und Engagement<br />

investiert – und dies sehr<br />

erfolgreich. Das zeigen zum<br />

Beispiel die jährlich veröffentlichten<br />

Ergebnisse der<br />

externen Qualitätssicherung.<br />

Das Krankenhausmanagement<br />

sieht eine vorrangige<br />

Aufgabe auch darin, entsprechende<br />

Bedingungen<br />

dafür zu schaffen.«<br />

Gabriele Kirchner<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement 7


Paentensicherheit<br />

zesse so zu organisieren und zu steuern, dass<br />

diese medizinische Behandlung möglichst optimal<br />

abläuft. Dabei geht es auch um Fragen<br />

der Sicherheit, zu der ganz wesentlich u.a die<br />

Hygiene und die Arzneimitteltherapiesicherheit<br />

gehören.<br />

Im komplexen Zusammenspiel aller Bereiche<br />

und Abteilungen in einem Krankenhaus rund um<br />

das Wohl und die Sicherheit der Patienten kann<br />

aber dennoch vieles nicht nach »Schema F«<br />

ablaufen. Nicht nur, weil es hier immer auch<br />

auf den einzelnen Menschen, seine Ausbildung,<br />

sein Engagement, durchaus auch seinen<br />

emotionalen Zuschnitt ankommt. Das betrifft<br />

zudem nicht nur die Mitarbeiter, sondern auch<br />

die Patienten.<br />

Der Druck ist gestiegen<br />

Gut funktionierende Abläufe, das Beachten fester<br />

Regeln, eine moderne Ausstattung stoßen an<br />

Grenzen, wenn zu wenig Personal da ist, um steigende<br />

Patientenzahlen zu versorgen. Seit Jahren<br />

werden in unseren Kliniken mehr Menschen<br />

und vor allem auch mehr ältere Menschen behandelt<br />

und gepflegt. Der Wettbewerb, der mit<br />

Einführung von Fallpauschalen (DRG) ausgelöst<br />

wurde, hat nicht nur zu mehr Transparenz<br />

über das Geschehen in den Krankenhäusern<br />

geführt. Er hat auch den Druck auf Häuser und<br />

Mitarbeiter enorm erhöht. Gleichzeitig fahren<br />

die Bundesländer seit Jahren ihre Investitionsmittel<br />

für die Krankenhäuser erheblich zurück<br />

und brechen damit kontinuierlich das Gesetz<br />

– eine Tatsache, die nun sogar durch ein Bundesgesetz<br />

– das im Gesetzgebungsverfahren<br />

befindliche Krankenhaus-Strukturgesetz – legalisiert<br />

werden soll. Tarifsteigerungen wiederum<br />

wurden und werden von den Krankenkassen<br />

nicht finanziert. Das alles führte dazu, dass die<br />

Häuser gezwungen waren, Personal abzubauen.<br />

Dennoch ist die Anzahl der Behandlungsfehler<br />

laut der jährlich herausgegebenen Statistiken<br />

von Ärztekammern und Krankenkassen nahezu<br />

über die Jahre unverändert auf einem niedrigen<br />

Niveau geblieben. Das zeigt, dass in den Krankenhäusern<br />

trotz schwieriger Bedingungen<br />

enorme Anstrengungen unternommen werden,<br />

klinische Risiken zu minimieren und Fehler zu<br />

vermeiden.<br />

Multiprofessionelle und Sektor<br />

übergreifende Ansätze notwendig<br />

Nicht alle Aspekte der Patientensicherheit finden<br />

sich in den diesjährigen Berichten des <strong>VKD</strong><br />

aus der Krankenhauspraxis, die im Folgenden<br />

veröffentlicht sind. Vorrangig behandelt werden<br />

Fragen der Hygiene, Arzneimitteltherapiesicherheit,<br />

des CIRS sowie der Sicherheit<br />

dementer Patienten, mit denen die Krankenhäuser<br />

zunehmend konfrontiert sind und die<br />

besondere Bedingungen und Prozesse – auch<br />

über die Krankenhausgrenzen hinaus – erfordern.<br />

Alle diese Beispiele zeigen, dass es künftig<br />

multiprofessioneller Ansätze und der Kooperation<br />

aller Beteiligten, einschließlich der<br />

Angehörigen, bedarf, um Patientensicherheit<br />

über die gesamte Behandlungskette hin zu garantieren.<br />

Denn zur Patientensicherheit gehört<br />

eben wesentlich auch, dass dieses Ergebnis<br />

nachhaltig ist. Entlassmanagement ist eine gesetzliche<br />

Pflicht der Krankenhäuser. In diesem<br />

Zusammenhang verweise ich auf den Beitrag<br />

von Horst Defren zu diesem durchaus schwierigen<br />

Thema.<br />

Erfahrungsaustausch<br />

als wichtige Aufgabe<br />

Seit vielen Jahren sind Arbeitsgruppen in den<br />

Krankenhäusern auch im Rahmen von <strong>VKD</strong>-Initiativen<br />

dabei, sich mit der Verbesserung ganz<br />

bestimmter Aspekte der Patientensicherheit zu<br />

beschäftigen.<br />

So haben sich Teams um den Golden Helix<br />

Award, den ältesten Qualitätspreis im deutschen<br />

und europäischen Gesundheitswesen, in<br />

den immerhin 20 Jahren seines Bestehens immer<br />

wieder mit solchen Projekten beworben.<br />

Der <strong>VKD</strong> ist Träger des Preises.<br />

Nur einige Beispiele: Druckgeschwüren bei<br />

Patienten vorzubeugen – das war das Ziel des<br />

Siegerteams 1994. Die Sieger im Jahr 2000 haben<br />

sich intensiv mit unerwünschten Arzneimittelwirkungen<br />

beschäftigt. Um die Therapiesicherheit<br />

für Sondenpatienten ging es einem<br />

Finalistenteam im Jahr 2008. Auch ein modernes<br />

Notaufnahme-Management sorgt für mehr<br />

Patientensicherheit – wie es im Siegerprojekt<br />

2011 präsentiert wurde. Und das Besondere:<br />

Alle diese Projekte aus 20 Jahren mussten<br />

Sicherheits-Check vor der Operation<br />

Vor Einleitung einer Narkose, vor dem ersten Schnitt und bevor der Patient wieder<br />

aus dem Operationssaal gefahren wird, sollten 19 von der WHO festgelegte Punkte<br />

durch das Team abgefragt werden. Diese Sicherheits-Checkliste (Safe Surgery Saves<br />

Lives Study Group) gehört bereits in vielen Krankenhäusern zur OP-Routine und hat<br />

sich nachweisbar auf die Fehlerquoten in diesem Bereich ausgewirkt.<br />

8<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement


nachvollziehbar sein und an anderen Krankenhäusern<br />

oder auch Pflegeheimen wiederholt<br />

werden können. Aus der Praxis für die Praxis.<br />

Auch das Langzeitprojekt »Entscheiderfabrik<br />

– Unternehmenserfolg durch optimalen IT-<br />

Einsatz«, zu dessen Gründern der <strong>VKD</strong> gehört,<br />

fokussiert sich nicht allein auf die Technik. Sie<br />

ist Mittel zum Zweck. Ziele der Teams aus Krankenhäusern,<br />

IT-Firmen und Beratungsunternehmen<br />

sind immer Verbesserungen in Prozessen<br />

und damit in der Regel auch die Sicherheit<br />

der Patienten.<br />

Auch hierfür nur einige, wenige Beispiele: So<br />

hat sich eine Projektgruppe im Jahr 2010 mit<br />

dem krankenhausübergreifenden, standardisierten<br />

und patientennahen Informationsaustausch<br />

befasst – eine Voraussetzung dafür,<br />

dass wirklich sämtliche Daten fallbezogen und<br />

mit lebenslanger Sicht auf den jeweiligen Patienten<br />

im Krankenhaus und auch bei eingebundenen<br />

externen Partnern möglich ist – und<br />

dadurch Risiken vermindert werden. Im Jahr<br />

2013 ging es in einem Projekt um Teleradiologie<br />

– denn die Geschwindigkeit des Austauschs<br />

medizinischer Informationen entscheidet nicht<br />

selten über den Erfolg einer Therapie und damit<br />

auch die Sicherheit der betroffenen Patienten.<br />

Im Jahr 2012 wurden digitale Patienten-Aufklärungsbögen<br />

u.a. als Vorbereitung für das vor<br />

einer Operation notwendige Gespräch mit dem<br />

Anästhesisten vorgestellt.<br />

Erfahrungsaustausch hilft,<br />

Fehler zu vermeiden<br />

Auch die jährlichen Berichte aus der Krankenhauspraxis<br />

fügen sich in dieses Bild, dass in<br />

den Kliniken viel für die Verbesserung der Sicherheitskultur<br />

getan wird. Denn wo Menschen<br />

arbeiten, wo sie zudem häufig unter Zeitdruck<br />

in einem komplexen System arbeiten, passieren<br />

Fehler, kommt es zu unerwünschten Ereignissen.<br />

Diese möglichst zu verhindern – das ist<br />

die Herausforderung. Das ist das Ziel aller Anstrengungen<br />

in Medizin und Pflege, aber auch<br />

in allen anderen Bereichen des Krankenhauses<br />

– und nicht zuletzt im Management, das nicht<br />

nur für Organisation und Prozesse zuständig<br />

ist, sondern auch für ein angstfreies Arbeiten<br />

der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Nur so<br />

entsteht eine positive Unternehmenskultur, in<br />

der es nicht um Schuldzuweisungen, sondern<br />

um Verbesserungen und die Vermeidung von<br />

Fehlern und um das Lernen daraus geht.<br />

Gesellschaftliche Aufgabe<br />

Nicht zu vergessen ist dabei aber auch, dass<br />

unser komplexes Gesundheitssystem inzwischen<br />

an einem Punkt angekommen ist, wo sein<br />

Ordnungsrahmen ernsthaft auf den Prüfstand<br />

gestellt werden sollte.<br />

Eine Qualitätsinitiative auszurufen, wie es derzeit<br />

die Politik tut, genügt nicht. Künftig müssen<br />

Bund und Länder, wenn sie ihrerseits mehr<br />

für Qualität und Sicherheit sorgen wollen, eine<br />

ausreichende Finanzierung der Krankenhäuser<br />

garantieren. Nur so können die benötigten<br />

Mitarbeiter und auch die notwendige moderne<br />

Infrastruktur auf Dauer bereitgestellt werden.<br />

Gleichzeitig müssen in den Ländern regionale<br />

Konzepte entwickelt werden, die sämtliche Beteiligte<br />

– Krankenhäuser und ambulante Ärzte,<br />

Ärztezentren, Krankenkassen, Pflegedienste<br />

und -heime, Rehakliniken, Physiotherapeuten,<br />

Sozialdienste und alle, die präventiv tätig sind,<br />

mit einbeziehen. Hier müssen schließlich auch<br />

neue Qualitätsindikatoren ansetzen. Das ist vor<br />

allem angesichts der demografischen Entwicklung<br />

notwendig, die andere Krankheiten in den<br />

Fokus rückt, als sie heute z.B. in der externen<br />

Qualitätssicherung noch die Hauptrolle spielen.<br />

Einen springender Punkt in der Sektor übergreifenden<br />

Behandlung und Betreuung der Menschen,<br />

die in ihrer Mehrzahl vermutlich chronisch<br />

kranke alte Patienten sein werden – und<br />

heute schon vielfach sind - stellen aber auch<br />

die sehr unterschiedlichen Vergütungssysteme<br />

dar, die immer wieder notwendige Entwicklungen<br />

verhindern. Die sektorale Gliederung<br />

unseres Gesundheitssystems mit ihren unterschiedlichen<br />

Finanzierungs- und Qualitätssicherungssystemen<br />

ist nicht nur teuer, sondern<br />

auch für die Sicherheit der Patienten kontraproduktiv.<br />

Kritisch zu sehen ist auch die Tatsache, dass<br />

es seit Jahren im Bereich der Telemedizin über<br />

Modellprojekte nicht hinausgeht. Sie eröffnet<br />

viele Möglichkeiten der Kooperation und sorgt<br />

auch für mehr Sicherheit von Patienten gerade<br />

in ländlichen Regionen.<br />

Telemedizinische Überwachung könnte zudem<br />

dazu beitragen, Kinikaufenthalte zu verkürzen.<br />

Nicht zuletzt liegt in der Nutzung von Telemedizin<br />

auch eine Möglichkeit, an manchen Stellen<br />

die schwierige Personalsituation etwas zu<br />

entspannen. Insgesamt aber fehlt es hier noch<br />

an den entsprechenden modernen gesetzlichen<br />

Rahmenbedingungen.<br />

Echter Strukturwandel, auf die Zukunft ausgerichtete<br />

Qualitätssicherung und Patientensicherheit<br />

sind eine gesamtgesellschaftliche<br />

Aufgabe, die nicht allein von den Krankenhäu-<br />

Paentensicherheit<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement 9


Paentensicherheit<br />

sern geleistet werden kann – und wenn man das<br />

Thema ernst nimmt, auch nicht nur von ihnen<br />

geleistet werden sollte.<br />

Aktionsbündnis Patientensicherheit<br />

Das Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V., im April 2005 gegründet, setzt sich für<br />

eine sichere Gesundheitsversorgung und in diesem Zusammenhang für die Erforschung,<br />

Entwicklung und Verbreitung dazu geeigneter Methoden ein. Die Grundregeln,<br />

die sich das Bündnis gegeben hat, entsprechen auch den Intentionen des <strong>VKD</strong>,<br />

der sich u.a. ebenfalls für eine Vernetzung von Fachkompetenzen und Sektoren sowie<br />

für große Praxisnähe einsetzt ( »von der Praxis für die Praxis«). An vielen Projekten<br />

und Initiativen des APS beteiligen sich zahlreiche Krankenhäuser. So haben<br />

im Rahmen der Kampagne »Saubere Hände« (Stand Juli <strong>2015</strong>) 915 Krankenhäuser<br />

und Rehakliniken mit Früh-Reha sowie 75 Rehabilitationskliniken ohne Früh-Reha<br />

eine Zertifizierung erreicht. Ziel ist dabei, die Händehygiene in den Einrichtungen zu<br />

fördern. Die Zahl der Infektionen kann damit deutlich gesenkt werden.<br />

Eine weitere Initiative ist der Aufbau des Krankenhaus-CIRS-Netzes Deutschland.<br />

Hier können Beinahe-Schäden berichtet und bewertet werden, aus denen andere<br />

lernen können. Bis zum Juni <strong>2015</strong> waren 90 Fälle gemeldet und 12 Fälle des Monats<br />

veröffentlicht worden.<br />

Das Bündnis gibt die Ergebnisse seiner verschiedenen Arbeitsgruppen als Handlungsempfehlungen<br />

heraus. So hat die Arbeitsgruppe Medikationssicherheit eine<br />

Checkliste zur Arzneitherapiesicherheit im Krankenhaus erarbeitet. Eine Arbeitsgruppe<br />

zum Thema »Patientensicherheit im Alter« hat sich u.a. mit dem Teilaspekt<br />

»Sturzprävention im Krankenhaus« befasst und dafür Handlungsempfehlungen<br />

herausgegeben.<br />

Quelle und weitere Informationen unter www.aps-ev.de<br />

10<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement


Wir warten nicht erst<br />

auf eine Hygiene-Initiative!<br />

Die Bodden-Kliniken Ribnitz-Damgarten haben ein umfassendes<br />

Hygienemanagement etabliert<br />

Paentensicherheit<br />

Die Bodden-Kliniken Ribnitz-Damgarten GmbH ist gemeinnütziger Träger von<br />

13 sozialen Einrichtungen des Landkreises Vorpommern-Rügen (Mecklenburg-Vorpommern).<br />

Das Krankenhaus der Grund- und Regelversorgung verfügt über 184 Betten<br />

in den Fachgebieten Innere Medizin, Orthopädie / Unfallchirurgie, Allgemein- /<br />

Viszeralchirurgie, HNO-Heilkunde und Intensivmedizin. Jährlich werden etwa 15.800<br />

Patienten versorgt, davon etwa 7.100 stationär.<br />

Es vergeht fast kein Tag, an dem nicht in den<br />

Medien über »Hygieneskandale« in Kliniken<br />

berichtet wird. Über die umfassenden Aktivitäten,<br />

welche die deutschen Krankenhäuser<br />

bereits jetzt unternehmen, um ein umfassendes<br />

Hygienemanagement zu sichern, findet<br />

man leider viel zu wenige Informationen.<br />

Um dem Thema mehr Beachtung zu schenken,<br />

sollten die Einrichtungen nicht auf eine »von<br />

außen« gestartete Initiative warten, sondern<br />

in die Offensive gehen und die eigene Arbeit<br />

auf diesem Gebiet transparenter machen. Die<br />

Krankenhausleitung der Bodden-Kliniken<br />

Ribnitz-Damgarten hat bereits vor rund acht<br />

Jahren, weit vor der verschärften Gesetzgebung<br />

in Bezug auf den Infektionsschutz,<br />

umfangreiche Maßnahmen dafür eingeleitet<br />

und ein umfassendes Hygiene-Management<br />

installiert. Die Basis dafür bildete gut qualifiziertes<br />

Fachpersonal.<br />

Die Krankenhausleitung der Bodden-Kliniken<br />

Ribnitz-Damgarten hat etwa drei Jahre vor der<br />

im Jahre 2011 in Bezug auf den Infektionsschutz<br />

deutlich verschärften Gesetzgebung umfangreiche<br />

Maßnahmen eingeleitet, um ein umfassendes<br />

Hygienemanagement zu etablieren. Die<br />

Basis dafür bildet gut qualifiziertes Fachpersonal.<br />

Während dieses bereits hauptberuflich<br />

in den großen Klinken der Maximalversorgung,<br />

insbesondere in den Universitätsklinika, Flächen<br />

deckend eingesetzt wurde, war es in den<br />

kleineren Einrichtungen der Grund- und Regelversorgung<br />

eher die Ausnahme. Wir gehörten<br />

dazu, indem wir deutlich vor dem Erlass entsprechender<br />

Personalvorgaben und -refinanzierungen<br />

in die Ausbildung von hygienebeauftragten<br />

Ärzten und Pflegekräften sowie einer<br />

Hygienefachkraft investiert haben. Hinzu kam<br />

der Einsatz eines externen Hygienefacharztes.<br />

Uns ist bewusst geworden, dass eventuelle,<br />

durch Hygienemängel entstandene Schäden für<br />

unsere Patienten und die Einrichtung viel größer<br />

sind, als an dieser Stelle mögliche Kosteneinsparungen.<br />

Neben der Ausbildung ging es beim Einsatz des<br />

Fachpersonals darum, zügig Hygieneordnung<br />

und -pläne zu erarbeiten und deren Einhaltung<br />

umzusetzen. Dabei wurde schnell klar, dass<br />

Hygieneprobleme vielfältige Ursachen haben.<br />

Durch die Konzentration auf die wesentlichsten<br />

lässt sich jedoch schnell ein gutes Hygieneregime<br />

etablieren. Dazu gehörten bei uns:<br />

• Überwachung einer umfassenden Händedesinfektion<br />

• intensive fachgerechte Reinigung bzw. Desinfektion<br />

der baulichen und medizintechnischen<br />

Infrastruktur<br />

• Vermeidung, Analyse und Überwachung von<br />

Infektionen durch multiresistente Erreger<br />

(u. a. MRSA).<br />

Umsetzungsbeispiel<br />

Händedesinfektion<br />

Durch die frühzeitige Beteiligung an der bundesweiten<br />

Aktion »Saubere Hände« stand die<br />

umfassende fachgerechte Händedesinfektion<br />

im Fokus unserer Hygieneaktivitäten. Diese<br />

Maßnahme lässt sich durch laufende Schulungen<br />

und Überwachungen mit relativ geringen<br />

Kosten umsetzen. Dies fängt bereits bei der<br />

Einstellung neuer Mitarbeiter an. Die 15 Auszubildenden,<br />

die jährlich Ihre Tätigkeit bei uns<br />

beginnen, erhalten gleich zu Beginn eine umfassende<br />

Hygieneschulung durch die Hygienefachkraft.<br />

Es gibt einen ständigen Austausch zu<br />

Hygienefragen mit der hauptamtlichen Praxisanleiterin<br />

und auch immer wieder Rückfragen<br />

Dr. Falko Milski<br />

MBA, Geschäftsführer der<br />

Bodden-Kliniken Ribnitz-<br />

Damgarten GmbH,<br />

Pressesprecher des Verbandes<br />

der Krankenhausdirektoren<br />

Deutschlands<br />

(<strong>VKD</strong>)<br />

»Unser wichtigster Faktor<br />

in Sachen Hygiene ist ein<br />

motivierter, gut geschulter<br />

Mitarbeiter, der die Bereitschaft<br />

und die Zeit zur<br />

Umsetzung der notwendigen<br />

Hygienemaßnahmen hat.«<br />

Dr. Falko Milski<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement 11


Paentensicherheit<br />

Die Auszubildenden<br />

kontrollieren am Tag<br />

des Schülers<br />

das Fachpersonal.<br />

Foto: Bodden-Kliniken<br />

Ribnitz-Damgarten<br />

von interessierten Schülern, insbesondere aus<br />

deren Hygieneteam. Am jährlich durchgeführten<br />

»Tag des Schülers«, an dem die Auszubildenden<br />

das Stationsregime unter Aufsicht<br />

führen, kontrollieren sie - oftmals mit großer<br />

Leidenschaft - das Fachpersonal. Seit 2010<br />

nehmen wir darüber hinaus am bundesweiten<br />

Projekt des Robert-Koch-Instituts zur Überwachung<br />

des Händedesinfektionsmittelverbrauchs<br />

auf Stations- und Funktionsbereichsebene<br />

(sog. »HAND-KISS«) teil. Dies ermöglicht<br />

uns einen Vergleich mit den anderen teilnehmenden<br />

Einrichtungen deutschlandweit.<br />

Umsetzungsbeispiel Reinigung<br />

In Zeiten von Kosteneinsparungen und damit<br />

verbundenen Auslagerungen von Dienstleistungen<br />

haben wir uns nach einem kurzzeitigen<br />

Outsourcing dafür entschieden, wieder eine<br />

eigene, gut strukturierte Reinigungsabteilung<br />

zu betreiben. Eine gegenüber dem Marktumfeld<br />

deutlich bessere Vergütung sorgte für mehr<br />

Engagement und eine sehr geringe Fluktuation.<br />

Dadurch war es möglich, die Bereichskenntnis<br />

zu erhöhen und auch hier für ein entsprechendes<br />

Fachwissen im Hinblick auf die Flächendesinfektion<br />

zu sorgen. Dazu gehören u. a. ein<br />

Hygieneaudit, welches unser Hygienefacharzt<br />

mit der Leiterin der Reinigungsabteilung<br />

durchführt, die jährliche Fortbildungsveranstaltung,<br />

welche die Hygienefachkraft für das<br />

Reinigungs- und das Servicepersonal zur Bettenaufbereitung<br />

durchführt und Patientenbefragungen<br />

zur Zufriedenheit im Hinblick auf die<br />

Sauberkeit.<br />

Der Leiter Medizintechnik analysiert und dokumentiert<br />

eventuelle Hygienemängel an den<br />

Geräten und deren Zubehör, z. B. Sonden. Der<br />

Patient definiert Hygiene vor allem über Sauberkeit.<br />

Umsetzungsbeispiel<br />

Aufnahmescreening<br />

In unserem Haus gibt es ein gut funktionierendes<br />

Aufnahmescreening auf das MRSA<br />

(Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus).<br />

Diese inzwischen in der Öffentlichkeit<br />

am meisten diskutierten Bakterien können<br />

gegen das Antibiotikum Methicillin und auch<br />

die meisten anderen Antibiotika resistent, also<br />

unempfindlich, werden. Die meisten Patienten<br />

werden bei uns seit vielen Jahren gleich in der<br />

Notaufnahme nach dem Risikoprofil der Kommission<br />

für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention<br />

(KRINKO) gescreent.<br />

Das betrifft folgende Patienten:<br />

- Verlegungen aus Altenheimen<br />

- Verlegung aus anderen Krankenhäusern/<br />

Rehabilitationseinrichtungen<br />

- Patienten, die während eines stationären<br />

Aufenthaltes Kontakt zu MRSA Trägern hatten<br />

(z. B. Unterbringung im selben Zimmer)<br />

- Patienten mit einem stationären Aufenthalt<br />

(> 3 Tage) in den zurückliegenden 12 Monaten<br />

- Auslandsanamnese (Patienten mit Krankenhausaufenthalt<br />

im Ausland innerhalb der<br />

letzten 12 Monate)<br />

- Patienten mit chronischer Pflegebedürftigkeit<br />

- Patienten mit liegenden Zugängen (z. B. Trachealkanüle,<br />

PEG-Sonde, Blasenkatheter),<br />

- Dialysepflichtigkeit,<br />

- Hautulcus, Gangrän, chronische Wunden,<br />

tiefe Weichteilinfektionen,<br />

- Patienten, die (beruflich) direkten Kontakt<br />

zu Tieren in der landwirtschaftlichen Tiermast<br />

haben.<br />

Von der Hygienefachkraft werden Krankheitserreger<br />

mit speziellen Resistenzen und Multiresistenzen<br />

sowie die erforderlichen Patientendaten<br />

dazu erfasst. Das Zusammentragen<br />

aller notwendigen Informationen zu bestimmten<br />

Patienten kann sehr zeitaufwändig sein,<br />

ist aber unerlässlich, um Zusammenhänge<br />

beurteilen zu können. Die Auswertung der infektionsrelevanten<br />

Zahlen zeigt, dass in unserem<br />

Haus keine Probleme bestehen. Durch das<br />

umfangreiche Screening werden Patienten mit<br />

multiresistenten Erregern frühzeitig erkannt<br />

und isoliert, so dass es zu keiner Übertragung<br />

im Haus kommen kann.<br />

12<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement


Paentensicherheit<br />

Durch diese einfache Maßnahme ist es uns gelungen,<br />

95 Prozent aller Patienten mit einem<br />

MRSA schon bei der Aufnahme im Krankenhaus<br />

zu erkennen. Auch andere Problemkeime mit<br />

sehr hohen Antibiotikaresistenzen sind bei uns<br />

nur noch ganz gering vorhanden. Bei ca. 7.100<br />

stationären Patienten in 2014 wurden lediglich<br />

26 Patienten mit multiresistenten Keimen aufgenommen.<br />

Dabei gab es durch die Einhaltung<br />

der Basishygiene keine Übertragung auf andere<br />

Patienten.<br />

Erfolgreiches Antibiotika-<br />

Management<br />

Ein positiver Nebeneffekt der guten Krankenhaushygiene<br />

ist die deutliche Senkung des<br />

Antibiotikaverbrauches in unserer Klinik.<br />

Im Zusammenhang mit der Antibiotikaresistenzproblematik<br />

sind gut geschulte Ärzte eine<br />

wichtige Basis. Eine gute Zusammenarbeit mit<br />

den einweisenden Ärzten und anderen medizinischen-<br />

oder Pflegeeinrichtungen ist hier<br />

von Bedeutung. Der Patient "durchwandert" all<br />

diese Stationen oft mehrfach. Unser Haus hat<br />

häufig Patienten aus Reha-Einrichtungen oder<br />

Pflegeheimen. Diese Patienten bergen, bedingt<br />

durch ihre Krankengeschichte, ein Risikopotenzial<br />

für die Verbreitung von multiresistenten<br />

Erregern. Die Gabe bestimmter Medikamente,<br />

wie z. B. Breitbandantibiotika, kann die Bildung<br />

von Resistenzen begünstigen bzw. die Vermehrung<br />

schon vorhandener Erreger fördern.<br />

Das Antibiotika-Management wird von unserer<br />

leitenden Oberärztin der Intensivstation<br />

durchgeführt. Dazu gehört auch eine detaillierte<br />

Infektionserfassung ihrer Station im Rahmen<br />

des RKI-ITS-KISS. Durch regelmäßige Auswertungen<br />

und Schulungen wurden in 2014<br />

deutlich weniger Antibiotika verordnet und<br />

auch der Einsatz von Reserveantibiotika konnte<br />

gegenüber dem Vorjahr deutlich gesenkt<br />

werden. Dies ist ein nicht zu unterschätzender<br />

Kosteneinsparungsfaktor.<br />

Information und Aufklärung<br />

Neben einem seit vielen Jahren wachsenden<br />

Verständnis unserer Beschäftigten für unser<br />

Hygienemanagement stellen wir auch - aufgrund<br />

der großen Verunsicherung - ein verstärktes<br />

Interesse der Öffentlichkeit nach Informationen<br />

auf diesem Gebiet fest. Im Rahmen<br />

eines Projektes zum Kennenlernen des eigenen<br />

Körpers und der Hygiene war im Juni <strong>2015</strong> eine<br />

Kindergartengruppe bei uns zu Gast.<br />

Wir freuen uns sehr über ein meist sehr aufmerksames<br />

Publikum. Hier müssen wir jedoch<br />

beachten, dass wir aufklären, allgemeinverständlich<br />

erklären und keine Angst verbreiten.<br />

Der Patient möchte ausreichend informiert<br />

werden und kann in diesem Zusammenhang<br />

auch durch eigenes positives Verhalten zum<br />

Genesungserfolg beitragen. Inzwischen sehen<br />

wir vermehrt Patienten und Angehörige, welche<br />

die im Eingangsbereich und auf den Fluren<br />

unseres Hauses installierten Händedesinfektionsgelegenheiten<br />

nutzen.<br />

Der Patient sollte wissen, dass multiresistente<br />

Erreger prinzipiell überall vorkommen können.<br />

Eine bloße Besiedlung mit diesen Erregern hat<br />

keinen Krankheitswert. Kann der Erreger in den<br />

Körper eindringen und sich hier vermehren,<br />

kann es zu einer Erkrankung durch diesen Erreger<br />

kommen. Hier spielen häufig auch patienteneigene<br />

Faktoren eine Rolle. Das heißt, wenn<br />

die Abwehrlage des Patienten durch chronische<br />

Erkrankungen, hohes Alter, Wunden oder<br />

ein akutes Krankheitsgeschehen gestört ist,<br />

kommt es häufiger zu einer Erkrankung durch<br />

diese Erreger. Das ist der entscheidende Punkt,<br />

warum im Krankenhaus häufiger Erkrankungen<br />

durch diese Erreger ausgelöst werden. Entweder<br />

der Patient kommt schon schwerkrank zu<br />

uns oder er wird in seiner Abwehrlage durch invasive<br />

Maßnahmen (operative Eingriffe, Injektionen,<br />

Gefäßzugänge wie Flexylen, Katheter)<br />

geschwächt oder eine Eintrittspforte für den<br />

Erreger wird geschaffen.<br />

Der Patient muss daher auch wissen, dass<br />

nicht jede Infektion vermeidbar ist. Besonders<br />

bei Risikopatienten sind es oft die eigenen<br />

Krankheitserreger, die sich im Rahmen der<br />

Krankenhausbehandlung vermehren und eine<br />

zusätzliche Infektion auslösen können. Es gibt<br />

kein Krankenhaus ohne Krankheitserreger, zu<br />

denen auch antibiotikaresistente Erreger wie<br />

MRSA oder MRGN gehören. Unsere Aufgabe ist<br />

es, durch geeignete Hygienemaßnahmen, deren<br />

Verbreitung und Übertragung zu verhindern.<br />

Berichte in den Medien haben viele Menschen<br />

verunsichert, ohne wirklich aufzuklären. Das<br />

hat zum Beispiel auch bei uns dazu geführt,<br />

dass es häufig Probleme gab, Patienten, die mit<br />

Krankheitserreger besiedelt waren, in Pflegeeinrichtungen<br />

zu verlegen. Das zeigt, dass es<br />

auch beim Pflegepersonal der Heime noch Aufklärungsbedarf<br />

gibt. Taxifahrer haben sich geweigert<br />

Patienten, die mit MRSA besiedelt waren,<br />

zu transportieren. Hier haben wir dann das<br />

Gesundheitsamt um Hilfe gebeten. Doch eine<br />

Besiedlung mit einem Krankheitserreger rechtfertigt<br />

nun einmal keinen Krankentransport.<br />

Am wichtigsten sind die Mitarbeiter<br />

Allerdings ist ein Krankenhaus auch, bedingt<br />

durch viele kranke Patienten, konzentriert an<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement 13


Paentensicherheit<br />

diesem Ort, ein »Treffpunkt« für Krankheitserreger<br />

aller Art. Deshalb muss bei allen Maßnahmen<br />

am Patienten auf die Einhaltung der Hygiene,<br />

vor allem der Händehygiene, aber auch der<br />

hygienisch korrekte Umgang mit Medikamenten<br />

und Instrumenten geachtet werden, damit es<br />

zu keiner Übertragung kommen kann. Eine Verbreitung<br />

aller Krankheitserreger, auch der nicht<br />

resistenten, muss im Krankenhaus unterbunden<br />

werden. Dazu dienen Maßnahmen wie Reinigung,<br />

Desinfektion, Sterilisation. Regelmäßig<br />

erfolgen mikrobiologische Kontrollen durch<br />

das Labor des Landesamtes für Gesundheit und<br />

Soziales Mecklenburg-Vorpommern (LAGuS),<br />

z. B. Untersuchung der Endoskope, des Trinkwassers,<br />

der medizinischen Gase, der Betten usw.<br />

Diese Kontrollen sind gleichzeitig eine Qualitätskontrolle<br />

und zeigen uns eventuelle<br />

Schwachstellen, die wir dann beheben können.<br />

Unser wichtigster Faktor in Sachen Hygiene ist<br />

ein motivierter, gut geschulter Mitarbeiter, der<br />

die Bereitschaft und die Zeit zur Umsetzung der<br />

notwendigen Hygienemaßnahmen hat.<br />

Gesetze geben nur den Rahmen<br />

Es gibt inzwischen eine ganze Reihe von neuen<br />

Gesetzen, Gesetzesänderungen und Regelungen<br />

zur Krankenhaushygiene. Bundesgesundheitsminister<br />

Hermann Gröhe hat mit einem<br />

10-Punkte-Plan vom März <strong>2015</strong> den Themen<br />

Vermeidung behandlungsassoziierter Infektionen<br />

und Antibiotika-Resistenzen nochmals<br />

Nachdruck verliehen. Das ist aber nur der vorgegebene<br />

Rahmen. Der Erfolg ist von der Umsetzung<br />

in den jeweiligen Einrichtungen abhängig.<br />

Durch interdisziplinäre Zusammenarbeit<br />

können wir in unserem Unternehmen ein sehr<br />

hohes Maß an Patientensicherheit bieten und<br />

unsere Infektionszahlen auf einem deutschlandweit<br />

gesehen sehr niedrigen Niveau halten.<br />

Ganz nach dem Motto »Tue Gutes und rede<br />

darüber!« sollte man aber gute Ergebnisse auf<br />

keinen Fall für sich behalten. Transparenz sorgt<br />

für Vertrauen der Patienten und der Öffentlichkeit<br />

in unser Krankenhaus.<br />

Hygienefachkraft Birgit Jacob erklärt einer Kindergartengruppe Hygienemaßnahmen.<br />

Foto: Bodden-Kliniken Ribnitz-Damgarten<br />

14<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement


Paentensicherheit<br />

Hintergrund<br />

Obwohl die Krankenhaushygiene in den letzten Jahren nicht nur immer stärker im<br />

Fokus der Medien sondern auch der Fachwelt steht, ist es erstaunlich, dass es kaum<br />

eine konkrete Datenlage dazu gibt. Selbst in den offiziellen Verlautbarungen und Statistiken<br />

werden die Angaben meist grob, d. h. mit einer großen Schwankungsbreite,<br />

geschätzt. Nach den Veröffentlichungen sollen jährlich zwischen 400.000 und<br />

800.000 (!) im Krankenhaus erworbene Infektionen auftreten. 10.000 bis 25.000<br />

Patienten sollen pro Jahr daran versterben. Dies zeigt, dass dringender Handlungsbedarf<br />

im Hinblick auf eine Versachlichung dieses Themas besteht. Solange es keine<br />

belastbaren Statistiken für Deutschland insgesamt gibt, sollten die Krankenhäuser<br />

die eigenen Hygieneaktivitäten und Ergebnisse transparenter machen, z. B. auf der<br />

Klinik-Internetpräsenz oder in der Regionalpresse.<br />

Öffentliche Wahrnehmung und Wirklichkeit<br />

Durch die umfassende Berichterstattung beim vereinzelten Auftreten von Hygienemängeln<br />

muss in der Bevölkerung der Eindruck entstehen, dass viele - wenn<br />

nicht sogar fast alle - der rund 2.000 Kliniken in Deutschland davon betroffen sind.<br />

Dadurch ist die Verunsicherung in der Bevölkerung und speziell die Angst vor einem<br />

Klinikaufenthalt und deren Folgen groß.<br />

In Bezug auf die Anzahl der jährlich in den Krankenhäusern behandelten Fälle liegt<br />

der Anteil derer mit stationär erworbenen (nosokomialen) Infektionen bei bis zu<br />

fünf Prozent. Es wird in der öffentlichen Diskussion überwiegend der Eindruck<br />

vermittelt, dass alle diese Infektionen vermeidbar wären, wenn nur ein umfassendes<br />

Hygieneregime umgesetzt würde. Nach Expertenmeinungen lässt sich jedoch nur<br />

etwa ein Drittel wirklich verhindern.<br />

Diesem täglichen »Kampf gegen die Keime« stellen sich die Krankenhäuser in<br />

zunehmendem Maße, wie der Bericht der Bundesregierung über nosokomiale Infektionen<br />

und Erreger mit speziellen Resistenzen und Multiresistenzen vom 18.12.2014<br />

zeigt. Danach ist die seit der ersten in Deutschland repräsentativ durchgeführten<br />

Erhebung im Jahre 1994 relativ konstante und im internationalen Vergleich recht<br />

niedrige Häufigkeit der nosokomialen Infektionen Hinweis dafür, dass es in den<br />

zurückliegenden Jahren nicht zu einem grundsätzlichen Anstieg der nosokomialen<br />

Infektionsrate für die Patienten gekommen ist. Dabei ist außerdem noch zu berücksichtigen,<br />

dass die Zahl der in Deutschland vollstationär behandelten Patienten<br />

kontinuierlich bis heute angestiegen ist (von 15,5 Millionen im Jahr 1994 auf 18,8<br />

Millionen im Jahr 2013).<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement 15


Paentensicherheit<br />

Das Ziel:<br />

Eine funktionierende Sicherheitskultur<br />

Aufbau eines Medizinischen Risikomanagements im Krankenhaus Märkisch-Oderland<br />

Die Krankenhaus Märkisch-Oderland GmbH mit ihren Standorten in Strausberg<br />

und Wriezen ist ein Krankenhaus der Grundversorgung mit 320 Bettenplätzen in<br />

den Fachrichtungen Chirurgie (Allgemein- und Unfallchirurgie, Orthopädie), Innere<br />

Medizin und Gynäkologie/Geburtshilfe. Es bietet den Patienten in der Region spezialisierte<br />

und zertifizierte Leistungen im Darmzentrum, im Endoprothetik-Zentrum<br />

und im Taumazentrum an. Das Krankenhaus ist als eines der ersten in Deutschland<br />

als Klinik für Diabetespatienten geeignet zertifiziert.<br />

Angela Krug<br />

Geschäftsführerin Krankenhaus<br />

Märkisch-Oderland<br />

Strausberg / Wriezen<br />

Katharina Paul<br />

Presse- und Öffentlichkeitsarbeit,<br />

Krankenhaus<br />

Märkisch-Oderland Strausberg<br />

/ Wriezen<br />

Gegründet wurde das Haus in Strausberg, im Berliner Randgebiet, im Jahr 1955.<br />

Im Jahr 2000 erfolgte die Fusion der Krankenhäuser Strausberg und Wriezen. Träger<br />

ist der Landkreis Märkisch-Oderland. Es werden in beiden Betriebsteilen insgesamt<br />

570 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt. Jährlich behandeln und versorgen<br />

sie 14.000 stationäre und 14.000 ambulante Patienten. Die Verweildauer beträgt<br />

sieben Tage.<br />

Das Krankenhaus ist ein Hochrisikobereich.<br />

Deshalb sind auch im Krankenhaus Märkisch-Oderland<br />

alle Anstrengungen im medizinischen<br />

Qualitätsmanagement auf die Sicherheit<br />

der Patienten ausgerichtet. Es nutzt<br />

dabei u.a. Erfahrungen anderer Krankenhäuser<br />

des Clinotel-Verbundes, in dem es Mitglied<br />

ist. Die Einführung eines strukturierten<br />

Risikomanagements liegt im Interesse jedes<br />

Krankenhauses. Dazu gehören u.a. ein strukturiertes<br />

Fehlermeldesystem, eine offene,<br />

konstruktive Kommunikation im Haus, das<br />

Team-Time-Out vor jeder Operation und die<br />

Arzneimitteltherapiesicherheit.<br />

Das Krankenhaus Märkisch-Oderland setzt sich<br />

für eine verbesserte Patientensicherheit in seinen<br />

Häusern ein. Dafür hat es sich die Hilfe aus<br />

dem Clinotel-Verbund geholt, in dem es selbst<br />

Mitglied ist. »Wir wollen von den Erfahrungen<br />

der anderen Krankenhäuser profitieren. Deshalb<br />

bot sich die Einbeziehung entsprechender<br />

Erfahrungen des Clinotel-Verbundes an«, so<br />

Dr. med. Steffen König, Chefarzt der Klinik für<br />

Unfall- und wiederherstellende Chirurgie. Clinotel<br />

beschäftigt sich intensiv mit dem Thema<br />

und hat einen Auditplan entwickelt. Es kommt<br />

hinzu, dass der Gemeinsame Bundesausschuss<br />

neue Richtlinien zu »grundsätzlichen Anforderungen<br />

eines einrichtungsinternen Qualitätsmanagement«<br />

herausgegeben hat. Die GBA-<br />

Richtlinie hat den Druck auf die Krankenhäuser<br />

verschärft. Prinzipiell ist die Einführung eines<br />

strukturierten Risikomanagements grundlegendes<br />

Interesse jedes Krankenhauses.<br />

In einer gemeinsamen Veranstaltung mit dem<br />

Clinotel-Verbund wurden im November 2014<br />

Fragen zur Organisation, Umsetzung und Strategie<br />

eines Risikomanagements besprochen.<br />

Risikobereiche wurden herausgearbeitet, Zuständigkeiten<br />

festgelegt und Verantwortliche<br />

benannt. Außerdem wurden Ziele formuliert,<br />

die in einem bestimmten Zeitraum umgesetzt<br />

werden müssen.<br />

Um diese Ziele zu erreichen, wurden vier Arbeitsgruppen<br />

gebildet, die sich unter anderem<br />

mit der Einführung eines Frühwarnsystems namens<br />

CIRS beschäftigen. Dieses EDV gestützte<br />

System erfasst Beinahe-Fehler und identifiziert<br />

so Risikopotenziale in der Patientenversorgung.<br />

Damit sind vor allem Fehler gemeint,<br />

die noch einmal abgewendet werden konnten.<br />

Dazu gehören Fehler in der Teamarbeit und<br />

in der Kommunikation. Hier kommt es erfahrungsgemäß<br />

zu den meisten Missverständnissen.<br />

Jeder Mitarbeiter der Krankenhaus Märkisch-Oderland<br />

GmbH ist berechtigt, anonym<br />

Beinahe-Fehler zu melden und damit die Patientensicherheit<br />

zu optimieren. Dieses System<br />

ersetzt aber nicht eine gute Kommunikationsstruktur<br />

im Haus. Wenn Fehler oder Beinahe-<br />

Fehler passieren, sollte neben der Meldung im<br />

System offen in den Teams über die Situation<br />

diskutiert werden.<br />

16<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement


Wichtig:<br />

Eine offene Diskussionskultur<br />

Durch die Erfahrungen, die in den hauseigenen<br />

Zentren, wie Darmzentrum MOL und Endoprothetik-Zentrum<br />

gemacht wurden, beschäftigt<br />

sich die zweite Gruppe mit der offenen Diskussionskultur<br />

im Haus. Im Einzelnen sollen die<br />

positiven Erfahrungen mit Morbiditäts- und<br />

Mortalitätskonferenzen in diesen Bereichen<br />

auf das gesamte Haus ausgedehnt werden. Bei<br />

diesen Konferenzen soll es zu einer intensiven<br />

und qualifizierten Diskussion innerhalb des<br />

professionellen therapeutischen Teams kommen.<br />

Damit sollen Fehler, unsichere Handlungen<br />

und Systemfaktoren herausgearbeitet und<br />

es soll aus ihnen gelernt werden. Das Ziel ist ein<br />

interdisziplinärer, hierarchiefreier Dialog zur<br />

kontinuierlichen Verbesserung der Arbeitsweise<br />

und der Abläufe im Klinikalltag. Die Leiter<br />

der einzelnen Abteilungen sind für die Umsetzung<br />

zuständig.<br />

Team-Time-Out vor jeder OP<br />

Das gleiche gilt für die Checkliste Team-Time-<br />

Out, die normalerweise vor Operationen zum<br />

Einsatz kommt. Bevor der Chirurg das Skalpell<br />

überhaupt in die Hand nimmt, werden die Identität<br />

des Patienten und der Eingriff nochmals<br />

detailliert durchgesprochen und die wesentlichen<br />

Schritte erläutert. Außerdem ist es auch<br />

im Krankenhaus Märkisch-Oderland üblich, die<br />

zu operierenden Extremitäten zu kennzeichnen.<br />

Noch auf der Station, wenn der Patient noch<br />

nicht narkotisiert ist, überprüft das Pflegepersonal<br />

die Markierung. Im OP geschieht das ein<br />

weiteres Mal. Stimmen die Kennzeichnungen<br />

mit Krankenakte und Aufklärungsbogen überein,<br />

wird der Eingriff vorgenommen. Nach der<br />

Operation zählen die Mitarbeiter der Pflege die<br />

Instrumente, Tupfer usw. und prüfen die Anzahl<br />

auf Vollständigkeit.<br />

Die dritte Arbeitsgruppe wertet die Erfahrungen<br />

mit dieser Checkliste, die sich an den<br />

Empfehlungen des Aktionsbündnisses Patientensicherheit<br />

orientiert, aus, ermittelt Optimierungspotenzial<br />

und überprüft, ob sich diese<br />

Checkliste auch auf andere Bereiche des Hauses<br />

übertragen lässt. Ein möglicher Bereich, in<br />

dem diese Checkliste noch eingesetzt werden<br />

kann, ist die invasive Funktionsdiagnostik – Endoskopie<br />

und Angiographie.<br />

Identifikationssicherheit<br />

durch Patientenarmbänder<br />

Um eine einwandfreie Identifizierung der Patienten<br />

zu gewährleisten, bekommt jeder Patient<br />

bei der Krankenhauseinweisung ein Patientenarmband.<br />

Diese Identifikationshilfe ist besonders<br />

für Menschen gedacht, die sich nicht klar<br />

äußern können. Das Armband ist versehen mit<br />

den Angaben des Patienten – sein Name, der<br />

Betriebsteil und die Abteilung, in der er behandelt<br />

wird, Aufnahme- und Geburtsdatum. So ist<br />

die eindeutige Identifikation der Person vor<br />

diagnostischen, therapeutischen Maßnahmen<br />

oder Verordnungen jederzeit und überall im<br />

Krankenhaus gegeben. Diese Maßnahme findet<br />

schon seit mehreren Jahren Anwendung. Nur<br />

sehr wenige Patienten lehnen es ab, das Armband<br />

zu tragen.<br />

Arzneimittelsicherheit<br />

gewährleisten<br />

Die vierte Gruppe setzt sich mit der Arzneimittelsicherheit<br />

auseinander. Es soll immer gewährleistet<br />

sein, dass jeder Patient das für ihn<br />

zutreffende, in der richtigen Dosierung und auf<br />

seine individuelle Verträglichkeit abgestimmte<br />

Medikament bekommt. Verschiedene Möglichkeiten<br />

der Medikamentenbeschriftung und<br />

-ausgabe werden in der Gruppe besprochen.<br />

Vorgesehen ist bereits die Einführung eines<br />

Computerprogramms, das den behandelnden<br />

Arzt insbesondere auf Interaktionen aufmerksam<br />

macht.<br />

Clinotel wird dieses Projekt weiter begleiten,<br />

so dass sichergestellt ist, dass am Ende ein<br />

strukturiertes und systematisches Risikomanagement<br />

im Krankenhaus Märkisch-Oderland<br />

eingerichtet ist und auch funktioniert.<br />

Paentensicherheit<br />

Dr. med. Steffen König,<br />

Chefarzt der Klinik für<br />

Unfall- und<br />

wiederherstellende<br />

Chirurgie<br />

Foto: Krankenhaus<br />

Märkisch-Oderland<br />

»Fehler, unsichere Handlungen<br />

und Systemfaktoren<br />

sollen herausgearbeitet und<br />

es soll aus ihnen gelernt<br />

werden«<br />

Dr. med. Steffen König<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement 17


Paentensicherheit<br />

Hintergrund<br />

Das am 26. Februar 2013 in Kraft getretene Patientenrechtegesetz soll die Position<br />

der Patienten gegenüber Leistungserbringern wie Ärzten, Krankenhäusern und<br />

Krankenkassen stärken. Das Patientenrechtegesetz bündelt frühere formulierte Patientenrechte<br />

und verbessert die Stellung der Patienten im Gesundheitssystem. Es verpflichtet<br />

niedergelassene Ärzte und Krankenhäuser, Fehler, die bei der Behandlung<br />

unterlaufen oder beinahe unterlaufen sind, zu dokumentieren und auszuwerten. Auf<br />

diese Weise sollen Risiken erkannt und minimiert werden. Der Gemeinsame Bundesausschuss<br />

formulierte daraufhin Richtlinien, die bestimmen, dass Krankenhäuser<br />

eine Risikostrategie festlegen, ein Risikomanagement aufbauen und dessen Pflege<br />

aktiv unterstützen, einen Informationsaustausch gewährleisten, Verantwortliche<br />

benennen und die Mitarbeiter regelmäßig informieren.<br />

Das Krankenhaus Märkisch-Oderland, Standort Wriezen<br />

Foto: Krankenhaus Märkisch-Oderland<br />

Das Krankenhaus Märkisch-Oderland in Strausberg<br />

Foto: Krankenhaus Märkisch-Oderland<br />

18<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement


Paentensicherheit<br />

Der etwas andere Blick<br />

auf die Patientensicherheit<br />

Großes Engagement in den psychiatrischen und psychosomatischen Einrichtungen<br />

trotz wachsender wirtschaftlicher Unsicherheit<br />

In Deutschland gibt es 247 psychiatrische Fachkliniken sowie 742 psychiatrische<br />

Fachabteilungen mit insgesamt 67.942 Betten. Die durchschnittliche<br />

Verweildauer beträgt rund 21 Tage, die Bettenauslastung beträgt über 90 Pozent.<br />

Jährlich werden 756.366 Patienten behandelt.<br />

Das Thema Patientensicherheit hat für die<br />

psychiatrischen und psychosomatischen<br />

Krankenhäuser und Abteilungen einen hohen<br />

Stellenwert. Gerade in den vergangenen<br />

Jahren sind hier die Anstrengungen deutlich<br />

gewachsen. Die Bedingungen, unter denen<br />

die Einrichtungen arbeiten, haben sich allerdings<br />

nachweislich keinesfalls verbessert. Im<br />

Gegenteil. Für die Zukunft sehen viele Geschäftsführer<br />

keine positiven Veränderungen.<br />

Auch die psychiatrischen und psychosomatischen<br />

Krankenhäuser in Deutschland sind<br />

verpflichtet, ein klinisches Risikomanagement<br />

einzuführen. Ein zentrales Kriterium ist dabei<br />

die Patientensicherheit. Gleichzeitig sehen sie<br />

sich einer seit Jahren stetig steigenden Zahl von<br />

Patienten gegenüber.<br />

Die Daten der gesetzlichen Krankenkassen zeigen<br />

seit Jahrzehnten ein Ansteigen psychischer<br />

Erkrankungen. Sie stellen heute die zweithäufigste<br />

Diagnosegruppe für Krankschreibung<br />

oder sogar Arbeitsunfähigkeit (BKK Gesundheitsreport<br />

2014) dar. Deutlich länger als bei<br />

anderen Krankheiten ist auch die Krankheitsdauer<br />

– sie beträgt rund 40 Tage. Die Patientenzahlen<br />

nehmen zu. Gegenteilig haben sich<br />

die Verweildauern entwickelt. Damit ist der<br />

Druck auf das Personal erheblich angestiegen.<br />

Dennoch sind viele psychiatrische und psychosomatische<br />

Einrichtungen intensiv dabei,<br />

Maßnahmen zur Patientensicherheit und Schadensprävention<br />

umzusetzen oder haben dies<br />

bereits getan. Dazu gehört u.a. die Einführung<br />

eines Meldesystems für Beinahe-Fehler (CIRS),<br />

wie es im folgenden Beitrag von Dr. Annette<br />

Egloff aus der Asklepios Psychiatrie Niedersachsen<br />

GmbH geschildert wird. Auch die<br />

Transparenz über die geleistete Qualität gegenüber<br />

Patienten und Zuweisern spielt eine<br />

zunehmende Rolle. Das wird u.a. deutlich in der<br />

Teilnahme von schon 23 psychiatrischen Kliniken<br />

am erst kürzlich installierten Portal »Qualitätskliniken.de«.<br />

Um die Nachhaltigkeit der Behandlung und<br />

damit auch die Sicherheit der Patienten nach<br />

der Entlassung aus der Klinik zu organisieren,<br />

ist ein strukturiertes, professionelles Entlassmanagement<br />

für psychiatrische Kliniken besonders<br />

schwer umzusetzen – nicht nur wegen<br />

der Defizite im ambulanten Bereich. Einbezogen<br />

werden müssen auch die Angehörigen, die<br />

ansonsten häufig mit der Situation überfordert<br />

sind. Das zeigt der Beitrag von Silke Ludowisy-<br />

Dehl, Pflegedirektorin in der LVR-Klinik Langenfeld,<br />

in diesen <strong>Praxisberichte</strong>n. Gerade für<br />

chronisch psychisch Kranke ist ein Sektor übergreifendes,<br />

multiprofessionelles und gut koordiniertes<br />

Betreuungsangebot wichtig.<br />

Unterschiede zu Akutkliniken<br />

Patientensicherheit in psychiatrischen und<br />

psychosomatischen Einrichtungen zu garantieren<br />

und zu verbessern unterscheidet sich<br />

in vielen Aspekten deutlich von denen somatischer<br />

Krankenhäuser. Dabei geht es nicht wie<br />

dort in erster Linie um Operationsfehler oder<br />

Risiken durch Medizintechnik und Geräte. Es<br />

geht um eine ganzheitliche Sicht auf den einzelnen<br />

Patienten, um sichere Prozesse, Sicherheitsvorkehrungen<br />

in geschützten Bereichen,<br />

um die Verhinderung von Eigen- und Fremdgefährdung,<br />

um Deeskalationskonzepte, Medikamentensicherheit<br />

und um die strukturierte<br />

interprofessionelle Zusammenarbeit, u.a. mit<br />

regelhaften Team- und Fallbesprechungen.<br />

So resultieren die wichtigsten Schadensursachen<br />

in der Psychiatrie laut Ecclesia Versicherungsdienst<br />

2012 aus Aufsichtsverletzungen<br />

und falsch durchgeführten Therapien. Es folgen<br />

fehlerhafte Medikamentenverabreichung,<br />

Stürze und Überwachungsfehler.<br />

Holger Höhmann<br />

Kaufmännischer Direktor<br />

und Vorstandsvorsitzender<br />

der LVR-Klinik Langenfeld,<br />

Vorsitzender der<br />

Fachgruppe Psychiatrische<br />

Krankenhäuser im Verband<br />

der Krankenhausdirektoren<br />

Deutschlands (<strong>VKD</strong>)<br />

»Die wirtschaftliche Entwicklung,<br />

die steigenden<br />

Patientenzahlen und die<br />

hohe Belastung der Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeiter<br />

haben unmittelbaren Einfluss<br />

auf Fragen der Patientensicherheit.<br />

Nicht alles<br />

lässt sich durch permanent<br />

hohes Engagement auffangen.<br />

Das sollte auch die<br />

Politik erkennen.«<br />

Holger Höhmann<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement 19


Paentensicherheit<br />

Die Einschätzung des Versicherungsdienstleisters<br />

hatte 2010 auch bereits eine umfangreiche<br />

Befragung zum Stand der Einführung eines klinischen<br />

Risikomanagements (kRM) durch das<br />

Institut für Patientensicherheit der Universität<br />

Köln unter Teilnahme des Deutschen Krankenhausinstituts<br />

im Auftrag des Aktionsbündnisses<br />

Patientensicherheit gezeigt.<br />

Diese erste Befragung zur Einführung des kRM<br />

hatte gezeigt, dass nach eigenen Einschätzungen<br />

auch der psychiatrischen Krankenhäuser in<br />

vielen Bereichen des klinischen Risikomanagements<br />

Verbesserungspotenzial gesehen wurde.<br />

Gleichzeitig wurde aber auch deutlich, dass<br />

dieser Bereich ein spezifisches Risikoprofil hat.<br />

So spielten die Maßnahmen, die sich auf Infektionsschutz,<br />

OP-Management, Simulationstraining<br />

bezogen, eine untergeordnete Rolle. Das<br />

Thema Arzneimitteltherapiesicherheit dagegen<br />

hatte einen deutlich höheren Stellenwert und<br />

wurde vielfach bereits strukturiert angegangen.<br />

Auf die Frage nach den zwei vermutlich wichtigsten<br />

Risikoschwerpunkten, auszuwählen aus<br />

einer vorgegebenen Liste, wurde von den Befragten<br />

aus den psychiatrischen Krankenhäusern<br />

die Arzneimitteltherapie auch als Hauptschwerpunkt<br />

genannt. Einen vorderen Platz<br />

nahmen ebenfalls Stürze und Diagnosefehler<br />

ein. Was seitdem in punkto Patientensicherheit<br />

umgesetzt worden ist, wird die erneute Erhebung<br />

zeigen, die zum Einführungsstand des klinischen<br />

Risikomanagements in diesem Jahr von<br />

März bis Ende Juni durchgeführt wurde.<br />

Schwierige wirtschaftliche Lage<br />

Die Aktivitäten zum klinischen Risikomanagement<br />

finden allerdings in einer Situation statt,<br />

die durch die Einführung des neuen Entgeltsystems<br />

für psychiatrische und psychosomatische<br />

Einrichtungen (PEPP) nach dem Muster der<br />

DRGs geprägt ist. Das aktuelle PSYCHiatrie Barometer<br />

des Deutschen Krankenhausinstituts<br />

(DKI) aus diesem Jahr dokumentiert die deutliche<br />

Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage<br />

der Häuser und Abteilungen in diesem Bereich.<br />

Danach beurteilen 42 Prozent der psychiatrischen<br />

Fachkrankenhäuser in Deutschland ihre<br />

derzeitige wirtschaftliche Situation als unbefriedigend.<br />

Im vergangenen Jahr lag dieser Wert<br />

noch bei 10 Prozent. Dramatischer kann eine<br />

Entwicklung kaum sein. Auch die Zukunftsaussichten<br />

werden negativ beurteilt. Mehr als zwei<br />

Drittel der Befragten rechnen auch in diesem<br />

Jahr nicht mit einer Verbesserung.<br />

Alarmierend für die Situation in der Zukunft ist<br />

überdies, dass ausgerechnet die Einrichtungen,<br />

die optional das neue Entgeltsystem (PEPP)<br />

bereits anwenden, ihre wirtschaftliche Lage<br />

tendenziell noch deutlich schlechter einschätzen,<br />

als jene, die noch nicht umgestiegen sind.<br />

Die allgemeine Unsicherheit bezüglich der Auswirkungen<br />

ist laut der Befragung erheblich. Der<br />

Unmut über die hohen Kontrolllasten, denen<br />

die Umstiegshäuser durch Krankenkassen und<br />

MDK ausgesetzt sind, ist ebenfalls sehr groß<br />

und hat zu Protesten geführt. Die damit verbundenen<br />

Dokumentationspflichten bedeuten<br />

auch, dass weniger Zeit für die Betreuung und<br />

Behandlung der Patienten zur Verfügung steht<br />

– und dies in einem Bereich, in dem es gerade<br />

darauf besonders ankommt.<br />

Die wirtschaftliche Entwicklung, die steigenden<br />

Patientenzahlen und die hohe Belastung der<br />

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben unmittelbaren<br />

Einfluss auf Fragen der Patientensicherheit.<br />

Nicht alles lässt sich durch permanent<br />

hohes Engagement auffangen. Das sollte<br />

auch die Politik erkennen.<br />

Die Fachgruppe Psychiatrie des Verbandes der<br />

Krankenhausdirektoren Deutschlands hat sich<br />

mit dem Thema Finanzierung und Qualität der<br />

stationären Psychiatrie und Psychosomatik<br />

immer wieder intensiv beschäftigt und sich<br />

gemeinsam mit anderen Verbänden deutlich<br />

zum neuen Finanzierungssystem positioniert.<br />

Auch wenn es sich dabei um ein so genanntes<br />

lernendes System handeln soll, sehen wir darin<br />

auch nach den erfolgten Modifikationen erhebliche<br />

Gefahren für unsere Kliniken und die<br />

Behandlung der Patienten – damit auch deren<br />

Sicherheit.<br />

Seit Jahrzehnten nimmt die Zahl der psychischen Erkrankungen in Deutschland<br />

und damit auch die der entsprechenden Fehltage zu. In 2012 waren es laut Bundesanstalt<br />

für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin rund 60 Millionen. Psychische<br />

Erkrankungen sind heute die zweithäufigste Diagnosegruppe für Krankschreibung<br />

oder sogar Arbeitsunfähigkeit (BKK Gesundheitsreport 2014). Deutlich länger als bei<br />

anderen Krankheiten ist auch die Krankheitsdauer – sie beträgt rund 40 Tage. Neben<br />

den allgemeinen Folgen für die Wirtschaft, u.a. durch erhebliche Produktionsausfallkosten,<br />

betragen die direkten Krankheitskosten laut Bundesanstalt für Arbeitsschutz<br />

und Arbeitsmedizin rund 16 Mrd. Euro jährlich.<br />

20<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement


Paentensicherheit<br />

Kritisch sieht unsere Fachgruppe u.a., dass das<br />

PEPP-System die derzeitige Unterfinanzierung<br />

des Personals – Basis ist die Psychiatrie-Personalverordnung<br />

(Psch-PV), die schon aktuell<br />

im Durchschnitt nur zu etwa 90 Prozent erfüllt<br />

wird – teilweise als Grundlage nimmt und damit<br />

eine weitere Unterfinanzierung in diesem<br />

wichtigen Bereich fortscheibt. Für das Thema<br />

Patientensicherheit, das eng mit der Personalbesetzung<br />

zusammenhängt, ist das fatal, zumal<br />

in den vergangenen Jahren personalintensive<br />

Therapien zugenommen haben und es entsprechende<br />

S3-Leitlinien dafür gibt, die zu beachten<br />

sind.<br />

Tunnelblick der Politik<br />

Kritisch muss gesehen werden, dass leider offenbar<br />

auch im Bereich der Psychiatrie und<br />

Psychosomatik der Fokus der Politik in punkto<br />

Patientensicherheit vor allem auf die stationäre<br />

Versorgung gerichtet ist. Eine gut funktionierende,<br />

qualitätsgeprüfte ambulante psychiatrische<br />

und psychosomatische Versorgung der<br />

Patienten spielt aber für die Patientensicherheit<br />

eine erhebliche Rolle. Die Unterversorgung<br />

im ambulanten Bereich, nicht nur in ländlichen<br />

Regionen, sondern auch in Städten, mit zum<br />

Teil mehrwöchigen, ja monatelangen Wartezeiten<br />

ist geeignet, den Behandlungserfolg in den<br />

stationären Einrichtungen wieder in Frage zu<br />

stellen, da eine notwendige Weiterbehandlung<br />

nicht garantiert werden kann. Die Pflicht der<br />

Häuser, diesen Übergang durch ein Entlassmanagement<br />

zu steuern, läuft hier ins Leere. Auch<br />

das ist ein wesentlicher Aspekt der Patientensicherheit.<br />

Hinzu kommt, dass die ambulante Unterversorgung<br />

zur Verschleppung auch psychischer<br />

Krankheiten und schließlich zum Krankenhausaufenthalt<br />

führt, der ursprünglich nicht<br />

notwendig gewesen wäre. Damit steigt die Zahl<br />

der stationären Fälle. Von 2005 bis 2013 stiegen<br />

sie um 37 Prozent. Mit Umsetzung des PEPP, u.a.<br />

mit einer Degression der Kostenerstattung bei<br />

längeren Liegezeiten, werden die Verweildauern<br />

vermutlich weiter verkürzt werden. Diese<br />

Entwicklung provoziert unnötige »Drehtüreffekte«<br />

mit Wiedereinweisungen, die zudem mit<br />

einer weiteren Belastung des Personals verbunden<br />

ist und dient ebenfalls nicht der Patientensicherheit.<br />

Der PEPP-Entgeltkatalog ist, wie das DRG-System, ein leistungsorientiertes, pauschalierendes<br />

Vergütungssystem. Die Vergütung erfolgt hier tagesbezogen. Deutsche<br />

Krankenhausgesellschaft (DKG), Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV)<br />

und Spitzenverband der Krankenkassen haben sich für <strong>2015</strong> auf einen Entgeltkatalog<br />

für psychiatrische und psychosomatische Einrichtungen geeinigt. Seit 2013 können<br />

diese Einrichtungen optional ihre Leistungen nach dem PEPP-Katalog abrechnen. Das<br />

erfolgt bis 2018 bugetneutral, ab 2019 beginnt die so genannte Konvergenzphase des<br />

Systems. In 2013 war noch geplant, die Konvergenzphase bereits in 2017 zu starten.<br />

Dies konnte, auch durch den erheblichen Einsatz der wissenschaftlichen Fachgesellschaften<br />

und der Verbände sowie der DWG, um zwei Jahre nach hinten verschoben<br />

werden.<br />

Laut DKG ist der PEPP-Katalog ein Kompromiss. Er soll ein lernendes System sein.<br />

Ein Weiterentwicklungsprozess müsse angestoßen werden, wenn nötig, sei nachzubessern.<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement 21


Paentensicherheit<br />

Der Erfolg:<br />

Aufbau einer positiven Fehlerkultur<br />

Erfahrungen mit Risikomanagement und Critical Incident Reporting System (CIRS)<br />

im Psychiatrischen Fachkrankenhaus<br />

Das Asklepios Fachklinikum Göttingen verfügt über aktuell 486 Betten mit 428<br />

vollstationären und 58 teilstationären Plätzen in fünf Fachabteilungen Akutpsychiatrie<br />

sowie Tageskliniken, Institutsambulanz, und zusätzlich eine Klinik für Forensische<br />

Psychiatrie mit 63 Betten.<br />

Das Asklepios Fachklinikum Tiefenbrunn hält 182 Betten vor. Es gibt drei Fachabteilungen<br />

Psychotherapie für Erwachsene, Kinder- und Jugend-Psychiatrie und Psychotherapie,<br />

Psychosomatik sowie eine Institutsambulanz.<br />

Dr. Annette Egloff<br />

Qualitätsmanagement,<br />

Asklepios Fachklinikum<br />

Göttingen<br />

»CIRS ist präventiv auf<br />

die lernende Organisation<br />

ausgerichtet mit der steten<br />

Überlegung, wie Fehler<br />

zukünftig vermieden werden<br />

können.«<br />

Dr. Annette Egloff<br />

Patientensicherheit findet ein zunehmendes<br />

öffentliches, fachliches und politisches Interesse.<br />

Die Optimierung der Patientensicherheit<br />

ist seit 2014 ein Ziel der Initiative »gesundheitsziele.de«.<br />

In den Unternehmen der Gesundheitsversorgung<br />

hat sich die ursprüngliche<br />

Fehlerkultur zur Sicherheitskultur weiterentwickelt.<br />

Im Folgenden soll über die<br />

speziellen Anforderungen und Erfahrungen in<br />

zwei psychiatrischen Fachkrankenhäusern<br />

der Asklepios Psychiatrie Niedersachsen<br />

GmbH berichtet werden.<br />

Bereits 2013 wurde der Asklepios Standard CIRS<br />

als Fehlermelde- und Lernsystem im Asklepios<br />

Fachklinikum Göttingen und im Asklepios Fachklinikum<br />

Tiefenbrunn eingeführt.<br />

In den beiden Einrichtungen liegen langjährige<br />

Erfahrungen zur Erfassung und Analyse jedweder<br />

so genannter »Besonderer Vorkommnisse«<br />

vor. Mit der Einführung von CIRS sollte eine zusätzliche<br />

Ausrichtung auf eine Prävention mit<br />

frühzeitiger Erkennung von Fehlern, offener<br />

Kommunikation / transparentem Umgang und<br />

Lernkultur erfolgen. Das Meldesystem wurde an<br />

das bestehende Qualitäts- und Risikomanagement<br />

angegliedert.<br />

Unterschied zur Somatik:<br />

der ganzheitliche Ansatz<br />

Im Vergleich zur Somatik sind Unterschiede<br />

implizit und resultieren beispielsweise aus dem<br />

somatischen Fokus von Diagnostik und Therapie<br />

auf relevante Organsysteme mit fachspezifischen<br />

Prozeduren. Fehler können hier durch<br />

menschliche und technische Einflüsse passieren.<br />

Differenziert wird üblicherweise in Organisationsfehler,<br />

Behandlungsfehler, Aufklärungsfehler,<br />

Dokumentationsfehler, Gerätefehler.<br />

Psychiatrie zielt dagegen auf die Minderung der<br />

psychopathologischen Symptomatik, das seelische<br />

Wohlbefinden und Krankheitsverständnis<br />

sowie soziale (Re-)Integration des betroffenen<br />

Klienten und verfolgt damit einen ganzheitlichen<br />

Ansatz.<br />

Die Angebote in psychiatrischen Krankenhäusern<br />

werden entscheidend geprägt durch die<br />

ausgewählten / möglichen Therapieverfahren<br />

und letztlich bestimmt auf der Beziehungsebene<br />

Patient – Therapeut, wobei Auswahl und<br />

Passung individuell erfolgen und von multiplen<br />

Kriterien abhängen. Erleben und Bewertung<br />

von Patienten sind höchst subjektiv und<br />

beeinflusst von der psychopathologischen<br />

Symptomatik auf Patientenseite, wie von Gegenübertragung<br />

und psychischer Verfassung<br />

auf Seiten der Behandler.<br />

Unsere Erfahrungen zeigen, dass insbesondere<br />

Fehlermeldungen zu Struktur und Prozessen<br />

erfolgen, während die Bewertung zur Ergebnisqualität<br />

für den Therapieerfolg individuell in<br />

der direkten Kommunikation zwischen Therapeut<br />

und Patienten erfolgt und bearbeitet wird.<br />

Der Asklepios-Standard<br />

CIRS ist ein EDV-gestütztes Erfassungssystem<br />

für Fehler, unerwünschte Ereignisse und Beinahe-Schäden,<br />

welches auf die Analyse von Fehlerketten<br />

und die Prävention zukünftiger Fehler<br />

ausgerichtet ist. Betroffene können sowohl Patientinnen<br />

und Patienten als auch Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeiter sein.<br />

22<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement


Paentensicherheit<br />

Der Asklepios-Standard CIRS gilt gleichermaßen<br />

für somatische und psychiatrische Kliniken.<br />

Vorausgesetzt werden:<br />

• Freiwilligkeit der Meldung,<br />

• Sanktionsfreiheit,<br />

• Anonymität der Eingabe,<br />

• Vertraulichkeit bei der Bearbeitung,<br />

• unabhängiges Berichtssystem,<br />

• Analyse und Maßnahmenableitung durch<br />

Expertenteam,<br />

• Transparenz und Feedback zum Bericht,<br />

• definierte Aufbau- und Ablauforganisation,<br />

• Evaluation.<br />

CIRS ist keine Komplikationsstatistik, d. h., es<br />

werden keine bereits entstandenen Schäden,<br />

welche ggf. haftungsrelevant sein können, gemeldet.<br />

Im Intranet der genannten Einrichtungen befindet<br />

sich ein Link zum CIRS-Meldeformular;<br />

dieser kann von den klinikinternen Rechnern<br />

aus genutzt werden.<br />

Abgefragt wird:<br />

• Was ist passiert?<br />

• Wie ist es zu dem Ereignis gekommen?<br />

• Wie könnte es in Zukunft vermieden werden?<br />

Die Verantwortung trägt die Führung des Krankenhauses.<br />

Jede Klinik bildet einen Meldekreis.<br />

Zum CIRS-Team gehören Anonymisierer, jeweils<br />

Arzt und Pflegekraft als CIRS-Beauftragte für<br />

die Bearbeitung jeder Meldung, das Analyseteam<br />

als berufs- und bereichsübergreifend<br />

besetztes Gremium und der Bereich Qualitätsmanagement<br />

für Controlling, Evaluation, Koordination.<br />

Erfassung und Auswertung erfolgen über das<br />

CIRS-Analysetool mit organisierter Auswertung,<br />

Analyse, Risikobewertung mit Einschätzung<br />

der Eintrittswahrscheinlichkeit und Fehlerschwere<br />

(als Risikoprioritätszahl), mit Ableitung<br />

von Verbesserungsmaßnahmen und einem<br />

Rückmeldesystem.<br />

Die Meldungen werden folgenden Kategorien<br />

zugeordnet:<br />

• Medikamente<br />

• Geräte / Technik / Bau<br />

• Mensch / Organisation<br />

Die Maßnahmenplanung unterscheidet zwischen<br />

abteilungsinterner und abteilungsübergreifender<br />

Relevanz und umfasst<br />

• Kommunikation / Gespräch<br />

• Schulung<br />

• Verfahrensanweisung<br />

• Prozessoptimierung<br />

• Veränderung der Ausstattung / Neuanschaffung<br />

/ bauliche Maßnahmen<br />

Erfahrungen nach zweijähriger Anwendung<br />

Aus den Erfahrungen nach über zweijähriger<br />

Anwendung an den zwei Standorten der Asklepios<br />

Psychiatrie Niedersachsen GmbH können<br />

wir Folgendes berichten (s. Tabellen 1 und 2):<br />

Tabelle 1: Übersicht der CIRS Fälle (bislang n= 120 Eingaben)<br />

2013<br />

2014<br />

zwei Monate <strong>2015</strong><br />

Stand: 17.02. <strong>2015</strong><br />

AF Göttingen<br />

63 Eingaben<br />

(davon 17 für Betriebliches<br />

Vorschlagswesen)<br />

22 Eingaben<br />

(davon 9 für Betriebliches<br />

Vorschlagswesen)<br />

9 Eingaben<br />

(davon 3 für Betriebliches<br />

Vorschlagswesen)<br />

AF Tiefenbrunn<br />

20 Eingaben<br />

(davon 2 für Betriebliches<br />

Vorschlagswesen)<br />

5 Eingaben<br />

(davon 2 für Betriebliches<br />

Vorschlagswesen)<br />

1 Eingabe<br />

(davon 0 für Betriebliches<br />

Vorschlagswesen)<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement 23


Paentensicherheit<br />

Als Vertreter von zwei großen psychiatrischen<br />

Standorten haben wir untersucht, inwieweit<br />

– möglicherweise psychiatrieassoziierte -<br />

Schwerpunkte bei CIRS-Meldungen bestehen.<br />

In der Einführungsphase galt es zunächst, die<br />

Mitarbeiterschaft zu schulen und zur Nutzung<br />

zu motivieren.<br />

In den hiesigen psychiatrischen Krankenhäusern<br />

wurden am häufigsten CIRS-Fälle aus der<br />

Kategorie Mensch / Organisation (n=49), nachfolgend<br />

23 Fälle der Kategorie Geräte / Technik /<br />

Bau und 10 Fälle der Kategorie Medikamente<br />

zugeordnet. Da Mehrfachnennungen möglich<br />

waren, ist die Zuordnung nicht eindeutig auszuwerten.<br />

Mehrfachmeldungen gab es zu:<br />

• Verwechslung von Medikamenten beim Verordnen,<br />

bei Bereitstellung, Kontrolle oder<br />

Verabreichen, z. B.<br />

– Patientenverwechslung bei Ausgabe der<br />

Medikation<br />

– Missverständliche Angaben bei der Dosierung<br />

von Medikamenten (ml / mg, Stückzahl<br />

/ mg), Verwechslung von optisch<br />

ähnlichen Verpackungen<br />

• Missverständnisse oder Kommunikationsprobleme<br />

bezüglich Absprachen, Verordnungen,<br />

Entscheidungen:<br />

– Verwechslung von Patienten bei Diagnostik<br />

– Unklare Absprachen in Bezug auf Abläufe<br />

(z.B. Hygiene-Management)<br />

Tabelle 2: Klinikübergreifend konnten folgende CIRS-Fälle kommuniziert werden<br />

(5 von 120= 4,2%, veröffentlicht in Mitarbeiterzeitung / Newsletter):<br />

CIRS-Meldung<br />

Abgabe von Medikamenten - hier<br />

der sog. Mitnahmemedikation -,<br />

dabei waren die vorbereitende Pflegekraft<br />

und die ausgebende Pflegekraft<br />

nicht identisch. Der Tagesriegel<br />

eines Patienten wurde mit falschem<br />

Namen versehen.<br />

Abgeleitete Maßnahme<br />

Anwendung des Standards zum Umgang<br />

mit Medikamenten (6 R-Regel).<br />

Versorgung von nicht bekannten<br />

Patienten mit Risiko, dass es in<br />

Vertretungssituationen bzw. bei<br />

Aushilfstätigkeiten zu fehlerhaftem<br />

Handeln kommt, hier zu Patientenverwechslungen.<br />

Anwendung des Medikamentenstandards.<br />

Zuordnung des Gesichtes<br />

zum Patientenfoto anhand der Gesundheitskarte<br />

in der Krankenakte,<br />

ggf. Armbändchen mit Patientenidentifikationsnummern<br />

einführen.<br />

Auslösen des PNA-Alarms (Personennotruf)<br />

statt Notruf 333 (für<br />

medizinischen Notfall), Folge: Notfallausrüstung<br />

fehlte beim Einsatz.<br />

Schulungen zum Notfallmanagement<br />

auf den Stationen werden<br />

wiederholt angeboten und Prüfungen<br />

zum Kenntnisstand der Mitarbeiter<br />

zur Notrufregelung werden<br />

durchgeführt.<br />

Verletzungsgefahr für Patienten<br />

aufgrund von Bau- und Reinigungsmängeln<br />

sowie ausstehenden Reparaturen<br />

an Trainingsgeräten.<br />

Einführung eines neuen Fixiersystems<br />

zur Anwendung bei Zwangsmaßnahmen,<br />

vorübergehend gab<br />

es im Hause zwei unterschiedliche<br />

Fixiersysteme mit verschiedenen<br />

Magnetschlüsseln.<br />

Listen im MTT-Raum und in der<br />

Turnhalle mit dem Namen der Aufsichtsperson,<br />

Anzahl der Nutzer/<br />

innen, Uhrzeit der Nutzung. Prüfliste<br />

für die ordnungsgemäße Nutzung<br />

der Trainingsgeräte in der Abteilung<br />

Physiotherapie.<br />

Vereinheitlichung der Fixiersysteme<br />

im Hause und Schulung der<br />

Mitarbeiter zur Anwendung.<br />

24<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement


Paentensicherheit<br />

Die Auswertung zu Eintrittswahrscheinlichkeit<br />

und Fehlerschwere (als Risikoprioritätszahl)<br />

ergab, dass die Meldungen am häufigsten als<br />

sehr schwer, weniger häufig als schwer und<br />

selten als äußerst schwer bewertet wurden. Für<br />

alle Eingaben konnten Maßnahmen abgeleitet<br />

und kommuniziert werden.<br />

Zudem fiel auf, dass im ersten Jahr nach CIRS-<br />

Einführung insgesamt 19 von 83 Eingaben (23%)<br />

dem Beschwerdemanagement zugeordnet werden<br />

mussten und im zweiten Jahr sogar 11 von<br />

27 Meldungen (41%). Das CIRS Meldesystem<br />

wird offenbar als anonymes Meldesystem für<br />

Beschwerden genutzt, wenngleich ein einrichtungsinternes<br />

Beschwerdemanagementsystem<br />

etabliert ist. Die Umwidmung der Eingaben<br />

wurde gleichermaßen kommuniziert, erscheint<br />

aber eine fortgesetzte Praxis. Intern wurde diskutiert,<br />

inwieweit die sichergestellte Anonymität<br />

hier eine Rolle spielt.<br />

Psychiatrierelevante, fachspezifische Risiken<br />

bei der Behandlung von Patienten mit kognitiven<br />

Defiziten (u.a. Demenz-Erkrankte, Psychose-Kranke<br />

und intoxikierte Patienten) oder<br />

auch nicht vorgenommene oder unklare Einschätzung<br />

von Selbst-/ Fremdgefährdung haben<br />

nur in Einzelfällen Risiken und Maßnahmen<br />

beeinflusst und führten nicht gehäuft zu CIRS-<br />

Meldungen, sondern werden weiterhin über<br />

»Besondere Vorkommnisse« erfasst.<br />

Keine Unterschiede zur Somatik<br />

bei CIRS-Nutzung<br />

Klinikübergreifende Evaluationen ergaben,<br />

dass bei der Nutzung des Meldesystems und<br />

der Analyse der CIRS-Fälle die gleichen Problematiken<br />

relevant waren, wie sie auch aus<br />

den somatischen Kliniken im Konzern berichtet<br />

werden.<br />

Klinikübergreifend werden auf Konzern-Ebene<br />

folgende Aspekte diskutiert:<br />

• Sind Durchdringungsgrad und Kenntnisstand<br />

zu CIRS ausreichend?<br />

• Ist die Mitarbeiterschaft ausreichend geschult?<br />

• Wird CIRS angemessen von der Führung unterstützt?<br />

• Sind Rückmeldung zu Ergebnissen und Evaluation<br />

ausreichend (transparent)?<br />

• Inwieweit erfolgt eine Abgrenzung von Eingaben,<br />

die dem Beschwerdemanagement zuzuordnen<br />

sind?<br />

• Wie erfolgt die Umsetzung von Maßnahmenableitung<br />

mit Angemessenheit und Passung<br />

zum jeweiligen Fall?<br />

• Wie erfolgt die Umsetzung der Rückmeldungen<br />

an die beteiligten Bereiche?<br />

• Was passiert bei vergleichsweise seltenen<br />

Meldungen?<br />

• Wie wird CIRS »aktiv« genutzt?<br />

Intern wurde reflektiert, inwieweit das CIRS<br />

mit der vorgegebenen Struktur nicht selbst<br />

dazu beiträgt, dass Berichte über somatischrelevante<br />

Probleme bevorzugt gemeldet werden<br />

und Probleme aus konkreten therapeutischen<br />

Interaktionen mit den Patienten eher der<br />

ebenfalls bewährten Aufarbeitung in Balint-<br />

Gruppen, Team-Supervisionen etc. vorbehalten<br />

bleiben.<br />

Fazit<br />

Der Asklepios Standard CIRS konnte erfolgreich<br />

an zwei psychiatrischen Standorten der<br />

Asklepios Psychiatrie Niedersachen GmbH eingeführt<br />

werden. Mit bislang 120 Eingaben wird<br />

das Meldesystem kontinuierlich im klinischen<br />

Alltag genutzt.<br />

CIRS ist präventiv auf die lernende Organisation<br />

ausgerichtet, mit der steten Überlegung, wie<br />

Fehler zukünftig vermieden werden können.<br />

Der Erfolg von CIRS besteht im Aufbau einer<br />

positiven Fehlerkultur: Es wird nicht gefragt,<br />

»wer«, sondern »was« führt zu Fehlern. Dabei<br />

ist wesentlich, dass folgende Maximen umgesetzt<br />

werden:<br />

Vertrauen schaffen, offene Kommunikationskultur,<br />

offener Umgang mit Kritik, kontinuierlicher<br />

Verbesserungsprozess, es gibt keine<br />

»dummen« Fragen, Fragen werden nie »zur<br />

falschen Zeit« gestellt, Fragen sind jederzeit<br />

möglich und erwünscht.<br />

Im CIRS werden nicht der Mensch und das persönliche<br />

Versagen in den Fokus gesetzt oder<br />

sanktioniert, sondern alle relevanten Bereiche<br />

in gegenseitiger Beeinflussung analysiert, um<br />

auch organisatorische, technische oder soziale<br />

Fehlerquellen identifizieren und eliminieren zu<br />

können.<br />

In den beschriebenen Einrichtungen sind wesentliche<br />

Voraussetzungen dazu:<br />

• Die Führungskräfte unterstützen aktiv den<br />

CIRS-Prozess als Bestandteil von Risikomanagement<br />

und die Maßnahmenumsetzung.<br />

• Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind<br />

über Ziele, Grundsätze und Struktur des CIRS<br />

informiert bzw. geschult.<br />

• Das System wird genutzt, aus Fehlern wird<br />

gelernt, Maßnahmen werden abgeleitet,<br />

Risiken werden frühzeitig erkannt und minimiert.<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement 25


Paentensicherheit<br />

Mit der Einführung eines Fehlermelde- und<br />

Lernsystem kann eine vertrauensvolle und<br />

transparente Fehlerkultur geschaffen werden,<br />

um durch Risikomanagement eine tatsächliche<br />

Fehlerreduktion zu bewirken. Damit werden die<br />

Patienten- und Mitarbeitersicherheit erhöht.<br />

Unsere Auswertungen in psychiatrischen Fachkliniken<br />

über zwei Jahre ergaben, dass Meldungen<br />

vorrangig auf Struktur- und Prozessebene<br />

erfolgen. Wir gehen davon aus, dass hier<br />

Fehler fassbarer sind, wohingegen die Beziehungsebene<br />

in der Arzt-Patienten-Interaktion<br />

subjektiv erlebt und individuell therapeutisch<br />

bearbeitet wird.<br />

Mängel in der Patientenversorgung Fehlerquellen<br />

dar. Vielfach wurde die Problematik<br />

Arbeitsverdichtung und reduzierte Personalressourcen<br />

angesprochen.<br />

Es bleibt abzuwarten, inwieweit strukturelle<br />

und prozessuale Weiterentwicklungen im Gesundheitswesen<br />

zukünftig die Abläufe vereinfachen<br />

und potenziell sicherer machen können.<br />

Aus Sicht des Qualitätsmanagements scheint<br />

dieses denkbar auf der Strukturebene mit der<br />

Unterstützung der Dokumentation durch digitale<br />

Anwendungen sowie auf der Prozessebene<br />

mit der Weiterentwicklung von Behandlungspfaden.<br />

Neben auffälligen Häufungen von Meldungen<br />

zu Medikationsfehlern stellen organisatorische<br />

Literatur / Quellen<br />

Asklepios Standard CIRS,<br />

mitgeltende Dokumente und Präsentationen, Konzernabteilung Qualitätsmanagement,<br />

A. Budde, R. Heuzeroth, 2011<br />

QM-Richtlinie Krankenhäuser des GBA,<br />

2014 (Einführung RM und Fehlermeldesystems ist neben der Implementierung<br />

eines QMS verpflichtend)<br />

https://www.g-ba.de/.../39.../2014-01-23_KQM-RL_137-1d_BAnz.pdf<br />

CNE.fortbildung,<br />

1.<strong>2015</strong>, J. Hammerschmidt, Zur Sicherheit, Aus Fehlern lernen, Thieme Verlag, Stuttgart<br />

Internet<br />

www.gvg.org<br />

www.apk-ev.de<br />

www.aktionsbuendnis-patientensicherheit.de<br />

26<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement


Medikationsfehler<br />

sind vermeidbare Risiken<br />

AMTS - wichtiges Thema für unsere Krankenhäuser<br />

Paentensicherheit<br />

Dr. rer. nat. Albrecht Eisert<br />

Chefapotheker, Apotheke<br />

Uniklinik RWTH Aachen<br />

Rebekka Lenssen<br />

Fachapothekerin für Klinische<br />

Pharmazie, Apotheke<br />

Uniklinik RWTH Aachen<br />

Peter Asché<br />

Kaufmännischer Direktor<br />

Uniklinik RWTH Aachen,<br />

Vizepräsident des Verbandes<br />

der Krankenhausdirektoren<br />

Deutschlands<br />

Die Uniklinik RWTH Aachen verbindet als Supramaximalversorger Medizin und<br />

Pflege, Lehre und Forschung auf internationalem Niveau. Mit 34 Fachkliniken,<br />

27 Instituten und fünf fachübergreifenden Einheiten wird das gesamte medizinische<br />

Spektrum abgedeckt. Rund 6000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter versorgen<br />

jährlich rund 45.000 stationäre und 200.000 ambulante Patienten. Es werden rund<br />

1.400 Betten vorgehalten.<br />

Die Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS)<br />

hat zum Ziel, unerwünschte Arzneimittelereignisse<br />

zu vermeiden. Damit ist die AMTS ein<br />

zentraler Punkt der Patientensicherheit, die<br />

zunehmend in den Fokus der Öffentlichkeit<br />

und des Gesetzgebers gerückt ist. Im Medikationsprozess,<br />

von der Aufnahme bis zur<br />

Entlassung eines Patienten und von der Anamnese<br />

bis zum Therapiemonitoring, sind viele<br />

Aspekte zur Arzneimitteltherapiesicherheit<br />

zu beachten. Einige Beispiele und Maßnahmen<br />

aus der Uniklinik RWTH Aachen werden<br />

in nachfolgendem Artikel vorgestellt.<br />

Als Kohn et al. Im Jahr 2000 in den USA »To err is<br />

human« publizierten, begann eine neue Ära der<br />

Patientensicherheit [1]. Ein zentraler Punkt der<br />

Patientensicherheit ist die Arzneimitteltherapiesicherheit<br />

(AMTS). Die Arzneimitteltherapie,<br />

besonders von Patienten im Krankenhaus, setzt<br />

sich häufig aus einer Vielzahl von Arzneimitteln<br />

zusammen und birgt daher ein hohes Potenzial<br />

für Fehler im Medikationsprozess. Nach Hochrechnungen<br />

von Hauck und Zhao birgt ein Krankenhausaufenthalt<br />

ein 5,5-prozentiges Risiko<br />

für den Patienten, ein unerwünschtes Arzneimittelereignis<br />

zu erleiden, jede weitere Nacht<br />

im stationären Aufenthalt erhöht dieses zusätzlich<br />

um 0,5 Prozent [2].<br />

Die Arzneimitteltherapiesicherheit »ist die Gesamtheit<br />

der Maßnahmen zur Gewährleistung<br />

eines optimalen Medikationsprozesses mit dem<br />

Ziel, Medikationsfehler und damit vermeidbare<br />

Risiken für den Patienten bei der Arzneimitteltherapie<br />

zu verringern [3].<br />

Der Medikationsprozess umfasst danach alle<br />

Schritte in der Arzneimitteltherapie und wird<br />

wie folgt definiert:<br />

»Arzneimittelanamnese<br />

Verordnung/Verschreiben<br />

Patienteninformation<br />

Selbstmedikation<br />

»Wesentliche Punkte sind<br />

die Sensibilisierung für<br />

Risiken im Medikationsprozess<br />

und die dauerhafte<br />

Implementierung von<br />

Maßnahmen zur AMTS<br />

im Krankenhaus.«<br />

Rebekka Lenssen<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement 27


Paentensicherheit<br />

Verteilung/Abgabe<br />

Anwendung (Applikation/Einnahme)<br />

Dokumentation<br />

Therapie-Überwachung/AMTS-Prüfung<br />

Kommunikation/Abstimmung<br />

Ergebnisbewertung« [3].<br />

Daraus lässt sich ableiten, dass viele Berufsgruppen,<br />

im Krankenhaus insbesondere Ärztinnen<br />

und Ärzte, Pflegerinnen und Pfleger,<br />

Apothekerinnen und Apotheker, und vor allem<br />

Patientinnen und Patienten, an diesem Medikationsprozess<br />

beteiligt sind.<br />

Um die AMTS in Deutschland zu verbessern,<br />

wurde 2007 der erste Aktionsplan AMTS vom<br />

Bundesministerium für Gesundheit veröffentlicht.<br />

Bis heute wurde dieser kontinuierlich fortgeschrieben,<br />

derzeit in der dritten Auflage [4].<br />

Risiken vor allem an Schnittstellen<br />

Nicht nur während des Krankenhausaufenthaltes,<br />

sondern auch an der Schnittstelle zum ambulanten<br />

Bereich und zu weiterversorgenden<br />

stationären Einrichtungen, z.B. Reha-Kliniken,<br />

lauern Risiken. Auch Verlegungen innerhalb eines<br />

Krankenhauses, z.B. von Intensivstation auf<br />

Normalstation, sind Schnittstellen mit hohem<br />

Risikoprofil. An jeder dieser Schnittstellen ist<br />

eine richtige und vollständige Übergabe der<br />

Informationen, im Hinblick auf die AMTS insbesondere<br />

ein vollständiger und richtiger Medikationsplan,<br />

essentiell. Auf allen Ebenen ist<br />

daher eine gute Abstimmung und Zusammenarbeit<br />

sowie technische Vernetzung über Berufs-und<br />

Sektorengrenzen hinweg von enormer<br />

Bedeutung.<br />

AMTS im Krankenhaus<br />

Alle Schritte im Medikationsprozess bergen Risiken<br />

für Medikationsfehler. Durch eine unvollständige<br />

Arzneimittelanamnese oder auch die<br />

Angabe falscher Arzneimittel können für den<br />

Patienten wichtige Arzneimittel in der stationären<br />

Medikation fehlen, der Patient nicht ausreichend<br />

therapiert sein oder es können sogar<br />

unerwünschte Wirkungen auftreten. Fehlende<br />

oder unklare Angaben zum Patienten, (z.B.<br />

Größe und Gewicht bei der Dosisberechnung<br />

von Zytostatika), handschriftlich unleserliche<br />

Verordnungen, kontraindizierte Arzneimittel,<br />

falsches »Stellen« der Arzneimittel oder auch<br />

Doppelverordnungen können den Patienten gefährden.<br />

Die Uniklinik RHTW Aachen<br />

Des Weiteren sind zu spät bestellte Arzneimittel,<br />

Abgabe eines falschen Arzneimittels, Verwechselungen<br />

durch look- oder sound-alike<br />

Arzneimittel und fehlerhafter Transport Fehlermöglichkeiten.<br />

Auch die Vorbereitung und<br />

Applikation von Arzneimitteln bergen Risiken.<br />

Fehlerquellen können zum Beispiel die inkorrekte<br />

Zubereitung eines Arzneimittels mit einem<br />

falschen Lösungsmittel, mit falschem Volumen,<br />

die zu lange Lagerung eines aufgelösten<br />

Arzneimittels, fehlende Aseptik in der Zubereitung<br />

oder eine unzureichende Etikettierung<br />

sein. Auch das Mörsern oder Teilen von dafür<br />

nicht vorgesehenen Arzneimitteln, beispielsweise<br />

bei der Applikation von Arzneimitteln<br />

bei Patienten über eine Sonde, kann zu Fehlern<br />

führen.<br />

Perfusorenetiketten<br />

Foto: Uniklinik RWTH Aachen<br />

28<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement


Paentensicherheit<br />

Der Medikationsprozess ist aber auch gefährdet<br />

durch fehlendes Entlassmanagement, fehlende<br />

Information zu neu angesetzten Arzneimitteln,<br />

Weiterverordnung trotz nicht mehr<br />

bestehender Indikation. Zudem ist eine ausreichende<br />

Versorgung des Patienten, z.B. über das<br />

Wochenende, mit Arzneimitteln für eine kontinuierliche<br />

Weiterversorgung wichtig. Wesentliche<br />

Punkte sind die Sensibilisierung für Risiken<br />

im Medikationsprozess und die dauerhafte<br />

Implementierung von Maßnahmen zur AMTS im<br />

Krankenhaus.<br />

Multiprofessionelle Aufgabe<br />

Die Arzneimitteltherapie im Krankenhaus ist<br />

eine multiprofessionelle Aufgabe – daher ist<br />

auch das Thema AMTS für alle am Medikationsprozess<br />

Beteiligten relevant. Gemeinsames Ziel<br />

sollte daher sein, den Medikationsprozess optimal<br />

zu organisieren und zu strukturieren, um<br />

Risiken zu minimieren.<br />

Die Uniklinik RWTH Aachen (UKA) implementiert<br />

nach und nach die Handlungsempfehlungen<br />

des Aktionsbündnisses Patientensicherheit<br />

e.V. im Krankenhaus. Auch konsiliarische<br />

Anfragen zur Arzneimitteltherapie werden von<br />

den Kliniken an die Apotheke gerichtet. Im Bereich<br />

der Forschung wird in einigen Projekten<br />

die AMTS-Thematik aufgegriffen und die Implementierung<br />

von Maßnahmen wissenschaftlich<br />

begleitet. Regelmäßige Schulungen des Personals<br />

zur AMTS ergänzen die Aktivitäten.<br />

Beispielhaft werden nachfolgend einige Aktionen<br />

und Maßnahmen zur Arzneimitteltherapiesicherheit<br />

am UKA vorgestellt.<br />

Hochrisiko- Arzneimittel<br />

Internationale Untersuchungen beschreiben<br />

einige Arzneimittel mit einem hohen Risiko<br />

für unerwünschte Arzneimittelereignisse. Das<br />

»Institute of Safe Medication Practices« in den<br />

USA führt auf seiner Liste zu »High-Alert Medications<br />

in Acute Care Settings« Arzneistoffgruppen<br />

und einzelne Arzneistoffe auf, die ein<br />

erhöhtes Risiko bergen, einen Schaden beim<br />

Patienten auszulösen, wenn sie fehlerhaft genutzt<br />

werden. Hierzu gehören zum Beispiel Antithrombotika,<br />

hoch konzentrierte Kaliumlösungen<br />

zur intravenösen Anwendung oder auch<br />

oral appliziertes Methotrexat in der nichtonkologischen<br />

Anwendung [5].<br />

Auch Arzneimittel, die ein von der täglichen<br />

Einnahme abweichendes Applikationsschema<br />

aufweisen (z.B. einmal wöchentliche Gabe),<br />

sind in der Regel mit einem höheren Risiko für<br />

Medikationsfehler und ggf. schwerwiegenden<br />

Folgen für den Patienten behaftet. Eine konsequente<br />

Wahrnehmung solcher Hochrisikoarzneimittel<br />

in Medikationsprofilen von allen am<br />

Medikationsprozess Beteiligten ist daher von<br />

äußerster Wichtigkeit.<br />

Für einzelne dieser Hochrisikoarzneimittel<br />

wurden und werden im Rahmen des erwähnten<br />

Aktionsplans zur AMTS in Deutschland Handlungsempfehlungen<br />

zum Umgang damit entwickelt.<br />

Beispielhaft sei die bereits erschienene<br />

Empfehlung zu oral angewendetem Methotrexat<br />

in der einmal wöchentlichen Gabe, herausgegeben<br />

vom Aktionsbündnis Patientensicherheit<br />

e.V., erwähnt. Am UKA wurden nach<br />

Beschluss der AMK die Empfehlungen zum<br />

Umgang mit oral appliziertem Methotrexat im<br />

gesamten Haus umgesetzt.<br />

Arzneimittelanamnese im interdisziplinären<br />

Aufnahmeprozess<br />

Die Arzneimittel-Anamnese findet in der Regel<br />

bei der ärztlichen Aufnahme des Patienten<br />

statt. Da ein zu Beginn eingeschlichener Fehler<br />

in der Medikation während der Krankenhausbehandlung<br />

unentdeckt bleiben kann, ist es<br />

sinnvoll, besonderen Wert auf eine korrekte<br />

Anamnese zu legen. Auch die WHO schenkt im<br />

High 5s Projekt »Medication Reconciliation«<br />

(MedRec), also dem systematischen Abgleich<br />

der vorbestehenden Medikation mit der stationär<br />

verordneten Medikation, große Beachtung.<br />

In diesem Projekt wird zunächst anhand eines<br />

standardisierten Arbeitsablaufs (SOP) die Arzneimittelanamnese<br />

strukturiert durchgeführt.<br />

Hierfür werden verschiedene Quellen genutzt,<br />

um einen möglichst vollständigen Medikationsplan<br />

(»best possible medication history«)<br />

zu erhalten. Als Informationsquellen dienen z.B.<br />

Unterlagen des Patienten in Form von mitgebrachten<br />

Medikationsplänen, alte Arztbriefe,<br />

handgeschriebene Zettel, Arzneimittel-Verpackungen<br />

sowie mündliche Angaben der Patienten<br />

bzw. Angehörigen. Der anschließende<br />

Abgleich mit der derzeit ärztlichen Verordnung<br />

im Krankenhaus deckt mögliche Diskrepanzen<br />

auf, die somit direkt zu Beginn des Aufenthaltes<br />

korrigiert werden können [6]. Als interdisziplinäre<br />

Aufgabe sind am MedRec-Prozess<br />

v.a. Ärztinnen und Ärzte, Pflegerinnen<br />

und Pfleger sowie Apothekerinnen<br />

und Apotheker beteiligt<br />

Ob eine zusätzliche AMTS-<br />

Prüfung - also eine ausführliche<br />

Überprüfung zur Dosierung,<br />

zu Dosisanpassungen<br />

an z.B. Organfunktionen, Kontraindikationen,<br />

zu unerwünschten<br />

Wirkungen, Arzneimittelinteraktionen,<br />

Vorschläge zum aut idem bzw. aut<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement 29


Paentensicherheit<br />

simile Austausch von Arzneimitteln - einen<br />

zusätzlichen Nutzen hat, wird derzeit in einer<br />

Studie am UKA untersucht. Die AMTS-Prüfung<br />

der Medikation wird in diesem Projekt als<br />

Dienstleistung von der Apotheke übernommen.<br />

Eine weitere Möglichkeit, die AMTS Schnittstellen<br />

zu optimieren, ist das Einführen eines einheitlichen<br />

Medikationsplans, wie er im Rahmen<br />

des Aktionsplans AMTS entwickelt wurde.<br />

Ist dieser Medikationsplan in aktueller und<br />

vollständiger Version, z.B. bei Krankenhausaufnahme,<br />

vorhanden, sind viele Informationen<br />

sofort verfügbar, die sonst häufig fehlen<br />

(z.B. Darreichungsformen, Arzneimittel aus der<br />

Selbstmedikation des Patienten).<br />

Einsatz von CDSS /CPOE als Prozessunterstützung<br />

bei der Arzneimittel-<br />

Information<br />

Der Einsatz von handschriftlichen »Patientenkurven«<br />

ist bei einer eventuell schlecht lesbaren<br />

Handschrift mit einem hohen Risiko für<br />

Übertragungsfehler oder Interpretationsfehler<br />

verbunden. Durch eine elektronische Verschreibung<br />

kann das Problem der Nicht-Lesbarkeit<br />

umgangen werden.<br />

Im immer komplexer werdenden Klinikalltag<br />

kann ein CDSS (Clinical decision support system)<br />

bzw. eine CPOE (computerized physician<br />

order entry) den Medikationsprozess unterstützen<br />

und damit auch zur Patientensicherheit<br />

beitragen. Obwohl Untersuchungen über<br />

die Wirksamkeit eines CPOE-Einsatzes widersprüchlich<br />

sind, empfiehlt das Aktionsbündnis<br />

Patientensicherheit den Einsatz. Neben der<br />

eindeutigen Verordnung können unterschiedliche<br />

Wissensdatenbanken, die in einem solchen<br />

Programm hinterlegt oder verknüpft sein können,<br />

Dosisadaptionen bei Organinsuffizienzen<br />

vorschlagen, klinisch orientierte Warnungen<br />

oder Hinweise bei spezifischen Arzneimitteln<br />

(z.B. Einsatz im Alter) ausgeben und somit den<br />

Anwender bei Therapieentscheidungen unterstützen.<br />

Häufig beinhalten diese Datenbanken<br />

auch Hinweise zu Betäubungsmitteln, chargendokumentationspflichtigen<br />

Arzneimitteln, Medizinprodukten,<br />

Arzneimitteln in der Schwangerschaft,<br />

Mörserbarkeit von Arzneimitteln,<br />

Äquivalenztabellen, CMR-Arzneimitteln, aber<br />

auch »ökonomische« Informationen zur Vergütung<br />

(ZE/NUB-Arzneimittel).<br />

Im UKA ist ein CPOE auf den psychiatrischen<br />

Stationen beispielhaft implementiert worden<br />

und soll schrittweise ausgeweitet werden.<br />

Das Vorhandensein eines CPOE/CDSS<br />

ersetzt jedoch nicht eine sichere Organisation<br />

des Medikationsprozesses, wie z.B. die<br />

richtige Eingabe der Informationen in das<br />

System und eine sorgfältige Pflege der hinterlegten<br />

und eingegebenen Informationen.<br />

Einkauf und Lagerung<br />

als Beitrag zur AMTS<br />

Besonders in den letzten Jahren hat die Lieferunsicherheit<br />

im Arzneimittelbereich stark<br />

zugenommen. Eine Krankenhausapotheke in<br />

der Schweiz berichtete allein für das Jahr 2012<br />

von 269 aufgetretenen Lieferengpässen [7]. Daher<br />

ist die sorgfältige Auswahl der Lieferanten<br />

bereits beim Einkauf entscheidend. Ebenso wie<br />

die Lieferfähigkeit ist die Qualität der Präparate<br />

von hoher Relevanz. So kann die Nicht-Wirksamkeit<br />

eines Arzneimittels schwerwiegende<br />

Folgen für den Patienten haben und auch einen<br />

längeren Krankenhausaufenthalt erforderlich<br />

machen.<br />

Lieferengpässe oder –ausfälle, insbesondere in<br />

der Häufigkeit, wie sie in der letzten Zeit auftreten,<br />

sind jedoch kaum vorhersehbar. Daher<br />

30<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement


Paentensicherheit<br />

Apothekerinnen bei der<br />

AMTS Prüfung auf Station<br />

Foto: Uniklinik RWTH Aachen<br />

muss von Seiten der Apotheke auf diese Vorfälle<br />

in geeigneter Weise reagiert werden. Dazu<br />

gehört eine strukturierte Kommunikation mit<br />

den zu beliefernden Stationen. Hierbei sind vor<br />

allem die Umstellung auf Alternativpräparate<br />

und der zeitliche Horizont der Lieferfähigkeit<br />

wesentliche Punkte.<br />

Bei Sonderanforderungen, die individuell für<br />

einen Patienten bestellt wurden, werden die<br />

Arzneimittel mit dem Namen des Patienten<br />

versehen, um Verwechslungen zu vermeiden.<br />

Bei einem Austausch von Arzneimitteln mit<br />

gleichem Wirkstoff wird ein entsprechender<br />

Hinweis zur Wirkstoffgleichheit gegeben. Diese<br />

Maßnahmen tragen zu einer lückenlosen Arzneimittelversorgung<br />

der Patienten bei.<br />

Jedes Arzneimittel, das zu einem Fehler führt,<br />

aber auch jedes Arzneimittel, das unnötiger<br />

Weise wegen eines Kommunikationsproblems<br />

innerhalb des Krankenhauses eingekauft wird,<br />

führt auch zu vermeidbaren Kosten. Das zwingt<br />

ein Haus, Kommunikationswege gut abzustimmen.<br />

Applikation von Arzneimitteln und<br />

applikationsfertige Zubereitungen<br />

Bei der Applikation von Arzneimitteln ist eine<br />

Reihe von Aspekten zu beachten. Nicht nur<br />

die richtige Einnahme einer Tablette (z.B. Einnahmezeitpunkt<br />

vor, zu oder nach dem Essen),<br />

sondern auch die vielen verschiedenen verfügbaren<br />

Applikationsformen wie inhalative<br />

(z.B. Dosieraerosole, »Asthmasprays«) oder<br />

parenterale Arzneiformen (wirkstoffhaltige<br />

Pflaster, subcutan zu applizierende Spritzen,<br />

intravenös zu applizierende Infusionen oder Injektionen)<br />

bedürfen einiger Hinweise zu deren<br />

korrekter Anwendung.<br />

Daher finden im Aachener Uniklinikum regelmäßige<br />

Schulungen im Rahmen der internen<br />

Fort- und Weiterbildung des Personals zu speziellen<br />

Arzneiformen statt.<br />

Im Krankenhaus kommen naturgemäß viele<br />

Parenteralia zum Einsatz. Nach einem Bericht<br />

der »American Society of Health System Pharmacists«<br />

führen Fehler bei der Anwendung von<br />

Parenteralia dreimal häufiger zu einem Gesundheitsschaden<br />

oder zum Tod eines Patienten<br />

als andere Arzneimittelfehler [8]. Sowohl<br />

die Zubereitung, die Dosierung als auch die<br />

Applikation können hierbei fehleranfällig sein.<br />

Eine Möglichkeit, solche Fehler bei intravenösen<br />

Arzneimitteln zu reduzieren oder zu vermeiden,<br />

sind in der Apotheke vorbereitete ready-to-use<br />

und ready-to-administer Produkte.<br />

Die Lösungen müssen nicht mehr z.B. weiter<br />

verdünnt, sondern können direkt aufgezogen<br />

und appliziert werden.<br />

Die Zubereitung von CMR-Stoffen, wie die Zytostatikazubereitung,<br />

findet seit langem in<br />

Krankenhausapotheken unter dem Vier-Augen-<br />

Prinzip und unter Reinraumbedingungen statt<br />

- was die Arzneimittelsicherheit der Patienten,<br />

aber auch die Sicherheit des Personals, gewährt.<br />

Zudem werden von einigen Apotheken – auch<br />

der Apotheke der Uniklinik RWTH Aachen - ap-<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement 31


Paentensicherheit<br />

plikationsfertige Perfusoren zur Verfügung gestellt.<br />

Eine aseptische Herstellung mit dem Vier-Augen-Prinzip<br />

in der Apotheke unter Reinraumbedingungen<br />

reduziert zudem die mikrobielle<br />

Kontamination auf Station [9].<br />

Um Verwechslungen von Arzneimittelzubereitungen<br />

in Spritzen zu vermeiden, ist eine<br />

eindeutige Kennzeichnung und Beschriftung<br />

der Spritzen essentiell. Hierfür wurde von der<br />

Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für<br />

Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) in Kooperation<br />

mit vielen weiteren Fachgesellschaften<br />

die farbkodierte Etikettierung nach der ISO-<br />

Norm 26825 erweitert [10]. Die farblich unterstützte<br />

Etikettierung und Beschriftung der<br />

Zubereitungen und die Einführung von Standardkonzentrationen<br />

erhöht auch an der Uniklinik<br />

RWTH vor allem in der Intensivmedizin<br />

die AMTS.<br />

Fazit<br />

Die AMTS ist ein wesentlicher Bestandteil der<br />

Patientensicherheit, somit des Qualitätsmanagements<br />

und - nebenbei bemerkt - auch aus<br />

haftungsrechtlicher Sicht von höchster Relevanz.<br />

Der Medikationsprozess besteht aus mehreren<br />

Schritten, an dem verschiedene Professionen<br />

im Krankenhaus, u.a. Ärzte, Pflegekräfte<br />

und Apotheker, beteiligt sind. AMTS in diesem<br />

Prozess zu gewährleisten ist daher ein multiprofessionelles<br />

Thema. Geeignete Maßnahmen<br />

zur AMTS sind wesentliche Bausteine, um die<br />

Patientensicherheit in den Krankenhäusern<br />

zu gewährleisten und unnötige Folgekosten<br />

für das Gesundheitssystem zu vermeiden. In<br />

der Uniklinik RWTH Aachen werden sämtliche<br />

Maßnahmen und Prozesse zur AMTS regelmäßig<br />

evaluiert, um auch in diesem wichtigen Bereich<br />

eine stetige Verbesserung zu ermöglichen.<br />

Applikationsfertige Perfusoren<br />

Foto: Uniklinik RWTH Aachen<br />

Das Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V. hat einige Maßnahmen zur Verbesserung<br />

der Arzneimitteltherapiesicherheit im Krankenhaus Anfang diesen Jahres<br />

herausgegeben (vgl. Seidling, Lenssen ZEFQ 2014; Link APS). Hier finden sich Basismaßnahmen<br />

und Maßnahmen im Medikationsprozess [Seidling und Lenssen für die<br />

AG AMTS des Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V. Empfehlungen zur Arzneimitteltherapiesicherheit<br />

im Krankenhaus. ZEFQ 2014; 108(1): 44-48; Aktionsbündnis<br />

Patientensicherheit e.V. (Hrsg.) Arbeitsgruppe Arzneimitteltherapiesicherheit des<br />

Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V. Arzneimitteltherapiesicherheit im Krankenhaus:<br />

Neuauflage der Checkliste zur AMTS im Krankenhaus der AG Arzneimitteltherapiesicherheit<br />

des Aktionsbündnis Patientensicherheit. <strong>2015</strong>.<br />

Verfügbar unter: http://www.aps-ev.de/fileadmin/fuerRedakteur/PDFs/Handlungsempfehlungen/Arzneimitteltherapiesicherheit/HE_AMTS_Hinweis.pdf].<br />

Farbkodierte Etikettierung<br />

nach ISO 26825<br />

Foto: Uniklinik<br />

RWTH Aachen<br />

32<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement


Paentensicherheit<br />

Patientenschulung und<br />

Arzneimittel-Anamnese<br />

Foto: Uniklinik<br />

RWTH Aachen<br />

Apothekerinnen bei<br />

der Stationsbegehung<br />

Foto: Uniklinik<br />

RWTH Aachen<br />

Literatur<br />

[1] Kohn LT et al. To err is human. Washington, D.C.: National Academic Press: 2000<br />

[2] Hauck K, Zhao X. How dangerous is a day in hospital? A model of adverse events and length of<br />

stay for medical inpatients. Med Care 2011;49: 1068-1075<br />

[3] Koordinierungsgruppe zur Umsetzung und Fortschreibung des Aktionsplanes des Bundesministeriums<br />

für Gesundheit zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit in Deutschland<br />

(Aktionsplan AMTS). Definitionen zu Pharmakovigilanz und Arzneimitteltherapiesicherheit.<br />

Krankenhauspharmazie 2014; 35:425-428<br />

[4] Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft http://www.akdae.de/AMTS/index.html<br />

[5] Institute for Safe Medication Practices (ISMP). ISMP List of high-alert medications in acute<br />

care settings. 2014. Verfügbar unter: https:// www.ismp.org/tools/highalertmedications.pdf]<br />

[6] Ärztliches Zentrum für Qualität in der Medizin. Action on Patient Safety: High 5s. Getting started<br />

kit. Deutsche Version. Sicherstellung der richtigen Medikation bei Übergängen im Behandlungsprozess<br />

– Medication Reconciliation - . 2011<br />

[7] Zeggel et al. Krankenhauspharmazie 2014; 35: 275-80<br />

[8] Proceedings of a summit on preventing patient harm and death from i.v. medication errors.<br />

Am J Health-Syst Pharm 2008,65:2367-79<br />

[9] van Graforst JP, Foudraine NA, Nooteboom f, Crombach WH et al. Unexpected high risk of contamination<br />

with staphylococci species attributable to standard preparation of syringes for<br />

continuous intravenous drug administration in a simulation model in intensive care units Critcare<br />

Med 2002;30:833-6<br />

[10] DIVI. Empfehlung zur Kennzeichnung von Spritzen in der Intensiv- und Notfallmedizin 2012<br />

– erste Überarbeitung des »DIVI-Standards«. 2012. Verfügbar unter: http://www.divi.de/ima<br />

ges/Dokumente/Empfehlungen/Spritzenetiketten/DIVI-Etiketten-Empfehlung_2012_07_02.<br />

pdf.<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement 33


Paentensicherheit<br />

Medikationsprozess<br />

optimal gestaltet<br />

Projekt zur Arzneimitteltherapiesicherheit mit hohem Nutzen für die Patienten<br />

Adelheid May<br />

Geschäftsführerin der<br />

Asklepios Harzkliniken<br />

GmbH, Goslar<br />

Susanne Graudenz<br />

Pflegedirektorin der<br />

Asklepios Harzkliniken<br />

GmbH, Goslar<br />

Birte Jerkel<br />

Apothekerin der Asklepios<br />

Harzkliniken GmbH, Goslar<br />

Mechthild Wenke<br />

Fachapothekerin für Klinische<br />

Pharmazie, Apothekenleitung,<br />

Asklepios Harzkliniken<br />

GmbH, Goslar<br />

»Wenn wir die Patientensicherheit<br />

erhöhen wollen,<br />

müssen wir auch den<br />

Medikationsprozess im<br />

Auge haben. Diesen Prozess<br />

optimal zu gestalten und zu<br />

überwachen verhindert<br />

unerwünschte Ereignisse,<br />

nutzt damit den Patienten,<br />

führt zu höherer Qualität<br />

und ist daher auch wirtschaftlich<br />

ein Gewinn für<br />

unser Krankenhaus.«<br />

Adelheid May<br />

Zur Asklepios Harzkliniken GmbH gehören die Krankenhäuser in Goslar, Bad<br />

Harzburg und Clausthal-Zellerfeld. Die Asklepios Harzklinik Goslar bietet als Akutversorger<br />

310 Bettplätze in den Kliniken für Innere Medizin mit den Behandlungsschwerpunkten<br />

Kardiologie, Angiologie, Pulmonologie, Diabetologie, Gastroenterologie sowie<br />

der Onkologie und Hämatologie. Die strukturierte Behandlung von Brustkrebs erfolgt in<br />

einem interdisziplinär konzipierten Brustzentrum. Weitere Schwerpunkte in Goslar sind<br />

die Abteilungen für Gefäßchirurgie Phlebologie und endovaskuläre Chirurgie, sowie die<br />

Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie, deren Koloproktologie und Endoskopie von<br />

der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie als Kompetenzzentrum ausgewiesen wurde.<br />

Die Klinik für Unfall-, Wiederherstellungs- und Handchirurgie ist die einzige Fachabteilung<br />

für die Versorgung Unfallverletzter im Landkreis und regionales Traumazentrum,<br />

das zum TraumaNetzwerk Göttingen/Kassel gehört.<br />

In Goslar werden ca. 800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt.<br />

Die Klinik in Goslar ist u.a. Mitglied im Aktionsbündnis Patientensicherheit und Mitglied<br />

bei Qualitätskliniken.de.<br />

Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) ist Teil<br />

der Patientensicherheit. Wichtigstes Ziel ist,<br />

die Patienten vor vermeidbaren Schäden im<br />

Rahmen der Arzneimitteltherapie zu schützen.<br />

Dazu gehört die Vermeidung von Medikations-/Applikationsfehlern,<br />

die Reduzierung<br />

der Antibiose-Dauer und auch die Vermeidung<br />

von Fehldosierungen und Doppelverordnungen.<br />

Es geht dabei um ein komplexes<br />

Geschehen, an dem verschiedene Berufsgruppen<br />

beteiligt sind. Die Relevanz für den klinischen<br />

Alltag ist als sehr hoch zu bewerten,<br />

denn auch die Fachberatung durch pharmazeutisches<br />

Personal stellt eine wertvolle Unterstützung<br />

für die Arbeit der Mediziner und<br />

Pflegekräfte in diesem Bereich dar. In der<br />

Asklepios Klinik Goslar wurde ein entsprechendes<br />

Konzept in einer Pilotstation der Unfallchirurgie<br />

umgesetzt. Erste Ergebnisse der<br />

Evaluation liegen vor.<br />

Beim Stellen von Medikamenten sind Aufmerksamkeit<br />

und hohe Konzentration notwendig.<br />

Störungen sind zu vermeiden. Die Tätigkeit<br />

34<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement


Paentensicherheit<br />

muss ohne Unterbrechungen in einem Arbeitsgang<br />

durchgeführt werden.<br />

Die bisher gelebte Praxis in der Asklepios Harzklinik<br />

in Goslar berücksichtigte diese Forderungen<br />

nur zum Teil. Seit geraumer Zeit wurden<br />

hier im Nachtdienst die Medikamente gestellt.<br />

Zwar sind in der Nacht Störungen weniger häufig<br />

als am Tage, Konzentration und Aufmerksamkeit<br />

sind arbeitsmedizinisch betrachtet<br />

aber im Nachtdienst nicht so ausgeprägt wie im<br />

Tagdienst. Ebenso ist im Nachtdienst ein Stellen<br />

bei fehlender Medikation bzw. fehlender Information<br />

zu einer Umstellung auf die Hauslistenpräparate<br />

nicht möglich. Der Patient erhält<br />

in diesen Fällen sein Arzneimittel verspätet.<br />

Aus diesen Gründen wurde nach Strategien gesucht,<br />

das Stellen von Medikamenten aus dem<br />

Nachtdienst herauszulösen und diese Tätigkeit<br />

am Tag, selbst bei größtem Arbeitsanfall, fachgerecht<br />

durchzuführen.<br />

Pharmazeutisch Technische Assistentinnen<br />

(PTA) verfügen über die notwendigen Fachkenntnisse,<br />

in hoher Qualität das Stellen der<br />

Medikamente zu übernehmen. Dies anerkennend<br />

wurden sie im Rahmen des Konzeptes<br />

»Arzneimittelsicherheit durch Delegation des<br />

Richtens von Medikamenten an Pharmazeutisch-Technische<br />

Assistenten mit unterstützender<br />

Beratung durch Apotheker« mit dieser<br />

Tätigkeit betraut. Das Projekt wurde in einer Pilotstation<br />

der Unfallchirurgie umgesetzt.<br />

Was sollte erreicht werden?<br />

Ziel des Projektes war zunächst die Reduzierung<br />

von Medikationsfehlern. Durch die Einbindung<br />

der Apotheke in das Projektteam wurde<br />

außerdem eine intensive Fachberatung durch<br />

Krankenhausapotheker ermöglicht. So sollten<br />

Wechselwirkungen von verschiedenen Medikamenten<br />

schneller erkannt und möglichst<br />

verhindert werden. Sich aufhebende Wirkungen<br />

von Medikamenten sollten ausgeschlossen<br />

werden. Zur Fehlervermeidung war das konsequente<br />

Einhalten des Vier-Augen-Prinzips ein<br />

wesentlicher Punkt. Derselbe Mitarbeiter, der<br />

die Medikamente richtet, sollte diese nicht<br />

auch verabreichen.<br />

Ein innovativer Ansatz innerhalb des Projektes<br />

war, das Richten von Medikamenten organisatorisch<br />

aus dem Stationsalltag herauszulösen<br />

und an die PTA zu verlagern, so dass ein störungsfreies<br />

Arbeiten möglich ist. Eine examinierte<br />

PTA hat zudem ein umfassendes Wissen<br />

über Arzneimittel und ihre Anwendung, das in<br />

den Prozess des Stellens der Medikation einfließen<br />

kann.<br />

Eine weitere Aufgabe war neben dem Richten<br />

der Medikation auch die Prüfung der Hausmedikation<br />

bzw. klinikärztlichen Verordnung<br />

des Patienten auf Plausibilität und ggf. ein<br />

Umstellen auf Hauslistenpräparate. Falls notwendig,<br />

konnten Empfehlungen zum Absetzen<br />

von Medikamenten bzw. einen Wechsel auf geeignetere<br />

Präparate gegeben werden. Geprüft<br />

werden sollte neben möglichen Wechselwirkungen<br />

auch die Eignung der gewählten Medikation<br />

für spezielle Patientengruppen (z.B.<br />

geriatrische Patienten) und die Plausibilität<br />

der Dosierung im Hinblick auf Zulassung, Nieren-<br />

und Leberfunktion. Bei Resorptionsstörungen<br />

(Sondenpatienten, Kurzdarmsyndrom,<br />

Schluckbeschwerden etc.) sollten ausdrücklich<br />

Empfehlungen zu alternativen Arzneiformen<br />

bzw. Präparaten durch die PTA oder den Apotheker<br />

ausgesprochen werden.<br />

Für geplant zu behandelnde Patienten fand<br />

vorab ein pharmazeutisches Konsil durch einen<br />

Apotheker statt. Nach ärztlicher Freigabe der<br />

Apothekerempfehlung erfolgte die Umsetzung<br />

in die tägliche Medikation im Krankenhaus.<br />

Das Vorgehen<br />

Nachdem das Konzept des Projektes aufgestellt<br />

war, wurde es in einer Pilotstation im Fachbereich<br />

Unfallchirurgie gestartet. Erste Ergebnisse<br />

der Evaluation können vorgelegt werden.<br />

Am Projekt waren die Leiterin der Apotheke und<br />

ein Stationsapotheker, der Chefarzt, die Pflegedirektorin,<br />

die Stationsleitung, eine PTA sowie<br />

ein Vertreter des Betriebsrates beteiligt.<br />

Das Projekt wurde in folgenden Schritten<br />

geplant und durchgeführt:<br />

1. Erarbeitung einer Tagesstruktur für den Einsatz<br />

der PTA und des klinisch tätigen Apothekers<br />

2. Angleichung der Visiten- und Anordnungszeiten<br />

des ärztlichen Dienstes<br />

3. Entwurf Dokumentationssystem für Anordnung,<br />

Richten und Verabreichen<br />

a. Anpassung der Dienstanweisung<br />

Medikation<br />

b. Zwei- bis dreimonatige Testphase auf<br />

einer Station<br />

c. Evaluation<br />

4. Vorstellung der Ergebnisse in der Krankenhausleitung<br />

5. Entscheidung zum Roll-Out im gesamten<br />

Haus<br />

Ein besonderes Augenmerk wurde auf die Dokumentation<br />

der Anordnungen von Medikamenten<br />

durch den behandelnden Arzt gelegt.<br />

Eigentlich bekannte Grundanforderungen, wie<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement 35


Paentensicherheit<br />

die Lesbarkeit der Anordnung, die Eindeutigkeit<br />

von Dosierung und Verabreichungsform<br />

sowie die Klarheit der Verabreichungszeiträume,<br />

wurden eingefordert und überprüft. Jede<br />

Anordnung musste vom verordnenden Arzt signiert<br />

werden. Wurden Medikamente abgesetzt<br />

oder verändert, war dies im Dokumentationssystem<br />

ebenfalls eindeutig zu kennzeichnen.<br />

Die Erprobungsphase in der Pilotstation der<br />

Klinik für Unfallchirurgie in der Asklepios Harzklinik<br />

in Goslar begann am 27. April <strong>2015</strong> und<br />

sollte über zwei bis drei Monate dauern. Der<br />

Stellenbedarf für die 52 Betten führende Station<br />

wurde auf ca. 0,4 VK PTA und 0,2 VK Apotheker<br />

geschätzt.<br />

Während der Erprobung wurden folgende<br />

Tätigkeiten der PTA zugeordnet:<br />

• Stellen der Medikation: Orale Arzneiformen<br />

inkl. Betäubungsmitteln (BtM)<br />

• Umstellen der Medikation auf Hauslistenpräparate:<br />

aut idem und aut simile (nach<br />

durch die Arzneimittelkommission frei gegebenen<br />

Äquivalenzdosentabellen), Dokumentation<br />

erfolgt direkt in der Kurve, ggf. Empfehlungen<br />

alternativer Arzneiformen oder<br />

Applikationszeiten (In der »Kurve« werden<br />

die wichtigsten Parameter und Maßnahmen<br />

für jeden Patienten dokumentiert. Sie ist<br />

wichtige Information für weitere Entscheidungen<br />

und diagnostische Maßnahmen.)<br />

• Plausibilitätskontrolle von der in der Kurve<br />

angegebenen Medikation in Hinblick auf<br />

Verfügbarkeit und Dosierung der Präparate,<br />

ggf. Abgleich mit Medikationsplänen des<br />

Patienten, Rücksprache mit Patient, Hausarzt<br />

oder Pflegeeinrichtung<br />

• Pharmazeutisches Konsil durch einen Apotheker<br />

bei allen Neuaufnahmen<br />

• Informationen an den Arzt werden im Verordnungsblatt<br />

der Kurve in grüner Schrift<br />

eingetragen und mit einem Stempel »Empfehlung<br />

Apotheke« versehen. Durch Kleben<br />

eines Post-It werden dem Arzt neue Informationen<br />

kenntlich gemacht. Nach Abzeichnen<br />

durch den Arzt erfolgt die Übernahme in<br />

das Medikationsblatt der Kurve durch die<br />

PTA und ggf. Veränderung des Stellplans.<br />

Alle Umstellungen unterliegen einer täglichen<br />

Plausibilitätskontrolle durch einen<br />

Apotheker<br />

Trotz guter Organisation müssen einige Tätigkeiten<br />

bei den Pflegekräften verbleiben.<br />

Dazu gehören folgende:<br />

• Stellen von Tropfen, Präparaten mit Haltbarkeitseinschränkungen<br />

nach Ausblistern<br />

und Arzneimitteln zur Beeinflussung der<br />

Blutgerinnung ( z.B. Phenprocoumon)<br />

• Bedarfsmedikation<br />

• Zubereiten parenteraler Applikationsformen<br />

• Stellen der Medikamente von Spätaufnahmen<br />

• 4-Augen-Prinzip: Zählen der Tabletten im<br />

Abgleich mit der Kurve bei Verabreichung –<br />

Abzeichnen in der Kurve<br />

Die Ergebnisse<br />

Während der Projektphase wurden sämtliche<br />

Interventionen, wie Umstellungen und Nachfragen,<br />

dokumentiert und evaluiert. Die Interventionen<br />

wurden mit AKDA-DokuPIK - Unterstützung<br />

nach dem Algorithmus des National Coordinating<br />

Council for Medication Error Reporting<br />

and Prevention (NCC-MERP) bewertet. Außerdem<br />

wurde der Zeitaufwand je Patient erhoben.<br />

Er lag für die PTA bei vier bis fünfeinhalb<br />

Minuten je Patient und für den Apotheker bei<br />

Fehlerquellen<br />

Prof. Dr. Dr. Wilfried von Eiff kommt 2008 mit dem Centrum für Krankenhausmanagement<br />

an der Westfälischen Universität in Münster zu folgenden Schlüssen:<br />

• In Krankenhäusern sind 35 Prozent aller Fehlereignisse, also Schädigungen des<br />

Patienten, auf Medikamentenirrtümer zurückzuführen.<br />

• Dabei sind die häufigsten Fehlerquellen mit 39 bis 49 Prozent die ärztliche Verschreibung.<br />

Bei 11 bis 12 Prozent ist es die falsch interpretierte Handschrift, bei<br />

11 bis 14 Prozent entstehen Fehler bei der Medikamentenausgabe und bei 26 bis<br />

38 Prozent treten Fehler beim Verabreichen der Medikamente auf.<br />

• Arzneimittelkomplikationen wirken sich mit durchschnittlich 1,7 Tagen als<br />

Liegezeitverlängerung aus, sie erhöhen die Kosten und schädigen den Ruf des<br />

Krankenhauses.<br />

36<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement


Paentensicherheit<br />

drei Minuten je Patient. Pharmazeutische Konsile<br />

wurden in der Projektphase auf die Neuaufnahmen<br />

beschränkt. Ökonomische Effekte,<br />

z.B. durch Absetzen nicht erstattungsfähiger<br />

Präparate, Lagerwertreduktion der Station und<br />

Synergieeffekte, wurden nicht evaluiert. Die Ergebnisse<br />

sind in der Tabelle »Dokumentation<br />

zum Projekt Arzneimittelsicherheit« nochmals<br />

dargestellt.<br />

Dokumentation<br />

zum Projekt<br />

Arzneimittelsicherheit<br />

Quelle:<br />

Asklepios Harzkliniken<br />

GmbH<br />

Fazit:<br />

2,5 Prozent aller verordneten Arzneimittel unterliegen<br />

notwendigen Interventionen. Davon<br />

sind 17,22 Prozent aller Patienten betroffen. Die<br />

Interventionen haben ökonomische bzw. pharmakologisch/medizinische<br />

Gründe, diese im<br />

Verhältnis 50:50. Das Projekt hat einen deutlichen<br />

Beitrag zur Erhöhung der Patientensicherheit<br />

geleistet. Die ökonomischen Effekte<br />

sind im weiteren Fortgang des Projektes zu<br />

evaluieren.<br />

• PTA als Versorgungsassistent – neben den<br />

Tätigkeiten im Projekt übernimmt die PTA<br />

auch das Bestellen und die Lagerverwaltung<br />

der Arzneimittel auf Station<br />

Nach erfolgreicher Pilotierung ist geplant, dieses<br />

Verfahren im gesamten Haus anzuwenden.<br />

Ausblick:<br />

Das Projekt dient als Vorbereitung für weitere<br />

Maßnahmen zur Erhöhung der Patientensicherheit<br />

im Zusammenhang mit der Arzneimitteltherapie:<br />

• Einführung elektronischer Medikationssoftware<br />

(ID Pharma, Meona u.a.)<br />

• Einführung eines pharmazeutischen Konsils<br />

als Dienstleistung für alle Fachbereiche<br />

• Unterstützung durch den Apotheker in der<br />

Umsetzung von hausinternen Leitlinien, z.B.<br />

einer rationalen Antibiotikatherapie<br />

• Stellen von Kurzinfusionen mit zugehörigem<br />

Lösungsmittel und Laufzeit-Empfehlung<br />

Das Projektteam der Asklepios Harzklinik Goslar<br />

Foto: Asklepios Harzkliniken GmbH<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement 37


Paentensicherheit<br />

Der Demenzkoordinator<br />

im Akutkrankenhaus<br />

Wie kann die Versorgung von Menschen mit Demenz im klinischen Alltag verbessert<br />

werden? – Bericht über ein Modellprojekt<br />

Das Klinikum Gütersloh ist ein Krankenhaus der Schwerpunktversorgung und<br />

verfügt über 474 Betten in 14 Fachkliniken und einer Belegabteilung. Rund 1.000<br />

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter versorgen jährlich etwa 19.000 stationäre und<br />

34.000 ambulante Patienten.<br />

Im Jahr 2014 als Onkologisches Zentrum zertifiziert, setzt das Klinikum Gütersloh<br />

einen Schwerpunkt in der Behandlung von Krebspatienten. Darüber hinaus verfügt<br />

das Krankenhaus über ein zertifiziertes Gefäßzentrum sowie eine leistungsstarke<br />

Kardiologie mit eigenem Herzkatheterlabor und angegliederter Einheit für elektrophysiologische<br />

Eingriffe. Mit diesen Möglichkeiten bildet das Klinikum Gütersloh<br />

ein Kompetenzzentrum für Herz- und Gefäßerkrankungen.<br />

Maud Beste<br />

Geschäftsführerin<br />

des Klinikums Gütersloh<br />

Verena Beckmann<br />

Presse- und<br />

Öffentlichkeitsarbeit,<br />

Klinikum Gütersloh<br />

Die Versorgung von Menschen mit Demenz ist<br />

im Akutkrankenhaus eine besondere Herausforderung.<br />

Das Klinikum Gütersloh und das<br />

LWL-Klinikum Gütersloh beschreiten mittels<br />

einer Kooperation neue Wege, um den Bedürfnissen<br />

dieser Patienten besser gerecht werden<br />

zu können. Innerhalb eines Modellprojektes<br />

beschäftigen sie einen Demenzkoordinator,<br />

der einerseits im direkten Patientenkontakt<br />

tätig ist und anderseits die Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeiter im Umgang mit Betroffenen<br />

schult. Dieses praxisnahe Projekt zeigt neue<br />

Ideen in der Versorgungsstruktur, die nur interdisziplinär<br />

beschritten werden können. Die<br />

Bürgerstiftung Gütersloh finanziert das Projekt<br />

über drei Jahre hinweg mit einem Betrag<br />

von 90.000 Euro.<br />

Die Zahl der Patienten mit demenziellen Veränderungen<br />

in Akutkrankenhäusern wächst<br />

stetig, ihre Demenz ist in der Wahrnehmung der<br />

somatisch geprägten Mitarbeiter oft jedoch nur<br />

eine Randerscheinung, die ggf. den reibungslosen<br />

Ablauf behindert.<br />

Benjamin Volmar (31) ist nah dran an diesen<br />

Patienten, die der besonderen Fürsorge bedürfen<br />

und rückt sie in den Fokus. Als ausgebildeter<br />

Fachkrankenpfleger der Altersmedizin und nach<br />

dem Studium der Psychiatrischen Pflege hat er<br />

zum 01.04.<strong>2015</strong> die Stelle eines Demenzkoordinators<br />

im Klinikum Gütersloh übernommen.<br />

Ziel dieser Stelle ist die Optimierung der Versorgung<br />

von Patienten mit Demenz während<br />

der stationären Behandlung. Denn besonders<br />

für sie kann ein Krankenhausaufenthalt verwirrend<br />

sein: Fremde Zimmer, Flure und Menschen<br />

führen oft zu einer Verschlechterung der Symptome.<br />

Häufig brauchen sie länger, wenn sie<br />

sich zum Beispiel von einem Beinbruch erholen<br />

müssen und die Demenz-Erkrankung gar nicht<br />

im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht. Ärzte<br />

und Pflegekräfte können dieser Herausforderung<br />

in einem Akutkrankenhaus derzeit kaum<br />

gerecht werden.<br />

Täglich besucht Benjamin Volmar die Stationen<br />

im Klinikum. Er erkundigt sich bei den Pflegenden<br />

nach Patienten, deren Verhalten auf<br />

eine Demenz oder einen Verwirrtheitszustand<br />

schließen lassen. Als speziell ausgebildete<br />

Fachkraft macht er sich dann ein eigenes Bild,<br />

stellt gezielt Fragen, führt bei Bedarf leitliniengetreue<br />

Tests durch und spricht ggf. Empfehlungen<br />

für die weitere Versorgung aus.<br />

»Benjamin Volmar ist mit seinem spezifischen<br />

Fachwissen eine große Unterstützung für das<br />

Klinikum«, sagt Pflegedirektor Jens Alberti.<br />

»Das neue Projekt hat Vorbild-Charakter für<br />

andere Krankenhäuser.« Patienten mit einer<br />

Demenz oder einer Tendenz zu einem sogenannten<br />

Delir können frühzeitig erkannt und<br />

ihren Bedürfnissen entsprechend gezielt behandelt<br />

werden.<br />

Schulungen für Ärzte<br />

und Pflegekräfte<br />

Als Demenzkoordinator bietet Benjamin Volmar<br />

berufsgruppenübergreifende Fortbildungen im<br />

38<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement


Paentensicherheit<br />

Demenzkoordinator<br />

Benjamin Volmar<br />

Welche Patienten könnten unter einer Demenz leiden?<br />

Der Demenzkoordinator erkundigt sich auf Station.<br />

Klinikum Gütersloh an, die auf dem Konzept<br />

»Lern von Mir!« der Fachhochschule der Diakonie<br />

aufbauen. Dies ist ein personenzentrierter<br />

Ansatz, der bei den Mitarbeitern des Klinikums<br />

ein Verständnis für die Demenzerkrankung erzeugt<br />

und sie im Umgang mit den Betroffenen<br />

bezüglich ihrer Bedürfnisse sensibilisiert. Dabei<br />

wird der Schwerpunkt auf die Persönlichkeit<br />

des Menschen mit Demenz gelegt. Durch<br />

die ganzheitliche Wahrnehmung werden die<br />

Äußerungen und Bedürfnisse des Patienten<br />

dezidiert betrachtet und in einen persönlichen<br />

Kontext gebracht. Die Themen sind sehr weit<br />

gefächert und reichen von der Delirprävention<br />

und -früherkennung bis hin zu Versorgungsfragen<br />

rund um die Demenzerkrankung. So werden<br />

die besonderen Bedürfnisse der Menschen mit<br />

Demenz besser wahrgenommen und können in<br />

die Behandlung einfließen.<br />

»Demenz ist ein Thema, das uns als Stiftung aktuell<br />

sehr bewegt und unsere Gesellschaft vor<br />

große Herausforderungen stellt«, sagt Brigitte<br />

Büscher, Sprecherin der Bürgerstiftung. »Wir<br />

fördern dieses Projekt mit 90.000 Euro, verteilt<br />

über drei Jahre, weil mit der Kompetenz von<br />

Benjamin Volmar der Umgang mit dem Thema<br />

weiter professionalisiert wird.« Der Demenzkoordinator<br />

hat als Mitarbeiter der gerontopsychiatrischen<br />

Ambulanz des LWL-Klinikums Gütersloh<br />

seinen festen Arbeitsplatz am Klinikum<br />

Gütersloh. Aktuell sind dort die Stationen 3 und<br />

18 der Gefäßchirurgie und der Pneumologie sowie<br />

die Zentrale Notaufnahme als Pilotbereiche<br />

vorgesehen.<br />

Den Blick auf den<br />

einzelnen Menschen richten<br />

Wichtig ist es laut Volmar, dass diese Patienten<br />

während des Klinikaufenthaltes von den immer<br />

gleichen Mitarbeitern betreut würden, die sie<br />

gut kennen.<br />

Benjamin Volmar sensibilisiert auch in den Gesprächen mit Pflegenden<br />

für die besonderen Bedürfnisse der Patienten mit<br />

einer Demenz.<br />

Welche Patienten könnten unter einer Demenz leiden?<br />

Der Demenzkoordinator erkundigt sich auf Station.<br />

Fotos: Klinikum Gütersloh<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement 39


Paentensicherheit<br />

Ehrenamtliche Patientenbegleiter<br />

kümmern sich ebenfalls<br />

gezielt um Menschen mit<br />

Demenz und schenken ihnen<br />

auf den Stationen Zeit und<br />

Aufmerksamkeit.<br />

Foto: Klinikum Gütersloh<br />

Viele Menschen mit Demenz verfügen über eigene<br />

Verhaltensmuster, die ohne Kenntnis der<br />

Person und ihrer Biografie nicht gedeutet werden<br />

können. Diese individuellen Persönlichkeitsmerkmale<br />

müssen im Akutkrankenhaus<br />

erfasst und in die Versorgungsplanung einbezogen<br />

werden.<br />

Für alle Patienten mit Demenz werden individuelle<br />

Interventionen geplant und angewendet.<br />

Dabei spielen nichtmedikamentöse Behandlungsstrategien,<br />

insbesondere im kommunikativen<br />

Bereich, eine entscheidende Rolle. So<br />

können validierende oder realitätsorientierende<br />

Ansätze unterschiedliche Ergebnisse im<br />

Patientenkontakt erzeugen und sollen bewusst<br />

von den versorgenden Ärzten und Pflegekräften<br />

eingesetzt werden. Während der validierende<br />

Ansatz verstehend und empathisch ist, setzt<br />

der realitätsorientierende Ansatz auf Faktenwissen<br />

und wird von Menschen mit Demenz<br />

häufig als konfrontativ wahrgenommen. Diese<br />

Kenntnisse werden in den Fortbildungen, sowie<br />

niederschwellig im klinischen Alltag durch den<br />

Demenzkoordinator, vermittelt. Verschiedene<br />

Interventionsstrategien zeigt Benjamin Volmar<br />

in seinem Fortbildungsangebot den Mitarbeitern<br />

alltags- und praxisnah am Patientenbett.<br />

Darüber hinaus gibt Volmar Tipps für die Gestaltung<br />

der Patientenzimmer und Flure, entwickelt<br />

Ideen für Prozessveränderungen oder<br />

spezifische Betreuungsangebote. Im Einzelfall<br />

berät der Demenzkoordinator auch Angehörige.<br />

Angehörige geben<br />

wichtige Informationen<br />

Die Angehörigen spielen in der umfassenden<br />

Versorgung eines Demenzpatienten eine wesentliche<br />

Rolle. Sie können wichtige Auskünfte<br />

über die Biografie und die Persönlichkeit<br />

des Menschen mit Demenz geben und dadurch<br />

kommunikative Zugangsmöglichkeiten<br />

schaffen. Zudem können sie als vertraute<br />

Person beruhigend auf den Menschen mit Demenz<br />

einwirken. Das Augenmerk liegt auf der<br />

Kenntnis der alltäglichen Verhaltensweisen<br />

der Patienten. Ein Mensch mit Demenz wird<br />

sich beispielsweise anders verhalten, wenn er<br />

Schmerzen hat. Auch, wenn er dies nicht gezielt<br />

äußern kann. Hier können die Angehörigen<br />

wichtige Informanten für das Versorgungsteam<br />

sein und entsprechende Hinweise geben.<br />

Durch den Krankenhausaufenthalt ergeben<br />

sich für die Patienten und deren Angehörige<br />

im Anschluss häufig Versorgungsprobleme, die<br />

bewältigt werden müssen. Der Demenzkoordinator<br />

ist auch für die Zeit nach dem Krankenhausaufenthalt<br />

hinaus Ansprechpartner und<br />

kann Empfehlungen für die Weiterbehandlung<br />

aussprechen. Dabei deckt Benjamin Volmar eine<br />

Schnittstelle zwischen dem Klinikum Gütersloh<br />

und der Gerontopsychiatrischen Ambulanz der<br />

LWL-Klinik Gütersloh ab. Er ist in der Gerontopsychiatrischen<br />

Ambulanz unter der Leitung<br />

von Chefarzt Bernd Meißnest angestellt und<br />

vermittelt das Expertenwissen aus der Ambulanz<br />

in das Akutkrankenhaus. Diese Expertise<br />

kann auf vielerlei Arten genutzt werden.<br />

So kann er einerseits gerontopsychiatrische<br />

Konsile vermitteln, aber auch andere Dienstleistungen<br />

der LWL-Klinik, wie den Kontakt zur<br />

psychiatrischen Pflege, einbeziehen.<br />

»Wir bekommen sehr viele positive Rückmeldungen<br />

von unseren Mitarbeitern und auch<br />

von den Angehörigen«, berichtet Pflegedirektor<br />

Jens Alberti über die ersten Monate des neuen<br />

Projekts. Von der Aufnahme bis über die<br />

Entlassung hinaus werden die Besonderheiten<br />

von Menschen mit Demenz viel stärker berücksichtigt.<br />

»Der Demenz-Koordinator ist eine wertvolle<br />

Ergänzung zu den ehrenamtlichen Patientenbegleitern,<br />

die sich auch gezielt um Menschen<br />

mit Demenz kümmern und ihnen auf den Stationen<br />

Zeit und Aufmerksamkeit schenken«,<br />

sagt Brigitte Büscher, Sprecherin der Bürgerstiftung<br />

Gütersloh. Das Projekt unter der Leitung<br />

von Demenz-Coach Katja Plock wird von<br />

der Bürgerstiftung schon seit dem Jahr 2013<br />

unterstützt und läuft, getragen von vielen qualifizierten<br />

Ehrenamtlichen, mit großem Erfolg.<br />

Dieses Angebot wird jetzt durch den Demenz-<br />

Koordinator Benjamin Volmar auf professioneller<br />

Ebene ergänzt.<br />

»Viele Menschen mit<br />

Demenz verfügen über<br />

eigene Verhaltensmuster, die<br />

ohne Kenntnis der Person<br />

und ihrer Biografie nicht<br />

gedeutet werden können.<br />

Diese individuellen Persönlichkeitsmerkmale<br />

müssen<br />

im Akutkrankenhaus erfasst<br />

und in die Versorgungsplanung<br />

einbezogen werden«<br />

Benjamin Volmar,<br />

Demenzkoordinator<br />

40<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement


Das Anti-Delir-Konzept<br />

– ein Notdienst für Demenzkranke<br />

Krankenhäuser benötigen Strategien für betroffene Patienten<br />

Paentensicherheit<br />

Das im Jahr 1932 von der Ordensgemeinschaft der Schwestern von der<br />

heiligen Elisabeth gegründete Sankt Elisabeth Krankenhaus Eutin ist ein Fachkrankenhaus<br />

für Innere Medizin mit 86 Planbetten, davon 54 Betten in der Fachabteilung<br />

Geriatrie sowie 32 Betten in der Inneren Medizin, von denen 12 Betten der<br />

Palliativstation zugeordnet sind. Das Geriatriezentrum mit den Schwerpunkten<br />

Postakute Medizin chronisch kranker und multimorbider Patienten, Postoperative<br />

Behandlung und Ambulante Geriatrische Versorgung (AGV) erbringt sowohl akutstationäre<br />

als auch ambulante Behandlungen. Es werden Patienten aus anderen<br />

Kliniken weiterbehandelt und auch unmittelbar direkt aus dem häuslichen Bereich<br />

aufgenommen. Es besteht zudem ein Bereich der Ambulanten Geriatrischen Versorgung.<br />

Das Einzugsgebiet ist überregional, weil viele spezialisierte Leistungen, z.B. ein<br />

spezialisiertes Wundmanagement und eine breitgefächerte Diagnostik, angeboten<br />

werden.<br />

Der Schwerpunkt der Behandlungen liegt überwiegend im therapeutischen Bereich.<br />

Das Krankenhaus ist eng mit ambulanten Pflegediensten und Altenpflegeeinrichtungen,<br />

konsiliarärztlichen Begleitungen aus der Universitätsklinik Lübeck sowie<br />

der Vital-Kliniken – Klinik Buchenholm in Bad Malente vernetzt, so dass auch eine<br />

einheitliche Behandlungsqualität der Patienten vor und nach dem stationären Aufenthalt<br />

gesichert ist.<br />

Das Krankenhaus gehört zum Vinzenz-Verbund und ist Teil des Landesverbandes<br />

Geriatrie.<br />

Kerstin Ganskopf<br />

Geschäftsführerin des Sankt<br />

Elisabeth Krankenhauses<br />

Eutin, Vorsitzende der<br />

Landesgruppe Schleswig-<br />

Holstein des Verbandes<br />

der Krankenhausdirektoren<br />

Deutschlands (<strong>VKD</strong>)<br />

Einen bundesweit einmaligen Notdienst für<br />

Demenzkranke hat das Sankt Elisabeth Krankenhaus<br />

in Eutin eingerichtet. Das seit rund<br />

anderthalb Jahren funktionierende Anti-Delir-Konzept<br />

bewahrt die betroffenen Patienten<br />

vor den oft schweren Folgen eines Delirs,<br />

der damit verbundenen Verschlechterung<br />

ihres Zustands und verhindert häufig sogar<br />

dessen Entstehung. Es dient damit der Sicherheit<br />

der Patienten und auch dem Erfolg der<br />

Behandlung insgesamt. Das Krankenhaus ist<br />

auf die Behandlung von Menschen mit Demenz<br />

spezialisiert. Das Konzept kann aber<br />

auch für andere Akutkrankenhäuser Anregung<br />

für den Umgang mit der überall zunehmenden<br />

Zahl dementer Patienten und ihrer<br />

Angehörigen sein.<br />

Das Sankt Elisabeth Krankenhaus in Eutin verfügt<br />

bereits seit 2012 über eine Schwerpunktstation<br />

mit 12 Plätzen für Patienten mit kognitiven<br />

Einschränkungen. In der Regel sind sie<br />

hier sehr gut zu versorgen. Wenn allerdings<br />

bei einem der Patienten ein Delir hinzukommt,<br />

ändert sich das. Die Betroffenen sind dann extrem<br />

unruhig, zeigen Hinlauftendenzen, sind<br />

zum Teil aggressiv. Der Betreuungsbedarf steigt<br />

deutlich an.<br />

Im Fall eines Delirs ist in vielen Krankenhäusern<br />

dieser deutlich erhöhte Betreuungsaufwand<br />

nicht zu leisten. Daher müssen die betroffenen<br />

Patienten zu ihrer Beruhigung und<br />

zu ihrem eigenen Schutz sowie zum Schutz der<br />

anderen Patienten häufig sediert, eventuell<br />

auch fixiert werden. Durch diese Maßnahmen<br />

verschlechtert sich aber oft der Zustand der<br />

Betroffenen – eine fatale Situation, denn sie<br />

sind ja im Krankenhaus, weil sie hier Hilfe und<br />

Heilung erhoffen.<br />

Das Konzept<br />

Insbesondere durch Patienten mit einer akuten<br />

Verwirrtheit (Delir) werden die gewohnten<br />

Abläufe im Krankenhaus zum Teil stark beeinträchtigt.<br />

Auch auf einer Schwerpunktstation<br />

für Menschen mit Demenz sind dann zusätzliche<br />

Strategien und Optionen notwendig, den<br />

»Die Zahl der Patienten mit<br />

Demenz nimmt zu und sie<br />

haben Anspruch auf eine optimale<br />

Behandlung wie alle<br />

anderen Patienten auch. Es<br />

ist daher erforderlich, sich<br />

darauf einzustellen und entsprechendes<br />

Wissen und die<br />

notwendigen Fähigkeiten zu<br />

erwerben und zu erweitern.«<br />

Kerstin Ganskopf<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement 41


Paentensicherheit<br />

besonderen Bedarf abzufangen. Das seit April<br />

2014 praktizierte Anti-Delir-Konzept des<br />

Sankt Elisabeth-Krankenhauses durchbricht<br />

die Spirale aus chemischer und mechanischer<br />

Fixierung. Es kann sogar dazu beitragen, solche<br />

Zustände zu verhindern. Dafür stellt das<br />

Krankenhaus, wenn nötig, eine Eins-zu-Eins-<br />

Betreuung sicher. Eine ausreichende personelle<br />

Substituierung des Geschehens muss auch<br />

nachts gewährleistet sein, möchte man nicht<br />

ausschließlich mit Fixierungen, Sedierungen<br />

oder der Weiterverlegung in die Psychiatrie reagieren.<br />

Entscheidend ist dabei aber auch das<br />

in der Geriatrie übliche und notwendige Zusammenspiel<br />

aller Berufsgruppen. In der Regel<br />

kann dann nach zwei bis drei Tagen der Patient<br />

wieder in den normalen Tagesrhythmus der<br />

Station übernommen werden.<br />

Das Konzept ist ein weiterer Baustein zur verbesserten<br />

Versorgung älterer, dementer Menschen<br />

– und dies nicht nur im Krankenhaus<br />

selbst, sondern in der Region. In einem akuten<br />

Verwirrtheitszustand werden von Angehörigen,<br />

Betreuern oder anderen Helfern schnell falsche<br />

Entscheidungen getroffen, die schwerwiegende<br />

Folgen für die Betroffenen haben können.<br />

Deshalb bietet das Krankenhaus im Rahmen<br />

des Anti-Delir-Konzeptes nicht nur für seine<br />

Patienten mit Demenz und Delir die Möglichkeit,<br />

die Folgen zu mildern. Auch niedergelassene<br />

Ärzte und andere Kliniken haben die Möglichkeit,<br />

Patienten schnell ins Sankt Elisabeth<br />

Krankenhaus einzuweisen, wenn es auf der eigenen<br />

Station oder zu Hause „nicht mehr geht“.<br />

Die Arbeitsweise wurde auch dem Rettungsdienst,<br />

der Polizei und dem Sozialpsychologischen<br />

Dienst vorgestellt und das Vorgehen auf<br />

der Arbeitsebene konzertiert.<br />

Umfangreiches Beratungsangebot<br />

Im Sankt Elisabeth Krankenhaus wurde außerdem<br />

ein umfangreiches Beratungs- und Veranstaltungsangebot<br />

in Sachen Demenz etabliert.<br />

Es steht auch Menschen offen, deren demente<br />

Angehörige keine Patienten des Krankenhauses<br />

sind. Dies trägt zur engen Anbindung an die Region<br />

bei und wird gut in Anspruch genommen.<br />

Etwa vierteljährlich finden über das Eutiner<br />

Demenz Forum – anerkannt im Bundesmodellprogramm<br />

der lokalen Allianzen für Menschen<br />

mit Demenz - Veranstaltungen mit wechselnden<br />

Referenten statt, die sich im Wesentlichen<br />

an Angehörige richten. Die Beratung kann, je<br />

nach Struktur, von den Sozialdiensten bzw. dem<br />

Entlassungsmanagement nach entsprechender<br />

Schulung mit übernommen werden. Hausöffnende,<br />

kooperationsstärkende Felder können<br />

hierüber ebenfalls generiert werden. Die Beteiligung<br />

an und Förderung von regionalen und<br />

überregionalen Projekten mit Know-how stärkt<br />

den fachübergreifenden und multidisziplinären<br />

Austausch auch ins Krankenhaus hinein.<br />

Die ambulante Erweiterung des Themas Demenz,<br />

ausgehend von der Schwerpunktstation<br />

für Menschen mit Demenz und zugehöriger<br />

Anti-Delir-Bereitschaft sowie dem Eutiner Demenz<br />

Forum bietet umfassende Möglichkeiten<br />

für die Menschen der Region in Sachen Demenz.<br />

Zum Anti-Delir-Konzept gehören u.a.:<br />

• eine möglichst Eins-zu-Eins-Betreuung<br />

betroffener Patienten<br />

• ein gut ausgebildetes, multidisziplinäres<br />

Geriatrieteam<br />

• räumliche Voraussetzungen<br />

• eine Anti-Delir-Bereitschaft<br />

• speziell geschulte Mitarbeiter<br />

• Einbeziehung der Angehörigen<br />

• Einbeziehung von Sozialdiensten, Rettungsdiensten<br />

und Feuerwehr<br />

Unsere Erfahrung aus rund anderthalb Jahren<br />

Arbeit mit dem Konzept: Keine bzw. deutlich<br />

weniger Sedierungen und Fixierungen, mehr<br />

Ruhe in den Stationsabläufen, kürzere Verweildauern<br />

bei den dementen Patienten.<br />

Geriatrische Medizin heißt fächerübergreifende<br />

Patienten-Fürsorge<br />

Die Geriatrie beschäftigt sich sowohl mit der Inneren Medizin, als auch der Orthopädie,<br />

Neurologie und Psychiatrie. Gerade bei alten Menschen treten oft mehrere<br />

Krankheiten zugleich auf, die vielfältig miteinander verflochten sind – sie sind<br />

multimorbid. Aus diesem Grund ist gerade hier die fächerübergreifende Zusammenarbeit<br />

ein Muss.<br />

42<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement


Paentensicherheit<br />

Das Sankt Elisabeth<br />

Krankenhaus<br />

Stationsbbad<br />

im Sankt Elisabeth<br />

Krankenhaus<br />

Fotos: Sankt Elisabeth<br />

Krankenhaus<br />

Demente Patienten<br />

im Versorgungsalltag<br />

Patienten mit Demenz reagieren besonders<br />

sensibel und problematisch auf die Behandlungsschieflage,<br />

welche unter anderem durch<br />

die Einführung der DRGs verschärft wurde. Sie<br />

können sich ohnehin kaum den Abläufen des<br />

Krankenhauses anpassen, haben Probleme mit<br />

den vielen und fremden Personen, können sich<br />

schlecht orientieren und treffen auf eine für sie<br />

chaotisch wirkende Geräuschkulisse.<br />

Das oft ungewöhnliche Verhalten der Patienten<br />

und die stark eingeschränkten Möglichkeiten,<br />

sich dem stationären Setting anzupassen,<br />

mitunter völlig fehlende Einsicht in die Notwendigkeit<br />

einer Behandlung, führen zu starken<br />

Mehrbelastungen im Versorgungsalltag.<br />

Auch Gefahren und nicht zuletzt mangelhafte<br />

Behandlungsergebnisse mit teilweise schweren<br />

und negativen Folgen für die Patienten sind die<br />

Konsequenzen.<br />

Aber nicht nur die Patienten sind im Krankenhaus<br />

häufig mit einer für sie unangenehmen,<br />

schwierigen Situation konfrontiert. Auch die<br />

oftmals intensiv mit der Betreuung und Pflege<br />

befassten Angehörigen zeigen sich schnell unzufrieden,<br />

wenn sie auf die Inkompatibilitäten des<br />

»Systems Krankenhaus« mit den Bedürfnissen<br />

ihrer verwirrten Angehörigen stoßen. Die entsprechenden<br />

Beschwerden können den Ruf der<br />

Einrichtung denn auch nachhaltig schädigen.<br />

Herausforderungen und Chance<br />

National sowie international richten sich Krankenhäuser<br />

vereinzelt bereits mit Schwerpunktstationen<br />

auf diese besondere Patientengruppe<br />

ein. Dabei lässt sich bislang kein einheitlicher<br />

Standard, keine einheitliche Vorgehensweise<br />

feststellen. Die Behandlung dementer Patienten<br />

erfordert ein erhebliches Maß an Flexibilität,<br />

Zeit und auch strukturelle Veränderungen,<br />

die nicht überall geleistet werden können.<br />

Möglicher Weise kann und braucht aber auch<br />

nicht jedes Krankenhaus eine Schwerpunktstation<br />

für diese besondere Patientenklientel.<br />

Dennoch bleibt die Tatsache: Die Zahl der Patienten<br />

mit Demenz nimmt zu und sie haben Anspruch<br />

auf eine optimale Behandlung wie alle<br />

anderen Patienten auch. Es ist daher erforderlich,<br />

sich darauf einzustellen und entsprechendes<br />

Wissen und die notwendigen Fähigkeiten zu<br />

erwerben und zu erweitern.<br />

Dies beginnt nicht etwa mit und auf einer eigenen<br />

Station, sondern muss sich bereits im Aufnahmemanagement<br />

widerspiegeln. Fortbildungen<br />

für die Krankenhausmitarbeiter sind dabei<br />

sicher ein Grundbaustein, werden mittelfristig<br />

aber nicht ausreichen. Weitere Veränderungen<br />

sind notwendig.<br />

Grundsätzlich ist zu konstatieren, dass das benötigte<br />

Wissen zum Thema Demenz und Krankenhaus<br />

vielfach vorhanden ist. Die Umsetzung<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement 43


Paentensicherheit<br />

gestaltet sich jedoch oft - auch aufgrund der<br />

mangelnden finanziellen Unterstützung -<br />

schwierig. Kleine, durchaus wirkungsvolle Verbesserungen<br />

können aber bereits ohne teure<br />

Umbauten verwirklicht werden. Dazu gehört an<br />

erster Stelle die Fortbildung und Schulung von<br />

Mitarbeitern zum Umgang mit dementen Menschen<br />

und deren besonderen Bedürfnissen. Dies<br />

kann auch der wesentliche Faktor sein, der zu<br />

einem Mehr an Mitarbeiterzufriedenheit führt.<br />

Auch die sachliche Ausstattung spielt natürlich<br />

eine Rolle – z.B. die Möglichkeit, Patienten mit<br />

Demenz im Krankenhaus zu beschäftigen und<br />

Beschäftigung zuzulassen.<br />

Ein Krankenhaus, das die Thematik offensiv<br />

anpackt, kann sich nicht nur marktstrategisch<br />

mit einem möglichen Alleinstellungsmerkmal<br />

in einer Region positionieren. Auch in Zeiten<br />

knapper personeller Ressourcen können positive<br />

Effekte für die Personalpflege dabei herauskommen.<br />

Informierte und gut geschulte<br />

Mitarbeiter sind handlungsfähiger und sicherer<br />

im Umgang mit den betreffenden Patienten.<br />

Angepasste Rahmenbedingungen und das Bewusstsein,<br />

mit solchen Situationen professionell<br />

umgehen zu können, steigern die Zufriedenheit<br />

und stärken den Ruf bei Angehörigen<br />

und Zuweisern. Nicht zuletzt wird das Behandlungsergebnis<br />

verbessert, denn Patienten mit<br />

Demenz können nur eingeschränkt und im Falle<br />

eines Delirs zunächst überhaupt nicht bei diagnostischen<br />

und therapeutischen Maßnahmen<br />

mitwirken.<br />

Die Patientenklientel ist da. Im Krankenhaus<br />

muss daher die Entscheidung getroffen werden,<br />

wie gezielt diese Gruppe angesprochen werden<br />

sollte. Will man erreichen, dass Patienten<br />

aufgrund der Demenzfreundlichkeit des Krankenhauses<br />

gezielt zugewiesen werden? Grundsätzlich<br />

gilt jedoch, ob mit oder ohne gezielte<br />

Ansprache wird die Zahl der Patienten, die<br />

als Nebendiagnose eine Demenz haben, in den<br />

kommenden Jahren weiter zunehmen. Das bestätigt<br />

auch die eigene Erfahrung. Aspekte von<br />

Fortbildung und Ausstattungen sind daher für<br />

alle Krankenhäuser interessant. Sie unterscheiden<br />

sich letztlich eher in Umfang und Aufwand<br />

als in der Notwendigkeit.<br />

Thema Sicherheit<br />

gesondert betrachten<br />

Bevor jedoch komplexe und möglicherweise<br />

langwierige grundsätzliche Veränderungsprozesse<br />

initiiert werden, sollte der Bedarf hausintern<br />

und auch innerhalb der Region analysiert<br />

werden. Strukturdaten zur Verteilung und<br />

Häufigkeit von Demenzerkrankungen in einer<br />

Region können zumindest abgeschätzt werden,<br />

um den mittelfristigen Bedarf an Spezialisierung<br />

einplanen zu können.<br />

Das Thema Sicherheit muss dabei mit und ohne<br />

Schwerpunktstation gesondert betrachtet<br />

werden. Patienten mit Demenz haben häufig<br />

größte Orientierungsschwierigkeiten und –einschränkungen.<br />

Es kann daher dazu kommen,<br />

dass sie absichtlich oder unabsichtlich die<br />

Station oder gar die Klinik verlassen und umherirren<br />

oder gezielt versuchen, nach Hause zu<br />

laufen. Diesem Fall kann durch Technikeinsatz<br />

einerseits vorgebeugt werden, andererseits ist<br />

im Gesamtbetrieb eine erhöhte Sensibilität und<br />

Kommunikationsleistung gefragt, um zu verhindern,<br />

dass Patienten mit Demenz zu Schaden<br />

kommen.<br />

Schon vor der Einführung der DRGs ist es im<br />

Klinikbetrieb nicht leicht gewesen, den besonderen<br />

Ansprüchen dementer Patienten gerecht<br />

zu werden. Insbesondere die Straffung von Arbeitsabläufen<br />

seit Einführung der Fallpauschalen<br />

steht einer bedarfsgerechten Versorgung<br />

von Patienten mit Demenz entgegen und bildet<br />

den gebotenen Aufwand nicht ab.<br />

Ansätze zur Verbesserung der Situation von<br />

Patienten mit Demenz im Krankenhaus, der<br />

Verbesserung der Behandlungsergebnisse und<br />

auch der Mitarbeiterzufriedenheit liegen vor<br />

allem in<br />

• der räumlichen Gestaltung<br />

• der materiellen Ausstattung<br />

• der Mitarbeiterschulung<br />

• der Strukturierung von Abläufen und möglicher<br />

Wahrung von Versorgungskontinuität<br />

• der Überprüfung der Sicherheitsaspekte<br />

• der gezielten Angehörigenarbeit und Angehörigeneinbindung<br />

Vernetzung aller<br />

beteiligten Bereiche<br />

Die Zusammenarbeit mit sozialpsychiatrischen<br />

Diensten, Amtsärzten, Alzheimergesellschaften<br />

und Beratungsstellen sowie niedrigschwelligen<br />

Betreuungsangeboten, Tages- und Dauerpflegeeinrichtungen<br />

sind persistent. In die Zukunft<br />

gerichtet kann vom Krankenhaus für eine Region<br />

jedoch ein weiteres, speziell Menschen mit<br />

Demenz und ihre Familien unterstützendes Angebot<br />

ausgehen.<br />

Dies könnte in seiner Struktur insbesondere die<br />

Arbeit niedergelassener Haus- und Fachärzte<br />

unterstützen, in dem das demenzfreundliche<br />

Krankenhaus als spezialisierter Ansprechpartner<br />

auftritt. Dabei kann es nicht darum gehen,<br />

44<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement


Paentensicherheit<br />

pflegerische Maßnahmen vor Ort durchzuführen<br />

oder hausärztliche Leistungen zu ersetzen.<br />

Vielmehr könnte ein ergänzendes Angebot für<br />

den ambulanten Bereich die Intervention beinhalten,<br />

die verhaltensbedingte Aufnahmen ins<br />

Krankenhaus vermeiden hilft.<br />

Wenn für die häufig hochbelasteten pflegenden<br />

Angehörigen die Situation nicht mehr haltbar<br />

ist, könnte ein informierter Bereitschaftsarzt<br />

entsprechend einen »Verhaltensdienst«<br />

zur kurzfristigen Unterstützung anfordern, der<br />

die akute Belastungssituation entschärft und<br />

gemeinsam mit den Angehörigen eine passende<br />

Lösung sucht.<br />

Eine besondere Stärke eines solchen Point-of-<br />

Care-Systems müsste die hohe Reaktionsgeschwindigkeit,<br />

eben abweichend von anderen<br />

Beratungsangeboten, sein.<br />

Der Aufbau eines Dienstes, ähnlich der Spezialisierten<br />

Ambulanten Palliativversorgung,<br />

scheint möglich und sinnvoll.<br />

Fazit<br />

Sowohl präventive als auch kurative Behandlungen<br />

haben bisher keine entscheidende Aussicht<br />

auf Erfolg im Sinne der Therapie einer<br />

(primär-degenerativen) Demenz als solcher<br />

gebracht. Demenzerkrankungen bleiben hinsichtlich<br />

von Krankenhausbehandlungen in<br />

erster Linie ein Versorgungsproblem – die meisten<br />

Patienten kommen nicht zur Behandlung<br />

ihrer Demenz in eine Klinik. Vielmehr sind andere<br />

somatische Erkrankungen oder Traumata<br />

Ursache der stationären Aufnahme.<br />

Der demographische Wandel bringt es mit sich,<br />

dass immer mehr Menschen, die einer Krankenhausbehandlung<br />

bedürfen, alt oder sogar<br />

hochaltrig sind. Der Anteil der über 75jährigen<br />

behandelten Patienten lag im Jahr 2000 noch<br />

bei 18 Prozent. 2012 waren es bereits 25 Prozent<br />

(Krankenhausstatistik des Bundes). Bis 2030<br />

wird etwa jede fünfte Krankenhausbehandlung<br />

in Deutschland auf über 80jährige entfallen,<br />

so die Schätzungen. In absoluten Zahlen stieg<br />

der Anteil von über 64jährigen Patienten im<br />

Krankenhaus zwischen 2000 und 2010 um eine<br />

Million Fälle. Da Demenzerkrankungen altersassoziiert<br />

sind, steigt auch die Zahl der Patienten<br />

mit Demenz im Krankenhaus. Während die<br />

Kodierwirklichkeit lediglich in 0,2 Prozent der<br />

Fälle Patienten mit Demenz ausweist (Kirchen-<br />

Peters 2010), lassen nationale und internationale<br />

Studien von ca. 10 Prozent aller Krankenhausfälle<br />

mit einer Demenz ausgehen. Jedes<br />

Krankenhaus sollte sich darauf vorbereiten.<br />

Mehr als 100 Gäste konnten am 25. März dieses Jahres zur Eröffnung der neuen Tagesklinik<br />

begrüßt werden. Unter ihnen war auch Kristin Alheit, Gesundheitsministerin in Schleswig-Holstein, die<br />

erklärte, die Tagesklinik Eutin stehe beispielhaft für die Umsetzung des Geriatriekonzeptes des Landes.<br />

Foto: Sankt Elisabeth Krankenhaus<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement 45


4<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement


Entlassmanagement<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement 47


48<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement


Entlassmanagement erfordert<br />

Kooperation auf allen Seiten<br />

Die meisten Krankenhäuser arbeiten bereits nach festen Standards –<br />

Lücken gibt es an den Schnittstellen<br />

Entlassmanagement<br />

Schon das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (2007) ergänzte den Paragrafen<br />

11, Abs. 4 des SGB V dahingehend, dass Versicherte einen Anspruch auf Versorgungsmanagement<br />

beim Übergang in verschiedene Leistungsbereiche haben. Das<br />

GKV-Versorgungsstrukturgesetz (2012) nahm eine Ergänzung zum Paragrafen 39<br />

Abs. 1 SGB V vor und legte fest, dass die Krankenhausbehandlung auch ein Entlassmanagement<br />

zur Lösung von Problemen beim Übergang in die Versorgung nach<br />

dem Klinikaufenthalt beinhaltet. Damit wurde das Entlassmanagement zum Teil des<br />

Behandlungsvertrages zwischen Patient und Krankenhaus. Die Maßnahmen des Entlassmanagements<br />

im Einzelnen werden zwischen Landeskrankenhausgesellschaften<br />

und Krankenkassen auf Länderebene geregelt.<br />

In den deutschen Krankenhäusern ist ein<br />

Entlassmanagement für die Patienten gelebte<br />

tägliche Praxis und ein wichtiger Teil<br />

der Qualitätssicherung und des Qualitätsmanagements.<br />

Der Gesetzgeber hat die diesbezüglichen<br />

Regelungen in 2007 und in 2012<br />

präzisiert. Entlassmanagement ist als Teil der<br />

stationären Behandlung zu verstehen und der<br />

Übergang in die Versorgung danach zu organisieren.<br />

Die Krankenhäuser haben sich darauf<br />

grundsätzlich eingestellt und vielfach<br />

auch qualifizierte personelle Aufstockungen<br />

vorgenommen. Dennoch ist es nicht immer<br />

einfach, die gesetzlichen Regelungen umzusetzen.<br />

Der Fachausschuss für Betriebswirtschaft<br />

des <strong>VKD</strong> (FABW) hat sich mit diesem<br />

Thema mehrfach beschäftigt.<br />

Ein strukturiertes, professionelles Entlassmanagement<br />

ist Teil der stationären Krankenhausbehandlung.<br />

So hat es der Gesetzgeber festgelegt.<br />

Wenn diese Pflicht auch bisher nur sehr<br />

einseitig für den stationären Sektor präzisiert<br />

ist, so ist sie dennoch auch in den Augen des<br />

Krankenhausmanagements sehr sinnvoll. Eine<br />

strukturierte Entlassung nützt den Patienten,<br />

denn sie sorgt dafür, dass eine notwendige<br />

Weiterbehandlung gesichert wird und das Behandlungsergebnis<br />

nachhaltig ist. Sie ist darüber<br />

hinaus auch wirtschaftlich sinnvoll für<br />

das Krankenhaus, denn die Patienten müssen<br />

nicht unnötig lange dort bleiben. Wiedereinweisungen,<br />

die Patienten erneut belasten und<br />

dem Krankenhaus darüber hinaus auch nicht<br />

vergütet werden, so genannte Drehtüreffekte,<br />

werden vermieden.<br />

Auf gutem Weg<br />

Eine Bestandsaufnahme durch das Deutsche<br />

Krankenhausinstitut im Frühjahr 2013 zum<br />

Entlassmanagement im Auftrag der Deutschen<br />

Krankenhausgesellschaft (DKG) zeigte, dass die<br />

Krankenhäuser hier auf einem sehr guten Weg<br />

sind. Entlassmanagement – so stellen es die<br />

Autoren fest – ist in den Krankenhäusern gelebte<br />

Praxis. Gegenüber früheren Befragungen<br />

seien deutliche Verbesserungen der krankenhausinternen<br />

Organisation im Entlassmanagement<br />

festgestellt worden. Gleichzeitig wurden<br />

Probleme identifiziert, die auch durch den<br />

Fachausschuss für Betriebswirtschaft des <strong>VKD</strong><br />

in ähnlicher Weise bestätigt wurden.<br />

Das DKI hatte u.a. nach Standards und der Organisation<br />

des Entlassmanagements gefragt,<br />

nach Kooperationen mit Nachversorgern sowie<br />

nach Problemen an den Schnittstellen der Sektoren.<br />

An der Vollerhebung unter Allgemeinkrankenhäusern<br />

über 50 Betten hatten 673<br />

Häuser – also 43 Prozent – teilgenommen.<br />

Bereits drei von vier Krankenhäusern arbeiteten<br />

demnach seit zwei Jahren beim Entlassmanagement<br />

nach festen Standards, zwei Drittel<br />

verfügten über spezielle Organisationseinheiten/Stellen<br />

für das Entlassmanagement, 80<br />

Prozent beschäftigten speziell qualifizierte<br />

Fachkräfte dafür. Außerdem existierten regelmäßige<br />

Fallbesprechungen in multiprofessionellen<br />

Teams.<br />

Regelhaft oder zumindest häufig kooperiert<br />

wurde vor allem mit stationären Reha-Einrich-<br />

Horst Defren<br />

Geschäftsführer der<br />

Kliniken Essen-Mitte<br />

Evang. Huyssens-Stiftung/Knappschaft<br />

GmbH,<br />

Vorsitzender des Fachausschusses<br />

für Betriebswirtschaft<br />

(FABW) des<br />

Verbandes der Krankenhausdirektoren<br />

Deutschlands<br />

(<strong>VKD</strong>)<br />

»Angesichts der wachsenden<br />

Zahl älterer Patienten mit<br />

den typischen Beschwerden<br />

und Krankheitsbildern muss<br />

aus dem Entlassmanagement<br />

ein generelles Verlegungsmanagement<br />

- besser:<br />

Überleitungsmanagement<br />

- werden, das alle Sektoren<br />

gleichermaßen einbindet.«<br />

Horst Defren<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement 49


Entlassmanagement<br />

tungen sowie ambulanten und stationären<br />

Pflegeeinrichtungen, wenn es um Patienten<br />

mit besonderem poststationärem Pflege- und<br />

Versorgungsbedarf ging. In gut jedem zweiten<br />

Krankenhaus fand bei diesen Patienten auch<br />

eine Kooperation mit niedergelassenen Ärzten<br />

statt.<br />

An regionalen Initiativen, sofern existent, beteiligen<br />

sich fast 90 Prozent der dortigen Krankenhäuser.<br />

Nicht zu übersehen war und ist nach wie vor<br />

aber auch, dass es Probleme gibt. Während offenbar<br />

weniger Probleme in der Anschlussversorgung<br />

mit Heil- und Hilfsmitteln bestehen,<br />

berichteten viele Häuser in der Befragung über<br />

Schwierigkeiten, eine fachärztliche Weiterversorgung<br />

durch zu lange Wartezeiten auf einen<br />

Termin (34,6 Prozent immer oder häufig, 33,6<br />

Prozent manchmal) oder lange Anfahrtswege<br />

(22,5 Prozent stets oder häufig, 33,3 Prozent<br />

manchmal) zu organisieren. Als Problemfeld<br />

in der Zusammenarbeit mit niedergelassenen<br />

Ärzten wurde zudem gesehen, dass vielfach<br />

die notwendigen Unterlagen nicht zeitnah zur<br />

Verfügung standen. Häufig war die Kontaktaufnahme<br />

schwierig (48,1 Prozent).<br />

Mitglieder des Fachausschusses für Betriebswirtschaft<br />

haben sich mit dem Thema Entlassmanagement<br />

ebenfalls beschäftigt und ihre<br />

Erfahrungen aus den eigenen Krankenhausunternehmen<br />

eingebracht, die zum Teil sicher<br />

typisch für viele Krankenhäuser sind.<br />

Immer weniger Lotsen?<br />

So wurde u.a. konstatiert, dass gerade nachgeordnete<br />

Leistungserbringer der Notwendigkeit,<br />

Patienten auch kurzfristig in die nachfolgenden<br />

Sektoren des Gesundheitswesens (ambulant<br />

wie stationär) zügig aufzunehmen, häufig nicht<br />

in geeigneter Form entsprechen könnten. Die<br />

Folge seien Versorgungsprobleme bzw. unzufriedene<br />

Patienten und andere an dem Prozess<br />

Beteiligte. So hätten beispielsweise Arztpraxen<br />

zu gewissen Entlassungszeiten geschlossen<br />

(z.B. Mittwoch- bzw. Freitagnachmittag). Damit<br />

komme es im Hinblick auf die Verordnung weiterer<br />

Heil- und Hilfsmittel zu Verzögerungen.<br />

Würden Patienten z.B. freitags entlassen, könnten<br />

viele Patienten frühestens montags die<br />

Arztpraxen aufsuchen. Alternativ müssten die<br />

Betroffenen regional bedingte lange Fahrzeiten<br />

in Kauf nehmen. Hier hat der Gesetzgeber kürzlich<br />

mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz<br />

aber Verbesserungen eingeleitet und das Verordnungsrecht<br />

für Krankenhäuser im Rahmen<br />

des Entlassmanagements erweitert. So dürfen<br />

sie nun zur Sicherstellung einer durchgehenden<br />

Versorgung mit Arzneimitteln eine Packung mit<br />

dem kleinsten Packungsgrößenkennzeichen<br />

verordnen.<br />

Ein Eindruck des FABW war zudem, dass sich in<br />

Bezug auf strukturelle Gesichtspunkte immer<br />

mehr Leistungserbringer im hausärztlichen Bereich<br />

ihrer Gesamtverantwortung für den »Patienten<br />

und für den Prozess« entziehen. Man<br />

nehme den Hausarzt als »Lotsen« so gut wie<br />

gar nicht mehr wahr.<br />

Problem: Zum Teil lange Wartezeit<br />

auf Anschlussbehandlungen<br />

Im Rahmen der DKI-Umfrage ging es auch um<br />

die Verfügbarkeit von Anschlussbehandlungen<br />

nach einer Kostenzusage bzw. Pflegeeinstufung.<br />

In stationären und ambulanten Reha-<br />

Einrichtungen sowie vollstationären Pflegeeinrichtungen<br />

gab es damit zu rund 15 Prozent<br />

manchmal, zu 4,4 Prozent selten, zum Teil nie<br />

Schwierigkeiten. Die Unterbringung in einer<br />

Tagespflege war für 26,6 Prozent nur manchmal,<br />

für 13,1 Prozent der Befragten nur selten<br />

oder nie verfügbar. Plätze in stationären Hospizen<br />

standen zu 31,4 Prozent manchmal, für<br />

18,8 Prozent der Krankenhäuser selten oder<br />

nie zur Verfügung. In ein ambulantes Hospiz/<br />

SAPV konnten Patienten zu 16 Prozent nur<br />

manchmal, zu 11,5 Prozent nur selten oder nie<br />

entlassen werden. Insgesamt aber wurde dieser<br />

Bereich von den Befragten nicht als das größte<br />

Problem gesehen.<br />

Einige Mitglieder des FABW hatten hier andere<br />

Erfahrungen. So teilte ein Geschäftsführer<br />

mit, ein Grund, dass Patienten nicht entlassen<br />

werden könnten, seien immer wieder fehlende<br />

Pflegeheimplätze. Laut der Sozialarbeiterin<br />

seines Hauses lasse sich dieses Problem oft<br />

»nur über Umwege« lösen. Auch komme es immer<br />

öfter vor, dass ambulante Pflegedienste<br />

keine freien Kapazitäten hätten oder kein Pflegedienst<br />

im Ort des Patienten tätig sei.<br />

Aus einem anderen Krankenhaus wurde positiv<br />

berichtet, dass einige ambulante Pflegedienste<br />

in der Region von ihrem Management her<br />

in der Lage seien, Patienten auch kurzfristig<br />

zu übernehmen. Dies treffe aber nicht auf alle<br />

Anbieter im ambulanten Bereich zu. Es komme<br />

zu Absagen oder Verspätungen bis hin zu einer<br />

Verlängerung des Krankenhausaufenthalts. Im<br />

Bereich der stationären Altenhilfe entstünden<br />

Überleitungsprobleme gerade bei Neuaufnahmen<br />

aufgrund des hohen bürokratischen Aufwandes<br />

für die Alten- und Pflegeheime.<br />

Inzwischen gebe es auch immer öfter Schwierigkeiten,<br />

noch ambulante Dienste zu finden,<br />

die »kleinere« Behandlungspflege übernehmen.<br />

50<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement


Verzögerungen auch<br />

durch Krankenkassen<br />

Krankenkassen sollten laut Gesetz das Entlassmanagement<br />

unterstützen. Die Erfahrungen<br />

der Krankenhäuser zeigen nicht selten das Gegenteil<br />

– Verzögerungen. So galt bisher die Verordnung<br />

häuslicher Krankenpflege durch einen<br />

Krankenhausarzt nur für höchstens drei Tage.<br />

Danach benötigte der Patient eine Verordnung<br />

des Hausarztes. Manche Krankenkassen erkannten<br />

aber, wie die Pflegedienstleiterin eines<br />

Krankenhauses mitteilte, schon die Verordnung<br />

des Klinikarztes nicht an. Der Patient war daher<br />

gezwungen, noch am Tag seiner Entlassung<br />

den Hausarzt aufzusuchen. Wenn er Pech hatte,<br />

sei das ein Mittwoch, ein Freitag oder Feiertag<br />

und die Praxis geschlossen. Auch hier sieht das<br />

GKV-Versorgungsstärkungsgesetz Verbesserungen<br />

vor. Bei der Verordnung maßgeblicher<br />

ambulanter Leistungen sind die Krankenhäuser<br />

nun für einen Zeitraum von sieben Tagen den<br />

Vertragsärzten gleichgestellt.<br />

Viele Patienten würden erst in den Wochen<br />

nach ihrer Entlassung zu Hause vom MDK begutachtet,<br />

bräuchten aber die Hilfe eines Pflegedienstes<br />

sofort, so eine weitere Kritik. Das<br />

bedeute, der Patient müsse eine finanzielle<br />

Verpflichtung eingehen ohne zu wissen, ob er<br />

die Kosten von der Krankenkasse erstattet bekomme.<br />

Die Entlassung von Patienten in einer palliativen<br />

Situation verzögere sich zum Teil, weil der<br />

von den Krankenkassen anerkannte Träger für<br />

die SAPV keine freien Kapazitäten habe. Die<br />

stationäre Palliativbetreuung verzögere sich<br />

zum Teil sogar für längere Zeit, weil auch hier<br />

Kapazitäten fehlten.<br />

Über Wartezeiten für Kostenzusagen bzw.<br />

Pflegeinstufungen für eine Weiter- oder Anschlussbehandlung<br />

berichteten in der DKI-<br />

Befragung immerhin ebenfalls zwischen 54<br />

und 67 Prozent der Krankenhäuser. Rund die<br />

Hälfte der benötigten Zusagen war nach einer<br />

Woche verfügbar. Allerdings wartete doch die<br />

andere Hälfte bis zu zwei Wochen und länger.<br />

Angesichts der durchschnittlichen Verweildauer<br />

von 7,6 Tagen ist in diesen Fällen oft schon<br />

der Anschluss nicht mehr nahtlos möglich.<br />

Die Einstufung der Pflegeversicherung durch<br />

den Medizinischen Dienst der Krankenkassen<br />

erfolgte zu fast 40 Prozent nicht vor dem geplanten<br />

Entlassungstermin. Auch hierin besteht<br />

ein Grund für verzögerte Anschlussbehandlungen.<br />

Nur in 17,2 Prozent war das standardmäßig<br />

noch vor der Entlassung der Fall, in 17,5 Prozent<br />

immerhin häufig.<br />

Problematisch sind offenbar auch die unterschiedlichen<br />

Genehmigungsverfahren für<br />

Heil- und Hilfsmittel der Krankenkassen. Das<br />

jedenfalls war die Aussage von 65,3 Prozent der<br />

befragten Krankenhäuser. Fast alle Befragten<br />

wünschten sich hier ein einheitliches kassenübergreifendes<br />

Verfahren. Das ist bis heute ein<br />

unerfüllter Wunsch geblieben, wie die Informationen<br />

aus Krankenhäusern der FABW-Mitglieder<br />

deutlich machten.<br />

Verbesserungspotenzial sahen viele Teilnehmer<br />

der Befragung in einer Standardisierung<br />

des Entlassmanagements vor allem mit den<br />

niedergelassenen Ärzten und in einer weiteren<br />

Verbesserung des Informationsflusses zwischen<br />

Krankenhaus und Nachversorgern. Sorgen<br />

machte ihnen die Anschlussversorgung<br />

mit Medikamenten, die fehlende Finanzierung,<br />

wenn Medikamente mitgegeben wurden, sowie<br />

die Tatsache, dass die Krankenhausärzte keine<br />

Verordnungsmöglichkeiten hatten. Diese letzteren<br />

Sorgen sollte es künftig nicht mehr geben.<br />

Zeitraubend seien häufig die Überleitung bzw.<br />

Entlassung der Patienten in Reha-Einrichtungen<br />

(z.B. in eine Anschlussheilbehandlung, AHB)<br />

durch teilweise umständliche Antragsverfahren.<br />

Auch hier wurde der Wunsch nach einer Vereinheitlichung,<br />

einem vereinfachten Verfahren<br />

und einheitliche Formulare der Reha-Einrichtungen<br />

geäußert.<br />

Entlassmanagement<br />

»Die gesetzliche Pflicht,<br />

Entlassmanagement als Teil<br />

der Krankenhausbehandlung<br />

zu sehen, würde im Übrigen<br />

auch eine ausreichende Vergütung<br />

für diesen wichtigen<br />

Bereich mit seinen qualifizierten<br />

personellen Kräften<br />

erfordern. Daran fehlt es.«<br />

Horst Defren<br />

Das Verordnungsrecht für Krankenhäuser im Rahmen des Entlassmanagements<br />

wird mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz erweitert. Um eine durchgehende<br />

Versorgung der Patienten mit Arzneimitteln zu gewährleisten, dürfen Krankenhäuser<br />

nun eine Packung mit dem kleinsten Packungsgrößenkennzeichen verordnen.<br />

Bei der Verordnung maßgeblicher ambulanter Leistungen werden sie den Vertragsärzten<br />

für einen Zeitraum von jeweils sieben Tagen gleichgestellt. Sie unterliegen<br />

damit auch den gleichen leistungsrechtlichen Vorgaben und Wirtschaftlichkeitsbestimmungen.<br />

Die Einzelheiten zum Entlassmanagement (Voraussetzung, Art und<br />

Umfang), werden in einer dreiseitigen Vereinbarung gemäß § 115 SGB V festgelegt.<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement 51


Entlassmanagement<br />

Entlassmanagement beginnt<br />

mit der Aufnahme<br />

Um die Zeit des Krankenhausaufenthalts effektiv<br />

nutzen zu können, beginnt Entlassmanagement<br />

bereits bei der Aufnahme eines Patienten<br />

ins Krankenhaus. Das ist angesichts sinkender<br />

Verweildauern sowie Lücken in den nachbehandelnden<br />

Sektoren, etwa bei den Fachärzten,<br />

notwendiger denn je. Die Frage ist, wie weit hier<br />

die Pflicht des Krankenhauses, z.B. für die Organisation<br />

eines entsprechenden Termins, geht.<br />

Falls das also nicht gelingt – muss der Patient<br />

länger im Krankenhaus bleiben? Und kann dies<br />

dann als Fehlbelegung durch den MDK gewertet<br />

werden? Das Gesetz besagt, dass die jeweiligen<br />

Leistungserbringer in den verschiedenen<br />

Sektoren sich die erforderlichen Informationen<br />

übermitteln müssen. Sie seien dabei von den<br />

Krankenkassen zu unterstützen. Wie weit es<br />

diese Unterstützung tatsächlich gibt, ist bisher<br />

meines Wissens nicht evaluiert worden.<br />

Ohne Frage gibt es innerhalb der Krankenhäuser<br />

ebenfalls noch Verbesserungsmöglichkeiten,<br />

wie u.a. die nachfolgend berichteten Praxisprojekte<br />

demonstrieren. Auch im FABW war<br />

Konsens, dass Verzögerungen im Bereich der<br />

Aufnahme bzw. Entlassung neben den externen<br />

Ursachen auch auf »hausgemachte« Probleme<br />

zurückgeführt werden können. So sei zum Beispiel<br />

die zeitnahe Entlassung direkt abhängig<br />

von einer gut organisierten Arztbriefschreibung,<br />

einem effektiven Bettenmanagement und<br />

einer interdisziplinären Kooperation.<br />

Ein strukturiertes Entlassmanagement umzusetzen<br />

ist keine triviale Aufgabe und muss viele<br />

Partner intern und extern einbinden.<br />

Fazit<br />

Die seinerzeit in der DKI-Befragung genannten<br />

größten Probleme in der Zusammenarbeit<br />

mit externen Partnern haben sich offenbar bis<br />

heute nicht wesentlich gelöst. Dazu gehörten<br />

u.a. fehlende Kostenzusagen, unklare Zuständigkeiten,<br />

mangelhafte Kommunikation und<br />

Information sowie eine nicht zeitnahe Verfügbarkeit<br />

von Kapazitäten. Auch kurzfristige Entlassungen<br />

und fehlende Standards trugen dazu<br />

bei, dass das Entlassmanagement nicht funktionierte.<br />

Letzteres müssen sich die Krankenhäuser<br />

sicher auch selbst zuschreiben.<br />

Angesichts der wachsenden Zahl älterer Patienten<br />

mit den typischen Beschwerden und<br />

Krankheitsbildern muss aus dem Entlassmanagement<br />

ein generelles Verlegungsmanagement<br />

- besser: Überleitungsmanagement<br />

- werden, das alle Sektoren gleichermaßen<br />

einbindet. Viele ältere Patienten sind chronisch<br />

krank, häufig multimorbid und müssen ambulant<br />

regelmäßig medizinisch betreut werden. Es<br />

geht dabei nicht nur um eine wenige Tage dauernde<br />

Anschlussversorgung. Die Organisation<br />

dieser nachfolgenden Versorgung ist oft sehr<br />

aufwändig und muss mehrere Partner einbinden.<br />

Gleichzeitig ist die Zeit, die dem Krankenhaus<br />

dafür zur Verfügung steht, deutlich kürzer<br />

geworden. Oft steht keine Familie bereit, die ei-<br />

Kein einheitliches Vorgehen der Kassen<br />

Als Ursachen für Schwierigkeiten bei der rechtzeitigen Bereitstellung von Hilfsmitteln<br />

bis zur Entlassung eines Patienten wurde aus Krankenhäusern der FABW-Mitglieder<br />

u.a. genannt, dass bei einigen Krankenkassen die beauftragten Sanitätshäuser<br />

Hilfsmittel aus einem Hilfsmittelpool anfordern müssten, die dann vor Ort auch<br />

noch aufzuarbeiten seien. Das koste Zeit. Auch Verträge und Vorgehensweisen der<br />

Kassen seien sehr unterschiedlich. So müsse bei einigen die Hilfsmittelverordnung<br />

direkt an die Kasse geschickt werden, die dann das Sanitätshaus beauftrage. Dieses<br />

sei oft ein bundesweit agierendes Unternehmen, in dem Informationen bezüglich<br />

der Ansprechpartner und Lieferung verloren gingen und Nachfragen dadurch erschwert<br />

seien. Andere Kassen forderten zunächst einen Kostenvoranschlag durch<br />

ein Sanitätshaus. Sende das Krankenhaus die Verordnung dann an einen Anbieter<br />

vor Ort, dürfe dieser unter Umständen nicht für alle Kassen Hilfsmittel liefern. Diese<br />

Beziehung zwischen Krankenhäusern, Kassen und Sanitätshäusern unterliege einem<br />

ständigen Wandel.<br />

Die Gewährung mancher Hilfsmittel sei wiederum an bestimmte Voraussetzungen<br />

gebunden, die zunächst erfüllt werden müssten. So erhalte ein Patient ein Pflegebett<br />

nur dann, wenn er mindestens in Pflegestufe 1 eingestuft sei. Anderenfalls<br />

müsse der MDK zunächst den Patienten daraufhin begutachten und dann über die<br />

Bewilligung des Bettes entscheiden. Eine solche Genehmigung sei aber sehr selten<br />

und nehme außerdem oft mehrere Tage in Anspruch.<br />

52<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement


Entlassmanagement<br />

nen Teil der Organisation übernehmen könnte.<br />

Hier ist der strukturierte Kontakt zwischen den<br />

behandelnden Ärzten, den Pflegeeinrichtungen<br />

und dem Krankenhaus wesentlicher Bestandteil<br />

einer nachhaltigen, kontinuierlichen Betreuung.<br />

Die zunehmende Zahl dementer Patienten<br />

erfordert ebenfalls nicht nur von Seiten<br />

des Krankenhauses ein strukturiertes Entlassmanagement,<br />

sondern zwingend von den betreuenden<br />

Einrichtungen umfangreiche Informationen,<br />

die standardisiert übergeben werden<br />

müssen. Essenziell ist ebenfalls die Einbindung<br />

pflegender Angehöriger. Das zeigen einige der<br />

nachfolgenden Beiträge ebenfalls.<br />

Die gesetzliche Pflicht, Entlassmanagement<br />

als Teil der Krankenhausbehandlung zu sehen,<br />

würde im Übrigen auch eine ausreichende Vergütung<br />

für diesen wichtigen Bereich mit seinen<br />

qualifizierten personellen Kräften erfordern.<br />

Daran fehlt es. Der Mehraufwand, der sich daraus<br />

ergibt, wird von den Krankenkassen nicht<br />

bezahlt. In die Fallpauschalen ist er ebenfalls<br />

nicht eingepreist.<br />

Verengte Sicht auf ein Sektor übergreifendes Problem<br />

Ein strukturiertes Überleitungsmanagement aller Leistungserbringer würde zum<br />

Beispiel bedeuten, dass die Resistenzbildung von Bakterien gegen Antibiotika nicht<br />

auf ein Krankenhaus-Hygiene-Problem verengt wird, wie es derzeit oft geschieht.<br />

Hierbei spricht man von multiresistenten Keimen.<br />

Viele Patienten bringen selbst Keime mit in die Klinik, die dann im Krankenhaus<br />

eine Infektion auslösen können. Krankenhäuser untersuchen natürlich Patienten<br />

bestimmter Risikogruppen generell auf derartige Keime. Es wäre jedoch deutlich<br />

sinnvoller, dies bereits vor geplanten stationären Aufenthalten durch niedergelassene<br />

Ärzte vornehmen und die Betroffenen auch behandeln zu lassen, so dass sie ohne<br />

die Gefahr einer Infektion ins Krankenhaus kommen könnten. Bei durchschnittlich<br />

einem Sechstel der Patienten, die bei der Aufnahme ins Krankenhaus Träger multiresistenter<br />

Keime sind, wurden die Krankenhäuser nicht darüber informiert, so das<br />

Fazit einer Befragung des DKI.<br />

Träger solcher Keime kommen der Umfrage zufolge auch überproportional aus stationären<br />

Pflegeeinrichtungen. Die Rückmeldung eines Krankenhauses an den FABW:<br />

Die Notwendigkeit, Betten für zu isolierende Patienten (MRSA, Norwalk-Virus) vorzuhalten,<br />

habe deutlich zugenommen. Entsprechende Bettenkontingente seien aber<br />

nicht mehr vorhanden. Die Folge seien Wartezeiten, inadäquate Versorgungssituationen<br />

sowie finanzielle Einbußen aufgrund der nicht vorhandenen Möglichkeit zur<br />

Belegung von Betten in Mehrbettzimmern. Zu isolierende Patienten werden häufig,<br />

trotz gesicherter Diagnose und bekanntem elektivem Eingriff, nicht im Vorfeld von<br />

externen Stellen angemeldet, so dass das interne Krankenhausmanagement sich<br />

nicht auf diese Situation einstellen könne.<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement 53


Entlassmanagement<br />

Projektbezogene Partnerschaften<br />

Strategie als Grundlage eines integrierten Gesundheitsunternehmens<br />

Die St. Marien-Krankenhaus Siegen gem. GmbH ist ein modern geführtes und<br />

organisiertes integriertes Gesundheitsunternehmen mit schlanken und transparenten<br />

Strukturen. Das Unternehmen beschäftigt in seinen Einrichtungen und Filialen<br />

in den Bundesländern Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz circa 2.000 Menschen.<br />

Den Kern des Unternehmens bildet ein Akutkrankenhaus mit 441 Betten.<br />

Dort werden jährlich 20.000 Fälle stationär und über 50.000 Fälle ambulant versorgt.<br />

Komplementäre Aufgaben, wie der Betrieb von Wohn- und Pflegeeinrichtungen,<br />

Reha- und Präventionseinrichtungen sowie Filialpraxen eines Medizinischen<br />

Versorgungszentrums, übernehmen zwei Tochtergesellschaften.<br />

Dipl.-Kfm.<br />

Hans-Jürgen Winkelmann<br />

Geschäftsführer der<br />

St. Marien-Krankenhaus<br />

Siegen gem. GmbH<br />

Dipl.-Volksw. Dr. rer. pol.<br />

Christian Stoffers<br />

Leiter Referat Kommunikation<br />

& Marketing der St.<br />

Marien-Krankenhaus Siegen<br />

gem. GmbH, Vertr. Professur<br />

& Dozent im Fach Marketing<br />

Die Krankenhäuser in Deutschland stehen vor<br />

vielfältigen und komplexen strategischen<br />

Herausforderungen. Das Instrument »Kostenreduktion«<br />

als alleiniges Allheilmittel<br />

im Klinikmanagement hat dabei längst zu<br />

drastischen Konsequenzen geführt, die die<br />

Krankenhäuser regelmäßig in einem negativen<br />

Licht erscheinen lassen. Skandale um<br />

mangelnde Hygiene und überlastetes Personal<br />

sind da als die Image prägenden Ereignisse<br />

der letzten Jahre zu benennen. Um<br />

diese Konsequenzen zu vermeiden, müssen<br />

also andere Instrumente genutzt werden.<br />

Das Management hat hierzu die Kernprozesse<br />

zu analysieren und Ansätze zu entwickeln,<br />

mit deren Hilfe identifizierte Bruchstellen<br />

zu vor- und nachgelagerten Bereichen überwunden<br />

werden können. Hierin liegt nämlich<br />

der Schlüssel, den Herausforderungen<br />

des Wandels wirkungsvoll zu begegnen. Eine<br />

Grundvoraussetzung für ein Gelingen des Veränderungsprozesses<br />

ist dabei eine auf Langfristigkeit<br />

und Nachhaltigkeit ausgerichtete<br />

strategische Konzeption als integriertes Gesundheitsunternehmen.<br />

Diese beinhaltet unterschiedliche<br />

Facetten von Partnerschaften<br />

und erfüllt gleichzeitig gesetzliche Vorgaben,<br />

wie sie an das Entlassmanagement gestellt<br />

werden.<br />

Ausgangspunkt für die erfolgreiche Unternehmensentwicklung<br />

sind die klinikspezifische<br />

Standortbestimmung und die Erarbeitung einer<br />

individuellen Strategie. Dieser Prozess beginnt<br />

mit der Frage: Wo steht »unser« Unternehmen<br />

bezüglich der wesentlichen Umweltfaktoren<br />

»Kostendruck«, »Wettbewerb« und »Spezialisierung«?<br />

Hieraus leiten sich dann die Erfordernisse<br />

ab, mit deren Hilfe das Unternehmen<br />

zu einem integrierten Gesundheitsunternehmen<br />

weiterentwickelt werden kann; es ist erst<br />

als solches in seinem Umfeld nachhaltig erfolgreich.<br />

Die richtige Strategie<br />

ist der Schlüssel<br />

Den Unterschied zwischen erfolgreichen und<br />

weniger erfolgreichen Unternehmen macht<br />

eindeutig die Strategie aus. Hierbei sind unterschiedliche<br />

Ansätze notwendig. Innerhalb derer<br />

kommt dem systematischen und planvollen<br />

Aufbau von Partnerschaften eine besondere<br />

Rolle zu.<br />

Die Entwicklung eines Konzepts gestaffelter<br />

partnerschaftlicher Strukturen – von der<br />

projektbezogenen bis hin zur strategischen<br />

Partnerschaft – erscheint in diesem Zusammenhang<br />

unverzichtbar; es greift von der Gestaltung<br />

moderner Versorgungsstrukturen über<br />

den Bereich der Personalentwicklung bis hin<br />

zur technologischen Weiterentwicklung des<br />

Klinikums. Dabei wird das Einlassen auf dieses<br />

Konzept umso selbstverständlicher, je mehr<br />

man sich vergegenwärtigt, dass die Komplexität<br />

der Unternehmensführung gerade im Bereich<br />

von Partnerschaften einen strategischen<br />

Planungsansatz erfordert. Andernfalls würde<br />

das zeitaufwändige operative Geschäft eines<br />

Klinikums solche Fragestellungen in den Hintergrund<br />

drängen. Das Unternehmen wäre verleitet,<br />

sich in Abhängigkeiten zu begeben, die<br />

54<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement


Entlassmanagement<br />

Das St. Marien<br />

Krankenhaus Siegen<br />

eine Steuerung erheblich einschränkten. Bei<br />

der Entwicklung eines Konzepts muss also die<br />

Balance zwischen operativer Handlungsnotwendigkeit<br />

und strategischer Ausrichtung im<br />

Sinne eines vernünftigen Aufwand-Nutzen-<br />

Verhältnisses gefunden werden.<br />

Komplexität meistern<br />

Die St. Marien-Krankenhaus Siegen gem. GmbH<br />

hat diesen Prozess hin zu einem integrierten<br />

Gesundheitsunternehmen in den vergangenen<br />

Jahren erfolgreich vollzogen, obgleich die Voraussetzungen<br />

alles andere als günstig waren:<br />

Zwar hatte sich das Unternehmen sehr früh dazu<br />

entschlossen, den Veränderungsdruck in der<br />

Gesundheitswirtschaft als Herausforderung zu<br />

begreifen; als erstes katholisches Krankenhaus<br />

im Erzbistum Paderborn wechselte es bereits im<br />

Jahr 1988 in die Rechtsform einer GmbH. Auch<br />

vollzog es seither zahlreiche Schritte zum Ausbau<br />

der Akutversorgung, insbesondere in den<br />

Schwerpunktbereichen »Kardiologie«, »Orthopädie«<br />

und »Hämatologie/Onkologie«, und forcierte<br />

die Unternehmensentwicklung in vertikaler<br />

Richtung, doch mangelte es – in der Nachbetrachtung<br />

– an einer strategischen Konzeption<br />

für das zu beachtlicher Größe gewachsene<br />

Unternehmen. In getrennten Projekten waren<br />

lediglich in den einzelnen Bereichen, insbesondere<br />

in den Funktionen »Qualitätsmanagement«,<br />

»Controlling« und »Marketing«, erhebliche<br />

Fortschritte erzielt worden. Es fehlte bei<br />

den genannten Fortschritten vor allem aber der<br />

langfristig ausgerichtete, strukturierte und gesteuerte<br />

»Blick aufs Ganze« mit Instrumentarien<br />

der strategischen Unternehmensführung.<br />

Dieser war scheinbar auch nicht notwendig,<br />

konnte die Struktur doch damals mit tradierten<br />

Managementmethoden noch beherrscht werden.<br />

Zunehmende Komplexität des gesamten Unternehmensgeschehens<br />

im Hinblick auf Organisation,<br />

Wertschöpfungsprozesse und Kanalisierung<br />

nachhaltigen Wachstums machten also<br />

im St. Marien-Krankenhaus Siegen den Start<br />

eines groß angelegten strategischen Unternehmensplanungsprojektes<br />

erforderlich. Daher<br />

wurde von der Geschäftsführung dem Verwaltungsrat<br />

zu Beginn des Jahres 2008 die »Strategiekonzeption<br />

<strong>2015</strong>« vorgelegt und von diesem<br />

verabschiedet. Die Fragen nach dem »Wo<br />

steht unser Unternehmen?« und »Wohin soll<br />

unser Unternehmen sich entwickeln?« waren<br />

damit geklärt.<br />

Das Ziel: ein integriertes<br />

Gesundheitsunternehmen<br />

Zentraler Bestandteil der Konzeption war die<br />

Vision, die den Zustand des Unternehmens<br />

im Jahr <strong>2015</strong> beschreibt und die die Grundlage<br />

des Strategieprojektes sowie der strategischen<br />

Planung darstellt. Das Ziel, ein integriertes<br />

Gesundheitsunternehmen als Modell<br />

für andere Krankenhäuser zu entwickeln, war<br />

»geboren«. Mit der Konzeption konnte damit<br />

erstmals ein geschlossener, gesamtunternehmensbezogener<br />

Planungskreislauf vorgestellt<br />

und verabschiedet werden. Dieser hat fortan in<br />

allen Ebenen die Gesamtentwicklung des Unternehmens<br />

im Fokus; vorhandene Insellösungen<br />

und nicht aufeinander abgestimmte Konzepte<br />

galt es seitdem zu überwinden. Hierauf<br />

aufbauend wurden zum einen Steuerungsinstrumente,<br />

wie eine unternehmensspezifische<br />

Balanced-Scorecard entwickelt, zum anderen<br />

Handlungsansätze für organisatorische Herausforderungen,<br />

wie der Entwicklung von neuen<br />

Versorgungsansätzen und der Begegnung des<br />

technologischen Fortschritts, etabliert.<br />

Das System der Balanced-Scorecard verfolgt<br />

dabei als Führungsinstrument einen Ansatz<br />

zur Strategiesteuerung, der über die eher vergangenheitsorientierten<br />

Ansätze früherer Führungsinstrumente<br />

deutlich hinausgeht. Zentrale<br />

Inhalte sind hierin die vier Ebenen »Finanzen«,<br />

»Patienten/Bewohner«, »Mitarbeiter« und<br />

»Organisatorischen<br />

Herausforderungen auf<br />

vertikaler Ebene wird<br />

grundsätzlich durch ein<br />

gestaffeltes System an<br />

Partnerschaften begegnet.«<br />

Hans-Jürgen Winkelmann<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement 55


Entlassmanagement<br />

»Patienten erwarten,<br />

dass ihre medizinische<br />

Versorgung nicht isoliert<br />

betrachtet wird und sie die<br />

Versorgung nicht über viele<br />

Sektorengrenzen hinweg<br />

selbstständig organisieren<br />

müssen. Das Ziel, ein<br />

integriertes Gesundheitsunternehmen<br />

zu sein, ist damit<br />

längst kein Selbstzweck<br />

mehr, vielmehr erfüllt es die<br />

Anforderungen, die Patienten<br />

an das Krankenhaus<br />

heute stellen.«<br />

Hans-Jürgen Winkelmann<br />

»Prozesse«, die die Grundlage bilden für die<br />

Entwicklung von strategischen Zielen, Maßnahmen<br />

zur Zielerreichung und quantitativen sowie<br />

qualitativen Messgrößen. Die Besonderheiten<br />

bei diesem klinikindividuell zugeschnittenen<br />

Instrument bestehen in der Entwicklung einer<br />

spezifischen Softwarelösung und in der breit<br />

angelegten Umsetzung der Balanced-Scorecard<br />

in den strategischen Unternehmenseinheiten.<br />

Auf beiden Ebenen wurde auf das Know-how<br />

innerhalb des Unternehmens zurückgegriffen<br />

und lediglich bei der technischen Umsetzung<br />

der definierten Details des Führungsinstruments<br />

Unterstützung »eingekauft«.<br />

Daneben galt es, Handlungsansätze zu definieren,<br />

die das unternehmerische Handeln planbar<br />

gestalteten. Diese führten weg von der isolierten<br />

Betrachtung einzelner Partnerschaften hin<br />

zu einem systematischen Ansatz, diese strategisch<br />

zu erfassen. Die Umsetzung der Strategie<br />

konnte damit in diesem Bereich eingeleitet<br />

werden.<br />

Partnerschaften planbar gestalten<br />

Organisatorischen Herausforderungen auf<br />

vertikaler Ebene wird hiernach grundsätzlich<br />

durch ein gestaffeltes System an Partnerschaften<br />

begegnet, das – je nach unternehmerischer<br />

Notwendigkeit – bis zu einer vollständigen<br />

Integration innerhalb des Unternehmens,<br />

beispielsweise über das medizinische Versorgungszentrum,<br />

reicht. Das Krankenhaus entwickelt<br />

im genannten Fall an unterschiedlichen<br />

Standorten ein komplexes Versorgungsangebot<br />

um die Kernleistungen des Unternehmens herum.<br />

Gleichzeitig nimmt es bei diesem System<br />

regelmäßig eine dominante Stellung ein.<br />

Es wird hierin der Tatsache Rechnung getragen,<br />

dass die ambulante Versorgung einen immer<br />

wichtiger werdenden Baustein in der Versorgungskette<br />

eines Krankenhauses darstellt. Patienten<br />

erwarten, dass ihre medizinische Versorgung<br />

nicht isoliert betrachtet wird und sie die<br />

Versorgung nicht über viele Sektorengrenzen<br />

hinweg selbstständig organisieren müssen. Das<br />

Ziel, ein integriertes Gesundheitsunternehmen<br />

zu sein, ist damit längst kein Selbstzweck mehr,<br />

vielmehr erfüllt es die Anforderungen, die Patienten<br />

an das Krankenhaus heute stellen.<br />

Einen Zwitter stellen in diesem Zusammenhang<br />

als Joint-Venture betriebene Einrichtungen dar,<br />

die sowohl die medizinische Versorgung weiterentwickeln<br />

als auch andere Zukunftsbereiche<br />

des Krankenhauses berühren.<br />

Im Bereich der medizinischen Versorgung kann<br />

beispielhaft das Reflux-Zentrum Siegerland<br />

angeführt werden. Bei diesem Zentrum sind<br />

zwei Krankenhausträger gleichberechtig beteiligt.<br />

Eine überragende Stellung eines Partners<br />

würde das Kooperationsprojekt gefährden.<br />

Die Kliniken haben hierfür an einem zentral<br />

gelegenen Standort ein Portal errichtet. Dort<br />

werden die Patienten einem Versorgungspfad<br />

zugeordnet. Beginnend mit einem Beratungsangebot,<br />

dessen Inanspruchnahme durch den<br />

Patienten selbst bezahlt werden muss, ermöglicht<br />

dieser Pfad die zielgerichtete Versorgung<br />

der Patienten. So kann nach der Beratung eine<br />

Magenspiegelung zum Ausschluss von schwerwiegenden<br />

oder bösartigen Veränderungen in<br />

der Inneren Abteilung des einen Partners stehen.<br />

Bei gravierenden Befunden oder bei einer<br />

Unverträglichkeit der Medikamente kann<br />

schließlich eine operative Korrektur der Muskelschwäche<br />

im Übergang zur Speiseröhre<br />

durch die Chirurgische Abteilung des anderen<br />

Partners erfolgen. Die Leistungen nach der Eingangsberatung<br />

werden dabei von der jeweiligen<br />

Krankenversicherung des Patienten getragen.<br />

Die Technologie und das jeweils erforderliche<br />

Know-how verbleiben bei dieser Form der Kooperation<br />

jeweils im „Herrschaftsbereich“ des<br />

einzelnen Partners, was ein gewisses Maß an<br />

Kontrolle zulässt. Die Steuerung des Portals<br />

erfolgt durch eine niedergelassene Ärztin, was<br />

den nahtlosen Übergang in unterschiedliche<br />

Versorgungsbereiche sicherstellt.<br />

Das beschriebene Joint-Venture ließ sich zum<br />

Ende des Jahres 2014 relativ schnell etablieren.<br />

Um einen Affront gegenüber den ambulant tätigen<br />

Medizinern zu vermeiden, wurde zuvor über<br />

den lokalen Ärzteverein dessen Mitgliedern das<br />

neue Zentrum vermittelt. Die reibungslose Implementierung<br />

konnte nicht zuletzt deshalb<br />

gelingen, da in der Planung auch die Bedürfnisse<br />

externer Partner berücksichtigt wurden.<br />

Projekt »Albertus Magnus«<br />

Joint-Ventures mit anderen Krankenhausträgern<br />

sind also eine Lösung, um Versorgungsangebote<br />

weiterzuentwickeln. Dies kann vertikal<br />

entlang des Versorgungspfades, wie beim<br />

Reflux-Zentrum Siegerland, geschehen oder<br />

als horizontales Projekt; bei letzteren arbeiten<br />

Kliniken mit vergleichbarem Versorgungsauftrag<br />

zusammen, um ein spezialisiertes Versorgungsangebot<br />

zu schaffen. Ein Beispiel hierfür<br />

ist das vom St. Marien-Krankenhaus Siegen mit<br />

anderen Klinikträgern betriebene Brustzentrum<br />

Siegen-Olpe, an dem zuvorderst drei gynäkologische<br />

Kliniken zusammenarbeiten.<br />

Betrachtet man wiederum die vertikale Verknüpfung,<br />

so ist es ein besonderer Ansatz, unterschiedliche<br />

Modelle einer gestaffelten Partner-<br />

56<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement


Entlassmanagement<br />

schaft an einem Standort gleichzeitig zu realisieren.<br />

In diesem Kontext wurde das ambitionierte<br />

Projekt »Albertus Magnus« gestartet.<br />

Dieses fand ebenfalls im Jahr 2014 mit der Inbetriebnahme<br />

des Ambulanten Zentrums Albertus<br />

Magnus seinen Abschluss: In weniger als<br />

24 Monaten Planungs- und Bauzeit entstand<br />

dieses Zentrum an der Siegener Sandstraße; gut<br />

15 Millionen Euro kostete der Neubau, der zwischenzeitlich<br />

für über 1.000 Menschen täglich<br />

Anlaufpunkt ihrer medizinischen Behandlung<br />

ist.<br />

Im Ambulanten Zentrum Albertus Magnus wurden<br />

auf drei Etagen Arztpraxen und Einrichtungen<br />

unterschiedlicher medizinischer Fachrichtungen<br />

untergebracht. Zu den ambulanten<br />

Angeboten des St. Marien-Krankenhauses kamen<br />

weitere Angebote von dreizehn selbstständigen<br />

Praxis- und Einrichtungsbetreibern hinzu.<br />

Die Gesamtkombination orientiert sich dabei an<br />

den Schwerpunkten des St. Marien-Krankenhauses.<br />

Damit gelingt es dem Unternehmen, auf<br />

allen Stufen der Versorgung Angebote zu unterbreiten.<br />

Besonderen Wert legte man auf die<br />

medizinisch-technische Infrastruktur. So gibt<br />

es beispielsweise einen »offenen« Magnetresonanz-Tomographen,<br />

der als Hightech-Gerät den<br />

Menschen das beklemmende Gefühl nimmt, in<br />

eine Röhre geschoben zu werden. Es entstand<br />

ferner ein ambulanter Operationsbereich mit<br />

zwei Sälen und einem Eingriffsraum; dieser<br />

kann freilich auch von Partnern außerhalb des<br />

Zentrums genutzt werden.<br />

In Einklang mit der Strategie suchte man auch<br />

bei diesem Projekt den Schulterschluss mit<br />

externen Partnern, um die größte Einzelbaumaßnahme<br />

der Unternehmensgeschichte zu<br />

stemmen. Bei der Planung und Umsetzung in<br />

der Bauphase wurde ein Projektsteuerer bestellt,<br />

der mit den jeweiligen Fachressorts auf<br />

Seiten des Krankenhauses eng zusammenarbeitete.<br />

Daneben haben sich interne und externe<br />

Nutzer des ambulanten OP-Bereichs bereits ein<br />

Jahr vor dem eigentlichen Beginn des Operierens<br />

im neuen Zentrum in einer regelmäßigen<br />

Arbeitsgruppe partnerschaftlich über Abläufe,<br />

Ausstattungen und Nutzungstage verständigt.<br />

So konnten die Anforderungen sowohl der eigenen<br />

Praxen als auch jener der externen Partner<br />

früh in den Umsetzungsprozess integriert werden.<br />

Dies führte dazu, dass bereits ein halbes<br />

Jahr vor der Inbetriebnahme des Zentrums dessen<br />

Gesamtkomposition »spruchreif« war und<br />

sämtliche internen Prozesse hierauf abgestimmt<br />

werden konnten.<br />

Auch im Bereich »Technologie« wurde ein Weg<br />

gefunden, der es dem Unternehmen ermöglicht,<br />

die Steuerung zu behalten und damit<br />

eine zu große Abhängigkeit gegenüber den projektbegleitenden<br />

Firmen zu vermeiden. Bei der<br />

Einbindung der technischen Infrastruktur des<br />

Zentrums wurde dabei auf regionale Partner<br />

zurückgegriffen, zu denen teilweise langjährige<br />

Partnerschaften bestehen. Im Ergebnis führte<br />

dies alles dazu, dass die Differenz zwischen<br />

geplantem und tatsächlichem Investitionsvolumen<br />

unerheblich war.<br />

Durchlässigkeit im System<br />

Die Versorgungskette stellt jedoch keine Einbahnstraße<br />

dar. Patienten, die über den ambulanten<br />

Bereich in eine Klinik gelangt sind,<br />

wird über die Konzeption des St. Marien-Krankenhauses<br />

auch eine zeitige Rückkehr in den<br />

Alltag ermöglicht. Um hierbei die Kontinuität<br />

der Behandlung und Betreuung nahtlos sicherzustellen,<br />

wurde auch hier über gestaffelte<br />

Partnerschaften ein übergreifendes Angebot<br />

geschaffen. Die Konzeption reicht dabei eben-<br />

Im Jahr 2014 wurde das<br />

Ambulante Zentrum<br />

Albertus Magnus eröffnet.<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement 57


Entlassmanagement<br />

Das Reflux-Zentrum<br />

Siegerland am Standort<br />

Siegerlandflughafen<br />

falls von einer Partnerschaft auf Augenhöhe<br />

bis hin zur vollständigen Integration. Im Ambulanten<br />

Zentrum Albertus Magnus befindet<br />

sich beispielsweise die Praxis eines medizinischen<br />

Palliativ-Netzwerkes und eines Präventionszentrums.<br />

Gleichfalls befindet sich dort<br />

ein Standort der über die Tochtergesellschaft<br />

GSS Gesundheits-Service Siegen gem. GmbH<br />

betriebenen ambulanten kardiologischen Rehabilitation.<br />

Er gehört zu den ambulanten Rehabilitationseinrichtungen,<br />

die das integrierte<br />

Unternehmen an unterschiedlichen Orten im<br />

Versorgungsgebiet eingerichtet hat.<br />

Die Durchführung des Entlassmanagements als<br />

überleitende Tätigkeit innerhalb des integrierten<br />

Gesundheitsunternehmens erfolgt dann<br />

durch hierfür extra qualifizierte Mitarbeiter,<br />

die koordinierend mit den behandelnden Klinikärzten,<br />

den stationär und ambulant Pflegenden,<br />

dem sozialen Dienst, den Angehörigen<br />

und den niedergelassenen Ärzten oder den aufnehmenden<br />

Einrichtungen zusammenwirken;<br />

auch hier bietet das Unternehmen über seine<br />

Tochtergesellschaft GSS Gesundheits-Service<br />

Siegen im Bereich der Altenhilfe Lösungen an.<br />

Wird die Versorgungskette eines integrierten<br />

Gesundheitsunternehmens vollständig erfasst,<br />

so ist die Fragestellung, wie diese zukünftig<br />

erfolgreich gestaltet werden kann, bedeutsam.<br />

Daher sind auch Kooperationsprojekte, die zunächst<br />

nur mittelbar die medizinisch-pflegerische<br />

Leistungserbringung berühren, jedoch die<br />

Durchlässigkeit im System »kulturell« verankern,<br />

in dem strategischen Konzept zu erfassen.<br />

Ein Beispiel ist das Bildungsinstitut für Gesundheitsberufe<br />

in Südwestfalen. Das Institut wurde<br />

vom St. Marien-Krankenhaus Siegen zusammen<br />

mit zwei weiteren Krankenhausträgern im Jahr<br />

2014 gegründet. Rund 275 Auszubildende werden<br />

– nach abgeschlossener Zusammenlegung<br />

der bis dahin separat agierenden Krankenpflegeschulen<br />

und der Fertigstellung eines Neubaus<br />

– im Berufsfeld der Gesundheits- und<br />

Kranken- sowie Kinderkrankenpflege aus- und<br />

weitergebildet. Zusätzliche 75 neue Ausbildungsplätze<br />

entstehen durch die Etablierung<br />

einer Einrichtung zur Altenpflegeausbildung.<br />

Das gemeinsame Institut stellt damit eine Abkehr<br />

von kleinteiligen Insellösungen dar. Das<br />

Krankenhaus, das an der gegründeten GmbH<br />

ein Drittel der Kontrollrechte ausübt, kann über<br />

das Joint-Venture dem erwarteten Mangel an<br />

Fachkräften im Bereich Pflege entgegenwirken.<br />

Abschließend bleibt festzuhalten, dass neben<br />

der Methodik der Strategieentwicklung die Art<br />

und Weise ihrer Implementierung entscheidend<br />

ist. Eine Strategie muss von den Mitarbeitern<br />

getragen, akzeptiert und »gelebt« werden, nur<br />

dann ist sie erfolgreich und nachhaltig. Dazu ist<br />

es notwendig, dass die Strategie, nachdem sie<br />

vom Management entworfen wurde, von innen,<br />

also von den Mitarbeitern, weiterentwickelt<br />

wird. Dies ist zwischenzeitlich bei allen Projekten<br />

der Strategieimplementierung erfolgt.<br />

Die vorgestellten Projekte - gepaart mit einer<br />

überaus erfolgreichen Umsatz- und Mitarbeiterentwicklung<br />

- belegen, dass dies im integrierten<br />

Gesundheitsunternehmen gelungen ist.<br />

Schlussbemerkung<br />

Die St. Marien-Krankenhaus Siegen gem. GmbH<br />

zeigt, wie der Wandel hin zu einem integrierten<br />

Gesundheitsunternehmen verlaufen kann.<br />

Nach der Standortbestimmung wurde eine Vision<br />

entwickelt, auf der schließlich die Strategie<br />

fußt. Ihre Umsetzung erfolgt dann in den<br />

jeweiligen Projekten, für die beispielhaft die<br />

angeführten Joint-Venture und das Ambulante<br />

Zentrum Albertus Magnus stehen.<br />

Für ein integriertes Gesundheitsunternehmen<br />

ist es dabei unerlässlich, in Netzwerken zu<br />

denken und zu handeln, die ein gewisses Maß<br />

an Durchlässigkeit zu gewährleisten haben – in<br />

beide Richtungen. Eine Strategie greift dabei<br />

nur dann, wenn sie eine gestaffelte, projektbezogene<br />

Konzeption von Partnerschaften integriert<br />

und somit als Teil des Ganzen betrachtet.<br />

Strategie ist somit eine originäre Managementfunktion<br />

und deren Umsetzung wird durch Experten<br />

in den Referaten und Zentralen Diensten<br />

des Unternehmens begleitet und gesteuert.<br />

Elementar ist und bleibt bei allen Teilbereichen<br />

unternehmerischen Handelns deren Verankerung<br />

in die strategische Planung. Dies ist in<br />

Siegen mit der Strategie <strong>2015</strong> eingeleitet worden<br />

und wird mit der Nachfolgestrategie 2020<br />

weitergeführt und ausgebaut werden.<br />

58<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement


Gibt es Hoffnung<br />

beim Entlassmanagement?<br />

Ein gemeinschaftlicher neuer Versuch im Einbecker BürgerSpital<br />

Entlassmanagement<br />

Das Einbecker BürgerSpital ist ein besonderes, inzwischen bundesweit bekanntes<br />

Modell: bis 2005 Städtisches Krankenhaus, dann bis 2008 Kreiskrankenhaus mit<br />

Northeim und Bad Gandersheim, anschließend weitere Träger bis zur Planinsolvenz<br />

am 01.08.2012 (negatives Eigenkapital ca. 11 Mio. Euro, Verbindlichkeiten ca. 16 Mio.<br />

Euro). Seit Januar 2013 existiert das Einbecker BürgerSpital: eine gemeinnützige<br />

GmbH durch Bürgerbeteiligung mit privatem Kapital, einem verzinsten Darlehen der<br />

Stadt Einbeck und erheblichen Spenden. Im Ergebnis ist die finanzielle Gesundung<br />

durch Entschuldung, das Einbringen wirtschaftlichen Handelns aus dem Management<br />

örtlicher Unternehmen und die medizinische Neuausrichtung festzuhalten.<br />

Verbunden wird das Modell mit den Protagonisten, dem Treuhänder Jochen Beyes<br />

und dem medizinischen Geschäftsführer, gleichzeitig Gesellschafter und Chefarzt der<br />

Inneren Medizin, Dr. Olaf Städtler.<br />

Vorgehalten werden 103 Betten in den Bereichen Innere Medizin, Chirurgie,<br />

Schmerz-/Palliativmedizin, dazu Radiologie, Physiotherapie, Krankenpflegeschule<br />

und ambulanter Krankenpflegedienst mit spezialisierter ambulanter Palliativversorgung<br />

(SAPV). Durch die Insolvenz gab es 2012 einen Abbau von 350 auf 280 Mitarbeiter.<br />

Heute hat das Krankenhaus ca. 180 Vollkräfte/ 280 Mitarbeiter.<br />

Hans-Martin Kuhlmann<br />

Kaufmännischer Geschäftsführer,<br />

Einbecker BürgerSpital,<br />

Einbeck<br />

In einem Krankenhaus, das überleben will,<br />

muss auf die grundlegenden Strukturen eingewirkt<br />

werden. Hierbei spielt der »Patientenprozess«<br />

die zentrale Rolle, innerhalb desselben<br />

wieder das Entlassungsmanagement.<br />

Das Einbecker BügerSpital hat Anfang <strong>2015</strong><br />

mit der Reorganisation dieses komplexen<br />

Prozesses begonnen. Inzwischen sind wichtige<br />

Veränderungen geplant und auch bereits umgesetzt<br />

worden.<br />

Ein neues Modell, eine medizinische Neustrukturierung<br />

und die finanzielle Sanierung reichen<br />

nicht aus, um für ein Krankenhaus – gleich<br />

welcher Größe – eine dauerhafte Zukunft zu<br />

sichern. Die internen Prozesse, die neben medizinischen<br />

und pflegerischen Leistungen zunehmend<br />

von Bedeutung sind und gleichzeitig<br />

die Basis für eine wirtschaftliche Entwicklung<br />

darstellen, müssen reorganisiert werden. Die<br />

seit Jahren auseinander klaffende Entwicklung<br />

zwischen gedeckelten Einnahmen und größtenteils<br />

nicht zu beeinflussenden Kosten ist<br />

durch einfache Einsparungen nicht zu füllen.<br />

Im Krankenhaus, das überleben will, muss auf<br />

die grundlegenden Strukturen eingewirkt werden.<br />

Hierbei spielt der »Patientenprozess« die<br />

zentrale Rolle, innerhalb desselben wieder das<br />

Entlassmanagement.<br />

Aber wie sieht eine Reorganisation dieses komplexen<br />

Prozesses aus? Zum einen wurde die<br />

gesamte Abrechnung im Einbecker BürgerSpital<br />

mit externer Analyse- und Beratungshilfe<br />

durchleuchtet und neu strukturiert. Dieses<br />

Projekt läuft seit ca. sechs Monaten und befindet<br />

sich weiter in der Umsetzung. Zum anderen<br />

ergab sich die Möglichkeit, im Rahmen einer<br />

Bachelor-Arbeit einem Studenten der Hochschule<br />

Osnabrück die Plattform für seine Arbeit<br />

zu geben und dem Krankenhaus eine intensivere<br />

Beschäftigung mit Details zu ermöglichen.<br />

Vorgehensweise<br />

Um sich mit dem Thema »Entlassungsprozess«<br />

genauer zu beschäftigen und dessen Relevanz<br />

für das Krankenhaus herauszustellen, war eine<br />

bestimmte Vorgehensweise notwendig. Bauchgefühle<br />

und Eindrücke sind zwar wichtig, um<br />

erste Einschätzungen zu treffen, aber wenig<br />

valide.<br />

Mithilfe des §21-Datensatzes des Vorjahres<br />

wurden die Entlassungen ermittelt, die in der<br />

Markus Krahforst<br />

Hochschule Osnabrück<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement 59


Entlassmanagement<br />

»Die seit Jahren auseinander<br />

klaffende Entwicklung<br />

zwischen gedeckelten<br />

Einnahmen und größtenteils<br />

nicht zu beeinflussenden<br />

Kosten ist durch einfache<br />

Einsparungen nicht zu<br />

füllen. Im Krankenhaus, das<br />

überleben will, muss auf die<br />

grundlegenden Strukturen<br />

eingewirkt werden. Hierbei<br />

spielt der ‚Patientenprozess‘<br />

die zentrale Rolle, innerhalb<br />

desselben wieder das Entlassungsmanagement.«<br />

Hans-Martin Kuhlmann<br />

Zeit von 14 bis 19 Uhr stattfanden. Dieser Zeitraum<br />

wurde festgelegt, da eine gut geplante<br />

Entlassung bis 14 Uhr durchgeführt werden<br />

kann. Ab ca. 13:15 Uhr findet die Übergabe des<br />

Pflegedienstes zwischen Früh- und Spätdient<br />

statt. Sollte ein Patient im Laufe des Frühdienstes<br />

entlassen werden, dieses im KIS jedoch<br />

nicht entsprechend erfasst sein, wird dieses<br />

Versäumnis in der Übergabe festgestellt. Bei<br />

Entlassungen nach 19 Uhr wurde unterstellt,<br />

dass diese nicht geplant waren, beziehungsweise<br />

konkrete Gründe dafür vorlagen.<br />

Um ein möglichst genaues Bild dieses Zeitkorridors<br />

zu erhalten, wurden die Fälle mit dem<br />

Entlassungsgrund Tod (079) sowie Verlegungen<br />

(069, 089) nicht berücksichtigt. Das Ergebnis:<br />

Knapp 32 Prozent aller Entlassungen im Jahr<br />

2014 erfolgten im veranschlagten Zeitraum von<br />

14 bis 19 Uhr. Der Fragebogen des Deutschen<br />

Krankenhausinstituts (DKI) aus dem Jahre 2013<br />

zum Thema Entlassmanagement war hilfreich<br />

dabei, erste interne und externe Schwachstellen<br />

zu erkennen. So konnte festgestellt werden,<br />

dass die Kommunikation und Kooperation zu<br />

externen Einrichtungen und Institutionen nicht<br />

zu den Problemfeldern des Entlassungsprozesses<br />

zählten.<br />

Um die internen Schwachstellen und Problemfelder<br />

herauszufinden, wurden sowohl Interviews<br />

mit den Verantwortlichen geführt als<br />

auch eine Aufnahme des IST-Zustandes durch<br />

Beobachtung erhoben (Vgl. Zapp, W. (2010): S.<br />

95).<br />

Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse entstand<br />

ein erstes Sollkonzept, das den Verantwortlichen<br />

vorgelegt wurde. Nach deren Rückmeldung<br />

erfolgte noch eine Anpassung und<br />

Ergänzung von Details. Bei der Erfassung des<br />

IST-Zustandes wurden nicht nur Schwachstellen<br />

herausgefunden, die explizit den Entlassungsprozess<br />

betreffen, sondern auch weitere<br />

Aspekte, die unter dem Punkt »Erfassung des<br />

IST-Zustandes« aufgeführt werden.<br />

Prozessgestaltung<br />

Für die Planung und Durchführung der Prozessgestaltung<br />

diente dem Haus die Arbeit<br />

von Prof. Dr. Winfried Zapp, der den Ablauf der<br />

Prozessgestaltung für die Institution Krankenhaus<br />

erarbeitet hat. Um nicht den gesamten<br />

Behandlungsprozess zu erfassen, musste<br />

der Prozess - in unserem Haus war das aufgrund<br />

der geschilderten Vorüberlegungen der<br />

Entlassungsprozess - abgegrenzt werden. Erst<br />

dann konnten gezielte Beobachtungen der IST-<br />

Situation stattfinden. Für eine Analyse muss<br />

die Komplexität und Dynamik eines Prozesses<br />

zudem reduziert werden. Dadurch wird dieser<br />

übersichtlicher und strukturierter.<br />

Der Prozess selbst wird dabei in seine Teilprozesse<br />

und diese wiederum in seine Teilschritte<br />

zerlegt. Die Zerlegung beziehungsweise Darstellung<br />

kann horizontal oder vertikal erfolgen.<br />

Wobei die vertikale Darstellung von einer bestehenden<br />

Organisationsstruktur ausgeht. Die<br />

Horizontale hingegen stellt den Prozess unabhängig<br />

von den Bereichen respektive Abteilungen<br />

in den Vordergrund. Nach der Schnittstellenanalyse<br />

und der Prozess-Würdigung erfolgt<br />

die Entwicklung einer Sollkonzeption.<br />

Abbildung 1 stellt die Vorgehensweise und den<br />

Ablauf der Prozessgestaltung zusammenfassend<br />

dar.<br />

Abbildung 1:<br />

Ablauf der Prozessgestaltung<br />

Quelle: Zapp, W. (2014): S.155 in Anlehnung an<br />

Zapp, W., Otten, S. (2010): S.117)<br />

60<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement


Erfassung des IST-Zustandes<br />

Der IST-Zustand wurde mittels Interviews, Beobachtungen<br />

und eines Fragebogens erfasst.<br />

Die Beobachtung fand über mehrere Tage auf<br />

den unterschiedlichen Stationen statt, um explizit<br />

die Abläufe kennenzulernen, die in den<br />

letzten Stunden vor der Entlassung eines Patienten<br />

erfolgen.<br />

Danach wurden die Prozesse und Teilschritte<br />

entsprechend abgebildet. Die Schnittstellenanalyse<br />

diente vor allem dazu, die Brüche im<br />

zeitlichen Ablauf sowie Kommunikationsdefizite<br />

zwischen den Bereichen aufzuzeigen. Am<br />

Ende der IST-Darstellung erfolgte die Prozesswürdigung.<br />

Dabei wurden Schwachstellen aufgedeckt<br />

und Erkenntnisse über Verbesserungspotenziale<br />

gewonnen. Probleme, Stärken und<br />

Schwächen wurden an dieser Stelle aber nicht<br />

nur aufgedeckt, sondern im Team mit den unterschiedlichen<br />

Berufsgruppen diskutiert. Für<br />

eine deutlichere Visualisierung wurde dafür<br />

das Ishikawa-Diagramm herangezogen. (Das<br />

Ishikawa-Diagramm ist ein Ursache-Wirkungs-<br />

Diagramm, mit dem kausale Beziehungen dargestellt<br />

werden können. Es wurde in den 1940er<br />

Jahren von Kaoru Ishikawa entwickelt und später<br />

vor allem im Qualitätsmanagement angewandt.)<br />

Bei der Erfassung und Würdigung des IST-Zustandes<br />

zeigten sich verschiedene Problemfelder,<br />

u.a.:<br />

• Diagnostik-Aufträge durch die Ärzte wurden<br />

teilweise mit Hilfe eines Notiz-Zettels<br />

im Dienstzimmer der Pflege gestellt. Die<br />

Pflege füllte das vorgefertigte Formular für<br />

Diagnostik-Aufträge aus und legte es dem<br />

Arzt zur Unterschrift ins Ablagefach. Dadurch<br />

besteht die Gefahr, dass einerseits<br />

unbeabsichtigt Notiz-Zettel »untergehen«<br />

und andererseits eine nicht unerhebliche<br />

Zeitverzögerung zwischen der Anforderung<br />

der Diagnostik durch den Arzt und deren<br />

Durchführung entsteht.<br />

• Mängel gab es auch bei der Information des<br />

Überleitungsmanagements. Der entsprechende<br />

Anamnesebogen wird regelhaft auf<br />

der Aufnahmestation ausgefüllt. Aufgrund<br />

von knappen Zeit- und Personalressourcen<br />

kam es aber vor, dass dieser Bogen nicht<br />

ausgefüllt wurden. Da auf einem Teil der<br />

Stationen keine Visite der Ärzte gemein-<br />

sam mit der Pflege stattfand, war die<br />

Kommunikation gefährdet. So wurde das<br />

Überleitungsmanagement mehrfach erst<br />

kurz vor der Entlassung des Patienten eingeschaltet.<br />

• Der Entlassungsbrief ist als weiterer bedeu-<br />

tender Punkt zu nennen. Üblich war, dass der<br />

Entlassungsbrief erst im Laufe des Tages<br />

fertiggestellt wurde, obwohl der Patient bereits<br />

seit den Morgenstunden auf die Entlassung<br />

wartete. Dieses hatte erheblichen<br />

Einfluss auf die darauffolgenden Prozesse.<br />

• Die poststationäre Versorgung mit neuverordneten<br />

Medikamenten erwies sich zum<br />

Teil ebenfalls als problematisch, besonders<br />

zum Wochenende und vor Feiertagen. Es gab<br />

keine festen Absprachen darüber, ob und wie<br />

viele Medikamente mitgegeben werden,<br />

oder stattdessen Rezepte über die kassenärztliche<br />

Notdienstambulanz ausgestellt<br />

werden sollten.<br />

Entwicklung einer Sollkonzeption<br />

Im Anschluss an die Prozesswürdigung erfolgt<br />

die Entwicklung einer Sollkonzeption. Wesentlich<br />

ist hier die Frage, welche Ziele man erreichen<br />

möchte. Generell gibt es im Prozessmanagement<br />

drei Säulen zur Erhöhung der<br />

Lebensqualität und Patientenzufriedenheit:<br />

• Die Qualität soll erhöht, gleichzeitig müssen<br />

Fehler eliminiert werden.<br />

• Der Prozess soll kostengünstig sein.<br />

• Eine Reduzierung der Durchlaufzeit soll ermöglicht<br />

werden.<br />

Idealer Weise werden alle drei Säulen gleichwertig<br />

berücksichtigt. (s. Abb. 2 »Elemente des<br />

Prozessmanagements«)<br />

Entlassmanagement<br />

Abbildung 2:<br />

Elemente des<br />

Prozessmanagements<br />

Quelle:<br />

Zapp, W. (2010): S. 35<br />

in Anlehnung an Gaitanides,<br />

M., Scholz, R., Vrohlings,<br />

A. (1994): S. 16<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement 61


Entlassmanagement<br />

Ausschlaggebend für die Entscheidung für eine<br />

bestimmte Prozessgestaltung war die Nutzung<br />

von Wirtschaftlichkeitsreserven. Die Anwendung<br />

der Prozesskostenrechnung stand<br />

anfangs auch zur Auswahl, wurde dann jedoch<br />

nicht weiter verfolgt. Der Grund war, dass die<br />

Prozesskostenrechnung ein sehr aufwändiges<br />

Instrument ist. Sie kann gegebenenfalls fallweise<br />

eingesetzt werden. Die reine Berechnung<br />

der Prozesskosten führt auch nicht zu einer<br />

Reduzierung der Kosten. Die Ergebnisse müssten<br />

mit anderen verglichen werden. Es war daher<br />

kritisch zu hinterfragen, ob nicht eher die<br />

bereits angewendeten Kostenrechnungssysteme<br />

(z.B. flexible Plankostenrechnung oder<br />

Deckungsbeitragsrechnung) als aussagefähige<br />

Instrumente ausgebaut werden sollten. Ergänzt<br />

um ein Prozesscontrolling können sie als<br />

Grundlage von Managemententscheidungen<br />

herangezogen werden.<br />

Im Rahmen des Optimierungsprozesses wurde<br />

der Zeitfaktor als eines der wichtigsten Optimierungskriterien<br />

verfolgt, da durch eine erhöhte<br />

Prozessdauer die Kosten in der Regel<br />

steigen, das Wohlbefinden sowie die Zufriedenheit<br />

des Patienten dagegen abnehmen. Das<br />

Messen bzw. die Reduzierung der Durchlaufzeiten<br />

ist daher ein entscheidendes Kriterium.<br />

Gute Ideen und Vorschläge für die Entlassung<br />

bietet der Expertenstandard »Entlassungsmanagement<br />

in der Pflege«. Besonders Patienten<br />

bestimmter Risikogruppen für poststationäre<br />

Probleme können durch die Empfehlungen<br />

optimaler übergeleitet werden. Insbesondere<br />

kann der so genannte »Drehtüreffekt« und damit<br />

auch die Fallzusammenführungen (nach §2<br />

FPV) mit einer gut organisierten Überleitung<br />

reduziert werden.<br />

Neben dem »Expertenstandard Entlassungsmanagement<br />

in der Pflege« wurde für die Sollkonzeption<br />

maßgeblich das Prinzip des »Lean<br />

Hospital Management« berücksichtigt. Dabei<br />

sollen die Prozesse und Teilschritte patientenorientierter<br />

gestaltet und Verschwendung<br />

(muda) reduziert werden. Dazu gehört beispielsweise<br />

die Vermeidung von Doppeluntersuchungen,<br />

aber auch die Reduzierung von<br />

Leerzeiten/Liegezeiten. Es geht also nicht um<br />

die Verkürzung der Verweildauer insgesamt,<br />

sondern um die Zeit, in der mit oder am Patienten<br />

nichts geschieht, d.h. keine Diagnostik,<br />

keine Behandlung, kein Transport.<br />

Case Management installiert<br />

Für die Entlassung des Patienten ist es wichtig,<br />

dass die Überleitung in die poststationäre<br />

Phase frühzeitig geplant wird. Gerade das war<br />

ein entscheidender Punkt dafür, im Einbecker<br />

BürgerHospital ein Case Management zu installieren,<br />

das den gesamten Fall von Anfang bis<br />

zum Ende begleitet.<br />

Interdisziplinäre Visite eingeführt<br />

Von großer Bedeutung war außerdem die Einführung<br />

einer interdisziplinären Visite, an der<br />

die Berufsgruppen Pflegedienst, Überleitungsbzw.<br />

Case-Mangement, Ärzte und das medizinische<br />

Controlling teilnehmen. Ziel ist eine<br />

verbesserte Kommunikation untereinander.<br />

Gleichzeitig sollen alle jederzeit einen gemeinsamen<br />

Kenntnisstand zum Zustand des jeweiligen<br />

Patienten, zu Statusveränderungen und<br />

zu den noch notwendigen Behandlungstagen<br />

haben – ein roter Faden, an dem sich die beteiligten<br />

Berufsgruppen orientieren können.<br />

Die nächsten Behandlungsschritte können so<br />

frühzeitig geplant und verbindlich vereinbart<br />

werden. Hiermit soll eine Verkürzung der Leerzeiten/Liegezeiten<br />

erreicht werden. Wenn ein<br />

Patient mehrere Tage ohne Diagnostik und Therapie<br />

im Krankenhaus verbringt, ist dies nicht<br />

nur unwirtschaftlich, sondern auch nicht im<br />

Interesse des Patienten.<br />

Bessere Absprache zur poststationären<br />

Medikamentenversorgung<br />

Eine verbesserte Absprache bezüglich der<br />

poststationären Medikamentenversorgung ist<br />

ebenfalls Teil des Sollkonzepts. Sowohl die Patienten<br />

als auch die Pflege müssen rechtzeitig<br />

wissen, wie die weitere Medikamentenversorgung<br />

verläuft. Sollen Medikamente mitgegeben<br />

werden, wenn ja, in welchem Ausmaß oder kann<br />

der Hausarzt für eine Rezeptierung konsultiert<br />

werden? Entlassungszeitpunkt und Öffnungszeiten<br />

des niedergelassenen Arztes müssen<br />

übereinstimmen. Eine Alternative zur Ausstellung<br />

von Rezepten kann auch die kassenärztliche<br />

Notdienstambulanz sein.<br />

Diagnostik-Aufträge<br />

künftig systembasiert<br />

Für eine schnellere Bearbeitung und geringeren<br />

Aufwand für Arzt und Pflege sollen die<br />

Diagnostik-Aufträge in Zukunft systembasiert<br />

über das ORBIS angefordert werden. Allerdings<br />

wurde die Umstellung der Diagnostik-Aufträge<br />

bereits vor der Prozessanalyse in Betracht gezogen.<br />

Eine Arbeitsgruppe dafür ist bereits gebildet<br />

worden.<br />

Aufenthaltslounge für<br />

zu entlassende Patienten<br />

Damit am Tag der Entlassung das Zimmer respektive<br />

das Bett des Patienten möglichst<br />

schnell für den nächsten Patienten zur Verfü-<br />

62<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement


Entlassmanagement<br />

gung stehen, soll in den kommenden Monaten<br />

eine Aufenthaltslounge entstehen. Hier können<br />

die zu entlassenden Patienten warten, bis<br />

der Entlassungsbrief oder andere Dokumente<br />

fertiggestellt sind. Mit modernem Flat-TV,<br />

aktueller Tageszeitung und einer Auswahl an<br />

Zeitschriften lässt sich die Wartezeit gut verbringen.<br />

Ein Kaffee- oder Getränkeautomat<br />

steht ebenfalls zur Verfügung. Es besteht zudem<br />

immer die Möglichkeit, auf fachliche Hilfe<br />

zurückzugreifen.<br />

Veränderung des Entlassbriefes<br />

Verändert wird auch der Entlassungsbrief. Bisher<br />

wurde er nur für den weiterbehandelnden<br />

Arzt formuliert. Für die poststationäre<br />

Behandlung ist das zwar sehr wichtig, für die<br />

Information des Patienten hat er allerdings<br />

keinen direkten Wert. Häufig sind die klassischen<br />

Entlassungsbriefe so formuliert, dass<br />

viele Patienten den Inhalt nicht verstehen. Zwar<br />

werden Diagnosen, Verlauf, neuverordnete Medikamente<br />

und das weitere Vorgehen nach dem<br />

Krankenhausaufenthalt oft im Arzt-Patienten-<br />

Gespräch behandelt, doch gerade ältere Patienten<br />

vergessen den Inhalt dieses Gesprächs<br />

oft. Ein für den Patienten verständlicher Entlassungsbrief<br />

mit kurzem und prägnantem Inhalt<br />

würde daher den Wert für ihn selbst steigern.<br />

Inhaltlich sollte der Brief die Diagnosen<br />

und den Verlauf beschreiben. Die neuverordnete<br />

oder geänderte Medikation sollte ebenfalls<br />

verständlich abgebildet werden. Weitere Empfehlungen<br />

wie Mobilisierung, sportliche Aktivitäten,<br />

Ernährung oder weitere Facharztbesuche<br />

könnten ebenfalls dazu gehören.<br />

Die Änderungen im Überblick<br />

• Einführung eines Case-Managements (Qualitätsverbesserung und Verkürzung der<br />

Verweildauer, insbesondere der Liegezeiten)<br />

• Einführung einer interdisziplinären Visite mit den Berufsgruppen Pflege, Case-<br />

Management, Ärzten und medizinischem Controlling (bessere Kommunikation,<br />

Transparenz und roter Faden für Patienten und Mitarbeiter, Reduzierung der<br />

Liegezeiten)<br />

• Bessere Absprache der poststationären Medikamentenversorgung (Patientenorientierung,<br />

Meidung von Versorgungsbrüchen)<br />

• Änderung der Diagnostik-Aufträge - statt Formulare in Zukunft systembasiert<br />

über ORBIS (Reduzierung von Liegezeiten, Beschleunigung der Transferzeit vom<br />

Antragsteller zum Durchführenden)<br />

• Errichtung einer Aufenthaltslounge für zu entlassende Patienten (Patientenorientierung,<br />

nachgelagerte Prozesse werden weniger beeinträchtigt)<br />

• Einführung eines zusätzlichen, für Patienten verständlichen Entlassungsbriefes<br />

(Patientenorientierung, Wertschöpfung für den Kunden (Patienten) erhöhen.)<br />

Das Einbecker BürgerSpital<br />

Foto: Franke/connectHC<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement 63


Entlassmanagement<br />

Abbildung 3:<br />

Der Entlassungsprozess.<br />

Eigene Darstellung in Anlehnung an GSG Consulting GmbH sowie Service Blueprinting<br />

Quelle: Zapp,W. Dorenkamp, A. (2002): S.127 sowie Schubert, E. (2013): S. 59)<br />

Abbildung 3 stellt den Entlassungsprozess in<br />

Form eines Prozessplans dar, wobei nicht alle<br />

Teilschritte und nicht alle genannten Verbesserungen<br />

abgebildet sind. Die Arbeitsteilung soll<br />

die Fragen »Wer macht was, wann, in welcher<br />

Reihenfolge?« beantworten.<br />

Fazit<br />

Gibt es also Hoffnung beim Entlassmanagement?<br />

Ein deutliches »Ja« ist die Antwort. In<br />

allen Bereichen des Krankenhauses hat sich die<br />

Erkenntnis durchgesetzt, dass die strukturierte<br />

Entlassung nicht nur ein erlös- und kostenrelevantes<br />

Thema darstellt, sondern dem Patienten<br />

und seinen Angehörigen ebenso wie den nachsorgenden<br />

Einrichtungen entgegenkommt. Zudem<br />

lassen sich viele Abläufe im Krankenhaus<br />

vernünftiger und schlanker gestalten. Auch<br />

wenn es auf dem praktischen Weg immer noch<br />

Fallstricken geben wird – es lohnt sich!<br />

Umfangreiche Literaturliste und Quellen<br />

bei den Verfassern<br />

Der Dank gilt Prof. Dr. Winfried Zapp von<br />

der Hochschule Osnabrück, dessen wichtige<br />

Arbeiten zum Prozessmanagement für die<br />

Vorbereitung und Umsetzung des Projektes<br />

„Entlassmanagement im Einbecker BürgerHospital“<br />

von großem Wert und großer<br />

Hilfe waren.<br />

64<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement


Verlegungsmanagement:<br />

Krankenhaus - Pflegeeinrichtung –<br />

Krankenhaus<br />

Strukturierte Überleitung sichert Weiterversorgung und Behandlungsergebnisse<br />

Entlassmanagement<br />

Das Klinikum Ingolstadt gehört mit rund 3.300 Mitarbeitern und 21 Kliniken und<br />

Instituten zu den größten Unternehmen in der Region. Der Gesundheitscampus<br />

rund um das Schwerpunktkrankenhaus umfasst ein Ärzte-Haus, ein Geriatrie- und<br />

Rehazentrum, ein Hollis-Facharztzentrum mit allen Disziplinen der Medizin sowie<br />

gewerblichen und sozialen Anbietern. Im Jahr 2012 wurde darüber hinaus ein neues<br />

Alten- und Pflegeheim mit 160 Betten, orientiert an einem modernen Pflegekonzept,<br />

in Betrieb genommen. In der im Ärztehaus ansässigen Gesundheits-Akademie des<br />

Klinikums werden für interne und externe Teilnehmer Seminare, Fort- und Weiterbildungen<br />

sowie Kurse aus verschiedenen aktuellen Themenbereichen angeboten.<br />

Nicht erst seitdem der Gesetzgeber den Krankenhäusern<br />

die Pflicht zum Entlassmanagement<br />

ins Gesetz geschrieben hat, bemüht<br />

sich das Klinikum Ingolstadt darum. Vielfach<br />

geht es dabei nicht nur um die Entlassung eines<br />

Patienten, sondern um die strukturierte<br />

Verlegung in eine andere Versorgungsform. In<br />

enger Zusammenarbeit mit ambulanten Pflegediensten<br />

und weiteren Pflegeheimen wurde<br />

ein Pflegeüberleitungsbogen erarbeitet, der<br />

eine reibungslose Entlassung in eine Weiterversorgung<br />

durch einen gesicherten und einheitlichen<br />

Informationsfluss unterstützen<br />

sollte. Die Anwendungserfahrungen sind gut,<br />

allerdings werden durch sich kontinuierlich<br />

verändernde Rahmenbedingungen immer Anpassungen<br />

und gemeinsame Weiterentwicklung<br />

notwendig bleiben, um den gemeinsamen<br />

Informationsbedarfen im Sinne des Patienten<br />

bzw. Bewohners jederzeit gerecht werden zu<br />

können.<br />

Für einen wirtschaftlichen Betrieb sind Krankenhäuser<br />

gezwungen, alle Prozesse von der<br />

Aufnahme bis zur Entlassung fallgruppenebenso<br />

wie einzelfallbezogen so exakt und früh<br />

wie möglich voraus zu planen, um Abweichrisiken<br />

rechtzeitig zu erkennen und entsprechend<br />

steuern zu können. Mit der Einführung von<br />

Versorgungspfaden und einem Fallmanagement<br />

werden im Klinikum Ingolstadt komplexe<br />

Versorgungsprozesse geplant, koordiniert und<br />

überwacht. Zur Vermeidung von Wiederaufnahmen,<br />

die hauptsächlich für die Patienten sehr<br />

belastend sein können, aber auch ein finanzielles<br />

Problem für das Krankenhaus darstellen,<br />

muss die Versorgung des Patienten nach seiner<br />

Entlassung sicher und nahtlos, seiner Situation<br />

entsprechend, gewährleistet sein. Dazu gehört<br />

neben der ärztlichen Nachsorge durch den niedergelassenen<br />

Haus- und/oder Facharzt insbesondere<br />

bei älteren Patienten auch eine die Situation<br />

stabilisierende, qualifizierte Pflege. All<br />

dies kann durch ein gut organisiertes Entlassoder<br />

Überleitungsmanagement zielgerichtet<br />

vorbereitet werden.<br />

Verbindliche Absprachen<br />

aller Beteiligten<br />

Durch das Entlassmanagement soll die bedarfsadäquate<br />

Versorgung nach der Übergabe<br />

an weitere Anbieter von Gesundheitsleistungen<br />

sichergestellt werden. Dafür ist eine patienten-<br />

und situationsorientierte Kommunikation<br />

zwischen den beteiligten ambulanten und stationären<br />

Leistungserbringern grundlegend und<br />

unabdingbar.<br />

Zu einer geplanten und sicheren Entlassung<br />

aus der akutstationären Behandlung im Krankenhaus<br />

gehört bei weitem mehr als die Übermittlung<br />

der medizinischen Diagnose an den<br />

nachbehandelnden und -betreuenden Bereich.<br />

Der Patient und seine Angehörigen müssen von<br />

Anfang an mit in die Planung einbezogen und<br />

über jeden Schritt in verständlicher Form informiert<br />

sein, um vermeidbare Unsicherheit auszuschließen.<br />

So kann bereits im Krankenhaus<br />

die erforderliche Pflege nach der Entlassung,<br />

Franz Hartinger<br />

Einrichtungsleiter Altenund<br />

Pflegeheim Klinikum<br />

Ingolstadt GmbH, Vorsitzender<br />

der Fachgruppe<br />

Pflegeeinrichtungen des<br />

Verbandes der Krankenhausdirektoren<br />

Deutschlands<br />

(<strong>VKD</strong>)<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement 65


Entlassmanagement<br />

»Gut beraten sind Krankenhäuser,<br />

die kooperative<br />

Fallmanagementkonzepte<br />

mit ambulanten Pflegediensten<br />

und Pflegeeinrichtungen<br />

pflegen, um das<br />

Zusammenspiel der Bereiche<br />

im Sinne einer positiven<br />

Weiterentwicklung bereits<br />

erfolgter Lösungsschritte zu<br />

intensivieren und durch die<br />

gemeinsame Verantwortung<br />

für ein reibungsarmes<br />

Verlegungsmanagement<br />

dem Anspruch der übergreifenden<br />

Prozessorientierung<br />

und –optimierung<br />

Rechnung tragen.«<br />

Franz Hartinger<br />

unter Berücksichtigung der familiären Umgebungssituation,<br />

gemeinsam organisiert werden.<br />

Dabei muss die Gefahr einer möglichen Überforderung<br />

pflegender Angehöriger durch die<br />

involvierten Experten immer mit im Blick behalten<br />

werden.<br />

Um eine zeitgerechte Entlassung aus dem<br />

Krankenhaus zu erreichen, sind nach Erstellung<br />

der Planung mit allen am weiteren Versorgungsprozess<br />

beteiligten Personen und Institutionen<br />

verbindliche Absprachen zu treffen.<br />

Für den Patienten ist die Abstimmung zwischen<br />

Hausarzt, ambulantem Pflegedienst, Apotheken<br />

sowie Sanitätshäusern, Therapeuten und<br />

nicht zuletzt den Angehörigen sehr wichtig,<br />

denn die Erwartungen der einzelnen Akteure<br />

sind oft völlig unterschiedlich und müssen auf<br />

einen Nenner gebracht werden. Bei fehlender<br />

oder ungenügender Abstimmung ist der Patient<br />

der Leidtragende, möglicherweise mit der Konsequenz<br />

der Rehospitalisierung, die, wie bereits<br />

erwähnt, auch für das Krankenhaus ein Problem<br />

darstellen kann.<br />

Gemeinsamer Überleitungsbogen<br />

Um die Überleitung der betreffenden Patienten<br />

strukturiert organisieren zu können, entstand<br />

vor einigen Jahren in enger Zusammenarbeit<br />

mit ambulanten Pflegediensten und weiteren<br />

Pflegeheimen ein sog. Pflegeüberleitungsbogen,<br />

der eine reibungslose Entlassung in eine<br />

Weiterversorgung durch einen gesicherten und<br />

einheitlichen Informationsfluss unterstützen<br />

sollte.<br />

Der Überleitungsbogen ist so strukturiert, dass<br />

er die für die Versorgung wesentlichsten Informationen<br />

enthält. Es werden Fragen beantwortet,<br />

die bei der Verlegung oder Entlassung eines<br />

Patienten an den behandelnden Haus- oder<br />

Facharzt, den ambulanten Pflegedienst oder<br />

auch in ein Pflegeheim gestellt werden müssen,<br />

um eine optimale Weiterbehandlung oder –betreuung<br />

zu sichern Das Formular ist als Pendelinstrument<br />

konzipiert. Es begleitet den Patienten<br />

bzw. Bewohner immer, wenn eine Verlegung<br />

zwischen den Bereichen erfolgt und enthält so<br />

immer die aktuellsten Informationen aus dem<br />

Krankenhaus für den nachbehandelnden/-versorgenden<br />

Bereich und umgekehrt.<br />

Dabei handelt es sich einerseits um Basisinformationen<br />

zur Betroffenensituation sowie den<br />

Einweisungsgrund bzw. die –diagnose, Zuständigkeiten,<br />

Kontakte und Erreichbarkeit der involvierten<br />

Institutionen und Personen.<br />

Darüber hinaus sind Informationen über die<br />

familiäre, soziale und Betreuungssituation mit<br />

entsprechenden Hinweisen auf einschlägige<br />

Dokumente, wie z.B. Vorsorgevollmacht, Patientenverfügung<br />

etc., sowie den aktuellen Stand<br />

hinsichtlich der Weiterversorgungssituation<br />

enthalten.<br />

Wichtige behandlungs- und versorgungsrelevante<br />

Informationen zur Medikation, zu Diagnosen,<br />

Therapie, Risiken, Pflegebedarf, Mobilität,<br />

Ernährungs- und Allgemeinzustand,<br />

persönlichen Gewohnheiten etc. sowie zu den<br />

benötigten bzw. mitgeführten persönlichen<br />

Hilfsmitteln und Papieren werden im Einzelnen<br />

aufgeführt<br />

Diese umfangreichen, aber notwendigen Informationen<br />

sorgen dafür, dass der Übergang für<br />

die betreffenden Patienten/Bewohner möglichst<br />

wenige Schnittstellenprobleme mit sich<br />

bringt und alle, die sich mit seiner Behandlung,<br />

Pflege und Versorgung beschäftigen, auf dem<br />

gleichen Kenntnisstand sind. Das dient der<br />

Patientensicherheit, sorgt für Nachhaltigkeit,<br />

dient dem Erfolg der Behandlung, ermöglicht<br />

eine Verbesserung der Prozesse über Sektorengrenzen<br />

hinaus und ist daher auch wirtschaftlicher.<br />

Das neue Alten- und Pflegeheim Klinikum Ingolstadt<br />

Im Vordergrund steht bei einer gut geplanten<br />

und koordinierten Überleitung mit Blick auf<br />

die Vermeidung zu langer Krankenhausaufenthalte<br />

und häufiger, kurz aufeinanderfolgender<br />

Wiedereinweisungen in erster Linie immer das<br />

Patientenwohl, denn alle beteiligten Professionen<br />

und Institutionen sind den Grundsätzen<br />

der Qualität, Humanität und Wirtschaftlichkeit<br />

verpflichtet. Das bedeutet auch immer, den Patienten<br />

und seine Angehörigen in seiner/ihrer<br />

Würde und Autonomie zu respektieren sowie<br />

ihn/sie von Anfang an in den Versorgungsprozess<br />

mit einzubeziehen.<br />

66<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement


Entlassmanagement<br />

Strukturierte Verlegungen<br />

auch durch Konsiliarärzte<br />

Seit 2013 hat sich nun die Situation in Ingolstadt<br />

weiter verändert. Als der Überleitungsbogen<br />

entstand, gab es noch mehr ambulante<br />

Pflegedienste und das Klinikum konnte mehr<br />

stationäre Pflegeplätze anbieten, da es selbst<br />

über rund 100 stationäre eigene Pflegeplätze<br />

mehr verfügte. Mit der Eröffnung einer neuen<br />

Pflegeeinrichtung wurden diese um insgesamt<br />

80 somatische Plätze reduziert und an andere<br />

Heimbetreiber übergeben. Die klinikeigene<br />

Einrichtung ist nun ausschließlich psychiatrischen<br />

Pflegefällen vorbehalten und voll belegt.<br />

Die Verlegungen der noch vorhandenen psychiatrischen<br />

Bewohner in das Zentrum für psychische<br />

Gesundheit im Klinikum Ingolstadt und<br />

zurück, läuft sehr strukturiert ab. Hier spielt<br />

der Überleitungsbogen nicht dieselbe Rolle wie<br />

bei Verlegungen in externe Pflegeeinrichtungen<br />

oder zu ambulanten Diensten. Der Grund dafür<br />

ist, dass die Bewohner bei bestimmten Voraussetzungen<br />

durch dieselben Ärzte konsiliarisch<br />

sowohl im Heim als auch im Krankenhaus versorgt<br />

werden und eine Vielzahl von ihnen immer<br />

wieder im Klinikum in akutstationärer, psychiatrischer<br />

Behandlung ist und damit auch dem<br />

dortigen Pflegepersonal oft gut bekannt ist.<br />

Notwendigkeit strukturierter<br />

Verlegungen wächst<br />

Nicht jeder Patient des Krankenhauses benötigt<br />

eine umfangreich gesteuerte Entlassung.<br />

Der Bedarf für und der Anspruch an eine<br />

strukturierte Überleitung von Patienten in die<br />

Klinik hinein und von der Klinik in andere Betreuungsbereiche<br />

wird aus bekannten Gründen<br />

aber immer mehr zunehmen. Die Zahl der<br />

pflegebedürftigen Menschen wächst mit der<br />

demografischen Entwicklung. Die Zahl der Behandlungsfälle<br />

im Krankenhaus steigt damit<br />

ebenfalls. Gegenläufig entwickelt sich die Anzahl<br />

akutstationärer Betten.<br />

Für gemeinsame Mahlzeiten in der psychiatrischen Eingliederungshilfe<br />

Inzwischen stellen die Patienten ab 75 Jahre<br />

die bedeutendste Gruppe derjenigen, die aus<br />

dem Krankenhaus entlassen werden. Die über<br />

Achtzigjährigen leiden vielfach unter mehreren<br />

Krankheiten (Multimorbidität) und sind<br />

häufig hilfe- und pflegebedürftig. Diese Patientengruppe<br />

hat einen erhöhten poststationären<br />

Hilfebedarf und benötigt zwingend eine<br />

professionelle Überleitung. Allerdings bildet<br />

das Vergütungssystem der DRGs als Maßnahme<br />

zur Kostensenkung und Verweildauerverkürzung<br />

in Krankenhäusern diesen notwendigen<br />

Betreuungsaufwand nicht ab. Die Kliniken<br />

sind dennoch gefordert, in einer letztlich vorgegebenen<br />

Zeit ihre Leistungen zu erbringen.<br />

Gleichzeitig haben sie zu beachten, dass der<br />

erhöhte Zeit- und Kostendruck nicht zu einer<br />

Unterversorgung führt. Außerdem geht die<br />

Wiederaufnahme innerhalb kurzer Zeit nach einem<br />

akutstationären Aufenthalt mit derselben<br />

Diagnose zu deren finanziellen Lasten.<br />

Angesichts der in vielen Krankenhäusern zu<br />

konstatierenden notorischen Finanzprobleme<br />

müssten die Verweildauern als Möglichkeit der<br />

Kostensenkung weiter verkürzt werden. Das ist<br />

aber gerade angesichts der zunehmenden Zahl<br />

hochbetagter und alter Patienten mit ihren typischen<br />

Erkrankungen nicht mehr in dem Maße<br />

möglich, wie vielleicht in den 1990er Jahren.<br />

Zu bedenken ist außerdem, dass mit der Versorgungskomprimierung<br />

und der damit verbundenen<br />

Intensivierung des Behandlungsund<br />

Pflegeaufwandes nicht zwingend Kosten<br />

gespart werden, da die Leistungsdichte pro Patient<br />

und Tag steigt.<br />

Probleme<br />

Die meisten Patienten können nach der Krankenhausentlassung<br />

zurück in die eigene Häuslichkeit<br />

und werden sehr häufig durch Angehörige<br />

und ggf. mit Unterstützung eines<br />

ambulanten Pflegedienstes ausreichend versorgt.<br />

Gerade bei Patienten, die aufgrund eines<br />

akuten Ereignisses (Unfall, Schlaganfall,<br />

Herzinfarkt u. a.) bzw. einer entgleisten Grunderkrankung<br />

(z. B. Demenz, Herzinsuffizienz, u.<br />

a.) einen stationären Aufenthalt benötigen, ist<br />

die Nachversorgung jedoch trotz verschiedener<br />

Bemühungen der Krankenhäuser für die Patienten<br />

in ihrer Versorgungsrealität bisher nicht<br />

ausreichend geregelt, weil es vielfach an einem<br />

strukturierten Entlassmanagement fehlt.<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement 67


Entlassmanagement<br />

Eines der Zimmer<br />

im psychiatrischen<br />

Bereich<br />

Fotos: Klinikum Ingolstadt<br />

Ist die Rückkehr an den bisherigen Lebensort<br />

nicht ausreichend sichergestellt, ist zur Kontinuität<br />

der Versorgung eine stationäre Pflegeeinrichtung<br />

für einen Kurzzeitpflegeaufenthalt<br />

oder dauerhaft zu finden. Letzteres erfordert<br />

die Einstufung in eine Pflegestufe. Ein Problem<br />

ist es häufig auch, für den Patienten zügig eine<br />

notwendige Rehabilitation zu ermöglichen.<br />

Nicht alle am Entscheidungs- und Genehmigungsprozess<br />

Beteiligten können so zeitnah<br />

handeln, wie es für eine notwendige Verlegung<br />

erforderlich wäre. Erschwerend kommt hinzu,<br />

dass ein freier Platz in einer Rehabilitationseinrichtung<br />

nicht die Regel ist.<br />

Mit all diesen Problemen ist nicht nur das verlegende<br />

Krankenhaus konfrontiert. Auch die<br />

Anforderungsliste für Patient und Angehörige<br />

wird nicht kürzer. Insbesondere bei unvorhergesehenen<br />

Verlegungen in Pflegeeinrichtungen<br />

sind die Angehörigen stark belastet. Die wiederum<br />

meist älteren, teils hochbetagten Patienten<br />

und ihre oftmals gleichaltrigen Angehörigen<br />

benötigen dringend Hilfe durch weitere<br />

Personen.<br />

Während die Patienten eine Verlegung von einem<br />

Krankenhaus in eine stationäre Pflegeeinrichtung<br />

nicht selten als interne Verlegung im<br />

Krankenhaus erleben, ist für die Angehörigen<br />

ein enormer administrativer Aufwand zu bewältigen.<br />

Dabei erwarten Angehörige bei einer<br />

Verlegung in eine weitere stationäre Einrichtung,<br />

dass alle notwendigen Dinge durch die<br />

beteiligten Institutionen erledigt werden. Hier<br />

bedarf es großer Unterstützung, um es bei der<br />

Verlegung nicht zu einem Versorgungseinbruch<br />

kommen zu lassen.<br />

Das bedeutet auch, dass Patient und Angehörige<br />

ausreichend informiert werden und alle<br />

erforderlichen Heil- und Hilfsmittel sowie die<br />

dazu notwendigen Verordnungen zum Zeitpunkt<br />

der Verlegung bereitstehen bzw. vorliegen.<br />

Verschiedentlich kommt es bei unvorhergesehenen<br />

Verlegungen in Pflegeeinrichtungen<br />

auch dazu, dass der bislang vertraute Hausarzt<br />

aus Entfernungsgründen seinen Patienten nicht<br />

weiter versorgen kann und zeitnah ein neuer<br />

vom Patienten gewählt werden muss. Grundsätzlich<br />

halten weder Pflege- noch Rehabilitationseinrichtungen<br />

freie Plätze vor, die eine<br />

notfallmäßige Aufnahme ermöglichen. In vielen<br />

Regionen sind stationäre (Kurzzeit-) Pflegeplätze<br />

Mangelware und die Einrichtungen führen<br />

Wartelisten. Hier wird der Entlassungsaufwand<br />

aus dem Krankenhaus bzw. die Aufnahme<br />

in eine Folgeeinrichtung durch zusätzliche Anforderungen<br />

erhöht.<br />

Fazit<br />

Eine kontinuierliche poststationäre Versorgung<br />

der Patienten erfordert ein Pflegeassessment<br />

durch die verlegende Einrichtung als Basis für<br />

die bereichs- und sektorenübergreifende Behandlung<br />

und Betreuung. Ziel ist, Folgeschäden<br />

für den Patienten und Folgekosten für das<br />

Krankenhaus durch Versorgungseinschnitte<br />

zu vermeiden. Durch eine geplante und abgestimmte<br />

Überleitung können Patienten früher<br />

entlassen werden und niedergelassene Ärzte<br />

die Behandlung bei gleichzeitiger organisatorischer<br />

Entlastung fortführen. Ambulante Pflegedienste<br />

oder die nachfolgende Einrichtung<br />

profitieren dabei von der verbesserten Koordination.<br />

Je nach Notwendigkeit sind dafür unterschiedliche<br />

Maßnahmen erforderlich. Pflegeüberleitung<br />

ist ein Prozess, der sich eng auf den<br />

Zustand und die Bedürfnisse der betreffenden<br />

Patienten einstellen muss. Das beginnt bereits<br />

bei der Aufnahme ins Krankenhaus.<br />

Gut beraten sind Krankenhäuser, die kooperative<br />

Fallmanagementkonzepte mit ambulanten<br />

Pflegediensten und Pflegeeinrichtungen<br />

pflegen, um das Zusammenspiel der Bereiche<br />

im Sinne einer positiven Weiterentwicklung<br />

bereits erfolgter Lösungsschritte zu intensivieren<br />

und durch die gemeinsame Verantwortung<br />

für ein reibungsarmes Verlegungsmanagement<br />

dem Anspruch der übergreifenden Prozessorientierung<br />

und –optimierung Rechnung tragen.<br />

Der Gesundheitscampus des Klinikums der Maximalversorgung mit modernstem<br />

Pflegeheim und stationärem Hospiz sowie deren engen Verbindungen in die Kliniken<br />

hinein bietet beste Bedingungen für pflegebedürftige Patienten. Eine Servicestation<br />

als zentrale Anlaufstelle an der Verbindung zwischen Klinikum und Pflegeheim<br />

ermöglicht für Bewohner und Mitarbeiter kurze Wege – eine wichtige räumliche<br />

Voraussetzung für eine optimale Versorgung der Heimbewohner. Die unmittelbare<br />

Nähe vor allem zum Zentrum für Psychische Gesundheit ist ideal für die psychisch<br />

kranken Bewohner und auch für die Ärzte. Für alle Bewohner des Heims ergibt sich<br />

- bei Bedarf - neben der haus- und fachärztlichen Versorgung aus der unmittelbaren<br />

Anbindung an das Klinikum ein direkter Zugang zur medizinischen Kompetenz.<br />

68<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement


Entlassmanagement<br />

Familiale Pflege – der Übergang<br />

vom psychiatrischen Krankenhaus<br />

in die häusliche Pflege<br />

Unterstützung für pflegende Angehörige: Beraten – Begleiten – Schulen - Trainieren<br />

Die LVR Klinik Langenfeld ist ein modernes Fachkrankenhaus für Psychiatrie,<br />

Neurologie und Psychotherapie. Insgesamt werden mehr als 900 Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeiter beschäftigt. Die Gesamtklinik umfasst 32 Stationen und vier<br />

Tageskliniken mit insgesamt 663 Behandlungsplätzen. Es gibt u.a. Fachabteilungen<br />

für: Allgemeine Psychiatrie, Gerontopsychiatrie und Neurologie, Abhängigkeitserkrankungen,<br />

Forensische Psychiatrie und Therapeutische Dienste.<br />

Um eine Wiedereingliederung in Beruf und Gesellschaft zu erleichtern, wurden<br />

vier Tageskliniken in den Gemeinden des Versorgungsgebietes (zwei allgemeinpsychiatrische<br />

in Leverkusen und Hilden sowie zwei gerontopsychiatrische in<br />

Langenfeld und Solingen) eröffnet. Die Patientinnen und Patienten werden hier<br />

tagsüber professionell und wohnortnah behandelt.<br />

Die Klinik verfügt zudem über spezialisierte Ambulanzen: die Ambulanz für<br />

Migrantinnen und Migranten, zwei Ambulanzen für Abhängigkeitserkrankungen,<br />

eine Ambulanz für geistig behinderte Erwachsene, eine Traumaambulanz, eine<br />

forensische Ambulanz und zwei gerontopsychiatrische Ambulanzen.<br />

Das Einzugsgebiet umfasst die kreisfreien Städte Leverkusen, Solingen, den<br />

mittleren und südlichen Teil des Kreises Mettmann sowie die Städte Leichlingen<br />

und Burscheid.<br />

Silke Ludowisy-Dehl<br />

Pflegedirektorin<br />

LVR-Klinik Langenfeld<br />

Mehr als zwei Drittel der pflegebedürftigen<br />

Menschen in Deutschland werden von ihren<br />

Familien in häuslicher Umgebung versorgt.<br />

Angehörige werden mit einer anstehenden<br />

Pflegesituation häufig erstmalig während<br />

einer Krankenhausbehandlung konfrontiert.<br />

Das Förderprogramm »Familiale Pflege« soll<br />

den Übergang vom Krankenhaus in die häusliche<br />

Pflege optimieren. Vor zwei Jahren wurde<br />

die Psychiatrie in das Förderprogramm aufgenommen.<br />

Die LVR-Klinik Langenfeld berät<br />

seitdem pflegende Familien, deren Angehörige<br />

an Demenz oder Altersdepression leiden.<br />

Seit 2006 besteht das Modellprojekt der Universität<br />

Bielefeld »Familiale Pflege unter den<br />

Bedingungen der G-DRGs«, das von der AOK<br />

Rheinland/Hamburg und der AOK NordWest<br />

gefördert wird. Schwerpunkte sind die Bildung,<br />

Beratung und Unterstützung von pflegenden<br />

Angehörigen im Sinne des SGB XI. Als Unterstützungsleistungen<br />

werden Beratungsgespräche,<br />

Pflegetrainings, Initialpflegekurse und<br />

Gesprächskreise gefördert. In diesem Rahmen<br />

werden Pflegetrainerinnen und Pflegetrainer<br />

ausgebildet, die in ihren Krankenhäusern pflegende<br />

Angehörige beraten und Initialpflegekurse<br />

sowie individuelle Pflegetrainings anbieten.<br />

Die Leistungen können bis sechs Wochen nach<br />

dem Krankenhausaufenthalt in Anspruch genommen<br />

werden. Die Teilnahme an den Initialpflegekursen<br />

hingegen setzt keinen Krankenhausaufenthalt<br />

voraus. Ende 2012 stimmten<br />

die Pflegekassen in Nordrhein-Westfalen einer<br />

Erweiterung des Personenkreises analog<br />

§45a SGB XI zu. Somit können seit 2013 auch in<br />

psychiatrischen Krankenhäusern die Beratung,<br />

Kurse und Pflegetrainings für Angehörige von<br />

Patienten mit Demenz und Altersdepression<br />

angeboten werden.<br />

Schwerpunkt der Beratung sind Familiengespräche<br />

zum Aufbau eines Pflegenetzwerkes<br />

im Rahmen der Entlassungsvorbereitung.<br />

»Die Erfahrung zeigt, dass<br />

unvorbereitete Angehörige<br />

schnell mit der Pflege überfordert<br />

sind. Eine frühzeitige<br />

kritische Auseinandersetzung<br />

mit der Pflegesituation kann<br />

dies abwenden. Die Familiengespräche<br />

sind im Krankenhaus<br />

oder nach der Entlassung<br />

möglich.«<br />

Silke Ludowisy-Dehl<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement 69


Entlassmanagement<br />

Die Pflegetrainings sind individuelle aufsuchende<br />

Maßnahmen, die das Lebensumfeld des<br />

Patienten einschließen. Im Gegensatz dazu vermitteln<br />

die Initialpflegekurse grundsätzliche<br />

Kenntnisse in der psychiatrischen Pflege. Die<br />

psychiatrischen Fachklinken des Landschaftsverbandes<br />

Rheinland beteiligen sich seit 2013<br />

an diesem Modellprojekt.<br />

In der LVR-Klinik Langenfeld haben zwei pflegerische<br />

Mitarbeitende der Abteilung für<br />

Gerontopsychiatrie und Neurologie an der<br />

wissenschaftlichen Weiterbildung zum Pflegetrainer<br />

an der Universität Bielefeld teilgenommen.<br />

Schwerpunkte waren die Erweiterung<br />

der Beratungskompetenz, Konzeptionierung<br />

der Initialpflegekurse sowie die Vertiefung der<br />

Kenntnisse zu Demenz und Altersdepression.<br />

Die Mitarbeitenden sind jeweils mit der Hälfte<br />

ihrer wöchentlichen Arbeitszeit in die Angebote<br />

für die Familiale Pflege eingebunden. Mit der<br />

anderen Hälfte übernehmen sie weiterhin ihre<br />

pflegerischen Aufgaben auf den Stationen. Ziel<br />

dieser Aufteilung ist die direkte Kontaktaufnahme<br />

mit den Angehörigen während des stationären<br />

Aufenthalts. So wird ein niederschwelliger<br />

Zugang zu den Angeboten gewährleistet.<br />

Bei Patienten mit Demenz oder Altersdepression<br />

werden regelhaft die Alltagskompetenzen<br />

eingeschätzt. Die Erkenntnisse werden in den<br />

multiprofessionellen Visiten beraten. Bei vorhandenen<br />

erheblichen Einschränkungen werden<br />

die Angehörigen über die Möglichkeiten<br />

der Beratungs- und Schulungsangebote der<br />

Pflegetrainer informiert. Neben der aktiven<br />

Ansprache gibt es einen Flyer, der die Angebote<br />

erläutert und Kontaktdaten der Pflegetrainer<br />

beinhaltet.<br />

Erstgespräch sondiert<br />

Unterstützungsbedarf<br />

Der Einstieg in die Hilfen erfolgt in aller Regel<br />

zu Beginn des stationären Aufenthalts. Wenn<br />

bekannt ist, dass der Patient in einer Pflegestufe<br />

eingestuft ist oder dieses zu erwarten ist,<br />

erfragen die Pflegenden oder die Mitarbeitenden<br />

des Sozialdienstes die weitere Versorgung.<br />

Soll die Pflege von den Angehörigen übernommen<br />

werden, wird ein Erstgespräch bei den<br />

Pflegetrainern angeboten. Die Pflegesituation<br />

wird exploriert und gemeinsam mit den Angehörigen<br />

der Beratungs- und Unterstützungsbedarf<br />

herausgearbeitet. Bereits hier wird darauf<br />

hingewiesen, dass die weiteren Leistungen für<br />

die Angehörigen kostenfrei erbracht werden, da<br />

die Kosten im Rahmen des Modellprogramms<br />

von den beteiligten Krankenkassen übernommen<br />

werden. Es ist auch unerheblich, wo der<br />

Patient versichert ist. Entscheidend ist, dass<br />

eine Pflegestufe (Stufe 0 ist eingeschlossen)<br />

vorliegt bzw. zu erwarten ist.<br />

Pflegetrainings je nach Einzelfall<br />

Aus den Erstgesprächen entwickeln sich die<br />

einzelfallbezogenen Pflegetrainings während<br />

des stationären Aufenthalts. Neben praktischen<br />

Übungen, z.B. Hilfestellung bei der Körperpflege,<br />

erhalten die Angehörigen auch Schulungen<br />

zu der psychiatrischen Erkrankung des betreffenden<br />

Patienten. Derzeit liegt der Schwerpunkt<br />

auf der Demenz und der Altersdepression.<br />

Diese Erkrankungen zeichnet aus, dass sie<br />

bei jedem Menschen andere Beeinträchtigungen<br />

in den Alltagskompetenzen verursachen.<br />

Die Pflegetrainings dienen dazu, bei den Angehörigen<br />

die erforderlichen Kompetenzen für die<br />

Übernahmen der Pflege im häuslichen Bereich<br />

zu entwickeln.<br />

Die enge Einbeziehung der Angehörigen optimiert den Übergang<br />

von der psychiatrischen Klinik in das häusliche Umfeld.<br />

70<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement


Entlassmanagement<br />

Durch die zunehmende Verweildauerverkürzung,<br />

nicht nur in der Somatik sondern auch in<br />

der Psychiatrie, reicht der zeitliche Rahmen oft<br />

nicht aus. Daher können bis zu sechs Wochen<br />

nach dem stationären Aufenthalt aufsuchende<br />

Pflegetrainings in der Wohnung des Patienten<br />

durchgeführt werden. Da die Bedingungen zuhause<br />

deutlich andere sind als im Krankenhaus,<br />

erfolgen die Pflegetrainings somit unter realen<br />

Bedingungen.<br />

Für demente Patienten werden neben der somatischen<br />

Pflege insbesondere Inhalte der<br />

Pflegetechnik der Validation vermittelt. Die<br />

Angehörigen lernen die Grundzüge einer bestätigenden<br />

und wertschätzenden Umgangsweise,<br />

um besser mit z.B. herausforderndem Verhalten<br />

der dementen Person umgehen zu können. Den<br />

Auswirkungen der Depression hingegen kann<br />

mit tagestrukturierenden Maßnahmen entgegen<br />

gewirkt werden. Die Pflegetrainer entwickeln<br />

mit den Angehörigen eine Beschäftigungsstrategie.<br />

Dazu werden zunächst frühere<br />

beliebte Aktivitäten ermittelt. Bei der Freude<br />

an Bewegung werden z.B. tägliche Spaziergänge<br />

geplant. Die Pflegetrainer ermuntern zur<br />

Inanspruchnahme von professioneller Pflege,<br />

wenn die Angehörigen an die Grenzen ihrer<br />

Leistungsfähigkeit kommen. Durch die Begleitung<br />

während der schwierigen Anfangssituation<br />

wird die familiale Pflege stabilisiert.<br />

Familienberatungsgespräch (im<br />

Krankenhaus oder in der Familie)<br />

Bei Übernahme der Pflege eines Angehörigen<br />

überblicken die Familien selten, wie sich ihr<br />

Alltag verändern wird. Es ist erforderlich, die<br />

häuslichen Bedingungen für die Versorgung<br />

und Pflege realistisch einzuschätzen und die<br />

Pflegeaufgaben gerecht auf die Familienmitglieder<br />

zu verteilen. Häufig wird der Aufwand<br />

falsch eingeschätzt und die Pflege wird von<br />

nur einem Familienmitglied (häufig Ehepartner<br />

oder Tochter bzw. Sohn) übernommen.<br />

Die Familiengespräche sollen den pflegenden<br />

Angehörigen helfen, ein Pflegenetzwerk aufzubauen,<br />

damit es gelingt, die Pflege in ihren<br />

Alltag einzufügen. Ziel ist es, alle Möglichkeiten<br />

und Ressourcen des sozialen Netzwerkes des<br />

Patienten auszuschöpfen. Die Erfahrung zeigt,<br />

dass unvorbereitete Angehörige schnell mit<br />

der Pflege überfordert sind. Eine frühzeitige<br />

kritische Auseinandersetzung mit der Pflegesituation<br />

kann dies abwenden. Die Familiengespräche<br />

sind im Krankenhaus oder nach der<br />

Entlassung möglich.<br />

Qualitätscheck (in der Familie)<br />

Pflegebedürftige Personen haben einen Anspruch<br />

auf die Versorgung mit Pflegehilfsmitteln<br />

gemäß § 40 SGB XI, wenn diese dazu<br />

geeignet sind, u.a. die Pflege zu erleichtern.<br />

Dazu gehören neben Verbrauchsmitteln auch<br />

technische Hilfsmittel, wie z.B. Pflegebett oder<br />

Rollstuhl. Der Anspruch auf Finanzierung der<br />

Hilfsmittel durch die Pflegekasse umfasst auch<br />

die Kosten der Schulung zur fachgerechten<br />

Nutzung. Die Anwenderschulungen werden regelhaft<br />

durch die Sanitätshäuser durchgeführt,<br />

über die die Pflegehilfsmittel bezogen werden.<br />

Der Anspruch ist den Pflegebedürftigen und ihren<br />

Angehörigen häufig nicht bewusst, notwendige<br />

Pflegehilfsmittel werden nicht beantragt.<br />

Zudem fühlen sich die pflegenden Personen<br />

trotz Produktschulung nicht immer sicher im<br />

Umgang mit dem technischen Pflegehilfsmittel.<br />

Die Pflegetrainer bieten daher zeitnah nach<br />

der Entlassung einen Qualitätscheck an. Neben<br />

der Einschätzung, ob ausreichend Pflegehilfsmittel<br />

vorhanden sind oder richtig eingesetzt<br />

werden, wird auch zu profanen Dingen, wie z.B.<br />

Stolperfallen, beraten.<br />

Im Rahmen der psychiatrischen Behandlung<br />

nimmt die Psychopharmakotherapie eine wichtige<br />

Rolle ein. So gehört zum Qualitätscheck<br />

auch die Einschätzung zur Einnahme und Verträglichkeit<br />

der Medikamente. Zudem wird auf<br />

weitere Beratungsmöglichkeiten, z.B. Wohnraumberatung,<br />

Gerontopsychiatrische Beratung,<br />

Pflegeberatungsstellen, hingewiesen.<br />

Initialpflegekurse<br />

In den Initialpflegekursen haben die pflegenden<br />

Angehörigen die Möglichkeit, mit anderen<br />

Betroffenen in Kontakt zu treten und Grundsätzliches<br />

zur Pflege zu erlernen. Die LVR-<br />

Klinik Langenfeld bietet jeweils einen Pflegekurs<br />

zu Demenz und Altersdepression an. Es<br />

werden Kenntnisse und Fertigkeiten zum Umgang<br />

mit diesen Erkrankungen, insbesondere<br />

mit krisenhaften Zuspitzungen, vermittelt.<br />

Schulungsschwerpunkte sind Kommunikation,<br />

biografische Arbeit, Grundzüge des Pflegeversicherungsrechts<br />

sowie ambulante und stationäre<br />

Hilfsangebote.<br />

Die Teilnehmenden erarbeiten zudem einen<br />

persönlichen Notfallplan, der z.B. das Vorgehen<br />

bei einer Verschlechterung der Pflegesituation<br />

festlegt. Die Kurse werden mit bis zu zehn<br />

Teilnehmenden durchgeführt. Sie laufen über<br />

zwölf Unterrichtsstunden verteilt auf drei Tage.<br />

Die anderthalbjährige praktische Erfahrung<br />

hat gezeigt, dass die psychiatrisch geprägten<br />

Initialpflegekurse deutlich weniger nachgefragt<br />

werden als die individuellen Pflegetrainings.<br />

Das kann zum einem mit der immer noch<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement 71


Entlassmanagement<br />

vorhandenen Stigmatisierung psychischer Erkrankungen<br />

zusammenhängen, zum anderen<br />

sind allgemeine Angebote zum Umgang mit<br />

Demenz oder Altersdepression im Einzugsgebiet<br />

der LVR-Klinik Langenfeld ausreichend<br />

vorhanden.<br />

Gesprächskreise für Angehörige<br />

Selbst wenn das Wissen und die Fertigkeiten<br />

erworben sind, stellt die tägliche Pflege für viele<br />

Angehörige eine Belastung dar. Um sich mit<br />

Menschen in ähnlichen Situationen auszutauschen<br />

und gemeinsam nach Lösungsstrategien<br />

zu suchen, werden Gesprächskreise angeboten.<br />

Die Inanspruchnahme ist noch zögerlich. Es<br />

scheint für Angehörige eine große Herausforderung<br />

zu sein, mit fremden Menschen über<br />

ihre Probleme und Ängste zu sprechen, auch<br />

wenn diese sich in der gleichen Situation befinden.<br />

Die Nachfrage der Angehörigen nach Beratung<br />

und individuellen Pflegetrainings hält unvermindert<br />

an. Eine Bewerbung der Angebote war<br />

nicht erforderlich, von Anfang an war das Interesse<br />

der Angehörigen groß. Viele Betroffene<br />

überzeugte die unkomplizierte Art und Weise<br />

der Hilfeleistung. Zudem erleben sie eine Wertschätzung<br />

für ihre Pflegearbeit und erhalten<br />

Beratung sowie Hilfe aus einer Hand.<br />

Hintergrund<br />

Der fortschreitende demografische Wandel wird den Anteil der pflegebedürftigen<br />

älteren Menschen von 2,6 Mio. in 2013 weiter erhöhen. Durch die zunehmende<br />

Lebenserwartung steigt auch das Risiko der Pflegebedürftigkeit im Alter. Pflegebedürftig<br />

sind demnach Menschen, für die wegen einer körperlichen, geistigen oder<br />

seelischen Krankheit oder Behinderung auf Dauer (mindestens sechs Monate) ein<br />

Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung<br />

besteht (§§ 14 und 15 SGB XI).<br />

Im vergangenem Jahr wurde das Gesetz dahingehend ergänzt, dass auch ein<br />

erheblicher Bedarf an allgemeiner Beaufsichtigung und Betreuung zu einem<br />

Leistungsanspruch führt (§ 45a SGB XI). Der Bedarf liegt vor, wenn aufgrund<br />

demenzbedingter Fähigkeitsstörungen, geistiger Behinderungen oder psychischer<br />

Erkrankungen Menschen in ihrer Alltagskompetenz auf Dauer erheblich eingeschränkt<br />

sind. Bei vielen älteren psychisch kranken Personen liegt zwar keine<br />

Pflegestufe vor, aber ihre Alltagskompetenzen sind als Folge ihrer Erkrankung<br />

dauerhaft und erheblich eingeschränkt.<br />

Mehr als zwei Drittel aller Pflegebedürftigen werden nach Aussage des statistischen<br />

Bundesamtes zu Hause versorgt. Der überwiegende Teil bezieht ausschließlich<br />

Pflegegeld. Das bedeutet, dass die Betreffenden allein durch Angehörige gepflegt<br />

werden. Personen ohne Pflegestufe mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz<br />

wurden bisher nicht zu den Pflegebedürftigen gerechnet. Aus dem Alltag ist aber<br />

bekannt, dass die Entlassung aus der stationären psychiatrischen Behandlung in<br />

das häusliche Umfeld für viele Angehörige eine schwierige Situation darstellt. Die<br />

kompensatorische Funktion des stationären Aufenthalts ist aufgrund der verkürzten<br />

Verweildauer verschwunden. Angehörige sind gehalten, schnell eine Entscheidung<br />

über die Art und Weise der Pflege zu treffen und diese dann zu organisieren. Häufig<br />

wollen sie die häusliche Pflege selbst übernehmen.<br />

Um den Übergang besser zu begleiten und die Angehörigen auf ihre neuen Aufgaben<br />

vorzubereiten, sind Beratungs- und Schulungsangebote des psychiatrischen Krankenhauses<br />

erforderlich. Somit können Drehtüreffekte verhindert und die häusliche<br />

Pflege stabilisiert werden.<br />

72<br />

<strong>VKD</strong>-<strong>Praxisberichte</strong> <strong>2015</strong> | Patientensicherheit und Entlassmanagement


Impressum<br />

<strong>Praxisberichte</strong><br />

Zu aktuellen Fragen des<br />

Krankenhausmanagements <strong>2015</strong><br />

Kernthemen der Qualität:<br />

Patientensicherheit<br />

und Entlassmanagement<br />

Herausgeber:<br />

Verband der<br />

Krankenhausdirektoren<br />

Deutschlands e.V.<br />

Geschäftsstelle<br />

Oranienburger Straße 17<br />

D-10178 Berlin<br />

www.vkd-online.de<br />

Redaktion:<br />

Angelika Volk<br />

Redaktionsbüro Wirtschaft<br />

und Wissenschaft<br />

Bad Harzburg / Berlin<br />

kontakt@angelika-volk.de<br />

Satz / Layout:<br />

brainvibes.com<br />

D-47647 Kerken<br />

contact@brainvibes.com<br />

Druck und Verarbeitung:<br />

Vesterdruck GmbH<br />

D-47167 Duisburg<br />

www.vesterdruck.de<br />

Auflage:<br />

3.000<br />

Schutzgebühr:<br />

14,90 Euro<br />

ISBN 978-3-00-050612-3


112 Jahre<br />

... und kein bisschen leise !<br />

Gründungstag: 5. Juli 1903<br />

Gründungsort: Dresden<br />

Kernthemen der Qualität:<br />

Patientensicherheit<br />

und Entlassmanagement<br />

ISBN 978-3-00-050612-3

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