Stefanie Lenze - myKoWi.net
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Kommunikation und Wissen<br />
Nr. 2009-05<br />
<strong>Stefanie</strong> <strong>Lenze</strong><br />
Rupert Lay – Manipulation durch die<br />
Sprache –Typen manipulatorischer<br />
Technik<br />
© Redaktion <strong>myKoWi</strong>.<strong>net</strong>; Erscheinungsjahr: 2009<br />
Universität Duisburg-Essen, Campus Essen, Fakultät für Geisteswissenschaften,<br />
Institut für Kommunikationswissenschaft<br />
Universitätsstraße 12, D–45117 Essen | http://www.mykowi.<strong>net</strong> | info@mykowi.<strong>net</strong><br />
Alle Rechte vorbehalten. Jede Art von Vervielfältigung, Übersetzung, Mikroverfilmung oder<br />
auch Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen ist nur mit ausdrücklicher<br />
Genehmigung der Redaktion von <strong>myKoWi</strong>.<strong>net</strong> gestattet.
Rupert Lay│ Manipulation durch die Sprache│ <strong>Stefanie</strong> <strong>Lenze</strong><br />
Inhaltsverzeichnis<br />
Einleitung Seite 1<br />
TEIL I 1. Zur Person Rupert Lay Seite 2<br />
2. Über Manipulation durch die Sprache Seite 2<br />
TEIL II 1. Wie der Mensch zum manipulierbaren Seite 4<br />
Wesen wurde<br />
2. Es, Ich und Über-Ich Seite 7<br />
3. Die Manipulation Seite 9<br />
Fazit Seite 17<br />
Literaturverzeichnis und Abbildungsverzeichnis<br />
Prof. Dr. Reichertz │ Überzeugen und Verteidigen
1<br />
Rupert Lay│ Manipulation durch die Sprache│ <strong>Stefanie</strong> <strong>Lenze</strong><br />
Einleitung<br />
Manipulation durch die Sprache. So lautet der Titel des Buches, in dem sich der<br />
Autor Rupert Lay mit der Sprache als Instrument der Manipulation auseinander-<br />
setzt. Der vorliegenden Ausarbeitung zugrunde liegt der zweite Teil des Buches<br />
mit der Überschrift „Typen manipulatorischer Technik“. Dieser besteht aus drei<br />
Abschnitten: 1. anthropologische Vorüberlegungen, 2. Regeln der Menschen-<br />
beeinflussung und 3. Typen der Manipulation. In ihnen erläutert Lay anhand<br />
des „psychischen Apparats“ von Freud die manipulativen Auswirkungen auf die<br />
Psyche der Beteiligten in verschiedenen Kontexten.<br />
Die Ausarbeitung besteht aus zwei Teilen, die in sich relativ abgeschlossen sind.<br />
Der erste Teil enthält eine knappe Biographie über den Autor Rupert Lay, um<br />
dessen Ansicht und Position zu verdeutlichen. Dem folgen einige Notizen über<br />
das Buch Manipulation durch die Sprache, um aufzuzeigen, in welchem Kontext<br />
die weiteren Ausführungen zu verstehen sind. In jenem Abschnitt wird also die<br />
spezifische Perspektive auf die Thematik herausgestellt und die angreifbaren<br />
Eigenarten des Buches thematisiert.<br />
Im zweiten Teil der Ausarbeitung werde ich auf die anthropologischen Ansichten<br />
Lays sowie auf seine Ausführungen über den psychischen Apparat Freuds<br />
eingehen. Dabei gibt Lay eine Antwort auf die Frage, warum der Mensch<br />
manipulierbar ist. Um dies zu klären, geht er auf die Menschheitsgeschichte ein,<br />
die, wie wir sehen werden, durch philosophische und metaphysische Ansichten<br />
geprägt ist. Danach werden Freuds Es, Ich und Über-Ich vorgestellt, da Lay auf<br />
diese Begrifflichkeiten zurückgreift, um die psychischen und emotionalen<br />
Vorgänge während der Manipulation – von allen Beteiligten – zu erklären. Dabei<br />
soll die Frage beantwortet werden, inwiefern Lays Perspektiv auf den Menschen<br />
und die Verwendung der Freudschen Terminologie berechtigt ist? Zuletzt soll<br />
auf den Manipulationsbegriff eingegangen werden. In diese Definition fließen<br />
die Erkenntnisse der vorherigen Kapitel ein. Die Kenntnis des Begriffs ist<br />
natürlich von Bedeutung, da sich schließlich das gesamte Buch um die<br />
Manipulation von Menschen dreht. Was also ist Manipulation aus Sicht von<br />
Rupert Lay, wie erklärt er ihre Mechanismen und in welchem Verhältnis steht<br />
seine Auffassung zu denen anderer Autoren? Um diese Fragen zu behandeln,<br />
werde ich nicht nur regelmäßig auf die acht Regeln der Menschen-beeinflussung<br />
sowie auf die drei Manipulationstypen eingehen, sondern auch weitere Literatur<br />
hinzuziehen. Ein Fazit schließt die Arbeit ab.<br />
Prof. Dr. Reichertz │ Überzeugen und Verteidigen
Abbildung 1: Rupert Lay<br />
2<br />
Rupert Lay│ Manipulation durch die Sprache│ <strong>Stefanie</strong> <strong>Lenze</strong><br />
TEIL I<br />
1. Zur Person Rupert Lay<br />
Um die Aussagen Lays im richtigen Kontext<br />
analysieren zu können, sollte auf einige<br />
Eckdaten verwiesen werden. Rupert Lay ist<br />
ein bekannter Philosoph und Theologe.<br />
Darüber hinaus arbeitet er als Psycho-<br />
therapeut und ist erfolgreich in der Unter-<br />
nehmensberatung tätig.<br />
Seine akademische Karriere begann er an<br />
der Jesuitenhochschule Georgen in Frank-<br />
furt am Main, an der er auch habilitierte. Bis<br />
zu seiner Emeritierung im Jahr 1996 war er<br />
dort Professor für Wissenschaftstheorie,<br />
Naturphilosophie und Sprachphilosophie. In<br />
seinen zahlreichen Publikationen beschäf-<br />
tigt er sich immer wieder mit dem Verhält-<br />
nis von Moral, Glaube, Wirtschaft, Ethik,<br />
Dialektik sowie der Würde des Menschen.<br />
Im Jahr 2004 erhielt Lay den Ehrenpreis der<br />
Fairness Stiftung im Bereich Unternehmens-<br />
ethik und ethisches Management für sein<br />
Lebenswerk.<br />
2. Über Manipulation durch die Sprache<br />
Lay behandelt das Thema „sprachliche Manipulation“ m. E. auf eine ungewöhn-<br />
liche Weise, denn er erläutert nicht nur – wie es der Titel nahe legen könnte –<br />
die Funktionen und Wirkungen einzelner sprachlicher Äußerungen im Sinne der<br />
Rhetorik, sondern beschreibt in detaillierter Weise das, was seiner Meinung<br />
nach in der Psyche des Menschen passiert. Er erläutert eher psychische<br />
Mechanismen innerhalb von Situationen, in denen Sprache konstitutiver Be-<br />
standteil ist. Prinzipiell ist gegen eine Beschreibung der psychischen Vorgänge<br />
Prof. Dr. Reichertz │ Überzeugen und Verteidigen
Rupert Lay│ Manipulation durch die Sprache│ <strong>Stefanie</strong> <strong>Lenze</strong><br />
während eines manipulativen Vorgangs wenig einzuwenden 1 , jedoch weisen die<br />
Ausführungen eine Besonderheit auf, die anfechtbar ist: Lay versieht die mani-<br />
pulatorischen Absichten und Konsequenzen durchgehend mit moralischen Be-<br />
grifflichkeiten. Darauf wird bereits im Klappentext hingewiesen, in dem es heißt:<br />
„Lay scheut sich nicht, Kriterien wie »gut« und »böse« aufzustellen“ 2 . Ob er<br />
tatsächlich „die Haltung eines besserwisserischen Moralapostels“ 3 vermeidet,<br />
sollte jeder Leser selbst entscheiden. Allerdings sollten Zweifel angesichts<br />
Formulierungen wie “In dieser Welt entwickelt der Mensch eine Reihe von<br />
Verhaltensmustern, die wir zu Recht als »Tugenden« [Glauben, Hoffen, Lieben]<br />
bezeichnen können, da sie allein die destruktive Aggressivität, die dem<br />
extremen Konfliktwesen (…) Mensch zu eigen ist, dämpft.“ 4 erlaubt sein. State-<br />
ments wie diese finden sich im gesamten Buch und machen deutlich, dass<br />
Rupert Lay sein „Erbe“ als überzeugter Christ und von der europäisch<br />
geprägten Philosophie mit ihren Wertvorstellungen, Weltbildern usw. ohne<br />
Bedenken in sämtliche Thesen und Erklärungen einfließen lässt. Er nimmt damit<br />
eine klare Position ein: Lay steht für traditionelle Werte, die seiner Ansicht nach<br />
auch heute noch das Verhalten des Einzelnen bestimmen sollten. Man kann nun<br />
mit dieser tendenziellen Position übereinstimmen oder nicht.<br />
Die eigentliche Schwierigkeit dieses Buches liegt m. E. darin, dass Rupert Lay<br />
es versteht, sich gegen alle möglichen potentiellen Einwände abzusichern. Es<br />
tauchen stellenweise gegensätzliche Aussagen oder Beschreibungen von Sach-<br />
verhalten auf. Ein Beispiel dafür ist das Wesen der Manipulation. So dürfe man<br />
einerseits Manipulation nicht „verteufeln“ 5 , andererseits wird Manipulation<br />
hauptsächlich als zerstörerische Macht der sich selbst Entfremdeten oder als ein<br />
Werkzeug der Zyniker und Machthungrigen 6 dargestellt. Einerseits stellt Lay die<br />
Manipulation als eine natürliche Gegebenheit dar, die bereits als Säugling<br />
vollzogen werde 7 und ohne die eine Gesellschaft auseinander fallen könne 8 .<br />
Andererseits bezeich<strong>net</strong> er sie als einen „Ölfleck, der das klare Wasser<br />
1 Ein Einwand wäre die Frage, ob man überhaupt die mentalen Vorgänge im Menschen beschreiben und<br />
vor allem, wie es Lay versucht, bewerten kann. Auf welche Fakten und wissenschaftlichen Erkenntnisse<br />
sollte man sich berufen? Gibt es überhaupt eine angemessene Basis für eine theoretische Erklärung der<br />
Auswirkungen der Manipulation? Und falls ja: Wie werden die Erkenntnisse mit glaubwürdigen, d.h. mit<br />
wissenschaftlich fundierten Methoden erlangt?<br />
2 Lay 1988, Klappentext<br />
3 ebd., Klappentext<br />
4 ebd., S. 150<br />
5 vgl. Lay 1988, S. 12 f.<br />
6 ebd., Klappentext<br />
7 ebd., S. 10 f.<br />
8 ebd., S. 60<br />
3<br />
Prof. Dr. Reichertz │ Überzeugen und Verteidigen
Rupert Lay│ Manipulation durch die Sprache│ <strong>Stefanie</strong> <strong>Lenze</strong><br />
überdeckt“ 9 und als eine Kraft, die „Wahrheit und Sinn (…) unsichtbar und<br />
unwirklich“ 10 werden lasse. Die ambivalente und metaphorische Ausdrucks-<br />
weise ist eine Herausforderung für jeden Leser. (Weitere Ausführungen über die<br />
Manipulation sind auf Seite neun zu finden.)<br />
4<br />
TEIL II<br />
1. Wie der Mensch zum manipulierbaren<br />
Wesen wurde<br />
Um die Vorgänge innerhalb einer Manipulation zu beschreiben – und um sie<br />
wohl auch wissenschaftlich zu belegen – greift Lay auf den berühmten Psycho-<br />
analytikers Sigmund Freud zurück. Doch um erst einmal die prinzipielle Manipu-<br />
lierbarkeit des Menschen zu begründen, verweist Lay auf einige anthro-<br />
pologisch-philosophische Ansichten über die Entstehung des Menschen.<br />
Am Anfang steht folgende Prämisse: „Ich gehe in diesem Buch davon aus, daß<br />
jeder Mensch käuflich ist.“ 11 Die Manipulierbarkeit des Menschen ist für ihn<br />
folglich konstitutiv. Warum „der Mensch“ nun manipulierbar ist und wie das<br />
nach seiner Überzeugung anthropologisch zu begründen ist, erläutert Lay gleich<br />
in zwei Kapiteln. Um eine gewisse Vollständigkeit zu gewährleisten, möchte ich<br />
mich auf beide beziehen. Die relevanten Abschnitte tragen die Titel<br />
„Anthropologische Vorüberlegungen zum Thema Manipulation und Manipulier-<br />
barkeit“ 12 sowie „Einige Gedanken über den Menschen als manipulierbares<br />
Wesen“ 13 . Aus diesen beiden Kapiteln geht hervor, dass Lay den Unterschied<br />
zwischen Mensch und Tier im Sinne der philosophischen Anthropologie 14 im<br />
„Geist“ festmacht, der sich in Verstand und Vernunft äußere und sich „im Laufe<br />
von einigen Jahrhunderttausenden“ wie ein „Funke entfacht“ habe 15 . Diese vage<br />
Aussage hätte mit einem kleinen Zugeständnis an die Ergebnisse der modernen<br />
Evolutionsforscher leicht präziser dargestellt werden können. Sie wird weiter in<br />
eine transzendente Richtung gedrängt, indem Lay folgenden Einschub anbringt:<br />
„[O]der wurde er [der Funke] von außen in die Welt gegeben?“ 16 Hier zeigt sich<br />
9 vgl. Lay 1988, Schlußbemerkung<br />
10 ebd., Schlußbemerkung<br />
11 Lay 1988, Vorwort S. 9<br />
12 ebd., S. 51 - 65<br />
13 ebd., S. 148 ff.<br />
14 vgl Gehlen 1961, S. 15<br />
15 Lay 1988, S. 148<br />
16 Lay 1988, S. 148<br />
Prof. Dr. Reichertz │ Überzeugen und Verteidigen
Rupert Lay│ Manipulation durch die Sprache│ <strong>Stefanie</strong> <strong>Lenze</strong><br />
der Christ in Rupert Lay, der den Glauben an ein allmächtiges, überirdisches<br />
Wesen inklusive der biblischen Schöpfungsgeschichte nicht aufgeben möchte.<br />
Ergänzt wird dies durch einen philosophischen Einfluss, der sich in Ideen wie<br />
dem „Menschen als offenes Wesen“ zeigt. Diesem Gesichtspunkt widmet er<br />
einen relativ großen Abschnitt und diskutiert ihn in vielfältiger Weise 17 . Fazit:<br />
Aufgrund der zahllosen Unfertigkeiten sei der Mensch ein radikal offenes Wesen.<br />
Und als offenes Wesen sei man manipulierbar. Manipuliert werde in Sozial-<br />
gebilden, auf die der Mensch als ein soziales Wesen nicht verzichten könne.<br />
Daraus folgt, dass ein Mensch immer und überall einer Verhaltensbeeinflussung<br />
ausgesetzt ist.<br />
Lays anthropologische Gedanken sollen später wieder aufgenommen werden,<br />
zunächst möchte ich Folgendes feststellen: Es ist meiner Ansicht nach bewiesen,<br />
dass es eine Evolution gegeben hat, die ohne jegliches Zutun „von oben“ den<br />
modernen Menschen, den homo sapiens, und seine artspezifischen Besonder-<br />
heiten hervorgebracht hat. Die Tatsache, dass (noch) keine umfassende und<br />
unstrittige wissenschaftliche Erklärung für die kognitiven Leistungen des<br />
Menschen 18 existiert, ist kein Argument für die Fehlerhaftigkeit der Evolu-<br />
tionsidee, sondern liegt einfach darin begründet, dass die Erforschung des Men-<br />
schen noch nicht abgeschlossen ist. Prinzipiell sollte man eine eher empirische,<br />
naturwissenschaftliche Perspektive einnehmen, wenn die Entwicklung und das<br />
Wesen des Menschen thematisiert wird, denn diese Wissenschaften können<br />
fundierte Kenntnisse liefern, mit denen dann geisteswissenschaftliche Frage-<br />
stellungen behandeln werden können. (Vorbildhaft für dieses Vorgehen ist<br />
Michael Tomasello.)<br />
Zurück zu Rupert Lay. In dem Maße, in dem der Mensch Vernunft ausbildete,<br />
habe er seine instinktive Verhaltenssteuerung von innen verloren. Stattdessen<br />
neige das „vernunftbegabte Gesellschaftswesen“ 19 in einem hohen Maße zu<br />
einer Steuerung von außen, also von Einflüssen aus der sozialen und phy-<br />
sischen Umwelt. Das Gesellschaftswesen Mensch sei eben aufgrund seiner<br />
Angewiesenheit auf Außensteuerung manipulierbar: „Hier ist er offen. Und<br />
durch diese Öffnung wird er manipulierbar.“ 20 Schließlich lasse die Vernunft sich<br />
17 vgl. Lay 1988, S, 52 ff.<br />
18 Die besonderen Leistungen und Errungenschaften des Menschen, die ihn ohne Zweifel von anderen<br />
Arten abgrenzen, lassen sich mit großer Sicherheit auf seine besonderen kognitiven Potentiale<br />
zurückführen. Vergleiche hierzu Tomasello 2005: Die Kulturelle Evolution des Menschen.<br />
19 Lay 1988, S. 148<br />
20 Lay 1988, S. 149<br />
5<br />
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Rupert Lay│ Manipulation durch die Sprache│ <strong>Stefanie</strong> <strong>Lenze</strong><br />
- im Gegensatz zum Instinkt - „betrügen“ 21 , denn ihr könne man etwas<br />
„klarmachen“. Man könnte von dieser Aussage aus darauf schließen, dass Lay<br />
zumindest beim Menschen die Manipulation über Instinkte ausschließt. Wäre<br />
dies der Fall, machte Lay einen Fehler. So ist es doch allgemein bekannt, dass<br />
auch entsprechende Attrappen (z.B. „Beute“ bei Tieren, attraktive<br />
Frauen/Männer bei Menschen) nicht nur bei Tieren Reize ansprechen können,<br />
denen instinktive Verhaltensweisen folgen können. Und auch Lay schreibt doch<br />
noch in der siebten Regel, dass eine Beeinflussung den Regeln wirksamer<br />
Reizorganisation entsprechen sollte 22 . Der Manipulierende mache die sich<br />
verbliebene „Instinkthaftigkeit“ des Menschen zunutze, indem er Reize so in<br />
Sequenzen organisiere, dass sie besonders starke Reaktionen auslösten. Neben<br />
Attrappen, Wiederholungen und unbewusste Assoziationen sei auch die<br />
unterschwellige (subliminale) Werbung ein Bereich, der mit der „Instinkt-<br />
haftigkeit“ des Menschen arbeite. Sie habe zum Ziel, Verhalten unbemerkt zu<br />
steuern. Meist wird dies über Bilder versucht, die dem Konsumenten in einer<br />
extrem kurzen Zeit (0,003 Sekunden) gezeigt werden, sodass dieser die Bilder<br />
nicht bewusst wahrnehmen kann 23 . So könne diese Werbung, wenn sie bei-<br />
spielsweise in Kinos geschaltet würde, die Nachfrage nach bestimmten Pro-<br />
dukten, die als Bild kurz in den Film eingeblendet würden, erhöhen (so das<br />
Beispiel von Lay). Schweiger und Schrattenecker meinen dazu, dass die<br />
Wirkung dieser Art von Werbung nicht endgültig geklärt ist 24 . Zwar könne man<br />
schon Gefühle und Bedürfnisse beeinflussen, aber sicherlich lasse sich der Be-<br />
einflusste auf diese Art nicht zum Konsum einer bestimmten Marke animieren,<br />
wie es Lay darstellt (Cola-Flasche gezeigt = Cola-Konsum steigt). Als Fazit lässt<br />
sich festhalten, dass man nicht nur über den Verstand manipulieren kann,<br />
sondern auch über die Instinkte, bzw. über die Relikte menschlicher Instinkte.<br />
Zurück zu den Grundlagen der Manipulierbarkeit. Trotz Vernunft und Verstand<br />
sei der Mensch meist von Trieben und Emotionen geleitet 25 . Da in der Gesell-<br />
schaft der Zwang herrsche, sein Verhalten permanent rational erklären zu müs-<br />
sen, entstünde so das grundlegende Problem, das überwiegend nicht vernunft-<br />
mäßig ablaufende Handeln nachträglich sachlich zu erläutern. Dies sei der<br />
Konflikt zwischen Es und Über-Ich, zwischen dem nur ein „gesundes“ Ich<br />
vermitteln könne. Und damit wären wir bei der Terminologie Freuds.<br />
21 ebd., S. 148<br />
22 ebd., S. 164<br />
23 vgl. Schweiger, Schrattenecker 1995, S. 85<br />
24 ebd., S. 87<br />
25 ebd., S. 148<br />
6<br />
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7<br />
Rupert Lay│ Manipulation durch die Sprache│ <strong>Stefanie</strong> <strong>Lenze</strong><br />
2. Es, Ich und Über-Ich<br />
In seinem letzten großen theoretischen Werk Das Ich und das Es von 1923<br />
stellt Freud ein allgemeines Modell der menschlichen Psyche vor, in dem sich<br />
auch Ideen früherer Werke wieder finden 26 . Ich möchte im Folgenden knapp<br />
dieses „Instanzen-Modell“ 27 vorstellen und einige Kritikpunkte anführen.<br />
Zusammengefasst bestehe der psychische Apparat (oder auch die „Seele“) aus<br />
drei Instanzen. Die erste, älteste Instanz sei das unterbewusste oder auch<br />
unbewusste Es, das Triebe, Bedürfnisse, Emotionen oder Affekte umfasse und<br />
für das Bewusstsein nicht direkt zugänglich sei. Dieses Es werde ge<strong>net</strong>isch<br />
vererbt und unterstehe den Einflüssen der Außenwelt (eine sehr nützliche<br />
Eigenschaft aus Sicht der Werbeleute und sonstigen Manipulateuren, die über<br />
Grundbedürfnisse oder Reize beeinflussen wollen). Das Unbewusste beeinflusse<br />
das Bewusste, zu dem Ich und Über-Ich gehören.<br />
Das Ich sei ein Teil des Es, der eine besondere Entwicklung durchlaufen habe,<br />
was sich nach Freud auch in der physischen Aufteilung des Gehirns zeige (das<br />
Ich sitze dem Es „oberflächlich auf“ 28 ). Diese psychische Instanz stehe für das<br />
selbstkritische Denken, das erlernte Normen, Werte und andere rationale<br />
Elemente mit einbeziehe 29 . Das bewusste Ich sei verantwortlich für die Zensur<br />
sowie die Realitätsprüfung und sei der Ursprung der „Schuldgefühle“ 30 . Auf<br />
diese Schuldgefühle bezieht sich auch Lay, wie später im Abschnitt drei Die<br />
Manipulation (Seite neun) gezeigt wird.<br />
Hier ist die Schnittstelle zum Über-Ich (das bei Freud auch mal als Ich-Ideal<br />
bezeich<strong>net</strong> wird). Das Ich arbeite nicht nur gegen die Triebansprüche des Es,<br />
sondern fungiere auch als Vermittler zwischen dem Es und dem Über-Ich, also<br />
zwischen triebhaften Bedürfnissen (Lustprinzip) und gesellschaftlichen<br />
Verhaltensvorgaben (Realitätsprinzip). Diese gesellschaftlichen Verhaltens-<br />
vorgaben repräsentiere das Über-Ich, das auch als psychische Kontrollinstanz<br />
des Ichs bezeich<strong>net</strong> wird. Das Über-Ich sei der „Träger des Ichideals, an dem<br />
26 Mitscherlich, Richards, Strachey, 1975, S. 275 f.<br />
27 Folgende Erläuterungen setzten sich zusammen aus Informationen aus Wikipedia,<br />
http://de.wikipedia.org/wiki/Sigmund_Freud #Es.2C_Ich_und_.C3.9Cber-Ich (abgerufen am 30.10.07),<br />
aus Manipulation durch die Sprache von Lay 1988, S. 147 – 229, und aus der Freud-Studienausgabe von<br />
Mitscherlich, Richards, Strachey 1975, Band III, S. 273 – 330.<br />
28 Mitscherlich, Richards, Strachey 1975, S. 292<br />
29 http://de.wikipedia.org/wiki/Sigmund_Freud#Es.2C_Ich_und_.C3.9Cber-Ich [abgerufen am 4.6.07]<br />
30 Mitscherlich, Richards, Strachey 1975, S. 179f<br />
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Rupert Lay│ Manipulation durch die Sprache│ <strong>Stefanie</strong> <strong>Lenze</strong><br />
sich das Ich misst.“ 31 Hier steckt nach der Ansicht Lays - wie schon einmal<br />
erwähnt – der prinzipielle menschliche Konflikt 32 . Diese dritte Instanz äußere<br />
sich u. a. im Gewissen, werde durch Erziehung geformt und könne auch im<br />
späteren Leben als Erwachsener noch Normen, Werte, Verbote etc. aus der<br />
Gesellschaft oder aus Gruppen neu aufnehmen.<br />
Diese Eigenschaft des Über-Ichs ist für die Manipulierbarkeit zentral, denn so<br />
könnte das Gewissen „umgeschult“, d.h. auf die Verhaltensnormen der Gruppe<br />
abgestimmt werden. Und da Manipulation hauptsächlich über das Gewissen<br />
funktioniere 33 , ist diese Eigenschaft äußerst nützlich. Daher seien Sozietäten<br />
(=„Gesellschaft“, Zusammenschluss von Individuen) daran interessiert, das Ich,<br />
das den Einfluss der gesellschaftlichen Außensteuerung über das Über-Ich<br />
kontrolliert und mit den eigenen Bedürfnissen der Selbstverwirklichung<br />
koordiniert, zu schwächen. So könnten Gruppen ihre Mitglieder eng an sich<br />
binden. Sie prägen ein starkes Über-Ich, das zwingend übernommen werden<br />
muss, wenn man ein Mitglied der Sozietät werden und bleiben möchte. Nach<br />
Lay ist dies die unmenschliche Lösung des Konflikts zwischen Es und Über-Ich,<br />
da die „Ich-Orientierung“ minimiert und vom kollektiven Über-Ich ersetzt werde.<br />
Man könnte sagen, dass das Individuum quasi von der Individualität zur<br />
Kollektivität wandert. (Daraus könnte man wiederum schließen, dass die<br />
persön-liche, bzw. menschliche Freiheit beschnitten wird – und das soll durch<br />
die Lektüre von Lays Buch verhindert werden, indem die Merkmale dieser die<br />
Gefahren aufgezeigt werden 34 .) Hier geht es offensichtlich um das Maß, in dem<br />
eine Sozietät ein Gruppen-Über-Ich ausprägt und um die Intensität, mit der<br />
dieses durchgesetzt wird. Denn im Grunde muss ein Über-Ich eine kollektive<br />
Komponente besitzen, denn schließlich enthält es kollektive Verhaltensnormen,<br />
ohne die menschliches Zusammenkleben nicht möglich wäre.<br />
Doch wie erkennt man diese selbstentwirklichenden Über-Ich-Sozietäten? Die<br />
Antwort ist lang und vielfältig. Lay gibt verschiedene Auskünfte, die sich über<br />
das gesamte zweite Kapitel ziehen. Dabei berühren sie unterschiedliche<br />
Bereiche (Lay greift Ökonomie, Politik und Soziales heraus) und beschreiben<br />
ganz verschiedene Kennzeichen, die hier nicht alle aufgeführt werden können.<br />
Allgemein kann festgehalten werden, dass vermutlich all jene Gruppen gemeint<br />
31 vgl. Mitscherlich, Richards, Strachey 1975, S. 280, zitiert nach der Freud-Studienausgabe 1974, 5.<br />
korrigierte Auflage, Band I, S. 503<br />
32 Lay 1988, 149 f.<br />
33 vgl. Lay 1988: S. 162 f., S. 215 ff.<br />
34 vgl. Lay 1988, S. 13<br />
8<br />
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Rupert Lay│ Manipulation durch die Sprache│ <strong>Stefanie</strong> <strong>Lenze</strong><br />
sind, die ihre Mitglieder – ganz generell – daran hindern, sich selbst frei und<br />
ungehemmt zu verwirklichen. Leider muss in jedem Fall einzeln entschieden<br />
werden, ob sich ein Individuum selbst verwirklichen kann oder nicht; daher<br />
obliegt es wohl einem selbst festzustellen, ob man manipulativ unterdrückt wird<br />
- was im Grunde in jeder sozialen Einheit der Fall ist, denn das Leben in einer<br />
Gruppe erfordert m. E. einen gewissen Grad an Anpassung. Anpassung aber<br />
steht häufig der freien Selbstverwirklichung im Wege. Was also tun? Nach Lay<br />
hilft dort nur eine ideale Ich-Orientierung, ein gesundes Ich, das einen<br />
Ausgleich zwischen den eigenen Trieben (Es) und den Ansprüchen von außen<br />
(Über-Ich) findet.<br />
Zum Abschluss dieses Abschnittes sollte die Frage gestellt werden, ob die<br />
Psyche in diese drei Instanzen aufgebrochen werden kann? Wenn man einmal<br />
von den Leistungen Freuds besonders auf dem Gebiet der Psychoanalyse<br />
absieht, dann muss man festhalten, dass der psychische Apparat ein nicht<br />
nachweisbares Konstrukt ist 35 . Es, Ich und Über-Ich können meines Wissens<br />
nach nicht empirisch oder neurologisch nachgewiesen werden. Freud selbst<br />
kann keine zuverlässigen pathologischen oder empirischen Befunde vorweisen,<br />
die seinen Ideen Substanz geben könnten. Selbst die Schlussfolgerungen aus<br />
Krankheitsgeschichten von Freud-Patienten, bzw. die Beschreibungen der<br />
Krankheiten selbst sind alles andere als verlässlich 36 . Daher ist die Verwendung<br />
der Freudschen Terminologie unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten unhalt-<br />
bar. Auf der anderen Seite muss jedoch zugegeben werden, dass sich die<br />
Instanzen-Theorie Freuds als Beschreibungsmodell gut eig<strong>net</strong>, da es ermöglicht,<br />
psychische Vorgänge verständlich und einleuchtend darzustellen. Dies wird im<br />
folgenden Kapitel - nach einer Definition von Manipulation - gezeigt.<br />
9<br />
3. Die Manipulation<br />
Zuerst soll Manipulation definiert werden. Welche Eigenschaften besitzt sie, wie<br />
wird sie von Lay und von anderen Autoren gedeutet? Und welche Rolle spielt<br />
die Sprache? Wenn diese Fragen beantwortet sind, soll geklärt werden, wie Lay<br />
das Freudsche Modell zur Erklärung der psychischen Vorgänge während der<br />
Manipulation anwendet. In dem Zusammenhang wird hin und wieder auf die<br />
35 vgl. Selg 2002, S. 77<br />
36 vgl. Selg 2002, S. 16 ff. und 37 f.<br />
Prof. Dr. Reichertz │ Überzeugen und Verteidigen
Rupert Lay│ Manipulation durch die Sprache│ <strong>Stefanie</strong> <strong>Lenze</strong><br />
drei Typen der Manipulation (politische, soziale und ökonomische Manipulation)<br />
sowie auf Lays acht Regeln der Menschenbeeinflussung eingegangen.<br />
Was ist „Manipulation“ genau? „»Manipulation« ist Verhaltensbeeinflussung<br />
zu fremden Nutzen“ 37 – eine zu Lays Haltung passende Definition, die bereits<br />
die Absicht des Manipulierenden impliziert: Das Ziel ist der eigene Vorteil, der<br />
einen Schaden (z.B. durch Selbstentfremdung) des Manipulierten von vorne-<br />
herein in Kauf nimmt. Somit ist in dieser Lesart des Wortes ein Aspekt nicht<br />
vorhanden, nämlich der, der Manipulation nicht nur als Beeinflussung „der<br />
geistigen Zustände der Artgenossen im Sinne einer Täuschung“ begreift,<br />
sondern sie auch als „manuelle Manipulation von Gegenständen“ versteht 38 .<br />
Damit wäre allerdings der Einwand gegen eine sofortige Verteufelung der<br />
Manipulation im Grunde hinfällig, da sie schließlich ihrer Definition nach<br />
destruktiv ist. Vielmehr stellt Lay der Manipulation die Edukation entgegen:<br />
„Eine Verhaltensbeeinflussung zum Nutzen des Beeinflußten möchte ich<br />
»Edukation« nennen.“ 39<br />
Mit seiner abwertenden Auffassung von Manipulation steht Lay jedoch nicht<br />
allein. So schreiben Schweiger und Schrattenecker, dass im allgemeinen<br />
Sprachgebrauch die Manipulation negativ besetzt sei 40 . Außerdem teilen sie die<br />
„Kommunikation“ in zweckfreie und beeinflussende Kommunikation ein. Zur<br />
beeinflussenden Kommunikation soll neben Anweisungen, Befehlen (mit form-<br />
ellen Zwang) und Werbung auch die Manipulation gehören, wobei sich die<br />
beiden Erscheinungen letzten ineinander übergingen. Ein Merkmal der Manipu-<br />
lation sei der psychische Zwang, den sie verursache und der für die beeinflusste<br />
Person nicht durchschaubar sei 41 . Dieser Aspekt, der bei Lay so nicht auftaucht,<br />
könnte erklären, warum Manipulation so wirksam ist und warum die<br />
„Opfer“ trotz selbstentfremdener Beeinflussung die Manipulation geschehen<br />
lassen.<br />
Damit ist ein weiterer Aspekt der Manipulation angesprochen. Denn nach Lay<br />
sei ein Merkmal die „Bewusstheit“, mit der Manipulation vom Menschen getätigt<br />
werde (der Mensch besitze ja den „Geist“). Hier sei auch ein Unterschied zum<br />
37 Lay 1988, S. 17<br />
38 Tomasello 2005, S.33, S.70<br />
39 Lay 1988, S. 18<br />
40 vgl. Schweiger, Schrattenecker 1995, S. 302<br />
41 ebd., S. 303 f.<br />
10<br />
Prof. Dr. Reichertz │ Überzeugen und Verteidigen
Rupert Lay│ Manipulation durch die Sprache│ <strong>Stefanie</strong> <strong>Lenze</strong><br />
Tier: Tiere zeigten zwar „manipulationsanaloge Verhaltensmuster“ 42 , allerdings<br />
seien diese nicht wie beim Menschen (ab dem Ende des ersten Lebensjahres)<br />
bewusst. Dies könnte der Faktor sein, der Lay dazu veranlasst, das Manipu-<br />
lieren mit moralischen Begriffen zu versehen: Es ist bewusstes Verhalten und<br />
daher unter moralischen Gesichtspunkten zu bewerten. Nicht bewusst sei nach<br />
Schweiger und Schrattenecker die Manipulation für den Beeinflussten. Ein<br />
Merkmal der Manipulation sei also, dass sie vom Beeinflussten nicht bewusst<br />
kontrolliert und durchschaut werden könne 43 . Und darin liegt auch die Gefähr-<br />
lichkeit der Manipulation, die durch die Lektüre von Lays Buch verringert<br />
werden soll, indem ihre Mechanismen verdeutlich werden.<br />
Lays Definition von Manipulation – 1. die Differenzierung in (entfremdende)<br />
Manipulation und (fördernde) Edukation und 2. der Faktor der Bewusstheit -<br />
kommt seiner Intention sehr entgegen. Denn die Absicht hinter dieser Differen-<br />
zierung ist m. E., dass Lay so die Gelegenheit zur Anpreisung von Selbst-<br />
losigkeit und Nächstenliebe erhält, die auf dem Hintergrund der christlich-<br />
ethischen Prägung Lays zustande kommt. Wenn nun im weiteren Verlauf des<br />
Buches die Manipulation behandelt wird, ist die Aussageabsicht vorweg-<br />
genommen: Manipulation ist ein schädlicher, asozialer Vorgang. Dem entge-<br />
genwirken könne man nur mit „inneren und äußeren Einrichtungen“ 44 , die sich<br />
u. a. in den „Tugenden“ Glauben, Hoffen und Lieben wieder finden. Es stellt sich<br />
die Frage, weshalb Lay eine solche negative Auffassung von Manipulation<br />
ausgewählt hat? Meine Vermutung: Lay möchte traditionelle Werte wie<br />
„moralisch gutes“ Verhalten, Selbstlosigkeit und Aufopferung propagieren. Sein<br />
Verhaltensideal leitet er dabei aus dem Wertekanon des Christentums ab.<br />
Daher liegt der Schwerpunkt des Buches auf den schädlichen Eigenschaften der<br />
Manipulation, die Lay zum Anlass nimmt, um seine Ansichten über Werte, Moral<br />
und Ethik zu verbreiten. Jene Aussagen, die den sozialen und natürlichen<br />
Charakter der Manipulation betonen, wirken wie ein Beiwerk, das eine rein<br />
absichernde Funktion hat (vergleiche Seite vier). Lay nimmt also eine klare<br />
Position ein, und zwar eine Position, die geprägt ist durch ein von traditionellen<br />
europäischen Ideen und Verhaltensidealen bestimmtes Weltbild. Gleichzeitig<br />
beschränkt sich Lays Modell auf bestimmte Kulturen, nämlich vornehmlich die<br />
„alten“ Industrienationen (Europa, USA etc.), die sich ähnliche Traditionen,<br />
Verhaltensideale und Ideen von Moral, Ethik und Werte teilen.<br />
42 ebd., S. 11<br />
43 vgl. Schweiger, Schrattenecker 1995, S. 303<br />
44 Lay 1988, S. 150<br />
11<br />
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12<br />
Rupert Lay│ Manipulation durch die Sprache│ <strong>Stefanie</strong> <strong>Lenze</strong><br />
Die Idee der Wertegebundenheit der Manipulation vertreten auch Kroeber-Riehl<br />
und Meyer-Hentschel. Sie sprechen dann von Manipulation (im Gegensatz zur<br />
Verhaltenssteuerung), wenn fremde Verhaltensweisen verlangt werden, die im<br />
Konflikt zu den eigenen stehen und eine zwanghafte Wirkung entfalten.<br />
Demnach sei das, was Manipulation ist, immer eine subjektive Wertung 45 ; und<br />
zwar eine Wertung, die immer negativ ausfällt, denn auch hier ist der<br />
Manipulationsbegriff „im Sinne eines negativen Urteils“ zu verstehen 46 . Diese<br />
Beurteilung bildet sich aus den eigenen Normen und Werten, bzw. die der<br />
Gruppe oder Gesellschaft, in der man sozialisiert ist. Dabei sei die eigene<br />
Verhaltensbeeinflussung (z. B. durch Erziehung) legitim, da sie den akzep-<br />
tierten Werten und Zielen entspreche. Daraus folgt, dass der Vorwurf der Mani-<br />
pulation meist dann gemacht werde, wenn andere Gruppen - z. B. Werbung,<br />
Politik oder Arbeitgeber – Verhaltensbeeinflussung betreiben, die den eigenen<br />
Werten widerspricht. „Die Verhaltenssteuerung wird also abgelehnt, weil sie im<br />
Dienste von nicht akzeptierten Zielsetzungen steht“ 47 . Alles andere sei eine<br />
legitime Sozialtechnik zur Verhaltensbeeinflussung Dritter. Nebenbei schließe<br />
dies die Werbung mit ein, denn wenn man sie pauschal ablehne, verweigere<br />
man sich dem gesamten markt-wirtschaftlichen System. Der Vorwurf der<br />
Manipulation könne nur dann gemacht werde, wenn einzelne Kampagnen gegen<br />
gültige Werte verstießen 48 .<br />
Eine weitere Tatsache ist für die Manipulation ebenfalls von Bedeutung: „Mani-<br />
pulation geschieht nun sicherlich vorwiegend über die Sprache. Es kann sein,<br />
dass Sprache selbst primäres Manipulationsmittel ist, es kann aber auch sein,<br />
dass sie Manipulation wesentlich begleitet oder verstärkt.“ 49 Ähnliches<br />
schreiben Kroeber-Riehl und Meyer-Hentschel, denn sie messen der Sprache<br />
eine immense Bedeutung zu. Sprache bestimme beispielsweise, wie Menschen<br />
ihre Umwelt wahrnehmen, einordnen und sich in dieser Umwelt verhalten 50 .<br />
Anhand einiger Beispiele zeigen sie, wie die Sprache das Fühlen, Denken und<br />
Handeln maßgeblich beeinflusst (z. B. hänge die Fähigkeit der Farbwahrneh-<br />
mung von der sprachlichen Differenziertheit der Farbbenennungen ab 51 ). Auf<br />
diesem Hintergrund stellen sie einige Sprachtechniken der Werbung vor, die an<br />
manchen Stellen den acht Regeln der Menschenbeeinflussung ähneln und zum<br />
45<br />
Kroeber-Riehl, Meyer-Hentschel 1982, S. 194 f.<br />
46<br />
ebd., S. 194<br />
47<br />
ebd., S. 194<br />
48<br />
vgl. Kroeber-Rhiel, Meyer-Hetschel 1982, S. 194 ff.<br />
49<br />
Lay 1988, S. 24<br />
50<br />
vgl. Kroeber-Riehl, Meyer-Hentschel 1982, S. 157 ff.<br />
51 vgl. ebd., S. 157 f.<br />
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13<br />
Rupert Lay│ Manipulation durch die Sprache│ <strong>Stefanie</strong> <strong>Lenze</strong><br />
Teil die identischen Ideen enthalten. Eine der Techniken von Kroeber-Riehl und<br />
Meyer-Hentschel ist der so genannte Sprachrealismus, der den Umstand<br />
beschreibt, dass Menschen eng zwischen Worten und Gegenständen assoziieren.<br />
Durch diese Verbindung sollen Menschen von Worten „auf reale Eigenschaften<br />
eines Gegenstandes“ 52 schließen, was die Werbung ausnutze. Ähnlich funk-<br />
tionierten Automatische Assoziationen, die die automatischen Reaktionen auf<br />
sprachliche Formulierungen und Worte beschreiben. Denn mit dem Erlernen der<br />
Sprache erwerbe man ihre typischen Sprachgewohnheiten, die zugleich<br />
Denkgewohnheiten seien. Aus diesem Grund assoziierte man mit einem „Reiz-<br />
wort“ 53 , das besonders „assoziationsreich“ 54 ist, automatisch weitere, bestim-<br />
mte Begriffe. Die Autoren gehen noch auf weitere Techniken ein, wie die Dop-<br />
pelspeicherung, den Argumentationsstil oder die zweiseitige Kommunikation 55 .<br />
Lay beschreibt in der dritten Regel („Die Beeinflussung soll bestehenden<br />
Einstellungen entgegen kommen.“ 56 ) noch eine weitere Technik, die ebenfalls<br />
mit Denkmustern arbeitet, die mit Hilfe der Sprache aktiviert werden können:<br />
„Man kann nur etwas akzeptieren, das man zu verstehen meint. Verstehen aber<br />
setzt eine gewisse Bekanntheit voraus.“ 57 Daher sollte man als Manipulierender<br />
diesem Denkmuster folgen und zu Beginn des manipulatorischen Prozesses<br />
gemeinsame Interessen, Stimmungen, Kenntnisse, Erwartungen, Einstellungen<br />
usw. betonen, bevor man die beabsichtigte Meinung präsentiert. Das<br />
manipulatorische Verpacken der neuen Aspekte in etwas scheinbar Bekanntes<br />
und Vertrautes ist nach Lay die hohe Kunst der Manipulation. An dieser Stelle<br />
muss die Rhetorik, bzw. die Dialektik 58 , eine Rolle spielen, denn sie ist es, die<br />
die sprachlichen Instrumente für die Maskierung liefert. So schreibt auch<br />
Grieswelle in Politische Rhetorik, dass es „mannigfaltiger sprachlicher<br />
Kompetenz bedarf“ 59 , eine Rede o. ä. so geschickt zu formulieren, dass die<br />
Aussagen als glaubwürdig angenommen würden oder dass Hörer in gewisse<br />
Stimmungen versetzt würden. Aber auch an anderer Stelle wird die Ansicht<br />
Lays unterstützt, nämlich in der Aussage, dass politische Begründungen häufig<br />
auf Tradition (= Bekanntem) basierten 60 . Der Rückgriff auf glaubwürdige Über-<br />
zeugungsmittel in der Tradition liefere die Konsensmöglichkeiten, auf die sich<br />
52<br />
ebd., S. 158 f.<br />
53<br />
Kroeber-Rhiel, Meyer-Hentschel 1982, S. 162<br />
54<br />
ebd., S. 166<br />
55<br />
vergleiche Lay 1988, S. 171 - 189<br />
56<br />
ebd., S. 160<br />
57<br />
ebd., S. 160<br />
58<br />
vgl. ebd., S. 22 f., Einleitung<br />
59<br />
Grieswelle, Detlef 2000, S. 16<br />
60 ebd., S. 267<br />
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Rupert Lay│ Manipulation durch die Sprache│ <strong>Stefanie</strong> <strong>Lenze</strong><br />
Politiker beziehen können; und dies steigere die Chance auf<br />
Zustimmungsbereitschaft 61 .<br />
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Kroeber-Riehl und Meyer-Hentschel<br />
sowie Grieswelle in dieser Hinsicht derselben Auffassung sind wie Rupert Lay:<br />
Manipulation geschieht hauptsächlich über die Sprache. Der Aspekt der Sprache<br />
wurde lediglich detaillierter, bzw. unter einem anderen Aspekt beschrieben.<br />
Dabei spielt die Begrenzung von Kroeber-Rhiel und Meyer-Hentschel auf die<br />
Werbung keine große Rolle, da die Eigenschaften der Sprache ohne weiteres im<br />
politischen Bereich und zum Teil im „sozialen Bereich“ (Gruppen) angewendet<br />
werden können. Auch die Tipps von Grieswelle können in die anderen Bereiche<br />
übertragen werden. Das Prinzip bleibt dasselbe: Manipulation läuft primär über<br />
die Sprache, unabhängig davon, ob die Sprache die Manipulation begleitet oder<br />
selbst ausführendes Organ ist.<br />
Aus den obigen Ausführungen können folgende Punkte festgehalten werden:<br />
14<br />
� Manipulation ist negativ konnotiert, da sie (im allgemeinen<br />
Sprachgebrauch) den Nutzen des Manipulierenden und den Scha-<br />
den des Manipulierten impliziert<br />
� Manipulation geschieht seitens des Manipulierenden meistens<br />
bewusst und seitens des Manipulierten meistens unbewusst.<br />
Manipulation wird also häufig nicht durchschaut.<br />
� Manipulation entfaltet einen psychischen Zwang, dem sich der<br />
Manipulierte nur sehr schwer entziehen kann.<br />
� Manipulation ist an Werte und Normen gebunden, die bestimmen,<br />
wann eine Beeinflussung manipulativ ist oder nicht.<br />
� Manipulation und Sprache gehören eng zusammen.<br />
Eine wichtige Frage ist bis jetzt noch offen geblieben: Welche Schlüsse<br />
können von Freuds Instanzen-Modell auf die Manipulation und ihre<br />
Funktionsweisen gezogen werden? Denn dieses Modell versucht - im Ge-<br />
gensatz zu anderen Erklärungsansätzen - die psychischen Vorgänge zu be-<br />
schreiben und die Manipulation eben nicht ausschließlich von der „phy-<br />
sischen“ Seite her zu erläutern. Zur Beantwortung soll die wissenschaftliche<br />
Glaubwürdigkeit des psychischen Apparats von Freud einmal außen vor gelas-<br />
sen werden. Dann zeigt sich, dass sich in der Version von Lay die Manipulation<br />
61 ebd., S. 258<br />
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Rupert Lay│ Manipulation durch die Sprache│ <strong>Stefanie</strong> <strong>Lenze</strong><br />
innerhalb des Dreiecks aus Es, Ich und Über-Ich abspielt. Mit diesen<br />
Begrifflichkeiten umreißt Lay die inneren, also die emotionalen und kognitiven<br />
Vorgänge, während der Verhaltensbeeinflussung. In anderen Publikationen, die<br />
die Vorgänge der Manipulation thematisieren, findet sich dagegen eine<br />
Erklärungsversion, die durch den Behaviorismus und dem Gehirn als Black Box<br />
geprägt ist. Reiz-Reaktions-Vorgänge 62 , Konditionierung 63 , Aktivierung 64 , Infor-<br />
mationsverarbeitung 65 , automatische Verhaltensweisen 66 , reaktives Verhalten 67 :<br />
Das sind die Begriffe, mit denen die innerpsychischen Vorgänge beschrieben<br />
werden. „Die Steuerung des Verhaltens wird vor allem dadurch möglich, daß<br />
der Konsument auf viele Reize weitgehend automatisch reagiert.“ Auf diese<br />
Aussagen beschränkt sich in den meisten Fällen die Beschreibung der psy-<br />
chischen Vorgänge. Lay hebt sich also dadurch ab, dass er dem Menschen ein<br />
unabhängiges Ich zuspricht. Auch propagiert er die Existenz der menschlichen<br />
Freiheit, mit der m. E. die Existenz eines freien Willens (als Produkt des Ichs<br />
und der Freiheit, zu entscheiden) einhergeht. Der freie Wille ist eine strittige<br />
Sache: Gibt es ihn – oder nicht? Hier soll keine Antwort gegeben werden, da<br />
dieser Aspekt aus Platz- und Thematikgründen an dieser Stelle nicht zu beant-<br />
worten ist. Schließlich geht es hier um die Eignung des Freudschen Modells als<br />
Beschreibungsmodell der Manipulationsprozesse.<br />
Lay bietet also ein Modell –Freuds Modell-, das die inneren Vorgänge zu<br />
erklären versucht und dabei auf eine Fixierung auf rein biologische, beobacht-<br />
bare Aspekte verzichtet. Es zeich<strong>net</strong> sich durch seine Gegenständlichkeit und<br />
Einfachheit auf der einen und universellen Anwendbarkeit auf der anderen Seite<br />
aus. Wie dieses Modell in der Manipulation genau funktioniert, wird im<br />
Folgenden erläutert. Die Grundlagen sind bereits unter 2. Es, Ich und Über-Ich<br />
(Seite sieben) vermittelt worden. Es wurde ebenfalls ein erster Hinweis auf die<br />
Mechanismen gegeben, die hier aus argumentativen Gründen kurz wiederholt<br />
werden. Es lässt sich festhalten, dass m. E. über zwei „Kanäle“ manipuliert<br />
werden kann: Über das Es und über das Über-Ich. Das Ich ist in beiden Fällen<br />
betroffen, da es sowohl die Triebansprüche des Es, als auch den Einfluss des<br />
Über-Ichs kontrolliert und koordiniert. Das Es wird beeinflusst, wenn auf Triebe<br />
und Bedürfnisse abgezielt wird. Verhaltensbeeinflussung über das Über-Ich<br />
62 Kroeber-Rhiel, Meyer-Hetschel 1982, S. 31<br />
63 ebd., S. 32<br />
64 ebd., S. 34<br />
65 ebd., S. 50<br />
66 ebd., S. 39<br />
67 ebd., S. 14<br />
15<br />
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Rupert Lay│ Manipulation durch die Sprache│ <strong>Stefanie</strong> <strong>Lenze</strong><br />
funktioniert etwas anders. So schreibt Lay, dass über das Über-Ich besonders<br />
gut manipuliert werden könne, da es das Gewissen beinhalte (vergleiche Seite<br />
sieben). Denn ein Großteil der Manipulation, besonders die „soziale<br />
Manipulation“, d. h. die Manipulation in Gruppen, funktioniere ausschließlich<br />
über das Gewissen, bzw. die Schuldgefühle 68 . Sie seien es, die das Individuum<br />
dazu brächten, sich den Gruppenerwartungen zu unterwerfen und seine<br />
Selbstverwirklichung aufzugeben. Schuldgefühle würden durch das Gewissen<br />
bestimmt, das - wie eben erwähnt - ein psychisches Produkt des Über-Ichs sei.<br />
Um das Verhalten zu beeinflussen, könne man nun ein über-gewöhnlich starkes<br />
(Gruppen-)Über-Ich ausprägen, das, wenn es manipulativ eingesetzt wird, dem<br />
Gewissen entsprechende Normen und Werte einimpft. Die Konsequenz ist eine<br />
„Schwächung“ des Ich, bzw. der Ich-Orientierung des Manipulierten (z. B. durch<br />
Propagierung des Ideals der Anpassung, die die Selbstentfremdung fördert,<br />
aber mit gewissen Vorteilen belohnt wird). Ist das Ich erst einmal geschwächt,<br />
könne man es sehr leicht manipulieren, da es sich nunmehr an der Gesellschaft<br />
oder Gruppe orientiere 69 . Damit hat das Ich sich für die Beeinflussung von<br />
außen geöff<strong>net</strong>, sich quasi sich selbst entfremdet und einen ungesunden Grad<br />
der Selbstentwirklichung erreicht.<br />
Der Begriff der Selbstentwirklichung steht im Kontrast zur Selbstverwirklichung,<br />
deren Bedeutung aus dem wörtlichen Sinn erschlossen werden kann (vergleiche<br />
Seite acht). Sowohl auf Seite des Manipulierenden als auch auf Seite des Mani-<br />
pulierten sei die Selbstentwirklichung nun die Ursache, der Vollzug und die<br />
Konsequenz manipulatorischer Techniken 70 . Manipulation setze immer einen<br />
gewissen Grad an Selbstentfremdung voraus, denn man müsse erst von sich<br />
selbst entfremdet sein, um eine übergewöhnliche Außensteuerung zuzulassen.<br />
Wer nun manipuliert, Manipulation also vollzieht, müsse ebenso entfremdet sein.<br />
Meist hätten solche Individuen ein gestörtes Verhältnis zu sich selbst; sie sähen<br />
quasi sich selbst als Sache und teilten den Manipulierten ebenfalls in<br />
Sachkategorien ein. An dieser Stelle sollte erwähnt werden, dass Lay bereits<br />
am Anfang seines Buches zwischen „Mensch-Sein“ und „Sache-<br />
Sein“ unterscheidet (eine Sache habe einen bestimmten Wert, den sie schnell<br />
verlieren könne, woraufhin man sie dann einfach wegwerfe 71 ). Vollzug der<br />
68 Lay 1988, S. 215<br />
69 ebd., S. 154<br />
70 ebd., S. 191 ff.<br />
71 vgl. Lay 1988, S. 52 f. Dagegen erscheint das „Mensch-Sein“ als ein solch hohes Gut, dass es von<br />
diesen Wertigkeiten ausgenommen wird und über „die Sachen“ gestellt wird. Das menschliche Leben -<br />
und damit der Wert des menschlichen Lebens - ist unantastbar.<br />
16<br />
Prof. Dr. Reichertz │ Überzeugen und Verteidigen
Rupert Lay│ Manipulation durch die Sprache│ <strong>Stefanie</strong> <strong>Lenze</strong><br />
Selbstentfremdung sei die Manipulation dadurch, dass sie Manipulierten und<br />
Manipulierenden entachte. „Der manipulierende Vollzug ist Ausdruck eines<br />
entfremdeten Verhaltens. Zudem aber führt er auch zur Verstärkung der<br />
Entfremdung.“ 72 Der Manipulierte werde sich durch die schädliche Beeinflussung<br />
als Person fremd (er wird als Sache behandelt) und leide unter dieser<br />
„Entpersonalisierung“ 73 . Er findet sich versachlicht und hilflos der Steuerung<br />
gegenüber, was zwangsläufig zu einer Selbstentwirklichung führe.<br />
Nach diesem Exkurs kann also festgehalten werden, dass Manipulation untrenn-<br />
bar mit der Selbstentwirklichung zusammenhängt, bzw. die Selbstverwirk-<br />
lichung – nach Lay das erstrebenswerte Lebensideal – hemmt oder zerstört.<br />
Auslöser ist die Schwächung des Ichs, die durch ein extrem starkes Über-Ich<br />
ausgelöst wird. So bildet die Instanz des Über-Ichs eine Art „Tor“ der<br />
Manipulation. Es kreiert ein Umfeld, in dem die sozialen Beziehungen die „Wirk-<br />
lichkeit des Selbst“ (Summe der Überzeugungsinhalte) nicht stützten, sondern<br />
relativierten 74 . So wird die menschliche Freiheit beschnitten und eine lebens-<br />
werte Existenz ruiniert. Daher könnte als sechstes Charakteristikum der Mani-<br />
pulation (Seite 14) ganz im Sinne von Rupert Lay festgehalten werden:<br />
17<br />
� Manipulation ist nicht nur eine zerstörerische Kraft, sondern stellt<br />
sich einem ausgeglichenen Leben entgegen.<br />
Dieser Punkt wird von Lay zwar schlüssig erklärt, jedoch muss man ihm nicht<br />
zustimmen. Im Grunde kommt es auf die Definition von Manipulation an, ob<br />
man sie mit dieser negativen Eigenschaft belegt oder nicht.<br />
Fazit<br />
In der Ausarbeitung wurden Rupert Lays Auffassungen vorgestellt, kritisiert und<br />
ergänzt. Seine anthropologische Herleitung erwies sich als einseitig, religiös<br />
philosophisch geprägt. So ist es unvereinbar mit aktuelleren Ansichten wie die<br />
von Tomasello, der die menschliche Kognition als Primatenkognition beschreibt,<br />
die ein besonderes Potential in zwei Erscheinungen aufweist (Verstehen von<br />
Artgenossen durch Intentionalität und Kausalität 75 ). Dabei hätte Lay besonders<br />
bezüglich der anthropologischen Grundüberlegungen aktuellere Theorien<br />
anführen können, die sich auf empirisch nachweisbare Erkenntnisse stützen.<br />
72 ebd., S. 192<br />
73 ebd., S. 193<br />
74 ebd., S. 153<br />
75 vgl. Tomasello 2005, S. 31 - 40<br />
Prof. Dr. Reichertz │ Überzeugen und Verteidigen
Rupert Lay│ Manipulation durch die Sprache│ <strong>Stefanie</strong> <strong>Lenze</strong><br />
Leider waren die Ideen Tomasellos im Jahre 1988, dem Erscheinungsjahr von<br />
Manipulation durch die Sprache, noch nicht zugänglich. Doch kann bezweifelt<br />
werden, dass Lay seine Erkenntnisse berücksichtigen wird, weichen sie doch<br />
schon von der Grundauffassung des Menschen voneinander ab.<br />
Eine Übereinstimmung der Ansichten findet Lay allerdings in Freud. So hat Lay<br />
in diesem bekannten Psychoanalytiker nicht nur eine Autorität gefunden,<br />
dessen berühmtes Modell er für seine Manipulationsbeschreibungen verwenden<br />
kann, sondern auch eine passende Theorie für seine stellenweise sehr moralisch<br />
gefärbten Ansichten. Nur ein Beispiel für die Deckung der Weltbilder sei hier<br />
erwähnt: Nach Freud sind Erscheinungen wie Religion, Moral und soziales<br />
Empfinden die „Hauptinhalte“ im „Höheren des Menschen“, also das spezifisch<br />
Menschliche, das uns vom Tier abhebt 76 . Ähnlich argumentiert auch Lay:<br />
Christliche Ideale hemmen die menschliche Zerstörungswut, moralisches und<br />
ethisches Verhalten wirkt der Manipulation entgegen (vergleiche Seite drei).<br />
Auch der Manipulationsbegriff Lays wurde kritisch diskutiert, relativiert und um<br />
einige Aspekte ergänzt. Im Prinzip entspricht Lays Auffassung denen anderer<br />
Autoren, konnte jedoch um einige einleuchtende Charakteristika ergänzt<br />
werden. Nach der erweiterten Definition von Manipulation wurden im Hauptteil<br />
der Ausarbeitung das innere Geschehen und die inneren Konsequenzen der<br />
Manipulation im Sinne Freuds beschrieben. Dazu wurde die Thematik in zwei<br />
Bereiche geteilt: In die Grundlagen und in die Vorgänge. Als Abschluss lässt<br />
sich festhalten, dass Lays Erklärungsmodell dadurch hervorsticht, dass es auf<br />
besondere Weise die inneren Vorgänge während der Manipulation beschreibt<br />
und die Manipulation auf fast schon unverhältnismäßige Weise mit einer<br />
Wertung belegt. Andere Varianten, die ähnlich tief in diese Thematik eingehen,<br />
gehören fast ausschließlich in den Bereich der Werbung (als Hauptfeld der<br />
Manipulation). Diese aber konzentrieren sich auf behavioristische, kognitive<br />
Begrifflichkeiten und Beschreibungsversionen. Man beschränkt sich fast aus-<br />
schließlich auf Reiz-Reaktions-Ketten, Aktivierung des Konsumenten und Len-<br />
kung der Aufmerksamkeit. Dabei verkürzt man den Wirkungsspielraum der<br />
Manipulation. Auf der anderen Seite sollte noch einmal darauf verwiesen<br />
werden, dass Lay die Manipulation in extremer Weise als zerstörerisch und an<br />
manchen Stellen schon menschenfeindlich darstellt. Diese äußerst negative<br />
Auffassung findet sich nur bei ihm und muss m. E. nicht geteilt werden.<br />
76 Lay 1988, S. 304<br />
18<br />
Prof. Dr. Reichertz │ Überzeugen und Verteidigen
Rupert Lay│ Manipulation durch die Sprache│ <strong>Stefanie</strong> <strong>Lenze</strong><br />
Wenn es um den Wirkungsspielraum der Manipulation geht, hat Lay bessere<br />
Arbeit als die hier verwendeten Autoren geleistet, zumal er auch auf politische<br />
und soziale Manipulation eingeht. Dabei hilft ihm das einfache aber umfassende<br />
Instanzen-Modell Freuds. Doch auch dieses Modell ist nicht ohne Nachteile,<br />
denn es basiert ausschließlich auf theoretische Ideen, die wissenschaftlich nicht<br />
haltbar sind. Ihr einziger Vorteil ist ihre einfache Verständlichkeit: Wenn Lay<br />
nun die Auswirkungen und Abläufe in der Psyche erklärt, kommt ihm diese<br />
Simplizität der Freudschen Konstruktion zugute. Die Beschreibungen der<br />
manipulativen Vorgänge erscheinen einleuchtend und nachvollziehbar - also<br />
schlichtweg überzeugend.<br />
Als Fazit lässt sich festhalten, dass Lays Ideen zwar aus wissenschaftlicher Sicht<br />
anzweifelbar sind, aber dafür umfassender und anschaulicher als andere<br />
Modelle. Sie sind durchaus brauchbar, wenn man sich immer wieder die<br />
besondere Prägung als überzeugter Christ und das wackelige wissenschaftliche<br />
Fundament seiner Ausführungen bewusst macht und an einigen Stellen von ihm<br />
Abstand nimmt.<br />
19<br />
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