Frauen, die schaukeln – Bilder vom Schwungholen und Freisein
Eine fröhliche historische Foto-Sammlung
Eine fröhliche historische Foto-Sammlung
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<strong>Frauen</strong>, <strong>die</strong><br />
<strong>schaukeln</strong><br />
CLAUDIA GRABOWSKI<br />
Bilder <strong>vom</strong><br />
<strong>Schwungholen</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>Freisein</strong><br />
SCHÜNEMANN
<strong>Frauen</strong>, <strong>die</strong><br />
<strong>schaukeln</strong><br />
CLAUDIA GRABOWSKI<br />
Bilder <strong>vom</strong><br />
<strong>Schwungholen</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>Freisein</strong><br />
Carl Schünemann Verlag
<strong>Frauen</strong>, <strong>die</strong> <strong>schaukeln</strong> – eine<br />
schwungvolle Eroberung<br />
Vorwärtseuphorie bis einer landet. Rückwärtsbeiläufigkeit bis <strong>die</strong><br />
Fußspitzen wieder wie Pfeile Richtung Himmel zeigen. Auf <strong>und</strong> ab.<br />
Rauf <strong>und</strong> runter. Hin <strong>und</strong> her. Oben <strong>und</strong> unten. Staubige Sommernachmittage,<br />
unbeschwertes Bauchkribbeln, <strong>die</strong> Abenteuerlust<br />
im Kleinen. Die Schaukel ist ein Symbol für Kindheitserinnerungen,<br />
sie steht für Sorglosigkeit, Übermut, Fröhlichkeit <strong>und</strong> Dynamik.<br />
Und für das Leben an sich, mit all seinen Höhen <strong>und</strong> Tiefen.<br />
Die hier gezeigten 68 Fotos sind nur ein kleiner Teil meiner<br />
Sammlung von (überwiegend) historischen Amateurfotografien,<br />
privaten Schnappschüssen <strong>und</strong> Familienaufnahmen. Gesucht<br />
<strong>und</strong> gef<strong>und</strong>en auf den Flohmärkten <strong>die</strong>ser Welt. »<strong>Frauen</strong>, <strong>die</strong><br />
<strong>schaukeln</strong>« ist genau genommen eine Sammlung innerhalb einer<br />
Sammlung. Ein Ergebnis aus fast zwei Jahrzehnten des Zusammentragens,<br />
meiner Schwäche für alles Zurückgelassene <strong>und</strong> der<br />
Neugier auf <strong>die</strong> Geschichten dahinter. Beim Stöbern in Kisten <strong>und</strong><br />
Koffern <strong>und</strong> beim Durchblättern alter Fotoalben rutschen <strong>die</strong> verblassten<br />
Erinnerungen von den Seiten. Der zerbröckelte, rissige<br />
5
Kleber hält unsere Geschichte <strong>und</strong> <strong>die</strong> von den Fremden nicht<br />
mehr fest. Es gibt keine Gewissheit darüber, wer <strong>die</strong> Leute sind,<br />
wo <strong>und</strong> wie <strong>die</strong> Fotos aufgenommen wurden, was <strong>die</strong> Personen<br />
vor <strong>und</strong> hinter der Kamera gedacht <strong>und</strong> empf<strong>und</strong>en haben, mit<br />
welcher Intention der bzw. <strong>die</strong> Fotografierende genau <strong>die</strong>ses Motiv<br />
gewählt hat. Die Wahrheit ist wie ein Pergamentblatt, das <strong>die</strong><br />
Schwarz-Weiß-Fotos bedeckt. Milchig <strong>und</strong> verschwommen, <strong>die</strong>s<br />
schafft Raum für individuelle Interpretationen.<br />
Das erste Schaukelfoto einer Frau fand ich an einem kalten<br />
Novembermorgen auf dem Flohmarkt in Bremen-Hastedt, auf<br />
dem überdachten Parkdeck eines Einkaufcenters, <strong>die</strong> Winterausgabe<br />
des großen Trödelmarktes auf der Bürgerweide hinter<br />
dem Bahnhof. Charme <strong>und</strong> Flair sucht man hier zwischen Beton<br />
<strong>und</strong> Stahlträgern vergebens. Dem Sammlerherz ist das egal. Den<br />
schon recht klammen Fingern auch. Mit Handschuhen lassen sich<br />
Fotos schlecht durchsehen. Dann der Glücksf<strong>und</strong>. Wie alle darauffolgenden<br />
Bilder der Serie. Das Foto hat <strong>die</strong> Größe von 8,5 mal<br />
11,5 Zentimeter, ein Knick im unteren Drittel zieht sich von links<br />
leicht schräg bis zur Bildmitte. Was wie ein Makel erscheint, gehört<br />
zur Biografie der Aufnahme <strong>und</strong> fügt sich wie gewollt in <strong>die</strong><br />
Szenerie. Die Rückseite ist leer, eine Widmung oder Jahreszahl<br />
fehlt. Der Hintergr<strong>und</strong> des Bildes ist verschwommen, ein Garten,<br />
eine efeubewachsene Scheune auf der rechten Seite bilden den<br />
Rahmen. Die Aufhängung der Schaukel befindet sich außerhalb<br />
des Bildes, so schweben <strong>die</strong> Seile von oben herab in einen Gang<br />
zwischen zwei Pflanzenbeeten. Die junge Frau trägt eine Matrosenbluse,<br />
dazu Rock, <strong>die</strong> langen dunklen Haare fallen ihr über <strong>die</strong><br />
rechte Schulter bis zur Hüfte. Die Kleidung lässt vermuten, dass<br />
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das Foto aus der Zeit der Jahrh<strong>und</strong>ertwende des 19. zum 20. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
stammt. Ihr Blick geht direkt in <strong>die</strong> Kamera. Lächelnd.<br />
Etwas zurückhaltend <strong>und</strong> dennoch auch irgendwie kess <strong>und</strong> kokett.<br />
Die Hände umschließen jeweils <strong>die</strong> Seile. In der rechten Hand<br />
hält sie dabei lässig eine Zigarette zwischen den Fingern. Erst<br />
beim zweiten oder dritten Hinsehen fällt sie auf. Beim wirklichen<br />
Hinsehen. Allein <strong>die</strong>ses Detail weckt meine Begeisterung. Der<br />
perfekte Anfang meiner Kollektion! Seitdem begleiten sie mich:<br />
<strong>Frauen</strong>, <strong>die</strong> <strong>schaukeln</strong>. Und der Gedanke an das Ungewöhnliche,<br />
an <strong>die</strong> Beweggründe, an <strong>die</strong> Umstände, <strong>die</strong> zu den Fotos geführt<br />
haben. Gibt man bei Instagram in der Suchfunktion <strong>die</strong> Hashtags<br />
#schaukel <strong>und</strong> #<strong>schaukeln</strong> ein, werden jeweils mehr als 85.000<br />
Beiträge (Stand Juni 2021) angezeigt. Zu sehen sind junge <strong>Frauen</strong>,<br />
für <strong>die</strong> Plattform typische Merkmale <strong>und</strong> Assoziationen drängen<br />
sich auf: tolle Orte, <strong>schaukeln</strong> am Strand, Filter, Selbstdarstellung,<br />
Lifestyle, Lebensfreude, Freiheit, alle Möglichkeiten. Eine Bilderflut.<br />
Also nichts Besonderes. Heute. Doch schwang <strong>die</strong>se Leichtigkeit<br />
in der Geschichte meiner gesammelten Bilder auch immer<br />
mit? Die Schwarz-Weiß-Aufnahmen meiner Sammlung sind zwischen<br />
1888 <strong>und</strong> 1961 entstanden. Die Fotografie ist damals noch<br />
nichts Alltägliches, nicht gebräuchlich in allen Haushalten. Das<br />
klassische Rollenbild herrscht vor <strong>und</strong> lässt keinen weiblichen<br />
Freiheitsdrang zu. Die Vermutung liegt nahe, dass es nicht selbstverständlich<br />
ist, <strong>Frauen</strong> freudig <strong>und</strong> selbstbewusst auf Schaukeln<br />
zu sehen – <strong>und</strong> <strong>die</strong>se Situation auch noch in einem (teuren) Bild<br />
festzuhalten. Tatsächlich ist meine Sammlung eine Zeitleiste von<br />
eigentümlichen Momenten, Zufälligkeiten, Besonderheiten <strong>und</strong><br />
vielleicht auch Provokationen.<br />
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Das Faszinierende an der Schaukel für mich ist generell,<br />
dass es ein Gerät ist, das selbst angetrieben werden muss. Auf<br />
Nichtbewegung folgt Stillstand. Aktivität ist Voraussetzung für<br />
Bewegung, dabei hat man <strong>die</strong> Stärke des Schwungs in der Hand.<br />
Jede herbeigeführte Schwingung hat Auswirkung auf den Verlauf.<br />
Es ist <strong>die</strong>se Unmittelbarkeit, <strong>die</strong> mich begeistert.<br />
In der Kulturgeschichte taucht <strong>die</strong> Schaukel das erste Mal<br />
in der Antike auf. Obwohl davon auszugehen ist, dass <strong>die</strong> Schaukelbewegung<br />
an sich bereits seit Menschengedenken existiert.<br />
Eine Mutter, <strong>die</strong> ihr Kind wiegt, oder Affen, <strong>die</strong> sich von Baum zu<br />
Baum, von Liane zu Liane schwingen, sind zwei Motive, <strong>die</strong> <strong>die</strong>se<br />
Annahme nahelegen. Auch der Begriff »Schaukel« bzw. »<strong>schaukeln</strong>«<br />
ist jünger als <strong>die</strong> Tätigkeit selbst. Dieser wurde, so wie wir<br />
ihn heute kennen <strong>und</strong> verwenden, erst im 17. Jahrh<strong>und</strong>ert in <strong>die</strong><br />
deutsche Sprache eingeführt. Er leitet sich aus dem niederdeutschen<br />
Wort »Schukel« ab, das ins Hochdeutsche übertragen wurde.<br />
Die älteste bekannte Darstellung einer <strong>schaukeln</strong>den Person<br />
stammt aus dem 15. Jahrh<strong>und</strong>ert vor Christus. Eine Tonfigur<br />
aus dem minoischen Kulturkreis. Sie steht im Archäologischen<br />
Museum Heraklion auf Kreta <strong>und</strong> zeigt in einfacher Weise eine<br />
<strong>schaukeln</strong>de Person, der Form nach handelt es sich um eine Frau<br />
– wie passend.<br />
In anderen Kulturen hat das Schaukeln einen höheren Stellenwert<br />
als bei uns. Es <strong>die</strong>nt nicht nur als Zeitvertreib <strong>und</strong> Lustgewinn.<br />
Eine große Bedeutung hat das Schaukeln zum Beispiel in<br />
In<strong>die</strong>n, es ist fest in der dortigen Kultur <strong>und</strong> dem Hinduismus verankert.<br />
Es ist <strong>die</strong> Lieblingsbeschäftigung der Götter, schwebend<br />
zwischen Himmel <strong>und</strong> Erde, unabhängig von der irdischen Begren-<br />
8
zung. Die Schaukel als Thron, dem Sitz der Götter <strong>und</strong> der Liebespaare.<br />
Als Hochzeitsritual <strong>schaukeln</strong> daher Braut <strong>und</strong> Bräutigam<br />
in ihr gemeinsames Glück. Traditionell, stetig <strong>und</strong> unaufhaltsam.<br />
In der thailändischen Hauptstadt Bangkok steht heute als<br />
Wahrzeichen <strong>und</strong> religiöses Relikt <strong>die</strong> Große Schaukel »Sao Ching<br />
Cha«. Sie ist ein 27 Meter hoher Nachbau der Originalschaukel aus<br />
dem 18. Jahrh<strong>und</strong>ert. Ein rotes Tor, das an vergangene Schaukelzeremonien<br />
<strong>und</strong> Feste zum Neujahr erinnert, <strong>die</strong> noch bis 1935<br />
durchgeführt wurden.<br />
Es gibt verschiedene Arten von Schaukeln. Im Wesentlichen<br />
unterscheidet man zwischen der klassischen Hängeschaukel, der<br />
Wippschaukel <strong>und</strong> der Kufenschaukel. Das gängigste Modell ist<br />
<strong>die</strong> Hängeschaukel, bestehend aus einem Brett verb<strong>und</strong>en mit<br />
Seilen oder Ketten, <strong>die</strong> wiederum befestigt sind an einem dafür<br />
vorgesehenen Gerüst oder einfach an einem Ast im Baum. Es gibt<br />
zig unterschiedliche Aufhängungen. Eine abgewandelte Variante<br />
ist zum Beispiel auch <strong>die</strong> Schiffsschaukel für mehrere Personen<br />
auf Jahrmärkten. Die Wippe, so wie wir sie <strong>vom</strong> Spielplatz kennen,<br />
setzt sich zusammen aus einem Bock in der Mitte, auf dem ein<br />
Balken angebracht ist. Auf dessen Enden sitzt klassischerweise<br />
links <strong>und</strong> rechts jeweils eine Person, <strong>die</strong> sich mit den Füßen <strong>vom</strong><br />
Boden abstößt, mitunter sitzen auch mehrere Personen auf jeder<br />
Seite. Statt einer Pendelschwingung nach vorn <strong>und</strong> zurück, ist hier<br />
<strong>die</strong> Bewegung hoch <strong>und</strong> runter. Beispiele für Kufen<strong>schaukeln</strong> sind<br />
das Schaukelpferd <strong>und</strong> der Schaukelstuhl. Es überrascht, wie viele<br />
Formen von Schaukeln es gibt – selbst das Riesenrad, so wie<br />
es im Wiener Prater steht, oder das London Eye sind letztendlich<br />
eine Weiterentwicklung der Schaukel.<br />
9
»Einerseits fliege ich <strong>und</strong><br />
denke einen Augenblick lang,<br />
es geht immer höher, immer<br />
weiter. Andererseits weiß ich:<br />
Ich bin trotz allem fest auf der<br />
Erde <strong>und</strong> werde gehalten.«<br />
Ute Protte, Schaukelsammlerin (1934–2019)
19
Flapper Girls, 1920er-Jahre,<br />
Chicago, auf der Dachterrasse eines<br />
Hotels. Ein Jahrzehnt voller Möglich<strong>und</strong><br />
Unmöglichkeiten.<br />
Hier oben: große Erwartungen.<br />
Die <strong>Frauen</strong> nehmen sich ihre Freiheit,<br />
selbstbestimmt, unabhängig <strong>und</strong><br />
gleichberechtigt. Erwerbstätigkeit,<br />
statt durch Heirat geb<strong>und</strong>en zu sein.<br />
Und da unten: Gangster, Prohibition<br />
<strong>und</strong> Bandenkriminalität.
23
<strong>Frauen</strong>, <strong>die</strong> <strong>schaukeln</strong> – <strong>die</strong> Originale<br />
1910<br />
6 x 8,4 cm<br />
USA, 1900er<br />
9 x 14 cm<br />
k.A.<br />
8,4 x 8,4 cm<br />
Sommerfest<br />
1952<br />
9 x 14 cm<br />
k.A.<br />
5,6 x 8,4 cm<br />
1950er<br />
9 x 14,6 cm<br />
Chicago,<br />
1920er<br />
8,5 x 12,5 cm<br />
1950er<br />
9 x 14,6 cm<br />
1910<br />
8,8 x 13,7 cm<br />
k.A.<br />
9,3 x 11,9 cm<br />
1930er<br />
8,7 x 10,4 cm<br />
1935<br />
9 x 14 cm<br />
150
1919<br />
6 x 10,7 cm<br />
Pfalz, 1937<br />
6 x 8,5 cm<br />
USA, 1912<br />
8,2 x 10,7 cm<br />
1925<br />
8 x 5,4 cm<br />
k.A.<br />
11,6 x 8,3 cm<br />
1950<br />
9,1 x 9,1 cm<br />
k.A.<br />
9,2 x 14,2 cm<br />
Portugal, 1959<br />
8,7 x 11,7 cm<br />
1925<br />
8,7 x 13,6 cm<br />
k.A.<br />
5,4 x 8,3 cm<br />
Pfalz, 1937<br />
6 x 8,5 cm<br />
Griechenland,<br />
1950<br />
8,3 x 5,8 cm<br />
151
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet <strong>die</strong>se Publikation in der<br />
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im<br />
Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.<br />
© Carl Ed. Schünemann KG, Bremen<br />
www.schuenemann-verlag.de<br />
1. Auflage 2021<br />
Nachdruck sowie jede Form der elektronischen Nutzung<br />
– auch auszugsweise – nur mit Genehmigung des Verlages.<br />
Texte <strong>und</strong> Sammlung: Claudia Grabowski<br />
Redaktion: Caroline Simonis<br />
Covergestaltung: Karin Hannemann<br />
Satz <strong>und</strong> Buchgestaltung: Karin Hannemann<br />
Gesamtherstellung: Carl Schünemann Verlag<br />
Printed in EU 2021 | ISBN 978-3-7961-1121-1<br />
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