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02 36 | AUS VIÖL DEM AMT<br />
Gemischtwaren Runge<br />
Von Volker Jensen, September <strong>2021</strong>,<br />
einzelne Ergänzungen: Heinrich Carstensen<br />
Der Gemischtwaren-Laden Runge bestand in Viöl in der Bahnhofstraße<br />
2 (heute: Norstedter Straße 8) in der Zeit von 1927 bis 1974.<br />
Das Ehepaar Peter und Margarethe Runge hatten das circa 1920 erbaute<br />
Haus in der Zeit erworben, als die Eisenbahnverbindung von<br />
Husum nach Flensburg mit einem Bahnhof in Viöl noch eine glänzende<br />
Zukunft versprach. Der Müllergeselle Peter Runge hatte wohl<br />
nur eine sehr kurze Zeit als Verkäufer im Laden gearbeitet, sehr<br />
schnell fuhr er wieder Mühlenprodukte in der Umgebung zu den<br />
Kunden aus. Margarethe Runge war somit ab 1930 alleine für das Geschäft<br />
zuständig.<br />
Runges waren nicht nur ein Kolonialwarengeschäft, sondern ein Gemischtwarenladen,<br />
vergleichbar mit Preußler in Viöl. Die Einrichtung<br />
bestand aus einem rund fünf Meter langen, hüfthohen Unterschrank<br />
mit Schubladen für lose Waren, wie Zucker, Mehl, Rosinen, Haferflocken,<br />
Nüssen und viele Dinge mehr. Darauf befand sich ein Regalaufsatz<br />
für verpackte Dinge, wie Spirituosen. Auch einfache<br />
Schmerzmittel (Pyracil) hingen direkt am Regal mit den Flaschen. Ob<br />
die Präsentation von Schnaps und Kopfschmerzmittel direkt nebeneinander<br />
bereits eine frühe Art der Verkaufsförderung war, das weiß<br />
ich allerdings nicht.<br />
Essig und Senf wurden lose verkauft, ebenso Kaffee, der im Geschäft<br />
gemahlen werden konnte. Gebrauchsgegenstände des täglichen Bedarfs,<br />
wie Geschirr für die Küche und einfache Bestecke, Besen,<br />
Schaufeln, Heugabeln, Werkzeuge, Krampen und Nägel, selbst Hühnerdraht<br />
und Ratten- und Mausefallen gehörten in der Zeit zum Sortiment.<br />
Darüber hinaus Rauchwaren aller Art in einem Glasregal und<br />
Süßigkeiten, die exakt in Kinderaugenhöhe den Tresen auffüllten und<br />
wohl eine frühe Form<br />
der Quängelwaren<br />
darstellten. Ganz vorne<br />
an: Ein Glas mit<br />
Dauerlutschern für<br />
einen Pfennig pro<br />
Stück. Bereits in dieser<br />
Zeit war Familie<br />
Runge durch die vielen<br />
Klönschnacks, die<br />
das Geschäft so mit<br />
sich brachte, immer<br />
gut informiert. Tochter<br />
Christa wurde<br />
1933 geboren.<br />
Solange die Milch<br />
von den Bauern in<br />
Hoxtrup über Kragelund<br />
und Eckstock<br />
per Milchwagen mit<br />
Pferdegespann zur<br />
Meierei in Viöl gebracht<br />
wurde,<br />
Kaufmann Peter und Margarete Runge<br />
Gemischtwaren Runge in den 1950er Jahren<br />
schickten einige Bauern Körbe mit Einkaufszetteln mit den Milchwagen<br />
zu Runges. Diese wurden bei Runges mit den gewünschten Waren<br />
gefüllt und später auf dieselbe Art und Weise zurückgebracht.<br />
Bezahlt wurde anschließend. Die Eckstocker kauften fast alle ihre Waren<br />
komplett bei Runges ein.<br />
Im Kreis Husum gab es mehr und mehr PKW und im Verbund mit der<br />
benachbarten Gastwirtschaft und auch der Schmiede schräg gegenüber<br />
hielt sich im Lauf der Jahre ein Kundenstamm, der das Geschäft<br />
mit Gemischtwaren auf halbwegs rentablem Niveau aufrecht erhielt.<br />
Das Sortiment wurde stets moderat den Bedürfnissen der Kundschaft<br />
angepasst.<br />
Nach dem Krieg änderte sich fast alles. Kriegsheimkehrer Peter Runge<br />
starb 1949. Zehn Jahre später, also 1959, heiratete Christa Runge<br />
Carl-Heinrich Jensen aus Bondelum, genannt „Hein Runge“. Sie übernahm<br />
offiziell von ihrer Mutter das Geschäft. Beide, Mutter und Tochter,<br />
betrieben es aber nach meiner Geburt gemeinsam weiter. Die<br />
Kundschaft hatte sich jedoch nach dem Krieg und mit wachsendem<br />
Wohlstand gewandelt. Außerdem war bereits Mitte der 50er Jahre die<br />
Eisenbahnstrecke nach Flensburg wieder außer Betrieb gestellt worden.<br />
Es hatte zu keiner Zeit die erwartete Zahl von Fahrgästen gegeben<br />
und somit auch nie die Anzahl Kunden im Geschäft Runge. Einige<br />
wenige Stammkunden blieben über die Jahre erhalten, es kamen<br />
aber nur sehr wenige neu hinzu.<br />
Das Sortiment wurde folglich mit der Zeit drastisch eingeschränkt,<br />
Milch gab es nur noch als H-Milch in Flaschen, Kaffee kauften die<br />
meisten Menschen ab den 60er Jahren fertig gemahlen und abgepackt,<br />
genauso wie Essig und Senf. Tabakwaren, Süßigkeiten, Spirituosen<br />
und Husumer Bier wanderten noch oft über den Ladentisch.<br />
Aber die Zahl der Kunden nahm beständig ab. Ab circa 1970 war<br />
Kundschaft im Gemischtwaren-Laden Runge an zwei Händen abzuzählen.<br />
Es handelte sich fast ausschließlich um Landwirte und Handwerker<br />
aus der allernächsten Umgebung. Hatte der Großhändler M.<br />
Jürgensen in den sechziger Jahren noch wöchentlich Paletten mit Waren<br />
geliefert, so waren es Anfang der siebziger Jahre nur noch vereinzelte<br />
Kartons, vorwiegend mit Kaugummis, H-Milch und Spirituosen<br />
für treue Stammkunden. So war es nur folgerichtig, 1974 das Geschäft<br />
ganz zu schließen.