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Mein Großvater Leopold - der erste Jungwirth, der aus dem Mühlviertel fortzog, aber nicht sehr weit

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<strong>Mein</strong> <strong>Großvater</strong> <strong>Leopold</strong> - <strong>der</strong> <strong>erste</strong><br />

<strong>Jungwirth</strong>, <strong>der</strong> <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> <strong>Mühlviertel</strong><br />

<strong>fortzog</strong>, <strong>aber</strong> <strong>nicht</strong> <strong>sehr</strong> <strong>weit</strong><br />

Dezember 2021<br />

1<br />

Seit ich mich als Kind erinnern kann, hing in <strong>der</strong><br />

Küche meiner Oma über <strong>der</strong> Eckbank das Porträt<br />

meines, Jahre zuvor verstorbenen,<br />

zeitungslesenden <strong>Großvater</strong>s. Die Geschichten über<br />

ihn waren spärlich. Er habe „am Herzen“ gelitten und<br />

„musste deswegen <strong>nicht</strong> in den Krieg“, arbeitete<br />

stattdessen in Linz in einem Lager in das die Familie<br />

nach 1945 – <strong>aus</strong> Untermühl an <strong>der</strong> Donau kommend<br />

- nachzog.<br />

Vorher versuchte er in Linz ein Gasth<strong>aus</strong> zu<br />

eröffnen, was misslang. Ansonsten sei er viel Jahre<br />

arbeitslos gewesen.<br />

Oft besuchten wir in Kirchberg ob <strong>der</strong> Donau das<br />

Gasth<strong>aus</strong> von Tante Maridl. Erst später verstand ich:<br />

es ist sein Elternh<strong>aus</strong>.<br />

Um das Jahr 2000 erforschte Professor Rathkolb die<br />

Geschichte <strong>der</strong> Voest. Als ich hörte, dass dabei alle<br />

Personalakten seit <strong>der</strong> Gründung <strong>der</strong> Hermann<br />

Göring Werke gefunden wurden, bat ich um die von<br />

<strong>Leopold</strong> <strong>Jungwirth</strong>.<br />

Seither sammle ich was ich von meinem <strong>Großvater</strong><br />

in die Hände bekomme. Die Abende <strong>der</strong> letzten<br />

Pan<strong>dem</strong>ie Lockdowns nutzte ich, um das zu<br />

systematisieren.<br />

Dar<strong>aus</strong> entstand dieser Text, den es mit Bil<strong>der</strong>n<br />

und Links auch hier gibt:<br />

https://www.christophjungwirth.eu/leopoldjungwirth/


<strong>Leopold</strong> wurde am 14. Oktober 1893 in Kirchberg o.<br />

d. Donau Nr. 10 als Sohn von Anton (*1848) und<br />

Zäzilia (*1864; geb. Wolfsteiner) <strong>Jungwirth</strong><br />

geboren und am selben Tag getauft.<br />

Seine Eltern besaßen – wie er 1941 notierte – ein<br />

„Gasth<strong>aus</strong> mit Ökonomie“, 1946 gibt er in einem<br />

Fragebogen „Fleischauer, Gastwirt & Landwirt“ als<br />

väterlichen Beruf an.<br />

2<br />

Namentlich sind sechs Geschwister bekannt: Ottilie,<br />

Cäcilie, Hedwig, Julia, Johann und Hermann (*1890<br />

+1966), <strong>der</strong> den elterlichen Betrieb <strong>weit</strong>erführte. Da<br />

„Onkel Hermann“, wie er in den<br />

Familienerzählungen heißt, kin<strong>der</strong>los blieb, übergab<br />

er den Hof und Gasth<strong>aus</strong> an seine Verwandte Maria<br />

Wolfsteiner (*1934 +1999), eben jene Tante Maridl,<br />

die wir oft besuchten. Mit ihrem Mann Ernst<br />

Koblmüller (*1933 +2013) führte sie das H<strong>aus</strong>, in<br />

<strong>dem</strong> heute <strong>der</strong>en Sohn Ernst Wirt ist: DA' Wirt<br />

Kirchberg – Gasth<strong>aus</strong> Koblmüller.<br />

<strong>Leopold</strong>s <strong>Großvater</strong> väterlicherseits, Anton<br />

<strong>Jungwirth</strong>, kam 1819 in Rohrbach zur Welt, heiratet<br />

1840 in Altenfelden Rosina Prieschl (*1821) und<br />

war spätestens ab 1848 Gastwirt und vermutlich<br />

auch Bäcker in Kirchberg.<br />

Die Urgroßeltern Anton (*1793) und Anna-Maria<br />

(geb. Sonnleitner o<strong>der</strong> „Sonleutner“) <strong>Jungwirth</strong><br />

waren „Bürger in Rohrbach Nr. 40“ (heute Stadtplatz<br />

36). Ab 1825 besaß Anton das H<strong>aus</strong> Rohrbach 26


3<br />

(heute: Stadtplatz 33), wo er als Witwer mit seiner<br />

z<strong>weit</strong>en Frau Josefa (geb. Bär <strong>aus</strong> Peilstein) lebte.<br />

Anton <strong>Jungwirth</strong> arbeitete als „Müllermeister auf <strong>der</strong><br />

Kastenmühl in Unterriedl“, St. Stefan (13 km<br />

entfernt).<br />

Sein erstgeborener Bru<strong>der</strong> Johann (*1786), <strong>der</strong> mit<br />

seiner Frau Barbara (geb. Lanz) das Elternh<strong>aus</strong><br />

(„<strong>Jungwirth</strong>h<strong>aus</strong>“) übergeben bekam, wurde durch<br />

<strong>weit</strong>verzweigten Handel <strong>sehr</strong> vermögend. Als<br />

Frächter lieferte er Waren nach Triest, betrieb den<br />

Stellwagenbetrieb (Fuhrwerke für die<br />

Personenbeför<strong>der</strong>ung im Liniendienst) nach Linz,<br />

übernahm 1820 den staatlichen Salztransport und<br />

zehn Jahre später auch die Beför<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />

amtlichen Briefe, Gel<strong>der</strong> und Wertsachen. Zu<strong>dem</strong><br />

war er zwei Mal Bürgermeister und pachtete mit<br />

seinem Sohn Ignaz das Marktbräuh<strong>aus</strong>. Dieser<br />

Zweig <strong>der</strong> Familie erwarb 1870 auch den<br />

Herrschaftssitz Berg bei Rohrbach und besaß<br />

diesen bis 1912.<br />

<strong>Leopold</strong>s UrUrgroßvater Gregor <strong>Jungwirth</strong> (*1734)<br />

erlangte als Frater Anton regionale Berühmtheit<br />

und ist Mittelpunkt <strong>der</strong> Sage: „Der Einsiedler von<br />

Schwarzenberg“. Das Grundstück dieser Einsiedelei<br />

war 1764 vom Abt des Stiftes Schlägl <strong>dem</strong><br />

Stiftsbäcker Anton <strong>Jungwirth</strong> auf Lebenszeit<br />

überlassen worden. Es wird berichtet, dass dieser<br />

<strong>dem</strong> Abt manchen Verdruss bereitete, denn er wollte<br />

seine Kapelle zu einer Pfarrkirche und seine<br />

Einsiedelei zum Pfarrhof machen, wofür er meinte<br />

die Kosten aufbringen zu können, wenn das Kloster<br />

die Priester stellen würde. Er plante mehrere


4<br />

„Waldbrü<strong>der</strong>“ um sich zu versammeln. Als sich<br />

schließlich zwei reiche Bauerssöhne <strong>aus</strong><br />

Jandelsbrunn (Bayern, 14 km Wegstrecke entfernt)<br />

als Novizen in <strong>der</strong> Eremitage meldeten, sollte ihr<br />

Vermögen zum Kirchenbau dienen.<br />

Unter Frater Antons Führung wandte sich die<br />

Gemeinde Schwarzenberg an die kirchliche<br />

Obrigkeit und im Pfarrregulierungs-Reskript vom 6.<br />

März 1784 wurde das Verlangen <strong>der</strong><br />

Schwarzenberger nach einer eigenen Pfarrei erfüllt.<br />

Damit sollte vor allem in den Wintermonaten <strong>der</strong><br />

<strong>weit</strong>e Weg nach Ulrichsberg o<strong>der</strong> Breitenberg<br />

abgekürzt werden. Mit <strong>dem</strong> Bau <strong>der</strong> Pfarrkirche und<br />

des Pfarrhofes, ebenso einer Pfarrschule, wurde<br />

noch 1784 begonnen.<br />

Frater Anton war so auch zum Schullehrer, Mesner<br />

sowie Bauherr und heiratete im Jänner 1785 die<br />

(vermutliche) Jägerstochter Maria Elonore<br />

Schauberger (*1764), welche im neuen Pfarrhof<br />

kochte.<br />

Die beiden erwarben 1791 in Rohrbach das H<strong>aus</strong> Nr.<br />

16 (heute: Marktplatz 29), das als „<strong>Jungwirth</strong>h<strong>aus</strong>“<br />

bis Mitte des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts in Familienbesitz war.<br />

Der ehemalige Frater fungierte um 1800 als Richter<br />

in Rohrbach.<br />

Der Vater des umtriebigen Fraters, Lorenz<br />

<strong>Jungwirth</strong> (*1692 +1773), stammte <strong>aus</strong> Hintring<br />

(heute: Záhvozdí als Teil <strong>der</strong> Gemeinde Želnava) im<br />

südböhmischen Bezirk Prachatitz (heute:<br />

Prachatice) und war (ab) 1713 „als Wagnergeselle in<br />

<strong>der</strong> Fremde“. 1722 heiratete er im 15 km von zu<br />

H<strong>aus</strong>e entfernten Ulrichsberg Sophia (*1699, geb.


Scheibelberger). Sie war in <strong>der</strong> Micheleckmühle am<br />

Großen Michelbach (Oberlauf <strong>der</strong> Großen Mühl auf<br />

deutscher Seite; Gemeinde Neureichenau) gebürtig<br />

(5 km von Schwarzenberg; 15 km von Ulrichsberg).<br />

Die beiden ließen sich in <strong>der</strong><br />

Schwarzenbergermühle nie<strong>der</strong>, heute eine museale<br />

Leinölpress.<br />

5<br />

Die vierfachen Urgroßeltern <strong>Leopold</strong>s waren Anton<br />

<strong>Jungwirth</strong> (*1667 +1750) <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> böhmischen<br />

Berneck (heute: Pernek in <strong>der</strong> Gemeinde Želnava;<br />

etwa 20 km nach Schwarzenberg) und Sabina<br />

Kin<strong>der</strong>macher (*1664 +1729).<br />

Anton war von 1686 bis zur Hochzeit 1691 als<br />

Knecht bei seinem Paten Michael Stutz in Berneck<br />

tätig und arbeitet dann bis 1719 im Nachbardorf<br />

Hintring (Heimatort seiner Frau) als Wagner und war<br />

Inmann (jemand, <strong>der</strong> zur Miete wohnte; auch:<br />

Häusler).<br />

Ab 1720 war er Wagner in Wallern (heute: Volary in<br />

Südböhmen; 10 km nördlich von Hintring), wo 1729<br />

Sabina verstarb. Sie hatten gemeinsam sechs<br />

Kin<strong>der</strong>.<br />

Anton übersiedelte (vermutlich) zu seinem Sohn<br />

nach Schwarzenberg und starb dort 1750.<br />

Noch zwei <strong>weit</strong>ere Generationen <strong>Jungwirth</strong> sind<br />

nachweisbar. Beide lebten in Parkfried (heute: Bělá,<br />

Ortsteil <strong>der</strong> Gemeinde Nová Pec in Tschechien; 18<br />

km von Schwarzenberg).<br />

Michael (*1635 +1693) und Elisabeth <strong>Jungwirth</strong><br />

(*1640; geb. Salzer) mit zehn Kin<strong>der</strong>n.


Michael war bei <strong>der</strong> Hochzeit 1665 Knecht beim<br />

Bauer Christoph Reuschl im Nachbarort Berneck,<br />

danach ab 1667 bis zu seinem Tod Inmann, also<br />

„Häusler“, vermutlich an zwei Plätzen in Parkfried.<br />

Mit diesen Berufen ist naheliegend, dass <strong>der</strong> Name<br />

<strong>Jungwirth</strong> <strong>nicht</strong> vom Besitz eines Wirtsh<strong>aus</strong>es,<br />

son<strong>der</strong>n von <strong>der</strong> z<strong>weit</strong>en möglichen Bedeutung -<br />

„junger Ehemann“ - herrührt. Auch scheint es so,<br />

dass erst mit <strong>dem</strong> H<strong>aus</strong>kauf von Gregor (Frater<br />

Anton) <strong>Jungwirth</strong> 1791 dieser Zweig <strong>der</strong> Familie<br />

erstmals zu Immobilienbesitz kam, während sie<br />

davor eingemietete Häusler waren.<br />

6<br />

Und schließlich Matthias (*1600 ca. +1686) und<br />

Elisabeth <strong>Jungwirth</strong> (*1605), die sechsfachen<br />

Urgroßeltern von <strong>Leopold</strong> <strong>Jungwirth</strong>.<br />

Sie wurden erwachsen als 1618 in Südböhmen <strong>der</strong><br />

30jährige Krieg begann. Über Jahre kam es in <strong>der</strong><br />

Region zu Plün<strong>der</strong>ungen, Überfällen und<br />

Zerstörungen. Schätzungen sagen, dass Böhmen so<br />

ein Drittel <strong>der</strong> Bevölkerung verlor.<br />

In dieser Zeit und auch Gegend spielt Adalbert<br />

Stifters Erzählung „Hochwald“, die mein Bru<strong>der</strong><br />

Andreas in einem Hörspiel dramatisierte.<br />

Ungewiss bleibt, ob die <strong>Jungwirth</strong>-Generationen<br />

davor auch in Parkfried lebten o<strong>der</strong> zuzogen.<br />

An<strong>der</strong>e Vorfahren <strong>Leopold</strong>s - jedoch <strong>nicht</strong> in<br />

direkter „<strong>Jungwirth</strong> Linie“ - waren Jäger (Johann M.<br />

Reber um 1680 in Kreuzberg, Nie<strong>der</strong>bayern;<br />

Stephan Schauberger um 1690 in Gsenget,


Breitenberg; Johann A. Schauberger um 1720 in <strong>der</strong><br />

Herrschaft Rannariedl), Herrschaftsfischer sowie<br />

Revierförster (Johann G. Schauberger um 1750 in<br />

Holzschlag, Pfarre Ulrichsberg), Bauern (Matthias<br />

Pernsteiner um 1790 in Dobretshofen bei Rohrbach;<br />

Johann Wolfsteiner um 1830 unter <strong>der</strong> Herrschaft<br />

Pürnstein in <strong>der</strong> Nähe von Altenfelden) <strong>aber</strong> auch<br />

Wirt und Bäcker (Franz Prischl um 1800 Bäcker in<br />

Altenfelden).<br />

7<br />

Jedoch wie<strong>der</strong> zurück zu <strong>Leopold</strong> <strong>Jungwirth</strong> an<br />

den Beginn des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts. Der Bub wurde<br />

im Mai 1900 in die Volksschule Kirchberg<br />

aufgenommen. Das Zeugnis <strong>der</strong> <strong>erste</strong>n Klasse weist


lauter „<strong>sehr</strong> gut“ auf, bis auf Gesang. In <strong>der</strong> z<strong>weit</strong>en<br />

Klasse heißt es, er „schwätzt öfters“, ein Jahr später<br />

„stört (er) im Unterricht“ und erhält trotz<strong>dem</strong> o<strong>der</strong><br />

deswegen nur „<strong>sehr</strong> gut“.<br />

Das Entlassungszeugnis im <strong>dem</strong> Oktober 1907 zum<br />

„Ende <strong>der</strong> Schulpflichtigkeit“ (nach acht Klassen)<br />

weist wie<strong>der</strong>um beinahe nur Einsen <strong>aus</strong>, jedoch eine<br />

Vier in Gesang - was mich fatal an meine eigene<br />

Volkschulzeit erinnert.<br />

Von da an war <strong>Leopold</strong> bis Juni 1915 im Elternh<strong>aus</strong>,<br />

in <strong>der</strong> Landwirtschaft und im Gastgewerbe<br />

mitarbeitend.<br />

8<br />

Bereits ein Monat vor Beginn des Ersten<br />

Weltkrieges musste er am 15. Juni 1915 einrücken<br />

und konnte erst vier Wochen nach Kriegsende am 4.<br />

Dezember 1918 abrüsten. Sein letzter Dienstgrad<br />

war Telefonist und er erhielt zwei Auszeichnungen:<br />

die silberne Tapferkeitsmedaille II Klasse und das<br />

Bronzene Karl Truppenkreuz, wofür er mindestens<br />

zwei Wochen im ununterbrochenen Fronteinsatz<br />

stand.<br />

Der Krieg muss für ihn eine unvorstellbare Qual und<br />

Belastung gewesen sein. Man führe sich nur die<br />

dürren Fakten vor Augen (lt. seinem Lebenslauf <strong>aus</strong><br />

1941): 1916 Offensive Süd-Tirol, anschl. „Besetzung<br />

in Monenegro“, Üb<strong>erste</strong>llung zu Dragoner Regiment<br />

und Einsatz in Wolhynien (Nordwest-Ukraine) sowie<br />

in <strong>der</strong> Bukowina (Rumänien-Ukraine). Nach <strong>dem</strong><br />

Waffenstillstand Dezember 1917 Transfer nach<br />

Itlaien und 1918 Soldat in <strong>der</strong> Piave Offensive. Im<br />

Herbst 1918 musste <strong>Leopold</strong> noch im albanischen


Rückzug kämpfen und kam bis Cattaro (heute Kotor<br />

in Montenegro), „wo ich wegen Malaria und Ruhr<br />

bleiben musste“. Am 4.12.1918 als schwer Kranker<br />

nach H<strong>aus</strong>e, konnte ich erst wie<strong>der</strong> im Sommer 1925<br />

langsam die Arbeit beginnen.“<br />

So war er von Ende 1918 bis Februar 1921 im<br />

Elternh<strong>aus</strong>. Er versuchte dann bis Dezember 1921<br />

in Arnreit bei <strong>der</strong> Firma Fa. Leitner als<br />

Getreideeinkäufer zu arbeiten. Vom Dezember<br />

1921 bis April 1926 war <strong>Leopold</strong> wie<strong>der</strong>um zu<br />

H<strong>aus</strong>e.<br />

9<br />

In diese Zeit fällt auch 1921 die Geburt des<br />

unehelichen Sohnes Othmar <strong>Jungwirth</strong> mit Frau<br />

Unter.<br />

In Vorbereitung seiner Ausreise in die Schweiz<br />

wurde ihm am 15.4.1926 eine Heimatschein<br />

<strong>aus</strong>gestellt, in <strong>dem</strong> als Beruf „Besitzers Sohn“ und<br />

„Stand: ledig“ angeführt sind. Am Tag darauf erhielt<br />

er von <strong>der</strong> Bezirkshauptmannschaft Rohrbach einen<br />

Reisepass - „Beruf: landwirtschaftlicher Praktikant“.<br />

Dieser Pass enthält befristete (5. Mai 1926 bis 1.<br />

Juni 1927) Visa für die Schweiz zur Tätigkeit als<br />

„landw. Praktikant“, wohin er auch am 12. Mai 1926<br />

per Zug reiste und bei einem Nikol<strong>aus</strong> Kaufmann (?)<br />

arbeitete. Vom 27. September 1926 bis Ende<br />

Februar 1927 verdingte er sich bei <strong>der</strong><br />

Luzernischen Obstverwertungsgenossenschaft,<br />

Hitzkirch, Filiale Sursee. Er half beim Mosten,<br />

erlernte das Brennen <strong>der</strong> Trester und stieg zum


„<strong>erste</strong>n Brenner einer Dreihafenbrennerei“ auf.<br />

Später wird er in Personalfragebögen die abgelegte<br />

„Prüfung zum Brantweinbrenner und Dampfbrenner<br />

in Sursee, Luzern, Schweiz“ als einzigen formalen<br />

Berufsabschluss angeben können.<br />

Vom 2. März bis zum 6. April 1927 war er noch<br />

Aushilfe als Schnapsbrenner bei J. Marbach,<br />

Brennereibesitzer in Kaltenbach bei Sursee,<br />

Schweiz. Dann ging es – ein Antrag auf<br />

Verlängerung des Visums wurde abgelehnt - zurück<br />

nach Vorarlberg, um im Fremdenverkehr zu<br />

arbeiten.<br />

10<br />

Vom 28. April 1927 bis zum 3. Mai 1928 war <strong>der</strong> 35-<br />

jährige <strong>Leopold</strong> bei Josef Beck, Bürserberg,<br />

Stellwagen-Kutscher und Inkassant.<br />

Als H<strong>aus</strong>bursche arbeitete er vom Mai 1928 bis<br />

September 1928 im Hotel und Pension Beck, Brand<br />

bei Bludenz, bis Juni 1931 als Portier und<br />

H<strong>aus</strong>bursche im Gasthof Eisernes Kreuz Bludenz,<br />

Besitzerin Anna Sch<strong>weit</strong>zer.<br />

Hier war er länger zeitgleich mit <strong>der</strong> Köchin und<br />

späteren Ehefrau Ida Wurnig, die er wohl an dieser<br />

Arbeitsstelle kennenlernte. Auf einer Ansichtskarte<br />

in den Unterlagen von Ida <strong>Jungwirth</strong> findet sich <strong>der</strong><br />

Hinweis auf die Verlobung am 9. Mai 1931 im<br />

Tiroler Absam. Anscheinend waren sie gemeinsam<br />

auf <strong>dem</strong> Weg in Idas Heimatort Ainet bei Lienz, um<br />

Dokumente wie den Heimatschein <strong>aus</strong>stellen zu<br />

lassen.


Bis Juni 1932 arbeitete <strong>Leopold</strong> in <strong>weit</strong>eren<br />

Tourismusbetrieben u.a. im Hotel Post in Bludenz.<br />

Am 9. Mai 1932 wurden <strong>Leopold</strong> und Ida<br />

<strong>Jungwirth</strong> (*8.10.1903; geb. Wurnig <strong>aus</strong> St. Johann<br />

im Walde bei Lienz; Vater: Josef Wurnig; Mutter:<br />

Franziska Müllner) in <strong>der</strong> Pfarre Absam (Tirol) ein<br />

Ehepaar. Es wird eine Hochzeit im <strong>sehr</strong> kleinen<br />

Kreis gewesen sein, weil als Trauzeugen Herr<br />

Gessler, ein Beamter <strong>aus</strong> Innsbruck, und Herr<br />

Hai<strong>der</strong>, Messner in Absam, fungieren mussten.<br />

11<br />

Zurück in Oberösterreich pachtete das junge Paar<br />

unter Einsatz seiner Ersparnisse von Mai 1932 bis<br />

März 1933 in Linz das Gasth<strong>aus</strong> „Zum Schwarzen<br />

Rössl“ (Besitzer: Prambauer Johann) in <strong>der</strong><br />

Blumauerstraße 6, wo sie auch wohnten. Dieses<br />

Lokal übersiedelte in späteren Jahren in die<br />

Raimundstraße 18, Ecke Grillparzerstraße.<br />

Über diese Zeit schriebt <strong>Leopold</strong>: „… und pachtete<br />

ein Gasth<strong>aus</strong>, das ich infolge <strong>der</strong> dort einsetzenden<br />

schlechten Zeiten nach 9 Monaten aufgeben<br />

musste.“<br />

Von März 1933 bis März 1938, von seinem 40. bis<br />

zu seinem 45. Lebensjahr, war <strong>Leopold</strong> wie<strong>der</strong><br />

arbeitslos - insgesamt war er dies mehr als elf Jahre<br />

lang zwischen 1918 und 1938.<br />

In diese Zeit fällt auch die Geburt <strong>der</strong> beiden Kin<strong>der</strong>:<br />

am 29. Dezember 1933 Sohn Hermann, mein Vater,<br />

und am 1. Februar 1936 Tochter Karoline, meine<br />

Tante Lini.


Im amtlichen Linzer Adressbuch 1934 sind Ida und<br />

<strong>Leopold</strong> <strong>Jungwirth</strong> in <strong>der</strong> Goethestrasse 54 (heute:<br />

ein Nachkriegsbau zwischen Dinghoferstraße und<br />

Starhembergstraße, Nähe Südbahnhofmarkt)<br />

gemeldet, danach hatten sie keinen Linzer Wohnsitz<br />

und siedelten nach Kirchberg o. d. Donau, wo sie<br />

jedenfalls 1938 wohnten.<br />

Von dort zog die Familie nach Untermühl a. d.<br />

Donau, Point 2, und blieb bis 1946, wiewohl <strong>Leopold</strong><br />

während des Z<strong>weit</strong>en Weltkrieges Wohnadressen<br />

auch in Wohnlagern <strong>der</strong> Linzer Hermann Göring<br />

Werke hatte (siehe unten).<br />

12<br />

1937 für vier Monate, Anfang 1938 für einige<br />

Wochen und danach von März bis Jänner 1939<br />

(„Einstellung <strong>der</strong> Arbeiten wegen Frost“) fand<br />

<strong>Leopold</strong> eine Hilfsarbeit<strong>erste</strong>lle beim<br />

Landesbauamt u.a. bei Straßenbauarbeiten in<br />

Eferding.<br />

Das mit 16. September 1938 <strong>aus</strong>gestellte<br />

Wehrbuch sagt über <strong>Leopold</strong>: „gelernter Beruf:<br />

Lohndiener, <strong>aus</strong>geübter Beruf: Hilfsarbeiter“,<br />

Befund: tauglich.<br />

Am 29. Jänner 1939 wurde er vom Arbeitsamt Linz<br />

„in die Göringwerke üb<strong>erste</strong>llt, wo“ er „9 Monate<br />

bei Hoch-Tief I als qualifizierter Arbeiter auf <strong>der</strong><br />

Kippe eine kleine Partie führte“ (so laut eigenem<br />

handschriftlichem Lebenslauf <strong>aus</strong> 1941). Dabei war<br />

er vermutlich im „Lager Hochtief Negrelli“<br />

untergebracht.


13<br />

Ab 18. Oktober 1939 ist er Badeheizer bzw.<br />

Badewärter im Lager 56, wurde dort zumindest ab<br />

etwa Juni 1941 bereits auch für Kanzleiarbeiten<br />

eingesetzt. Sein Wochenlohn betrug brutto 46<br />

Reichsmark (entspricht 2021: 273 Euro).<br />

Ab 15. August 1941 bis 1946 (also offenbar ohne<br />

Unterbrechung über das Ende <strong>der</strong> NS-Zeit hin<strong>aus</strong>)<br />

ist er Hilfslagerführer für Lager 20, Lager 45<br />

(Monteurlager) und Lager 56, mit Wirkung ab 14.<br />

Jänner 1942 zusätzlich Lagerrechnungsführer in den<br />

Diensten <strong>der</strong> Reichswerke A.G. „Hermann Göring“<br />

Alpine Montanbetriebe. 1946 wird er Lagerleiter<br />

des Wohnlagers 20, was er bis zu seinem Tod<br />

bleibt. Dienstgeber waren zuerst die „ehemaligen<br />

Reichswerke“ und ab 1945 die VÖEST (so ein<br />

abschließendes Dienstzeugnis vom 9. Jänner 1956).<br />

Vor diesem Hintergrund beauftragte ich den Linzer<br />

Historiker Hermann Rafetse<strong>der</strong> zu erforschen, in<br />

welchem Umfeld <strong>Leopold</strong> <strong>Jungwirth</strong> von 1938 bis<br />

1945 tätig war, in welcher Beziehung er zur NSDAP<br />

stand und ob ihm Verbrechen in dieser Zeit<br />

vorzuwerfen seien. Die Ergebnisse finden sich hier<br />

in einer umfassenden Dokumentation.<br />

Zusammengefasst stellt sich das so dar: <strong>Leopold</strong><br />

war in drei verschiedenen Lagern tätig und<br />

wohnte in zwei unterschiedlichen, davon<br />

verschiedenen, Lagern. In diesen Lagern waren<br />

ZwangsarbeiterInnen untergebracht, die <strong>der</strong>art<br />

unter Zwangsarbeit standen, dass sie von <strong>der</strong><br />

Republik Österreich (Versöhnungsfond) entschädigt<br />

wurden. In den Lagern, in denen er arbeitete, waren


14<br />

überwiegend Angehörige „privilegierter Nationen“<br />

(also „weniger schlecht Behandelte“ wie z. B. die<br />

„OstarbeiterInnen“) interniert.<br />

In <strong>dem</strong> einen Lager, in <strong>dem</strong> er die meiste Zeit<br />

wohnte, befanden sich auch viele<br />

„OstarbeiterInnen“. Es kann davon <strong>aus</strong>gegangen<br />

werden, dass diese auch für ihn tätig wurden -<br />

zumindest in <strong>der</strong> Reinigung <strong>der</strong> Unterkunft.<br />

Nach <strong>dem</strong> Kriegsende wurde <strong>Leopold</strong> <strong>Jungwirth</strong> im<br />

Lager 20 (das dann ein Wohnlager wurde)<br />

Lagerleiter. Dies und dass er laut posthumem<br />

Zeugnis vom Jänner 1956 offenbar ohne<br />

Unterbrechung über das Kriegsende hin<strong>aus</strong> seine<br />

Tätigkeit in denselben Lagern fortführen durfte, kann<br />

zumindest als Indiz dafür gewertet werden, dass<br />

ihm keine gröberen Verstöße gegen die<br />

Menschlichkeit zur Last gelegt wurden. Allerdings<br />

waren die ZwangsarbeiterInnen meist bald außer<br />

Landes gebracht worden, was allfällige<br />

Zeugenschaft in größerem Ausmaß unterband.<br />

Erwähnenswert sind hier die „Werkschutzmänner“,<br />

einer Art Lagerpolizei, die in vielen Lagern durch<br />

beson<strong>der</strong>s hartes Durchgreifen gegen<br />

ZwangsarbeiterInnen berüchtigt war. Diese<br />

erledigten in Großbetrieben die „Drecksarbeit“ zur<br />

Disziplinierung <strong>der</strong> ZwangsarbeiterInnen. Ein<br />

„Hilfslagerführer“ wie <strong>Leopold</strong> <strong>Jungwirth</strong> hätte selbst<br />

bei bösen Absichten keinerlei Grund gehabt, sich die<br />

Hände selbst schmutzig zu machen.<br />

Eine Mitgliedschaft in <strong>der</strong> NSDAP ist <strong>nicht</strong><br />

dokumentiert. Das mag auch <strong>der</strong> Grund gewesen


sein, warum mein <strong>Großvater</strong> „nur“ Hilfslagerführer<br />

wurde.<br />

Offen bleibt in diesem Zusammenhang <strong>aber</strong> die<br />

Frage, warum er in seinem späteren Patenzettel als<br />

„Lagerführer <strong>der</strong> VÖEST“ titulieret wird, obwohl<br />

dies damals offiziell untersagt war – eine<br />

umgangssprachliche Schlampigkeit o<strong>der</strong> Ausdruck<br />

eine Reminiszenz an die NS Zeit?<br />

15<br />

An Wohnadressen werden im Personalakt für<br />

<strong>Leopold</strong> <strong>Jungwirth</strong> drei Lager genannt: In einem<br />

Schreiben vom Oktober 1939 das Lager 56, in einem<br />

Dokument mit Stand August 1941 „Linz, Lager 57“<br />

bzw. Wohnlager 57 an <strong>der</strong> Salzburger Reichsstraße.<br />

Schließlich dann Wohnlager, Lager bzw. Siedlung<br />

20 am Vöest-Gelände, wo er mit seiner Familie<br />

wohnte und am 25. November 1955 am<br />

„coronarsklerose, angina pectoris“ verstarb.<br />

Sein letztes Bruttogehalt im Jahr 1955 betrug 2.000<br />

Schillinge. Dies entspricht inflations- und<br />

kaufkraftkorrigiert im Jahr 2022: 1.120 Euro.<br />

Trotz dieses spärlichen Einkommens kauften Ida<br />

und <strong>Leopold</strong> <strong>Jungwirth</strong> in Langholzfeld bei Linz ein<br />

Grundstück an <strong>der</strong> Adresse Nr. 430 (heute: Dr. Karl<br />

Rennerstraße 7, 4061 Pasching). Sie begannen mit<br />

einer Siedlungsgenossenschaft ein sogenanntes<br />

„Mansardenhaues“ mit zwei Wohnungen zu bauen.<br />

Als <strong>der</strong> Rohbau stand, starb <strong>Leopold</strong>. Das H<strong>aus</strong><br />

stellte sein Sohn Hermann mit seiner Mutter Ida<br />

fertig – mein Elternh<strong>aus</strong>.


Auch von dort handelt ein Hörspiel meins Bru<strong>der</strong>s<br />

Andreas: Langholzfeld.<br />

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