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MAS-Programm in Raumplanung 2009/11:<br />

Master Thesis<br />

<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong><br />

<strong>Städtebauliche</strong> <strong>Analyse</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungs</strong>perspektiven<br />

Roger Sonderegger<br />

Referent: Prof. Dr. Christian Schmid<br />

Koreferent: Dr. Christian Gabathuler<br />

Juli 2011


<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

Vorwort<br />

Die vorliegende Master Thesis bildet den Abschluss einer Ausbildung in Raumplanung an der<br />

ETH Zürich. Sie untersucht exemplarisch eine Luzerner <strong>Vorstadt</strong> <strong>und</strong> leistet damit einen Beitrag<br />

zur Diskussion über eine wünschenswerte Zukunft für unsere Vorstädte – dort wo ein grosser<br />

Anteil der Menschen heute <strong>und</strong> insbesondere in den kommenden 50 Jahren wohnt.<br />

Ein besonderer Dank geht an die Betreuung durch Prof. Dr. Christian Schmid. Ohne ihn hätte<br />

sich diese Arbeit nie vom alltäglichen Instrumentarium der Raumplanung Schweiz gelöst <strong>und</strong><br />

sich den gr<strong>und</strong>sätzlicheren Fragen zur Zukunft der Raumentwicklung gestellt. Nur wenige Per-<br />

sonen wagen es, sich den grossen Zusammenhängen in der Schweizer Raumplanung zuzu-<br />

wenden <strong>und</strong> diese auch öffentlich zu diskutieren – Christian Schmid gehört zu ihnen. Ebenso<br />

gebührt Dr. Christian Gabathuler ein herzlicher Dank. Er ist als Koreferent für den erkrankten<br />

Prof. Dr. Giovanni Danielli, meinen langjährigen Fre<strong>und</strong> <strong>und</strong> Arbeitskollegen, eingesprungen.<br />

Weiter möchte ich meinen langjährigen Fre<strong>und</strong>en Mariela Siegrist <strong>und</strong> Diego Comamala dan-<br />

ken, die mit unermüdlichem Einsatz die in dieser Arbeit enthaltenen Computeranimationen er-<br />

stellt haben. Wenn Bilder mehr als tausend Worte sagen, dann sollte man sie auch tatsächlich<br />

sprechen lassen. Ausserdem danke ich meinem Studienfre<strong>und</strong> Cornelius Wegelin, der fre<strong>und</strong>li-<br />

cherweise das Korrekturlesen dieser Arbeit übernommen hat. Er wird dieses Jahr selber das<br />

MAS Raumplanung an der ETH Zürich in Angriff nehmen, wozu ich ihm viel Erfolg wünsche.<br />

Diese Arbeit widme ich meinem Sohn Lukas, der während der Erarbeitung das Licht der Welt<br />

erblickte. Ich hoffe, in Zukunft relevante Beiträge zur Stärkung der Schweizer Raumplanung leis-<br />

ten zu können, um ihm dereinst eine lebenswerte Schweiz weiterzugeben.<br />

Luzern, im Juli 2011<br />

Roger Sonderegger<br />

I


<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

1 Das <strong>Rontal</strong> als Schweizer Agglomeration .................................................................................. 3<br />

1.1 Das Untersuchungsgebiet ................................................................................................................... 3<br />

1.2 Verkehrserschliessung ........................................................................................................................... 4<br />

1.3 Bevölkerung .............................................................................................................................................. 6<br />

1.4 Wirtschaft ................................................................................................................................................... 8<br />

1.5 Siedlungsästhetik <strong>und</strong> öffentlicher Raum ................................................................................... 11<br />

1.6 Baulandpotentiale ............................................................................................................................... 13<br />

1.7 Fazit: <strong>Städtebauliche</strong> Defizite im <strong>Rontal</strong> ...................................................................................... 14<br />

2 Die <strong>Vorstadt</strong> im wissenschaftlichen Diskurs ........................................................................... 19<br />

2.1 Lebhafte Diskussion in den 1990er-Jahren ................................................................................. 19<br />

2.2 Verschiebung in den deutschsprachigen Raum ....................................................................... 20<br />

2.3 Strategie zur städtebaulichen Aufwertung ................................................................................. 22<br />

3 Die Agglomeration Luzern im städtebaulichen Kontext .................................................... 25<br />

3.1 <strong>Städtebauliche</strong> Entwicklung ............................................................................................................ 25<br />

3.2 Städtenetz Zentralschweiz? .............................................................................................................. 27<br />

3.3 Fazit ........................................................................................................................................................... 30<br />

4 Szenarien der Raumentwicklung Schweiz .............................................................................. 32<br />

4.1 Gemeinsame Elemente ...................................................................................................................... 33<br />

4.2 Szenario 1: Eine Schweiz der Metropolen – Trendszenario ................................................... 33<br />

4.3 Szenario 2: Zersiedlung – Niedergang der Städte .................................................................... 36<br />

4.4 Szenario 3: Eine polyzentrische urbane Schweiz – vernetztes Städtesystem ................. 39<br />

4.5 Szenario 4: Eine Schweiz der Regionen – territoriale Solidarität ......................................... 42<br />

5 Vier Szenarien für das <strong>Rontal</strong> ....................................................................................................... 45<br />

5.1 Trendszenario: Zug entleert sich ins <strong>Rontal</strong> hinein .................................................................. 45<br />

5.2 Zersiedlung: Das <strong>Rontal</strong> wird zugebaut ....................................................................................... 47<br />

5.3 Polyurbanes Städtenetz: Das <strong>Rontal</strong> wird urbanisiert ............................................................. 49<br />

5.4 Territoriale Solidarität: Das <strong>Rontal</strong> bleibt <strong>Vorstadt</strong> ................................................................... 51<br />

5.5 Fazit: Lernen aus den Szenarien ...................................................................................................... 52<br />

II


<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

6 Eine räumliche <strong>Entwicklungs</strong>strategie für das <strong>Rontal</strong> ......................................................... 53<br />

6.1 Stärkung des öffentlichen Raums ................................................................................................... 53<br />

6.2 Schaffung von Kohärenz ................................................................................................................... 54<br />

6.3 Vernetzung ............................................................................................................................................. 54<br />

6.4 Verdeutlichung von Grenzen ........................................................................................................... 55<br />

6.5 Schaffung von Identifikationsorten ............................................................................................... 55<br />

6.6 Umstrukturierung der Regionalwirtschaft .................................................................................. 56<br />

7 Fazit für die Raumentwicklung Schweiz .................................................................................. 57<br />

8 Quellen ................................................................................................................................................ 60<br />

III


<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

Tabellenverzeichnis<br />

Tabelle 1 Bevölkerungsentwicklung 1999-2009 ............................................................................ 7<br />

Tabelle 2 Beschäftigte <strong>und</strong> Pendler im <strong>Rontal</strong> .............................................................................. 10<br />

Tabelle 3 Baulandpotentiale im <strong>Rontal</strong> (in ha) .............................................................................. 14<br />

Abbildungsverzeichnis<br />

Abbildung 1 Untersuchungsperimeter im Überblick .............................................................. 3<br />

Abbildung 2 Die K17 aus der Perspektive eines Velofahrers ................................................ 6<br />

Abbildung 3 Altersstruktur der Bevölkerung ............................................................................. 8<br />

Abbildung 4 Ausprägung der Wirtschaft nach Sektoren ....................................................... 9<br />

Abbildung 5 Hauptstrasse K17: Trennwirkung <strong>und</strong> Flächenverbrauch .......................... 11<br />

Abbildung 6 Kapelle in Ebikon ...................................................................................................... 12<br />

Abbildung 7 Fehlende raumplanerische <strong>und</strong> gestalterische Koordination................... 13<br />

Abbildung 8 Ausrichtung eines Lebensraumes auf das Auto ............................................ 15<br />

Abbildung 9 Amerikanische Verhältnisse in Verkehr <strong>und</strong> Gastronomienangebot ..... 16<br />

Abbildung 10 Zentraler Platz in Ebikon – zwischen Kirche, Hofmatt <strong>und</strong> Bahnhof ....... 17<br />

Abbildung 11 Urban geprägte Teilräume der Zentralschweiz ............................................. 28<br />

Abbildung 12 Die Schweiz der Metropolen – Trendszenario ................................................ 35<br />

Abbildung 13 Zersiedlung – Niedergang der Städte ............................................................... 38<br />

Abbildung 14 Eine polyzentrisch urbane Schweiz – vernetztes Städtesystem ............... 40<br />

Abbildung 15 Eine Schweiz der Regionen – territoriale Solidarität .................................... 43<br />

Abbildung 16 Trendszenario: Zug entleert sich ins <strong>Rontal</strong> hinein ...................................... 46<br />

IV


<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

Abbildung 17 Zersiedlung: Das <strong>Rontal</strong> wird zugebaut ........................................................... 48<br />

Abbildung 18 Polyurbanes Städtenetz: Das <strong>Rontal</strong> wird urbanisiert ................................. 50<br />

Abbildung 19 Territoriale Solidarität: Das <strong>Rontal</strong> bleibt <strong>Vorstadt</strong> ....................................... 51<br />

Abbildung 20 Vision für ein neues Dorfzentrum in Ebikon ................................................... 56<br />

Abbildung 21 Übersichtskarte morphologische Detailanalyse .............................................. 2<br />

Abbildung 22 Knoten ........................................................................................................................... 3<br />

Abbildung 23 Relikte ............................................................................................................................ 4<br />

Abbildung 24 Siedlungsinseln ........................................................................................................... 5<br />

Abbildung 25 Restflächen ................................................................................................................... 6<br />

Abbildung 26 Zerhäuselung .............................................................................................................. 7<br />

Abbildung 27 Transiträume................................................................................................................ 8<br />

Abbildung 28 Superkomplexe........................................................................................................... 9<br />

V


<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

Abschlussarbeit MAS-Programm in Raumplanung 2009/11<br />

<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong><br />

<strong>Städtebauliche</strong> <strong>Analyse</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungs</strong>perspektiven<br />

Roger Sonderegger<br />

Schönegg 3<br />

6014 Luzern<br />

Telefon: 041 534 39 30<br />

Mobil: 078 861 98 39<br />

E-Mail: roger.sonderegger@gmail.com<br />

Juli 2011<br />

Kurzfassung<br />

Das <strong>Rontal</strong> weist heute drei wesentliche städtebauliche Defizite auf: einen schwachen öffentlichen<br />

Verkehr, eine bauliche Entwicklung in die Fläche <strong>und</strong> wenig attraktive öffentliche Räume.<br />

Die Szenarioanalysen in dieser Arbeit zeigen ausserdem, dass sich das <strong>Rontal</strong> ohne Gegenmassnahmen<br />

weiter in eine nicht nachhaltige Richtung entwickeln wird. Die vorgeschlagene Aufwertungsstrategie<br />

umfasst eine Stadtbahn, eine Umgestaltung des Strassenraums <strong>und</strong> die Schaffung<br />

von Plätzen, die Stärkung des Langsamverkehrs, eine Verdichtung der Siedlung an zentralen Lagen<br />

<strong>und</strong> eine Begrenzung der Siedlung nach aussen. Die regionale Wirtschaft muss sich stärker in<br />

Richtung wertschöpfungsintensiver Betriebe entwickeln, z.B. mit der Gründung eines Cleantech-<br />

Zentrums anstelle des geplanten Ebisquare.<br />

In vielen Schweizer Vorstädten bestehen heute ähnliche Probleme. Gerade diese wenig beachteten<br />

Siedlungsteile ausserhalb der Kernstadt bieten jedoch riesige Potentiale, um das prognostizierte<br />

Bevölkerungswachstum in der Schweiz aufzunehmen. Damit diese Entwicklung gelingt,<br />

braucht es die Vorleistung der öffentlichen Hand <strong>und</strong> eine funktionierende Zusammenarbeit zwischen<br />

Gemeinden <strong>und</strong> Kantonen – am wirksamsten durch Gemeindefusionen. Die Agglomerationspolitik<br />

des B<strong>und</strong>es ist für die Lösung der diskutierten Probleme ein wichtiger Schritt in die<br />

richtige Richtung.<br />

Schlagworte<br />

<strong>Vorstadt</strong>; <strong>Rontal</strong>; Agglomeration Luzern; Stadtentwicklung; Agglomerationspolitik<br />

Zitierungsvorschlag<br />

Sonderegger, Roger (2011): <strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong>: <strong>Städtebauliche</strong> <strong>Analyse</strong> <strong>und</strong> <strong>Entwicklungs</strong>perspektiven.<br />

Abschlussarbeit im MAS Raumplanung an der ETH Zürich.<br />

1


<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

1 Das <strong>Rontal</strong> als Schweizer Agglomeration<br />

1.1 Das Untersuchungsgebiet<br />

Das Untersuchungsgebiet <strong>Rontal</strong> liegt zwischen Luzern <strong>und</strong> Rotkreuz, also am Nordostrand der<br />

Agglomeration Luzern. Untersucht werden in dieser Arbeit die vier Gemeinden Ebikon, Buch-<br />

rain, Dierikon <strong>und</strong> Root (von Westen nach Osten). Funktionell <strong>und</strong> in der Agglomerationsdefini-<br />

tion des B<strong>und</strong>es liegen alle vier Untersuchungsgemeinden innerhalb der Agglomeration; bau-<br />

lich bestehen jedoch Lücken zwischen allen vier Dörfern. Den Namen <strong>Rontal</strong> verdankt die Regi-<br />

on einem kleinen Bach, der Ron, die vom Rotsee nach Nordosten bis Root fliesst <strong>und</strong> dort in die<br />

Reuss mündet.<br />

Abbildung 1 Untersuchungsperimeter im Überblick<br />

Quelle: B<strong>und</strong>esamt für Landestopographie (online)<br />

Die Fläche des Untersuchungsgebietes misst ca. 25,6km 2 . Ende 2009 wohnten r<strong>und</strong> 23‘500<br />

Menschen hier. Im Kantonalen Richtplan von 1998 wurde ein Teil des <strong>Rontal</strong>s (Gemeinden Ebi-<br />

kon <strong>und</strong> Dierikon) als Schwerpunkt für die kantonale Entwicklung von Wohnen <strong>und</strong> Arbeiten<br />

festgelegt (cf. Ecoptima 2003, p.8).<br />

3


<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

1.2 Verkehrserschliessung<br />

Die Verkehrserschliessung im <strong>Rontal</strong> wird nach Verkehrsträgern analysiert, also getrennt nach<br />

Motorisiertem Individualverkehr (MIV), öffentlichem Verkehr (öV) <strong>und</strong> Langsamverkehr (LV; d.h.<br />

Fuss- <strong>und</strong> Veloverkehr).<br />

1.2.1 Motorisierter Individualverkehr (MIV)<br />

Die Kantonsstrasse 17 (K17) erschliesst das gesamte <strong>Rontal</strong> von der Grenze zur Stadt Luzern bis<br />

zum Autobahnanschluss Root <strong>und</strong> weiter bis zur Kantonsgrenze zu Zug. Sie ist mit einem<br />

durchschnittlichen Tagesverkehr von bis zu 22‘000 Fahrzeugen (Ebikon Dorf) sehr stark be-<br />

lastet. Die K17 wurde in den 1960er-Jahren auf einer Länge von r<strong>und</strong> 3km (Dorfeingang Ebikon<br />

bis Einkaufszentrum MParc) als vierspurige Hauptachse mit zahlreichen Lichtsignalanlagen aus-<br />

gebaut. Bis heute wird die K17 auf der gesamten Länge mit Tempo 60 befahren, was hohe<br />

Lärmemissionen <strong>und</strong> eine sehr starke Trennwirkung innerhalb der Siedlung zur Folge hat.<br />

Im Juni 2011 wurde der Autobahnanschluss Buchrain eröffnet, der über einen unterirdischen<br />

Zubringer das <strong>Rontal</strong> direkt an die A4 Luzern-Zug anschliesst. Der Zubringer wird einen relevan-<br />

ten Anteil des heutigen Verkehrs auf der K65 übernehmen <strong>und</strong> damit die Durchfahrt von Buch-<br />

rain massgeblich entlasten können (Ecoptima 2003, p.51).<br />

Der neue Zubringer endet in der Mitte des <strong>Rontal</strong>s, was in Zukunft zum Verzicht auf viele lange<br />

Quell- <strong>und</strong> Zielfahrten führen wird. Laut Kanton Luzern (2011) <strong>und</strong> der Planung des Entwick-<br />

lungsschwerpunktes (Ecoptima 2003, p.52) ist aber aufgr<strong>und</strong> des besseren Verkehrsangebotes<br />

auch mit einem Mehrverkehr von bis zu 25% zu rechnen. Im Zentrum von Ebikon wird damit die<br />

K17 ihre Kapazitätsgrenze überschreiten, was vermehrte Staubildung zur Folge haben wird.<br />

Weitere Sammelstrassen sind im <strong>Rontal</strong> nur von untergeordneter Bedeutung.<br />

Aus Verkehrsperspektive ist mit dem neuen Autobahnzubringer die Situation für den MIV im<br />

<strong>Rontal</strong> – von langen Wartezeiten an den Lichtsignalanlage abgesehen – akzeptabel. Aus städte-<br />

baulicher Sicht stellt aber die Strassenraumgestaltung ein gewaltiges Hindernis für zukünftige<br />

Entwicklungen dar. Die starke Trennwirkung, die Priorisierung des motorisierten Verkehrs beim<br />

Fahren <strong>und</strong> Parkieren sowie die Dominanz von Lärm <strong>und</strong> Hektik an dieser Hauptachse behin-<br />

dern eine städtebauliche Aufwertung. Für zukünftige bauliche Entwicklungen bedeutet diese<br />

Voraussetzung zudem, dass der private Raum noch konsequenter vom öffentlichen getrennt<br />

werden wird als dies bereits heute der Fall ist (cf. Kategorien Siedlungsinseln in Anhang 2). Einer<br />

Neugestaltung der K17 kommt also höchste Priorität zu.<br />

4


<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

1.2.2 Öffentlicher Verkehr (ÖV)<br />

Die S-Bahn-Linie S1 führt von Luzern nach Zug <strong>und</strong> erschliesst das <strong>Rontal</strong> mit den Haltestellen<br />

Ebikon, Buchrain, Längenbold <strong>und</strong> Root. Die Haltestellen Buchrain <strong>und</strong> Längenbold wurden im<br />

Dezember 2004 eröffnet <strong>und</strong> haben die S-Bahn zusammen mit der Einführung eines 30‘-Taktes<br />

<strong>und</strong> modernen Zugskompositionen deutlich aufgewertet. Für eine weitere Steigerung der Att-<br />

raktivität <strong>und</strong> das notwendige Kapazitätswachstum zu Spitzenzeiten wäre die Einführung eines<br />

15’-Taktes zwingende Voraussetzung.<br />

Aufgr<strong>und</strong> von Kapazitätsengpässen am Rotsee (einspuriger Abschnitt) <strong>und</strong> bei der Zufahrt zum<br />

Bahnhof Luzern (zwei Gleise für alle wichtigen Zu- <strong>und</strong> Wegfahrten) brauchte es dafür jedoch<br />

einen weiteren Ausbau der Infrastruktur. Das Projekt Tiefbahnhof Luzern würde den Bahnhof<br />

Ebikon in einem ca. 7km langen Tunnel direkt mit dem Bahnhof Luzern verbinden <strong>und</strong> damit<br />

diese Probleme lösen. Allerdings ist aufgr<strong>und</strong> der aktuellen Prioritäten im B<strong>und</strong>esamt für Ver-<br />

kehr (Ausbau Ost-West-Achse) nicht vor 2025 mit einer Umsetzung zu rechnen.<br />

Das Rückgrat des öffentlichen Verkehrs im <strong>Rontal</strong> bleibt deshalb weiterhin der Bus. Die Diesel-<br />

buslinien 22 <strong>und</strong> 23 verbinden die Stadt Luzern mit Gisikon/Root bzw. Inwil <strong>und</strong> Perlen. Von Lu-<br />

zern bis Ebikon Hofmatt ergänzen sie sich in Spitzenzeit ca. zu einem 6‘-Takt. Beide Linien ver-<br />

fügen ab der Grenze zur Stadt Luzern bis zum Schlossberg über keine eigene Busspur, was in<br />

Stosszeiten zu regelmässigen <strong>und</strong> grossen Verspätungen führt.<br />

Die kapazitätsstarke Trolleybuslinie 1 hingegen endet heute im Maihof (Stadt Luzern) <strong>und</strong> da-<br />

mit für das <strong>Rontal</strong> an einer denkbar ungünstigen Stelle. Aus städtebaulicher <strong>und</strong> verkehrstech-<br />

nischer Sicht ist eine Verlängerung bis zum Kreisel beim MParc Ebikon dringend notwendig. Als<br />

erster Ausbauschritt kommt auch eine Verlängerung nur bis zum Bahnhof Ebikon in Frage. Für<br />

das <strong>Rontal</strong> deutlich besser geeignet wäre jedoch eine Trambahn; diese Idee wird in Kapitel 5.2<br />

detaillierter diskutiert.<br />

1.2.3 Fuss- <strong>und</strong> Veloverkehr (Langsamverkehr, LV)<br />

Das Wegnetz für den Langsamverkehr wurde in den vergangenen 10 Jahren schrittweise er-<br />

gänzt <strong>und</strong> aufgewertet, insbesondere entlang der Ron. Trotzdem präsentiert sich die Gesamtsi-<br />

tuation für den Fussverkehr heute unerfreulich. Eine Querung der Hauptstrasse ist für Fussgän-<br />

ger nur nach langem Warten an einem Lichtsignal oder bei Unter- <strong>und</strong> Überführungen möglich,<br />

die Beschriftung ist ungenügend. Möchte ein Ortsk<strong>und</strong>iger beispielsweise in Ebikon vom Bus<br />

auf die Bahn umsteigen, so wird er ohne Hilfe den Bahnhof kaum finden.<br />

5


<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

Abbildung 2 Die K17 aus der Perspektive eines Velofahrers<br />

Quelle: eigene Aufnahme<br />

Im Velowegnetz bestehen immer noch zahlreiche Lücken an wichtigen Orten. Besonders gra-<br />

vierend ist die Situation für Velofahrer entlang der K17: hier fehlen Velostreifen über weite Stre-<br />

cken. Die Signalisation ist vielerorts schwach, oder sie fehlt ganz. Veloabstellplätze – insbeson-<br />

dere gedeckte – sind im <strong>Rontal</strong> fast nirgends zu finden. Im Fuss- <strong>und</strong> Veloverkehr besteht also<br />

insgesamt grosser Handlungsbedarf.<br />

1.3 Bevölkerung<br />

Ende 2009 leben im <strong>Rontal</strong> r<strong>und</strong> 23‘500 Menschen, also r<strong>und</strong> ein Drittel der Bevölkerung der<br />

Stadt Luzern. Gegenüber 1999 entspricht dies einem Wachstum von 12,7%, was über dem<br />

Durchschnitt des Kantons Luzern <strong>und</strong> der Schweiz liegt. Der Blick in die Vergangenheit zeigt,<br />

dass das <strong>Rontal</strong> insbesondere seit den 1960er-Jahren stark an Bevölkerung gewonnen hat. Auch<br />

in den vergangenen 10 Jahren hat dieses Wachstum angehalten oder sich teilweise sogar noch<br />

beschleunigt: die Bevölkerung in den vier Untersuchungsgemeinden wuchs in dieser Zeit zwi-<br />

schen 7.4% <strong>und</strong> 23.5%.<br />

6


<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

Tabelle 1 Bevölkerungsentwicklung 1999-2009<br />

EW 2009 Seit 1999 Fläche (km 2 ) Einwohnerdichte<br />

Ebikon 11'850 +7.40% 9.7 1'224<br />

Dierikon 1'442 +9.20% 2.8 519<br />

Buchrain 5'710 +17.90% 4.8 1'190<br />

Root 4'363 +23.50% 8.7 504<br />

<strong>Rontal</strong> 23'365 +12.71% 25.9 902<br />

Stadt Luzern 76'702 +6.10% 37.4 2'051<br />

Kt Luzern 372'853 +8.20% 1493.0 250<br />

Quelle: Lustat, eigene Zusammenstellung aus den Gemeindeporträts 1<br />

Beim Vergleich der Bevölkerungsdichte zeigt sich, dass es sich im <strong>Rontal</strong> um einen Raum han-<br />

delt, der insgesamt zwischen städtischen <strong>und</strong> ländlichen Dichten liegt. Auch innerhalb der vier<br />

Untersuchungsgemeinden sind die Unterschiede gross: Dierikon <strong>und</strong> Root weisen nach wie vor<br />

eine ländliche Dichte auf, Ebikon <strong>und</strong> Buchrain sind mehr als doppelt so dicht besiedelt.<br />

Die Bevölkerung im <strong>Rontal</strong> ist im Vergleich mit der Stadt Luzern relativ jung, insbesondere in<br />

Dierikon <strong>und</strong> Root. Dies deutet darauf hin, dass die Zuwanderung in erster Linie aus Menschen<br />

im jungen <strong>und</strong> mittleren Alter besteht. Gleichzeitig deutet der Geburtenüberschuss (zum Ver-<br />

gleich Stadt Luzern: bedeutender negativer Geburtenüberschuss; Lustat 2010) darauf hin, dass<br />

auch zahlreiche junge Familien im <strong>Rontal</strong> leben. Mit r<strong>und</strong> 20% Ausländeranteil präsentiert sich<br />

das <strong>Rontal</strong> im Schweizer Durchschnitt. Nur Dierikon liegt mit 14,5% deutlich tiefer.<br />

1 Die Gemeindeporträts sind online verfügbar unter http://www.lustat.ch<br />

7


<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

Abbildung 3 Altersstruktur der Bevölkerung<br />

Kanton LU<br />

Quelle: Lustat, eigene Zusammenstellung aus den Gemeindeporträts<br />

Grob gefasst setzt sich heute die Bevölkerung im <strong>Rontal</strong> aus folgenden drei Gruppen zusam-<br />

men (eigene Einschätzung):<br />

1. Traditionelle, ortsansässige Bevölkerung (Familien, ältere Menschen)<br />

2. Zugezogene Arbeitskräfte der Industrie (Südeuropäische Familien, Männer)<br />

3. Neu zugezogene Pendler (DINKS; YUPPIES)<br />

Die dritte Gruppe hat dabei den Haupteinfluss auf das Wachstum <strong>und</strong> die Verjüngung der Be-<br />

völkerungsstruktur. Tatsächlich pendeln viele neu zugezogene Bewohner aus dem <strong>Rontal</strong> Rich-<br />

tung Zug-Zürich, oder aber in die Kernstadt Luzern (s. Punkt Wirtschaft, unten).<br />

1.4 Wirtschaft<br />

Das <strong>Rontal</strong> ist nicht nur Wohnort, sondern auch Standort vieler Unternehmen. Der 2. Sektor ist<br />

aufgr<strong>und</strong> der starken Position von Schindler <strong>und</strong> seiner Zulieferbetriebe heute vergleichsweise<br />

stark übervertreten, während nur r<strong>und</strong> 50% der Arbeitsplätze auf den 3. Sektor entfallen<br />

(Schweiz: 74,1%).<br />

Stadt LU<br />

<strong>Rontal</strong><br />

Root<br />

Buchrain<br />

Dierikon<br />

Ebikon<br />

0% 20% 40% 60% 80% 100%<br />

8<br />

< 20<br />

20-64<br />

65-79<br />

> 80


<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

Abbildung 4 Ausprägung der Wirtschaft nach Sektoren<br />

Kanton LU<br />

Stadt LU<br />

<strong>Rontal</strong><br />

Buchrain<br />

Dierikon<br />

Ebikon<br />

Quelle: Lustat, eigene Zusammenstellung aus den Gemeindeporträts<br />

Nur wenige Branchen dominieren den 2. Sektor: Maschinenindustrie, Metallverarbeitung, Fahr-<br />

zeugbau <strong>und</strong> Elektrotechnik. Mehr als die Hälfte der Beschäftigten im Sektor 2 ist in diesen<br />

Branchen tätig. Der Weltkonzern Schindler beschäftigt im <strong>Rontal</strong> r<strong>und</strong> 1'800 Mitarbeiter. Zu-<br />

sammen mit Zulieferern <strong>und</strong> den indirekten Drittleistungen ist Schindler Aufzüge AG damit der<br />

mit Abstand bedeutendste Wirtschaftsfaktor im <strong>Rontal</strong> (Ecoptima 2003, p. 12) 2 .<br />

Auch im 3. Sektor gibt es im <strong>Rontal</strong> ein dominantes Segment mit fast 50% aller Beschäftigten im<br />

Bereich Handel / Reparatur. Dazu gehören folgende Branchen:<br />

• Handel mit Autos <strong>und</strong> Reparatur<br />

• Handelsvermittlung <strong>und</strong> Grosshandel<br />

• Detailhandel <strong>und</strong> Reparatur von Gebrauchsgütern<br />

Diese Branchen sind gleichzeitig wertschöpfungsschwach, flächenintensiv <strong>und</strong> generieren viel<br />

Verkehr (mit hohem Schwerverkehrsanteil).<br />

2 „Laut Auskunft des BFS werden Konzerne sehr differenziert nach effektiven Tätigkeitsgebieten betrachtet, womit<br />

von den 1'800 Schindler-Beschäftigten im <strong>Rontal</strong> statistisch richtigerweise nur ein Teil dem Sektor 2 zugeordnet<br />

wird“ (Ecoptima 2003).<br />

Root<br />

0% 20% 40% 60% 80% 100%<br />

9<br />

1. Sektor<br />

2. Sektor<br />

3. Sektor


<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

Insgesamt arbeiten heute r<strong>und</strong> 11‘500 Menschen im <strong>Rontal</strong>. Nur sehr wenige wohnen dabei<br />

auch in der Gemeinde, in der sie arbeiten; r<strong>und</strong> 70% pendeln täglich. In der Pendlerstatistik hal-<br />

ten sich die Zu- <strong>und</strong> die Wegpendler ungefähr die Waage. Allerdings sind die Daten zum Pend-<br />

lerverhalten mit Vorsicht zu betrachten, da die aktuell verfügbaren Statistiken aus dem Jahr<br />

2000 stammen. Neuere Daten sind erst mit der Volkszählung 2010 zu erwarten.<br />

Tabelle 2 Beschäftigte <strong>und</strong> Pendler im <strong>Rontal</strong><br />

Beschäftigte Besch/EW Zupendler Wegpendler Zup/Wegp<br />

Ebikon 5'392 0.46 3'568 3'876 0.92<br />

Dierikon 1'607 1.11 1'291 485 2.66<br />

Buchrain 1'424 0.25 841 1'977 0.43<br />

Root 3'100 0.71 1'312 1'218 1.08<br />

<strong>Rontal</strong> 11'523 0.49 7'012 7'556 0.93<br />

Stadt 62'997 0.82 31'704 13'059 2.43<br />

Kanton 196'516 0.53 18'818 21'843 0.86<br />

Quelle: Lustat, eigene Zusammenstellung aus den Gemeindeporträts 3<br />

Die wichtigste Pendlerbewegung aus dem <strong>Rontal</strong> führte im Jahr 2000 in die Stadt Luzern. Aller-<br />

dings ist aufgr<strong>und</strong> von zahlreichen Beobachtungen damit zu rechnen, dass die Pendlerquote<br />

Richtung Zug <strong>und</strong> Zürich seither nochmals deutlich angestiegen ist. Mit dem im Juni 2011 neu<br />

eröffneten Autobahnanschluss Buchrain steigt zudem die Attraktivität des <strong>Rontal</strong>s als Wohnre-<br />

gion fürs Autopendeln nach Zürich nochmals zusätzlich.<br />

3 Die Daten stammen aus der VZ 2000 <strong>und</strong> sind somit mehr als 10 Jahre alt<br />

10


<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

1.5 Siedlungsästhetik <strong>und</strong> öffentlicher Raum<br />

Der öffentliche Raum präsentiert sich im <strong>Rontal</strong> in weiten Teilen in einem schlechten Zustand.<br />

Er wird durch den überdimensionierten Strassenraum entlang der K17 <strong>und</strong> der K65 dominiert.<br />

Auch die an die Hauptstrassen angrenzenden Gebiete werden zu einem grossen Teil durch den<br />

Verkehr belegt: als Parkier-, Rangier- oder Trennflächen für verschiedene Verkehrsteilnehmer.<br />

Plätze <strong>und</strong> Strassen mit Begegnungsqualitäten finden sich hingegen nur in Teilen der Wohn-<br />

quartiere, auf den Wegen entlang der Ron sowie in bestehenden Dorfkernen abseits der Kan-<br />

tonsstrasse.<br />

Abbildung 5 Hauptstrasse K17: Trennwirkung <strong>und</strong> Flächenverbrauch<br />

Quelle: eigene Aufnahme<br />

Ein weiterer Effekt der überdimensionierten Strasseninfrastruktur ist, dass die angrenzenden<br />

Liegenschaften an Attraktivität verlieren. Entsprechend fehlt mittel- bis langfristig auch die Be-<br />

reitschaft, in diese Immobilien zu investieren. Das Resultat sind Immobilien in einem schlechten<br />

bis sehr schlechten Zustand entlang der Hauptstrasse mit zunehmenden Leerständen. Es ist ei-<br />

ne eigentliche Verslumung festzustellen. Dadurch verlieren die Dorfzentren (insbesondere Ebi-<br />

kon) noch mehr an Attraktivität.<br />

Weiter fehlen im <strong>Rontal</strong> Elemente der Identifikation <strong>und</strong> der Orientierung. Die beiden stärksten<br />

Landmarks (cf. Lynch 2007) des <strong>Rontal</strong>s sind ein Testturm der Firma Schindler <strong>und</strong> die Werbe-<br />

säule eines amerikanischen Hamburgeranbieters in Längenbold bei Root. Auch ein neues<br />

Kunstwerk auf einem Strassenkreisel beim Business Center D4 („Tension-Energy“) kann an der<br />

fehlenden Identitätsstiftung nur wenig ändern. Die Dorfkirche Ebikon, die durchaus Qualitäten<br />

eines Landmarks entwickeln könnte, ist aufgr<strong>und</strong> von Bäumen <strong>und</strong> Gebäuden nur von wenigen<br />

Orten im <strong>Rontal</strong> aus sichtbar.<br />

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<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

Neben der Kirche in Ebikon finden sich zahlreiche weitere Relikte mit Potential für Identitätsstif-<br />

tung: Speicher, Kapellen, Bauernhöfe <strong>und</strong> -häuser, sogar ein malerischer Weiler („Halte“). Die In-<br />

tegration in das städtebauliche Ensemble gelingt allerdings nicht (cf. Abbildung 6). Die Relikte<br />

wirken wie ein Gruss aus verstaubter Vergangenheit – eine Verbindung zwischen alt <strong>und</strong> neu<br />

existiert kaum.<br />

Abbildung 6 Kapelle in Ebikon<br />

Quelle: eigene Aufnahme<br />

Die im <strong>Rontal</strong> dominierenden Nutzungen tragen ausserdem wenig zu einer qualitativ hoch ste-<br />

henden Architektur bei. Industrie <strong>und</strong> Gewerbe setzen meist auf kostenbewusste Bauten, eben-<br />

so die Fachmärkte <strong>und</strong> Logistikbetriebe. Angesichts der Entwicklung der vergangenen zehn<br />

Jahre werden sich diese Nutzungen sogar noch verstärken, was die Ästhetik <strong>und</strong> die Mensch-<br />

lichkeit des Massstabs in der Siedlungsgestaltung weiter verschlechtern wird. Schliesslich ist<br />

auch die Heterogenität der Siedlungsstrukturen ein Problem für die Ästhetik. Verschiedene<br />

Massstäbe, Nutzungszwecke, Entstehungszeiträume <strong>und</strong> Architekturstile prallen hier ohne jede<br />

Koordination auf einander. Dies gilt sowohl für Wirtschafts- als auch für Wohngebäude.<br />

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<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

Abbildung 7 Fehlende raumplanerische <strong>und</strong> gestalterische Koordination<br />

Quelle: eigene Aufnahme<br />

1.6 Baulandpotentiale<br />

Im <strong>Rontal</strong> waren 2007 r<strong>und</strong> 690ha Bauzonen ausgewiesen, was ungefähr der Hälfte der Stadt<br />

Luzern entspricht (inkl. Littau). Davon waren etwa 210ha bzw. 30% noch nicht überbaut. Hinzu<br />

kommen Potentiale für innere Verdichtungen, z.B. durch Nachverdichtung oder Nutzung von<br />

Brachen, die im <strong>Rontal</strong> zahlreich vorhanden sind. Insgesamt bestehen damit im <strong>Rontal</strong> Bau-<br />

landpotentiale von ungefähr 250ha bzw. 35-40% Wachstumspotential gegenüber heute. Teilt<br />

man die Mischzonen hälftig auf, so sind davon r<strong>und</strong> 60% sind für Arbeiten reserviert, <strong>und</strong> r<strong>und</strong><br />

40% für Wohnen.<br />

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<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

Tabelle 3 Baulandpotentiale im <strong>Rontal</strong> (in ha)<br />

BZ (ha) Unüberbaut Inn. Reserven Potentiale total<br />

Ebikon 266.5 46.4 15.8 62.2<br />

Dierikon 50.2 15.3 4.6 19.9<br />

Buchrain 170.1 55.6 10.0 65.6<br />

Root 202.9 93.0 8.6 101.6<br />

<strong>Rontal</strong> 689.7 210.3 38.9 249.2<br />

Stadt Luzern 1297 138.5 63.2 201.7<br />

Quelle: ARE 2007<br />

Dieses gewaltige Wachstumspotential gilt es gezielt zu nutzen. Die Potentiale <strong>und</strong> Grenzen<br />

neuer Nutzungen messen sich nicht am Flächenangebot, sondern an der Verkehrserschliessung<br />

<strong>und</strong> der Umweltschutzgesetzgebung (Ecoptima 2003). Umso wichtiger ist es deshalb, dass auf<br />

den neuen bzw. wiederverwerteten Flächen die „richtigen Nutzungen“ realisiert werden.<br />

1.7 Fazit: <strong>Städtebauliche</strong> Defizite im <strong>Rontal</strong><br />

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das <strong>Rontal</strong> im Jahr 2011 ein Raum ist, dem es weit-<br />

gehend an Identität <strong>und</strong> an städtebaulicher Qualität fehlt. Die Entwicklung der vergangenen 50<br />

Jahre muss mindestens kritisch beurteilt werden. Das <strong>Rontal</strong> hat Qualitäten verloren, die Dörfer<br />

haben sich zu identitätsarmen Vorstädten gewandelt. Die quantitativ ausgerichtete Wachs-<br />

tumspolitik des Kantons für den <strong>Entwicklungs</strong>schwerpunkt <strong>Rontal</strong> lässt für die Zukunft keine<br />

Trendwende erwarten.<br />

Die heute sichtbaren Resultate einer städtebaulichen Abwertung lassen sich auf drei haupt-<br />

sächliche Faktoren zurückführen: 1. Priorität für den motorisierten Individualverkehr, 2. Flächen-<br />

intensive Entwicklung, 3. Fehlende Qualitäten in der Siedlungsästhetik <strong>und</strong> im öffentlichen<br />

Raum. Diese drei Faktoren beeinflussen sich auch gegenseitig <strong>und</strong> ergeben so eine Entwick-<br />

lungsdynamik, die sich selber weiter antreibt.<br />

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<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

1. Priorität für den motorisierten Individualverkehr<br />

Die einsetzende Massenmotorisierung bewog den Kanton Luzern Mitte der 1950er-Jahre – also<br />

vor Beginn der Nationalstrassenplanung – zu einem grosszügigen Ausbau der Hauptverbin-<br />

dungsachse Luzern-Zürich. Die Ausrichtung der Infrastruktur auf eine reibungslose Steuerung<br />

des Individualverkehrs verlangte nach getrennten Fahr- <strong>und</strong> Abbiegestreifen, überdimensio-<br />

nierten Kreuzungen mit zahlreichen Lichtsignalanlagen (die Ebikon im Volksm<strong>und</strong> den Namen<br />

„Amplikon“ eingetragen haben), grossen Schildern, hohen Tempi (Tempo 60!) sowie starker<br />

räumlicher Trennung zu ruhendem <strong>und</strong> langsamerem Verkehr. Das Resultat ist eine suburbane<br />

Landschaft, die weitgehend von der Ausrichtung auf das Automobil geprägt ist <strong>und</strong> in ihrem<br />

Zentrum einen tiefen Einschnitt in Raum <strong>und</strong> Identität trägt.<br />

Abbildung 8 Ausrichtung eines Lebensraumes auf das Auto<br />

Quelle: eigene Aufnahme<br />

Die Priorität für den motorisierten Individualverkehr hat aber nicht nur einen direkten Einfluss<br />

auf den Lebensraum <strong>und</strong> den Lebensstil der Bevölkerung. Eine grosszügig gestaltete Verkehrs-<br />

infrastruktur zieht zusammen mit der guten Erreichbarkeit auch neue Nutzungen an, die in ihrer<br />

Funktionslogik auf dem Strassenverkehr basieren. Im <strong>Rontal</strong> wird dies sichtbar anhand der zahl-<br />

reichen Fachmärkte, Freizeiteinrichtungen <strong>und</strong> Logistikbetriebe <strong>und</strong> Drive-In-Restaurants. Auch<br />

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<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

Gewerbe- <strong>und</strong> Dienstleistungsbetriebe folgen in ihrer räumlichen Verteilung nicht der Logik der<br />

Dichte bzw. Erreichbarkeit mit dem ÖV, dem Velo oder zu Fuss, sondern der automobilen Er-<br />

reichbarkeit. Diese auf dem Auto basierende räumliche Planung <strong>und</strong> Entwicklung zeigt weit rei-<br />

chende Parallelen mit der Raumentwicklung in Nordamerika.<br />

2. Flächenintensive Entwicklung<br />

Die im <strong>Rontal</strong> ansässigen Gewerbe- <strong>und</strong> Industriebetriebe zeichnen sich insgesamt durch eine<br />

tiefe Wertschöpfung <strong>und</strong> einen hohen Flächenverbrauch aus. Dies gilt sowohl für Unternehmen<br />

mit einer langen Geschichte (z.B. Schindler AG) als auch für neu gegründete oder zugezogene<br />

Unternehmen (z.B. DHL). Diese Nutzungen werden einerseits durch die vorhandene Infrastruk-<br />

tur <strong>und</strong> die bestehenden Nutzungen angezogen; andererseits prägen sie selber wiederum den<br />

Raum <strong>und</strong> schaffen damit die Voraussetzung für weitere flächenintensive Nutzungen. Denn:<br />

inmitten von gut mit dem Auto erreichbaren Fachmärkten, Gewerbezentren <strong>und</strong> Industriebe-<br />

trieben werden sich keine Dienstleistungsbetriebe oder Wohnnutzungen ansiedeln, die andere<br />

Mobilitätsformen suchen oder schaffen würden.<br />

Abbildung 9 Amerikanische Verhältnisse in Verkehr <strong>und</strong> Gastronomienangebot<br />

Quelle: eigene Aufnahme<br />

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<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

Aus raumplanerischer Perspektive fehlt es dem <strong>Rontal</strong> also an Dichte bzw. an Nutzungen, die<br />

Dichte produzieren. Die räumliche Entwicklung einer solchen Siedlungsstruktur muss also<br />

zwangsläufig nach aussen verlaufen – ein Trend, den auch die Raumplanung im <strong>Rontal</strong> nicht<br />

bremsen konnte. Ein grosser Teil der Hanglagen wurde in den letzten Jahrzehnten für Wohn-<br />

nutzungen bebaut, <strong>und</strong> freie Flächen im Talboden sowohl für Arbeiten als auch für Wohnen<br />

genutzt – trotz bestehender Brachen. Entsprechend präsentiert sich das <strong>Rontal</strong> heute stark zer-<br />

siedelt. Auch hier lässt sich eine Parallele zu Nordamerika ziehen: Zersiedlung als Resultat einer<br />

liberalen Raumentwicklungspolitik bzw. als Konzession an die wirtschaftliche Entwicklung <strong>und</strong><br />

das Leben im suburbanen Eigenheim.<br />

3. Qualität in der Siedlungsästhetik <strong>und</strong> im öffentlichen Raum, Identifikationspunkte<br />

Dierikon, Buchrain <strong>und</strong> Root verfügen zwar über relativ intakte Dorfkerne abseits der Hauptver-<br />

kehrsachsen, derjenige von Buchrain ist auch relativ stark belebt. Einige neuere Wohnsiedlun-<br />

gen dürfen als Inseln von höherer Qualität eingestuft werden. Die meisten weiteren Siedlungs-<br />

teile im <strong>Rontal</strong> weisen jedoch eine geringe städtebauliche Qualität aus <strong>und</strong> sind geprägt von<br />

einer pragmatischen bis billigen Architektur <strong>und</strong> einer fehlenden raumordnenden Struktur.<br />

Abbildung 10 Zentraler Platz in Ebikon – zwischen Kirche, Hofmatt <strong>und</strong> Bahnhof<br />

Quelle: eigene Aufnahme<br />

Die räumliche Organisation der Siedlung wirkt vielerorts zufällig. Schlüsselstellen wie zentrale<br />

Plätze oder der Zugang zu Bahnhöfen werden durch den Strassenverkehr besetzt. Es fehlen<br />

Sichtbeziehungen zu Identifikationspunkten wie Kirchen, Bahnhöfen, Denkmälern, oder weite-<br />

ren wichtigen Gebäuden. Der öffentliche Raum präsentiert sich weitgehend ohne Konzept <strong>und</strong><br />

ohne erkennbare Struktur. Orientierung <strong>und</strong> Identifikation sind in einer solchen Siedlung aus-<br />

serhalb des beschilderten Strassenraums schwierig.<br />

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<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

Heute finden sich flächenintensive <strong>und</strong> gesichtslose städtebauliche Entwicklungen in allen<br />

westeuropäischen Ländern. In der Schweiz lässt sich eine Überprägung von suburbanen Dör-<br />

fern wie im <strong>Rontal</strong> an den Rändern der meisten grösseren Agglomerationen beobachten. Als<br />

Beispiele seien hier nur das Limmattal, das Glatttal, das Gebiet um Pratteln, die <strong>Vorstadt</strong> von<br />

Fribourg <strong>und</strong> der Westen Lausannes genannt.<br />

Die konsequente Ausrichtung einer Lebenswelt auf das Automobil ist allerdings nicht das Re-<br />

sultat einer Planung, sondern vielmehr einer fehlenden bzw. schwachen Planung bzw. einem li-<br />

beralen laissez-faire. Die Raumplanung war im <strong>Rontal</strong> unfähig, die Entwicklung von verkehrsin-<br />

tensiven Einrichtungen, flächenintensivem Wachstum <strong>und</strong> einer Abwertung des öffentlichen<br />

Raumes wirksam zu beeinflussen.<br />

Es gibt durchaus Vorstädte, in denen eine stark belastete Durchgangsstrasse umgestaltet <strong>und</strong><br />

damit die Dorfkerne stark aufgewertet wurden, so z.B. Horw (bei Luzern), Wabern <strong>und</strong> Köniz<br />

(beide bei Bern). Sie gehen alle auf erfolgreiche Initiativen der lokalen Behörden zurück <strong>und</strong> bil-<br />

den damit nur die Ausnahme zur Regel, dass auf der lokalen Ebene der politische Wille <strong>und</strong> die<br />

notwendigen Mittel für eine städtebauliche Aufwertung fehlen. Nur die übergeordnete Ebene,<br />

insbesondere die Agglomerationspolitik des B<strong>und</strong>es, können hier relevante Beiträge im grösse-<br />

ren Massstab leisten.<br />

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<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

2 Die <strong>Vorstadt</strong> im wissenschaftlichen Diskurs<br />

Zunächst werden hier zwei Begriffe geklärt, um eine für diese Arbeit nicht relevante Diskussion<br />

um Benennungen der <strong>Vorstadt</strong> <strong>und</strong> deren Abgrenzung vorweg zu nehmen. Mit dem Begriff<br />

„<strong>Vorstadt</strong>“ ist in dieser Arbeit das suburbane Gebiet gemeint, das zwar ausserhalb der Kern-<br />

stadt, aber innerhalb der Agglomeration liegt. Für die Abgrenzung der Agglomeration wird auf<br />

die Definition des B<strong>und</strong>es zurück gegriffen, die im Rahmen der Volkszählung entstanden ist.<br />

Agglomerationen haben gemäss dieser Definition mindestens 20‘000 Einwohner, eine Kern-<br />

stadt, 2000 Arbeitsplätze <strong>und</strong> 85 Arbeitsplätze pro 100 Einwohner. Ausserdem sind sie baulich<br />

mit dem Zentrum verb<strong>und</strong>en oder sie entsenden mindestens 1/6 ihrer Personen zum Arbeiten<br />

in die Kernstadt. Hinzu kommen noch detailliertere Kriterien. Diese Definition der Agglomerati-<br />

onen wurde für Agglomerationsprogramme des B<strong>und</strong>es verwendet <strong>und</strong> ist damit auch politisch<br />

beeinflusst. Unter Experten ist sie nicht unumstritten.<br />

Dieses Kapitel zur wissenschaftlichen Diskussion der <strong>Vorstadt</strong> wurde weitgehend unverändert<br />

aus Sonderegger (2010) übernommen.<br />

2.1 Lebhafte Diskussion in den 1990er-Jahren<br />

Erste Publikationen zu den Vorstädten gehen zwar bis in die 1920er-Jahre zurück, <strong>und</strong> auch in<br />

den Folgejahrzehnten gibt es einzelne Überlegungen zur Entwicklung ausserhalb der Kernstäd-<br />

te. Die städtebauliche Diskussion bleibt jedoch auf die Kernstädte konzentriert. Erst mit dem<br />

Einsetzen der Globalisierung <strong>und</strong> ihrer Konsequenzen für die räumliche Organisation der Wirt-<br />

schaft gelangt die <strong>Vorstadt</strong> erstmals in den Fokus grösserer Untersuchungen. Thomas Sieverts<br />

identifiziert 1997 in seinem wegweisenden Buch „Zwischenstadt“ die folgenden drei Vorausset-<br />

zungen für die aktuellen Prozesse in der <strong>Vorstadt</strong>, wobei er sich primär auf metropolitan ge-<br />

prägte Räume bezieht (Sieverts 2007, p. 8).<br />

1. Die weltweite Arbeitsteilung der Wirtschaft <strong>und</strong> die damit veränderte Stellung der<br />

Stadt im weltwirtschaftlichen Gefüge.<br />

2. Die Auflösung der kulturellen Bindekräfte der Stadt <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>ene radikale<br />

kulturelle Pluralisierung der Stadtkultur.<br />

3. Die inzwischen fast vollständige Durchdringung der Natur durch Menschenwerk <strong>und</strong><br />

der sich damit auflösende Gegensatz zwischen Stadt <strong>und</strong> Natur.<br />

Diese Voraussetzungen sieht Sieverts als gegeben an, d.h. sie lassen sich durch die Planung<br />

nicht beeinflussen. Eine städtebauliche oder stadtsoziologische <strong>Analyse</strong> sollte demnach auf<br />

diesen Voraussetzungen aufbauen <strong>und</strong> sie nicht mit deren Konsequenzen vermischen.<br />

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<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

Gleichzeitig oder noch vor Sieverts haben sich in den 1990er-Jahren auch zahlreiche amerikani-<br />

sche Wissenschaftler mit dem Phänomen der Suburbanisierung beschäftigt. Die Vielfalt an Beg-<br />

riffen, die in dieser Zeit geprägt wurden, spiegelt das breite Interesse am Thema wider. Edward<br />

Soja interpretiert in seinem Buch Postmetropolis beispielsweise die nach aussen gestülpte Stadt<br />

mit riesiger Ausbreitung als Exopolis (Soja 2000). Joël Garreau fokussiert seine Untersuchungen<br />

auf den Stadtrand (Edge City; Garreau 1991) <strong>und</strong> Allen J. Scott untersucht die räumlichen Struk-<br />

turen des Hightech-Clusters im Orange County <strong>und</strong> benennt die High-Tech-Region im Orange<br />

County (Kalifornien) Technopolis (Scott 1998).<br />

Interessanterweise haben sich diese amerikanischen Stadtsoziologen <strong>und</strong> Stadtgeographen<br />

(inklusive Michael Storper <strong>und</strong> Mike Davis) nach der Jahrtausendwende jedoch vermehrt The-<br />

men der globalisierten Wirtschaft in Städten gewidmet <strong>und</strong> zu suburbanen Räumen nur noch<br />

wenig publiziert – die Diskussion ist hier gewissermassen abgebrochen.<br />

2.2 Verschiebung in den deutschsprachigen Raum<br />

In der Schweiz hat sich die Raumentwicklungsdebatte im vergangenen Jahrzehnt ebenfalls<br />

vermehrt des Themas angenommen. Die Autoren um Angelus Eisinger stellten in „Stadtland<br />

Schweiz“ (2003) fest, dass die räumliche Entwicklung (<strong>und</strong> insbesondere die Zersiedlung) in der<br />

Schweiz entscheidend durch die föderalistischen Strukturen beeinflusst wurde. Diese kommen<br />

jedoch mit dem Wachstum <strong>und</strong> der zunehmenden Vernetzung der Städte zunehmend an ihre<br />

Grenzen. Einen möglichen Ansatz sehen Eisinger et al. in einem stärkeren Denken <strong>und</strong> Handeln<br />

in Regionen.<br />

Auch Herzog et al. (2005) kommen in ihren <strong>Analyse</strong>n zum Schluss, dass die Entwicklung in der<br />

Schweiz in den wachsenden urbanen Gebieten liegt, denen auch sie den Charakter von Regio-<br />

nen bzw. Netzwerken zusprechen. Auch der B<strong>und</strong> war in seinen <strong>Analyse</strong>n zu dieser Einschät-<br />

zung gelangt. Mit der Einführung der Agglomerationspolitik (2004) reagierte er auf diese Be-<br />

f<strong>und</strong>e <strong>und</strong> setzte erstmals ein Programm auf, das strikte auf den (funktionalen) Lebensraum der<br />

Menschen statt auf die politischen Körperschaften ausgerichtet ist.<br />

Während die genannten Publikationen sich vor allem auf die <strong>Analyse</strong> der Geschichte sowie der<br />

aktuellen Zustände <strong>und</strong> Prozesse konzentrieren, gibt es gerade im Städtebau auch den An-<br />

spruch, eine konkrete Vorstellung zur Aufwertung zu entwickeln. Allerdings bestehen hier keine<br />

gemeinsamen Vorstellungen zu einer wünschenswerten Stossrichtung; im Gegenteil. Zur De-<br />

batte der Architekten über die wünschenswerte Entwicklung der <strong>Vorstadt</strong> hält Lukas Küng in<br />

einem Essay (Küng 2009) fest, dass zum Thema <strong>Vorstadt</strong> zwei Positionen einander scheinbar<br />

unversöhnlich gegenüber stehen. Die einen Vertreter hängen an den historischen Kernstädten<br />

Europas <strong>und</strong> propagieren die Stadt der kurzen Wege bzw. der hohen Dichte.<br />

20


<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

Auf der anderen Seite stehen die Vertreter der Ansicht, dass die <strong>Vorstadt</strong> einfach die räumliche<br />

Abbildung des heutigen Lebensstils ist. Hochmobile Menschen, die nicht mehr auf die räumli-<br />

che Nähe zu Arbeitsplatz <strong>und</strong> Einkaufsmöglichkeiten angewiesen sind, würden sich auch nicht<br />

mehr in das historisch überholte Modell der dichten Stadt zwängen lassen. Küng bemängelt das<br />

Beharren auf diesen einander gegenüberstehenden Positionen <strong>und</strong> plädiert dafür, dass die Ar-<br />

chitekten wieder beginnen, städtebauliche Visionen zu entwickeln. (Küng 2009, p.14).<br />

Einen solchen Brückenschlag von der <strong>Analyse</strong> zum Städtebau leistet der Beitrag der Autoren<br />

um ETH-Professor Vittorio Magnano Lampugnani. In ihrem Handbuch zum Stadtrand werfen sie<br />

zunächst einen umfassenden Rückblick auf die Debatte seit dem Beginn des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

<strong>und</strong> erarbeiten darauf basierend die Merkmale <strong>und</strong> Lücken der Debatte bis heute. Sie kommen<br />

dabei zum Schluss, dass es „für den suburbanen Raum bisher an einer spezifischen städtebauli-<br />

chen Terminologie, auf die für die Entwicklung von städtebaulichen Strategien zurückgegriffen<br />

werden kann“ (Lampugnani et al., p. 51) mangelt. Einen entsprechenden Vorschlag für die Ter-<br />

minologie präsentieren Lampugnani et al. anschliessend – dieser wird im Anhang der vorlie-<br />

genden Arbeit für die morphologische Detailanalyse verwendet.<br />

Die Arbeiten von Lampugnani et al. basieren auf einem mehrjährigen disziplinären For-<br />

schungsprojekt, das bis 2007 im Netzwerk Stadt <strong>und</strong> Landschaft an der ETH Zürich durchge-<br />

führt wurde. Zwar beschränkt sich ihr Wirkungsradius „auf die morphologischen <strong>und</strong> typologi-<br />

schen Eigenschaften des suburbanen Raums“ <strong>und</strong> vernachlässigt politische, ökonomische <strong>und</strong><br />

gesellschaftliche Rahmenbedingungen weitgehend (Lampugnani et al. 2007, p.15). Eine we-<br />

sentliche Stärke liegt jedoch in der Verbindung von Theorie <strong>und</strong> Empirie, die sorgfältig herge-<br />

stellt wird sowie in der solide begründeten Verwendung der Analogie als Methode (ebenda,<br />

p.55). Insbesondere zeichnet sich das Werk dadurch aus, dass es gleichzeitig <strong>Analyse</strong>methoden<br />

<strong>und</strong> Strategien zur Aufwertung des suburbanen Raumes unterbreitet. Diese Strategien werden<br />

in Kapitel 2.3 dieser Arbeit vorgestellt <strong>und</strong> in Kapitel 6.5 auch auf das <strong>Rontal</strong> angewendet.<br />

Damit lässt sich um die Jahrtausendwende eine Verschiebung der Diskussion in den deutsch-<br />

sprachigen Raum feststellen. Dies wurde auch durch die Ausrichtung einer neueren Ausgabe<br />

der DISP (NSL 2010) bestätigt. Sie widmet sich umfassend dem Thema Peripherie der Städte<br />

<strong>und</strong> Metropolen <strong>und</strong> umfasst in erster Linie Beiträge deutschsprachiger Autoren.<br />

Im Vergleich zur Fachdiskussion über Stadtgestaltung <strong>und</strong> Stadtentwicklung in der Kernstadt<br />

hat die <strong>Vorstadt</strong> bisher deutlich weniger Aufmerksamkeit enthalten. Dennoch lässt sich in den<br />

vergangenen 20 Jahren eine wieder erwachte Auseinandersetzung mit dem Thema feststellen.<br />

Die von Lampugnani et al. entworfene <strong>Analyse</strong>methode wurde in Sonderegger (2010) einge-<br />

setzt. Für die vorliegende MAS Thesis wurde nur wenig Bezug auf die vorhandene Literatur ge-<br />

nommen; mit der Übertragung der räumlichen Szenarien (ARE 2005) von der Gesamtschweiz<br />

auf das <strong>Rontal</strong> wurde vielmehr eine eigene Methodik gewählt. Die wiedererwachte Fachdiskus-<br />

sion lässt jedoch hoffen, dass in den kommenden Jahrzehnten die <strong>Vorstadt</strong> vermehrt zum Ge-<br />

genstand der Raumforschung <strong>und</strong> Raumplanung wird.<br />

21


<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

2.3 Strategie zur städtebaulichen Aufwertung<br />

In der wissenschaftlichen <strong>und</strong> planerischen Diskussion zur <strong>Vorstadt</strong> finden sich zahlreiche Ana-<br />

lysen; dezidierte Vorschläge zum Umgang mit diesem (städtebaulich) schwierigen Raum hinge-<br />

gen sind eher selten. Die Frage, wie eine gute <strong>Vorstadt</strong> zu bauen sei, bleibt in der Literatur also<br />

weitgehend unbeantwortet. Die Autoren um Lampugnani schlagen fünf Strategien vor (pp. 90-<br />

99; nachfolgend als „Teilstrategien“ bezeichnet), die basierend auf ihrer <strong>Analyse</strong>methode (vgl.<br />

Kapitel 2.2 oben) entwickelt wurden. Sie werden hier zunächst vorgestellt; in Kapitel 6 dieser<br />

Arbeit werden sie eingesetzt, um eine städtebauliche Strategie für das <strong>Rontal</strong> zu formulieren.<br />

Die folgenden Ausführungen orientieren sich eng am Originaltext von Lampugnani et al.<br />

2.3.1 Stärkung des öffentlichen Raums<br />

Zum öffentlichen Raum zählen neben Strassen, Plätzen <strong>und</strong> landschaftlichen Freiräumen auch<br />

öffentliche Gebäude. Hier sind Kommunikation, Aneignung <strong>und</strong> soziale Interaktion zwischen al-<br />

len Menschen möglich. Weitere wichtige Funktionen des öffentlichen Raums umfassen Er-<br />

schliessung, Orientierung, Aufenthalt <strong>und</strong> Generierung symbolischer Bedeutungen.<br />

Eine Stärkung des öffentlichen Raums braucht zunächst die Begrenzung einer unbebauten Flä-<br />

che. Die umgebenden Gebäude sollen in eine visuelle Beziehung zu einander treten. Ausser-<br />

dem gehört zu einem attraktiven öffentlichen Raum eine funktionale Bedeutung (Marktplatz,<br />

Festplatz etc.) oder eine Symbolkraft, die z.B. durch angrenzende Gebäude geschaffen wird<br />

(Kirchplatz, Rathausplatz). Ein öffentlicher Raum ist also dann attraktiv, wenn er die ihm zuge-<br />

dachten Funktionen gut erfüllt <strong>und</strong> die Menschen ihn intensiv nutzen.<br />

2.3.2 Schaffung von Kohärenz<br />

Zur Schaffung von Kohärenz können morphologische oder typologische Mittel eingesetzt wer-<br />

den. Morphologie bezieht sich auf die Form von städtebaulichen Elementen <strong>und</strong> ihre Bezie-<br />

hung zu einander. Morphologische Kohärenz kann erreicht werden durch „die Verwendung<br />

ähnlicher Formen, Stilmittel [oder] Materialien.“ Beispiele für morphologische Kohärenz sind<br />

das Kopfsteinpflaster einer Altstadt oder typische Fassadenelemente (beispielsweise schmied-<br />

eiserne Balkongeländer) in einem Jugendstilquartier.<br />

Typologische Kohärenz hingegen „entsteht durch die Variation eines Typus“, wobei ein Typus<br />

„eine elementare stadträumliche Gr<strong>und</strong>idee [beinhaltet], die nicht weiter reduziert werden<br />

kann. Der Typus bleibt trotz aller gestalterischer Vielfalt <strong>und</strong> Variation immer als konstantes<br />

Gr<strong>und</strong>prinzip erkennbar.“ Typologische Beispiele sind die Anordnung der Gebäude in einer<br />

Blockrandbebauung oder die Verwendung eines bestimmten Gebäudetyps innerhalb einer ge-<br />

schlossenen Siedlung, z.B. mit einer farblichen Variation der Fassade.<br />

22


<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

Ein weiteres Mittel zur Schaffung von Kohärenz ist Komplementarität, also „das Zusammentref-<br />

fen scheinbar widersprüchlicher Elemente bzw. Eigenschaften von Elementen im Stadtraum.“<br />

Zu einander komplementäre Räume sind z.B. öffentlicher <strong>und</strong> privater Raum, Innen- <strong>und</strong> Aus-<br />

senraum oder bebauter <strong>und</strong> unbebauter Raum. Eine Komplementarität kann dann Kohärenz<br />

schaffen, wenn „das Gegensatzpaar ein spannungsreiches Wechselspiel der Elemente erzeugt“.<br />

2.3.3 Vernetzung<br />

Das Ziel einer Vernetzungsstrategie ist es, „ein Zusammenwirken bislang isolierter Eigenschaf-<br />

ten <strong>und</strong> Potentiale von Objekten, Orten, Gebieten oder Akteuren“ zu erreichen. Damit können<br />

„die Zusammenhänge im Stadtraum erfahrbar gemacht <strong>und</strong> Sinnbezüge zwischen den einzel-<br />

nen Elementen hergestellt werden. Die Strategie der Vernetzung kann durch räumliche, funkti-<br />

onale <strong>und</strong> infrastrukturelle Gestaltungsmassnahmen umgesetzt werden.“ Objekte, Grenzen <strong>und</strong><br />

Gr<strong>und</strong>flächen werden dann als zusammengehörend wahrgenommen, wenn sie „optisch ähn-<br />

lich gestaltet sind“. Dies kann durch „Oberflächen, Bautypologien, Materialien, Formen, Nut-<br />

zungen, Farbe“ geschehen.<br />

Eine funktionale Vernetzung entsteht, wenn „Infrastruktur-, Versorgungs-, Freizeit- oder Dienst-<br />

leistungseinrichtungen“ so im Raum organisiert werden, dass sie sich gegenseitig ergänzen <strong>und</strong><br />

von überall ähnlich gut erreichbar sind. Infrastrukturell Vernetzung bedeutet, dass „Gebäude,<br />

Orte <strong>und</strong> Funktionen im Stadtraum durch Verkehrswege (Strassen, Fusswege, Gleis- <strong>und</strong> Was-<br />

serstrassen)“ mit einander verknüpft werden. Dadurch werden „Zugänglichkeit, Erreichbarkeit<br />

<strong>und</strong> Funktionsfähigkeit sowie die Voraussetzungen für soziale Interaktionen <strong>und</strong> eine zusam-<br />

menhängend wahrnehmbare Erlebbarkeit <strong>und</strong> Orientierung im Stadtraum geschaffen“.<br />

2.3.4 Verdeutlichung von Grenzen<br />

Die städtebauliche Bedeutung von Grenzen liegt darin, dass sie verschieden charakterisierte<br />

Teilräume voneinander trennen. Diese scheinbar triviale Aufgabe ist deshalb wichtig, weil da-<br />

durch „die Stadtstruktur in überschaubare Einheiten gegliedert [wird] <strong>und</strong> der Eindruck eines<br />

„Innen“ <strong>und</strong> „Aussen“ entsteht“. Grenzen können punktuell, linear oder als Rand verdeutlicht<br />

werden. „Eine punktuelle Verdeutlichung […] ist möglich, wenn ein Kreuzungspunkt aus Ver-<br />

kehrsweg <strong>und</strong> Trennlinie existiert“. Eine solche räumliche Situation wird als Eingang bezeichnet<br />

<strong>und</strong> findet sich beispielsweise an der Kreuzung von Ortsrand <strong>und</strong> Durchgangsstrasse. Dieser<br />

Schnittpunkt kann beispielsweise mit einem Tor oder einem Turm speziell markiert werden.<br />

Eine lineare Verdeutlichung einer Grenze wäre beispielsweise eine Allee oder ein Graben, der<br />

zwei Quartiere trennt. Eine solche Massnahme muss jedoch sorgfältig geprüft werden, weil ne-<br />

ben der linearen Verdeutlichung einer Grenze immer auch eine Zerschneidungswirkung geför-<br />

dert wird. Ein Rand hingegen entsteht, „wenn die Massnahmen flächig sind“. Er beinhaltet „Ei-<br />

genschaften beider Bereiche“. Dadurch kann ein Rand auch auf mehrere Arten gelesen werden.<br />

23


<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

2.3.5 Schaffung von Identifikationsorten<br />

Die Identifikationsorte ermöglichen die Orientierung im Raum <strong>und</strong> die Entwicklung eines Zu-<br />

sammengehörigkeitsgefühls. Für die Entwicklung solcher Orte bildet die Schaffung von Zei-<br />

chen eine mögliche Strategie. Zeichen sind dabei natürliche oder gebaute Objekte, die sich von<br />

ihrer stadträumlichen Umgebung deutlich abheben <strong>und</strong> sich durch ihre Einzigartigkeit aus-<br />

zeichnen. Wichtig ist für ein Zeichen, dass es eine Bedeutung enthält, die über die morphologi-<br />

sche <strong>und</strong> funktionelle Dimension hinausgeht. Erst indem einem Zeichen eine solche Bedeutung<br />

zugeordnet werden kann, entsteht eine Identifikation. Beispiele für Zeichen, die einen Identifi-<br />

kationsort konstituieren können, sind Kirchen, Krankenhäuser, Burgen oder moderne Türme.<br />

Zwei Bedingungen müssen immer erfüllt sein, damit ein Identifikationsort entstehen kann: Kon-<br />

trast <strong>und</strong> Sichtbarkeit. Der Kontrast kann „durch morphologische <strong>und</strong> typologische Unterschie-<br />

de sowie Massstabsbrüche in der Gestaltung erreicht“ <strong>und</strong> durch eine für die Umgebung atypi-<br />

sche Nutzung verstärkt werden. Die Sichtbarkeit ist dann gegeben, wenn Zeichen „einzeln ste-<br />

hen <strong>und</strong> räumlich vom Kontext isoliert sind. […] Weiterhin trägt eine besondere Lage an stadt-<br />

strukturellen Schnittstellen oder topografischen Erhebungen zur Erkennbarkeit bei.“<br />

24


<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

3 Die Agglomeration Luzern im städtebaulichen Kontext<br />

3.1 <strong>Städtebauliche</strong> Entwicklung<br />

Die Zentralschweiz präsentiert sich heute aus städtebaulicher Sicht sehr heterogen. Die Post-<br />

kartenbilder von Luzern, Pilatus <strong>und</strong> Rigi, die von Touristen begeistert nach Hause geschickt<br />

werden, haben mit dem Lebensraum der Zentralschweizer Bevölkerung nur wenig zu tun. Wäh-<br />

rend die Stadt Luzern insbesondere im Zentrum ihren attraktiven Charakter seit Jahrzehnten<br />

halten konnte, haben die meisten Vorstädte seit dem Zweiten Weltkrieg an Lebensqualität ver-<br />

loren. Die Zentralschweiz hat dabei eine ähnliche Entwicklung erfahren wie andere urbane Re-<br />

gionen in der Schweiz.<br />

Im Mittelalter bestand die Stadt Luzern einzig aus der Altstadt; das linke Seeufer wurde auf-<br />

gr<strong>und</strong> seines sumpfigen Charakters überhaupt nicht genutzt. Weitere Siedlungen bestanden als<br />

Dörfer (z.B. Littau, Kriens, Ebikon) oder als Städte (Zug, Schwyz, Sarnen, Stans).<br />

Ab 1850 brachte die Industrialisierung eine tiefgreifende Veränderung insbesondere der nördli-<br />

chen Vorstädte <strong>und</strong> von Kriens mit sich. Die meisten grossen Industrieanlagen in den Agglome-<br />

rationsgemeinden (Viscose, Giesserei, Stahlwerk (alle Emmenbrücke), Maschinenfabrik Bell in<br />

Kriens) wurden zwischen 1850 <strong>und</strong> 1910 errichtet. Ausserdem stammen alle Hauptachsen der<br />

Eisenbahn (Richtungen Bern, Basel, Zürich, Küssnacht, sowie die heutige Zentralbahn nach<br />

Stans/Sarnen) aus dieser Zeit. Das linke Seeufer der Stadt Luzern wurde für die Erstellung des<br />

ersten Bahnhofs inklusive Zufahrten genutzt.<br />

Zur Jahrh<strong>und</strong>ertwende wurde in der Stadt Luzern eine grosszügig angelegte Stadterweiterung,<br />

heute kurz Neustadt genannt, realisiert. Angelehnt an die Vorbilder europäischer Grossstädte<br />

(Paris, Barcelona, Valencia) erhielt Luzern damit sein urbanstes Quartier. Die übrigen Gebiete<br />

der Zentralschweiz <strong>und</strong> die meisten Schweizer Städte waren von dieser Entwicklung nicht be-<br />

troffen. In der Zwischen- <strong>und</strong> Nachkriegszeit entstand ein grosser Teil der heutigen Wohnquar-<br />

tiere in der Stadt Luzern. In den Agglomerationsgemeinden wurden zahlreiche Baugenossen-<br />

schaften gegründet, die ihre ersten Bauten alle in ähnlichem Stil errichteten, d.h. als Reihenhäu-<br />

ser oder oftmals als vierstöckige Wohnbauten.<br />

Ab den 1960er-Jahren begann in der Agglomeration Luzern <strong>und</strong> in der übrigen Zentralschweiz<br />

ein dynamisches bauliches Wachstum. Der Hauptanteil des Wachstums entfiel dabei auf Ge-<br />

werbe- <strong>und</strong> Wohnbauten; ab den 1970er-Jahren ergänzten Fachmärkte <strong>und</strong> grosse Einkaufs-<br />

zentren das Bild. Die grösseren Agglomerationsgemeinden Ebikon, Littau (inkl. Reussbühl),<br />

Kriens <strong>und</strong> Emmen wuchsen schnell mit der Kernstadt zusammen.<br />

25


<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

Die Strasseninfrastruktur (insbesondere Autobahnen <strong>und</strong> Hauptstrassen) wurde in dieser Zeit<br />

konsequent ausgebaut, was zusammen mit den schnell erstellten Gebäuden den ehemals dörf-<br />

lichen Charakter der <strong>Vorstadt</strong>gemeinden tiefgreifend veränderte. Die wachsenden Vorstädte<br />

profitierten dabei gleichzeitig von einer Zuwanderung aus ländlichen Regionen <strong>und</strong> einer star-<br />

ken Stadtflucht insbesondere durch junge Familien. In den Gebieten ausserhalb der Agglome-<br />

ration Luzern verlief diese Entwicklung bedeutend weniger dynamisch.<br />

In den 1990er-Jahren schliesslich setzte in den Kantonen Nidwalden (nur nördlicher Kan-<br />

tonsteil) <strong>und</strong> Zug (ganzer Kanton) eine rege Wohnbautätigkeit ein. Ausgelöst wurde diese Ent-<br />

wicklung in beiden Kantonen durch eine massive Steuersenkung. Im Kanton Zug wurden da-<br />

durch sehr viele finanzstarke Unternehmen angezogen, was zum Zuzug vieler neuer Arbeits-<br />

kräfte <strong>und</strong> schliesslich zu einer klassischen räumlichen Ausdifferenzierung führte. In der Kern-<br />

stadt fand ein starkes Wachstum der Arbeitsplätze statt (insbesondere im tertiären Sektor), wäh-<br />

rend die Vorstädte Baar, Cham <strong>und</strong> andere ein dynamisches Wachstum im Wohnbau erlebten.<br />

Anders ist die Entwicklung in Nidwalden zu verstehen: hierhin zogen viele mittelständische <strong>und</strong><br />

wohlhabende Privatpersonen mit Arbeitsplatz in Luzern oder Zug, die die Vorteile des ländli-<br />

chen Lebens in der Nähe von See <strong>und</strong> Alpen suchten. Gleiches gilt für die Schwyzer Gemeinden<br />

im näheren Einzugsbereich von Luzern, also beispielsweise Küssnacht <strong>und</strong> Merlischachen. Auch<br />

in weiten Teilen des periurbanen Raumes um Luzern setzte nach 1990 ein starkes Wachstum<br />

ein, so z.B. in den Gemeinden Dierikon, Gisikon, Rothenburg, Rain, Neuenkirch, Malters, Eschen-<br />

bach, Adligenswil <strong>und</strong> Meggen. Dieser dynamische Wachstumsprozess setzte sich nach der<br />

Jahrtausendwende in allen drei Räumen fort.<br />

In der Stadt Luzern setzte schliesslich um das Jahr 2000 eine Phase der Reurbanisierung <strong>und</strong> der<br />

Stadterneuerung ein. In Luzern wurden seit Jahrzehnten erstmals wieder grössere Wohnbau-<br />

projekte in Angriff genommen, z.B. Tribschenstadt <strong>und</strong> Citybay. Gleichzeitig setzte nach einer<br />

kantonalen Steuersenkung nun auch im Kanton Obwalden eine zunehmende Wohnbautätig-<br />

keit ein. Die beiden Halbkantone Ob- <strong>und</strong> Nidwalden durchlaufen damit eine für den gesamten<br />

internationalen Alpenraum typische Entwicklung. Sie wandeln sich von weitgehend selbständi-<br />

gen Wirtschafts- <strong>und</strong> Lebensräumen zu den nahen Städten zugewandten Wohnregionen mit<br />

hoher Pendlerrate <strong>und</strong> hoher Lebensqualität.<br />

Zusammenfassend lassen sich also für die vergangenen 50 Jahre folgende städtebauliche Ent-<br />

wicklungen festhalten.<br />

• Starke Sub-, Peri- <strong>und</strong> Reurbanisierungsprozesse in der Agglomeration Luzern<br />

• Zusammenwachsen zahlreicher Gemeinden in den Agglomerationen Luzern <strong>und</strong> Zug<br />

• Stärkung der Nachbarkantone (Obwalden, Nidwalden, Schwyz, Zug) als Wohnstandorte<br />

• Abwertung der Gemeinden im 1. Agglomerationsgürtel<br />

26


<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

3.2 Städtenetz Zentralschweiz?<br />

Der räumliche Fokus dieser Arbeit liegt auf dem <strong>Rontal</strong>. Dieses wurde als Fallbeispiel ausge-<br />

wählt, weil sich von hier diverse Aussagen auf andere Schweizer Vorstädte übertragen lassen.<br />

Vor den detaillierten <strong>Analyse</strong>n zum <strong>Rontal</strong> soll aber nun der räumliche Kontext hergestellt wer-<br />

den. Der Blick wird deshalb zunächst auf die gesamte Zentralschweiz <strong>und</strong> ihre besonderen Teil-<br />

räume geöffnet.<br />

Aus Sicht der Raumentwicklung ist die Zentralschweiz tatsächlich ein interessantes Gebiet, da<br />

sich hier sehr unterschiedliche <strong>Entwicklungs</strong>phänomene auf kleinem Raum beobachten lassen.<br />

Diese auffällige Heterogenität ist einerseits durch naturräumliche Voraussetzungen entstanden,<br />

z.B. See- <strong>und</strong> Alpensicht oder die Besonnung. Andererseits haben auch die Verkehrserschlies-<br />

sung, weitere Infrastrukturen sowie die Nähe zu Luzern bzw. Zürich eine zentrale Rolle gespielt.<br />

Zusätzlich kommen grosse Unterschiede in der kantonalen Steuerpolitik hinzu, die sich in der<br />

Zentralschweiz besonders deutlich an der Raumentwicklung ablesen lassen.<br />

In der Publikation „Die Schweiz – ein städtebauliches Porträt“ bezeichnen die Autoren die Zent-<br />

ralschweiz als Städtenetz (Herzog et al. 2005, p. 664). Neben Luzern gehören auch Stans,<br />

Schwyz, Altdorf, Zug <strong>und</strong> Sarnen zu diesem Netz. Den Netzwerkcharakter führen die Autoren in<br />

erster Linie auf funktionelle Zusammenhänge wie Pendlerbewegungen <strong>und</strong> Verkehrsverbin-<br />

dungen sowie auf den Vierwaldstättersee zurück (Herzog et al. p. 710ff). Die Argumentation für<br />

eine Bezeichnung als Städtenetz wirkt allerdings verkürzt <strong>und</strong> wendet den Blick ab von der He-<br />

terogenität der Zentralschweiz. Diese wird dann in Form der kantonalen Umrisse nachgereicht.<br />

Ein genauerer Blick auf die räumliche Realität zeigt nämlich, dass sich in der Zentralschweiz<br />

Zwischen- <strong>und</strong> Sonderräume gebildet haben, die sich nicht in ein solches Netzwerkschema<br />

pressen lassen, sondern längst ihre ganz eigene Dynamik entwickelt haben. Hier kommt die Be-<br />

zeichnung „Pockets“ in Herzog et al. (p. 714f) der Realität bedeutend näher als die Bezeichnung<br />

Städtenetz. An diesem Gedanken anschliessend soll hier nun mit einer adäquaten Abgrenzung<br />

<strong>und</strong> Benennung dieser Teilräume ein Schritt weiter gegangen werden. In der unten stehenden<br />

Abbildung werden die Räume zunächst im Überblick vorgestellt. Anschliessend werden die un-<br />

terschiedlichen Raumtypen charakterisiert <strong>und</strong> in einen Gesamtzusammenhang gestellt.<br />

27


<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> _____________________ ____________________________________________________ ________________ Juli 2011<br />

Abbildung 11 Urban gepräg rägte Teilräume der Zentralschweiz<br />

Quelle: eigene Darstellung<br />

Luzern Süd: Sun Belt / Exoppolis<br />

Der Raum Luzern Süd lässt sich sic grob in zwei Teilräume unterteilen: Sun Belt Be <strong>und</strong> Exopolis. Die<br />

Richtung Süden exponierten n HHanglagen<br />

geniessen in der Zentralschweiz iz neben n dem Privileg<br />

der guten Besonnung meisten tens auch noch dasjenige der See- <strong>und</strong> Alpensi nsicht. Im Sun Belt ist<br />

beides der Fall. Entsprechend d finden sich auf der Horwer Halbinsel, am Son onnenberg in Luzern<br />

<strong>und</strong> Kriens sowie in weiteren n Stadtquartieren S<br />

am linken Ufer zahlreiche Woh ohnzonen von geho-<br />

benem Standard. Übrige Nutzu tzungen finden sich in diesen Hanglagen nur sel selten.<br />

28


<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

Diese Wohnnutzungen kontrastieren stark mit den flachen Gebieten zwischen Allmend, Kriens<br />

<strong>und</strong> Horw (Grossraum Luzern Süd bzw. Schl<strong>und</strong>). Hier finden sich Autogaragen <strong>und</strong> -händler,<br />

ein Schlachthof, Fachmärkte <strong>und</strong> kulturelle Nutzungen bunt gemischt mit neueren Büro- <strong>und</strong><br />

Wohngebäuden. Dieser Raum nimmt zusammengefasst alle diejenigen Nutzungen auf, die in<br />

der Stadt keinen Platz mehr gef<strong>und</strong>en haben. Nach Edward Soja (2000) wird ein solcher Ort<br />

Exopolis genannt – „die nach aussen gestülpte Stadt“.<br />

Kanton Nidwalden (nördlicher Kantonsteil): Wealthy Doughnut<br />

Seit r<strong>und</strong> zehn Jahren lässt sich im Kanton Nidwalden eine besonders starke räumliche Dynamik<br />

beobachten. Haupttreiber sind dabei die hohen Qualitäten des ländlichen Raums (Alpen, See,<br />

Bevölkerung, überschaubare Grösse), tiefe Steuern <strong>und</strong> die gute Erreichbarkeit per Bahn <strong>und</strong><br />

Autobahn. Die dadurch ausgelösten Migrationsbewegungen haben nicht nur zu einer starken<br />

Wohnbautätigkeit geführt, sondern auch grosse Folgeinvestitionen ausgelöst – insbesondere<br />

im Strassenbau.<br />

Die Siedlungsstruktur in der Region Stans hat sich dadurch von einzelnen Dörfern (Buochs, En-<br />

netbürgen, Ennetmoos, Oberdorf, Stans, Stansstad) zu einem fast durchgehenden Siedlungs-<br />

band gewandelt, das sich r<strong>und</strong> um den Flughafen Buochs legt. Die durch den Flughafen bean-<br />

spruchten Flächen wirken dadurch wie das Loch in einem Doughnut aus Siedlungsteig. Neben<br />

der baulichen Substanz hat sich durch die Immigration auch der Charakter der Bevölkerung<br />

stark verändert. Eine Verstädterung des Lebensstils, eine stark steigende Kaufkraft <strong>und</strong> dadurch<br />

schnell steigende Preise für Mieten <strong>und</strong> Immobilien sind dafür klare Zeichen.<br />

Luzern Nord (Emmenbrücke, Littau/Reussbühl): Rust Belt<br />

Der Norden Luzerns wurde um die vorletzte Jahrh<strong>und</strong>ertwende stark von der Industrie über-<br />

prägt (cf. Kapitel 3.1). Die meisten ansässigen Betriebe inklusive Stahlwerk <strong>und</strong> Giesserei haben<br />

bis heute überlebt, waren aber wiederholten <strong>und</strong> tiefgreifenden Restrukturierungen unterwor-<br />

fen. Stillgelegte Industriebrachen, marode Strassenbauten <strong>und</strong> grosser Investitionsbedarf bei<br />

einem relevanten Anteil der Immobilien an zentralen Lagen zeichnen heute das Bild einer Regi-<br />

on, die ihre besten Zeiten längst hinter sich hat. Weitere Betriebe wie der Militärflugplatz Em-<br />

men inkl. der hier ansässigen Firmen in der Verteidigungsindustrie haben ebenfalls eine unsi-<br />

chere Zukunft vor sich. See- <strong>und</strong> Alpensicht fehlen an vielen Lagen. Aufgr<strong>und</strong> dieser Faktoren<br />

wurde für die Region Luzern Nord die Bezeichnung Rust Belt gewählt.<br />

<strong>Rontal</strong>: Lucerne Strip<br />

Für eine detaillierte Untersuchung des <strong>Rontal</strong>s wird auf Kapitel 1 verwiesen. Der Name Lucerne<br />

Strip lehnt sich an den Las Vegas Strip an, der als Hauptachse durch die US-amerikanische Wüs-<br />

tenstadt führt. Im <strong>Rontal</strong> findet sich eine ähnliche urbane Struktur, die sich hauptsächlich an die<br />

überdimensionierte <strong>und</strong> aussergewöhnlich gerade geführte K17 fügt.<br />

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<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

Meggen / Adligenswil / Merlischachen: Goldcoast<br />

Die Gemeinden am nördlichen Ufer des Vierwaldstättersees profitieren bezüglich See- <strong>und</strong> Al-<br />

pensicht sowie Besonnung <strong>und</strong> Erreichbarkeit von einer privilegierten Lage. Während das Sied-<br />

lungswachstum in den stadtnahen Gemeinden Meggen <strong>und</strong> Adligenswil schon vor mehreren<br />

Jahrzehnten eingesetzt hatte, wurden Merlischachen, Udligenswil <strong>und</strong> Küssnacht erst ungefähr<br />

bei der Jahrtausendwende von der Periurbanisierung erfasst. Exklusive Wohnbauten, die meist<br />

als Terrassen-, Reihen- oder Einfamilienhäuser realisiert werden, prägen diese zunehmend zer-<br />

siedelte Landschaft. Analog zur Zürcher Goldküste lassen sich auch an der Luzerner Goldcoast<br />

exorbitant hohe Immobilienpreise <strong>und</strong> eine zunehmende Gentrifizierung feststellen.<br />

Kanton Zug: High-Flyer<br />

Mit der Senkung der Unternehmenssteuern auf das tiefste Niveau in Europa ist der Kanton Zug<br />

als Pionier im Zentralschweizer Steuerwettbewerb vorausgegangen. Die davon erhofften Neu-<br />

zuzüge kapitalstarker Unternehmen übertreffen heute sogar die kühnsten Vorstellungen der<br />

damals verantwortlichen Politiker. Zwei der drei grössten Rohstoffhändler weltweit, zahllose Fi-<br />

nanzholdings <strong>und</strong> (europäische) Hauptsitze global tätiger Konzerne haben Zug fast über Nacht<br />

von einem verschlafenen Städtchen zu einer Drehscheibe des globalen Handels verwandelt.<br />

Heute präsentiert sich die Agglomeration Zug weitgehend als postmodernes Dienstleistungs-<br />

zentrum.<br />

Diese Entwicklung hat zu einer starken <strong>und</strong> schnellen Immigration geführt, was sich auf dem<br />

Wohnungsmarkt wiederum in einer sehr hohen Nachfrage ausdrückt. Da es sich dabei fast<br />

durchgehend um gut verdienende Nordeuropäer handelt, liegen die Wohnungspreise heute in<br />

Zug fast auf dem Niveau der Stadt Zürich. Diese Entwicklung greift ausserdem auf alle umlie-<br />

genden Gemeinden im Kanton Zug über, da hier die Einkommenssteuern ebenfalls tief <strong>und</strong> die<br />

Lebensqualität sehr hoch ist. Dadurch werden Einheimische zunehmend aus dem Kanton ge-<br />

drängt; im Freiamt <strong>und</strong> im <strong>Rontal</strong> haben entsprechende Entwicklungen auf dem Wohnungs-<br />

markt bereits spürbar eingesetzt.<br />

3.3 Fazit<br />

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Zentralschweiz durch eine äusserst heterogene<br />

Raumentwicklung geprägt ist. Die relevanten Unterschiede lassen sich dabei auf drei wichtige<br />

Faktoren in der Raumentwicklung zurück führen: naturräumliche Voraussetzungen, Erreichbar-<br />

keit <strong>und</strong> Steuern. Der Raum Zentralschweiz muss entsprechend nicht als Städtenetz, sondern<br />

vielmehr als mosaikartiger Teppich von zusammenhängenden Teilräumen verstanden werden.<br />

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<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

Die Agglomeration Luzern nimmt in diesem Mosaik eine zentrale Stellung ein, indem sie einen<br />

grossen Teil von Bevölkerung <strong>und</strong> Arbeitsplätzen aufnimmt <strong>und</strong> gleichzeitig die funktionellen<br />

Verbindungen zur Metropole Zürich sicherstellt. In dieser Agglomeration wird für die weiteren<br />

<strong>Analyse</strong>n das <strong>Rontal</strong> herausgegriffen. Anhand dieses Beispiels lassen sich vergangene <strong>und</strong> zu-<br />

künftige Entwicklungen diskutieren, die nicht nur für die Zentralschweiz, sondern für die ge-<br />

samte Raumentwicklung in der Schweiz exemplarischen Charakter aufweisen.<br />

31


<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

4 Szenarien der Raumentwicklung Schweiz<br />

Ein wichtiges Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, neben einer möglichen auch die wahrschein-<br />

lichste zukünftige Raumentwicklung des <strong>Rontal</strong>s zu skizzieren. Dabei spielen ausser der Pla-<br />

nung auch die zu erwartenden Entwicklungen in Gesellschaft <strong>und</strong> Wirtschaft eine zentrale Rolle,<br />

denn die Planung kann immer nur einen begrenzten Einfluss auf die tatsächlichen Entwicklun-<br />

gen nehmen.<br />

Die Zukunft ist gr<strong>und</strong>sätzlich immer ungewiss. Die wichtigsten Trends der vergangenen 10 Jah-<br />

re einfach in die Zukunft zu interpolieren, wäre deshalb unbefriedigend. Die täglichen Auswir-<br />

kungen des Internets auf Wirtschaft <strong>und</strong> Gesellschaft hätten z.B. vor 20 Jahren noch nicht annä-<br />

hernd adäquat vorausgesagt werden können. Für die Untersuchung der Zukunft werden des-<br />

halb in der Regel verschiedene Szenarien gebildet bzw. betrachtet.<br />

Szenarien sind in sich kohärent formulierte Zukunftsbilder, also quasi mögliche Zukünfte. Diese<br />

mögen zwar teilweise etwas unrealistisch erscheinen; ihre Stärke liegt aber genau darin, sehr<br />

unterschiedliche Bilder darzustellen ohne sich an die grösste Wahrscheinlichkeit anzulehnen.<br />

Für die Skizzierung möglicher Zukünfte im <strong>Rontal</strong> sind die Szenarien 2030 des B<strong>und</strong>esamtes für<br />

Raumentwicklung (ARE) besonders geeignet, die im Raumentwicklungsbericht 2005 publiziert<br />

wurden (ARE 2005). Folgende vier Szenarien werden dann formuliert.<br />

• Szenario 1: Eine Schweiz der Metropolen – Trendszenario<br />

• Szenario 2: Zersiedlung – Niedergang der Städte<br />

• Szenario 3: Eine polyzentrische urbane Schweiz – vernetztes Städtesystem<br />

• Szenario 4: Eine Schweiz der Regionen – territoriale Solidarität<br />

In jedem Szenario wird ein kohärentes System von Hypothesen formuliert, das auf einer Be-<br />

schreibung der folgenden Faktoren basiert:<br />

• Internationaler Kontext<br />

• Innenpolitische Entwicklung<br />

• Wirtschaftliche Antriebskräfte<br />

• Auswirkungen auf Besiedlung, Verkehr <strong>und</strong> Tourismus<br />

Die wesentliche Rolle spielen dabei die sozioökonomischen Entwicklungen bis zum Jahr 2030.<br />

Sie ermöglichen eine konkrete <strong>und</strong> verständliche Formulierung der Szenarien. Daneben sind<br />

aber auch die Stellung <strong>und</strong> der Einfluss der Behörden von einer gewissen Bedeutung – sie sind<br />

neben den privaten die wichtigsten Akteure in der Gestaltung der Zukunft in der Schweiz. Die<br />

anschliessende Skizzierung der Szenarien orientiert sich weitgehend am Raumentwicklungsbe-<br />

richt Schweiz (ARE 2005).<br />

32


<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

4.1 Gemeinsame Elemente<br />

Die vier Szenarien der zukünftigen Raumentwicklung unterscheiden sich zwar gr<strong>und</strong>legend<br />

voneinander. Dennoch gibt es aber einige Elemente, die sich mit angemessener Wahrschein-<br />

lichkeit in allen vier Szenarien ähnlich entwickeln werden. Diese werden deshalb bereits hier<br />

vorgestellt <strong>und</strong> in der anschliessenden Formulierung der einzelnen Szenarien vorausgesetzt.<br />

1. Positives Konjunkturumfeld: Gr<strong>und</strong>sätzlich wird davon ausgegangen, dass sich die Weltwirtschaft<br />

langfristig positiv entwickelt, wobei in den verschiedenen Szenarien das Wachstum<br />

unterschiedlich gross angenommen wird. Auf ein Katastrophenszenario wird in Szenarioanalysen<br />

verzichtet, weil die Konsequenzen grosser Katastrophen nur schwer zu beschreiben<br />

wären <strong>und</strong> quasi ein eigenes Szenario darstellen würden.<br />

2. Verstärkte Integration der Schweiz in die Welt: es wird davon ausgegangen, dass die Globalisierung<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich nicht umkehrbar ist; sie findet allerdings in den Szenarien 1, 3 <strong>und</strong> 4<br />

unterschiedlich schnell statt. In Szenario 2 wird hingegen von einem Rückzug der Schweiz<br />

auf sich selbst ausgegangen.<br />

3. Alterung der Gesellschaft: Bevölkerungsprognosen gehören zu den sichersten Prognosen<br />

überhaupt, da Transformationsprozesse hier sehr träge ablaufen. Alle vier Szenarien basieren<br />

auf der Annahme, dass die Bevölkerung in der Schweiz weiterhin leicht wächst <strong>und</strong><br />

gleichzeitig stark altert.<br />

4. Räumliche Stabilität: Neben den sich verändernden Elementen in Wirtschaft <strong>und</strong> Gesellschaft<br />

stellt der Raum ein gewisses Trägheitselement dar, das die möglichen Entwicklungen<br />

der kommenden 25 Jahren einschränkt. Von der Betrachtung einer f<strong>und</strong>amentalen Neugestaltung<br />

der räumlichen Strukturen in der Schweiz – beispielsweise ausgelöst durch Krieg<br />

oder Naturkatastrophen – wird deshalb abgesehen. Hingegen wird die fortschreitende Klimaerwärmung<br />

berücksichtigt.<br />

5. Landwirtschaft im Wandel: Es wird in allen vier Szenarien davon ausgegangen, dass sich die<br />

Landwirtschaft bis zum Jahr 2030 gr<strong>und</strong>legend verändern wird. Insbesondere werden zahlreiche<br />

Betriebe schliessen, <strong>und</strong> die weiterhin bestehenden Betriebe werden ihre Funktion<br />

von der Nahrungsproduktion weg <strong>und</strong> hin zu Landschaftspflege, Energieproduktion <strong>und</strong><br />

Dienstleistungen für die Freizeitgesellschaft anpassen.<br />

4.2 Szenario 1: Eine Schweiz der Metropolen – Trendszenario<br />

Die fortschreitende Globalisierung stärkt die Stellung der Metropolen weiter. In den Metropolen<br />

der Welt konzentrieren sich die Hauptquartiere der international tätigen Konzerne <strong>und</strong> damit<br />

die Entscheidungsmacht über die wesentlichen Vorgänge in der Weltwirtschaft. Die gleichzeiti-<br />

ge Konzentration der hoch spezialisierten Arbeitskräfte <strong>und</strong> der ärmeren Bevölkerungsschich-<br />

ten in einem hoch dynamischen Umfeld der Kernstädte führt aber zu grossen sozialen Span-<br />

nungen. Nach tief greifenden Deregulierungen sind die staatlichen Organe nicht mehr in der<br />

Lage, die daraus entstehenden Probleme gr<strong>und</strong>legend zu lösen; sie beschränken sich auf die<br />

Verwaltung <strong>und</strong> Lösung alltäglicher Aufgaben.<br />

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<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

Die Schweiz bleibt im internationalen Wettbewerb dank hervorragender Hochschulen <strong>und</strong> ei-<br />

ner gestärkten Exportwirtschaft in einer komfortablen Position. Die Integration in die Weltwirt-<br />

schaft gelingt der Schweiz insbesondere dank der führenden drei Metropolitanräume Genf<br />

(Bassin Lémanique), Basel <strong>und</strong> Zürich. Im grenzüberschreitenden Metropolitanraum Bassin<br />

Lémanique leben r<strong>und</strong> 1,5 Mio., im trinationalen Wirtschaftsraum Basel r<strong>und</strong> 0,8 Mio. <strong>und</strong> in der<br />

Agglomeration Zürich gegen 2 Mio. Menschen.<br />

Obwohl diese drei Städte damit nach wie vor viel kleiner sind als die europäischen oder welt-<br />

weiten Metropolen, können sie sich durch hoch spezialisierte Dienstleistungen im Bankensek-<br />

tor, in der chemischen Industrie <strong>und</strong> durch die hohe Präsenz internationaler Organisationen auf<br />

dem internationalen Parkett behaupten. Einen wichtigen Beitrag leistet ausserdem die hervor-<br />

ragende Erreichbarkeit der drei Metropolen auf dem Land- <strong>und</strong> Luftweg.<br />

In diesem wirtschaftlich dynamischen Umfeld sind die Behörden in der Entwicklung zurück<br />

geblieben. Mangels politischem Willen sind Gemeindefusionen zum grossen Teil gescheitert,<br />

<strong>und</strong> die Resultate der föderalen Agglomerationspolitik sind hinter den Erwartungen zurück<br />

geblieben. Ausserdem bietet die Überwindung der zunehmenden Disparitäten – etwa zwischen<br />

Zentrum <strong>und</strong> Peripherie – zunehmende Schwierigkeiten. Angeführt wird die faktische Weiter-<br />

entwicklung der Metropolen denn auch nicht durch die Behörden, sondern durch private Ak-<br />

teure. Sie organisieren die Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft <strong>und</strong> Bildung <strong>und</strong> planen gros-<br />

se Infrastrukturinvestitionen, beispielsweise im Verkehr.<br />

In den drei Metropolitanräumen spielt die Konzentration eine entscheidende Rolle, denn ihre<br />

wirtschaftliche Dynamik basiert letztlich auf der Fähigkeit, Wohnraum <strong>und</strong> Beschäftigung für<br />

eine grosse Anzahl Menschen anzubieten, zwischen denen sich eine enges Netzwerk von pro-<br />

duktiven Interaktionen bildet. Ihre Grösse <strong>und</strong> die im internationalen Vergleich sehr hohe Le-<br />

bensqualität erlaubt es den Metropolen Genf, Basel <strong>und</strong> Zürich ausserdem, hoch spezialisierte<br />

Dienstleistungen <strong>und</strong> Entscheidungsmacht an sich zu binden. Zur hohen Lebensqualität gehö-<br />

ren insbesondere auch erstklassige Infrastrukturen für Messen, Kultur <strong>und</strong> Sport. Als Folge der<br />

wirtschaftlichen Dynamik <strong>und</strong> der hohen Konzentration von Funktionen <strong>und</strong> Entscheidungs-<br />

kompetenzen in den drei Metropolen sind diese die zentralen Treiber der Raumentwicklung in<br />

der Schweiz.<br />

Andererseits verursacht aber die hohe Konzentration auch beträchtliche Kosten im sozialen Be-<br />

reich. Insbesondere in den Kernstädten drohen Verarmung <strong>und</strong> eine Gettoisierung. Durch die<br />

hohe Konzentration kommt es unweigerlich auch zu Verkehrsproblemen in Stosszeiten, die sich<br />

im Individualverkehr in grossen Staus mit entsprechenden Zeitverlusten manifestieren. Der öf-<br />

fentliche Verkehr funktioniert insbesondere in dicht besiedelten Gebieten weiterhin gut, verur-<br />

sacht aber beträchtliche Defizite, die die öffentliche Hand abdecken muss. Ausserdem stellen<br />

die Infrastrukturen für Sport, Kultur <strong>und</strong> weitere öffentliche Aufgaben die zuständigen Behör-<br />

den vor grosse finanzielle Herausforderungen.<br />

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<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> _____________________ ____________________________________________________ ________________ Juli 2011<br />

Abbildung 12 Die Schweiz iz dder<br />

Metropolen – Trendszenario<br />

Quelle: Are (2005, p. 71)<br />

4.2.1 Konsequenzen für die räumliche Entwicklung<br />

Die drei dynamischen Metrop opolen sichern den Anschluss der Schweiz an die internationale<br />

Wirtschaft. Gleichzeitig sind sie aber von grossen sozialen <strong>und</strong> räumlichen Disparitäten D<br />

geprägt,<br />

<strong>und</strong> den Stadtzentren droht ein ei Niedergang (Verarmung), jedoch fast ohne e Verluste bei der Be-<br />

völkerung (-3%) <strong>und</strong> den Arbe beitsplätzen (-2%). Im periurbanen Raum hingeg egen wachsen insbe-<br />

sondere die wohlhabende Bev evölkerung (+16%) <strong>und</strong> die Beschäftigung in Unternehmen U<br />

mit ei-<br />

ner hohen Wertschöpfung (+22 22%) stark an.<br />

Die Mittelstädte im Einzugsber ereich der Metropolen profitieren besonders von vo deren wirtschaft-<br />

licher Dynamik, so beispielswe weise Winterthur oder Zug. Hier finden die Men enschen einerseits ei-<br />

ne hohe Lebensqualität abseit eits von Hektik <strong>und</strong> Verkehrsproblemen der grossen g Metropolen,<br />

können aber gleichzeitig die Vorteile V der Metropolen voll nutzen. In der Folgge<br />

wachsen hier so-<br />

wohl die Anzahl der Stellen (+6%) (+6 als auch die Bevölkerung (+9%) spürbar.<br />

Die weiteren Schweizer Städte dte <strong>und</strong> Agglomerationen können hingegen von vo der Dynamik der<br />

Metropolen nur sehr beschrän änkt profitieren, weil sie räumlich zu weit entfe tfernt liegen. Sie wer-<br />

den zu Bindegliedern zwische hen Metropolräumen <strong>und</strong> dem ländlichen Rau aum <strong>und</strong> entwickeln<br />

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<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

sich zunehmend zu Standorten der föderalen <strong>und</strong> kantonalen Verwaltung. Dies trifft sowohl für<br />

Städte wie Chur <strong>und</strong> Neuenburg zu als auch für zahlreiche Städte im Espace Mittelland <strong>und</strong> für<br />

die Agglomeration Luzern.<br />

Die stadtnahen ländlichen Gebiete werden zunehmend als Siedlungs-, Erholungs- oder als Na-<br />

turschutzgebiet genutzt, die Bedeutung der Landwirtschaft hingegen geht stark zurück. Ent-<br />

sprechend wächst die Bevölkerung (+5%), die Zahl der Arbeitsplätze hingegen schrumpft leicht<br />

(-2%). Die peripher gelegenen ländlichen Gebiete erleben einen deutlichen Niedergang, der<br />

sich in einem starken Rückgang sowohl der Beschäftigung (-14%) als auch der Bevölkerung (-3%<br />

bis -16%) bemerkbar macht. Viele Gebäude stehen in der Folge leer. Die Lockerung der Gesetz-<br />

gebung, die eine sinnvolle Nachnutzung dieser Bauten anstrebte, hatte eine weitere starke Zer-<br />

siedlung zur Folge.<br />

Da insgesamt keine neue Zuwanderung stattfindet, altert die Schweizer Bevölkerung zuneh-<br />

mend. Der Trend zur Zersiedlung setzt sich ungebremst fort (Siedlungsfläche +11%): in guter<br />

Erreichbarkeit der Metropolen werden 100‘000 weitere Einfamilienhäuser gebaut.<br />

4.2.2 Fazit<br />

Die Schweiz wird durch die dynamische Entwicklung der drei Metropolitanräume Genf, Basel<br />

<strong>und</strong> Zürich geprägt. Sie stellen den Anschluss der Schweiz an die internationale Wirtschaft si-<br />

cher <strong>und</strong> konzentrieren gleichzeitig zentrale Funktionen <strong>und</strong> die Entscheidungsmacht in sich.<br />

Profitieren davon können neben den Metropolen auch die Mittelstädte im engeren Einzugsbe-<br />

reich der Metropolen – die Verlierer hingegen sind weiter entfernte Städte sowie der periphere<br />

ländliche Raum. Das Szenario „Eine Schweiz der Metropolen“ ist auch für die Umwelt <strong>und</strong> den<br />

Verkehr mit hohen Kosten verb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> verfehlt insgesamt eine nachhaltige Entwicklung in<br />

der Schweiz.<br />

4.3 Szenario 2: Zersiedlung – Niedergang der Städte<br />

Die weltweite Wirtschaftskrise <strong>und</strong> die sozialen Ungleichheiten konnten seit dem Beginn des<br />

21. Jahrh<strong>und</strong>erts nicht überw<strong>und</strong>en werden, was den Wohlstand in den entwickelten Ländern<br />

insgesamt deutlich beeinträchtigt hat. Entsprechend stagniert die Globalisierung, <strong>und</strong> der in-<br />

ternationale Handel wurde spürbar gebremst. Die Schweizer Wirtschaft wird dadurch stark be-<br />

einträchtigt. Für den Export bewährter Schweizer Produkte – beispielsweise Vermögensverwal-<br />

tung oder Luxusgüter – hat dies gravierende Konsequenzen. Die Realisierung grosser Investiti-<br />

onen – insbesondere in Verkehrsinfrastrukturen – wurde zurückgestellt. Insgesamt verharren<br />

die entwickelten Länder in einer abwartenden Position: die Problembewältigung ist mangel-<br />

haft, die Behörden geschwächt <strong>und</strong> die Arbeitslosigkeit ist hoch.<br />

36


<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

Die Schweiz zieht sich in diesem Kontext in sich selbst zurück. Die Freihandelsabkommen sind<br />

gescheitert, weshalb die alten protektionistischen Massnahmen bestehen blieben. Davon profi-<br />

tieren jedoch nur wenige Branchen, insbesondere die Landwirtschaft. Eine weitreichende Dere-<br />

gulierung, die bis hin zu einer Governance nach angelsächsischem Muster geht, hat zu einer<br />

dramatischen Schwächung der öffentlichen Hand geführt. Die Aktivitäten der Behörden be-<br />

schränken sich auf die Bereitstellung zentraler Rahmenbedingungen <strong>und</strong> die Korrektur der<br />

schlimmsten Auswirkungen im Sozial- <strong>und</strong> Umweltbereich.<br />

Private Initiativen treten in allen Lebensbereichen in den Vordergr<strong>und</strong>, so z.B. freies Unterneh-<br />

mertum, Kulturmäzenat oder wohltätige Vereinigungen. Hingegen führte die Deregulierung<br />

auch zu einer Schwächung der weniger Privilegierten, was in den vergangenen Jahren ver-<br />

mehrt soziale Spannungen zur Konsequenz hatte. Aufgr<strong>und</strong> der Schwächung der öffentlichen<br />

Hand fehlen dieser jedoch die Mittel, um der schwachen Konjunktur <strong>und</strong> den zunehmenden<br />

Disparitäten im Land wirksame Massnahmen entgegen zu setzen.<br />

Während also die kantonalen <strong>und</strong> die föderalen Behörden stark geschwächt aus dieser Entwick-<br />

lung hervor gehen, gewinnen die Gemeinden hingegen an Bedeutung. Sie haben bewiesen,<br />

dass sie dank ihrer Nähe zu den Bürgern die anstehenden Aufgaben am besten lösen können.<br />

Sie delegieren dabei einen grossen Anteil ihrer Aufgaben an private Akteure. Aufgr<strong>und</strong> des<br />

stark wirkenden Protektionismus funktionieren die Gemeinden <strong>und</strong> Städte trotz ihrer be-<br />

schränkten Grösse gut.<br />

Als Teil der Deregulierungspolitik wurden die Vorschriften in der Landwirtschaftszone stark ge-<br />

lockert. Ungenutzte Landwirtschaftsgebäude können frei genutzt werden. Da trotz Protektio-<br />

nismus die Anzahl der Landwirtschaftsbetriebe rückläufig ist, kommen so zehntausende von<br />

landwirtschaftlichen Immobilien auf den freien Markt. Die Folge davon war eine starke Zersied-<br />

lung; die periurbanen Gebiete greifen tief in die Landwirtschaftszone hinein. Die Standorte von<br />

kleineren <strong>und</strong> mittleren Unternehmen liegen überall verteilt im Mittelland. Die Landschaft wird<br />

dadurch stark in Mitleidenschaft gezogen.<br />

Aufgr<strong>und</strong> der grossen Ausdehnung der Siedlungsfläche <strong>und</strong> der abnehmenden Bebauungs-<br />

dichte konnte das wachsende Verkehrsaufkommen nicht durch den öffentlichen Verkehr aufge-<br />

fangen werden, entsprechend nahm der Individualverkehr stark zu. Ausserdem mussten die<br />

anderen Infrastrukturnetze (Wasser, Abwasser, Energie, Telekommunikation) in der Fläche aus-<br />

gebaut werden, was zu einem starken Anstieg der Kosten geführt hat. Ausserdem sind die Infra-<br />

strukturen aufgr<strong>und</strong> der abnehmenden Siedlungsdichte immer schlechter ausgelastet. Die öf-<br />

fentliche Hand hat grosse Schwierigkeiten, für deren Bau <strong>und</strong> Unterhalt aufzukommen, was zu<br />

häufigen Pannen <strong>und</strong> Unterbrüchen führt.<br />

Für die Städte bedeutet diese Entwicklung einen Niedergang. Sowohl die Bevölkerung als auch<br />

die Arbeitsplätze erleben einen deutlichen Rückgang, was auch einen Abbau der öffentlichen<br />

Dienstleistungen zur Folge hat. Die hoch spezialisierten Dienstleistungen der Privatwirtschaft –<br />

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<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> _____________________ ____________________________________________________ ________________ Juli 2011<br />

beispielsweise im Bankensekto ktor oder im Rechtsbereich – finden in den Schw hweizer Städten keine<br />

genügend grosse Nachfrage mehr m <strong>und</strong> wandern in ausländische Metropolen len ab.<br />

Abbildung 13 Zersiedlung – Niedergang der Städte<br />

Quelle: ARE (2005, p. 76)<br />

Ausserdem hat die starke Der eregulierung dazu geführt, dass sich die Regio gionen sehr ungleich<br />

entwickeln. Es fehlt im Gegens ensatz zu früher eine ausgleichende Raumpoliti litik des B<strong>und</strong>es. Jede<br />

Gemeinde versuchte, eine eige igene Industrie anzusiedeln, was zu einem ineff effizienten Kampf der<br />

Gemeinden untereinander füh ührte. Zusammenfassend bringt das Szenario Zersiedlung Z<br />

also nur<br />

Verlierer: die Wirtschaft hat nur nu schwache <strong>Entwicklungs</strong>motoren, die Umwe weltprobleme werden<br />

nicht gelöst, die Landschaft wird wir stark zersiedelt <strong>und</strong> soziale Ungleichheiten n verstärken sich.<br />

4.3.1 Konsequenzen für die räumliche Entwicklung<br />

Die Schweizer Städte verlieren en sowohl Bevölkerung als auch an Arbeitsplätz ätze. Beide lassen sich<br />

im ländlichen Raum nieder. Die Di Stadtzentren entleeren sich <strong>und</strong> die daraus us entstehenden Bra-<br />

chen haben nur eine geringee<br />

Chance auf Wiederbelebung. Die grossen n Infrastrukturen der<br />

Städte wie Messehallen, Flugh ghäfen <strong>und</strong> Sportstätten kämpfen mit einer sink inkenden Auslastung.<br />

Alle Städte leiden unter massi ssiven Verkehrsproblemen. Die öffentliche Han and sieht sich ausser-<br />

stande, die sozialen Spannung ungen wirksam abzubauen. Auch die grösseren ren Schweizer Städte<br />

haben im internationalen Wett ettbewerb keine Chance.<br />

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<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

Die gelockerten Bauvorschriften in der Landwirtschaftszone führten dazu, dass ausser in den<br />

ganz peripheren Regionen weite Teile des Landes mit Wohn-, Gewerbe- <strong>und</strong> Infrastrukturbau-<br />

ten überzogen sind. Die Siedlungsfläche in der Schweiz wächst um 50‘000ha. Das ökologische<br />

Gleichgewicht, die Vernetzung der Lebensräume <strong>und</strong> insbesondere das Landschaftsbild wer-<br />

den dadurch in Mitleidenschaft gezogen. Der Ruf der Schweiz leidet stark darunter, <strong>und</strong> der in-<br />

ternationale Tourismus geht in der Folge stark zurück (wobei bei letzterem die schwache Welt-<br />

konjunktur ebenfalls eine Rolle spielt).<br />

4.3.2 Fazit<br />

Im Szenario 2 „Zersiedlung“ wird von einem klaren Entscheid für die individuelle Initiative aus-<br />

gegangen. Diese Entscheidung hat für die Schweizer Raumentwicklung gravierende Konse-<br />

quenzen: die Städte verlieren Einwohner <strong>und</strong> Arbeitsplätze, das Mittelland leidet unter einer<br />

erdrückenden Zersiedlung <strong>und</strong> mangelhaften Infrastrukturnetzen <strong>und</strong> die peripheren Regionen<br />

werden von der wirtschaftlichen Entwicklung praktisch komplett abgehängt. Das Image der<br />

Schweiz wird international stark geschwächt, <strong>und</strong> der Tourismus geht in der Folge zurück. Die<br />

Schweiz ist insgesamt ärmer als vor 25 Jahren.<br />

4.4 Szenario 3: Eine polyzentrische urbane Schweiz – vernetztes<br />

Städtesystem<br />

Die Weltwirtschaft entwickelte sich nach der Jahrtausendwende positiv <strong>und</strong> es wurden wirksa-<br />

me internationale Abkommen zum Schutz der Umwelt ratifiziert. Dies führte in vielen Lebens-<br />

bereichen zu einer Wende hin zu einer nachhaltigen Entwicklung, von der weltweit vor allem<br />

die Städte profitieren konnten.<br />

Im internationalen Vergleich besticht die Schweiz mit einer vorbildlichen öffentlichen Verwal-<br />

tung, die durch drei Einflüsse gestärkt wurde. Erstens profitierte das Land von einer stabilen<br />

Konjunktur <strong>und</strong> einem wachsenden Aussenhandel, was sich insbesondere in der Vermögens-<br />

verwaltung <strong>und</strong> in einer Zunahme der Exporte äusserte. Zweitens ist es den Behörden dank ei-<br />

ner restriktiven Raumordnungspolitik gelungen, eine weitere Ausdehnung der Siedlungen zu<br />

stoppen <strong>und</strong> wertvolle Landschafts- <strong>und</strong> Naturräume zu schützen. Drittens gilt die bürgernahe<br />

direkte Demokratie international als vorbildlich.<br />

Durch die Einführung einer stärkeren Kontrolle der Bautätigkeit durch die B<strong>und</strong>esbehörden<br />

konnte die Zersiedlung in der Schweiz erfolgreich gestoppt werden. Dadurch hat sich eine klare<br />

Grenze zwischen den Städten <strong>und</strong> den umliegenden Landwirtschafts- <strong>und</strong> Naturräumen her-<br />

ausgebildet, die international als vorbildlich gilt. Gleichzeitig hat sich zwischen den Schweizer<br />

Städten ein enges Netzwerk gebildet, das auch die Klein- <strong>und</strong> Mittelstädte einschliesst.<br />

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<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> _____________________ ____________________________________________________ ________________ Juli 2011<br />

Die treibende Kraft dieser Entw twicklung waren die Agglomerationen, die durc urch eine erfolgreiche<br />

Förderpolitik des B<strong>und</strong>es zu neuer n Stärke gef<strong>und</strong>en haben. In vielen Agglo glomerationen wurde<br />

durch die Fusion verschiedene ner Gemeinden eine Verwaltungsstruktur gesch chaffen, die auch dem<br />

tatsächlichen Lebensraum der er Bevölkerung entspricht. Die grenzüberschreit reitenden Agglomera-<br />

tionen Genf, Basel, im Tessin <strong>und</strong> u in der Ostschweiz wurden durch Anpassu sungen im internatio-<br />

nalen Recht weiter gestärkt. . Die D Städte spezialisieren sich auf ihre jeweilig iligen wirtschaftlichen<br />

Kernkompetenzen <strong>und</strong> heben n sich damit von der internationalen Tendenz zur zu Angleichung ab.<br />

Abbildung 14 Eine polyzent entrisch urbane Schweiz – vernetztes Städtesyste tem<br />

Quelle: ARE (2005, p. 80)<br />

Dank dieser spezialisierten Entwicklung Ent <strong>und</strong> den hervorragenden Verkehrs hrsverbindungen zwi-<br />

schen den Städten erreicht das Städtenetz Schweiz insgesamt eine wirtscha haftlicheLeistungsfä- higkeit, die mit internationalen len Metropolen vergleichbar ist, ohne jedoch unter u den negativen<br />

Auswirkungen einer Grossstad tadt zu leiden. Dank dem erfolgreichen Kampf pf gegen die Zersied-<br />

lung sind die Schweizer Städte dte von einem Gürtel von Landwirtschafts- <strong>und</strong> nd Naturräumen um-<br />

geben. Die Bautätigkeit fand verstärkt v im bestehenden Siedlungsgebiet stat tatt, insbesondere auf<br />

Industrie- <strong>und</strong> Gewerbebrache hen. Im ersten <strong>Vorstadt</strong>gürtel entstehen vermeh ehrt städtische Mehr-<br />

familienhäuser, die das Modell ell des Einfamilienhauses zunehmend ablösen. en. Die Vorstädte sind<br />

durch den öffentlichen Verkeh ehr hervorragend erschlossen. Die peripheren n Regionen R hingegen<br />

können von der wirtschaftliche chen Dynamik der Städte nicht profitieren. Hier ier kann der hohe Le-<br />

bensstandard nur dank Unterst rstützung der öffentlichen Hand gehalten werde rden.<br />

40


<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

4.4.1 Konsequenzen für die räumliche Entwicklung<br />

Die Städte bilden ein robustes <strong>und</strong> leistungsfähiges Netzwerk, das insgesamt den Anschluss an<br />

die internationale Wirtschaft sicherstellt <strong>und</strong> die allgemeine Triebkraft für die Entwicklung in<br />

der Schweiz darstellt. Der daraus resultierende Wohlstand führt zu einem Aufschwung in den<br />

Agglomerationen (+8% Bevölkerung in grossen Agglomerationen, +6% in den kleineren). Der<br />

periurbane Raum im ersten Agglomerationsgürtel hingegen erfüllt sowohl städtische als auch<br />

ländliche Funktionen <strong>und</strong> bleibt bezüglich Bevölkerung <strong>und</strong> Arbeitsplätzen relativ stabil.<br />

Die weiter entfernten Regionen hingegen werden von der wirtschaftlichen Entwicklung abge-<br />

hängt <strong>und</strong> erleiden in der Folge einen starken Abschwung, der durch eine schrumpfende Be-<br />

völkerung, eine starke Überalterung sowie einen grossen Verlust an Arbeitsplätzen gekenn-<br />

zeichnet ist (-19%). Einige periphere Regionen haben als Regionale Naturpärke eine neue Iden-<br />

tität gef<strong>und</strong>en, die Schutz <strong>und</strong> Nutzen der vorhandenen Naturwerte in Einklang bringt.<br />

Als Konsequenz der starken Spezialisierung innerhalb des Städtenetzes findet eine Intensivie-<br />

rung des Austausches zwischen den Städten statt. In der Folge wächst der Verkehr zwischen<br />

<strong>und</strong> innerhalb der Agglomerationen stark an. Dank der hohen Dichte kann das Wachstum<br />

durch den gut ausgebauten öffentlichen Verkehr aufgefangen werden. Durch die hohe Auslas-<br />

tung des öffentlichen Verkehrs können gute Deckungsbeiträge erwirtschaftet werden. Die Au-<br />

tobahnen können dank der hohen Dichte vom regionalen Verkehr etwas entlastet <strong>und</strong> können<br />

wieder vermehrt ihre eigentlich Funktion übernehmen: die Verbindung der Schweizer Städte<br />

untereinander.<br />

Dank der vorbildlichen Bewahrung der landschaftlichen Stärken kann die Schweiz ausserdem<br />

eine steigende Anzahl internationaler Gäste willkommen heissen. Neben den Städten <strong>und</strong> den<br />

etablierten alpinen Destinationen können auch die Randregionen davon profitieren, seit sie au-<br />

thentische <strong>und</strong> strikte auf lokale Besonderheiten ausgerichtete Angebote erarbeitet haben.<br />

4.4.2 Fazit<br />

Eine gute Entwicklung der Konjunktur sowie eine gestärkte Kontrolle des B<strong>und</strong>es über die Bau-<br />

tätigkeit im Land hat zu einem dynamischen <strong>und</strong> wirtschaftlich leistungsfähigen Netz der<br />

Schweizer Städte geführt, in dem sich jede Stadt auf ihre ursprünglichen Kernkompetenzen<br />

konzentriert. Die Konzentration nach innen ermöglicht in Kombination mit der Vernetzung aus-<br />

serdem eine gesellschaftliche Solidarität <strong>und</strong> die Erhaltung des ökologischen Gleichgewichts.<br />

Die ländlichen Gebiete in der Nähe der Städte profitieren von deren Dynamik während die wei-<br />

ter entfernt gelegenen Gebiete nur eine geringe Vitalität aufweisen.<br />

41


<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

4.5 Szenario 4: Eine Schweiz der Regionen – territoriale Solidarität<br />

Eine markante Erhöhung der Rohstoffpreise nach der Jahrh<strong>und</strong>ertwende hat die Weltgemein-<br />

schaft vor neue Herausforderungen gestellt. Die Ratifizierung internationaler Umweltschutzab-<br />

kommen <strong>und</strong> eine pragmatische Umsetzung der Gr<strong>und</strong>sätze der nachhaltigen Entwicklung ha-<br />

ben dazu geführt, dass sich ein weltweites Gleichgewicht zwischen Ökonomie, Ökologie <strong>und</strong><br />

sozialen Anliegen einpendelt.<br />

Europa wächst kontinuierlich weiter. Neben den Grossmetropolen London, Paris, Madrid, Rhein-<br />

/Ruhrgebiet <strong>und</strong> der holländischen Randstad sind es im Wesentlichen Mittelstädte von der<br />

Grösse 200‘000 – 5Mio. Einwohner, die das europäische Städtesystem prägen. Diese Städte sind<br />

fest mit ihrem Umland verankert <strong>und</strong> vereinigen die beiden Funktionen Anschluss an die Welt-<br />

wirtschaft <strong>und</strong> Ausstrahlung auf die umliegenden Gemeinden.<br />

In der Schweiz konnten die Kantone die anstehenden Probleme nicht mehr zufriedenstellend<br />

lösen. Deshalb wurden 11 politische Regionen gegründet, die aufgr<strong>und</strong> ihres Gewichts zufrie-<br />

denstellend Politik (z.B. Wirtschaftsförderung) betreiben können <strong>und</strong> gleichzeitig nicht zu weit<br />

weg von den Bürgerinnen <strong>und</strong> Bürgern arbeiten. Jede Region weist ihre eigenen Stärken auf<br />

<strong>und</strong> verbindet die Städte mit dem ländlichen Raum innerhalb der Region. Dem sozialen Zu-<br />

sammenhalt – insbesondere auch zwischen Stadt <strong>und</strong> Land – kommt eine zentrale Funktion zu.<br />

So kann eine räumliche Entwicklung sicher gestellt werden, von der keine Landesteile ausge-<br />

schlossen werden.<br />

Die Regionen sind nicht klar begrenzt <strong>und</strong> überschneiden sich teilweise. Die Region Jura bei-<br />

spielsweise teilt gewisse Gebiete mit der Region Basel bzw. mit der Region Genf <strong>und</strong> unterhält<br />

gleichzeitig eine intensive partnerschaftliche Beziehung mit der französischen Region Franche-<br />

Comté. Es handelt sich also bei den Regionen nicht um eine territoriale Aufteilung der Schweiz,<br />

sondern vielmehr um Handlungsräume, die durchaus grenzüberschreitenden Charakter haben<br />

können.<br />

Basierend auf den sich ergänzenden Städten <strong>und</strong> ländlichen Räumen entwickelt jede Region ih-<br />

re eigenen wirtschaftlichen Kernkompetenzen. Gleichzeitig haben die Regionen auch genü-<br />

gend politische Kompetenzen, um direkte Partnerschaften mit anderen Regionen im In- <strong>und</strong><br />

Ausland zu schliessen. So konnten Fortschritte in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit<br />

erreicht werden, namentlich im Verkehrsbereich, in der Beschäftigung <strong>und</strong> im Wohnungsbau.<br />

Der B<strong>und</strong> beschränkt sich in dieser Schweiz der Regionen auf die Bereitstellung geeigneter<br />

Rahmenbedingungen für eine positive Entwicklung. Dazu gehören insbesondere die Wäh-<br />

rungs- <strong>und</strong> die Aussenpolitik sowie die grossen Verkehrsinfrastrukturen. Die Kantone hingegen<br />

übernehmen die Regional- <strong>und</strong> die Sachpolitiken, <strong>und</strong> die Gemeinden behalten weiterhin ihre<br />

Rolle als bürgernächste Ebene der öffentlichen Verwaltung. Anfängliche Vorbehalte bezüglich<br />

einer ungleichen Entwicklung zwischen den Regionen <strong>und</strong> einer daraus folgenden Bedrohung<br />

42


<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> _____________________ ____________________________________________________ ________________ Juli 2011<br />

des nationalen Zusammenhalt altes konnten ausgeräumt werden, indem der er B<strong>und</strong> B mit einem in-<br />

terregionalen Finanzausgleich ch eine Harmonisierung der Entwicklung sicherst rstellte.<br />

Abbildung 15 Eine Schweiz eiz der Regionen – territoriale Solidarität<br />

Quelle: ARE (2005, p. 82)<br />

4.5.1 Konsequenzen für die räumliche Entwicklung<br />

Die Regionen entwickeln sich h basierend b auf ihren jeweiligen Stärken <strong>und</strong> Besonderheiten Be<br />

weit-<br />

gehend selbständig. Für die Lösung Lö übergreifender Probleme wie beispielsw elsweise der Verkehrs-<br />

infrastruktur gehen sie flexible ble Partnerschaften ein. Die Bevölkerung identif ntifiziert sich nach an-<br />

fänglichen Vorbehalten stark k mmit<br />

den neuen Regionen. In jeder Region gibt t es e ein eigenes Städ-<br />

tesystem mit einer hierarchisch schen Struktur, das von den Metropolen bis zum m Dorf reicht <strong>und</strong> die<br />

jeweiligen Dienstleistungen bereit be stellt. So kann insgesamt eine räumliche e Entwicklung sicher-<br />

gestellt werden, von der alle Landesteile La profitieren können.<br />

Die Kosten für die Mobilität sind sin aufgr<strong>und</strong> der stark gestiegenen Energiepre preise so hoch wie nie<br />

zuvor. Als Folge davon fahren en die Menschen zwar nicht weniger oft im eig igenen Fahrzeug, die<br />

zurückgelegten Distanzen wer erden aber spürbar kürzer, weil die Menschen en sich zunehmende<br />

innerhalb ihrer eigenen Region ion bewegen. Gleichzeitig erlebt der öffentliche he Verkehr einen veri-<br />

tablen Aufschwung, <strong>und</strong> aufgr fgr<strong>und</strong> der kürzeren Distanzen erfolgt eine eige gentliche Renaissance<br />

des Fuss- <strong>und</strong> Veloverkehrs.<br />

43


<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

Der internationale Tourismus weist aufgr<strong>und</strong> der hohen Energiekosten rückläufige Ankunfts-<br />

zahlen aus, was die Schweiz auch betrifft. Die Schweiz konnte aber ihre intakten Landschaften,<br />

die attraktiven Städte <strong>und</strong> die Unterschiede zwischen den Regionen erhalten <strong>und</strong> profitiert von<br />

einem stark wachsenden Binnentourismus.<br />

4.5.2 Fazit<br />

Die Kantone waren den steigenden Herausforderungen der Weltwirtschaft nicht mehr gewach-<br />

sen, weshalb in der Schweiz die Ebene der Regionen eingeführt wurde. Diese haben es ge-<br />

schafft, gleichzeitig die Integration in die Weltwirtschaft <strong>und</strong> den inneren Zusammenhalt durch<br />

Identität sicher zu stellen. Die Bevölkerung ist insgesamt weniger mobil <strong>und</strong> richtet sich weit-<br />

gehend auf das Leben innerhalb der Regionen aus.<br />

44


<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

5 Vier Szenarien für das <strong>Rontal</strong><br />

Auf den oben stehenden <strong>Analyse</strong>n aufbauend soll nun die zukünftige Raumentwicklung im<br />

<strong>Rontal</strong> diskutiert werden. Dazu werden nochmals die vier Szenarien beigezogen, die in Kapitel 4<br />

vorgestellt wurden. Anhand jedes Szenarios wird eine mögliche räumliche Entwicklung des<br />

<strong>Rontal</strong>s bis ins Jahr 2030 diskutiert. Den Szenarien entsprechend ergeben sich daraus vier sehr<br />

unterschiedliche Zukunftsbilder, die nur wenige Elemente gemeinsam haben.<br />

Durch diese Diskussion in Szenarien wird vorerst ein Zwischenschritt geleistet, der anstelle der<br />

wünschbaren Zukunft die wahrscheinlichen Zukünfte beleuchtet. Aufbauend auf den ausfor-<br />

mulierten Szenarien werden erst anschliessend Elemente der einzelnen vier Diskussionen so<br />

kombiniert, dass sich eine Vision für die zukünftige Entwicklung des <strong>Rontal</strong>s ergibt.<br />

Im Interesse einer einfachen Verständlichkeit die vier Szenarien so formuliert, wie wenn wir uns<br />

bereits im Jahr 2030 befänden <strong>und</strong> aus der Zukunft auf die vergangene Entwicklung zurück<br />

schauen würden.<br />

5.1 Trendszenario: Zug entleert sich ins <strong>Rontal</strong> hinein<br />

Die Metropolisierung der Schweiz hat dazu geführt, dass der Einfluss von Zürich auf die Region<br />

Luzern stark zugenommen hat. Insbesondere pendeln sehr viele Zentralschweizer täglich nach<br />

Zürich, weshalb das Verkehrsaufkommen auf Strasse <strong>und</strong> Scheine fast unerträgliche Ausmasse<br />

angenommen hat. Viele Betriebe in Luzern sind als Zulieferer direkt von der Wirtschaft im<br />

Grossraum Zürich abhängig. Im <strong>Rontal</strong>, das über den direkten Anschluss der Autobahn A4 <strong>und</strong><br />

den Schnellzughalt in Ebikon besonders gut nach Zug <strong>und</strong> Zürich angeb<strong>und</strong>en ist, hat diese<br />

Entwicklung besonders stark akzentuiert stattgef<strong>und</strong>en.<br />

Hier hat entsprechend eine dynamische bauliche Entwicklung stattgef<strong>und</strong>en. Heute wohnen<br />

über 35‘000 Menschen im <strong>Rontal</strong>, was einem Wachstum von über 50% in 25 Jahren entspricht.<br />

Die Immobilienpreise in Zürich, Zug <strong>und</strong> an den zentralen Lagen in der Stadt Luzern sind inzwi-<br />

schen so stark angestiegen, dass eine grossflächige Gentrification stattgef<strong>und</strong>en hat. Mittel-<br />

ständische Familien ziehen zunehmend an peripherere Wohnorte. Im <strong>Rontal</strong> wohnen die Men-<br />

schen – je nach verfügbarem Einkommen – in verdichteten Wohnsiedlungen an zentraler Lage,<br />

oder im Reihen- bzw. Terrasseneinfamilienhaus am Hang.<br />

Verschiedene Steuersenkungen im Kanton Luzern seit dem Jahr 2012 haben dazu geführt, dass<br />

das <strong>Rontal</strong> für Firmen mit hohem Umsatz bedeutend attraktiver geworden ist. Zahlreiche An-<br />

bieter von Unternehmens- <strong>und</strong> von Finanzdienstleistungen haben aufgr<strong>und</strong> der exorbitanten<br />

Quadratmeterpreise in Zürich <strong>und</strong> Zug ihre Büros ins <strong>Rontal</strong> verlegt – <strong>und</strong> zwar sowohl Backof-<br />

45


<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

fices als auch Headquarters. Das riesige Gefälle in der Pro-Kopf-Produktivität, das früher die<br />

Kantonsgrenze zwischen Zug <strong>und</strong> Luzern markiert hat, wurde mit den Steuersenkungen weit-<br />

gehend ausgeglättet. Daraufhin hat sich der Kanton Zug quasi ins <strong>Rontal</strong> hinein „entleert“.<br />

Die Schindler-Gruppe ist in Umsatz <strong>und</strong> Gewinn zur Branchennummer 1 weltweit aufgerückt<br />

<strong>und</strong> bietet heute mehr als r<strong>und</strong> 2400 Mitarbeitenden einen Arbeitsplatz an, was einem Wachs-<br />

tum von 30% seit 2010 entspricht. Weitere Zulieferer von Schindler sind ins <strong>Rontal</strong> gezogen,<br />

nachdem die Just-in-time-Produktion noch straffer organisiert wurde.<br />

Abbildung 16 Trendszenario: Zug entleert sich ins <strong>Rontal</strong> hinein<br />

Quelle: Siegrist Comamala Architekten, Biel<br />

Die zentralen Lagen werden im <strong>Rontal</strong> zunehmend begehrter. Gleichzeitig werden hochwertige<br />

Grünräume knapp, obwohl einige Gebiete unter Naturschutz gestellt werden konnten. Entspre-<br />

chend hat das lokale Parlament eine konsequente bauliche Verdichtung nach innen beschlos-<br />

sen. An zentralen Lagen wurden sehr hohe Nutzungsziffern eingesetzt, <strong>und</strong> entlang der aufge-<br />

werteten K17 wurden mehrere grosse Hochhauszonen bewilligt. Daraus ist eine Verdichtung<br />

entstanden, die an amerikanische Verhältnisse im Kleinstmassstab erinnert. Um einen Quasi-<br />

Central Business District gruppieren sich die Unternehmensdienstleister sowie verdichtete<br />

Wohnbauten, nach aussen hin geht die Siedlung allmählich in einen ubiquitären Wohnsied-<br />

lungsbrei über. Aufgr<strong>und</strong> der hohen Kosten für neue Infrastrukturen musste auf die dringend<br />

notwendige Aufwertung des öffentlichen Raumes verzichtet werden.<br />

46


<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

Durch die intensive <strong>Entwicklungs</strong>dynamik haben sich auch die Disparitäten im <strong>Rontal</strong> ver-<br />

schärft. Das heimische Gewerbe wird von finanzkräftigeren Unternehmen von ihren ursprüngli-<br />

chen Firmengeländen verdrängt. Die einheimische Bevölkerung konnte das schnelle Wachstum<br />

durch zugezogene Mitbürger nicht wohlwollend annehmen <strong>und</strong> hat starke Abschottungsten-<br />

denzen entwickelt. Neid <strong>und</strong> Missgunst prägen das Lebensgefühl dieser Bevölkerungsgruppe.<br />

Sowohl in der Wirtschaft als auch in der Bevölkerung <strong>und</strong> im öffentlichen Leben ist damit eine<br />

Zweischichtengesellschaft entstanden. Auf der einen Seite findet sich eine Gruppe von Einhei-<br />

mischen, die weiterhin wichtige Bereiche von Wirtschaft <strong>und</strong> Politik bestimmt. Ergänzt wird die-<br />

se Gruppe durch Menschen, die sich ihr zugehörig fühlen, so z.B. alt eingesessene Familien <strong>und</strong><br />

Arbeiter mit Wurzeln im <strong>Rontal</strong>. Auf der anderen Seite steht eine gut verdienende Schicht von<br />

hypermobilen Arbeitsmigranten, die einen hedonistischen Lebensstil führen <strong>und</strong> kein Interesse<br />

an einer funktionierenden Gesellschaft zeigen. Aus dieser Situation ist eine soziale Spannung<br />

entstanden, die ein relevantes Potential für grössere Konflikte enthält.<br />

5.2 Zersiedlung: Das <strong>Rontal</strong> wird zugebaut<br />

Die Schwächung des Staates im Allgemeinen <strong>und</strong> der Raumplanung im Speziellen hat zu einem<br />

laissez-faire in der räumlichen Organisation von Arbeiten <strong>und</strong> Wohnen geführt. Für die wach-<br />

senden individuellen Ansprüche an Wohnraum wurden – trotz leicht rückgängiger Bevölke-<br />

rungsentwicklung – in kurzen Abständen neue Baulandreserven geschaffen. Entsprechend prä-<br />

sentierte sich das <strong>Rontal</strong> in den vergangenen 20 Jahren als permanente Baustelle, die mit dem<br />

Siedlungsrand jeweils weiter nach aussen wanderte.<br />

Heute sind alle Bauzonen inklusive der Hanglagen komplett überbaut, <strong>und</strong> ein endloser Tep-<br />

pich an Einfamilienhäusern überzieht das <strong>Rontal</strong>. Die Hanglagen wurden für grosse Terrassen-<br />

hauskomplexe genutzt, was sich auf das Landschaftsbild besonders negativ auswirkt. Die Sied-<br />

lung wirkt insgesamt zufällig organisiert. Aufgr<strong>und</strong> des wachsenden Angebotes an Bauland<br />

stiegen auch die Immobilienpreise nur schwach an. Die ständige Erweiterung der Siedlung hat<br />

hingegen die öffentliche Hand zu riesigen Investitionen in Verkehrs-, Telekommunikations- <strong>und</strong><br />

Energieinfrastrukturen gezwungen, die zusammen mit den steigenden Kosten für deren Unter-<br />

halt zu einer grossen Belastung geworden sind.<br />

Die tiefe Dichte <strong>und</strong> ein zunehmend individualisierter Lebensstil haben dazu geführt, dass auch<br />

kleine Haushalte meist über zwei oder mehr Autos verfügen. Das daraus entstehende Ver-<br />

kehrsaufkommen führt insbesondere in den morgendlichen <strong>und</strong> abendlichen Spitzenst<strong>und</strong>en<br />

zu einem regelmässigen Verkehrskollaps. Die öffentliche Hand kann den Forderungen für eine<br />

zusätzliche Strasseninfrastruktur aufgr<strong>und</strong> von Geld- <strong>und</strong> Platzmangel nicht mehr nachkom-<br />

men. Da auf einen Ausbau des öffentlichen Verkehrs verzichtet wurde, stehen die veralteten<br />

Dieselgelenkbusse ebenfalls sehr oft im Stau. Verspätungen <strong>und</strong> verpasste Anschlüsse in Luzern<br />

<strong>und</strong> Rotkreuz gehören zum Alltag.<br />

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<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

Abbildung 17 Zersiedlung: Das <strong>Rontal</strong> wird zugebaut<br />

Quelle: Siegrist Comamala Architekten, Biel<br />

Die erhoffte Stärkung von wertschöpfungsintensiven Branchen im <strong>Rontal</strong> konnte nicht realisiert<br />

werden. Vielmehr haben sich zahlreiche neue Logistikunternehmen angesiedelt, die von der<br />

guten Erreichbarkeit des <strong>Rontal</strong>s profitieren. Die ständige Überlastung der Region Zürich <strong>und</strong><br />

des Autobahnkreuzes A1/A2 hat dazu einen wichtigen Beitrag geleistet. Die Firma Schindler<br />

musste nach einem langjährigen Niedergang vor einigen Jahren die Produktion <strong>und</strong> Entwick-<br />

lung komplett nach China verlegen, was zum Verlust von über 1500 Arbeitsplätzen <strong>und</strong> grossen<br />

Protesten aus der Bevölkerung führte. In Ebikon blieben nur die wichtigsten Headquarterfunk-<br />

tionen mit weniger als 300 Arbeitsplätzen erhalten. Grosse Brachen aus der ehemaligen Blüte-<br />

zeit konnten bis heute nicht nachgenutzt werden.<br />

Geradezu explodiert ist hingegen die Anzahl neuer Fachmärkte. Neben allen grossen Möbel-<br />

häusern haben sich Fachmärkte aller Branchen angesiedelt: Heim <strong>und</strong> Hobby, Garten, Babybe-<br />

darf, Sport, Unterhaltungselektronik, Erotik <strong>und</strong> weitere. Die gute Erreichbarkeit <strong>und</strong> die gros-<br />

sen Parkplatzkapazitäten werden von den K<strong>und</strong>en geschätzt. Abends sorgen drei grosse Mul-<br />

tiplexkinos sowie unzählige Sport- <strong>und</strong> Unterhaltungsmöglichkeiten für eine intensive Nutzung<br />

durch die Bevölkerung aus der Agglomeration sowie der Region Zug-Zürich, wo extensive<br />

Raumnutzungen vorausschauend eingedämmt wurden.<br />

48


<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

Die Zivilgesellschaft präsentiert sich fast vollständig zersplittert. Die Traditionsvereine (Musik,<br />

Turnen, Fussball, Handball <strong>und</strong> Tennis) wurden aufgelöst, die Menschen bevorzugen individuel-<br />

les Vergnügen zu Hause oder in dafür eingerichteten Clubs für Fitness oder Unterhaltung. Das<br />

Engagement für öffentliche Aufgaben ist fast komplett weggebrochen, was bei Gemeinderats-<br />

wahlen regelmässig zu einem Mangel an geeigneten Kandidaten <strong>und</strong> einer minimalen Wahlbe-<br />

teiligung führt. Die Menschen treffen sich vorwiegend innerhalb ihrer nach aussen abgeschot-<br />

teten Wohnsiedlungen.<br />

5.3 Polyurbanes Städtenetz: Das <strong>Rontal</strong> wird urbanisiert<br />

Die konsequente Ausrichtung der Schweizer Raumplanung auf die Entwicklung als Städtenetz<br />

hat dazu geführt, dass die Zersiedlung weitgehend eingedämmt werden konnte. Ein hervorra-<br />

gendes Netz des öffentlichen Verkehrs erschliesst die Städte untereinander <strong>und</strong> die Agglomera-<br />

tion fast flächendeckend im Viertelst<strong>und</strong>entakt. Das <strong>Rontal</strong> profitiert dank der Fertigstellung<br />

von Zimmerberg II <strong>und</strong> Tiefbahnhof Luzern von einem Viertelst<strong>und</strong>entakt auf den Fernver-<br />

kehrsverbindungen. Die ambitiösen Pläne für den Ausbau der S-Bahn mussten hingegen auf-<br />

gr<strong>und</strong> von Engpässen im Bahnhof Luzern verschoben werden – das <strong>Rontal</strong> wird deshalb wei-<br />

terhin im Halbst<strong>und</strong>entakt bedient.<br />

Aufgr<strong>und</strong> der positiven Erfahrungen im Glatttal sowie im Limmattal liessen sich Politik <strong>und</strong> Pla-<br />

nung jedoch davon überzeugen, dass sich diese Lücke mit einer Trambahn schliessen <strong>und</strong> da-<br />

mit eine städtebauliche Aufwertung besonders effektiv umsetzen lässt. Der Bau der Tramlinie<br />

<strong>Rontal</strong> gab den betreffenden Gemeinden grosse <strong>Entwicklungs</strong>impulse <strong>und</strong> eine neue Identität.<br />

Die Realisierung solch grosser Projekte im öffentlichen Verkehr wurde überhaupt erst möglich<br />

durch den Anschluss aller <strong>Rontal</strong>er Gemeinden bis <strong>und</strong> mit Gisikon an die Stadt Luzern <strong>und</strong> die<br />

vom B<strong>und</strong> dafür bereit gestellten Finanzmittel.<br />

Zusammen mit dem Tram wurde auch eine umfassende Aufwertung des öffentlichen Raumes<br />

geplant <strong>und</strong> konsequent umgesetzt. Entsprechend präsentierten sich heute insbesondere die<br />

gut frequentierten Lagen in einem erfreulichen Bild. Die komplett sanierte K17 (heute „Luzer-<br />

nerallee“) lädt dank der langen Baumalleen zum Flanieren ein. Auch das weitere Verkehrsnetz<br />

für Fussgänger <strong>und</strong> Velofahrer wurde konsequent ausgebaut, <strong>und</strong> es wird sowohl auf dem Ar-<br />

beitsweg als auch in der Freizeit rege benutzt.<br />

Dank der Stärkung des öffentlichen Verkehrs <strong>und</strong> des Langsamverkehrs beschränken sich Ver-<br />

kehrsprobleme im <strong>Rontal</strong> auf die Samstage, an denen nach wie vor in grösseren Fachmärkten<br />

mit dem Auto eingekauft wird. Der Schwerverkehr konnte nur teilweise aus dem <strong>Rontal</strong> ver-<br />

drängt werden, stellt aber aufgr<strong>und</strong> der gestiegenen Konzentration der verkehrsintensiven Ein-<br />

richtungen <strong>und</strong> des zentralen Autobahnanschlusses eine geringere Belastung dar als früher.<br />

49


<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

Die Aufwertung des Images des <strong>Rontal</strong>s hat zusammen mit einer starken Nachfrage nach Woh-<br />

nungen <strong>und</strong> attraktiven Flächen für Dienstleistungen zu einem Wachstum von Bevölkerung<br />

<strong>und</strong> Beschäftigten geführt. Um das Bevölkerungswachstum von über 20% – bei einem gleich-<br />

zeitig anhaltenden Flächenverbrauch pro Person – bewältigen zu können, wurden die zentral<br />

gelegenen Wohngebiete kontinuierlich verdichtet.<br />

Heute lebt ein Grossteil der Menschen im <strong>Rontal</strong> in sechs- bis achtstöckigen Wohngebäuden,<br />

welche dem <strong>Rontal</strong> zusammen mit dem öffentlichen Verkehr insgesamt einen sehr urbanen<br />

Charakter geben. Prägendes bauliches Element sind die neu geschaffenen Blockrandbebauun-<br />

gen, die an Paris, Barcelona oder die Luzerner Neustadt erinnern. Ältere Einfamilienhausquartie-<br />

re wurden laufend nachverdichtet, so dass sich heute im <strong>Rontal</strong> nur noch wenige freistehende<br />

Einfamilienhäuser finden.<br />

Abbildung 18 Polyurbanes Städtenetz: Das <strong>Rontal</strong> wird urbanisiert<br />

Quelle: Siegrist Comamala Architekten, Biel<br />

Die neu geschaffenen Arbeitsstellen entstanden vor allem im Dienstleistungsbereich. In der<br />

Nähe der Bahnhöfe sowie an mehreren Tramhaltestellen entstanden Dienstleistungszentren<br />

<strong>und</strong> grössere Bürogebäude, die auch grössere zusammenhängende Büroflächen bieten kön-<br />

nen. Durch die konsequente Nachnutzung von Brachen <strong>und</strong> Altbauten an zentralen Lagen<br />

musste dafür nur an wenigen Orten neues Bauland eingezont werden.<br />

50


<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

Im <strong>Rontal</strong> haben sich inzwischen Firmen aus der Pharma- <strong>und</strong> der IT-Branche sowie aus unter-<br />

nehmensorientierten Dienstleistungen niedergelassen. Daraus entstanden ist ein lebendiges<br />

<strong>und</strong> aktives Unternehmensnetzwerk, das sich einerseits aus Grossunternehmen <strong>und</strong> anderer-<br />

seits aus innovativen Kleinunternehmen <strong>und</strong> Neugründungen zusammensetzt. Dieser Unter-<br />

nehmergeist wirkt durchaus auch anziehend auf neue Firmen.<br />

5.4 Territoriale Solidarität: Das <strong>Rontal</strong> bleibt <strong>Vorstadt</strong><br />

Das Szenario „Regionen“ enthält nur wenige direkte Hinweise auf die räumliche Organisation<br />

<strong>und</strong> die bauliche Entwicklung in den Regionen der Schweiz, weshalb hier auf eine eingehende<br />

Diskussion verzichtet werden muss. Es lässt sich einzig sagen, dass beim beschriebenen Rück-<br />

zug auf die Region <strong>und</strong> stark steigenden Energiepreisen damit zu rechnen ist, dass das <strong>Rontal</strong> in<br />

seiner heutigen Ausprägung erstarrt. Das würde insbesondere bedeuten, dass sich der Lebens-<br />

raum der meisten Menschen im Alltag auf den Raum Luzern beschränken würde. Das <strong>Rontal</strong><br />

bleibt damit auf Jahrzehnte hinaus ein Vorort.<br />

Abbildung 19 Territoriale Solidarität: Das <strong>Rontal</strong> bleibt <strong>Vorstadt</strong><br />

Quelle: Siegrist Comamala Architekten, Biel<br />

51


<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

5.5 Fazit: Lernen aus den Szenarien<br />

Die Untersuchung verschiedener Szenarien für das <strong>Rontal</strong> hat vier Zukünfte gezeigt, die sehr<br />

unterschiedlich von einander sind. Es wurde festgehalten, dass das Trendszenario („Metropoli-<br />

sierung“) eine nicht nachhaltige Entwicklung mit sich bringt <strong>und</strong> deshalb keine Option für die<br />

Zukunftsgestaltung im <strong>Rontal</strong> sein kann. Das heisst also, dass auf politischer <strong>und</strong> planerischer<br />

Ebene gehandelt werden muss, wenn sich das <strong>Rontal</strong> nachhaltig entwickeln soll. Das Szenario<br />

Städtenetz kommt dieser Forderung einer nachhaltigen Entwicklung am nächsten <strong>und</strong> wird<br />

deshalb als Ausgangslage für eine räumliche <strong>Entwicklungs</strong>strategie genommen.<br />

In der Schweiz finden sich zahlreiche Analogien zur Raumentwicklung im <strong>Rontal</strong>, so z.B. der<br />

Westen von Lausanne (Ouest lausannois), das Glatttal <strong>und</strong> das Limmattal. Hier sind Aufwertun-<br />

gen bereits gelungen oder in Planung. Diesen drei <strong>und</strong> weiteren Beispielen ist gemeinsam, dass<br />

die Aufwertung des öffentlichen Verkehrs <strong>und</strong> des öffentlichen Raumes eine zentrale Rolle<br />

spielten. Im anschliessenden Kapitel wird nun eine städtebauliche Strategie für das <strong>Rontal</strong> skiz-<br />

ziert. Dabei wird auf fünf Teilstrategien zurück gegriffen, die von Lampugnani et al. vorgeschla-<br />

gen wurden (cf. Kapitel 2.3).<br />

52


<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

6 Eine räumliche <strong>Entwicklungs</strong>strategie für das <strong>Rontal</strong><br />

Die Ausgangslage für eine räumliche <strong>Entwicklungs</strong>strategie für das <strong>Rontal</strong> lässt sich aus der<br />

städtebaulichen <strong>Analyse</strong> <strong>und</strong> der Szenarioanalyse ableiten. Im <strong>Rontal</strong> bestehen bereits heute<br />

bedeutende städtebauliche Defizite. Ohne aktives Eingreifen von Seiten der Behörden wird sich<br />

die Raumentwicklung ausserdem in eine nicht nachhaltige Richtung bewegen. Um das <strong>Rontal</strong><br />

tiefgreifend <strong>und</strong> langfristig aufzuwerten, braucht es deshalb einen beherzten Einsatz der rele-<br />

vanten Akteure bei Kanton <strong>und</strong> den betroffenen Gemeinden. Die <strong>Entwicklungs</strong>strategie für die<br />

Raumentwicklung im <strong>Rontal</strong> setzt dabei auf die in Kapitel 2.3 vorgestellten fünf Teilstrategien,<br />

nämlich die…<br />

− Stärkung des öffentlichen Raums<br />

− Schaffung von Kohärenz<br />

− Vernetzung<br />

− Verdeutlichung von Grenzen <strong>und</strong><br />

− Schaffung von Identifikationsorten<br />

6.1 Stärkung des öffentlichen Raums<br />

Als dringendste Massnahme zur Aufwertung des öffentlichen Raums ist die komplette Neuges-<br />

taltung der K17 einzustufen. Die bestehenden Lichtsignalanlagen sind durch Kreisverkehre zu<br />

ersetzen, die bestehende Breite inklusive Zufahrten zu redimensionieren <strong>und</strong> die Begehungs-<br />

<strong>und</strong> Kreuzungsmöglichkeiten zu verbessern. Entsprechende Gestaltungsstudien bestehen be-<br />

reits. Die Geschwindigkeit ist innerorts auf 50, in den Dorfzentren auf 30 km/h zu begrenzen.<br />

Erste Priorität erhält dabei das Gebiet im Dorfkern von Ebikon; dies entspricht dem Abschnitt<br />

von der Abzweigung Richtung Löchli bis zur Abzweigung nach Buchrain. Hier wird die Ge-<br />

schwindigkeit auf 30 km/h herabgesetzt <strong>und</strong> die Strassenbreite auf zwei Spuren reduziert. Brei-<br />

te Trottoirs <strong>und</strong> eine Baumallee machen das Flanieren attraktiv. Die grosse Strassenkreuzung<br />

(inklusive Parkplatz) vor dem Restaurant Sonne wird in einen Dorfplatz umgewandelt; die Bra-<br />

che vor dem Gemeindehaus in einen urbanen Park mit Cafés <strong>und</strong> Läden.<br />

Dieser heute brach liegende Platz erhält ein komplett neues Gesicht. Hier treffen sich jung <strong>und</strong><br />

alt, um im Park zu spielen, den Tag zu geniessen, oder um zusammen zur Arbeit zu fahren. Die-<br />

ser hat aufgr<strong>und</strong> seiner zentralen Lage <strong>und</strong> in Hommage an das nie realisierte Einkaufszentrum<br />

den Namen „Ebisquare“ erhalten. Die Dorfzentren werden regelmässig für den motorisierten<br />

Verkehr gesperrt, um öffentliche Anlässe durchzuführen.<br />

53


<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

Der Bahnhofplatz wird zum attraktiven Treffpunkt, auf dem direkte Anschlüsse zwischen Bus<br />

<strong>und</strong> Bahn angeboten werden. Das gesamte Gebiet zwischen Bahntrassee, Sonne <strong>und</strong> Hofmatt<br />

soll in einer Gesamtbetrachtung geplant werden. Ein durchgängiger Bodenbelag <strong>und</strong> eine ein-<br />

heitliche Möblierung <strong>und</strong> neue Gebäude, die den Platz einfühlsam begrenzen, tragen zur Schaf-<br />

fung eines neuen Dorfzentrums bei.<br />

In zweiter Priorität sind schliesslich auch die Dorfdurchfahrten von Buchrain, Dierikon <strong>und</strong> Root<br />

in ähnlicher Vorgehensweise aufzuwerten – auch hier besteht beträchtliches Potential.<br />

6.2 Schaffung von Kohärenz<br />

Die Schaffung von Kohärenz stellt im <strong>Rontal</strong> eine besondere Herausforderung dar, da sich auf<br />

engem Raum Gebäude unterschiedlichster Funktion, Bauzeit <strong>und</strong> -qualität finden (cf. Anhang I).<br />

Dennoch ist Kohärenz für die Entwicklung in Richtung eines urbaneren <strong>Rontal</strong>s eine zentrale<br />

Teilstrategie, denn sie kann die heute bestehenden Brüche in der räumlichen Struktur überwin-<br />

den helfen. Als prägendes städtebauliches Element wird an zentralen Lagen eine Blockrandbe-<br />

bauung vorgeschlagen, die sich an den europäischen Stadterweiterungen des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

orientiert. Die Nutzung wird stark durchmischt gestaltet, wobei Wohnen <strong>und</strong> Dienstleistungen<br />

dominieren. Die Erdgeschosse der Neubauten sind für öffentlich zugängliche Nutzungen wie<br />

Läden oder Gastronomie reserviert. Dadurch entsteht in den verdichteten Gebieten ein urbanes<br />

Flair. Cafés <strong>und</strong> Restaurants nutzen die grosszügigen neuen Trottoirs zur Bewirtung der Gäste<br />

an der frischen Luft.<br />

6.3 Vernetzung<br />

Der Ausbau <strong>und</strong> die Priorisierung des öffentlichen Verkehrs bilden das eigentliche Rückgrat ei-<br />

ner qualitativen Raumentwicklung im <strong>Rontal</strong>. Beispiele aus dem Inland (Zürich-Glatttal, Genf-<br />

Annemasse, Basel-Weil am Rhein, Bern West) <strong>und</strong> Ausland (Bordeaux, Valencia, Budapest) zei-<br />

gen insbesondere für suburbane Räume auf, dass dabei eine Tram- oder Stadtbahn die ent-<br />

scheidende Rolle übernehmen kann.<br />

Im <strong>Rontal</strong> wird diese Funktion von der neu zu erstellenden <strong>Rontal</strong>bahn übernommen. Diese<br />

Stadtbahn wird im <strong>Rontal</strong> den bestehenden 30‘-Takt auf der S-Bahn ergänzen. Die <strong>Rontal</strong>bahn<br />

führt vom Bahnhof Luzern bis zum Verkehrsknoten Rotkreuz. Innerhalb des <strong>Rontal</strong>s verläuft das<br />

Trassee auf der bestehenden K17, auf den heute vierspurigen Abschnitten als Eigentrassee.<br />

Vom Bahnhof Ebikon-<strong>Rontal</strong> führen Busverbindungen nach Perlen, Buchrain <strong>und</strong> Inwil. Diese<br />

drei Dörfer profitieren ausserdem von neuen Buslinien, die als Eilkurse via Autobahn direkt nach<br />

Luzern geführt werden. Der neue Schnellzughalt Ebikon-<strong>Rontal</strong> stellt halbstündlich direkte Ver-<br />

bindungen nach Zug <strong>und</strong> Zürich sicher.<br />

54


<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

Einen neuen Stellenwert erhält auch das Netz für den Langsamverkehr. Es wird entlang der re-<br />

naturierten Ron bis Perlen <strong>und</strong> von dort durchgehend bis Rotkreuz ausgebaut. Damit werden<br />

auch alle Bahnhöfe bzw. Stationen des <strong>Rontal</strong>s mit einander verb<strong>und</strong>en. Die Lücke im Netz nach<br />

Luzern wird behoben. Neben Velofahrern treffen sich darauf auch Spaziergänger <strong>und</strong> Inline<br />

Skater. Das Langsamverkehrsnetz im <strong>Rontal</strong> wird mit diesen Massnahmen so attraktiv, dass es<br />

auch regelmässig von Personen aus dem Kanton Zug genutzt wird. Ein öffentliches Verleihsys-<br />

tem mit Velos <strong>und</strong> E-Bikes steht an Bahnhöfen, bei Unternehmen <strong>und</strong> in Wohnquartieren zur<br />

Verfügung <strong>und</strong> hat das <strong>Rontal</strong> zu einem Mekka für Zweiradmobilität gemacht.<br />

6.4 Verdeutlichung von Grenzen<br />

Im <strong>Rontal</strong> existieren mit der Bahn- <strong>und</strong> Strasseninfrastruktur bereits heute starke Grenzen, die<br />

das Wohngebiet vom Industrie- <strong>und</strong> Gewerbegebiet räumlich trennt. Diese Grenze kann <strong>und</strong><br />

soll weiter gestärkt werden. Das unten porträtierte Schindler-Hochhaus kann als punktuelle<br />

Verstärkung der Grenze funktionieren – allerdings nur für Automobilisten, die vom Autobahn-<br />

zubringer her das <strong>Rontal</strong> erreichen. Eine bauliche Markierung des Ortsrandes von Dierikon bzw.<br />

Längenbold soll die Freihaltung eines letzen durchgehenden Grüngürtel sicher stellen <strong>und</strong> das<br />

bebaute Gebiet markant vom Nichtbaugebiet trennen.<br />

6.5 Schaffung von Identifikationsorten<br />

Die hohe Notwendigkeit von identitätsstiftenden Elementen wurde im <strong>Rontal</strong> bereits erkannt,<br />

denn das Kunstwerk Tension-Energy beim Business Center D4 wurde gemäss Initianten mit die-<br />

ser Absicht erstellt. Öffentliche Kunstwerke können im gesamten <strong>Rontal</strong> eine identitätsstiftende<br />

Funktion erfüllen. Alte Bauwerke, insbesondere ungenutzte Scheunen <strong>und</strong> leer stehende Ge-<br />

werbe- <strong>und</strong> Industriebauten, können für Kunstgalerien, als Veranstaltungszentrum oder für an-<br />

dere öffentlich zugängliche Zwecke umgenutzt werden.<br />

Ein grosses Potential als Identifikationsort haben in Ebikon die Dorfkirche <strong>und</strong> der Bahnhof. Die<br />

auf einem Hügel gelegene Kirche muss baulich freigehalten <strong>und</strong> von der umgebenden dichten<br />

Vegetation befreit werden. Beim Bahnhof stehen die Gestaltung eines eigentlichen Bahnhof-<br />

platzes sowie die Realisierung von kommerziellen Nutzungen im Vordergr<strong>und</strong>. Auch an weite-<br />

ren S-Bahnhaltestellen ist mit zunehmender Bebauung an eine Aufwertung zu denken.<br />

Einen weiteren Identifikationsort könnte der Schindler-Konzern realisieren. Seine zentrale öko-<br />

nomische Bedeutung dürfte Schindler mit einem mutigen Hochhaus zeigen <strong>und</strong> damit einen<br />

zentralen Landmark (cf. Lynch) ins <strong>Rontal</strong> setzen. In einem prominent gestalteten Turm – ange-<br />

lehnt an den bestehenden Turm für Experimente – könnte hier das Unternehmen eigene Ar-<br />

beitsplätze, ein Penthouse-Restaurant sowie weitere interessierte Mieter unterbringen.<br />

55


<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

6.6 Umstrukturierung der Regionalwirtschaft<br />

Ein weiteres wesentliches Element der neuen urbanen Qualitäten im <strong>Rontal</strong> ist nicht baulicher,<br />

sondern ökonomischer Natur. Als Ersatz für flächenintensive Nutzungen wie Fachmärkte oder<br />

Logistikzentren sind im <strong>Rontal</strong> sind in Zukunft vermehrt wertschöpfungsintensive Branchen zu<br />

fördern, insbesondere Dienstleistungen für Unternehmen (z.B. Informatik oder Beratung) oder<br />

Unternehmen aus der Ges<strong>und</strong>heitsbranche. Eine zentrale Rolle in der Neugestaltung der Wirt-<br />

schaft kann Cleantech spielen, also Unternehmen, die einen Beitrag zu einer nachhaltigen Aus-<br />

richtung der Wirtschaft leisten.<br />

Zentrales Element dieser Entwicklung kann ein regionales Wirtschaftszentrum für Cleantech<br />

werden. Realisieren lässt sich dies durch den Schindler-Konzern auf dem ursprünglich für Ebis-<br />

quare reservierten Gelände. Hier können von Start-Ups bis zu internationalen Konzernen meh-<br />

rere duzend Unternehmen ihre Forschung <strong>und</strong> die Headquarterfunktionen im Bereich Clean-<br />

tech ansiedeln. Ein solches Cleantech-Zentrum muss auf die Zusammenarbeit mit führenden<br />

Hochschulen <strong>und</strong> Investitionen führender Technologiekonzerne setzen.<br />

Die unten stehende Visualisierung zeigt eine städtebauliche Vision für das <strong>Rontal</strong>, die auf den<br />

oben diskutierten Teilstrategien aufbaut. Der Ausschnitt zeigt das neu gestaltete Dorfzentrum<br />

von Ebikon sowie einen Abschnitt der „Luzernerallee“, der neu gestalteten Hauptstrasse K17. Im<br />

Anhang dieser Arbeit findet sich eine Gegenüberstellung mit dem Platz im heutigen Zustand.<br />

Abbildung 20 Vision für ein neues Dorfzentrum in Ebikon<br />

Quelle: Siegrist Comamala Architekten<br />

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<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

7 Fazit für die Raumentwicklung Schweiz<br />

Die <strong>Vorstadt</strong> hat in der Schweiz eine grosse Bedeutung als Lebensraum; fast 50% der gesamten<br />

Bevölkerung wohnen in Agglomerationen ausserhalb der Kernstädte. Insofern ist es bemer-<br />

kenswert, dass die Vorstädte trotz ihrer grossen Bedeutung <strong>und</strong> ihres grossen <strong>Entwicklungs</strong>po-<br />

tentials unter Raum- <strong>und</strong> Stadtplanern bisher eher wenig Beachtung fanden. Tom Sieverts (sei-<br />

ne Arbeiten beziehen sich jedoch eher auf Deutschland) <strong>und</strong> eine jüngere Publikation von Prof.<br />

Vittorio Lampugnani et al. an der ETH Zürich bilden hierzu die Ausnahmen.<br />

Die <strong>Analyse</strong> des <strong>Rontal</strong>s hat exemplarisch aufgezeigt, dass in den Schweizer Vorstädten bedeu-<br />

tende städtebauliche Defizite bestehen, <strong>und</strong> zwar insbesondere beim öffentlichen Verkehr, in<br />

der Entwicklung nach innen <strong>und</strong> bei der Qualität des öffentlichen Raumes. In leicht abgeänder-<br />

ter Form lassen sich diese Defizite heute auch in den meisten anderen Vorstädten beobachten.<br />

Vielerorts sind in den vergangenen 50 Jahren Qualität <strong>und</strong> Identität verloren gegangen. Nach<br />

einem rasanten Wachstum in den 1960er- <strong>und</strong> 1970er-Jahren ist das Wachstum meist abge-<br />

flacht. Bei einem grossen Anteil des heutigen Immobilienbestandes stehen entsprechend in<br />

den kommenden 15 Jahren bedeutende Investitionen an.<br />

Diese speziellen Herausforderungen in den Agglomerationsgemeinden fallen zusammen mit<br />

zwei allgemeinen Herausforderungen der Schweizer Raumplanung. Einerseits zeigt sich, dass<br />

die Zersiedlung in der Schweiz in den vergangenen Jahrzehnten trotz der gesetzlichen Gr<strong>und</strong>-<br />

lagen kaum gebremst werden konnte. Die meisten Experten sind sich einig, dass die Lebens-<br />

qualität in der Schweiz nur aufrechterhalten werden kann, wenn die Zersiedlung wirksam ge-<br />

stoppt wird.<br />

Andererseits wird für die kommenden Jahre ein weiteres starkes Bevölkerungswachstum vor-<br />

ausgesagt, insbesondere aufgr<strong>und</strong> der Immigration gut gebildeter Arbeitskräfte. Gleichzeitig<br />

zum Bevölkerungswachstum geht der Flächenverbrauch pro Person weiter. Es ist also mittelfris-<br />

tig mit einem grossen Wachstum der Wohnflächen in der Schweiz zu rechnen. Bereits heute<br />

machen sich auf dem Wohnungsmarkt – weit über die Agglomeration Zürich hinaus – Zeichen<br />

einer Wohnungsknappheit bemerkbar. Experten (cf. Tagesanzeiger 2011) gehen von bis zu<br />

100‘000 Wohnungen aus, die in der Schweiz jährlich fehlen.<br />

Wie lassen sich nun die besonderen Herausforderungen der <strong>Vorstadt</strong> (Verkehr, öffentlicher<br />

Raum, Dichte) <strong>und</strong> die allgemeinen Herausforderungen der Schweizer Raumplanung (Zersied-<br />

lung, Wohnungsknappheit) so kombinieren, dass daraus ein Beitrag zur nachhaltigen Raum-<br />

entwicklung entsteht?<br />

57


<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

In der <strong>Vorstadt</strong> besteht aufgr<strong>und</strong> der meist geringen Dichte das Potential für Wachstum nach<br />

innen bzw. für höhere Ausnützung der bestehenden Bauflächen. Immobilien von tiefer Bauqua-<br />

lität (beispielsweise aus der Hochkonjunktur) bieten beim Ablauf ihrer Lebenszeit die Chance<br />

für gelungene Ersatzneubauten. Eine urbanere Bauweise <strong>und</strong> eine höhere bauliche Dichte an<br />

zentralen Lagen sind also möglich. Sie passen ausserdem bestens zur Aufwertung des öffentli-<br />

chen Raumes <strong>und</strong> zur Stärkung des öffentlichen Verkehrs. Dies wurde in der vorliegenden Ar-<br />

beit exemplarisch für das <strong>Rontal</strong> aufgezeigt.<br />

Allerdings stehen einer solchen Entwicklung bedeutende institutionelle <strong>und</strong> kulturelle Hinder-<br />

nisse im Wege. Erstens besteht zwischen Agglomerationsgemeinden <strong>und</strong> Kernstadt eine Ge-<br />

meindegrenze, die für eine gemeinsame Planung (Verkehr, Städtebau) ein relevantes Hindernis<br />

darstellt. Zweitens sind die meisten Schweizer Vorstädte geprägt von einer bürgerlich-<br />

konservativen Bevölkerung, die Neuerungen gegenüber wenig aufgeschlossen reagiert. Ent-<br />

sprechend plant jede Gemeinde vorwiegend in ihrem eigenen Interesse. Drittens besteht in der<br />

Schweiz gegenüber einer hohen Dichte generell eine Zurückhaltung; die Rückkehr des Hoch-<br />

hauses in der Stadt könnte hier allenfalls ein Vorbote für eine Entwicklung sein, die in näherer<br />

Zukunft auch in den Vorstädten (wieder) salonfähig wird.<br />

Für eine Aufwertung <strong>und</strong> Stärkung der Schweizer Vorstädte liegt die Hauptverantwortung bei<br />

der öffentlichen Hand. Eine erfolgreiche Entwicklung kann nur von Gemeinden, Kanton <strong>und</strong><br />

B<strong>und</strong> gemeinsam initiiert <strong>und</strong> umgesetzt werden. Private Initiativen können nur unterstützend<br />

wirken. Besonders vielversprechend ist in diesem Zusammenhang die Agglomerationspolitik<br />

des B<strong>und</strong>es. Sie setzt den Fokus auf eine gemeindeübergreifende Zusammenarbeit innerhalb<br />

der Agglomeration <strong>und</strong> adressiert damit viele der in dieser Arbeit diskutierten Probleme auf<br />

adäquate Weise.<br />

Noch einen Schritt weiter geht eine Fusion der Agglomerationsgemeinden <strong>und</strong> der Kernstadt.<br />

Nur sie erlaubt ein konsequentes Denken in grösseren (funktionellen) Räumen <strong>und</strong> ergänzt ein<br />

Agglomerationsprogramm ideal. Lugano <strong>und</strong> Luzern sind diesen Weg in den vergangenen Jah-<br />

ren bereits erfolgreich gegangen, <strong>und</strong> in der Agglomeration Luzern laufen aktuell Gespräche<br />

für weitere Gemeindefusionen.<br />

Auch die Gründung <strong>und</strong> die Arbeit des Gemeindeverbandes Luzern plus ist positiv zu beurtei-<br />

len, da Luzern plus eine gemeindeübergreifende Planung anstrebt <strong>und</strong> gezielt in problemati-<br />

schen Räumen interveniert. Auf nationaler Ebene braucht es ausserdem eine Anpassung beim<br />

Fokus der Infrastrukturpolitik vom Fernverkehr auf den Agglomerationsverkehr, wenn die rele-<br />

vanten Probleme im öffentlichen Verkehr gelöst werden sollen. Für die Agglomeration Luzern<br />

sind in diesem Zusammenhang der Zimmerberg II <strong>und</strong> der Tiefbahnhof Luzern von entschei-<br />

dender Bedeutung.<br />

58


<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

In den Schweizer Vorstädten besteht also ein beträchtliches Potential für die Lösung der drin-<br />

genden Probleme der Schweizer Raumentwicklung. Dafür braucht es einerseits den Mut, eine<br />

Urbanisierung der <strong>Vorstadt</strong> zu fordern <strong>und</strong> zu realisieren. Andererseits lässt sich eine Vision nur<br />

dann umsetzen, wenn eine gemeindeübergreifende Zusammenarbeit stattfindet <strong>und</strong> der B<strong>und</strong><br />

grössere Infrastrukturprojekte unterstützt. Die Agglomerationspolitik des B<strong>und</strong>es könnte in Zu-<br />

kunft auch für Luzern <strong>und</strong> damit für das <strong>Rontal</strong> relevante Verbesserungen bringen – allerdings<br />

nur unter der Bedingung dass das Luzerner Agglomerationsprogramm noch deutlich an Quali-<br />

tät gewinnt.<br />

59


<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

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Sieverts, Thomas (2005): Zwischenstadt: zwischen Ort <strong>und</strong> Welt, Raum <strong>und</strong> Zeit, Stadt <strong>und</strong> Land.<br />

Basel, Berlin, Boston: Birkhäuser <strong>und</strong> Gütersloh, Berlin: Bauverlag BV. Erstausgabe: 1997.<br />

Soja, Edward J. (2000): Postmetropolis: Critical Studies of Cities and Regions. London: Blackwell.<br />

Sonderegger, Roger (2010): Das <strong>Rontal</strong>. Luzerner <strong>Vorstadt</strong> im städtebaulichen Fokus.<br />

Unveröffentlichtes Exposé am MAS-Programm in Raumplanung 2009/2011. Zürich: ETH.<br />

Venturi, Robert, Denise Scott Brown <strong>und</strong> Steven Izenour (1972): Learning from Las Vegas.<br />

Cambridge, Massachusetts.<br />

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Anhänge<br />

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A 1 Dorfzentrum Ebikon heute <strong>und</strong> Vision für ein neues Dorfzentrum<br />

Quelle: Eigene Aufnahme<br />

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Quelle: Siegrist Comamala Architekten, Biel<br />

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A 2 Morphologische Detailanalyse<br />

Im Exposé zur vorliegenden Masterarbeit wurde eine morphologische Detailanalyse durchge-<br />

führt. Diese suchte nach Formen von Urbanität, die den vorstädtischen Lebensraum prägen.<br />

Dazu wurden entlang der Arbeiten von Lampugnani et al. (2007) vorgegangen, das sich diese<br />

insbesondere auf die <strong>Vorstadt</strong> beziehen <strong>und</strong> sich damit hervorragend für die empirischen Ana-<br />

lysen eigneten. Lampugnani et al. unterscheiden folgende morphologischen Kategorien.<br />

- Knoten: Als Knoten werden strategische Punkte im Stadtgefüge bezeichnet. Es handelt sich<br />

dabei um Orte räumlicher Konzentration von Funktionen, Gütern <strong>und</strong> Aktivitäten, die durch<br />

die Überlagerung <strong>und</strong> Bündelung verschiedener städtischer Strukturen entsteht. Knoten<br />

liegen historisch oftmals im Zentrum, in den letzten Jahrzehnten jedoch zunehmend an<br />

Strassenkreuzungen.<br />

- Relikte: Unverwechselbare Orte, die jedoch an Bedeutung verloren haben. In ihnen sind<br />

Spuren vergangener Stadtentwicklungsphasen erkennbar. Bei Relikten handelt es sich oft-<br />

mals um Dorfkerne oder Bauten mit Symbolkraft wie beispielsweise Hallen <strong>und</strong> Kamine der<br />

Schwerindustrie. Relikte liegen oft an alten Verkehrswegen <strong>und</strong> sind heute schlecht er-<br />

schlossen, tragen aber entscheidend zu Orientierung <strong>und</strong> Identifikation in der <strong>Vorstadt</strong> bei.<br />

- Siedlungsinseln: Mit Siedlungsinseln sind Wohnanlagen gemeint, die in sich geschlossen<br />

<strong>und</strong> durch kompaktes <strong>und</strong> homogenes Bauen nach aussen isoliert funktionieren. Siedlungs-<br />

inseln bergen die Gefahr von sozial exklusiven Räumen in sich. Noch treffender wäre für<br />

diese Kategorie der Begriff Wohninseln.<br />

- Restflächen: Ungenutzte <strong>und</strong> unbebaute Bereiche innerhalb des bebauten Bereiches, von<br />

bebauten Gr<strong>und</strong>stücken umgeben. Sie gehören sowohl zum Naturraum als auch zum<br />

Stadtraum <strong>und</strong> geben Auskunft darüber, wie hoch der Nutzungsdruck an einem Ort ist.<br />

- Zerhäuselung: Die Zerhäuselung beschreibt den Prozess der Zersiedlung, der meist an der<br />

Peripherie <strong>und</strong> in Form von freistehenden Einfamilienhäusern stattfindet. Die zentralen<br />

Triebkräfte der Zerhäuselung sind die Massenmotorisierung einerseits <strong>und</strong> die individuelle<br />

Bebauung andererseits. Die Zerhäuselung ist damit das Resultat einer Vielzahl von Einzel-<br />

entscheidungen ohne städtebauliches Gesamtkonzept.<br />

- Transiträume: Dies sind grosse Verkehrsräume, die stark linear <strong>und</strong> monofunktional für den<br />

Verkehr organisiert sind. Transiträume bieten Orientierung in der <strong>Vorstadt</strong>struktur, zer-<br />

schneiden diese jedoch gleichzeitig. Kleinräumig haben Transiträume stark trennenden<br />

Charakter; grossräumig betrachtet stellen sie jedoch Vernetzung her.<br />

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Superkomplexe: Damit sind Ansammlungen An<br />

grosser Gebäude für Konsum, , Freizeit F <strong>und</strong> Dienst-<br />

leistungen gemeint, die oft an Transiträumen gelegen sind. Sie missachte hten den räumlichen<br />

Kontext <strong>und</strong> stellen damit auto tonome <strong>und</strong> isolierte Komplexe dar.<br />

Abbildung 21 Übersichtska karte morphologische Detailanalyse<br />

A-2


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8.1.1 Knoten<br />

Knoten sind strategische Punkte im Stadtgefüge, an denen sich mehrere Funktionen konzent-<br />

rieren <strong>und</strong> überlagern. Im <strong>Rontal</strong> sind Knoten überraschenderweise eher selten. Die Verkehrs-<br />

kreuzungen werden nur selten von anderen Nutzungen überlagert.<br />

Abbildung 22 Knoten<br />

An diesem Knoten an der K17 überlagern sich die Funktionen Verkehr, Einkauf <strong>und</strong> Freizeit<br />

8.1.2 Relikte<br />

Relikte sind sichtbare Zeugen von früher, die im Lauf der Zeit an Bedeutung verloren haben. Sie<br />

sind im <strong>Rontal</strong> gut sichtbar <strong>und</strong> besonders auffällig. Gr<strong>und</strong>sätzlich lassen sich vier Typen von<br />

Relikten beobachten:<br />

• Landwirtschaftsgebäude (Scheunen <strong>und</strong> Speicher)<br />

• Geistliche Gebäude (Kirchen <strong>und</strong> Kapellen)<br />

• Wohngebäude (Bauernhäuser <strong>und</strong> Weiler, die heute zu reinen Wohnzwecken dienen)<br />

• Traditionelle Gasthöfe (insbesondere Hotel Löwen)<br />

A-3


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Abbildung 23 Relikte<br />

Oben links: Nicht genutzte Scheune. zu Abstellzwecken genutzt.<br />

Oben rechts: Schlechte Architektur nimmt keine Rücksicht auf die Qualitäten des Bestandes.<br />

Mitte links: Dorfkirche (eingerüstet); ein an die K17 versetzter Speicher <strong>und</strong> ein Wohnhaus.<br />

Mitte rechts: Kapelle an einer Wohnstrasse ohne jeglichen Bezug zur Umgebung.<br />

Unten links: Relikt <strong>und</strong> Weltwirtschaft: Bauernhaus <strong>und</strong> DHL bei Dierikon.<br />

Unten rechts: Der traditionelle Weiler „Halte“ ist erhalten geblieben<br />

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8.1.3 Siedlungsinseln<br />

Unter Siedlungsinseln (Wohninseln; W) werden Anlagen verstanden, die sich bewusst nach aus-<br />

sen abgrenzen. Architektonisch manifestiert sich dies nicht in einem grösseren Abstand zu<br />

Nachbargebäuden, sondern vielmehr in ihrer homogenen inneren Struktur <strong>und</strong> in baulichen<br />

Grenzen zum direkten Umfeld.<br />

Abbildung 24 Siedlungsinseln<br />

Oben links: Wohnpark Feldmatt: nach innen gewandte Architektur; die Einfahrt erfolgt aus dem<br />

Kreisverkehr durch das Gebäude hindurch<br />

Oben rechts: Homogene Wohnüberbauung in Buchrain aus den 1970er-Jahren. Typisches Ele-<br />

ment der Isolation ist die Böschung zur Strasse hin.<br />

Unten links: Terrassenhäuser schliessen sich baulich immer nach aussen hin ab. Dies passt zum<br />

exklusiven (=ausschliessenden!) Charakter der Bebauung.<br />

Unten rechts: Dieser Wohnpark grenzt sich durch die Architektur sowie das Gelände ab. Vor der<br />

Überbauung fliesst die Ron, dahinter liegt ein Hügelzug.<br />

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8.1.4 Restflächen<br />

Als Restflächen werden noch unbebaute Flächen innerhalb des bebauten Bereiches bezeich-<br />

net; ihre Zukunft ist noch unklar. Sie entwickeln in der Regel keine Qualitäten als Grünflächen,<br />

sondern weisen eher den Charakter einer Brache auf. Im <strong>Rontal</strong> bestehen grössere Restflächen<br />

zwischen der Kantonsstrasse K17 <strong>und</strong> der Bahntrassee. Die prominenteste Fläche ist wohl der<br />

Bauplatz des Ebisquare, eines Einkauf- <strong>und</strong> Freizeitparks mit ungewissen Realisierungschancen.<br />

Abbildung 25 Restflächen<br />

Oben links: Auf dieser Restfläche zwischen Bahn <strong>und</strong> K17 plant der Schindler-Konzern die Reali-<br />

sierung eines riesigen Einkaufs- <strong>und</strong> Freizeitcenters.<br />

Oben rechts: Restfläche mit ungewisser Zukunft in Längenbold. Im Hintergr<strong>und</strong> wiederum<br />

sichtbar: Zerhäuselung an den Hügelzügen.<br />

Unten: Diese Restfläche ist noch mit alten Birnbäumen bestückt, der <strong>Entwicklungs</strong>druck wird<br />

mit der Eröffnung des Zubringers <strong>Rontal</strong> jedoch steigen.<br />

A-6<br />

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8.1.5 Zerhäuselung<br />

Die oft diskutierte Zersiedlung wird bei Lampugnani et al. als Zerhäuselung bezeichnet. Ge-<br />

meint sind hier ausschliesslich freistehende Einfamilienhäuser ohne Bebauungskonzept. Im<br />

<strong>Rontal</strong> liegen die entsprechenden Baugebiete ohne Ausnahme in Hanglage. Die unten stehen-<br />

den Bilder verdeutlichen, wie wenig hier eine Koordination gelungen ist. Baustile, Materialien<br />

<strong>und</strong> Kubaturen mischen sich hier zu einem bunten Durcheinander <strong>und</strong> stehen quasi stellvertre-<br />

tend für die städtebauliche Gesamtsituation im <strong>Rontal</strong>.<br />

Abbildung 26 Zerhäuselung<br />

Oben links: Diese Art der Bebauung hatte wohl keine gravierenden Einschränkungen der<br />

Raumplanung zu berücksichtigen.<br />

Oben rechts: Nur an sehr wenigen Stellen existiert auch im flachen Gebiet eine tiefe Geschos-<br />

sigkeit. „Unten“ dominieren ansonsten mehrstöckige Bauten.<br />

Unten links: Die Dimension der geplanten Überbauung im Vordergr<strong>und</strong> lässt auf eher auf eine<br />

neue Siedlungsinsel schliessen als auf Zerhäuselung<br />

Unten rechts: Links im Bild sichtbar: einige Bauten mit gleichem Charakter, was das Land-<br />

schaftsbild verändert.<br />

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<strong>Vorstadt</strong> <strong>Rontal</strong> ____________________________________________________________________________________ Juli 2011<br />

8.1.6 Transiträume<br />

Mit Transiträumen sind Verkehrsräume gemeint, die linear gestaltet sind <strong>und</strong> monofunktional<br />

dem Verkehr dienen. Sie bieten einerseits Orientierung, andererseits zerschneiden sie aber<br />

auch den Lebensraum. Die bereits mehrfach erwähnte K17 <strong>und</strong> die Bahntrasse spielen dabei<br />

die Hauptrollen. Die Kantonsstrasse, die von Ebikon durch Buchrain <strong>und</strong> weiter nach Norden<br />

führt, wird einen grossen Teil ihrer heutigen Belastung an den neuen Zubringer von der A4 ins<br />

<strong>Rontal</strong> abgeben können. Dieser wiederum stellt einen städtebaulichen Sonderfall dar: er wird<br />

als vollständig gedeckte Brücke geführt (s. Bild Transitraum 2).<br />

Abbildung 27 Transiträume<br />

links: Die Kantonsstrasse K17 stammt aus der Zeit vor der Nationalstrassenplanung. Bis heute<br />

wird diese Hauptachse nach Zürich mit 60km/h befahren.<br />

rechts: Blick von der Haltestelle Buchrain Richtung Zug. Ein Bahntrassee zerschneidet durch sei-<br />

ne Höhe einen Lebensraum auf gravierende Weise.<br />

8.1.7 Superkomplexe<br />

Superkomplexe bezeichnen Gruppen von grossen Gebäuden, die ihm Dienst von Konsum,<br />

Freizeit <strong>und</strong> Dienstleistungen stehen. Sie liegen oftmals an Transitachsen. Im <strong>Rontal</strong> existieren<br />

Superkomplexe zu mehreren Themen; besonders auffällig ist die Ansammlung einer grossen<br />

Anzahl Garagen beim Eingang zum <strong>Rontal</strong> in Ebikon. Alle Superkomplexe im <strong>Rontal</strong> liegen ent-<br />

lang der Transitachse K17.<br />

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Abbildung 28 Superkomplexe<br />

Oben links: Vor 10 Jahren noch fast unbebaut, durch den Technopark gestärkt: Längenbold.<br />

Neben McDonalds gibt es hier Toys’r’us, einen Erotikmarkt <strong>und</strong> weitere Geschäfte.<br />

Oben rechts: Der M-Park ist ein Heim- <strong>und</strong> Hobbymarkt grosser Skala; daneben verfügt die<br />

Migros im <strong>Rontal</strong> auch noch über ein Sport- <strong>und</strong> Freizeitcenter.<br />

Unten links: Eine seltsame Ansammlung von Garagen <strong>und</strong> Tankstellen empfängt die Besucher<br />

des <strong>Rontal</strong>s bei der Einfahrt nach Ebikon – Teil 1.<br />

Unten rechts: Eine seltsame Ansammlung von Garagen <strong>und</strong> Tankstellen empfängt die Besucher<br />

des <strong>Rontal</strong>s bei der Einfahrt nach Ebikon – Teil 2.<br />

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass alle sieben <strong>Analyse</strong>kategorien im <strong>Rontal</strong> vorhanden<br />

sind. Einzig die Kategorie der Knoten ist schwach vertreten, was auf eine besonders kleine Dich-<br />

te an funktionellen Überlagerungen im <strong>Rontal</strong> hinweist. Die <strong>Analyse</strong>kategorien haben sich da-<br />

mit für eine deskriptive <strong>Analyse</strong> als geeignet erwiesen.<br />

A-9

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