Der kleine Walk
Ein Kinderbuch über die Suche nach dem Glück, Freundschaft und Abenteuer. Altersempfehlung: 2 – 5 Jahre Hoch oben auf einem sonnigen Berg lebt der kleine Walk. Er liebt die Sonne und den frischen Wind um seine Nase. Aber immer nur tagein, tagaus dasselbe erleben? Das wird ihm irgendwann zu langweilig. Nicht nur die Abenteuerlust kribbelt in seinen Zehen, er fühlt sich auch ein wenig einsam. Nichts wünscht er sich sehnlicher als Freund, der ihm gleicht. Mutig macht er sich auf die Suche. Auf seinem Weg lernt er nicht nur neue Freunde kennen, sondern stellt fest, dass Gleichheit nicht unbedingt etwas mit Freundschaft zu tun hat.
Ein Kinderbuch über die Suche nach dem Glück, Freundschaft und Abenteuer.
Altersempfehlung: 2 – 5 Jahre
Hoch oben auf einem sonnigen Berg lebt der kleine Walk. Er liebt die Sonne und den frischen Wind um seine Nase. Aber immer nur tagein, tagaus dasselbe erleben? Das wird ihm irgendwann zu langweilig. Nicht nur die Abenteuerlust kribbelt in seinen Zehen, er fühlt sich auch ein wenig einsam. Nichts wünscht er sich sehnlicher als Freund, der ihm gleicht.
Mutig macht er sich auf die Suche. Auf seinem Weg lernt er nicht nur neue Freunde kennen, sondern stellt fest, dass Gleichheit nicht unbedingt etwas mit Freundschaft zu tun hat.
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Ilka Volz
Der kleine Walk
Der kleine Walk
Illustriert und erzählt von Ilka Volz
D er Sonne ganz nah, hoch oben auf der Spitze eines Berges sitzt
der kleine Walk und betrachtet den blauen Himmel.
Schnuppernd hebt er seine winzige Nase in den Wind. Die klare
Luft ist durchzogen von dem würzigen Duft der Bergkräuter. Sie
wachsen rund um den Stein, auf dem sich der kleine Walk den
Bauch vom Mittagslicht wärmen lässt.
Noch nie hat er seinen Berg verlassen. Warum auch?
Der Berg gibt ihm alles, was er braucht. Kräuter als Nahrung,
Grashalme für seine Kleidung, sogar Gesellschaft. Denn er
beherrscht die Sprachen der Tiere. Die Zugvögel machen gerne
bei ihm eine Rast, um sich von ihren langen Reisen auszuruhen.
Sie erzählen dem kleinen Walk abenteuerliche Geschichten von
wilden Landschaften, Ozeanen und fernen, zauberhaften Orten.
5.
Ganz anders als die Käfer und Bienen, die um ihn herum schwirren.
Ihre Geschichten sind immer dieselben. Da regt sich plötzlich
eine kleine Sehnsucht in seinem Bauch und kribbelt bis in die
Fußspitzen hinein. Geht es mir nicht ebenso?, denkt der kleine
Walk. Tag ein Tag aus auf diesem Berg zu sitzen? Wie schön wäre
es, etwas anders zu erleben oder jemandem zu begegnen, der mir
gleicht.
Je länger der kleine Walk darüber nachdenkt, um so mehr füllt
sich sein Herz mit Traurigkeit. Diesen Berg kenne ich nun wirklich
in- und auswendig. Hier gibt es nichts als Steine, Gräser, Blumen
und Käfer natürlich. Aber keinen anderen Walk.
„Vielleicht auf dem Nachbarberg“, überlegt der kleine Walk.
„Vielleicht hat ja jeder Berg seinen eigenen Walk; und jeder
Walk seinen eigenen Berg?“
6.
7.
Vorsichtig kriecht er bis zu dem Feldrand und beobachtet den
Nachbarberg, doch das Einziege, was er erkennen kann, sind
Steine und Gräser.
Wenn ich nur hier sitze und Trübsal blase, werde ich nie einen
anderen Walk finden, denkt er und schüttelt die schwarzen Locken.
Obwohl der kleine Walk so winzig ist, kann er so sicher klettern
und springen wie eine Bergziege. Also holt er tief Luft und springt
mit einem gewaltigen Satz über die Schlucht und landet sicher auf
einem Felsvorsprung.
Der Nachbarberg ist ein wenig größer als sein eigener.
Neugierig untersucht der kleine Walk jeden Winkel. Die Luft ist
genauso klar, die Wolken ziehen genauso schnell dahin, sogar die
Käfer sehen aus wie auf seinem eigenen Berg. Hinter jedem Stein
und Busch sieht er nach und findet: nichts.
8.
Enttäuscht zuckt der kleine Walk mit den Schultern. Vielleicht bin
ich tatsächlich der Einzige Walk auf der Welt. Aber wie soll ich
dann jemals einen Freund finden, der mir gleicht?
Zurück auf seinem Berg hockt sich er auf seinen großen, glatten
Stein, um einmal gründlich nachzudenken.
„Hallo kleiner Walk! Wie geht es dir?“
Es ist Zwirr, der um seinen Kopf flattert.
Sein Vogelfreund setzt sich auf seine Schulter und pickt ihm
vorsichtig ins Ohr.
„Störe mich bitte nicht, Zwirr. Ich muss nachdenken!“
„Worüber denkst du nach?“
„Ich überlege, ob es irgendwo noch einen anderen Walk gibt.“
„Warum willst du einen anderen Walk finden?“
10.
„Nichts wünsche ich mehr als einen Freund, der mir gleicht.
Jemand, der den Berg und die Sonne ebenso liebt wie ich.“ Der
kleine Walk seufzt. „Ich weiß nur nicht, wie ich so jemand finden
kann.“
„Wenn du etwas nicht findest, musst du dort suchen,
wo du noch niemals zuvor gesucht hast!“, sagt Zwirr.
„Das ist es!“ Mit einem Satz springt
der kleine Walk auf.
„Ich werde ins Tal gehen,
dort war ich noch nie!“
„Eine gute Idee!“, sagt Zwirr, legt
den Kopf schief und zwinkert mit
seinen klugen Vogelaugen.
„Ich wünsche dir viel Glück, kleiner Walk!“
11.
Behände klettert der kleine Walk den Berg hinunter. Das Tal ist mit
einem uralten Laubwald überwuchert. Wie ein großer, dichter
Teppich umschließen die Baumkronen die Berge. Ein bisschen
unheimlich sieht das schon aus, denkt der kleine Walk und hält die
Luft an, ehe er in das grüne Meer aus Pflanzen eintaucht.
Es wird immer dämmeriger, je tiefer und weiter er hinunter steigt.
Endlich spürt er weiche Erde und den Füßen. Die Luft ist viel
süßer als oben auf seinem Berg und riecht nach Moos und Laub.
Dicke Wurzeln wuchern über den Waldboden und auf den Blättern
der Bäume tanzen kleine Sonnenflecken.
„So habe ich mir einen Märchenwald vorgestellt“, staunt der
kleine Walk, als er sich durch den hohen Farn schlängelt.
Die Sonnenstrahlen, die durch die gewaltigen Baumkronen über
ihm dringen, erhellen das dichte Grün nur wenig.
12.
Der kleine Walk kommt sich ganz winzig vor und tappt staunend
durch diese neue Welt.
Doch was ist das? Der kleine Walk spitzt die Ohren.
Rumms, rumms, rumms …
Das Geräusch lässt den Waldboden erzittern
und: Es kommt näher.
„Was ich nicht sehen kann, sieht mich
auch nicht!“, denkt der kleine Walk, duckt
sich und schließt fest die Augen.
Ein warmer, feuchter Wind fährt über sein
Gesicht und als der kleine Walk es nun doch
wagt zu blinzeln steht vor ihm ein riesiges
Maul und beschnüffelt ihn mit heißem Atem.
Dann öffnet sich das Pelzmaul, ganz langsam.
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14.
„Haaa – Haaa – haaatschiiii…!“, macht das Maul.
Verdutzt blickt der kleine Walk nach oben. An dem Maul hängt ein
zotteliges Tier, das nun mit schlackernden Ohren seinen großen
Kopf schüttelt.
„Wer bist denn du – du Winzling?“, fragt das Zotteltier und muss
erneut niesen. Dann grummelt es: „Ist mir eigentlich egal wer du
bist. Gegen dich bin ich offenbar allergisch.“
„Ach Gruno, du erschreckst unseren kleinen Freund!“, sagt nun
eine zweite Stimme.
„Paperlapapp, erschrecken!“ Erwidert das pelzige Tier.
„Wer spricht denn da?“, fragt der kleine Walk, denn außer dem
niesenden Gruno ist niemand zu sehen.
In einem Baum neben ihm rumpelt es. Mit einem gewaltigen
Ächzen und Knarzen formt sich aus der Rinde ein altes, faltiges
Gesicht.
15.
Zwischen dem wirren Haarschopf auf Ästen blitzen zwei kluge
Augen, die den kleinen Walk freundlich betrachten.
„Es ist der Baumgeist, der spricht“, murrt Gruno, der sich die juckende
Nase reibt. „Weißt du etwa nicht, was ein Baumgeist ist?“
Der kleine Walk schüttelt den Kopf.
„Er kann es doch nicht wissen, er kommt nicht aus dem Wald,
nicht wahr?“, fragt der Baumgeist und lächelt milde.
„Pah, Touristen!“, schnaubt Gruno und trabt mit erhobenen Kopf
davon.
Verwundert starrt der kleine Walk Gruno hinterher.
„Er ist nicht immer so griesgrämig“, sagt der Baumgeist. „Sag, wo
kommst du her?“
„Ich bin der kleine Walk und wohne auf einem hohen Berg.“
„Ach so, und warum bist du dann hier unten?“
16.
„Ich versuche jemanden zu finden, der mir gleicht.“
„Oh, das ist sehr schwierig“, erwidert der Baumgeist und runzelt
die holzige Stirn. „Das habe ich auch einmal gesucht, vor langer
Zeit. Aber weißt du, wenn man immer an einer Stelle steht, kann
das Suchen sehr schwierig sein.“
„Das tut mir sehr leid!” Der kleine Walk bedauert den freundlichen
Baumgeist.
„Das muss es nicht. Da Gruno kein Baumgeist ist kommt er oft
hier vorbei. Und glaube mir, wenn er keinen Schnupfen hat, ist er
eigentlich ein ganz feiner Kerl.“
„Ich bin auch kein Baumgeist“, grinst der kleine Walk. „Ich kann
dich wieder besuchen kommen!“
„Das würde mich sehr freuen“, sagt der Baumgeist und sein
Gesicht verschmilzt wieder mit der festen Rinde.
17.
18.
Nach einer Weile erreicht der kleine Walk eine Lichtung. Mitten
zwischen Bäumen schimmert eine große, dunkelblaue Fläche.
„Das sieht aus wie blaues Gras. Ob man darauf wohl laufen kann?“
Neugierig stellt er einen Fuß auf den Waldsee und versinkt sofort im
kalten Nass. Der kleine Walk verliert das Gleichgewicht und rudert
erschrocken mit den Armen. Dann rutscht er im nassen Sand aus
und landet, im zum Glück flachen Wasser.
„Iiii, nass und kalt, wie furchtbar!“
„Natürlich ist es nass, was dachtest du denn?“, lacht eine klare
Stimme.
Der kleine Walk reibt sich das Wasser aus den Augen und blinzelt.
Vor ihm schwebt ein Kopf im Wasser, ein Mädchengesicht mit
einer blauen Haarmähne umgeben.
19.
„Ich bin Mela. Ich wohne hier in dem See“, lächelt das
Wassermädchen.
„Wie kann man denn in einem See wohnen? In so viel nasser
Kälte?“, staunt der Walk. „Ich bin der kleine Walk, ich wohne auf
einem Berg, der Sonne ganz nah. Dort ist hell und warm. Komm
doch mit, ich zeig es dir. Es ist gar nicht so weit!“
„Sonne? Warm? Oh nein danke, das vertrage ich nicht! Da trockne
ich doch aus.“
„Dann kannst du deinen See nie verlassen?“
Mela überlegt. „Nein, ich denke nicht. Ich bin der See.“
„Wie schade, ich dachte wir können Freunde werden.“
„Aber ich werde gerne dein Freund, kleiner Walk.“
20.
Der kleine Walk setzt sich zu Mela an das Ufer. Mela schenkt ihm
bunte Muscheln, die sie vom Grunde des Sees hoch taucht. Der
kleine Walk erzählt ihr von den felsigen Bergen, dem Wind, den
Käfern und von Zwirr, seinem Vogelfreund.
„Ich werde Dir Zwirr so bald wie möglich vorstellen“,
verspricht er Mela.
21.
Der Tag vergeht und es wird schattiger und kühler. Langsam
beginnt der kleine Walk sich Gedanken über den langen Heimweg
zu machen.
„Bleib doch bei mir. Du kannst in dem See wohnen!“
„Ich denke nicht, dass ich das kann. Das Licht und die Wärme
vermisse ich jetzt schon.“
Mela betrachtet den kleinen Walk und nickt. Tatsächlich ist der
schon ganz blass um die Nase.
„Ich glaube, du gehörst nicht in den Wald. Du solltest schnell zu
deinem Berg zurückkehren. Aber besuche mich so oft du magst!
Du bist immer willkommen.“
„Das werde ich. Auf bald, Mela!“
Der kleine Walk winkt zum Abschied, und Mela taucht wieder
unter die Wasseroberfläche.
22.
Mit den Händen voll bunter Muscheln stapft der kleine Walk durch
den dämmerigen Wald. Als er den Berg hinauf klettert, fühlt sich
sein Herz ganz leicht an. Hoch oben auf dem Gipfel setzt er sich
auf seinen großen, glatten Stein und genießt den frischen Wind.
Hier bin ich wirklich zu Hause, denkt er und beobachtet die
dahinziehenden Wolken.
Dann muss der kleine Walk plötzlich
lächeln. Denn es ist schon seltsam,
seine neuen Freunde ähneln ihm kein
bisschen. Trotzdem freut er sich jetzt
schon darauf, dass ihn erneut die
Langeweile kitzelt und er
das Tal besuchen geht.
23.
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