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forum Nachhaltig Wirtschaften 03/2019: Social Business beseitigt Plastik-Müll und schafft neue Jobs

Plastik ist praktisch. So praktisch, dass wir es universell einsetzen – und nach Gebrauch achtlos wegwerfen. Die Folge: Wir überziehen die Welt mit Plastikmüll. Die Meere sind voll davon… Der Friedensnobelpreisträger Professor Yunus will dem Problem mit Social Business zu Leibe rücken. Ihm und weiteren Lösungen in Sachen Plastikmüll hat das Magazin forum Nachhaltig Wirtschaften einen Schwerpunkt gewidmet. „Plastikmüll, Klimawandel, brennende Wälder, Kriege, Wüstenbildung, all das sind Herausforderungen für die Menschheit, die sich im Kontext der Globalisierung auf ihre gemeinsame Verantwortung für den Planeten besinnen muss", schreibt forum Chefredakteur Fritz Lietsch in einem Kommentar und betont: „Deshalb berichten wir nicht über die bekannten Probleme, sondern über die bereits vorhandenen Lösungsmöglichkeiten." Wasserstoff - Treibstoff für die Zukunft Der Diesel ist im Verruf und die Umweltzerstörung im Umfeld der Batterieherstellung in aller Munde. Damit wird Wasserstoff zum Stoff, aus dem die Mobilitätsträume sind. Was uns vom emissionsfreien Fahren noch trennt, lesen Sie in der kommenden Ausgabe 3/19 des Entscheidermagazins forum Nachhaltig Wirtschaften. Weitere Beiträge im neuen Heft Entrepreneurship Chance für nachhaltige Entwicklung Die Zukunft der Menschheit hängt von Afrika ab Intelligent investieren in Zeiten des Klimawandels Die Kunst, den Kapitalismus zu verändern Annäherung in fünf Alternativen Die Gemeinwohl-Ökonomie Wie setzt man sie konkret um? Worauf warten wir noch? Die Transition Town Ungersheim zeigt den Weg Der Bauer: Problemlöser statt Sündenbock Dicke Luft in der Landwirtschaft Mit dem Beitrag Schokolade Immer eine Sünde wert? prüft das Nachhaltigkeitsmagazin, ob man die süße Versuchung noch mit gutem Gewissen genießen darf? forum Nachhaltig Wirtschaften erscheint im ALTOP-Verlag und berichtet vierteljährlich über neue Entwicklungen, Trends und Erfolgsbeispiele zu gesellschaftlicher und unternehmerischer Verantwortung. Unter www.forum-csr.net finden sich ergänzende Inhalte sowie aktuelle Nachrichten und Termine.

Plastik ist praktisch. So praktisch, dass wir es universell einsetzen – und nach Gebrauch achtlos wegwerfen. Die Folge: Wir überziehen die Welt mit Plastikmüll. Die Meere sind voll davon…

Der Friedensnobelpreisträger Professor Yunus will dem Problem mit Social Business zu Leibe rücken. Ihm und weiteren Lösungen in Sachen Plastikmüll hat das Magazin forum Nachhaltig Wirtschaften einen Schwerpunkt gewidmet.

„Plastikmüll, Klimawandel, brennende Wälder, Kriege, Wüstenbildung, all das sind Herausforderungen für die Menschheit, die sich im Kontext der Globalisierung auf ihre gemeinsame Verantwortung für den Planeten besinnen muss", schreibt forum Chefredakteur Fritz Lietsch in einem Kommentar und betont: „Deshalb berichten wir nicht über die bekannten Probleme, sondern über die bereits vorhandenen Lösungsmöglichkeiten."

Wasserstoff - Treibstoff für die Zukunft
Der Diesel ist im Verruf und die Umweltzerstörung im Umfeld der Batterieherstellung in aller Munde. Damit wird Wasserstoff zum Stoff, aus dem die Mobilitätsträume sind. Was uns vom emissionsfreien Fahren noch trennt, lesen Sie in der kommenden Ausgabe 3/19 des Entscheidermagazins forum Nachhaltig Wirtschaften.

Weitere Beiträge im neuen Heft
Entrepreneurship Chance für nachhaltige Entwicklung
Die Zukunft der Menschheit hängt von Afrika ab
Intelligent investieren in Zeiten des Klimawandels
Die Kunst, den Kapitalismus zu verändern Annäherung in fünf Alternativen
Die Gemeinwohl-Ökonomie Wie setzt man sie konkret um?
Worauf warten wir noch? Die Transition Town Ungersheim zeigt den Weg
Der Bauer: Problemlöser statt Sündenbock Dicke Luft in der Landwirtschaft
Mit dem Beitrag Schokolade Immer eine Sünde wert? prüft das Nachhaltigkeitsmagazin, ob man die süße Versuchung noch mit gutem Gewissen genießen darf?

forum Nachhaltig Wirtschaften erscheint im ALTOP-Verlag und berichtet vierteljährlich über neue Entwicklungen, Trends und Erfolgsbeispiele zu gesellschaftlicher und unternehmerischer Verantwortung.

Unter www.forum-csr.net finden sich ergänzende Inhalte sowie aktuelle Nachrichten und Termine.

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EUR 7,50 (D) | EUR 7,50 (A) | CHF 12,50 | 3. Quartal <strong>2019</strong><br />

<strong>03</strong>/<strong>2019</strong><br />

ISSN 1865-4266<br />

<strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong><br />

Das Entscheider-Magazin<br />

Die <strong>Plastik</strong>flut<br />

Friedensnobelpreisträger Yunus räumt auf<br />

Intelligent investieren<br />

In Zeiten des Klimawandels<br />

Der Bauer<br />

Problemlöser statt Sündenbock<br />

Wasserstoff<br />

Der Stoff aus dem die Träume sind<br />

Schokolade<br />

Mit gutem Gewissen genießen<br />

Den Kapitalismus verändern<br />

Gemeinwohl-Ökonomie konkret umgesetzt<br />

4 197564 507505<br />

<strong>03</strong>


kfw.de<br />

Mehr zum nachhaltigen<br />

Engagement der KfW:<br />

kfw.de/stories/plastik<br />

Weiterdenker bekämpfen künstliche<br />

Feinde: Tüten, Becher, Folien.<br />

Die KfW fördert nachhaltige Projekte zur Reduzierung von <strong>Plastik</strong>müll. Durch die Finanzierung<br />

von Meeresschutzzonen <strong>und</strong> innovativem Abfallmanagement leistet die KfW einen wichtigen Beitrag gegen<br />

die Verschmutzung der Meere. Schließlich bieten sie Nahrung für zwei Milliarden Menschen <strong>und</strong> sind von<br />

elementarer Bedeutung für unser Klima <strong>und</strong> die Artenvielfalt. <strong>Plastik</strong> gefährdet dieses sensible Ökosystem –<br />

<strong>und</strong> damit uns alle. Als nachhaltige <strong>und</strong> moderne Förderbank unterstützt die KfW Weiterdenker, die<br />

zukunftsweisende Lösungen zur Abfallvermeidung, -verwertung <strong>und</strong> -entsorgung in die Tat umsetzen.<br />

Weitere Informationen unter kfw.de/stories/plastik


Editorial<br />

DER WIND WIRD RAUHER…<br />

In Brasilien wird der Urwald in unvorstellbarem Ausmaß gerodet, in Sibirien brennen<br />

riesige Waldflächen, Migration <strong>und</strong> Hunger sind in der Welt wieder am Zunehmen <strong>und</strong><br />

immer mehr ultrakonservative, korrupte Menschen kommen an die Regierung. Weltweit<br />

steigen die Flugbewegungen <strong>und</strong> der Absatz von SUVs (Anteil 30 Prozent) <strong>und</strong><br />

Nutzfahrzeugen in Deutschland (Steigerung 14 Prozent) boomt. Die <strong>Plastik</strong>produktion<br />

steigt unvermindert weiter, ebenso wie die Menge des <strong>Plastik</strong>mülls in den Meeren.<br />

Coverfoto: © Vincenzo De Bernardo, stock.adobe.com | rechts oben: © Branko Šmon<br />

… der Ton wird schärfer<br />

In Bayern gehen die Bauern auf die Barrikaden, weil sie sich durch das erfolgreiche Volksbegehren<br />

für mehr Artenschutz bevorm<strong>und</strong>et fühlen. Die Bürger werfen den Bauern<br />

einen zu hohen Einsatz von Gülle, Kunstdüngern <strong>und</strong> Pestizidkombinationen vor. Fakt<br />

ist: Schimpfen <strong>und</strong> Schuldzuweisungen helfen nicht – sowohl die Zahl der Bauern, als<br />

auch die der Bienen <strong>und</strong> Insekten sinkt dramatisch.<br />

Vom Sündenbock…<br />

Neben dem Ausstoß von CO 2<br />

<strong>und</strong> Methan sind Lachgasemissionen eine der wichtigsten<br />

Ursachen für den Klimawandel <strong>und</strong> tragen aktuell etwa sechs Prozent zur Erderwärmung<br />

bei. Verantwortlich dafür ist der übermäßige Einsatz von Stickstoffdüngern, frei<br />

nach dem Motto „Viel hilft viel“. Doch nur etwa 40 Prozent des heute weltweit mittels<br />

Kunstdünger in die Natur eingebrachten Stickstoffs wird tatsächlich von Nutzpflanzen<br />

aufgenommen. Die Folge: Luftverschmutzung, zunehmender Sauerstoffmangel in<br />

Küsten gewässern <strong>und</strong> Verlust von Biodiversität.<br />

… zum Klimaretter<br />

Statt Pflanzen zu (über-)düngen, sollten wir den Boden pflegen! Seine enorme Bedeutung<br />

für den Ertrag <strong>und</strong> im systemischen Zusammenhang wird allmählich erkannt. Die wichtigste<br />

Maßnahme ist der Aufbau von Humus, denn dieser speichert CO 2<br />

<strong>und</strong> bremst damit<br />

den Klimawandel. Ein weiterer Vorteil: Humus speichert Wasser <strong>und</strong> ist damit der beste<br />

Schutz vor Starkregenereignissen. Die Erforschung der faszinierenden Zusammenhänge<br />

von Boden, Klimagasen, Fruchtbarkeit <strong>und</strong> Wasserspeicherung steht erst am Anfang. Sie<br />

nährt jedoch so große Hoffnung auf einen entscheidenden Hebel im Kampf gegen den<br />

Klima wandel, dass erste Klimazertifikate aus Humusaufbau am Markt zur Verfügung stehen.<br />

Diese sind gerade für regionale Wirtschaftskreisläufe höchst attraktiv.<br />

CO 2<br />

-Zertifikate bringen…<br />

den Landwirten zusätzliche Einnahmen, schützen Gr<strong>und</strong>wasser, Artenvielfalt <strong>und</strong> Klima<br />

<strong>und</strong> verbessern die natürliche Fruchtbarkeit der Böden langfristig.<br />

Ach ja: Da waren ja noch das <strong>Plastik</strong>problem <strong>und</strong> unsere Mobilität – auch dafür finden<br />

Sie in diesem Heft hilfreiche Informationen <strong>und</strong> Inspiration.<br />

Viel Spaß beim Lesen wünschen<br />

Fritz Lietsch<br />

Herausgeber <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong><br />

f.lietsch@<strong>forum</strong>-csr.net<br />

Prof. Dr. Maximilian Gege<br />

Vorstandsvorsitzender B.A.U.M. e.V.<br />

Vom 12. bis 14. September <strong>2019</strong> findet<br />

zum achten Mal der Zermatt Summit<br />

in der Schweiz statt. „Entrepreneurship<br />

to serve the common good“ heißt das<br />

diesjährige Konferenzthema. Auf dem<br />

hochkaräti gen Wirtschaftsgipfel werden<br />

über 150 Wirtschafts- <strong>und</strong> Meinungsführer<br />

aus der Schweiz, Europa <strong>und</strong> Übersee<br />

erwartet. Das Ziel: klassische Wirtschaftsmodelle<br />

transformieren. Am Fuße des<br />

Matterhorns wird wieder Geschichte<br />

geschrieben. Seien Sie dabei.<br />

www.zermattsummit.org<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

3


INHALT<br />

10<br />

Anpacken Den <strong>Plastik</strong>müll<br />

aufräumen <strong>und</strong> verwerten 34<br />

Wasserstoff Die geniale Lösung<br />

für die Verkehrswende<br />

3 Editorial<br />

6 Brennpunkt <strong>Plastik</strong> am Berg – das Matterhorn Art<br />

Project<br />

8 Gute Nachrichten<br />

THEMEN<br />

Gründer für die Zukunft<br />

28 Transformation durch Zerstörung Entrepreneurship<br />

als Chance für nachhaltige Entwicklung<br />

Schwerpunkt<br />

PLASTIK – DIE<br />

WELT VERSINKT<br />

IM MÜLL<br />

10 <strong>Plastik</strong>, die Jahrh<strong>und</strong>ertaufgabe Sind <strong>Social</strong> <strong>Business</strong><br />

<strong>und</strong> Kreislaufwirtschaft die Lösung?<br />

16 <strong>Social</strong> <strong>Plastik</strong> Kann <strong>Plastik</strong>sammeln Menschen<br />

helfen?<br />

18 Greenwashing <strong>und</strong> Ozeanplastik? Vermeiden am<br />

Anfang, statt <strong>Plastik</strong>-Fischen am Ende<br />

25 Jetzt packen wir an! Die Schülerinitiative „Grafing<br />

Goes Green“ kämpft gegen <strong>Plastik</strong>verpackungen<br />

31 Ecosia Der Stoff, aus dem die Bäume sind<br />

Antrieb für Morgen<br />

34 Wasserstoff Der Stoff, aus dem die Träume sind<br />

43 Energie ohne Reue Kommt der CO 2<br />

-freie Wasserstoff<br />

aus Methan?<br />

46 Verkehrswende Da ist noch viel Luft nach oben<br />

Afrika – Kontinent der Entscheidung<br />

49 Mobile Money in Afrika Chancen für Heimatüberweisungen<br />

<strong>und</strong> nachhaltige Entwicklung<br />

52 Die Zukunft der Menschheit hängt von Afrika ab<br />

Finanzen – Gesellschaft – Wirtschaft<br />

54 Intelligent investieren In Zeiten des Klimawandels<br />

58 Die Denkfabrik Vom Wissen zum Handeln<br />

62 Die Kunst, den Kapitalismus zu verändern Eine<br />

erste Annäherung in fünf Alternativen<br />

66 Die Gemeinwohl-Ökonomie Wie setzt man sie<br />

konkret um?<br />

Fotos v.l.n.r.: © Grameen Creative Lab © pplum | © Karl Heinz <strong>Jobs</strong>t | © Ars Electronica<br />

4 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


INHALT<br />

Vorbild gescheitert Mafia <strong>und</strong><br />

79 Salvini zerstören das Modell Riace 114<br />

Ars Electronica Center<br />

Ein Museum für die Zukunft<br />

Gemeinsam für den Wandel<br />

70 Die gute Nachricht Ölbohrung in Portugal vom<br />

Tisch<br />

72 Worauf warten wir noch? Die Transition Town<br />

Ungersheim zeigt den Weg<br />

Heute für morgen handeln<br />

111 Vorstoß für den ökologischen Gebäudebetrieb<br />

Facility Management kann noch viel bewegen<br />

114 Navigationshilfe für morgen Das Neue Ars Electronica<br />

Center in Linz wird zum Museum der Zukunft<br />

78 Die All-Leader-Kultur Mit Konsens zu guten<br />

Entscheidungen kommen<br />

79 Riace darf nicht sterben Ist der europäische<br />

Leuchtturm für eine gelungene Integration von<br />

Flüchtlingen ein Opfer rechtsradikaler Populisten?<br />

85 Plädoyer für eine Veränderung in der Bildung<br />

Nicht mehr Wissensvermittlung, sondern Wissensnutzung<br />

ist das primäre Ziel.<br />

Landwirtschaft fair <strong>und</strong> klimafre<strong>und</strong>lich<br />

88 Der Bauer: Problemlöser statt Sündenbock Dicke<br />

Luft in der Landwirtschaft <strong>und</strong> schlechtes Klima<br />

müssen nicht sein<br />

94 Politische Instrumente einsetzen Für einen<br />

Wandel in Landwirtschaft <strong>und</strong> Ernährung<br />

97 Der Pionier der öko-sozialen Agrarkultur Schafft er<br />

die Agrarwende?<br />

100 Schokolade Immer eine Sünde wert?<br />

108 Ausbeutung für Süßes Kann man noch mit gutem<br />

Gewissen genießen?<br />

SERVICE<br />

121 B.A.U.M. informiert Nachrichten aus dem<br />

Unternehmernetzwerk<br />

122 And the winner is Awards <strong>und</strong> Preisträger<br />

im Kurzprofil<br />

124 Bücher <strong>und</strong> Filme für den Wandel<br />

Die <strong>forum</strong> Medientipps<br />

126 Events in der Vorschau Veranstaltungen<br />

im Kurz-Portrait<br />

128 Marktplatz Anbieter stellen sich vor<br />

129 Tagen & Tourismus Anbieter im Kurz-Portrait<br />

130 Impressum, Nachwort <strong>und</strong> Ausblick<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

Gedruckt auf Steinbeis Charisma Silk – hergestellt aus 100 % Altpapier, ausgezeichnet mit dem Blauen Engel. Ein Produkt der Steinbeis Papier GmbH.<br />

5


BRENNPUNKT<br />

6 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


BRENNPUNKT<br />

„EARTH PLASTIC VIEW“<br />

Das Matterhorn Art Project deckt schonungslos auf<br />

Foto: © Branko Šmon<br />

Nach Schätzungen von Wissenschaftlern wird der weltweite <strong>Plastik</strong>bestand in diesem Jahr voraussichtlich bei etwa sieben<br />

Milliarden Tonnen liegen. Das entspricht einem Granulatvolumen von r<strong>und</strong> 14 km 3 . Zur Verdeutlichung: Das entspricht einem<br />

Volumen von 4,8 Millionen Olympiaschwimmbecken (50 x 25 x 3 Meter). Der Künstler Branko Šmon hat sich zur Aufgabe<br />

gemacht, dieses unvorstellbare Ausmaß zu visualisieren <strong>und</strong> begreifbar zu machen. Mit seinem Kunstprojekt verwandelt er<br />

das Matterhorn, den meistfotografierten Berg der Welt, anhand von mehreren Installationen zum weltweiten Botschafter für<br />

ein <strong>neue</strong>s globales <strong>Plastik</strong>bewusstsein. „Earth Plastic View“-Frames zeigen jeweils den durchschnittlichen <strong>Plastik</strong>verbrauch<br />

eines Erdenbürgers pro Jahr. Aufgestellt an vier unterschiedlichen Aussichtspunkten r<strong>und</strong> um den Gornergrat zeigen sie als<br />

Eckpunkte die räumliche Ausdehnung des Volumens des weltweiten <strong>Plastik</strong>bestands in Granulatform. Mit der „Earth Plastic<br />

View“-Art App wird das Visualisieren des <strong>Plastik</strong>volumens durch verschiedene Funktionen erweitert.<br />

www.earth-plastic-view.de<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

7


GUTE NACHRICHTEN UND PRODUKTE<br />

Veränderung gestalten<br />

© shutterstock<br />

Der Kunststoffverarbeiter <strong>und</strong> Schaumstoffproduzent Greiner veröffentlicht<br />

erstmals einen <strong>Nachhaltig</strong>keitsbericht. Dieser zeigt das <strong>Nachhaltig</strong>keitsengagement<br />

der Unternehmensgruppe im Detail auf <strong>und</strong> setzt<br />

messbare Ziele, wie die Etablierung einer Kreislaufwirtschaft oder die<br />

Halbierung der Emissionen bis 2<strong>03</strong>0. Der Bericht stellt die weltweiten<br />

<strong>Nachhaltig</strong>keitsmaßnahmen in den Mittelpunkt <strong>und</strong> setzt sich mit den<br />

ökologischen <strong>und</strong> sozialen Problemen der heutigen Zeit auseinander.<br />

https://sustainability.greiner.com/<br />

dm-Engagement mehrfach ausgezeichnet<br />

© dm-drogerie markt, Andreas Friedrich<br />

Die dm-Marken Alana, alverde Naturkosmetik <strong>und</strong> dmBio haben zum<br />

wiederholten Mal das Gütesiegel Green Brand Germany erhalten. Damit<br />

werden die dm-Marken für ihren Einsatz in den Bereichen <strong>Nachhaltig</strong>keit<br />

<strong>und</strong> Klimaschutz ausgezeichnet. So bietet zum Beispiel dmBio hochwertige<br />

Biolebensmittel, viele davon in Naturland- oder Demeter-Qualität.<br />

Zudem ist das von dm initiierte Rezyklat-Forum vom Rat für <strong>Nachhaltig</strong>e<br />

Entwicklung <strong>und</strong> dem Netzwerk der Regionalen Netzstellen <strong>Nachhaltig</strong>keitsstrategien<br />

zum „Projekt <strong>Nachhaltig</strong>keit <strong>2019</strong>“ gewählt worden. Die<br />

Mitglieder des Forums arbeiten u.a. daran, das Bewusstsein für Kreislaufwirtschaft<br />

zu fördern <strong>und</strong> langfristig die Recyclingquote zu erhöhen.<br />

www.dm.de<br />

Sag’s mit Herz!<br />

© e+m Holzprodukte<br />

Eine schöne Geschenkidee made in Germany sind die Büroklammern<br />

Hearty in Herzform von e+m Holzprodukte! Die kleinen Paperclips aus<br />

elastischem Holzfurnier sorgen mit ihrem Smile-Effekt für gute Laune am<br />

Arbeitsplatz, sind aus nachhaltigem FSC®-zertifiziertem Material <strong>und</strong> lassen<br />

sich sowohl bedrucken als auch mit Lasergravur veredeln. Verpackt sind<br />

die nützlichen Accessoires zu 20 Stück in einer herzförmigen Holzdose.<br />

Alternativ sind die Klammern auch in r<strong>und</strong>er oder quadratischer Form<br />

erhältlich.<br />

www.em-holzprodukte.de<br />

Papiermusterbuch für die umweltfre<strong>und</strong>liche Produktion von Drucksachen!<br />

© Print Pool<br />

<strong>Nachhaltig</strong>keit wird in Ihrem Betrieb groß geschrieben? Recyclingpapier<br />

mit dem Blauen Engel, Papier aus verantwortungsvollen Quellen, vegane<br />

Haftpapiere, bedruckt mit mineralölfreier Biodruckfarbe auf Pflanzenölbasis<br />

<strong>und</strong> ein klimaneutraler Versand sind unser Beitrag zum Umweltschutz.<br />

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wertvollen Qualität.<br />

Wenn wir Ihr Interesse geweckt haben, wann bekommen wir Ihre Aufmerksamkeit?<br />

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8 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


GUTE NACHRICHTEN UND PRODUKTE<br />

© Schneider Schreibgeräte<br />

<strong>Nachhaltig</strong>er Schulanfang: Tintenroller Breeze<br />

Der nachfüllbare Patronenroller<br />

Breeze liegt dank seiner<br />

ergonomischen Form<br />

<strong>und</strong> der gummierten Oberfläche<br />

bequem in der Hand<br />

<strong>und</strong> schreibt angenehm<br />

weich. Hergestellt aus recyceltem<br />

Kunststoff ist er<br />

der erste Stift, der mit dem<br />

„Blauen Engel“ ausgezeichnet<br />

wurde. Eine Reservepatrone ist im Schaft untergebracht. Die königsblaue<br />

Tinte ist löschbar, schnelltrocknend <strong>und</strong> schmierfest. Für Links- <strong>und</strong> Rechtshänder<br />

gleichermaßen geeignet. Mit dem Gutscheincode BREEZE-20 gibt es<br />

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Für Perspektiv- <strong>und</strong> Haltungswechsel<br />

© Wilkhahn<br />

© Peter Riegel Weinimport<br />

Den Perspektivwechsel<br />

jenseits von Rollen <strong>und</strong><br />

Hierarchien erleichtern<br />

ungewöhnliche Möbelobjekte<br />

wie der Sitzbock:<br />

Der heitere Hingucker kann<br />

quer besessen, in Längsrichtung<br />

„geritten“ oder<br />

als Stütze beim Stehen genutzt<br />

werden. Aus durchgefärbtem<br />

Polypropylen in vier Farben hergestellt <strong>und</strong> nur 4,8 Kilogramm<br />

schwer, lässt er sich einfach gruppieren, kreuzweise übereinander stapeln<br />

oder auch nach draußen mitnehmen. Für mehr Komfort kann zusätzlich eine<br />

„Satteldecke“ aus Filz bestellt werden.<br />

www.wilkhahn.com<br />

Weingeschenke mit Seele – 100 Prozent Bio<br />

Verschenken Sie einen romantischen<br />

Weinabend<br />

samt Kerzenschein! Inanna<br />

Tinto – eine inspirierende<br />

Rotwein-Cuvée aus Spanien:<br />

100 Prozent Bio, Demeter-zertifiziert,<br />

aus den<br />

Trauben alter Tempranillo-<br />

Reben, von Hand gelesen<br />

<strong>und</strong> in der Amphore vergoren.<br />

Die Weinbereitung erfolgt rein mechanisch, ohne Einsatz von elektri scher<br />

Energie. Zusammen mit einem nachhaltig produzierten „Notlicht“ aus heimischem<br />

Ahornholz, schön verpackt in einer Holzkiste mit Schiebedeckel. Das einleuchtende<br />

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Auf die Farbe kommt es an<br />

Schimmel mit<br />

Kalk vorbeugen!<br />

■ frei von Konservierern<br />

■ schimmelvorbeugend<br />

■ atmungsaktiv<br />

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Tel.: +49 (0) 41 63 - 86 74 7-0<br />

9


SCHWERPUNKT | PLASTIK – DIE WELT VERSINKT IM MÜLL<br />

PLASTIK,<br />

DIE JAHRHUNDERTAUFGABE<br />

Sind <strong>Social</strong> <strong>Business</strong> <strong>und</strong> Kreislaufwirtschaft die Lösung?<br />

<strong>Plastik</strong> ist eines, wenn nicht das größte der Umweltprobleme unserer Zeit. Nun greift der Friedensnobelpreisträger<br />

ein: Fünf Kreativlabore des Yunus Environment Hub, an der Spitze das Plastic Lab, wollen die<br />

<strong>Plastik</strong>verschmutzung mit <strong>neue</strong>n Ansätzen stoppen. Es muss gelingen!<br />

Von Betti Brosche<br />

10<br />

<strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


PLASTIK – DIE WELT VERSINKT IM MÜLL | SCHWERPUNKT<br />

Pro Minute landet ca. eine LKW-Ladung <strong>Plastik</strong>abfall in unseren<br />

Meeren – Tendenz steigend. Friedensnobelpreisträger Prof.<br />

Muhammad Yunus fördert <strong>Social</strong> <strong>Business</strong> Lösungen, um <strong>Plastik</strong> in<br />

der Natur zu bekämpfen <strong>und</strong> seine Wiederverwertung zu fördern.<br />

Fotos: oben: © Grameen Creative Lab | unten: © Creative Commons<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net 11


SCHWERPUNKT | PLASTIK – DIE WELT VERSINKT IM MÜLL<br />

Das Ocean Plastics Lab ist eine internationale Wanderausstellung, die zeigt, wie die Wissenschaft <strong>und</strong> Wirtschaft versuchen, das Problem der<br />

<strong>Plastik</strong>vermüllung unserer Ozeane zu verstehen <strong>und</strong> zu bewältigen.<br />

Klimakrise, <strong>Plastik</strong>müll in den Meeren, Artensterben, Verkehr<br />

in Städten, Ernteausfälle, Überschwemmungen – die<br />

Liste unserer Umweltprobleme ist lang <strong>und</strong> wird länger. Gut,<br />

dass es Menschen gibt, die an Lösungen arbeiten, vor allem<br />

an tiefgreifenden Lösungen, um Ursachen zu bekämpfen<br />

<strong>und</strong> einen Systemwandel herbeizuführen. 2016 führten<br />

Christina Jäger <strong>und</strong> Hans Reitz vom Grameen Creative Lab<br />

erste Gespräche mit der Umweltorganisation WWF über die<br />

ökologischen Herausforderungen unserer Zeit. Schnell wurde<br />

klar, dass EIN Thema besondere Bedeutung in den nächsten<br />

Jahren gewinnen wird <strong>und</strong> man jetzt entschieden handeln<br />

muss: das Thema <strong>Plastik</strong>. Um unsere Meere <strong>und</strong> Flüsse von<br />

<strong>Plastik</strong> zu befreien gründeten sie schnellentschlossen das<br />

<strong>Plastik</strong> Lab. 2017 bekamen sie dafür Rückenwind, denn auf<br />

dem World Economic Forum platzte die Bombe: Die Ellen<br />

Mac Arthur Fo<strong>und</strong>ation präsentierte die katastrophalen Zahlen<br />

einer Studie zum weltweiten Aufkommen von <strong>Plastik</strong>müll.<br />

Danach werden nur 14 Prozent des global anfallenden <strong>Plastik</strong>mülls<br />

recycelt, aber jährlich 8 Millionen Tonnen <strong>Plastik</strong>müll<br />

in unsere Meere gespült. Bis zum Jahr 2050 wird darin also<br />

mehr <strong>Plastik</strong> als Fische schwimmen. Außer wir handeln jetzt!<br />

Refuse, Reuse & Recycle, aber bitte sozial!<br />

80 Prozent des <strong>Plastik</strong>müll-Aufkommens in den Meeren stammen<br />

von Quellen an Land, die über die Flüsse in die Ozeane<br />

getragen werden. Das heißt, die Problemlösung muss an<br />

Land, am Ursprung gef<strong>und</strong>en werden. Hier kommen die drei<br />

altbekannten Prinzipien Vermeidung, Wiederverwendung<br />

<strong>und</strong> Wiederverwertung (Refuse, Reuse, Recycle) ins Spiel.<br />

Das Interessante <strong>und</strong> Besondere an der Arbeit des Grameen<br />

Creative Labs ist es, dass die drei Rs nicht mit der klassischen<br />

Wirtschaftsdenkweise umgesetzt werden, sondern mit dem<br />

Ansatz des <strong>Social</strong> <strong>Business</strong>. Unter einem <strong>Social</strong> <strong>Business</strong> ist<br />

ein nachhaltiges Unternehmen zu verstehen, das anstatt<br />

Profitmaximierung gesellschaftlichen Mehrwert schaffen will.<br />

Es agiert sozusagen selbstlos, da es alle erzielten Gewinne zur<br />

Lösung einer sozialen oder ökologischen Aufgabenstellung<br />

reinvestiert. Bei <strong>Social</strong> <strong>Business</strong>-Unternehmen geht es also<br />

nicht darum, möglichst viel Geld auf sozial-ökologisch verträgliche<br />

Weise, also mit gutem Gewissen, zu erwirtschaften,<br />

sondern gesellschaftliche Probleme durch unternehmerisches<br />

Handeln zu bekämpfen. <strong>Social</strong> <strong>Business</strong> weist somit<br />

den Weg in einen anderen, zukunftsfähigen Kapitalismus.<br />

Dieses Handeln soll einen Systemwandel herbeiführen: Durch<br />

die Vorbildfunktion des <strong>Social</strong> <strong>Business</strong> werden alle anderen<br />

Wirtschaftsakteure dazu animiert, ihr Handeln zu ändern –<br />

<strong>Business</strong> at it‘s best – <strong>und</strong> somit eine Wirtschaft zu fördern,<br />

die wieder der Gemeinschaft zugutekommt.<br />

Ein perfektes Paar: <strong>Social</strong> <strong>Business</strong> <strong>und</strong> zirkuläre Wirtschaft<br />

Das <strong>Social</strong> <strong>Business</strong>-Konzept geht auf den Friedennobelpreisträger<br />

Prof. Muhammad Yunus aus Bangladesch zurück,<br />

der mit seinem Konzept von Mikrokrediten v.a. für Frauen<br />

weltberühmt wurde. Zusammen mit dem deutschen Eventunternehmer<br />

Hans Reitz hat er das Grameen Creative Lab<br />

mit Sitz in Wiesbaden gegründet, um eine globale <strong>Social</strong><br />

<strong>Business</strong>-Bewegung zu fördern. Seitdem entstanden aus<br />

dem Lab eine Vielzahl von Initiativen <strong>und</strong> Unternehmen,<br />

die soziale Herausforderungen adressieren. Doch Yunus erkannte<br />

schnell, dass viele soziale Probleme einhergehen mit<br />

Umweltproblemen. Ein Bespiel zur Lösung von Problemen<br />

ist die Versorgung der ländlichen Bevölkerung mit Solarenergie,<br />

um das Abholzen von Wäldern <strong>und</strong> die ges<strong>und</strong>heitliche<br />

Prof. Yunus am Mikroskop: <strong>Plastik</strong> im Meer zerfällt in immer kleinere<br />

Mikroplastikpartikel, die so in unsere Nahrungskette gelangen. Das<br />

Grameen Creative Lab im Einsatz: Der Aufbau von Sammelsystemen,<br />

u.a. in Kolumbien, fördert das Recycling. Neue <strong>Social</strong> <strong>Business</strong> Geschäftsmodelle<br />

verwenden den Abfall als Ressource. Somit ist nicht<br />

nur der Umwelt <strong>und</strong> unserer Ges<strong>und</strong>heit geholfen, sie sind auch eine<br />

nachhaltige Einkommensmöglichkeit für benachteiligte Menschen.<br />

Fotos: oben: © JC Guilloux | © Grameen Creative Lab<br />

12 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


PLASTIK – DIE WELT VERSINKT IM MÜLL | SCHWERPUNKT<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

13


SCHWERPUNKT | PLASTIK – DIE WELT VERSINKT IM MÜLL<br />

Belastung durch Kerosinlampen zu reduzieren. Schon früh<br />

gründete Yunus deshalb ein <strong>Social</strong> <strong>Business</strong> zur Förderung<br />

von solarer Infrastruktur in den Dörfern Bangladeschs.<br />

Doch es gibt noch viel mehr Herausforderungen in Sachen<br />

Umweltschutz. Im Juni <strong>2019</strong> lancierte deshalb das Grameen<br />

Creative Lab beim <strong>Social</strong> <strong>Business</strong> Day in Bangkok den Yunus<br />

Environment Hub, in dem auch das Plastic Lab verankert<br />

ist. Der Yunus Environment Hub berät Unternehmen <strong>und</strong><br />

Organisationen, die beim Aufbau <strong>und</strong> der Förderung von<br />

<strong>Social</strong> <strong>Business</strong>-Unternehmen im Umweltbereich mitwirken<br />

möchten. Neben dem Fokus auf <strong>Plastik</strong>abfall spielen Circular<br />

Economy (Kreislaufwirtschaft), CO 2<br />

-Reduktion, Biodiversität<br />

<strong>und</strong> er<strong>neue</strong>rbare Energien eine zentrale Rolle. „Mit dem<br />

Yunus Environment Hub wollen wir die Dringlichkeit aufzeigen,<br />

jetzt zu handeln, um eine große Umweltkatastrophe<br />

abzuwenden“, so Prof. Muhammad Yunus auf der Jahreskonferenz<br />

in Bangkok. „Wir sind uns sicher, dass wir mit starken<br />

Partnern an unserer Seite eine nachhaltige Veränderung der<br />

Wirtschaft herbeiführen können <strong>und</strong> streben damit einen radikalen<br />

Systemwandel an.“ Christina Jäger, Leiterin des Yunus<br />

Environment Hubs erklärt: „In unserer Linearwirtschaft sind<br />

ökologischen Probleme zur größten Herausforderung unseres<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts geworden. Um zu einer Kreislaufwirtschaft zu<br />

kommen, in der kein Abfall mehr anfällt, da alles einen Wert<br />

hat, müssen wir beginnen, in Kreisläufen zu denken. Erst<br />

wenn wir zirkulär denken <strong>und</strong> dabei den <strong>Social</strong> <strong>Business</strong>-Ansatz<br />

integrieren, können wir unsere lineare Wirtschafts- <strong>und</strong><br />

Produktionsweise transformieren. Ganz besonders konzentrieren<br />

wir uns dabei gegenwärtig auf das Thema <strong>Plastik</strong> <strong>und</strong><br />

die Förderung einer Kreislaufwirtschaft, die ökologische <strong>und</strong><br />

soziale Probleme gleichzeitig adressiert.“<br />

Kreative Ideen <strong>und</strong> aktive Unternehmer<br />

Nehmen wir das Beispiel <strong>Plastik</strong>abfall: <strong>Social</strong> <strong>Business</strong>-Unternehmer<br />

arbeiten hier bereits an Recyclinglösungen. Sie<br />

bauen dazu selbst oder in Kooperation mit kommunalen<br />

Abfallwirtschaftsakteuren eine Infrastruktur zur getrennten<br />

<strong>Müll</strong>sammlung <strong>und</strong> -verarbeitung auf. Damit lösen sie<br />

nicht nur das <strong>Plastik</strong>problem, sondern bieten Arbeitsplätze<br />

für Menschen, die bis dahin ohne Beschäftigung waren.<br />

Waste Ventures India ist ein solches <strong>Social</strong> <strong>Business</strong>, dass in<br />

Hydera bad mit Wertstoffsammlern zusammenarbeitet <strong>und</strong><br />

sie beschäftigt, um <strong>Plastik</strong>abfall zu sammeln <strong>und</strong> zu recyceln.<br />

Noch besser ist es, das Problem schon früher zu adressieren.<br />

Engagierte Sozialunternehmer arbeiten daran, Produkte <strong>und</strong><br />

Wertschöpfungsketten neu zu gestalten, um dem Ziel Zero<br />

Waste näher zu kommen. Unverpackt-Läden <strong>und</strong> -Cafés sind<br />

Bespiele dafür, wie dies funktionieren kann. Ein weiterer Aspekt<br />

ist, wie wir das Design <strong>und</strong> den Besitz von Konsumgütern<br />

neu definieren, etwa indem Produkte zu Dienstleistungen<br />

werden. Damit erwirbt <strong>und</strong> besitzt nicht mehr der Käufer<br />

das Produkt, sondern er nutzt es nur. Das Produkt selbst <strong>und</strong><br />

damit die Rohstoffe bleiben in der Hand <strong>und</strong> im Eigentum<br />

des Herstellers. Er hat damit andere Anreize, die Produkteigenschaften<br />

<strong>und</strong> die Lebensdauer zu optimieren, die eingesetzten<br />

Komponenten <strong>und</strong> Materialien wiederverwendbar<br />

zu gestalten <strong>und</strong> Rückholdienste zu organisieren. Dieser<br />

Ansatz kann <strong>und</strong> wird die Wirtschaft <strong>und</strong> unser Konsumverhalten<br />

nachhaltig beeinflussen. Das Cradle-to-Cradle-Konzept<br />

des deutschen Chemikers Professor Michael Braungart, der<br />

natürliche <strong>und</strong> technische Kreisläufe aufzeigt, ist hier ein<br />

leuchtendes Vorbild.<br />

In der Kooperation liegt die Zukunft<br />

Mit dieser Vision einer zukunftsfähigen Wirtschaftsweise<br />

will das Plastic Lab Kooperationen sowie branchenübergreifende<br />

Lösungsansätze fördern <strong>und</strong> damit Motor <strong>und</strong><br />

Treiber von Innovationen sein. „Wir benötigen internationale<br />

Allianzen aus Unternehmen entlang der gesamten Kunststoff-Wertschöpfungskette<br />

<strong>und</strong> die Zusammenarbeit von<br />

Wissenschaftlern, Ingenieuren, Innovatoren, NGOs <strong>und</strong> eben<br />

<strong>Social</strong> <strong>Business</strong>-Unternehmern, um die immensen Herausforderungen<br />

des globalen <strong>Plastik</strong>verbrauchs in den Griff zu<br />

bekommen“, betont das Kreativgenie Hans Reitz. „Deswegen<br />

rufen wir alle Unternehmen auf, das Problem gemeinsam mit<br />

uns anzugehen. Erste wichtige Schritte sind bereits getan, <strong>und</strong><br />

wir sind dafür offen, <strong>neue</strong> Ansätze zu fördern.“<br />

www.grameencreativelab.com<br />

BETTI BROSCHE<br />

ist seit mehr als 20 Jahren in den Medien <strong>und</strong> aktuell für die UFA tätig.<br />

Sie hat es sich zum Ziel gesetzt, die Welt zu retten. Natürlich erst,<br />

wenn sie all ihre Mails gecheckt hat . Und nicht alleine, sondern<br />

mit allen zusammen. Ihr Motto: Wir schaffen das!<br />

The Yunus Environment Hub…<br />

… fördert <strong>Social</strong> <strong>Business</strong>-Lösungen für die drängendsten Umweltprobleme.<br />

Im Fokus stehen fünf Kreativlabore, in denen Ideen kreiert<br />

<strong>und</strong> erprobt werden: Circular Lab, Plastic Lab, Carbon Lab, Biodiversity<br />

Lab <strong>und</strong> Green Energy Lab. Der Yunus Environment Hub<br />

fördert <strong>Social</strong> <strong>Business</strong>-Unternehmer mit Inkubationsprogrammen<br />

<strong>und</strong> berät Unternehmen, Städte <strong>und</strong> Organisationen, die sich engagieren<br />

oder verändern möchten. In Vorträgen, Workshops <strong>und</strong> Trainings,<br />

zum Beispiel zum Thema Circular Thinking, kann man sein<br />

Wissen <strong>und</strong> seine Fähigkeiten gezielt weiterentwickeln.<br />

The Plastic Lab…<br />

erarbeitet Lösungen zu Abbau <strong>und</strong> Verhinderung von <strong>Plastik</strong>verschmutzung<br />

in unserer Natur. Im Zentrum stehen Geschäftsmodelle<br />

für die Reduktion von <strong>Plastik</strong>abfall <strong>und</strong> den Aufbau von<br />

Abfallwirtschaftssystemen. Zehn Flüsse transportieren 90 Prozent<br />

des <strong>Müll</strong>s in die Ozeane, acht davon sind in Asien <strong>und</strong> zwei in<br />

Afrika. Das Plastic Lab fokussiert sich auf diese Hot Spot Regionen,<br />

um den <strong>Plastik</strong>fluss zu stoppen, denn wenn das <strong>Plastik</strong> einmal in<br />

unsere Meere gelangt ist, gibt es kaum eine Möglichkeit, es wieder<br />

zu entfernen.<br />

14 Gedruckt auf Steinbeis Charisma Silk – hergestellt aus 100 % Altpapier, ausgezeichnet mit dem Blauen Engel. <strong>forum</strong> Ein Produkt <strong>Nachhaltig</strong> der Steinbeis <strong>Wirtschaften</strong><br />

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den Kauf von Mehrwegflaschen <strong>und</strong><br />

ökologisch vorteilhaften Getränkekartons.<br />

15


SCHWERPUNKT | PLASTIK – DIE WELT VERSINKT IM MÜLL<br />

SOCIAL PLASTIC<br />

Kann <strong>Plastik</strong>sammeln Menschen helfen?<br />

Eine Bank, die <strong>Plastik</strong> nimmt <strong>und</strong> Geld gibt. Das ist die Kurzfassung von David Katz’ Idee. Im März 2013<br />

gründete er die „Plastic Bank“. Das Sozialunternehmen will damit sowohl den <strong>Plastik</strong>müll, der jedes Jahr<br />

in unsere Meere gelangt, als auch die Armut in Entwicklungsregionen bekämpfen.<br />

Von Jonas Hellmann<br />

Die „Plastic Bank“, eine erfolgreiche Initiative aus Kanada,<br />

eröffnete ihre erste Filiale in Lima, Peru <strong>und</strong> setzt auf die<br />

Menschen, die weggeworfenes <strong>Plastik</strong> sammeln. Diese<br />

können ihr Sammelgut wie etwa Verpackungen, Flaschen,<br />

Kunststoffbehälter <strong>und</strong> Tüten bei der Plastic Bank eintauschen.<br />

Zum Beispiel gegen Strom fürs Handy, gegen Internetnutzung,<br />

Brennstoff für den Ofen oder auch gegen Bares.<br />

Der Gründer David Katz möchte mit diesem Tausch den Wert<br />

des <strong>Plastik</strong>s stärker ins Bewusstsein rücken. Gleichzeitig bietet<br />

das <strong>Plastik</strong>sammeln Menschen mit einem sehr geringen<br />

Lebensstandard eine Perspektive.<br />

<strong>Plastik</strong> eröffnet Zugang zu Technologie, Strom <strong>und</strong><br />

Einkommen<br />

Das abgegebene <strong>Plastik</strong> wird vor Ort zerkleinert, verpackt,<br />

abtransportiert <strong>und</strong> recycelt, zum Beispiel zu <strong>Plastik</strong>fäden für<br />

3D-Drucker. Apropos 3D-Drucker, diese sollen den <strong>Plastik</strong>sammlern<br />

zukünftig in den kleinen Filialen der Plastic Bank<br />

zur Verfügung stehen. Mithilfe des Filaments aus recyceltem<br />

<strong>Plastik</strong> <strong>und</strong> frei verfügbaren Designs können sich die Menschen<br />

vor Ort dringend benötigte Gegenstände selbst ausdrucken.<br />

Das erhöht die Motivation, zu sammeln <strong>und</strong> <strong>schafft</strong><br />

ein Bewusstsein für den Wert des Materials. Und wenn viele<br />

Menschen mit anpacken, so hoffen die Sozialunternehmer,<br />

gelangt der <strong>Plastik</strong>müll nicht mehr in die Weltmeere, sondern<br />

verhilft Menschen zu mehr Einkommen <strong>und</strong> kreativen<br />

Gestaltungsmöglichkeiten.<br />

Unternehmen <strong>und</strong> die Crowd als Partner<br />

David Katz’ Plan hat das Zeug zur Revolution <strong>und</strong> diese ist bitter<br />

nötig, denn die Menge an <strong>Plastik</strong>müll, die es zu sammeln<br />

<strong>und</strong> verwerten gilt, liegt bei etwa 8 Millionen Tonnen im Jahr.<br />

Es gibt also viel zu tun, besonders in Ländern, die keine funktionierende<br />

Abfallentsorgung haben. Zusammen mit seinem<br />

Geschäftspartner Shaun Frankson expandierte David Katz<br />

Haiti: Der nächste Regen spült den <strong>Plastik</strong>abfall ins Meer. Sammler<br />

der Initiative reinigen den Strand, geben das <strong>Plastik</strong> bei der Plastic<br />

Bank ab <strong>und</strong> erhalten hierfür eine Vergütung. Henkel ist Partner des<br />

<strong>Social</strong> Start-ups Plastic Bank <strong>und</strong> fördert drei Sammelstellen auf Haiti.<br />

ALDI Süd unterstützt Sammelstellen auf den Philippinen. Von dort<br />

stammt das <strong>Social</strong> Plastic® für die Pro Nature Produkte.<br />

Fotos: © <strong>Social</strong> plastic<br />

16 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


PLASTIK – DIE WELT VERSINKT IM MÜLL | SCHWERPUNKT<br />

deshalb bereits 2015 nach Haiti. 2017 ging es dann auf die<br />

Philippinen <strong>und</strong> letztes Jahr wurden Filialen auf Bali eröffnet.<br />

Für diese Verbreitung der „Plastic Banks“ sind neben dem<br />

unermüdlichen Einsatz der Gründer zwei weitere Faktoren<br />

entscheidend. Zum einen die Crowd, denn das Projekt bittet<br />

in den sozialen Medien um Likes, Mithilfe <strong>und</strong> finanzielle<br />

Unterstützung <strong>und</strong> bekommt diese auch, zum anderen starke<br />

Partner, die das Rezyklat abnehmen, wie etwa die Firma Lush.<br />

Die Kosmetikfirma stellt Shampoo-Flaschen aus „<strong>Social</strong> Plastic“<br />

her <strong>und</strong> war der erste Abnehmer der engagierten Sozialunternehmer.<br />

Weitere Rückendeckung kommt von einem deutschen<br />

Unternehmen: Henkel kooperiert mit der Plastic Bank, um<br />

deren Arbeit in Haiti zu unterstützen. Straßen, Wasserwege<br />

<strong>und</strong> Strände sind dort übersät mit <strong>Plastik</strong>müll. Aufgr<strong>und</strong> der<br />

fehlenden Infrastruktur ist es nicht möglich, den <strong>Müll</strong> ordnungsgemäß<br />

zu entsorgen. Stattdessen steigt die <strong>Müll</strong>menge<br />

täglich <strong>und</strong> stellt eine ernstzunehmende Gefahr für die Umwelt<br />

auf Haiti dar. Im vergangenen Jahr kamen auf der Karibikinsel in<br />

drei <strong>Plastik</strong> Bank- Sammelcentern r<strong>und</strong> 63 Tonnen <strong>Plastik</strong>müll<br />

zusammen, die Henkel in 25.000 Flaschen aus „<strong>Social</strong> Plastic“<br />

verwandelt hat. „Die Zusammenarbeit mit Henkel ermöglicht<br />

uns, noch mehr Menschen mit unserer Lösung zu erreichen<br />

<strong>und</strong> einen noch größeren, positiven Einfluss auf die Umwelt<br />

zu haben“, freut sich David Katz. „Gemeinsam können wir die<br />

Verschmutzung durch <strong>Plastik</strong>müll stoppen – indem wir Abfall<br />

zu einer Währung machen <strong>und</strong> gleichzeitig <strong>neue</strong> Chancen<br />

für Menschen in Armut schaffen.“ Für die Finanzierung einer<br />

Plastic Bank auf den Philippinen konnte Katz übrigens den<br />

deutschen Lebensmittelhändler ALDI gewinnen <strong>und</strong> auch die<br />

Drogeriemarktkette dm setzt auf „<strong>Social</strong> Plastic“.<br />

Das freut selbst den Papst<br />

Die unermüdliche Aufbauarbeit der <strong>Plastik</strong>sammler aus<br />

Kanada zahlt sich auf alle Fälle aus: Für sein Engagement<br />

ist das Sozialunternehmen vor kurzem vom Vatikan geehrt<br />

worden. Sein ehrgeiziges Ziel, die Weltmeere vom <strong>Plastik</strong>müll<br />

zu befreien <strong>und</strong> die Armut zu beenden, ist zwar noch in<br />

weiter Ferne, aber die Aufmerksamkeit für das Unternehmen<br />

<strong>und</strong> seine Projekte wächst täglich <strong>und</strong> das verspricht weitere<br />

Erfolge <strong>und</strong> Nachahmer.<br />

www.plasticbank.com<br />

JONAS HELLMANN<br />

studiert Jura <strong>und</strong> Politikwissenschaften. Sein besonderes Interesse<br />

gilt dem Thema <strong>Social</strong> <strong>Business</strong>. Er möchte dabei mitwirken, globale<br />

Probleme im regionalen Kontext zu lösen.<br />

Recycling-Vorbild Europa?<br />

Wenn die Berichterstattung suggeriert, dass <strong>Plastik</strong>müll nur im<br />

globalen Süden ein Problem sei, ist dies weit gefehlt, denn auch<br />

in Europa ist das Recycling unterentwickelt.<br />

Ende 2018 lag der Einsatz von Rezyklaten selbst beim Düsseldorfer<br />

Henkel-Konzern gerade einmal bei knapp zehn Prozent. Der Konzern<br />

will diese Quote zumindest in Europa bis 2025 auf 35 Prozent steigern.<br />

Doch damit werden auch in sechs Jahren die Verpackungen<br />

noch zu zwei Dritteln aus <strong>neue</strong>m Kunststoff bestehen. Für eine verbesserte<br />

Recyclingquote müssen Verpackungen anders konzipiert<br />

werden. Verb<strong>und</strong>materialien <strong>und</strong> eine Vielzahl unterschiedlicher<br />

<strong>Plastik</strong>arten erschweren jedoch die Wiederverwendung. Bis Ende<br />

2018 waren erst 80 Prozent der Produktverpackungen rein theoretisch<br />

entweder recyclebar, wiederverwendbar oder kompostierbar.<br />

Bis 2025 sollen alle Verpackungen diese Kriterien erfüllen, um eine<br />

wirkliche Kreislaufwirtschaft zu fördern.<br />

Pfandsysteme statt <strong>Plastik</strong>abfall<br />

Am <strong>Plastik</strong>problem arbeiten neben Henkel auch Mitbewerber wie<br />

Procter & Gamble. „Wir wollen, dass 100 Prozent der Verpackungen<br />

bis spätestens 2<strong>03</strong>0 weltweit recyclingfähig sind“, kündigte Virginie<br />

Hélias, Chief Sustainability Officer von Procter & Gamble, in einem<br />

Gespräch am Rande der Sustainable Brands <strong>2019</strong> in Paris an. Doch<br />

damit nicht genug, der Konzern stellte in Paris das Konzept wiederbefüllbarer<br />

Verpackungen vor <strong>und</strong> möchte hier gemeinsam mit<br />

TerraCycle CEO Tom Szaky <strong>und</strong> weiteren Industriepartnern das ganz<br />

große Ding in Sachen <strong>Plastik</strong>vermeidung anstoßen.<br />

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Der Online-Handel in Deutschland erklimmt<br />

jedes Jahr <strong>neue</strong> Gipfel. Optimaler Produktschutz<br />

bleibt eine der zentralen Anforderungen<br />

an die Verpackung – gerade nachdem<br />

das Thema <strong>Nachhaltig</strong>keit mit dem <strong>neue</strong>n<br />

Verpackungsgesetz eine deutliche Stärkung<br />

erfahren hat. „Produkt- <strong>und</strong> Umweltschutz<br />

schließen sich keinesfalls aus. Es gibt alternative<br />

Verpackungslösungen oder Optimierungschancen,<br />

die einen wichtigen Unterschied<br />

in der Ökobilanz ausmachen – man<br />

muss sie nur kennen.“ so Harald Schönfeld,<br />

General Director bei RAJA Deutschland.<br />

„Wir besitzen eine einmalige Expertise was<br />

Produktschutz aber auch nachhaltige Versandverpackungen<br />

betrifft. Diese teilen wir<br />

uneingeschränkt mit unseren K<strong>und</strong>en.“ RAJA<br />

bietet eine stetig wachsende Zahl an besonders<br />

umwelt- <strong>und</strong> ressourcenschonenden<br />

Lösungen. Zudem können K<strong>und</strong>en jederzeit<br />

ihren Verbrauch an Verpackungsmaterial<br />

überprüfen: RAJA stellt ihnen jederzeit eine<br />

Auflistung der Gewichte <strong>und</strong> Mengen zur Verfügung.<br />

„Diese Transparenz ist wichtig“, weiß<br />

Schönfeld. „Und in vielen Fällen ein guter<br />

Ansatzpunkt für die weitere Optimierung.“<br />

www.rajapack.de<br />

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17


SCHWERPUNKT | PLASTIK – DIE WELT VERSINKT IM MÜLL<br />

GREENWASHING MIT<br />

OZEAN-PLASTIK?<br />

Vermeiden am Anfang, statt <strong>Plastik</strong>-Fischen am Ende<br />

Immer mehr Unternehmen bieten Verpackungen oder Produkte aus Ozean-<strong>Plastik</strong> an <strong>und</strong> vermitteln Verbrauchern<br />

ein Gefühl der Umweltfre<strong>und</strong>lichkeit beim Einkauf von Einweg-<strong>Plastik</strong>produkten. Doch nicht<br />

(nur) am Strand, auch hier vor Ort ist dringend Aktion angesagt. Die Recyclat-Initiative zeigt den Weg.<br />

Von Fritz Lietsch <strong>und</strong> Thomas Schäfer<br />

Im Moment werben Unternehmen damit, für die Herstellung<br />

von Shampooflaschen oder Textilien an Stränden<br />

gesammeltes <strong>Plastik</strong> verwendet zu haben. Soweit so gut.<br />

Allerdings ist Ozean-<strong>Plastik</strong> allein nicht der richtige Ansatz,<br />

um das Problem des <strong>Plastik</strong>mülls in den Meeren wirklich<br />

in den Griff zu bekommen. Das Aufsammeln von <strong>Plastik</strong> an<br />

Stränden ist zwar beileibe nicht falsch, aber das Kind ist<br />

dann bereits in den Brunnen gefallen. So viel <strong>Plastik</strong>müll,<br />

wie täglich in die Meere gelangt, kann unmöglich wieder<br />

herausgeholt werden. Der größte Teil des <strong>Plastik</strong>s sinkt<br />

ohnehin auf den Meeresgr<strong>und</strong> oder befindet sich als Mikroplastik<br />

in der mittleren Meerestiefe. Dieses Mikroplastik<br />

lässt sich aus dem Meer nicht mehr herausholen, <strong>und</strong> deshalb<br />

muss der Ansatz lauten, zuallererst <strong>Plastik</strong>abfälle zu<br />

vermeiden, eine Wiederverwendung zu fördern <strong>und</strong> auch<br />

Nachfüllverpackungen anzubieten.<br />

Foto: © Martina Merz<br />

18 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


PLASTIK – DIE WELT VERSINKT IM MÜLL | SCHWERPUNKT<br />

Ozean-<strong>Plastik</strong> darf nicht von tiefgreifenden Lösungsansätzen<br />

ablenken<br />

Ozean-<strong>Plastik</strong> wird nur für einen winzigen Bruchteil von<br />

Verpackungen <strong>und</strong> Produkten eingesetzt <strong>und</strong> spielt beim<br />

täglichen Kerngeschäft <strong>und</strong> der Masse der Alltagsprodukte<br />

so gut wie keine Rolle. Es ist eher eine „grüne Blase“, um<br />

dem Verbraucher zu suggerieren, dass Unternehmen etwas<br />

gegen den <strong>Plastik</strong>müll tun, obwohl sie nach wie vor Problemverursacher<br />

sind. Der Einsatz von Ozean-<strong>Plastik</strong> ist für den<br />

Massenmarkt zum größten Teil nicht geeignet, weil das angespülte<br />

Material schadstoffbelastet sein kann. Da außerdem<br />

Art <strong>und</strong> Umfang der angespülten oder gefischten Kunststoffe<br />

unklar sind, besteht keine Planbarkeit zum Einsatz bei der<br />

Herstellung von Massenprodukten. Zudem ist das Sammeln<br />

<strong>und</strong> Verarbeiten von Ozean-<strong>Plastik</strong> bisher schlicht unwirtschaftlich<br />

<strong>und</strong> von Sponsoring abhängig. Viel wichtiger als<br />

die Promotion punktueller Showprodukte wäre es, wenn<br />

große Verpackungshersteller:<br />

• unnötige Umverpackungen vermeiden,<br />

• die Abfüllung von Produkten durch Verbraucher – wie in<br />

Unverpacktläden – fördern,<br />

• Nachfüllpacks anbieten,<br />

• Verpackungen recyclingfähig designen,<br />

• Recyclingmaterial aus dem Gelben Sack einsetzen.<br />

Ozean-<strong>Plastik</strong> oder Gelber Sack?<br />

Allein in der EU entstehen jedes Jahr r<strong>und</strong> 26 Millionen Tonnen<br />

<strong>Plastik</strong>müll. Wenn überhaupt, wird dieser bisher auch bei<br />

uns nur minderwertig recycelt. Er wird also bald auch wieder<br />

zu <strong>Müll</strong> <strong>und</strong> endet schließlich in einer Verbrennungsanlage…<br />

oder in China oder Indonesien. Dass China im Januar 2018<br />

beschlossen hat, die Einfuhr von <strong>Plastik</strong>müll zu stoppen, ist<br />

eher eine gute Nachricht als ein Problem. Denn anstatt den<br />

<strong>Müll</strong> einfach zu verschiffen, zu stapeln oder zu verbrennen,<br />

müssen wir jetzt umdenken <strong>und</strong> nachhaltige Lösungen finden.<br />

Und wer, wenn nicht wir, als der <strong>Müll</strong>-Europameister,<br />

<strong>und</strong> wo, wenn nicht hier, im Land der Umweltschützer <strong>und</strong><br />

Ingenieure, können <strong>neue</strong> Konzepte <strong>und</strong> Technologien entwickelt,<br />

erprobt <strong>und</strong> finanziert werden, um in Sachen <strong>Plastik</strong><br />

radikal aufzuräumen? Pioniere wie die Recyclat-Initiative<br />

zeigen den Weg.<br />

Ein Gelber Sack ist voller Wertstoffe<br />

Seien wir ehrlich: Produkte in Haushalt <strong>und</strong> Industrie sind<br />

heute ohne Kunststoffe nicht vorstellbar – von der Lebensmittelverpackung<br />

über Kinderspielzeug bis hin zur Hightech-Maschine.<br />

Aber: Kunststoff wird aus Erdöl hergestellt.<br />

Das ist ein teurer <strong>und</strong> knapper Rohstoff. Recycling sollte daher<br />

allein schon aus ökonomischer Sicht viel mehr Bedeutung<br />

gewinnen. Eine wertvolle Quelle, um in Deutschland an<br />

„<strong>neue</strong>n“ Rohstoff zu kommen, ist der „Gelbe Sack“. Doch<br />

das Recycling seines wild gemischten Inhalts ist gar nicht<br />

so einfach <strong>und</strong> erfordert einen immens hohen Einsatz. Auf<br />

dem Weg vom Haushaltsabfall im Gelben Sack bis hin zum<br />

hochwertigen Kunststoffgranulat erfolgen zahlreiche Arbeitsschritte.<br />

Es beginnt mit dem Aufbau einer effizienten Sammellogistik,<br />

anschließend müssen moderne Sortieranlagen<br />

die verschiedenen Kunststoffe, Metalle <strong>und</strong> andere Materialien<br />

maschinell sortenrein voneinander trennen. Die große<br />

Herausforderung besteht darin, daraus Recyclingmaterial<br />

(Recyclat) zu gewinnen, das den qualitativen Anforderungen<br />

<strong>neue</strong>r Verpackungsmaterialien gerecht wird.<br />

Eine Initiative setzt Standards<br />

Schon 2012 etablierte sich mit der Recyclat-Initiative eine<br />

Kooperation, die Know-how bündelt, um Alt-<strong>Plastik</strong> aus der<br />

bisher für die Herstellung von Verpackungen ungenutzten<br />

Quelle Gelber Sack als Wertstoff aufzubereiten. Die Kernidee<br />

dabei war es, PET- <strong>und</strong> PE-Abfälle aus dem Gelben<br />

Sack – anders als bis dahin allgemein üblich – effektiv zu<br />

recyceln <strong>und</strong> somit in einen geschlossenen Material- <strong>und</strong><br />

Produktionskreislauf zu führen. Das Konzept basierte auf<br />

High-Tech-Entwicklungen nach dem Cradle2Cradle-Prinzip.<br />

Das Besondere an der Initiative: Sie setzt bedingungslos auf<br />

Kooperation. Der Initiator der Recyclat-Initiative, Reinhard<br />

Schneider, hat die Entwicklung von Beginn an als „Open Innovation“<br />

angelegt, also dem Gedanken, „offen für alle“ zu<br />

sein. Jeder kann – <strong>und</strong> soll – mitmachen, um diese sinnvolle<br />

Investition in die Zukunft erfolgreich voranzubringen – auch<br />

über die eigenen Branchengrenzen hinaus. In diesem Sinne<br />

rufen die Partner der Recyclat-Initiative andere Unternehmen<br />

<strong>und</strong> Organisationen aktiv dazu auf, sich ihnen anzuschließen.<br />

Denn je mehr Unternehmen sich beteiligen <strong>und</strong> das Altplastik<br />

aus dem Gelben Sack für ihre Verpackungen verwenden,<br />

umso mehr Kunststoff wird in einem echten Kreislauf gehalten.<br />

Und wenn dann alle so denken <strong>und</strong> handeln, landet<br />

zukünftig – zumindest von uns – gar kein <strong>Plastik</strong> im Meer. Und<br />

als nächsten Schritt kann man sich dann gemeinsam dafür<br />

einsetzen, dass Know-how <strong>und</strong> Technologie weltweit verbreitet<br />

werden. Damit auch „von den anderen“ kein <strong>Plastik</strong> mehr<br />

in den Ozeanen landet. Für ihre nachhaltige <strong>und</strong> innovative<br />

Entwicklung hochwertiger Recyclate ist die Initiative bereits<br />

mehrfach ausgezeichnet worden.<br />

<strong>Plastik</strong>–Kreislauf statt Endstation Meer<br />

Der Aktionsplan der Ellen MacArthur-Stiftung im Rahmen der<br />

„New Plastics Economy“ bestätigt denn auch genau die Ansätze,<br />

die die deutsche Recyclat-Initiative seit Jahren erfolgreich<br />

verfolgt: <strong>Plastik</strong> ist ein Wertstoff! Wenn man ihn richtig<br />

verwendet, kann man ihn effektiv recyceln <strong>und</strong> vermeidet<br />

damit Verpackungsmüll. Doch dafür müssen Verpackungen<br />

nachhaltig gestaltet <strong>und</strong> in einem Wertstoffkreislauf gehalten<br />

werden können. Die Entwicklung dafür schreitet voran! Im<br />

Rahmen der Open Innovation der Recyclat-Initiative wird<br />

bereits hochmoderne Laserspektroskopie eingesetzt, um<br />

die PET-Abfälle so fein zu sortieren, dass sie zur Herstellung<br />

<strong>neue</strong>r, transparenter <strong>und</strong> sogar lebensmitteltauglicher<br />

PET-Verpackungen wiederverwendet werden können. Das<br />

gestiegene Bewusstsein, dass alle Materialien auch nach Gebrauch<br />

einen Wert haben, gibt bereits den richtigen Weg vor.<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

19


SCHWERPUNKT | PLASTIK – DIE WELT VERSINKT IM MÜLL<br />

Die Sammlung von recycelbaren Kunststoffen wäre jedoch<br />

– gerade in Ländern mit einer schlecht ausgebauten Sammelinfrastruktur<br />

– viel einfacher, wenn gebrauchte Kunststoffmaterialien,<br />

ob im Konsum- oder Industriebereich, einen<br />

definierten Wert hätten. Weltweit gibt es bereits eine Reihe<br />

von Sammelsystemen, die zum Beispiel bei Getränkeflaschen<br />

gut funktionieren. Solche Systeme erreichen in verschiedenen<br />

Ländern eine Rücklaufquote von über 90 Prozent. Die<br />

Flaschen sind mit Pfandschema-Logos ausgestattet, <strong>und</strong> die<br />

Maschinen lesen die EAN-Codes, bevor sie das Pfand zurückgeben.<br />

Dieses Konzept gilt es auf Kunststoffverpackungen<br />

<strong>und</strong> andere Kunststoffartikel auszudehnen!<br />

Blockchain im Kampf gegen <strong>Plastik</strong>müll<br />

WISeKey International Holding Ltd, ein Cybersicherheits-IoT-Plattformunternehmen,<br />

will gar seine Identity<br />

Blockchain-Technologie einsetzen, um für Kunststoffprodukte<br />

eine digitale Identität zu generieren. Hersteller <strong>und</strong><br />

Anwender von Kunststoff sowie Verbraucher haben dann<br />

über eine App die Möglichkeit, Informationen über das<br />

Produkt <strong>und</strong> seine ökologischen Auswirkungen zu erhalten.<br />

Diese Informationen könnten auch auf ein internationales<br />

Pfandwertsystem ausgedehnt werden. „Wir sehen die dringende<br />

Notwendigkeit, die Ozeane vor Kunststoffabfällen zu<br />

schützen. Wir arbeiten deshalb mit globalen <strong>und</strong> lokalen<br />

Organisationen zusammen, um das Bewusstsein dafür zu<br />

schärfen, die Recyclingbemühungen zu verstärken <strong>und</strong> die<br />

Kunststoffverschmutzung weltweit zu reduzieren“, sagte<br />

Carlos Moreira, Gründer <strong>und</strong> CEO von WISeKey. Durch<br />

seine Teilnahme am „Race for Water Program“ will er<br />

seine Technologie gemeinsam mit Marco Simeoni, dem<br />

Präsidenten des Programmes zur Lösung des Problems<br />

einsetzen. Sie setzen jetzt genauso wie viele andere Unternehmer<br />

ein Zeichen dafür, dass wir dem <strong>Plastik</strong>problem<br />

auf allen Ebenen die Stirn bieten müssen. Im kommenden<br />

Heft berichten wir über den Aufbau von Pfandsystemen für<br />

Wasch- <strong>und</strong> Reinigungsmittelflaschen <strong>und</strong> den Aufbau von<br />

Nachfüllstationen im Handel.<br />

Wichtiger Hinweis<br />

<strong>forum</strong> berichtet laufend über Lösungen in Sachen <strong>Plastik</strong>.<br />

Sie finden weitere Informationen über die Recyclat-Börse<br />

cirplus, über Bubble Barrier, das <strong>Plastik</strong>-Sammelsystem für<br />

Flüsse <strong>und</strong> über Race for Water zum Beispiel in der <strong>forum</strong>-Ausgabe<br />

2/19. Bereits in früheren Ausgaben berichteten wir über<br />

Sammelinitiativen wie das Ocean Cleanup von Boyan Slat, über<br />

Marcella Hanschs Pacific Garbage Screening<br />

bis hin zu Günther Bonins Seekuh. All dies<br />

sowie aktuelle Nachrichten der Recyclat-Initiative,<br />

des Plastic Lab sowie Details zur Studie<br />

der Ellen MacArthur Fo<strong>und</strong>ation finden<br />

Sie unter nebenstehendem QR.<br />

<strong>Plastik</strong>müll – Fakten <strong>und</strong> Folgen<br />

Einer Studie der Ellen MacArthur Fo<strong>und</strong>ation zufolge wurden seit<br />

Beginn der industriellen <strong>Plastik</strong>produktion im großen Stil – das war<br />

etwa 1950 – insgesamt 8,3 Milliarden Tonnen <strong>Plastik</strong> produziert, in<br />

die Welt gesetzt <strong>und</strong> verarbeitet. Dies geschah vor allem in Form<br />

von Verpackungen, aber auch beim Bau von Häusern <strong>und</strong> Infrastruktur,<br />

bei der Produktion zahlloser Güter des täglichen Bedarfs<br />

<strong>und</strong> zu unzähligen weiteren Zwecken. Der Studie zufolge werden<br />

2,6 Milliarden Tonnen des bislang produzierten <strong>Plastik</strong>s bis heute<br />

genutzt. Weitere 800 Millionen Tonnen wurden verbrannt <strong>und</strong> zum<br />

Teil für die Energiegewinnung genutzt. Und ganze fünf Milliarden<br />

Tonnen <strong>Plastik</strong> befinden sich im <strong>Müll</strong>.<br />

Acht Millionen Tonnen <strong>Plastik</strong>müll (ein <strong>Müll</strong>wagen pro Minute)<br />

gelangen jährlich in die Ozeane, wobei es sich zum weitaus größten<br />

Teil um Verpackungsmüll handelt. Zwei Drittel des <strong>Plastik</strong>s in<br />

den Weltmeeren stammen aus lediglich 20 Flüssen vor allem in<br />

Fernost. Als dreckigster Fluss der Welt gilt der Jiangtse in China,<br />

über den jährlich 330.000 Tonnen <strong>Plastik</strong> ins Meer gelangen. Auf<br />

Platz zwei liegt der Ganges in Indien. Schon heute befinden sich<br />

Schätzungen zufolge etwa 150 Millionen Tonnen <strong>Plastik</strong>müll in den<br />

Weltmeeren. R<strong>und</strong> 80 Prozent des <strong>Plastik</strong>s in den Meeren stammt<br />

von ungesicherten <strong>Müll</strong>deponien weltweit. Hinzu kommen die winzigen<br />

Kunststoffteilchen aus Seifen, Duschlotionen <strong>und</strong> Reinigern,<br />

die als sogenanntes „Mikroplastik“ in die Gewässer gelangen. Auch<br />

die großen Kunststoffteile im Meer werden auf Dauer durch den<br />

Wellengang zerrieben, so dass auch daraus Mikroplastik entsteht.<br />

Dieses wiederum wird von den Meereslebewesen als Nahrung aufgenommen<br />

<strong>und</strong> landet am Ende auch auf unseren Tellern.<br />

Fakten zu Produktion <strong>und</strong> Umsatz<br />

Allein in Europa beschäftigt die <strong>Plastik</strong>industrie in 60.000 Unternehmen<br />

– vom Hersteller der Rohmaterialien bis hin zum Recycler<br />

sowie zum Anbieter von <strong>Plastik</strong>verarbeitungsmaschinen – mehr als<br />

1,5 Millionen Menschen, so PlasticsEurope, der Verband der Kunststofferzeuger.<br />

Der Gesamtumsatz der Branche: 355 Milliarden<br />

Euro im Jahr 2017. In Deutschland setzte die <strong>Plastik</strong>branche laut<br />

Gesamtverband Kunststoffverarbeitende Industrie (GKV) im Jahr<br />

2017 insgesamt 63,7 Milliarden Euro um. Der <strong>Plastik</strong>ausstoß der<br />

Weltwirtschaft wird in den kommenden Jahren weiter dramatisch<br />

ansteigen. Vor allem Ölkonzerne investieren Milliarden in diese Industrie,<br />

schreibt der britische „Guardian“. Firmen wie Exxon Mobile<br />

Chemical oder Shell Chemical haben demnach seit 2010 mehr als<br />

180 Milliarden Dollar in <strong>neue</strong> <strong>Plastik</strong>fabriken gesteckt, in denen sie<br />

künftig Verpackungen, Flaschen, Transportbehälter <strong>und</strong> Ähnliches<br />

herstellen wollen. Experten erwarten auf Gr<strong>und</strong>lage dieser Zahlen,<br />

dass die <strong>Plastik</strong>produktion weltweit in den kommenden zehn Jahren<br />

um 40 Prozent steigen wird.<br />

Foto: © Aldi<br />

20 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


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EINE FLASCHE IM KREISLAUF<br />

Obstverpackungen aus Graspapier oder Tiefkühltragetaschen<br />

aus Recyclingmaterial: Wo es nicht möglich ist,<br />

Verpackungen zu vermeiden oder zu verringern, sucht<br />

die REWE Group nach umweltfre<strong>und</strong>licheren Alternativen<br />

– unter anderem durch eine stärkere Verwendung von<br />

Sek<strong>und</strong>ärrohstoffen. Jüngstes Beispiel: eine zu 100 Prozent<br />

aus Rezyklat gefertigte Wasserflasche 1 .<br />

Manchmal geht es nicht ohne Verpackung. Mineralwasser<br />

zum Beispiel muss in entsprechende Gebinde abgefüllt werden<br />

– ohne wäre es schlicht nicht transportierbar. Wie aber<br />

kann eine Getränkeverpackung aussehen, die praktikabel<br />

<strong>und</strong> zudem in hohem Maß umweltfre<strong>und</strong>lich ist? Die REWE<br />

Group hat eine Antwort darauf gef<strong>und</strong>en. Als erste Lebensmittelhändler<br />

brachten REWE <strong>und</strong> PENNY im Frühjahr eine<br />

Eigenmarken-Flasche aus komplett wiederverwertetem<br />

Kunststoff in die Märkte.<br />

Kunststoffrezyklat ist neben Recyclingpapier einer der wichtigsten<br />

Sek<strong>und</strong>ärrohstoffe in der Verpackungsstrategie der<br />

REWE Group. Eigenmarken-Getränkeflaschen bestehen<br />

bereits seit längerem zu einem nennenswerten Anteil aus<br />

recyceltem PET, so genanntem rPET. Aber eine Wasserflasche,<br />

die zu 100 Prozent aus Rezyklat besteht – das galt als fernes<br />

Ziel. Denn Hersteller, die Flaschen komplett aus Sek<strong>und</strong>ärrohstoffen<br />

fertigen, stehen vor besonderen Herausforderungen.<br />

Beispielsweise ist das Produktionsrisiko höher als bei der<br />

Verwendung von ausschließlich „frischem“ oder auch gemischtem<br />

Material. Denn die fingergroßen rPET-Rohlinge,<br />

die unter hoher Temperatur zu Flaschen aufgeblasen werden,<br />

sind nicht gleichmäßig eingefärbt. Das erhöht die Gefahr,<br />

dass sie platzen <strong>und</strong> eine komplette Produktionsstraße zum<br />

Stillstand zwingen.<br />

Rezyklat ist ein begehrter Rohstoff<br />

Eine weitere Herausforderung: der Zugriff auf Rohmaterial.<br />

Kunststoffrezyklat, vor allem das hochwertige rPET, ist ein begehrter<br />

Rohstoff. Das Pfand sorgt zwar dafür, dass nahezu alle<br />

verkauften Flaschen zurückgebracht <strong>und</strong> von Entsorgungsspezialisten<br />

sortiert, zerkleinert <strong>und</strong> zu Granulat verarbeitet<br />

werden. Aber nur etwa ein Drittel dieser Rezyklate findet den<br />

Weg zurück in Getränkeverpackungen. Die übrigen Mengen<br />

werden meist für die Herstellung von Folien, Fasern <strong>und</strong> Füllstoffen<br />

verwendet. So kann es bei der Flaschenproduktion zu<br />

Engpässen kommen.<br />

Ein besonders innovativer Lieferant im Eigenmarkengetränke-<br />

Bereich der REWE Group ist in der Lage, Flaschen aus 100<br />

Prozent Rezyklat herzustellen. Seit Frühjahr diesen Jahres<br />

stehen sie nun bei REWE <strong>und</strong> PENNY im Regal. Ein wichtiger<br />

Schritt in der <strong>Nachhaltig</strong>keitsstrategie der REWE Group,<br />

denn das Unternehmen hat sich zum Ziel gesetzt, dass bis<br />

Ende 2<strong>03</strong>0 jede Verpackung der Eigenmarkenprodukte einen<br />

umweltfre<strong>und</strong>licheren Mehrwert bietet. Sicher ist, dass die<br />

REWE Group dabei weiterhin auf den Einsatz von Rezyklat<br />

setzen wird.<br />

1 Deckel <strong>und</strong> Etikett ausgenommen<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

21


SONDERVERÖFFENTLICHUNG DER TOOM BAUMARKT GMBH<br />

Kunststoffabfälle lassen sich häufig umweltfre<strong>und</strong>lich weiterverwenden – beispielsweise als Verpackungsmaterial.<br />

NACHHALTIGE OPTIMIERUNG<br />

VON VERPACKUNGEN<br />

Mit mehr als 220 Kilogramm pro Kopf <strong>und</strong><br />

Jahr ist Deutschland europäischer Spitzenreiter<br />

beim Anfall von Verpackungsabfall.<br />

toom setzt auf Maßnahmen, Verpackungen<br />

zu vermeiden, zu verringern <strong>und</strong> zu<br />

verbessern. Gerade bei Kunststoffverpackungen<br />

steht der Aufbau von Stoffkreisläufen<br />

im Vordergr<strong>und</strong>. Bereits<br />

2011 hat toom als erster Baumarkt<br />

in Deutschland Dispersionsfarben<br />

in Eimern aus Kunststoff-Rezyklat<br />

eingeführt <strong>und</strong> damit eine Vorreiterrolle<br />

für die Umweltfre<strong>und</strong>lichkeit<br />

von Verpackungen in der Branche<br />

übernommen. Bis Ende 2018 waren<br />

das über 4 Millionen Gebinde. Die Eimer<br />

sparen gegenüber herkömmlichen<br />

Verpackungen r<strong>und</strong> 30 Prozent an CO 2<br />

Emissionen ein.<br />

Rezyklat-Kreislauf<br />

Fast die Hälfte aller Verpackungsabfälle<br />

fallen in privaten Haushalten an. Das sind<br />

ca. 8,5 Millionen Tonnen pro Jahr. Fast ein<br />

Viertel davon gehören zur Kunststofffraktion<br />

<strong>und</strong> werden über die Haushaltssammlungen<br />

(Gelber Sack) erfasst. Nur ein kleiner Teil<br />

wird bisher stofflich wiederverwendet.<br />

Laut Verpackungsverordnung sollen es bei<br />

Kunststoffverpackungen mindestens 36<br />

Prozent sein. Bis 2022 wird eine Quote von<br />

63 Prozent vorgegeben. toom ist sich hier<br />

seiner Verantwortung bewusst. Der<br />

respektvolle <strong>und</strong> ressourcenschonende<br />

Umgang mit der<br />

Umwelt ist ein fester Bestandteil<br />

der Unternehmenskultur.<br />

Allein mit der Umstellung auf<br />

Rezyklatgebinde im Bereich Anstrichmittel<br />

wurden so bis Ende<br />

2018 r<strong>und</strong> 900 Tonnen an Kohlendioxidausstoß<br />

eingespart. Da die<br />

Rezyklat-Gebinde nach Gebrauch<br />

wieder dem Recycling zugeführt<br />

werden können, wird der Stoff-<br />

© toom, Adobe Stock<br />

22 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


SONDERVERÖFFENTLICHUNG DER TOOM BAUMARKT GMBH<br />

kreislauf geschlossen. toom übernimmt so<br />

Verantwortung für die stoffliche Verwertung<br />

gebrauchter Einwegverpackungen aus der<br />

Haushaltssammlung.<br />

Und auch aktuell arbeitet das Unternehmen<br />

an weiteren nachhaltigeren Produkten <strong>und</strong><br />

Verpackungen <strong>und</strong> wird ab diesem Jahr<br />

ebenso die Kreidefarben der toom Eigenmarke<br />

sowie das Sortiment von toom Xpress<br />

in Rezyklatgebinden anbieten.<br />

Vermeiden, verringern, verbessern<br />

Im Zuge der stetigen Sortimentsumgestaltung<br />

sind bei toom weitere alternative Maßnahmen<br />

geplant: Im losen Verkauf gibt es<br />

zum Beispiel den Bereich Schrauben/Eisenwaren.<br />

Hier können K<strong>und</strong>en bedarfsgerecht<br />

die Menge einkaufen, die sie benötigen.<br />

Derzeit stehen den K<strong>und</strong>en dafür Beutel aus<br />

Polyethylen zur Verfügung. In einigen Märkten<br />

testet toom momentan nachhaltigere<br />

Varianten aus Papier in kleinerem Format.<br />

Neben dem Ersatz von herkömmlichen<br />

Kunststoffen durch Rezyklat arbeitet die<br />

Kölner Baumarktkette zudem daran, Masse<br />

<strong>und</strong> Volumina von Verpackungen zu reduzieren,<br />

auf zertifizierte Materialien (wie FSC/<br />

PEFC oder Altpapier) umzusteigen, sowie<br />

die Recyclingfähigkeit von Verpackungen zu<br />

verbessern, um wichtige Rohstoffkreisläufe<br />

zu schließen. Zudem verzichtet toom bereits<br />

seit Mitte 2018 auf jegliche Einwegtüten.<br />

Als Ersatz bieten die Märkte ihren K<strong>und</strong>en<br />

umweltschonende Mehrwegvarianten in<br />

unterschiedlichen Größen an: So können sie<br />

zwischen trendigen Baumwolltragetaschen<br />

für 1,79 Euro, Permanent-Tragetaschen<br />

aus Recyclingmaterial oder Kartons ab 79<br />

Cent das Stück wählen. Ist eine der toom<br />

Mehrwegtragetaschen kaputt, erhält der<br />

K<strong>und</strong>e als zusätzlichen Service im Tausch<br />

eine <strong>neue</strong> Tasche.<br />

REWE Group-Leitlinie für<br />

nachhaltigere Verpackungen<br />

Die REWE Group hat ihre erste Leitlinie für<br />

umweltfre<strong>und</strong>lichere Verpackungen veröffentlicht.<br />

Darin verpflichtet sich der Konzern dazu,<br />

sämtliche Eigenmarken-Verkaufsverpackungen<br />

sowie Serviceverpackungen bei REWE, PENNY<br />

<strong>und</strong> toom Baumarkt bis Ende 2<strong>03</strong>0 hinsichtlich<br />

ihrer Umweltfre<strong>und</strong>lichkeit zu optimieren. Bis<br />

heute wurden schon mehr als 1.000 Artikel<br />

überarbeitet.<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

23


SONDERVERÖFFENTLICHUNG DER TOOM BAUMARKT GMBH<br />

Floritray – ein <strong>neue</strong>s Mehrwegsystem<br />

für den Pflanzentransport<br />

Ziel ist es, das Thema Verpackungsvermeidung auch im Pflanzenbereich mit einem Kreislaufsystem<br />

für Pflanzenpaletten weiter voranzutreiben.<br />

Pflanzenpaletten. Gärtner holen die Paletten<br />

ab <strong>und</strong> nutzen sie für die Anlieferung<br />

der Artikel. toom verwendet diese Paletten<br />

dann, um die Ware weiter Richtung der<br />

Baumärkte zu verteilen. Aus den Märkten<br />

werden die Paletten wieder zurücktransportiert<br />

<strong>und</strong> dem Systembetreiber<br />

zurückgegeben. Nach der Reinigung<br />

gelangen sie wieder in<br />

die Nutzung beim Gärtner,<br />

ohne mit jedem Umlauf<br />

erneut Kunststoffmüll zu<br />

erzeugen. Mit Beginn der<br />

Saison 2020 werden erstmals<br />

in Pilotversuchen die sogenannten<br />

Pflanzentrays bei toom auf eine Mehrwegvariante<br />

umgestellt. Wenn die Tests erfolgreich<br />

verlaufen, ist eine Ausweitung geplant.<br />

Das <strong>neue</strong> Mehrwegsystem soll helfen,<br />

den <strong>Müll</strong>berg im Gartenbereich drastisch<br />

zu reduzieren. „Die Paletten werden aus<br />

Post-Consumer Recyclingmaterial hergestellt<br />

<strong>und</strong> können ähnlich wie z.B. Mineralwasserkästen<br />

vielfach genutzt werden“,<br />

erklärt Theo Keysers, Purchasing Director<br />

Plant and Logistics.<br />

Studien besagen, dass solche Mehrwegsysteme<br />

bis zu 30 Prozent CO 2<br />

einsparen<br />

können (bei 10 Umläufen <strong>und</strong> 500 km<br />

Reichweite), da der verhältnismäßig große<br />

Anteil CO 2<br />

, der während der Herstellung<br />

der Paletten entsteht, durch die mehrmalige<br />

Nutzung relativiert wird. Zusätzlich<br />

zur CO 2<br />

-Einsparung leistet dieses Produkt<br />

einen wichtigen Beitrag bei der stofflichen<br />

Verwertung gebrauchter Verpackungen –<br />

genau wie die Farbeimergebinde.<br />

R<strong>und</strong> 8 Millionen Pflanzenpaletten werden jährlich alleine bei toom genutzt, um Pflanzen von der<br />

Gärtnerei bis zum K<strong>und</strong>en zu bringen.<br />

„<strong>Nachhaltig</strong>keit ist ein wichtiges strategisches<br />

Thema bei toom <strong>und</strong> wir möchten<br />

unseren K<strong>und</strong>en bei vielen Themen <strong>und</strong><br />

in vielen Produktbereichen Alternativen<br />

anbieten. Das Thema Verpackungen spielt<br />

in diesem Zusammenhang eine große Rolle<br />

<strong>und</strong> wir sehen großes Potential für weitere<br />

Verbesserungen“, so Theo Keysers.<br />

R<strong>und</strong> 8 Millionen Pflanzenpaletten werden<br />

jährlich alleine bei toom genutzt, um Pflanzen<br />

von den Gärtnereien über Läger <strong>und</strong><br />

Märkte schließlich zum K<strong>und</strong>en zu bringen.<br />

Eine erneute Nutzung der Paletten erfolgt<br />

in der Regel nicht. Somit stellt die Ein-<br />

mal-Pflanzenpalette eine große Quelle für<br />

Kunststoffabfall dar. toom hat sich nun zum<br />

Ziel gesetzt, das Thema Verpackungsvermeidung<br />

auch im Pflanzenbereich weiter voran<br />

zu treiben <strong>und</strong> wird Teilnehmer am Floritray<br />

Mehrwegsystem, einem Kreislaufsystem für<br />

www.toom.de<br />

© toom, Floritray | © toom<br />

24 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


PLASTIK – DIE WELT VERSINKT IM MÜLL | SCHWERPUNKT<br />

JETZT PACKEN WIR AN!<br />

Die Schülerinitiative „Grafing Goes Green“ kämpft gegen <strong>Plastik</strong>verpackungen<br />

Egal ob beim Bäcker, Metzger, Asiaten oder Dönerladen: Überall bekommt man seinen Einkauf verpackt –<br />

meist in <strong>Plastik</strong>. Um für dieses Problem zu sensibilisieren <strong>und</strong> auf umsetzbare Lösungsansätze aufmerksam<br />

zu machen, wurde die Schülerinitiative „Grafing Goes Green“ gegründet.<br />

Von Jasmin Ringer <strong>und</strong> Lisa von Eitzen<br />

„Die Jugendlichen heutzutage hängen doch nur noch alle<br />

am Handy!“ oder „Freitags demonstrieren, aber selbst<br />

um die halbe Welt fliegen!“ Solche <strong>und</strong> ähnliche Vorwürfe<br />

hören wir Schüler nun seit Monaten. Bei unserem<br />

Engagement für „Fridays for Future“ ging es uns zugegebenermaßen<br />

anfangs nur darum, unsere Ängste <strong>und</strong><br />

die daraus resultierenden Forderungen von der Straße in<br />

die Köpfe der Bürger <strong>und</strong> Politiker zu bringen. Jetzt ist es<br />

allerdings an der Zeit, selbst zur Verwirklichung unserer<br />

Ziele beizutragen. Deshalb haben wir, allesamt Schüler des<br />

Gymnasiums Grafing, unser Projekt „Grafing Goes Green“<br />

ins Leben gerufen.<br />

Auch eine Initiative braucht Initiative<br />

Wie hat alles überhaupt angefangen? Als einzige Klasse<br />

unserer Schule nahmen wir Anfang Februar geschlossen an<br />

der globalen „Fridays For Future“-Demonstration in München<br />

teil. Motiviert durch das außerordentliche Engagement <strong>und</strong><br />

die Ziele, die sich andere Schüler gesetzt <strong>und</strong> teilweise schon<br />

erreicht hatten, kehrten wir voller Tatendrang zurück nach<br />

Grafing. Dort beschlossen wir, eine Initiative zu starten, die<br />

die Welt retten <strong>und</strong> alle Umweltprobleme lösen sollte. Nach<br />

ein paar Meetings fiel uns jedoch auf, dass wir uns etwas zu<br />

viel vorgenommen hatten, was hitzige Diskussionen auslöste<br />

<strong>und</strong> für allgemeine Frustration sorgte.<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

Gedruckt auf Steinbeis Charisma Silk – hergestellt aus 100 % Altpapier, ausgezeichnet mit dem Blauen Engel. Ein Produkt der Steinbeis Papier GmbH.<br />

25


SCHWERPUNKT | PLASTIK – DIE WELT VERSINKT IM MÜLL<br />

In der Schule: Nach jeder Pause türmen sich Berge von Verpackungsmüll. <strong>Plastik</strong>flaschen, Styroporbehälter, Trinkbecher, Tüten. Die Abfalleimer<br />

müssen immer öfter geleert werden, der Hausmeister stöhnt <strong>und</strong> sieht kein Ende der <strong>Müll</strong>flut. Doch jetzt handeln die Schüler...<br />

Dann aber die Erkenntnis: Umweltschutz beginnt auf lokaler<br />

Ebene. Ein Problem, gegen das wir als Schüler etwas bewirken<br />

können, ist der unnötige <strong>Plastik</strong>konsum in unserer Stadt.<br />

Uns waren schon länger die Unmengen an Einwegplastik<br />

aufgefallen, die in den Schulpausen anfallen. Die <strong>Müll</strong>eimer<br />

der Schule quellen über von jeder Menge Styropor- <strong>und</strong><br />

<strong>Plastik</strong>verpackungen, in denen das Mittagessen Tag für Tag<br />

verkauft wird. Auf dem Heimweg gibt es dann für viele noch<br />

einen Coffee-to-go im Einwegbecher.<br />

Wir beschlossen, dieses Problem gemeinsam anzugehen,<br />

<strong>und</strong> langsam kristallisierte sich aus der zunächst unkoordinierten<br />

<strong>und</strong> zu großen Gruppe ein kleineres, fokussierteres<br />

Team mit einer konkreten Idee heraus. Unser Ziel ist es, den<br />

<strong>Plastik</strong>müll in unserer Kleinstadt deutlich zu reduzieren. So<br />

drehten sich all unsere Überlegungen darum, wie es uns<br />

gelingen könnte, unsere Mitbürger dahingehend wachzurütteln,<br />

ihren unbewussten <strong>Plastik</strong>konsum zu überdenken<br />

<strong>und</strong> schließlich zu reduzieren.<br />

„Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“<br />

Erich Kästner<br />

Voilà, unsere Idee<br />

Angefangen haben wir erstmal bei uns selbst. Statt unser<br />

Mittagessen in Kunststoff verpackt zu kaufen, nahmen wir<br />

Brotzeitdosen mit in die Geschäfte <strong>und</strong> baten darum, das<br />

Essen direkt in diese zu füllen. Viele Läden reagierten zwar<br />

überrascht, aber sehr entgegenkommend <strong>und</strong> waren gerne<br />

bereit, uns diesen Gefallen zu tun. Diese positive Erfahrung<br />

hat uns motiviert, den eingeschlagenen Weg noch zielsicherer<br />

fortzusetzen. Da durch diesen minimalen Aufwand einiges<br />

an <strong>Plastik</strong> eingespart werden konnte, entschieden wir, durch<br />

unser Projekt auch andere Schüler <strong>und</strong> Erwachsene dazu zu<br />

bewegen, bewusst plastikfrei einzukaufen.<br />

Doch wie bekommt man eine ganze Kleinstadt dazu, auf<br />

die gewohnten, zweifellos hygienischen <strong>und</strong> bequemen<br />

Kunststoffverpackungen zu verzichten? Nach etlichen Diskussionen<br />

<strong>und</strong> vielen schnell wieder verworfenen Ideen<br />

einigten wir uns darauf, eine Stempelkarte einzuführen: Alle<br />

teilnehmenden Geschäfte werden mit unserem Logo an ihrer<br />

Tür gekennzeichnet. Dort erhält man für jeden plastikfreien<br />

Einkauf einen Stempel auf seine Karte. Nach Erreichen von<br />

zehn Stempeln bekommt man dann eine kleine Belohnung.<br />

Für diese Idee konnten wir bereits einen Sponsor gewinnen,<br />

die „Energieagentur Ebersberg“ <strong>und</strong> <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong><br />

<strong>Wirtschaften</strong>.<br />

Die Steine in unserem Weg…<br />

Doch natürlich gibt es bei unserem Vorhaben – wie könnte es<br />

anders sein – auch Probleme. Eine der ersten Anlaufstellen<br />

für unser Projekt war eine örtliche Metzgerei. Begeistert<br />

stellten wir uns <strong>und</strong> unsere Idee vor, wurden jedoch gleich<br />

enttäuscht. Man wies uns darauf hin, dass unsere Ideen leider<br />

nicht mit den deutschen Hygienevorschriften zu vereinbaren<br />

seien. Diese verbieten es nämlich, Brotzeitboxen <strong>und</strong> andere<br />

Behältnisse hinter die Theke zu nehmen, da dadurch die Ware<br />

mit Keimen verunreinigt werden könnte. Deshalb sind den<br />

Ladenbesitzern in diesem Punkt, trotz ihrer Bereitschaft, an<br />

der Reduzierung ihres <strong>Plastik</strong>mülls mitzuwirken, die Hände<br />

geb<strong>und</strong>en.<br />

Ein weiteres Hindernis sind Waren, die den Geschäften bereits<br />

in Kunststoff vorverpackt angeboten werden. Möchte<br />

man diese ohne <strong>Plastik</strong> kaufen, kann man die Verpackung<br />

zwar in der Filiale lassen, damit wäre allerdings nichts erreicht.<br />

Ob die Abfälle im Laden oder in den Haushalten<br />

anfallen, verändert nur den Ort der Entsorgung, nicht aber<br />

das gr<strong>und</strong>sätzliche Problem.<br />

…<strong>und</strong> wie wir damit umgingen<br />

Es ist aber möglich, Frischwaren, wie Fleisch oder Käse, mit<br />

Brotzeitboxen einzukaufen ohne die Hygienevorschriften zu<br />

Fotos: © GrafingGoesGreen<br />

26 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


...mit ihrer Initiative Grafing Goes Green haben sie nicht nur dem <strong>Müll</strong> an der Schule den Kampf angesagt. In Zusammenarbeit mit örtlichen Geschäften<br />

wollen sie eine <strong>neue</strong> Kultur im Umgang mit Einwegverpackungen <strong>und</strong> Wegwerfprodukten entwickeln. Erste Erfolge zeichnen sich ab.<br />

verletzen. Beispielsweise darf der Verkäufer bei REWE seine<br />

K<strong>und</strong>en mit Mehrwegbehältern folgendermaßen bedienen:<br />

Die geöffnete Dose wird auf ein spezielles Tablett gelegt, was<br />

entgegengenommen werden darf. Die Ware wird dann in die<br />

Box eingefüllt, welche dann der K<strong>und</strong>e selbst schließt. So<br />

hat der Verkäufer keinen Kontakt mit der Dose <strong>und</strong> verletzt<br />

keine Vorschriften.<br />

Um andere Probleme, wie vorverpackte Waren, zu lösen,<br />

ist eine eher langfristige <strong>und</strong> enge Zusammenarbeit mit den<br />

Geschäften <strong>und</strong> ihren Zulieferern notwendig, um gemeinsam<br />

an <strong>neue</strong>n, nachhaltigen Lösungen zu arbeiten.<br />

Wer behauptet, Klima- <strong>und</strong> Umweltschutz<br />

sei eine Sache für Profis, der<br />

hat völlig recht! Denn wir Kinder <strong>und</strong><br />

Jugendlichen sind nicht nur die Profis in<br />

Sachen Zukunft – WIR sind die Zukunft!<br />

einer Grafinger <strong>Nachhaltig</strong>keitsmesse <strong>und</strong> ein Infostand auf<br />

dem Marktplatz angedacht, um die Bewohner unserer Stadt<br />

für dieses Projekt zu begeistern.<br />

Uns ist selbstverständlich bewusst, dass wir uns mit diesem<br />

Projekt viel vorgenommen haben, da Schüler- <strong>und</strong> Umweltinitiativen<br />

anfangs nicht recht ernst genommen werden <strong>und</strong><br />

einen langen Atem <strong>und</strong> viel Idealismus brauchen. Allerdings<br />

haben wir in der kurzen Zeit, in der wir jetzt an diesem<br />

Thema arbeiten, so viel positive Resonanz von unterschiedlichen<br />

Seiten erfahren, dass wir sehr optimistisch <strong>und</strong> nun<br />

noch motivierter anpacken wollen. Und so blicken wir mit<br />

Vorfreude <strong>und</strong> Spannung in die Zukunft <strong>und</strong> hoffen, durch<br />

unser Projekt möglichst viele Menschen erreichen <strong>und</strong> inspirieren<br />

zu können.<br />

www.grafinggoesgreen.de<br />

JASMIN RINGER <strong>und</strong> LISA VON EITZEN<br />

besuchen als Schülerinnen des Gymnasiums Grafing die 10. Klasse<br />

<strong>und</strong> sind Aktivistinnen bei Grafing Goes Green<br />

Wie geht’s jetzt weiter?<br />

Der oberste Punkt unserer To-do-Liste ist die Verbesserung<br />

der Zusammenarbeit mit den örtlichen Geschäften <strong>und</strong><br />

Supermärkten. Durch den Wirtschaftsförderer der Stadt<br />

Grafing, Tim Grebner, erhielten wir die Möglichkeit, erste<br />

Kontakte zu ortsansässigen Geschäftsleuten zu knüpfen.<br />

Somit wollen wir den interessierten Geschäften eine Kooperation<br />

mit uns als Win-win-Situation vorstellen: Sie erhalten<br />

die lukrative Möglichkeit, <strong>neue</strong> K<strong>und</strong>en zu gewinnen <strong>und</strong> ihr<br />

Image durch nachhaltiges Handeln zu verbessern.<br />

Darüber hinaus ist eine öffentliche Präsentation unseres<br />

Projekts in Planung, zu welcher interessierte Bürger <strong>und</strong><br />

Ladenbesitzer herzlich eingeladen sind. Dadurch wollen wir<br />

die Grafinger für unsere Idee <strong>und</strong> zur aktiven Teilnahme begeistern.<br />

Für die Zukunft sind eventuell auch ein Stand auf<br />

Fakten zur <strong>Plastik</strong>krise<br />

• 2018 hat Deutschland 423.000 Tonnen <strong>Plastik</strong>müll nach Malaysia,<br />

Hongkong, Indien, Indonesien, Vietnam <strong>und</strong> in andere Länder<br />

exportiert <strong>und</strong> ist damit der weltweit drittgrößte <strong>Plastik</strong>müll-<br />

Exporteur nach den USA <strong>und</strong> Japan.<br />

• Der exportierte <strong>Plastik</strong>müll wird zum Beispiel in Malaysia häufig<br />

verbrannt oder illegal entsorgt, in beiden Fällen werden Boden,<br />

Wasser <strong>und</strong> Luft mit chemischen Schadstoffen verschmutzt.<br />

• 2050 wird voraussichtlich dreimal so viel <strong>Plastik</strong> wie Fisch in den<br />

Meeren schwimmen.<br />

• Seit 1950 wurden 8,3 Mrd. Tonnen Kunststoff erzeugt, wovon nur<br />

600 Mio. Tonnen recycelt <strong>und</strong> 800 Mio. verbrannt wurden.<br />

• Mit 11,7 Mio. Tonnen verbraucht Deutschland so viel <strong>Plastik</strong> wie<br />

kein anderes Land in Europa.<br />

Es ist also höchste Zeit zu handeln.<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

27


THEMEN | GRÜNDER FÜR DIE ZUKUNFT<br />

TRANSFORMATION<br />

DURCH ZERSTÖRUNG<br />

Entrepreneurship als Chance für nachhaltige Entwicklung<br />

Vom 23. bis 25. September <strong>2019</strong> werden B<strong>und</strong>eskanzlerin Merkel <strong>und</strong> zahlreiche weitere Staats- <strong>und</strong><br />

Regierungschefs der Welt in New York zu den <strong>Nachhaltig</strong>keits- <strong>und</strong> Klimagipfeln der Vereinten Nationen<br />

zusammenkommen. Sowohl im Klima- als auch im <strong>Nachhaltig</strong>keitsbereich sind nach aktuellen Zahlen weder<br />

Deutschland <strong>und</strong> Europa noch der Rest der Welt ‚on track‘. Wenn es so weitergeht wie bisher, dann<br />

scheitern wir krachend. Von einer großen Transformation hin zu einer nachhaltigen Zukunft auf unserem<br />

Planeten sind wir meilenweit entfernt. Neue Impulse <strong>und</strong> konkrete Lösungen müssen dringend her: Können<br />

Entrepreneure eine treibende Kraft sein <strong>und</strong> wirksam zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen?<br />

Von Stefan Schaltegger <strong>und</strong> Anna Michalski<br />

Kein Hunger, verantwortungsvoller Konsum, bezahlbare <strong>und</strong><br />

saubere Energie – für alle, weltweit, bis 2<strong>03</strong>0. Die globalen<br />

Entwicklungsziele (SDG) der Vereinten Nationen sind bisher<br />

vor allem ein riesiges Versprechen. In die große weite<br />

Welt brauchen wir dabei gar nicht zu schauen, ein Blick auf<br />

deutsche Straßen genügt: Der Anteil von Elektrofahrzeugen<br />

liegt bei knapp drei Prozent – angetrieben von Strom, der<br />

noch immer zu 60 Prozent aus Braun- <strong>und</strong> Steinkohle, Erdgas<br />

sowie Kernkraft kommt. Egal ob Mobilität, Verkehrswende,<br />

Nitratbelastung oder <strong>Plastik</strong>müll, wir brauchen dringend<br />

nachhaltigere Lösungen: <strong>neue</strong> Mobilitätsformen, andere<br />

Energiequellen, andere Lebensmittel, andere Gebäude.<br />

Etablierte Akteure in Politik <strong>und</strong> Wirtschaft haben dabei<br />

bisher versagt. Verwaltungen <strong>und</strong> große Unternehmen sind<br />

zu verkrustet, um wirklich innovative Lösungen anzugehen.<br />

Entrepreneure als Antreiber<br />

Den Status quo herausfordern <strong>und</strong> <strong>neue</strong> Lösungen entwickeln,<br />

um Vorheriges zu ersetzen. Das kennzeichnet Entrepreneure.<br />

Attraktive Elektroautos etwa entwickelt nicht die<br />

deutsche Automobilindustrie, sondern Unternehmer Elon<br />

Musk. Schumpeter beschrieb das schon vor einem halben<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert als „schöpferische Zerstörung“ des Bisherigen<br />

durch das Schaffen von Neuem, das überzeugender ist.<br />

Geschäftsmodelle überdenken, Bestehendes umwerfen,<br />

scheitern – <strong>und</strong> auch bei Gegenwind nicht die Segel streichen,<br />

sondern es noch einmal probieren. Innovation ist<br />

essenziell für eine nachhaltige Entwicklung. Konkret etwas<br />

zu „unter“-„nehmen“ geht dabei über rechtliche Firmenstrukturen<br />

hinaus. „Sustainable Entrepreneurship“ bedeutet,<br />

den <strong>Nachhaltig</strong>keitswandel von Märkten, Konsummustern<br />

<strong>und</strong> Lebensstilen auf unternehmerische Weise voranzutreiben<br />

– egal ob in Firmen, in Non-Profit-Organisationen oder<br />

im öffentlichen Sektor.<br />

SDG als Vision <strong>und</strong> Inspirationsquelle<br />

Eine Transformation hin zu einer enkeltauglichen Welt erfordert<br />

die kreative „Zerstörung“ nicht-nachhaltiger Produktions-,<br />

Konsum- <strong>und</strong> Lebensformen durch das überzeugende Angebot<br />

nachhaltigerer Lösungen. Aber wie <strong>und</strong> wo anfangen?<br />

Um einen Wandel zu erreichen, ist eine positive Vision von<br />

hoher Bedeutung. Sie konkretisiert die Chancen des Neuen<br />

<strong>und</strong> reduziert die Angst vor dem Verlust des Bekannten.<br />

Die UN Sustainable Development Goals (SDG) übernehmen<br />

28 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


GRÜNDER FÜR DIE ZUKUNFT | THEMEN<br />

vermehrt eine solche Funktion. Der umfangreiche Katalog<br />

der SDG mit 17 Zielen <strong>und</strong> 169 Unterzielen zeigt, worauf<br />

sich die Weltgemeinschaft geeinigt hat, für welche Herausforderungen<br />

wir Lösungen benötigen. Jedes Ziel für sich<br />

kann ein Ausgangspunkt für Innovationen <strong>und</strong> Sustainable<br />

Entrepreneurship sein. Die Tabelle zeigt Beispiele für Geschäftsideen<br />

<strong>und</strong> -felder, die sich aus ausgewählten SDG<br />

ergeben (siehe Tabelle).<br />

Über den Tellerrand schauen<br />

Ein einzelnes SDG, also der Fokus auf ein einzelnes Thema,<br />

macht die komplexen Herausforderungen handhabbar. Sich<br />

auf ein SDG zu konzentrieren, ist aber auch eine Gefahr.<br />

Denn um <strong>Nachhaltig</strong>keits-Herausforderungen wirksam zu<br />

lösen, braucht es unbedingt den Blick über den Tellerrand<br />

des eigenen Themenschwerpunkts. Ein Beispiel: Wer den<br />

Klimawandel durch die Produktion von Bio-Kraftstoffen eindämmt,<br />

trägt so zur Erreichung von SDG 13 („Maßnahmen<br />

zum Klimaschutz”) bei. Wenn Flächen intensiv für den Anbau<br />

von Bio-Kraftstoffen genutzt werden, belastet dies aber<br />

Böden, zerstört möglicherweise Lebensräume für Tiere <strong>und</strong><br />

Pflanzen oder verdrängt den Anbau von Lebensmitteln auf<br />

Ackerflächen. Zwischen einzelnen SDG gibt es umfangreiche<br />

Interdependenzen.<br />

Es geht nur gemeinsam<br />

Um <strong>Nachhaltig</strong>keitsprobleme zu lösen, sind deshalb inter<strong>und</strong><br />

transdisziplinäre Ansätze nötig. Meist kann kein einzelner<br />

Mensch alle Aspekte in der Analyse <strong>und</strong> beim Entwickeln<br />

von Lösungen abschließend erfassen. Unternehmerische<br />

Kollaboration <strong>und</strong> kollaboratives Unternehmertum sind<br />

notwendig, um nachhaltige Entwicklung wirksam unternehmerisch<br />

zu unterstützen. Open Innovation-Ansätze helfen<br />

bei der Entwicklung von Lösungen: Wer verschiedene Stakeholder<br />

– etwa K<strong>und</strong>en, Mitarbeiter, Lieferanten <strong>und</strong> gesellschaftliche<br />

Akteure – in den Innovationsprozess einbindet,<br />

findet neuartige Lösungen <strong>und</strong> auch Unterstützung, diese<br />

umzusetzen. Denn durch verschiedene Betrachtungswege<br />

<strong>und</strong> -winkel können Irrwege <strong>und</strong> Fehlannahmen gemeinsam<br />

aufgespürt werden.<br />

„ Wirtschaftlicher Erfolg <strong>und</strong> <strong>Nachhaltig</strong>keit<br />

werden in Zukunft untrennbar verb<strong>und</strong>en sein.<br />

Der CSR-Preis der B<strong>und</strong>esregierung dient auch<br />

gegenüber Konsumenten als Gütesiegel einer<br />

zukunftsorientierten Unternehmensführung.<br />

Nanda Bergstein, Direktorin Unternehmensverantwortung Tchibo GmbH,<br />

Preisträgerunternehmen des CSR-Preises der B<strong>und</strong>esregierung 2013<br />

BEWERBEN<br />

SIE SICH JETZT!<br />

CSR-PREIS DER BUNDESREGIERUNG<br />

WWW.CSR-PREIS-BUND.DE<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

29


THEMEN | GRÜNDER FÜR DIE ZUKUNFT<br />

„It’s not all about money”<br />

Aus ökonomischer Sicht werden Entrepreneure üblicherweise<br />

als profitorientierte Akteure charakterisiert, die durch<br />

Innovationen Gewinne maximieren möchten. Das ist falsch.<br />

Die Forschung zeigt, dass ihre Motive weit über finanzielle<br />

(Wachstums-)Ziele hinausgehen <strong>und</strong> diverser sind: Selbstverwirklichung,<br />

Einfluss, Macht, Sozial- oder Umweltbewusstsein.<br />

„Die Welt verändern”, das motiviert immer mehr<br />

Entrepreneure. Und genau dieser geteilte Zielrahmen <strong>und</strong><br />

Antrieb sorgt dafür, dass Zusammenarbeit häufig besonders<br />

gut funktioniert. <strong>Nachhaltig</strong>keit macht Zusammenarbeit also<br />

nicht nur notwendiger, sondern auch wahrscheinlicher <strong>und</strong><br />

erfolgreicher.<br />

Packen Sie es an<br />

<strong>Nachhaltig</strong>es Unternehmertum ist nichts für Einzelgänger<br />

– aber genau das Richtige für gemeinsames Handeln. Für<br />

alle, die nachhaltige Entwicklung im Team anpacken möchten.<br />

Wer offen mit anderen zusammenarbeitet, inter- <strong>und</strong><br />

transdisziplinär Wissen teilt, kann ganzheitliche Innovationen<br />

<strong>und</strong> Lösungen erfolgreich schaffen. Es sagt niemand, das sei<br />

leicht. Aber kollaboratives, nachhaltiges Unternehmertum ist<br />

notwendig, wertvoll <strong>und</strong> sinnstiftend.<br />

www.leuphana.de<br />

PROF. DR. DR. H.C. STEFAN SCHALTEGGER<br />

ist Professor für <strong>Nachhaltig</strong>keitsmanagement <strong>und</strong> Leiter des Centre<br />

for Sustainability Management (CSM) der Leuphana Universität<br />

Lüneburg. 20<strong>03</strong> führte er mit dem MBA Sustainability Management<br />

den weltweit ersten universitären MBA-Studiengang für <strong>Nachhaltig</strong>keitsmanagement<br />

<strong>und</strong> CSR ein.<br />

ANNA MICHALSKI<br />

ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im MBA Sustainability Management.<br />

SDG<br />

UN-Ziel für nachhaltige Entwicklung<br />

Mögliche unternehmerische<br />

Aktionsbereiche<br />

Beispiele für Sustainable Entrepreneurship<br />

Kein Hunger<br />

Ernährungssicherheit; Verbesserung<br />

von landwirtschaftlichen Strukturen <strong>und</strong><br />

Praktiken<br />

Gründung von regionalen Agrar- <strong>und</strong><br />

Versorgungskooperativen /Bio-Ernährungssysteme;<br />

Beispiel: Seedforward, organische<br />

Saatgutbehandlung zur Ertragssteigerung<br />

www.seedforward.de<br />

Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Wohlergehen<br />

Bereitstellung ärztlicher Versorgung;<br />

Finanzierung von Sportanlagen für die<br />

Öffentlichkeit<br />

Aufbau von Hilfsnetzwerken in ländlichen<br />

Gebieten; Angebot von ges<strong>und</strong>en Lebensmitteln;<br />

Bekämpfung von Hunger; Beispiel:<br />

HealthPoverty<br />

www.healthpovertyaction.org<br />

Sauberes Wasser <strong>und</strong><br />

Sanitäreinrichtungen<br />

Infrastruktur für Trinkwasser <strong>und</strong> Sanitäreinrichtungen,<br />

Wasserreinigung;<br />

Wassersparen<br />

Technische <strong>und</strong> organisatorische Lösungen<br />

für Hygiene- <strong>und</strong> Sanitärbedürfnisse;<br />

Beispiel: Hydrophil, Hygieneartikel aus<br />

nachwachsenden Rohstoffen<br />

www.hydrophil.com<br />

Bezahlbare <strong>und</strong> saubere Energie<br />

Planung, Organisation <strong>und</strong> Finanzierung<br />

er<strong>neue</strong>rbarer Energien <strong>und</strong> von Energiesparprojekten<br />

Lösungen für Wind-, Solar-, Hydro- <strong>und</strong><br />

Biomasseenergie <strong>und</strong> Energieeinsparung;<br />

Beispiel: Coolar, stromloser Kühlschrank<br />

(kühlt mit Wärme statt mit Strom)<br />

www.coolar.co<br />

<strong>Nachhaltig</strong>e/r Konsum <strong>und</strong><br />

Produktion<br />

Konsumentenaufklärung sowie Entwicklung<br />

ges<strong>und</strong>er <strong>und</strong> nachhaltiger Produkte<br />

Entwicklung von Produkten <strong>und</strong> Dienstleistungen<br />

wie ges<strong>und</strong>e Lebensmittel,<br />

nachhaltige Kleidung, ges<strong>und</strong>es Schulessen;<br />

Beispiel: Jamie Olivers Initiative for healthy<br />

school food<br />

www.jamiesfoodrevolution.org<br />

Leben unter Wasser<br />

Entwicklung einer nachhaltigen Fischereiwirtschaft<br />

Entwicklung von Produkten, Standards <strong>und</strong><br />

Organisationen für nachhaltige Fischerei;<br />

Beispiel: Followfish & Followfood mit<br />

Tracking-Code<br />

www.followfood.de<br />

Quelle: © Schaltegger<br />

30 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


GRÜNDER FÜR DIE ZUKUNFT | THEMEN<br />

Christian Kroll ist ein Held. Als <strong>neue</strong>r Unternehmer-Typus maximiert er nicht den Gewinn, sondern den Sinn seines Unternehmens.<br />

ECOSIA<br />

Der Stoff, aus dem die Bäume sind<br />

Einen Suchanfrage im Internet starten <strong>und</strong> damit das Klima retten? Das geht! Und zwar so gut, dass<br />

Christian Krolls grüne Internet-Suchmaschine Ecosia <strong>und</strong> deren Vorläuferin Forestle einen Preis nach dem<br />

anderen abräumen. Im September erhält er den B.A.U.M.-Umwelt- <strong>und</strong> <strong>Nachhaltig</strong>keitspreis <strong>2019</strong> in der<br />

Kategorie „Digitalisierung“. Doch nicht nur hierfür gebührt ihm Bew<strong>und</strong>erung. Noch mehr jedoch dafür,<br />

dass er sich sein Unternehmen selber wegnimmt…<br />

Foto: © Shane Thomas McMillan<br />

Von Fritz Lietsch<br />

In Oktober 2018 treffe ich Christian Kroll beim Bäume-Pflanzen<br />

in Spanien. Spontan hatte er sich bereit erklärt, unser<br />

RE-generation Festival zu besuchen <strong>und</strong> nicht nur zu tanzen<br />

<strong>und</strong> zu feiern, sondern auch gemeinsam mit uns Bäume zu<br />

pflanzen <strong>und</strong> über Ecosia zu erzählen. Was könnte es Schöneres<br />

geben, als sich im Schatten nach getaner Arbeit von<br />

Christian die Geschichte seines Unternehmens erzählen zu<br />

lassen.<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

31


Ein stolzes Team: Ecosia kann nicht mehr meistbietend verkauft werden, sondern ist per Satzung einzig <strong>und</strong> allein der Zielsetzung gewidmet,<br />

eine bäumepflanzende Suchmaschine zu sein. Das gibt Sicherheit für K<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Mitarbeiter <strong>und</strong> hält Spekulanten fern.<br />

„Mein Hauptziel heißt Klimaschutz“<br />

Die Idee einer Suchmaschine, die Gutes tut, kam dem studierten<br />

Betriebswirt auf Reisen durch Asien <strong>und</strong> Lateinamerika.<br />

Dort sah Christian Kroll Beispiele für ungerechte Wirtschaftsbeziehungen<br />

<strong>und</strong> für Umweltzerstörung zum Beispiel durch<br />

Abholzung von Regenwald zum Sojaanbau. Nach seiner<br />

Rückkehr gründete er 2009 in Berlin Ecosia.<br />

Ecosia, das mit Microsoft kooperiert <strong>und</strong> seine Suchergebnisse<br />

von Bing übernimmt, finanziert sich, wie andere<br />

Suchmaschinen auch, über Werbeanzeigen. Mindestens<br />

80 Prozent seiner Gewinne investiert Ecosia in Baumpflanzprojekte.<br />

Hierzu arbeitet das Unternehmen mit Partnern vor<br />

Ort in 16 verschiedenen Ländern zusammen. „Für mich ist<br />

die Lösung des Klimawandels die wichtigste Aufgabe der<br />

Menschheit im 21. Jahrh<strong>und</strong>ert“, beschreibt Kroll seine<br />

Motivation. „Wir versuchen, so viele Bäume wie möglich zu<br />

pflanzen, um CO 2<br />

aus der Atmosphäre zu absorbieren. Wir<br />

haben bereits über 60 Millionen Bäume gepflanzt!“ Den<br />

Fortschritt kann jeder User auf der Startseite von Ecosia<br />

beobachten: Unaufhaltsam läuft dort ein Zähler mit der<br />

Anzahl der von den Nutzern gepflanzten – oder finanzierten<br />

– Bäumen.<br />

Für die Mitarbeiter von Ecosia gibt es noch eine analoge<br />

Möglichkeit, die Früchte ihrer Arbeit zu bestaunen: An der<br />

Wand der Fabriketage in Berlin, dem Firmensitz von Ecosia,<br />

hängt eine Tafel mit einem gezeichneten Baum. Stück für<br />

Stück wird seine Krone ausgemalt. Wenn sie voll ist sind 100<br />

Millionen Bäume gepflanzt. Aber auch dann soll noch längst<br />

nicht Schluss sein. Kroll: „Wir wollen in den nächsten Jahren<br />

die Milliarde erreichen.“<br />

Es gibt nichts Wichtigeres als Bäume<br />

Von jedem gepflanzten Baum kennt Ecosia den Standort <strong>und</strong><br />

überwacht die Entwicklung der Bäume durch Stichproben.<br />

Auch sonst setzt das Unternehmen auf Transparenz <strong>und</strong> veröffentlicht<br />

monatlich Finanzberichte <strong>und</strong> Baumpflanzbelege.<br />

Doch Bäume zu pflanzen ist Christian Kroll nicht genug: Den<br />

Stromverbrauch der Server gleicht sein Unternehmen mit<br />

eigenen Solaranlagen aus. Weitere CO 2<br />

-Emissionen entlang<br />

der Wertschöpfungskette – z. B. beim Kooperationspartner<br />

Microsoft – werden durch Zertifikate kompensiert. Zukünftig<br />

möchte Ecosia auch inhaltlich zur „grünen“ Suchmaschine<br />

werden <strong>und</strong> nachhaltige Suchergebnisse für die Nutzer gut<br />

sichtbar hervorheben.<br />

Lieber glücklich als reich!<br />

Dass es ihm um Bäume geht, statt um Profit, hat Christian<br />

Kroll 2018 durch einen weiteren Schritt bewiesen: Er hat<br />

Ecosia in ein „Purpose-Unternehmen“ umgewandelt. Hierzu<br />

übertrug er Unternehmensanteile an die Purpose-Stiftung.<br />

Mit dieser Schenkung verb<strong>und</strong>en ist ein Gesellschaftsvertrag,<br />

der die Stiftung verpflichtet, ein Vetorecht auszuüben,<br />

wenn Ecosia verkauft oder wenn die Gewinne privatwirtschaftlich<br />

genutzt werden sollen – unwiderruflich <strong>und</strong> für<br />

immer. Dadurch hat Christian Kroll Ecosia in ein Unternehmen<br />

verwandelt, das „sich selbst gehört“ – getreu<br />

dem Gr<strong>und</strong>satz des Purpose-Netzwerks „Unternehmen<br />

sind keine Spekulationsgüter“. Wie viel Geld Christian Kroll<br />

durch diesen Schritt verloren hat, kann er nicht beziffern.<br />

Die Zahl schwankt zwischen 25 <strong>und</strong> 100 Millionen Euro.<br />

Aber das ist auch nicht wichtig. Wichtig ist: Es fühlt sich für<br />

ihn einfach richtig an.<br />

Purpose-Stiftung<br />

Ein Unternehmen gehört sich selbst<br />

Die Purpose-Stiftung unterstützt Unternehmen dabei, sich von rein<br />

wirtschaftlichen Interessen von Eigentümern <strong>und</strong> externen Investoren<br />

unabhängig zu machen. Purpose definiert Eigentum neu:<br />

Die Eigentümer dürfen das Unternehmen weder verkaufen, noch<br />

vererben <strong>und</strong> bleiben nur so lange Eigentümer, wie sie auch Verantwortung<br />

für das Unternehmen übernehmen.<br />

Foto: © Shane Thomas McMillan<br />

32 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


GRÜNDER FÜR DIE ZUKUNFT | THEMEN<br />

Die Kraft der Wirtschaft in den Dienst des Gemeinwohls stellen<br />

Seit Jahrzehnten verfolgen Wirtschaftsführer <strong>und</strong> Politiker das Wirtschaftswachstum<br />

als den einzig möglichen Weg zur Generierung<br />

von Arbeitsplätzen <strong>und</strong> zu einem besseren Lebensstandard. Damit<br />

wurden große Fortschritte erzielt, doch in den letzten zwanzig Jahren<br />

ist auch deutlich geworden, dass Menschen <strong>und</strong> Gesellschaften<br />

zunehmend unter den Nebenwirkungen dieses eindimensionalen<br />

Ansatzes leiden – von der starken Verschmutzung <strong>und</strong> Zerstörung<br />

der Natur bis hin zur weit verbreiteten wachsenden Ungleichverteilung<br />

<strong>und</strong> Langzeitarbeitslosigkeit. Deshalb will unser Gipfel von Zermatt<br />

aufzeigen, wie die Wirtschaft dem Gemeinwohl dienen kann.<br />

Eine Initiative von Christopher Wassermann<br />

Nach der Finanzkrise 2008 schien jeder zu glauben, dass die Finanzen<br />

im Mittelpunkt der Wirtschaft stehen <strong>und</strong> der Mensch im Gr<strong>und</strong>e genommen<br />

nur ein „Wirtschafts-Objekt“ sei. Wir wollen dagegen den<br />

Fokus des ökonomischen Paradigmas von Wachstum <strong>und</strong> „Objekten“<br />

auf Wohlbefinden <strong>und</strong> „Menschen“ ausrichten. Unser Credo ist, dass<br />

letztlich die Menschen die Welt verändern – nicht das Geld.<br />

Jedes Jahr treffen sich führende Politiker <strong>und</strong> Unternehmenslenker<br />

aus aller Welt zum Weltwirtschafts<strong>forum</strong> in Davos. Sie teilen eine traditionell<br />

liberale Agenda der Wirtschaft <strong>und</strong> der Marktwirtschaft. Als<br />

Reaktion auf das Weltwirtschafts<strong>forum</strong> hat eine Gruppe von Nichtregierungsorganisationen<br />

(NGOs) 2001 in Porte Alegre, Brasilien, das<br />

Weltsozial<strong>forum</strong> ins Leben gerufen. Im Mittelpunkt des Weltsozial<strong>forum</strong>s<br />

stehen die Bedürfnisse der Menschen <strong>und</strong> der Gesellschaft.<br />

Die Botschaft des Weltsozial<strong>forum</strong>s ist jedoch meist negativ: Es kritisiert<br />

den Status quo <strong>und</strong> schlägt keine konkreten Alternativen vor.<br />

Zwischen Davos <strong>und</strong> Porte Alegre gibt es eine Lücke, die der Gipfel<br />

von Zermatt füllen soll. Wir kritisieren nicht von außen: Der Gipfel<br />

von Zermatt ist ein Ort für Wirtschafts-Insider – für Menschen, die<br />

seit vielen Jahren im Geschäft sind <strong>und</strong> zugleich den notwendigen<br />

Wandel <strong>und</strong> Innovationen im Dienste der Gesellschaft fördern wollen.<br />

Das ist die große Verantwortung der Wirtschaft, denn Unternehmen<br />

sind die wichtigsten wirtschaftlichen <strong>und</strong> sozialen Akteure in der<br />

Gesellschaft. Aber sie brauchen einen ethischen Anker, wie die jüngsten<br />

Skandale um die Verbreitung gefälschter Nachrichten zur Beeinflussung<br />

von Wahlen sowie den Missbrauch privater Daten gezeigt<br />

haben. Ohne Bewusstsein <strong>und</strong> Verantwortung für unser Handeln<br />

kann die Gesellschaft <strong>und</strong> die gesamte Menschheit nur verlieren. Der<br />

belgische Theologe Gérard Fourez sagte: „Ethik beginnt mit dem ersten<br />

Schrei des menschlichen Leidens.“<br />

Das diesjährige Thema des Gipfels, „Entrepreneurship to serve the<br />

common good“, steht im Mittelpunkt unserer Mission. Wie können<br />

wir Systeme zur Erzeugung von Nahrungsmitteln <strong>und</strong> Energie schaffen,<br />

die Mensch <strong>und</strong> Natur respektieren <strong>und</strong> dem Gemeinwohl dienen?<br />

Führungskräfte <strong>und</strong> Manager müssen den gesellschaftlichen<br />

Folgen ihrer Entscheidungen, den „Externalitäten“ ihres Handelns<br />

<strong>und</strong> den Problemen unserer Zeit, die sie mit ihren unternehmerischen<br />

Initiativen lösen können, mehr Aufmerksamkeit schenken. Es<br />

gibt technische Innovationen, eine anhaltende digitale Revolution<br />

<strong>und</strong> parallel dazu verändert sich die Gesellschaft. Innovation kann<br />

auf ein bestimmtes wirtschaftliches Ziel ausgerichtet sein, sollte dabei<br />

jedoch immer auch einen höheren menschlichen Zweck im Auge<br />

haben.<br />

Der jährliche Gipfel von Zermatt bietet die Möglichkeit, zu er<strong>neue</strong>rn<br />

<strong>und</strong> neu zu denken sowie sich einer Gemeinschaft gleichgesinnter<br />

Führungskräfte anzuschließen. Er soll zu einer Referenz für ethisches<br />

<strong>Wirtschaften</strong> werden. Unsere Vision ist es, einen Ort zu bieten, an<br />

dem sich Menschen treffen, um sich inspirieren zu lassen, Innovationen<br />

auszutauschen <strong>und</strong> gemeinsam <strong>neue</strong> Geschäftsmodelle für<br />

eine bessere Welt zu schaffen.<br />

CHRISTOPHER WASSERMAN<br />

ist Präsident der Zermatt Summit Fo<strong>und</strong>ation.<br />

Hinweis<br />

Der mehrsprachige 8. Zermatt Summit findet vom 12. bis 14. September<br />

<strong>2019</strong> in der Schweiz am Füße des Matterhorns statt.<br />

CSR-Management<br />

digital gestalten.<br />

Quentic ist die Software-Lösung, die alle Akteure, Aufgaben<br />

<strong>und</strong> Informationen aus HSE <strong>und</strong> CSR ganzheitlich verbindet.<br />

Dies vereinfacht das Vorgehen für alle Beteiligten enorm.<br />

Profitieren Sie von einem flexiblen System, das für mehr<br />

Austausch, Transparenz <strong>und</strong> Compliance sorgt.<br />

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33


THEMEN | ANTRIEB FÜR MORGEN<br />

WASSERSTOFF<br />

Der Stoff, aus dem die Träume sind<br />

Schon vor 30 Jahren machte ein Mann Furore, der das Zeitalter des solaren Wasserstoffs vorhersagte<br />

<strong>und</strong> propagierte: Ludwig Bölkow. Er schlug vor, in Wackersdorf anstelle der von der Bevölkerung verhinderten<br />

Atom-Wiederaufbereitungsanlage eine Produktionsanlage für Wasserstoff zu bauen. Der Strom<br />

für die Elektrolyse sollte aus Photovoltaik-Anlagen gewonnen werden. Damals ob der hohen Kosten der<br />

technischen Komponenten als Spinnerei verlacht, ist das Verfahren heute in aller M<strong>und</strong>e. Der „grüne<br />

Wasserstoff“ soll gar der Missing Link der Energiewende werden. Seit Bölkows Zeiten hat zumindest die<br />

Photovoltaik, was technischen Fortschritt <strong>und</strong> Kosten betrifft, einen unglaublichen Skaleneffekt bei der<br />

Verminderung der Produktionskosten hingelegt. Solarstrom ist heute – nicht zuletzt durch das EEG – nur<br />

noch mit sehr niedrigen Herstellungskosten verb<strong>und</strong>en, <strong>und</strong> auch Windstrom ist in großen Mengen zu<br />

günstigen Preisen erhältlich, sowie in manchen Zeiten im Übermaß vorhanden. Was jetzt fehlt, ist ein<br />

ähnlicher Innovationswettlauf im Bereich der Wasserstoffherstellung durch Elektrolyse. Skaleneffekte <strong>und</strong><br />

fallende Preise für die Anlagen sind nötig um „grünem Wasserstoff“ wirklich den Weg zu bereiten.<br />

Von Fritz Lietsch<br />

34<br />

Der Beitrag auf den Seiten 34 bis 42 ist mit der fre<strong>und</strong>lichen Unterstützung<br />

des Österreichischen B<strong>und</strong>esministerium für Verkehr, Innovation <strong>und</strong><br />

<strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong><br />

Technologie entstanden. Entgeltliche Einschaltung.


ANTRIEB FÜR MORGEN | THEMEN<br />

Foto: © Felix Krumbholz Photography<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

35


THEMEN | ANTRIEB FÜR MORGEN<br />

Endlich: Die Wasserstofftankstelle ist in greifbarer Nähe. Graz als erstes Etappenziel unserer Exkursion in Sachen Wasserstoffentwicklung in<br />

Österreich haben wir ge<strong>schafft</strong>. Wir fragen uns: Wird das Tankstellennetz schnell genug wachsen?<br />

Zum Start der „Energiewende“ zerlegen wir den <strong>neue</strong>n Hype<br />

r<strong>und</strong> um den Wasserstoff in seine Bestandteile – <strong>und</strong> setzen<br />

auch die Moleküle wieder zusammen, um zu verstehen wie<br />

aus Wasser <strong>und</strong> Strom Gas entstehen <strong>und</strong> daraus anschließend<br />

wieder Strom produziert werden kann. Wir erfahren,<br />

dass Wasserstoff bisher fast ausschließlich aus Erdgas hergestellt<br />

<strong>und</strong> dabei große Mengen klimaschädliches CO 2<br />

freigesetzt wird.<br />

Auf einer Reise per Wasserstoffauto nach Österreich – entdecken<br />

Sie die w<strong>und</strong>erbare Welt der Mobilität mit Wasserstoff.<br />

Und Sie erfahren wie überschüssiger Strom als Gas<br />

gespeichert <strong>und</strong> Erdgas umweltfre<strong>und</strong>lich zu „grünem“<br />

Wasserstoff verwandelt werden kann.<br />

Problemlöser Wasserstoff?<br />

Nationale Initiativen <strong>und</strong> EU-Konsortien überbieten sich<br />

gegenwärtig im Lobpreis des Wasserstoffs in Sachen Klimaschutz.<br />

Das deutsche Clean Energy Project (CEP) etwa<br />

schreibt: „Die moderne Mobilität legt uns die Welt zu Füßen<br />

<strong>und</strong> wir wollen sie weiterhin erobern. Wir wollen mobil sein<br />

– wir wollen dasselbe, nur in Grün <strong>und</strong> Clever. Wir haben Leidenschaft<br />

im Herzen <strong>und</strong> Wasserstoff im Tank.“ Und laut CEP<br />

ist „die Verkehrswende keine Frage von morgen, sie ist eine<br />

Aufgabe von heute!“ Vollm<strong>und</strong>ig geht es weiter: „Unser Weg<br />

ist daher ein aktiver: Wir nehmen die Herausforderung an,<br />

stellen uns den unbequemen Fragen <strong>und</strong> finden gemeinsam<br />

Lösungen. Wir sind Macher. Wir machen mobil mit Wasserstoff.“<br />

Na wenn das nicht gut klingt: Eine Mobilmachung in<br />

Sachen Klimaschutz. Das CEP <strong>und</strong> viele andere Akteure wollen<br />

also dafür sorgen, dass wir weiterhin mit gutem Gewissen<br />

ins Auto steigen <strong>und</strong> fröhlich zur „EverydayforFuture-Demo“<br />

fahren können.<br />

Eine H2-Probefahrt nach Österreich<br />

Nach Angaben der Werbetexter ist Wasserstoff die Option für<br />

eine klimaschonende Mobilität der Zukunft <strong>und</strong> ermöglicht<br />

Langstrecken E-Mobilität bei vergleichbaren Betriebskosten<br />

<strong>und</strong> dem gewohnten Fahrkomfort bisheriger Fahrzeuge mit<br />

Benzin oder Dieselmotor. Das <strong>neue</strong> Antriebskonzept bedeutet<br />

laut deren Befürwortern einen entscheidenden Schritt in<br />

Richtung <strong>Nachhaltig</strong>keit <strong>und</strong> schadstofffreier Mobilität (Zero<br />

Emission Vehicle) ohne lokale CO 2<br />

- <strong>und</strong> NO x<br />

-Emissionen. Die<br />

Betonung liegt hier allerdings auf dem Wort „lokale“, denn<br />

die Emissionen entstehen zwar nicht im Fahrbetrieb dafür<br />

aber dort wo <strong>und</strong> <strong>und</strong> in Abhängigkeit wie der Wasserstoff<br />

hergestellt wird. Doch dazu später.<br />

Wer mag, kann also schon heute mit einem Wasserstoff-Auto<br />

fahren <strong>und</strong> mit Begeisterung erleben, wir nur Wasserdampf<br />

aus dem „Auspuff“ kommt. Auf der Website von CEP gibt<br />

es Anlaufstellen für Probefahrten. Wir holen uns also ein<br />

Testfahrzeug <strong>und</strong> machen uns auf Einladung des B<strong>und</strong>esministeriums<br />

für Verkehr, Innovation <strong>und</strong> Technik (BMVIT)<br />

auf nach Österreich <strong>und</strong> schauen, was uns dort in Sachen<br />

Wasserstoff ins Auge fällt.<br />

Foto: © <strong>forum</strong> Archiv<br />

36 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


Wir wollen mehr erfahren von der „grünen“<br />

Gas-Erzeugung über die schnelle <strong>und</strong> sichere<br />

Betankung bis zum Betrieb wasserstoffbetriebener<br />

Fahrzeuge mit Brennstoffzellen<br />

<strong>und</strong> last, but not least<br />

zur sicheren Lagerung des Energiebündels<br />

unter den Gasen. Damit wir<br />

nicht ohne Kraftstoff liegen bleiben,<br />

informieren wir uns vor Abfahrt,<br />

wie weit das Projekt COHRS<br />

(Connecting Hydrogen Refuelling<br />

Stations) fortgeschritten<br />

ist <strong>und</strong> suchen auf deren Website<br />

nach Tankmöglichkeiten auf<br />

der geplanten Strecke.<br />

Graz gibt Gas<br />

Wir starten also von München Richtung Wien<br />

<strong>und</strong> diskutieren schon auf der Fahrt die Rolle der Mobilität<br />

am Beispiel Österreichs. Der Verkehrssektor ist dort mit<br />

aktuell 45 Prozent an den Gesamtemissionen im Nichtemissionshandel<br />

einer der größten Verursacher von Treibhausgasen.<br />

Zusätzlich ist der Verkehrssektor für 80 Prozent des<br />

österreichischen Erdöl verbrauchs verantwortlich <strong>und</strong> trägt<br />

maßgeblich zu ges<strong>und</strong>heitsgefährdenden Feinstaub- <strong>und</strong><br />

Stickoxidemissio nen (NO x<br />

) bei.<br />

Trotz aller Zielsetzungen, Verkehr zu vermeiden <strong>und</strong> auf die<br />

Schiene zu verlagern, ist es in den vergangenen Jahren nicht<br />

gelungen, die Verkehrsmenge zu reduzieren <strong>und</strong> vom Wirtschaftswachstum<br />

zu entkoppeln. Der Verkehr wächst nach<br />

wie vor überproportional stark an, <strong>und</strong> Österreich ist als<br />

Transitland besonders betroffen. Das BMVIT plant deshalb<br />

eine Dekarbonisierung im Verkehrs- <strong>und</strong> Transportbereich<br />

bis 2050 <strong>und</strong> diskutiert sowie forscht daran, wie man fossile<br />

Das Röntgenbild des Toyota Miraii<br />

zeigt den Aufbau der <strong>neue</strong>n Antriebstechnologie:<br />

Wasserstofftanks, Brennstoffzelle, Kraftfluss<br />

<strong>und</strong> Elektromotor.<br />

Energieträger durch emissionsfreie Elektro-Fahrzeuge ersetzen<br />

kann. Zusätzlich zur Elektrizität soll für schwer elektrifizierbare<br />

Anwendungen Wasserstoff zum Einsatz kommen<br />

– selbstredend hergestellt mit er<strong>neue</strong>rbarer Energie.<br />

Insgesamt stellt sich die Frage, wie <strong>und</strong> zu welchen Kosten ein<br />

CO 2<br />

-neutraler Personen- <strong>und</strong> Güterverkehr erreicht werden<br />

<strong>und</strong> welche Antriebstechnologie in welchem Ausmaß dazu<br />

beitragen kann.<br />

Infrastruktur, Technik <strong>und</strong> Reichweite<br />

Je länger wir diskutieren, <strong>und</strong> je weiter wir uns dabei von<br />

München <strong>und</strong> der sicheren Wasserstofftankstelle entfernen,<br />

umso mulmiger wird das Gefühl. Auf dem Weg nach Graz<br />

gibt es keine einzige Tankstelle. 417 km beträgt die Distanz<br />

<strong>und</strong> erst als wir in Graz die Tankstelle in der Ostbahnstraße<br />

erreichen, beruhigen sich die Nerven. Mit vollem Tank lassen<br />

20 Wasserstoff-Stationen für Österreich <strong>und</strong> Deutschland<br />

Fotos v.o.n.u.: © Toyota | © OMW<br />

Autofahren mit Brennstoffzelle, quer durch Europa – von Bozen nach<br />

Kopenhagen, von Wien nach Paris: COHRS (Connecting Hydrogen<br />

Refuelling Stations) umfasst den Bau von 20 Wasserstoff-Stationen<br />

in Deutschland <strong>und</strong> Österreich <strong>und</strong> damit die Erschließung der wichtigsten<br />

europäischen Korridore für die Wasserstoff-Mobilität. Das<br />

Projekt sammelt des Weiteren Erkenntnisse über die K<strong>und</strong>enakzeptanz,<br />

vergleicht <strong>Business</strong> Modelle <strong>und</strong> untersucht technische Lösungen<br />

für den weiteren Ausbau der europäischen Wasserstoff-Infrastruktur.<br />

COHRS wird im Rahmen des Trans-European Transport<br />

Network durch die Connecting Europe Facility (CEF) gefördert. Die<br />

Transeuropäischen Netze, kurz TEN, umschreiben Beiträge der EU<br />

mit dem Ziel, den europäischen Binnenmarkt zu entwickeln <strong>und</strong><br />

eine Vereinheitlichung zu erzielen. Neben dem Bereich Verkehr mit<br />

Straßen, Häfen, Eisenbahnstrecken, Binnenstraßen <strong>und</strong> Flughäfen<br />

bezieht sich das Engagement auch auf Energie, Telekommunikation<br />

<strong>und</strong> Satellitennavigation (Galileo).<br />

Im Rahmen von COHRS baut die H2 MOBILITY 17 Wasserstoff-<br />

Stationen entlang der wichtigsten trans-europäischen Korridore in<br />

Hamburg, Niedersachsen, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt,<br />

Nord-rhein-Westfalen, Hessen, Baden-Württemberg, Rheinland-<br />

Pfalz <strong>und</strong> Bayern. In Österreich betreibt OMV bereits Wasserstoff-<br />

Tankstellen in Wien, Linz, Graz <strong>und</strong> Innsbruck. Alle Stationen liegen<br />

an wichtigen europäischen Verbindungsachsen. Neun Korridore<br />

mit einer Gesamtlänge von über 15.000 km sollen bis 2<strong>03</strong>0 ausgebaut<br />

sein – sechs davon führen durch Deutschland <strong>und</strong> Österreich.<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

37


THEMEN | ANTRIEB FÜR MORGEN<br />

Im Praxiseinsatz konnte der Wasserstoff-Bus restlos überzeugen. Betreiber, Fahrer <strong>und</strong> Fahrgäste waren r<strong>und</strong>um zufrieden. Als nächstes geht<br />

der Bus bei den Vienna Airlines in den Alltagstest. Bleibt die Frage: Wie wird der Wasserstoff in großen Mengen erzeugt?<br />

wir uns vor Ort die geplanten Maßnahmen vorstellen.<br />

Nachdem Graz bereits österreichweit die erste Modellregion<br />

für Elektromobilität ist, folgt jetzt der nächste energiepolitische<br />

Schritt. Und wie immer in Österreich ist das BMVIT<br />

involviert, wenn es darum geht, Zukunftstechnologien Flügel<br />

zu verleihen. In Graz etwa fördert das Ministerium im<br />

Rahmen seiner Vision „Zero Emission Mobility“ das Projekt<br />

„move2zero“ mit 3,3 Mio. Euro. Damit werden der Demobetrieb<br />

einer Buslinie mit nachhaltigem Wasserstoffantrieb<br />

sowie Ausbau <strong>und</strong> Betrieb von Lade- <strong>und</strong> Tankinfrastruktur<br />

finanziert. Ziel ist die vollständige Dekarbonisierung des<br />

städtischen Bussystems in Graz. „Wir wollen“, so Holding<br />

Graz-CEO Wolfgang Malik, „neben E-Bussen auch Wasserstoffbusse<br />

mit Brennstoffzellen auf ihre Alltagstauglichkeit<br />

testen, damit bei der nächsten Busanschaffung die ökologisch<br />

beste Technologie zum Zug kommt.“ Dabei ist zunächst die<br />

Anschaffung von sieben Wasserstoffbussen sowie Treibstofflogistik<br />

<strong>und</strong> Druckreduktionsstation geplant. Für batterieelektrische<br />

Busse stehen eine ONC (Overnight Charging)<br />

<strong>und</strong>/oder eine OPC (Opportunity Charging) Ladeinfrastruktur<br />

in der Auswahl. Um einen optimalen Mix aus alternativen<br />

Antriebstechnologien bei vollständiger Dekarbonisierung<br />

der Busflotte zu ermitteln, wird der Demonstrationsbetrieb<br />

durch Monitoring, Datenauswertung <strong>und</strong> mathematische<br />

Modellierung begleitet. Für den Betrieb einer größeren<br />

Flotte von Brennstoffzellen-Bussen soll langfristig eine<br />

größere Wasserstofftankstelle samt Elektrolyse vor Ort in<br />

Graz errichtet <strong>und</strong> betrieben werden. Um eine möglichst<br />

effiziente Wasserstoffgewinnung sicherzustellen <strong>und</strong> den<br />

hohen Energieaufwand bei herkömmlicher mechanischer<br />

Kompression zu vermeiden, wird im Zuge des Projektes an<br />

elektrochemischen Kompressionstechnologien geforscht.<br />

Wien auf dem Weg zum Wasserstoffantrieb<br />

Unser Testfahrzeug bringt uns ganz entspannt von Graz<br />

nach Wien. Hier wurde von der ÖBB-Tochter Postbus ein<br />

Wasserstoffbus im Linienbetrieb getestet. Im Gespräch erfahren<br />

wir, wie der Antrieb im Bus genau funktioniert. Das<br />

Fahrzeug fährt mit einem Elektromotor <strong>und</strong> wird mit Wasserstoff<br />

betankt. In der im Bus verbauten Brennstoffzelle erfolgt<br />

dann durch Sauerstoffzufuhr eine chemische Reaktion, bei<br />

der Energie erzeugt wird. Ein wesentlicher Unterschied zu<br />

batteriebetriebenen Bussen ist, dass die Stromerzeugung<br />

direkt im Fahrzeug passiert. Einen großen Vorteil liefert<br />

der Wasserstoffbus im Winterbetrieb: Bei der chemischen<br />

Reaktion in der Brennstoffzelle entsteht auch Wärme, die<br />

im Winter für die Beheizung genutzt werden kann. Um die<br />

Technologie zu testen, wurde der Wasserstoffbus per Tieflader<br />

aus den Niederlanden geliefert, da es auf der Strecke<br />

keine geeigneten Tankstellen gibt. Das Tanken mit Wasserstoff<br />

dauert im Normalbetrieb, bei einer fix installierten<br />

Tankstelle, nur r<strong>und</strong> 15 Minuten (für 30 bis 35 kg Wasserstoff).<br />

Für den Testbetrieb hat Postbus eine mobile Tankstelle<br />

von der Firma Linde aus Deutschland geliefert bekommen.<br />

Die Betankung benötigt hier etwas mehr Zeit, in etwa drei<br />

St<strong>und</strong>en. Der Wasserstoffbus wird im Oktober für weitere<br />

drei Wochen auf den Linien der Vienna Airport Lines im Einsatz<br />

sein. Bereits nach Abschluss des ersten Tests zogen die<br />

Verantwortlichen in Wien ein positives Fazit: Fahrgäste <strong>und</strong><br />

Fahrer waren durchwegs zufrieden, der Betrieb einwandfrei.<br />

Die Reichweite des wasserstoffbetriebenen Busses lag bei<br />

r<strong>und</strong> 400 Kilometern pro Tankfüllung <strong>und</strong> ermöglicht damit<br />

auch den Überlandverkehr. Ein Problem sind die fehlenden<br />

Wasserstoff-Tankstellen für Busse in Österreich <strong>und</strong> noch<br />

gravierender: Wasserstoff-Busse kosten heute noch mehr als<br />

doppelt so viel wie herkömmliche, da sie nur in Kleinserien<br />

hergestellt werden.<br />

Tirol – Verbindungsglied am grünen Korridor<br />

Unser Weg führt uns weiter von Wien nach Tirol. Wir wollen<br />

zum dortigen Green Energy Center. Jetzt heißt es no risk, no<br />

fun: bei 480 km Distanz in Linz zwischentanken oder nicht?<br />

Wir entscheiden uns für Risk. Schließlich sind wir ja auf einer<br />

Testfahrt.<br />

Foto: © ÖBB, Postbus<br />

38 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


ANTRIEB FÜR MORGEN | THEMEN<br />

Wasserstoff ist ein idealer Treibstoff für Schienenfahrzeuge, die keine Stromversorgung durch Oberleitungen haben. Eine hohe Energiedichte,<br />

Heizung im Winter <strong>und</strong> CO 2<br />

-freie Abgase sprechen für eine Weiterentwicklung in diesem Transportsegment.<br />

Foto: © Alstom, Michael Wittwer<br />

Ein weiterer Gr<strong>und</strong> für die Fahrt nach Innsbruck: Stadt<br />

<strong>und</strong> Region sind wesentlicher Teil des europaweit größten<br />

Wasserstoff-Forschungsprojekts „HyFIVE“ (Hydrogen For<br />

Innovative Vehicles). Im Projekt wird zum einen die Alltagstauglichkeit<br />

der Wasserstofftechnologie für Autos erforscht<br />

<strong>und</strong> weiterentwickelt, zum anderen die dafür nötige Infrastruktur<br />

geschaffen. Seit 2015 verstärkt dort eine Wasserstofftankstelle<br />

die wichtige Nord-Süd-Verbindung am „Green<br />

Corridor“, der Wasserstoffautobahn von Kopenhagen bis<br />

Verona. Doch in Tirol geht noch mehr: Im Rahmen des von<br />

der Europäischen Union finanzierten Projekts „Demo4Grid“<br />

errichtet die österreichische Supermarktkette MPreis mit<br />

Unterstützung des Tiroler Green Energy Center Europas<br />

größten Elektrolyseur zur Umwandlung von grünem Strom<br />

in Wasserstoff. Auf dieses Projekt schaut ganz Europa, wird<br />

doch diese Anlage unter wirtschaftlichen Aspekten realisiert,<br />

um zu beweisen, dass die Umstellung von fossiler auf<br />

saubere Energie auch ein absoluter <strong>Business</strong>-Case für die<br />

Zukunft ist. Der Single-Stack-Alkali-Druck-Elektrolyseur dient<br />

der Erzeugung von grünem Wasserstoff <strong>und</strong> gleichzeitig zur<br />

Regelung des Stromnetzes. Und hier liegt auch die Ursache<br />

für den <strong>neue</strong>n Hype um den Wasserstoff: In Zeiten, wo durch<br />

Laufwasser-, Photovoltaik- <strong>und</strong> Windkraftwerke zu viel Strom<br />

ins Netz eingespeist wird, kann dieser mittels der Elektrolyse-<br />

Der Preis für Wasserstoff<br />

Der „Demo-4Grid“-<strong>Business</strong>-Case zur Wasserstoffherstellung<br />

sieht den Bezug von elektrischer Energie aus Stromnetzregelung<br />

<strong>und</strong> die Einbindung eines regionalen Laufwasserkraftwerkes mit<br />

Direkt leitung ohne Netzgebühren vor. Der produzierte Wasserstoff<br />

kann somit nicht nur als Brennstoff, sondern auch als Speicherstoff<br />

verstanden werden. Die Speicherfähigkeit erlaubt es zusätzlich,<br />

sehr günstigen Strom für die Elektrolyse einzukaufen. Der Zukauf<br />

günstiger elektrischer Energie auf der Strombörse zu Schwachlastzeiten<br />

(z. B. in der Nacht) bedeutet jedoch, dass dessen Herkunft<br />

nicht zwingend regenerativ ist.<br />

Anlage in grünen Wasserstoff umgewandelt <strong>und</strong> zur weiteren<br />

Verwendung in Drucktanks zwischengespeichert werden.<br />

Die Technologie für den Elektrolyseur mit einer maximalen<br />

Leistungsaufnahme von 4 Megawatt kommt vom Schweizer<br />

Partner IHT. Der mit Ökostrom erzeugte Wasserstoff wird<br />

in MPREIS-Produktionsbetrieben als Brennstoff thermisch<br />

verwertet <strong>und</strong> ersetzt dort fossiles Erdgas für die Beheizung<br />

der Backöfen. In weiterer Folge soll der grüne Wasserstoff als<br />

Diesel-Ersatz für die MPREIS-Logistikflotte eingesetzt werden.<br />

Darüber hinaus <strong>schafft</strong> diese Anlage auch die Möglichkeit,<br />

Brennstoffzellen-Busse für den lärm-, CO 2<br />

- <strong>und</strong> feinstaubfreien<br />

öffentlichen Nahverkehr mit grünem Wasserstoff zu<br />

beliefern. Damit sollen regionale Ressourcen <strong>und</strong> regionale<br />

Wertschöpfung Hand in Hand gehen.<br />

Wasserstoff treibt Züge an<br />

Doch der regionale, grüne Wasserstoff kann nicht nur Häuser<br />

<strong>und</strong> Backöfen beheizen sowie Autos, Busse <strong>und</strong> LKWs bewegen,<br />

ab Dezember 2022 soll auch die Tiroler Zillertalbahn<br />

mit Wasserstoff angetrieben werden. Auf der 32 km langen<br />

Schmalspurstrecke zwischen Jenbach <strong>und</strong> Mayrhofen werden<br />

bereits heute 2,46 Mio. Fahrgäste (2017) befördert <strong>und</strong><br />

aufgr<strong>und</strong> der hohen Verkehrsdichte im stark frequentierten<br />

Alpental ist die Tendenz stark steigend! Das vom BMVIT geförderte<br />

Projekt „Zillertalbahn 2020+ Energieautonom mit<br />

Wasserstoff“ dient der Erhöhung der Transportkapazität <strong>und</strong><br />

beinhaltet die Er<strong>neue</strong>rung von Teilen der Bahnanlagen <strong>und</strong><br />

der Zuggarnituren. Kernkomponente ist die Elektrifizierung<br />

des Bahnbetriebes, die eine Einsparung von 800.000 l Diesel<br />

<strong>und</strong> eine Reduktion von 2,2 Mio kg CO 2<br />

-Ausstoß im Jahr<br />

bringt. Um die touristische Attraktivität des Tals zu erhalten,<br />

soll weitgehend auf stromführende Oberleitungen verzichtet<br />

werden. Stattdessen produziert eine Brennstoffzelle im Zug<br />

den Strom für die den Antrieb der Elektromotoren. Der dafür<br />

notwendige grüne Wasserstoff soll in Mayrhofen mittels<br />

Elektrolyse erzeugt <strong>und</strong> über Nacht in die Züge der Bahn<br />

gefüllt werden. Der Wegfall der Oberleitungen ist nicht nur<br />

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THEMEN | ANTRIEB FÜR MORGEN<br />

Transport: Wasserstofftransport <strong>und</strong> -lagerung sind die großen Herausforderungen beim Aufbau der Infrastruktur für eine<br />

flächendeckende Versorgung. Das Gas ist sowohl in gasförmiger als auch in flüssiger Form verfügbar.<br />

aus optischer, sondern auch aus wirtschaftlicher Sicht ein<br />

Gewinn, denn die Einsparungen können in die Erprobung<br />

der <strong>neue</strong>n Technologie investiert werden. Zudem tragen die<br />

<strong>neue</strong>n Fahrzeuge mit 250 Sitzplätzen – gegenüber 130 bisher<br />

– den steigenden Fahrgastzahlen Rechnung <strong>und</strong> bieten<br />

wesentlich mehr Komfort.<br />

Pipeline, LKW oder Schiene?<br />

Die Bahn ist jedoch nicht nur interessiert an der Nutzung<br />

von Wasserstoff als Energieträger – insbesondere dort, wo<br />

eine Elektrifizierung der Strecke zu aufwändig ist – sondern<br />

auch am Geschäft mit dem Transport von Wasserstoff. Bisher<br />

wird dieser auf kurzen Strecken per Pipeline <strong>und</strong> ansonsten<br />

per LKW transportiert oder vor Ort, wo er gebraucht wird,<br />

produziert. Wasserstoffverwender wie etwa die Stahl- <strong>und</strong><br />

chemische Industrie erzeugen ihren Bedarf direkt am Werk<br />

<strong>und</strong> benutzen dabei das Verfahren der Gasreformation. Hier<br />

wird aus Erdgas Wasserstoff gewonnen, mit der aus Klimasicht<br />

höchst bedenklichen Freisetzung hoher CO 2<br />

-Anteile. Die<br />

Elektrolyse ist aufgr<strong>und</strong> der Stromkosten bzw. der Volatilität<br />

des regenerativ erzeugten Stroms für diese Anwender aus<br />

Kostengründen noch keine Option. Eine Änderung könnte<br />

hier nur die Bepreisung des an die Umgebung abgegebenen<br />

CO 2<br />

s sein. Dies erklärt, warum eine Wasserstofflogistik im<br />

größeren Ausmaß bisher nicht entwickelt ist.<br />

Mit der Nutzung von Stromspitzen aus Solar- oder Windstrom<br />

für die Elektrolyse wendet sich das Blatt: Grüner Wasserstoff<br />

profitiert von fast kostenlosem Strom, den zunehmenden<br />

Skaleneffekten der Elektrolyse <strong>und</strong> könnte bei einem Preisanstieg<br />

von CO 2<br />

-Zertifikaten einen rasanten Durchbruch erreichen.<br />

Obwohl bisher nicht verfolgt, erscheint es logisch,<br />

den Schienenpfad für Wasserstoff als Transportweg zu<br />

untersuchen, da er aus Sicht des Energieverbrauchs attraktiv<br />

ist <strong>und</strong> somit ein Potenzial als Brückenlösung zwischen<br />

Straßen-LKW-Transport <strong>und</strong> Pipeline darstellt. Das BMVIT<br />

„Neue Technologien sind mit hohem Aufwand verb<strong>und</strong>en, <strong>und</strong> es ist wichtig,<br />

dass solche Initiativen auf nationaler <strong>und</strong> EU-Ebene unterstützt werden“.<br />

Silvia Kaupa-Götzl, Geschäftsführerin von Postbus<br />

unterstützt daher das Projekt „Bulk H2 onRail“ <strong>und</strong> damit<br />

die umfassende Untersuchung der Möglichkeit, Wasserstoff<br />

auf der Schiene <strong>und</strong> im Kombiverkehr zu distribuieren.<br />

Dazu gehört einerseits die technische Machbarkeit für eine<br />

breite Selektion heutiger <strong>und</strong> zukünftig wahrscheinlicher<br />

Tankstelle: Vor Ort komprimiert ein ionischer Kompressor den<br />

Wasserstoff auf bis zu 900 Bar. Fahrzeuge werden dann mit<br />

standardisiertem Druck betankt.<br />

Fotos v.o.n.u.: © Linde AG | © Philipp Plum<br />

40 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


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Der Einsatz von Brennstoffzellen <strong>und</strong> Elektromotoren ist sinnvoll, da die Umwandlung von chemischer in elektrische Energie in der Brennstoffzelle<br />

effizienter ist, als die Verbrennung des Treibstoffs in der Verbrennungskraftmaschine.<br />

Wasserstoff-Speichertechnologien. Des Weiteren sind die<br />

sicherheitstechnischen Rahmenbedingungen zu analysieren.<br />

Zusammen mit einer Wirtschaftlichkeitsrechnung soll somit<br />

eine komplette Beurteilung der techno-ökonomischen Machbarkeit<br />

der Wasserstofflogistik auf der Schiene erfolgen.<br />

In Anbetracht des Klimawandels selbstverständlich unter<br />

Bevorzugung von Energieszenarien mit hohem Er<strong>neue</strong>rbaren-Anteil.<br />

Tourismus-Projekt „HySnow“<br />

Wer an Österreich denkt, denkt an schneebedeckte Berge<br />

<strong>und</strong> an Skifahren. Hinterstoder im Traunviertel ist ein<br />

Zentrum des oberösterreichischen Wintersports <strong>und</strong> will<br />

Schneemobilen einen sauberen Antrieb verpassen. Unter<br />

Leitung des HyCentA (Hydrogen Center Austria) <strong>und</strong> der TU<br />

Graz wird in Hinterstoder im Rahmen der Leuchtturmprojekte<br />

Elektromobilität des Klima- <strong>und</strong> Energiefonds das gesamte<br />

Wasserstoff-Produktion im Überblick<br />

Während es im brodelnden Inneren der Sonne <strong>und</strong> in den Weiten des Weltalls reinen Wasserstoff in Hülle <strong>und</strong> Fülle gibt, liegt er auf der Erde<br />

nur in geb<strong>und</strong>ener Form vor. Der größte Teil des heute produzierten Wasserstoffs entsteht als Neben- oder Kuppelprodukt in Prozessen der<br />

Chemieindustrie <strong>und</strong> wird auch von dieser wieder verbraucht. Im industriellen Maßstab wird Wasserstoff heute hauptsächlich durch Reformierung<br />

aus Erdgas erzeugt. Ein Verfahren, dass auch CO 2<br />

freisetzt.<br />

Grafiken: © H2 Mobility<br />

Alternativ lässt sich Wasserstoff mit Hilfe von Strom aus Wasser erzeugen. Dafür wird das Wasser mittels Elektrolyse in seine Bestandteile<br />

Wasserstoff <strong>und</strong> Sauerstoff aufgespalten – die dazu eingesetzte Energie bleibt im Wasserstoff gespeichert. Stammt nun der Strom aus er<strong>neue</strong>rbaren<br />

Quellen, z.B. Windkraft, ist der Wasserstoff emissionsfrei – sogenannter „grüner Wasserstoff“. Betreibt man den Elektrolyseur direkt<br />

am Windrad, hat das Speichermedium Wasserstoff noch einen weiteren Nutzen: Liefert der Wind mehr Energie, als gerade im Stromnetz<br />

benötigt wird, kann dieser Strom durch das Spalten von Wasser im Wasserstoff zwischengespeichert werden. Das Gas übernimmt damit eine<br />

wichtige „Pufferfunktion“ im intelligenten Stromnetz der Zukunft.<br />

Noch ist die Erzeugung von Wasserstoff durch Elektrolyse sehr teuer. Gründe dafür sind geringe Mengen, Elektrolyseure, die noch nicht in Serie<br />

produziert werden, das Forschungs- <strong>und</strong> Entwicklungsstadium, in dem sich die Technologie teilweise noch befindet, aber auch der Vergleich<br />

zu einem sehr niedrigen Ölpreis. Deshalb nutzen viele Projekte noch bis zu 50 Prozent sogenannten „grauen Wasserstoff“ aus Erdgas. Ziel ist<br />

aber stets der Ausbau der Erzeugung aus er<strong>neue</strong>rbaren Energien.<br />

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41


THEMEN | ANTRIEB FÜR MORGEN<br />

Potenzial solcher Schneemobile erforscht <strong>und</strong> die Serienproduktion<br />

vorbereitet. Mit finanzieller Unterstützung des<br />

BMVIT entwickeln die beteiligten Projektpartner das gesamte<br />

Anwendungsszenario von der Photovoltaikanlage über die<br />

Hochdruck-Elektrolyse-Wasserstoffproduktion (inklusive<br />

Betankungsanlage) bis zu den Fahrzeug-Prototypen. Damit<br />

können diese unter realen Betriebsbedingungen getestet<br />

werden. Skifahrer werden den Pistenfahrzeugen verw<strong>und</strong>ert<br />

nachblicken, da die übliche Geräuschkulisse gänzlich fehlt.<br />

Die Zielsetzung: Viel Leistung bei wenig Gewicht, problemloser<br />

Einsatz auch bei tiefen Temperaturen, Vermeidung von<br />

Lärm, Schadstoffen <strong>und</strong> Treibhausgasen. Damit ist dieses<br />

Projekt auch Testlauf für eine zukünftige Massenproduktion<br />

von brennstoffzellenbasierten Fahrzeugen <strong>und</strong> Vorstufe einer<br />

hauptsächlich in Österreich entwickelten <strong>und</strong> produzierten,<br />

umweltfre<strong>und</strong>lichen Serienproduktion.<br />

Wasserstoffkompetenz in Österreich<br />

Im Zuge des vom BMVIT invitierten Programms „Mobilität<br />

der Zukunft“, der Plattform „open4innovation“ <strong>und</strong> anderer<br />

Innovationsförderungen werden eine Vielzahl verschiedenster<br />

Projekte r<strong>und</strong> um die Anwendung von H2 verwirklicht.<br />

Von besonderer Bedeutung sind dabei Wasserstoffspeicher.<br />

Gegenwärtig erfolgen Lagerung <strong>und</strong> Transport in der Regel<br />

in Systemen mit sehr hohem Druck. Die Analyse einer konventionellen<br />

Kraftstoffversorgungsanlage für gasförmigen<br />

Wasserstoff (GH2-KVA) zeigt, dass der Speicherbehälter<br />

maßgeblich für die Kosten <strong>und</strong> das Gewicht der GH2-KVA<br />

verantwortlich ist. Der Anteil der restlichen Komponenten<br />

der GH2-KVA ist gering. Die Firmen HypTec <strong>und</strong> Magna<br />

Steyr optimieren deshalb im Projektverb<strong>und</strong> insbesondere<br />

Speicherbehälter <strong>und</strong> Ventiltechnik, durch Schnittstellenoptimierung,<br />

funktionale Integration <strong>und</strong> Bauteiloptimierung.<br />

Im BMVIT-Projekt proionic ist es dagegen gelungen, flüssige<br />

<strong>und</strong> stabile Speichermedien mit hohen Speicherdichten<br />

chemisch zu synthetisieren. Diese Wasserstoffspeicherdichten<br />

in ionischen Flüssigkeiten sind vergleichbar mit<br />

der Speicherkapazität von H2-Druckspeichern. Lagerung/<br />

Transport erfolgen jedoch drucklos bei Umgebungstemperatur<br />

<strong>und</strong> somit nahezu verlustfrei. Durch die erfolgreiche<br />

Entwicklung eines edelmetallfreien Katalysators kann die<br />

Freisetzung des Wasserstoffs aus dem Speicher bedarfsgerecht<br />

gesteuert werden <strong>und</strong> bei Raumtemperatur ablaufen.<br />

Das Speichermedium ist chemisch regenerierbar <strong>und</strong> kann<br />

stets neu mit Wasserstoff beladen werden, wobei noch<br />

Entwicklungsbedarf besteht, die Kosten der Regenerierung<br />

zu reduzieren.<br />

Messen kommt von Mist<br />

Nicht zuletzt die großen Skandale in der Automobilindustrie<br />

zeigen die Relevanz von verlässlichen Messmethoden<br />

zur Beurteilung <strong>und</strong> Optimierung von Motoren. Mit der<br />

dynamischen Entwicklung von Brennstoffzellen wird es<br />

notwendig, die Gas-Konditionierung <strong>und</strong> den Durchfluss<br />

der Gase auf dem Prüfstand zu messen. Der Betrieb eines<br />

Brennstoffzellen-Prüfstandes erfordert eine hochdynamische<br />

Versorgung mit den Betriebsmedien Wasserstoff <strong>und</strong> Luft<br />

sowie die messtechnische Erfassung von deren Durchflüssen.<br />

Diese hochdynamische Regelung mit entsprechender<br />

Konditionierung von Luft <strong>und</strong> Wasserstoff ist derzeit nicht<br />

am Markt verfügbar. Zur Durchflussmessung von Gasen<br />

wird zwar bereits eine Vielzahl von Sensoren eingesetzt,<br />

derzeit sind aber für Wasserstoff weder ein eichfähiger<br />

Sensor noch ein entsprechendes Kalibrierverfahren bekannt.<br />

Deshalb werden in einem Forschungsprojekt geeignete<br />

Regelungsstrategien <strong>und</strong> Komponenten untersucht, um das<br />

dynamische Verhalten von Brennstoffzellensystemen in den<br />

unterschiedlichen Zeitskalen bzw. physikalischen Domänen<br />

(elektrisch, thermodynamisch, strömungsmechanisch...)<br />

darzustellen <strong>und</strong> entsprechende Regelungsfunktionen bzw.<br />

Optimierungsstrategien abzuleiten. Bereits bestehende<br />

Durchflussmess- <strong>und</strong> Kalibrierverfahren werden auf ihre<br />

eichfähige Anwendbarkeit für Wasserstoff analysiert <strong>und</strong> auf<br />

bestehenden Wasserstoff-Prüfständen evaluiert. Einen laufenden,<br />

detaillierten Überblick über vom BMVIT geförderte<br />

Projekte bieten nachfolgende Seiten.<br />

www.mobilitaetderzukunft.at | www.infothek.bmvit.gv.at<br />

Netzwerke für die Mobilität der Zukunft<br />

Der Klima- <strong>und</strong> Energiefonds ist die Schnittstelle zwischen Politik,<br />

Wirtschaft, Forschung <strong>und</strong> Zivilgesellschaft <strong>und</strong> entwickelt – in enger<br />

Kooperation mit dem B<strong>und</strong>esministerium für <strong>Nachhaltig</strong>keit<br />

<strong>und</strong> Tourismus (BMNT) sowie dem B<strong>und</strong>esministerium für Verkehr,<br />

Innovation <strong>und</strong> Technologie (BMVIT) – Strategien <strong>und</strong> Förderprogramme<br />

für die nachhaltige Transformation des Energie- <strong>und</strong> Mobilitätssystems.<br />

Die Leuchtturmprojekte Elektromobilität beschäftigen<br />

sich umfassend mit Fragestellungen im Bereich der Fahrzeuge,<br />

der Infrastruktur aber auch der Anwender <strong>und</strong> Nutzer. Der Fokus<br />

liegt sowohl auf der Forschung <strong>und</strong> Entwicklung im Fahrzeugbereich,<br />

als auch in der Vernetzung <strong>und</strong> Bündelung von bestehenden<br />

Initiativen.<br />

Die ARGE HyWest bündelt die Kompetenzen der Tiroler Strategie<strong>und</strong><br />

Projektentwicklungsgesellschaft FEN-Systems <strong>und</strong> des Grazer<br />

Wasserstoff-Forschungszentrums HyCentA. Ziel ist es, gemeinsam<br />

mit den mittlerweile über 30 assoziierten Partnerfirmen den strategischen<br />

Brückenbau in eine grüne Wasserstoffzukunft in Zentraleuropa<br />

voranzutreiben.<br />

Das im Jahr 2016 gegründete Green Energy Center in Innsbruck ist<br />

eine private Initiative, die mit ihren Codex-Partnern unter anderem<br />

zukunftsorientierte Wasserstoffprojekte unter <strong>Business</strong>planbedingungen<br />

entwickelt. Der <strong>neue</strong> Info Corner des Green Energy Centers<br />

wurde auf Initiative der FEN Sustain Systems GmbH eingerichtet<br />

<strong>und</strong> ist für jedermann zugänglich, der Unterstützung bei der Umstellung<br />

seines Energie- <strong>und</strong> Mobilitätssystems braucht.<br />

Im Rahmen des Informations- <strong>und</strong> Unterstützungspaketes für E-<br />

Mobilität kann man sich u.a. zur Teilnahme an Veranstaltungen<br />

(z.B. Info Workshop E-Mobilität) anmelden, kleine bis große E-Fahrzeuge<br />

ausleihen <strong>und</strong> sich für ein automatisiertes Carsharing registrieren<br />

lassen.<br />

www.klimafonds.gv.at | www.green-energy-center.com<br />

42 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


ANTRIEB FÜR MORGEN | THEMEN<br />

Über 60 Prozent des Wasserstoffs werden heute aus Erdgas gewonnen. Dabei werden hohe Mengen an CO 2<br />

freigesetzt. Der Anteil der Elektrolyse<br />

liegt noch unter 10 Prozent. Gr<strong>und</strong> genug, der CO 2<br />

-freien Gewinnung von Wasserstoff aus Erdgas mehr Aufmerksamkeit zu schenken.<br />

ENERGIE OHNE REUE<br />

Kommt der CO 2<br />

-freie Wasserstoff aus Methan?<br />

Wasserstoff (H2) wird als der Schlüsseltreibstoff der Energiewende ohne Schadstoffe diskutiert. Gegenwärtig<br />

ist seine Herstellung jedoch weitgehend an fossile Methan-Prozesse geb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> setzt dabei<br />

große Mengen an CO 2<br />

frei. Eine neuartige Pyrolyse soll zukünftig das eingesetzte Methan direkt in H2<br />

<strong>und</strong> Kohlenstoff zerlegen <strong>und</strong> damit den CO 2<br />

-Ausstoß verhindern.<br />

Von Alexander Gusev, Jörg Walter <strong>und</strong> Stefan Huber<br />

Foto: © Nord Stream 2, Axel Schmidt<br />

Wasserstoff ist ein Gas, aus dem im Zusammenspiel mit<br />

Sauerstoff unser Lebenselixir Trinkwasser besteht. Wasserstoff<br />

ist aber auch ein starker Energieträger, dessen Leistung<br />

beim Verbrennen wieder als Wasser freigesetzt wird. Es hört<br />

sich also sehr ges<strong>und</strong> an, wenn dieser Treibstoff für unsere<br />

energiehungrige Wirtschaft eingesetzt wird. Um Wasserstoff<br />

in den dafür nötigen Mengen zu gewinnen, gibt es bisher ein<br />

Standardverfahren, genannt Erdgas Dampfreformierung, bei<br />

dem aus Methan mit Hilfe von Wasserdampf <strong>und</strong> Hitze CO 2<br />

<strong>und</strong> H2 entstehen. Damit beginnt die schmutzige Seite der<br />

Wasserstoff-Revolution, denn CO 2<br />

ist ein Verursacher des<br />

Klimawandels. Neue <strong>und</strong> verbesserte Formen der Wasserstoffproduktion<br />

sind deshalb dringend gefragt.<br />

Verwandlung von Erdgas in „grünen Wasserstoff“<br />

Das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) <strong>und</strong> das Potsdamer<br />

„Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS)“<br />

haben zusammen eine alte Technologie in einem <strong>neue</strong>n<br />

Verfahren perfektioniert, bei dem Erdgas bzw. Methan thermisch<br />

direkt in seine Bestandteile zerlegt wird. In diesem<br />

Pyrolyseprozess fallen reiner Kohlenstoff <strong>und</strong> der benötigte<br />

Wasserstoff als einzige Endprodukte an. Mit beiden Substanzen<br />

kann weitergearbeitet werden. Diese Erfindung ist für die<br />

„Deutsche Gaswirtschaft Gesellschaft“ so zukunftsweisend,<br />

dass sie den „Innovationspreis für Forschung <strong>und</strong> Entwicklung<br />

2018“ an die beiden Institute verlieh. Ein Gr<strong>und</strong> mehr, das<br />

Thema näher zu betrachten.<br />

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THEMEN | ANTRIEB FÜR MORGEN<br />

Wofür wird Wasserstoff gebraucht?<br />

Aus H2 werden verschiedene chemische Verbindungen synthetisiert,<br />

die unsere moderne Gesellschaft – allen voran die<br />

grüne Revolution – erst ermöglichten. Die Düngemittel für<br />

unsere Landwirtschaft verschlingen den größten Anteil des<br />

hergestellten Wasserstoffs. Aus Luftstickstoff <strong>und</strong> Wasserstoff<br />

wird der Düngemittelbestandteil Ammoniak produziert<br />

(Haber-Bosch-Ammoniaksynthese), eine Erfindung, die vor<br />

mehr als 120 Jahren die moderne Landwirtschaft ermöglichte<br />

<strong>und</strong> den Hunger der Weltbevölkerung bekämpfte. Aber auch<br />

zur Veredelung von anderen Kohlenwasserstoffverbindungen,<br />

zum cracken von (langkettigem) Schweröl, bis hin zur<br />

Härtung von Pflanzenölen zu streichzarter Margarine wird<br />

Wasserstoff eingesetzt.<br />

Außerdem ist es die hohe Energiedichte des Wasserstoffs,<br />

die dreifach höher ist als beim Benzin, die ihn besonders für<br />

Mobilitätsanwendungen interessant macht. Als Raketentreibstoff<br />

zur Beförderung von Satelliten <strong>und</strong> immer häufiger<br />

auch als Energieträger für Fahrzeuge wie Bus, Bahn oder<br />

Auto. Dabei kann das Gas in einem Verbrennungsmotor als<br />

Treibstoff genutzt werden, in dem es ähnlich wie Benzin<br />

oder Diesel Wärme <strong>und</strong> mechanische Energie erzeugt oder<br />

in einer Brennstoffzelle elektrische Energie für den Antrieb<br />

von Elektromotoren erzeugen.<br />

Wie entsteht Wasserstoff?<br />

Aus der Schule wird sich noch jeder an den Knallgasversuch<br />

erinnern. Der dafür benötigte Wasserstoff wird aus Wasser<br />

„elektrolytisch“ mit elektrischem Gleichstrom zerlegt, wobei<br />

an einer Elektrode O2 <strong>und</strong> an der anderen H2 entsteht. Diese<br />

Methode ist mit Sicherheit die direkteste <strong>und</strong> mit keinerlei<br />

lokalen Schadstoffen behaftete Erzeugungsart. Doch die<br />

dafür nötige elektrische Energie ist bisher vergleichsweise zu<br />

teuer, um sie in Wasserstoff zu verwandeln <strong>und</strong> je nach Art<br />

der Erzeugung mit Kohle, Gas oder Atom mit entsprechenden<br />

Emissionen oder Risiken verb<strong>und</strong>en. Werden jedoch<br />

die gewaltigen Elektrizitätsüberschüsse aus nicht direkt<br />

regelbaren regenerativen Energien eingesetzt, wendet sich<br />

die Bilanz wiederum auf die positive Seite. Denn anstatt<br />

bei Stromüberschuss die Wind- <strong>und</strong> Solarkraftwerke abzuregeln,<br />

kann der Strom für die Herstellung von Wasserstoff<br />

eingesetzt <strong>und</strong> damit „gelagert“ werden. Doch es gibt noch<br />

einen weiteren Weg, der die Erzeugung <strong>und</strong> Nutzung von<br />

Wasserstoff attraktiv für den Klimaschutz macht. Laut einer<br />

Studie der internationalen Beratungsfirma Pöyry könnte<br />

die eingangs vorgestellte Methanpyrolyse den Ausbau von<br />

Er<strong>neue</strong>rbaren fördern <strong>und</strong> zugleich eine Dekarbonisierung<br />

mit emissionsfreiem Wasserstoff begünstigen.<br />

Erdgas als Wasserstofflieferant Nummer 1<br />

Doch wozu das Erdgas? Methan (CH4) als Hauptbestandteil<br />

von Erdgas hat einen besonders hohen Wasserstoffanteil,<br />

der einfach abzuspalten ist. Deshalb ist Erdgas mit 68<br />

Prozent (neben 16 Prozent Erdöl, 11 Prozent Kohle <strong>und</strong> 5<br />

Prozent Strom) schon gegenwärtig die Hauptgr<strong>und</strong>lage der<br />

Wasserstoffproduktion. Eine relativ einfach zu erzeugende<br />

Basisreaktion wandelt Methan <strong>und</strong> Wasserdampf CH4 +<br />

2H2O 4H2 + CO 2<br />

in Wasserstoff <strong>und</strong> CO 2<br />

, doch bei dieser<br />

eingangs bereits erwähnten „Dampfreformierung“ (in der<br />

andern Richtung „Methanisierung“) entsteht exakt genauso<br />

viel CO 2<br />

wie bei der direkten Verbrennung von Methan<br />

(CH4+2O2 CO 2<br />

+2H2O, also 1:1). Da alle Prozessschritte<br />

dieser Art der Wasserstofferzeugung (zuzüglich Gasreinigung<br />

<strong>und</strong> Handhabung) mit stofflichen bzw. energetischen<br />

Verlusten behaftet sind, ist sowohl die CO 2<br />

-, also auch die<br />

Energiegesamtbilanz der Gasreformierung schlechter als<br />

die direkte Verbrennung von Methan. Die Erzeugung <strong>und</strong><br />

energetische Verwertung –von H2 aus Erdgas im Verfahren<br />

der sogenannten Reformierung ist somit insbesondere bei<br />

Mobilitätsanwendungen oder thermischer Nutzung kein<br />

wirklicher Beitrag zum Klimaschutz.<br />

Industrielle Reaktortypen für die Erdgaspyrolyse<br />

Gefragt sind somit alternative Wege, H2 aus Methan ohne<br />

CO 2<br />

-Emission zu erzeugen. Die Erdgas-Pyrolyse könnte hier<br />

ein wichtiger Baustein sein. Dies erklärt, warum das Potsdamer<br />

IASS <strong>und</strong> das KIT Karlsruhe mit Hochdruck an einem<br />

Pyrolysereaktor arbeiten, der auf einer Flüssigmetalltechnologie<br />

beruht. Dabei wird Methan (CH4) von unten durch<br />

eine Säule mit geschmolzenem Zinn geblubbert. Dank der<br />

kleinen Gasbläschen findet dabei ein sehr schneller Wärmeübertrag<br />

statt, wodurch der Kohlenstoff C vom Wasserstoff<br />

H2 abgespaltet wird. Der elementare Kohlenstoff entsteht<br />

an der Bläschenhaut <strong>und</strong> kann, oben in der Säule angekommen,<br />

in Pulverform einfach von der Oberfläche des Zinns<br />

abgetrennt werden. Der Vorteil: Bei diesem Verfahren wird<br />

kein CO 2<br />

freigesetzt <strong>und</strong> der anfallende Kohlenstoff stellt sich<br />

als wertvoller industrieller Rohstoff dar. Im Flüssigmetalllabor<br />

am KIT lief der Test-Reaktor bei Temperaturen von r<strong>und</strong> 1.200<br />

oC im zweiwöchigen Dauerbetrieb <strong>und</strong> erzeugte Wasserstoff<br />

mit einer Umwandlungsrate von bis zu 78 Prozent. Dies war<br />

ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur Entwicklung im<br />

industriellen Maßstab. Der energetische Brennwert des H2<br />

ist zwar nur etwa ein Drittel des zuvor eingesetzten Methans<br />

– der Rest steckt im Kohlenstoffbrennwert –der verbleibende<br />

Kohlenstoff kann indes weiter verwertet werden. Dies<br />

dürfte auch der Gr<strong>und</strong> dafür sein, warum nach Angaben der<br />

Nachrichtenagentur bloomberg Unternehmen, wie die PAO<br />

Gasprom oder BASF auf die Weiterentwicklung der Methanpyrolyse<br />

setzen.<br />

Wirtschaftlichkeit abhängig von Skaleneffekten<br />

<strong>und</strong> C0 2<br />

-Preis<br />

Die Wirtschaftlichkeit bzw. das Marktpotenzial der Technologie<br />

unterliegt noch zahlreichen Unwägbarkeiten wie<br />

fluktuierenden Preisen für Gas <strong>und</strong> CO 2<br />

. Schon bei einem<br />

CO 2<br />

-Emissionspreis (Zertifikat oder Steuer) von 50 Euro pro<br />

Tonne könnte die Methanpyrolyse im Vergleich zu anderen<br />

Verfahren wettbewerbsfähig produzieren, denn für beide<br />

Endprodukte gibt es beträchtliche Marktpotenziale:<br />

44 Gedruckt auf Steinbeis Charisma Silk – hergestellt aus 100 % Altpapier, ausgezeichnet mit dem Blauen Engel. <strong>forum</strong> Ein Produkt <strong>Nachhaltig</strong> der Steinbeis <strong>Wirtschaften</strong><br />

Papier GmbH.


ANTRIEB FÜR MORGEN | THEMEN<br />

Grafik: © Gazprom | Foto: © Karlsruhe Institut für Technologie (KIT)<br />

Bei der thermischen Erdgasspaltung durch Pyrolyse erfolgt eine<br />

Trennung in Wasserstoff <strong>und</strong> reinen Kohlenstoff. Dieser kann für<br />

industrielle Anwendungen eingesetzt werden.<br />

• Wasserstoff für die Nutzung in Brennstoffzellen, zur<br />

Stromerzeugung, in wasserstoffgetriebenen Fahrzeugen<br />

sowie als Rohstoff für industrielle Anwendungen <strong>und</strong> die<br />

Produktion von Ammoniak<br />

• elementarer Kohlenstoff u.a. für die Produktion von Stahl,<br />

als Leiter für Batterien <strong>und</strong> für zahlreiche andere Anwendungen<br />

von Carbonfasern bis hin zu Schmierstoffen <strong>und</strong><br />

Farben<br />

Derzeit stammen 70 Prozent des weltweit produzierten,<br />

hochwertigen elementaren Kohlenstoffs aus China. Europa<br />

verbraucht r<strong>und</strong> zehn Prozent des Gesamtaufkommens,<br />

steuert aber lediglich ein Prozent zur Herstellung bei. Also<br />

gibt es speziell in Europa ein großes Potenzial für diesen<br />

Rohstoff, der bei der Methanpyrolyse anfällt.<br />

Positiv: Praxistest zur Erdgas-Pyrolyse am Karlsruher Institut für<br />

Technologie.<br />

Integration in das Energiesystem Schritt für<br />

Schritt<br />

Für umweltfre<strong>und</strong>lich erzeugten Wasserstoff<br />

ergeben sich eine Vielzahl von Ansätzen<br />

zur Integration in unser Energiesystem. Eine<br />

Möglichkeit besteht darin, ein CO 2<br />

-armes<br />

Energieprodukt „Hythan“ – eine Mischung aus<br />

Erdgas <strong>und</strong> Wasserstoff – zu etablieren, um die<br />

EU-Klimaziele 2<strong>03</strong>0 leichter zu erreichen. Die<br />

Erdgaswirtschaft geht hier bereits voran <strong>und</strong><br />

setzt Wasserstoff-Methan-Gemische für den<br />

Betrieb von Kompressoren beim Gastransport<br />

ein. Dies reduziert die hieraus resultierenden<br />

CO 2<br />

-Emissionen – ersten Analysen zufolge – um<br />

r<strong>und</strong> 30 Prozent. Neuartige Verbrennungsmotoren<br />

für den Mobilitätssektor, die ebenfalls den<br />

Einsatz von Methan-Wasserstoff-Gemischen als<br />

Kraftstoff zulassen, reduzieren den CO 2<br />

-Ausstoß im Vergleich<br />

zu herkömmlichen Motoren um 15 bis 20 Prozent. Gleichzeitig<br />

geht der Verbrauch um r<strong>und</strong> 20 Prozent zurück. All diese<br />

positiven Wirkungen treten jedoch immer nur unter der Voraussetzung<br />

einer nahezu CO 2<br />

-freien Wasserstoffproduktion<br />

ein. Und daran besteht ein großer Bedarf: Laut der im Jahr<br />

2018 vorgestellten Leitstudie „Integrierte Energiewende“ der<br />

Deutschen Energieagentur (dena) wird die Nachfrage nach<br />

möglichst CO 2<br />

-freiem Wasserstoff in den kommenden Jahrzehnten<br />

von r<strong>und</strong> 30 Terawattst<strong>und</strong>en (TWh) im Jahr 2<strong>03</strong>0<br />

auf mehr als 150 TWh im Jahr 2050 ansteigen. Diese eher<br />

konservative Annahme geht von einer vorrangigen Nutzung<br />

im Industrie- <strong>und</strong> Mobilitätssektor aus. Sollte der Einsatz<br />

von Wasserstoff <strong>und</strong> er<strong>neue</strong>rbaren Synthesegasen auch im<br />

Energiesektor voranschreiten, könnte sich der Bedarf sogar<br />

auf mehr als 900 TWh erhöhen.<br />

Fazit<br />

Unter dem Strich ist die Technologie der Methanpyrolyse<br />

für eine Reduktion des CO 2<br />

-Fußabdrucks der Wasserstoffproduktion<br />

ein sehr vielversprechender Ansatz. In der<br />

chemischen Industrie könnte sie in absehbarer Zeit riesige<br />

Mengen CO 2<br />

einsparen. Eine wirksam hohe CO 2<br />

-Bepreisung<br />

(egal ob Emissionszertifikate oder Steuer) ist jedoch die<br />

ökonomische Gr<strong>und</strong>voraussetzung für eine beschleunigte<br />

Entwicklung dieser <strong>und</strong> weiterer dringend benötigter Schlüsseltechnologien.<br />

Nur dann erreichen wir eine schnellere<br />

Transformation unserer Energie- <strong>und</strong> Transportsysteme in<br />

Richtung <strong>Nachhaltig</strong>keit.<br />

DR. ALEXANDER GUSEV<br />

war am oben genannten Forschungsprojekt als Mitarbeiter des Institute<br />

for Advanced Sustainability Studies (IASS), Potsdam beteiligt.<br />

DR. JÖRG WALTER <strong>und</strong> STEFAN HUBER<br />

sind beratende Experten <strong>und</strong> Autoren von <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>.<br />

www.kit.edu | www.iass-potsdam.de | www.poyry.com<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

45


THEMEN | ANTRIEB FÜR MORGEN<br />

Welche Fahrzeugtechnologie die Richtige ist, entscheidet immer der Einsatzzweck. Wer viel Kurzstrecken fährt <strong>und</strong> regenerativen Strom – am<br />

besten aus eigener Erzeugung – bezieht, ist mit einem Plug-in Fahrzeug wie dem Mitsubishi Outlander gegenwärtig gut bedient. Siehe dazu<br />

unseren Testbericht <strong>und</strong> den Stand zum Thema bi-direktionales Laden auf Seite 48. Gas, Strom <strong>und</strong> Wasserstoff sind als Treibstoffe vielen<br />

bekannt – doch die wichtigste Maßnahme für die CO 2<br />

-Reduktion lautet: weniger fahren!<br />

VERKEHRSWENDE<br />

Da ist noch viel Luft nach oben<br />

Die Art <strong>und</strong> Weise, wie wir uns fortbewegen, verändert sich stetig. Das ist eine ganz natürliche Entwicklung,<br />

die unser Leben <strong>und</strong> Arbeiten beeinflusst. Immer offensichtlicher wird, wie dringend wir aktuell Veränderungen<br />

brauchen – <strong>und</strong> zwar umfassender, schneller <strong>und</strong> tiefgreifender als bisher. Der Klimawandel <strong>und</strong><br />

die steigenden CO 2<br />

-Emissionen machen uns Druck, gepaart mit unserem extensiven Mobilitätsverhalten.<br />

Von Fritz Lietsch<br />

Ob ins Büro, zum Einkaufen, um Fre<strong>und</strong>e zu besuchen oder<br />

einen Ausflug mit der Familie zu machen – wir sind dauernd<br />

unterwegs. Die Studie „Mobilität in Deutschland (MiD)“<br />

kommt aufgr<strong>und</strong> steigender Bevölkerungszahlen <strong>und</strong> wachsender<br />

Mobilität zum Ergebnis, dass die Verkehrsnachfrage<br />

einen <strong>neue</strong>n Höchststand erreicht hat: Pro Person legen wir<br />

im Durchschnitt täglich 39 Kilometer zurück, mit dem Auto,<br />

dem Flugzeug oder den öffentlichen Verkehrsmitteln. Multipliziert<br />

mit 80 Millionen Einwohnern bleibt nicht ohne Folgen.<br />

Steigende CO 2<br />

-Emissionen im Verkehr<br />

Unser Mobilitätsverhalten treibt die Treibhausgasemissionen<br />

in immer <strong>neue</strong> Höhen. Der Endenergieverbrauch im Verkehr<br />

entwickelte sich zuletzt mit einem Plus von 6,5 Prozent<br />

gegenüber dem Jahr 2005 <strong>und</strong> damit sogar gegenläufig zu<br />

den Zielen des Energiekonzepts der B<strong>und</strong>esregierung. Schuld<br />

daran sind wir selbst: Wir heizen unter anderem mit unserer<br />

Nachfrage nach SUVs <strong>und</strong> Geländewagen das Klima weiter an.<br />

2018 verzeichnete das Kraftfahrt-B<strong>und</strong>esamt fast 20 Prozent<br />

Foto: © Laura Muranaka<br />

46 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


ANTRIEB FÜR MORGEN | THEMEN<br />

mehr SUVs als im Vorjahr. Im ersten Halbjahr <strong>2019</strong> ist der<br />

Anstieg gar noch höher. Gleichzeitig sind laut Europäischer<br />

Umweltagentur EEA die CO 2<br />

-Emissionen pro PKW gestiegen.<br />

Außerdem machen wir immer mehr Kurzurlaube mit dem<br />

Auto. Ganz zu schweigen von den Flugreisen. Laut Flughafenverband<br />

Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen<br />

(ADV) ist die Zahl der Reisenden, die in Deutschland in ein<br />

Flugzeug stiegen (ohne Umstiege in Deutschland), von 2014<br />

auf 2017 um 13 Prozent gewachsen, Tendenz weiter steigend.<br />

Dabei ist das Flugzeug, gemessen an den CO 2<br />

-Emissionen<br />

pro Kilometer, das klimaschädlichste Verkehrsmittel. Berücksichtigt<br />

man jedoch die Nutzungsintensität, werden im<br />

Verkehr insgesamt die Mehrheit der CO 2<br />

-Emissionen durch<br />

private PKWs verursacht.<br />

Neue Antriebstechnologien <strong>und</strong> Ressourcen<br />

Dass wir etwas an unserem Mobilitätsverhalten ändern<br />

müssen, ist klar. Doch Verhaltensänderungen, welche die<br />

gesamte Bevölkerung betreffen, sind schwer durchzusetzen<br />

<strong>und</strong> damit ein komplexes <strong>und</strong> langwieriges Unterfangen. Wer<br />

verzichtet schon freiwillig auf sein liebgewonnenes Mobilitätsverhalten?<br />

Deshalb braucht es neben einem freiwilligen<br />

Verzicht so schnell als möglich <strong>neue</strong> Treibstoffe <strong>und</strong> <strong>neue</strong><br />

Antriebstechnologien, welche das Ziel unterstützen, weniger<br />

Treibhausgase durch den Verkehr zu produzieren. Bisher<br />

sieht es hier mau aus: Der Anteil er<strong>neue</strong>rbarer Energien liegt<br />

bei nur 5,6 Prozent. Eine große Hoffnung ruht aktuell auf<br />

der Elektromobilität. Sie ist vielseitig einsetzbar, in Autos,<br />

Rollern, Fahrrädern, Bussen, LKWs <strong>und</strong> sogar in Flugzeugen.<br />

Die gr<strong>und</strong>legende Infrastruktur ist dank des Stromnetzes<br />

ebenfalls vorhanden. Und nutzt man Ökostrom, werden die<br />

CO 2<br />

-Emissionen aus dem Mobilitätsverhalten direkt gesenkt.<br />

Entsprechend setzt auch die deutsche Automobilindustrie<br />

inzwischen zunehmend auf die Elektromobilität <strong>und</strong> bringt<br />

mehr Modelle auf den Markt.<br />

Ökostrom für Elektroautos<br />

Trotz Neuzulassungszahlen von plus 80 Prozent im ersten<br />

Halbjahr <strong>2019</strong> sind spezielle Ökostromtarife für Elektroautos<br />

nach wie vor Mangelware. Dabei verdoppeln Elektroautos<br />

schnell den Strombedarf eines typischen Familienhaushalts.<br />

Ein weiterer Punkt: Die CO 2<br />

-Bilanz eines Elektrofahrzeugs<br />

ist aufgr<strong>und</strong> der aufwändigen Batterieproduktion nur dann<br />

positiv im Vergleich zum Fahrzeug mit Verbrennungsmotor,<br />

wenn stets mit Ökostrom geladen wird. Das Institut für<br />

Energie- <strong>und</strong> Umweltforschung Heidelberg hat die CO 2<br />

-Bilanz<br />

von Elektroautos im Auftrag von Agora Verkehrswende<br />

analysiert <strong>und</strong> kommt zum Ergebnis, dass ein Fahrzeug der<br />

Kompaktklasse geladen mit dem herkömmlichen Strommix<br />

r<strong>und</strong> 80.000 Kilometer fahren müsste, um gegenüber dem<br />

Verbrenner im Vorteil zu sein – mit Ökostrom sind es nur<br />

40.000 Kilometer. Und eine Studie des Fraunhofer-Instituts<br />

für System- <strong>und</strong> Innovationsforschung (ISI) besagt, dass die<br />

Treibhausgasemissionen eines Elektroautos über den gesamten<br />

Zeitraum seiner Nutzung gegenüber einem Verbrenner<br />

um 65 bis 75 Prozent niedriger sind. Allerdings nur, sofern<br />

stets mit zertifiziertem Ökostrom geladen wird.<br />

Steigender Bedarf an Spezialtarifen<br />

Um die Entwicklung attraktiver Ökostromtarife zu unterstützen,<br />

müssen Netzbetreiber stärker als bisher <strong>neue</strong><br />

Zählersysteme unterstützen. So bietet der Einsatz unterbrechbarer<br />

Stromzähler <strong>und</strong> intelligenter Ladestationen<br />

Einsparpotenziale für Elektroautofahrer im zweistelligen Bereich<br />

<strong>und</strong> unterstützt gleichzeitig die Netzstabilität. Dennoch<br />

bedarf es in vielen Fällen nach wie vor Einzelabklärungen,<br />

weil keine Genehmigungsverfahren etabliert sind. Der Ökoenergieversorger<br />

Polarstern hat als einer der ersten, ein<br />

solches Autostromangebot mit speziellem Stromzähler im<br />

Portfolio. Es rechnet sich vor allem für Vielfahrer. Sie können<br />

ihre Stromkosten für das Elektroauto jährlich um bis zu circa<br />

20 Prozent senken. Weitere Chancen, die das Ökostromangebot<br />

für Elektroautos voranbringen, können sich durch<br />

die CO 2<br />

-Bepreisung ergeben. Sie setzt Preisanreize zur verstärkten<br />

Nutzung er<strong>neue</strong>rbarer Energien <strong>und</strong> unterstützt so<br />

eine klimafre<strong>und</strong>liche Mobilität.<br />

Bequeme <strong>und</strong> flächendeckende Auflade-Infrastruktur<br />

Zwar kann ein Elektroauto auch an einer typischen Haushaltssteckdose<br />

geladen werden, doch die Ladezeiten von<br />

mehreren St<strong>und</strong>en machen diese Möglichkeit unattraktiv.<br />

Der Ausbau von Ladestationen zuhause <strong>und</strong> unterwegs ist<br />

unersetzlich, um der Elektromobilität zum Durchbruch zu<br />

verhelfen. Nicht nur bei Einfamilienhäusern, auch in Mehrparteiengebäuden<br />

müssen leichter Ladestationen errichtet<br />

werden können. Dazu werden derzeit Änderungen im Gesetz<br />

zur Förderung von Barrierefreiheit <strong>und</strong> Elektromobilität im<br />

Miet- <strong>und</strong> Wohnungseigentumsrecht diskutiert. Im Herbst<br />

soll die zuständige Arbeitsgruppe ihr Abschlusspapier vorlegen.<br />

Polarstern realisiert schon heute kein Mieterstromprojekt<br />

mehr ohne Ladestationen. Und im öffentlichen Raum<br />

arbeitet das Unternehmen mit diversen privaten Unternehmen<br />

zusammen, die Ladestationen für ihre Mitarbeiter <strong>und</strong><br />

K<strong>und</strong>en installieren. Auch das Schnellladenetz von Ionity,<br />

dem Joint Venture der deutschen Automobilhersteller BMW,<br />

Daimler, Ford <strong>und</strong> Volkswagen mit Audi <strong>und</strong> Porsche, wird<br />

von Polarstern versorgt. Bis 2020 will das Unternehmen<br />

r<strong>und</strong> 400 Schnellladestationen betreiben, r<strong>und</strong> 100 davon in<br />

Deutschland. Insgesamt verzeichnete das Laderegister der<br />

B<strong>und</strong>esnetzagentur im Juni über 18.000 Ladepunkte, davon<br />

sind etwa 12 Prozent Schnelllader. Im Juni 2012 waren es<br />

noch unter 3.000 Ladepunkte.<br />

Aber: Elektromobilität alleine reicht nicht<br />

Bei einem PKW-Bestand in Deutschland von r<strong>und</strong> 57 Millionen<br />

Fahrzeugen <strong>und</strong> einem Marktanteil der Elektroautos<br />

auf deutschen Straßen von bislang unter einem Prozent<br />

reicht die Elektromobilität alleine nicht, die CO 2<br />

-Emissionen<br />

ausreichend schnell zu reduzieren, um die Klimaziele<br />

zu erfüllen. Es braucht auch andere Technologien <strong>und</strong> die<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

47


THEMEN | ANTRIEB FÜR MORGEN<br />

Forschung <strong>und</strong> Entwicklung klimafre<strong>und</strong>licher Mobilitätslösungen.<br />

Biokraftstoffe <strong>und</strong> E-Fuels<br />

Heute schon eingesetzt, aber hinsichtlich ihrer nachhaltigen<br />

Erzeugung durchaus begrenzt, sind Biokraftstoffe. Im Jahr<br />

2017 wurden im deutschen Verkehrssektor 3,2 Millionen<br />

Tonnen Biokraftstoffe eingesetzt, vor allem Biodiesel (Anteil<br />

70 Prozent) <strong>und</strong> Bioethanol (28 Prozent). Biomethan <strong>und</strong><br />

Pflanzenöl spielen eine untergeordnete Rolle. Insgesamt<br />

stellen Biokraftstoffe bisher den wesentlichen Teil aller im<br />

Verkehrssektor eingesetzten er<strong>neue</strong>rbaren Energien. Genutzt<br />

werden vor allem Abfälle <strong>und</strong> Reststoffe (29 Prozent),<br />

Raps (25 Prozent), Palmo?l (18 Prozent) <strong>und</strong> Mais (13 Prozent).<br />

Der Vorteil von Biokraftstoffen liegt darin, dass bei der<br />

Nutzung nur so viel CO 2<br />

freigesetzt wird, wie zuvor während<br />

des Pflanzenwachstums geb<strong>und</strong>en wurde. Allerdings müssen<br />

zur ehrlichen CO 2<br />

-Analyse auch der Herstellungsprozess <strong>und</strong><br />

Transport bewertet werden. Außerdem ist ein nachhaltiger<br />

Ausbau der Biokraftstoffe begrenzt, so dass es künftig weitere<br />

Treibstoffe braucht, wie etwa E-Fuels.<br />

Selbst bisherige Verbrenner können mit E-Fuels – aus Ökostrom<br />

hergestellte, synthetische Kraftstoffe – sauberer<br />

fahren. Ein großes Manko der E-Fuels sind jedoch ihre Herstellungskosten<br />

<strong>und</strong> der dafür nötige Energieaufwand. Sie<br />

machen die Kraftstoffe bisher zu teuer, als dass sie im Markt<br />

eine Chance hätten. Würden Treibstoffe allgemein stärker<br />

entsprechend ihrer CO 2<br />

-Emissionen bepreist <strong>und</strong> würde<br />

mehr er<strong>neue</strong>rbarer Strom produziert werden, könnte sich<br />

das künftig ändern.<br />

Neue Mobilitätskonzepte mit Wasserstoff<br />

Auch Lösungen wie die Brennstoffzellentechnik werden<br />

heiß diskutiert. Gerade bei sehr hohen Fahrleistungen<br />

<strong>und</strong> großen Fahrzeugen wie LKWs gelten sie verglichen<br />

zu Elektroantrieben als klimafre<strong>und</strong>licher. Eine Studie des<br />

Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE hat<br />

jüngst gezeigt, dass im Zeitraum von 2020 bis 2<strong>03</strong>0 das<br />

Brennstoffzellen-Auto klare Vorteile bei den Treibhausgasemissionen<br />

hätte. Das gilt natürlich im Vergleich zu einem<br />

Verbrenner, aber auch zu einem Elektroauto mit großer Batterie<br />

<strong>und</strong> Reichweite, welches mit dem deutschen Strommix<br />

geladen wird. Anders sieht es bei Elektrofahrzeugen mit<br />

geringerer Batteriekapazität <strong>und</strong> Reichweite aus, sprich<br />

unter 50 kWh/250 km. Fazit: Nur für große Reichweiten<br />

ist das Brennstoffzellenauto gegenüber Elektrofahrzeugen<br />

zu bevorzugen. Für die Elektrolyse, bei der Wasser in den<br />

benötigten Wasserstoff <strong>und</strong> Sauerstoff gespalten wird, sind<br />

jedoch große Strommengen nötig. Damit dies klima- <strong>und</strong><br />

energiebewusst erfolgt, werden bereits <strong>neue</strong> Konzepte<br />

erprobt. Der Ökoenergieversorger Polarstern etwa ist an<br />

einem Forschungsprojekt beteiligt, bei dem Wasserstoff<br />

mittels Überschussstrom aus der solaren Stromerzeugung<br />

gewonnen wird. Im Rahmen eines Mieterstromprojekts im<br />

„Quartier Lok.West“ in Esslingen wird so ein Elektrolyseur<br />

betrieben <strong>und</strong> Wasserstoff abgespalten, der künftig in<br />

Brennstoffzellen-Fahrzeugen genutzt werden soll.<br />

Ob Sharing-Konzepte, Elektromobilität, E-Fuels, Biokraftstoffe<br />

oder Brennstoffzelle, wir brauchen all diese Technologien <strong>und</strong><br />

Entwicklungen, um die CO 2<br />

-Emissionen mittel- <strong>und</strong> langfristig<br />

senken zu können. Ein „Weiter so“ ist genauso gefährlich, wie<br />

der verengte Fokus auf eine einzige Lösung.<br />

Im <strong>forum</strong> Test<br />

Mitsubishi Outlander Plug-in Hybrid<br />

„Zu den herausragenden Merkmalen der Plug-in Hybridtechnologie<br />

von Mitsubishi Motors gehört, dass die in den Fahrzeugen verwendeten<br />

Fahrbatterien nicht nur als „Stromtank“ für das Fahrzeug<br />

selbst dienen; durch ihre bi-direktionale Auslegung können sie die<br />

gespeicherte elektrische Energie auch wieder abgeben <strong>und</strong> dienen<br />

somit als mobiler Pufferspeicher“.<br />

So ähnlich schreibt Mitsubishi in einer Pressemeldung <strong>und</strong> schon<br />

sind wir neugierig, denn die Aussicht nicht nur ein Auto zu testen,<br />

sondern den Strom aus unseren Solaranlagen tagsüber zu speichern<br />

<strong>und</strong> nachts im Haus verbrauchen zu können, begeistert uns.<br />

Endlich wollen wir als eingefleischte E-Mobilisten bi-direktionales<br />

Laden erleben, wie wir es seit Jahren fordern. Doch da waren wir<br />

wohl etwas zu voreilig <strong>und</strong> hatten die Meldung nicht aufmerksam<br />

genug gelesen: „Um die bi-direktionale Lademöglichkeit optimal zu<br />

nutzen, arbeitet Mitsubishi Motors derzeit intensiv an der Entwicklung<br />

eines Gesamtenergiekonzeptes für die häusliche Stromversorgung.<br />

Dieses als „Dendo Drive House“ bekannte Konzept wurde<br />

erstmals auf dem Genfer Automobilsalon <strong>2019</strong> vorgestellt <strong>und</strong> befindet<br />

sich derzeit in der Entwicklung. Eigenheimbesitzer brauchen<br />

neben dem Fahrzeug auch eine bi-direktionale Schnelllade-Wallbox<br />

mit CHAdeMO-Gleichstromanschluss in der Garage. Erst mit dieser<br />

Ladeeinheit kann das Fahrzeug dem Stromnetz nicht nur elektrische<br />

Energie für den Eigenbedarf entnehmen, sondern diesen Prozess<br />

auch umkehren. Beispielsweise ist es zu Spitzenzeiten mit hoher<br />

Netzauslastung möglich, die in der Fahrbatterie gespeicherte Energie<br />

ins Haus zurück einzuspeisen.“ Aha, das war es also…<br />

Dennoch: Ideal für Camper <strong>und</strong> Handwerker<br />

Bi-direktional ist der Outlander schon, allerdings nur über zwei 220<br />

Volt Schukosteckdosen im Fahrzeug. Die kann man, gespeist aus<br />

den Fahrzeugbatterien, für alle erdenklichen Elektrogeräte nutzen.<br />

Besonders nützlich ist das, wo keine Steckdose vor Ort verfügbar<br />

ist. Ideal also für das Betreiben von Werkzeugen, Pumpen, für Licht<br />

oder Musik im Outdoorbereich.<br />

Diese Stärke wollen wir testen. Kann der Outlander einen Elektrokompressor<br />

<strong>und</strong> eine Bohrmaschine gleichzeitig betreiben <strong>und</strong> dabei<br />

auch noch den Arbeitsplatz beleuchten? Ja – das kann er – wir<br />

lernen die Steckdose im Auto zu schätzen. Aber gr<strong>und</strong>sätzlich ist<br />

dieses Auto ja zuallererst ein Fortbewegungsmittel <strong>und</strong> dafür ist es<br />

ausgerüstet mit der Kombination eines 2,4-Liter-DOHC-Benzinmotors<br />

mit 99 kW (135 PS) in Verbindung mit einem E-Frontmotor – 60<br />

kW (82 PS) – sowie einem E-Heckmotor – 70 kW (95 PS). Hierdurch<br />

blickt der Outlander PHEV auf eine maximale Systemleistung von<br />

165 kW (224 PS). Die Lithium-Ionen-Batterie speichert 14 Kilowattst<strong>und</strong>en<br />

elektrische Energie. Die elektrische Reichweite nach NEFZ<br />

beträgt laut Herstellerangaben 54 Kilometer.<br />

Fazit<br />

Wir sind r<strong>und</strong>um zufrieden mit dem Fahrzeug. Die ausführlichen<br />

Ergebnisse unserer Testfahrt mit 600 kg Anhängelast <strong>und</strong> einen<br />

3-Monats Bericht finden Sie online unter www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

48 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


AFRIKA – KONTINENT DER ENTSCHEIDUNG | THEMEN<br />

MOBILE MONEY IN AFRIKA<br />

Chancen für Heimatüberweisungen <strong>und</strong> nachhaltige Entwicklung<br />

Migranten, die Geld an ihre im Herkunftsland lebenden Angehörigen schicken, haben in den letzten Jahren<br />

mit steigenden Kosten <strong>und</strong> Verzögerungen zu kämpfen. Das Geld wird von ihrer Familie aber meist zum<br />

Überleben benötigt, da es oft bis zu 60 Prozent des Haushaltseinkommens ausmacht.<br />

Von Pedro Morazan <strong>und</strong> Patrick Wulf<br />

Foto: © Cecilia Schubert, flickr<br />

Die sogenannten Heimatüberweisungen sind für die Wirtschaft<br />

vieler Länder im globalen Süden essenziell. Deshalb<br />

haben die Vereinten Nationen sich in der Agenda 2<strong>03</strong>0 mit<br />

dem Ziel 10c darauf geeinigt, die Kosten für Heimatüberweisungen<br />

auf 3 Prozent zu verringern.<br />

Bisher sind Finanztransfer-Dienstleister, sogenannte Money<br />

Transfer Operators (MTO) wie MoneyGram, Ria oder Western<br />

Union neben dem Hawala-Finanzsystem die am häufigsten<br />

genutzte Möglichkeit, um Heimatüberweisungen zu tätigen.<br />

Überweisungen über das normale Bankensystem spielen<br />

in diesem Kontext keine große Rolle, da sie meist mit Verzögerungen<br />

oder hohen Kosten verb<strong>und</strong>en sind. Darüber<br />

hinaus haben die Angehörigen im Herkunftsland oftmals<br />

keinen Zugang zu Banken. In den letzten Jahren entstanden<br />

jedoch auch bei den MTO gravierende Nachteile. Staatliche<br />

Regularien wegen Geldwäsche oder Terrorismus-Finanzierung<br />

führten dazu, dass die Kosten für private internationale<br />

Transaktionen anstiegen <strong>und</strong> sich Dienstleister aus dem<br />

Geschäft zurückzogen. Migranten leiden folglich unter dem<br />

mangelnden Wettbewerb <strong>und</strong> entsprechend hohen Kosten<br />

für die Heimatüberweisungen. Es ist also dringend notwendig,<br />

dass internationale Heimatüberweisungen sicherer,<br />

schneller <strong>und</strong> günstiger werden.<br />

Das Zauberwort: Mobile Money<br />

Mobile Money, also Zahlungstransaktionen mit Hilfe des<br />

Handys sind die Lösung. Es wird inzwischen in mehr als 90<br />

Ländern angeboten <strong>und</strong> pro Tag werden Transaktionen über<br />

1,3 Milliarden US-Dollar mit Hilfe von Mobile Money-Anwendungen<br />

durchgeführt. In mehr als drei Viertel der Niedrig-<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

49


THEMEN | AFRIKA – KONTINENT DER ENTSCHEIDUNG<br />

Die Bankfiliale der Zukunft: M-Pesa, mobiles Bargeld, macht es möglich, dass Bargeld überall verfügbar ist <strong>und</strong> Auslandsüberweisungen nur<br />

noch einen Bruchteil an Gebühren verschlingen. Im Zeitalter der Migration entstehen so <strong>neue</strong> Geldflüsse in den globalen Süden.<br />

<strong>und</strong> Mitteleinkommensländer wird Mobile Money bereits<br />

als Zahlungsmodalität eingesetzt. So nutzen 54 Prozent der<br />

Bevölkerung Ghanas, der Elfenbeinküste, Benins <strong>und</strong> des<br />

Senegal diese Technologie. Weltweit ist der Anteil von Netzbetreibern,<br />

die Mobile Money via Smartphones anbieten,<br />

von 56 Prozent im Jahr 2015 auf 73 Prozent im Jahr 2017<br />

angestiegen. Insbesondere in Subsahara-Afrika läuft die<br />

Entwicklung rasant.<br />

M-Pesa<br />

Der enorme Erfolg von Mobile Money-Diensten lässt sich<br />

anhand von M-Pesa – gebildet aus dem Kürzel „M“ für<br />

„mobil“ <strong>und</strong> dem Swahili-Wort für Bargeld „Pesa“ – zeigen.<br />

Das Projekt wurde von der kenianischen Mobilfunkfirma<br />

Safaricom in Kooperation mit Vodafone entwickelt. 2007 in<br />

Kenia eingeführt, ist es mittlerweile auch in Mosambik, Tansania,<br />

Südafrika, Lesotho, der DR Kongo <strong>und</strong> sechs weiteren<br />

Ländern verbreitet.<br />

Mit M-Pesa können über Mobiltelefone beispielsweise Überweisungen<br />

getätigt <strong>und</strong> bargeldlos bezahlt werden, ohne dass<br />

dafür ein reguläres Bankkonto ? was sehr viele Menschen in<br />

der Anwendungsregion nicht haben ? benötigt würde. Insbesondere<br />

dann, wenn der Zugang zu Bargeld nicht gesichert<br />

ist, beispielsweise in ländlichen Gebieten oder auf Reisen,<br />

ist dies eine praktische <strong>und</strong> sichere Lösung, die inzwischen<br />

sogar genutzt wird, um Löhne auszuzahlen. Nutzer berichten<br />

zudem, dass die Angst, wegen Bargeld beraubt zu werden,<br />

deutlich zurückgegangen ist <strong>und</strong> sich z.B. das Überweisen<br />

ihrer Strom- <strong>und</strong> Wasserrechnungen vereinfacht hat.<br />

Heimatüberweisungen: Die Erfolgsgeschichte von Mobile<br />

Money<br />

Die wachsende Anzahl von Mobile Money-Anwendungen<br />

birgt neben dem praktischen Nutzen vor Ort auch entwicklungspolitische<br />

Potenziale, die wir positiv beeinflussen<br />

können. Denn auch von Deutschland aus kann man Geld beispielsweise<br />

auf das M-Pesa-Konto eines kenianischen Handys<br />

versenden. Dies ist für Menschen mit Migrationsgeschichte<br />

relevant, die von hier aus Geld an ihre in Kenia lebenden<br />

Verwandten schicken, oder für jeden von uns, der seine<br />

Spende einfach direkt dem Empfänger zukommen lassen will.<br />

Mobile Money kann also ein großer Schritt in Richtung<br />

gerechterer Bedingungen für Heimatüberweisungen sein.<br />

Aktuelleren Studien zur Folge sind die Gebühren für Überweisungen<br />

seit 2016 um 40 Prozent zurückgegangen <strong>und</strong><br />

liegen derzeit bei ca. 1,7 Prozent. Meist sparen die Migranten<br />

somit mehr als 50 Prozent gegenüber den traditionellen MTO.<br />

Dass 2018 bereits Heimatüberweisungen in Höhe von 4,3<br />

Banken <strong>und</strong> Mobile Money<br />

am Beispiel Ghana<br />

Mit 2,2 Mrd. US Dollar im Jahr 2017 ist Ghana das fünftgrößte<br />

Empfängerland von Heimatüberweisungen in Afrika. Ghana ist<br />

stark von den Heimatüberweisungen abhängig. Sie übertreffen<br />

inzwischen die Gesamtsumme empfangener Entwicklungsgelder<br />

<strong>und</strong> machen 13 Prozent des BIP aus. Das Geld von ghanaischen<br />

Migranten wird hauptsächlich über traditionelle MTO an die Angehörigen<br />

gesendet. Derzeit operieren in Ghana sechs MTO, die nun<br />

ebenfalls versuchen mit der Digitalisierung zu gehen. Zwei der Anbieter,<br />

Western Union <strong>und</strong> Ria arbeiten mit Ecobank, dem größten<br />

Finanzdienstleister Ghanas, zusammen. Durch diese Zusammenarbeit<br />

haben die MTO-K<strong>und</strong>en Zugang zu den Filialen <strong>und</strong> Unteragenten<br />

der Ecobank – auch ohne Bankkonto. Darüber hinaus hat<br />

Ecobank eine Mobile App in Ghana auf den Markt gebracht. Damit<br />

können Heimatüberweisungen auch auf diesem Weg die Empfänger<br />

erreichen. Da Mobile Money-Nutzer durch den leichteren Zugang<br />

mit hoher Wahrscheinlichkeit mehr sparen, in Bildung, lokale<br />

Geschäfte oder Infrastruktur investieren <strong>und</strong> mehr konsumieren,<br />

bietet die Entwicklung enorme Potenziale für Ghana <strong>und</strong> seine<br />

Bevölkerung. Diese beispielhafte Zusammenarbeit zwischen einer<br />

Bank <strong>und</strong> MTO wird jedoch in vielen Ländern aufgr<strong>und</strong> von Regularien<br />

erschwert.<br />

Foto: © Fiona Graham, WorldRemit, flickr<br />

50 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


AFRIKA – KONTINENT DER ENTSCHEIDUNG | THEMEN<br />

Foto: © WorldRemit Comms, flickr<br />

Handy statt Bankschalter: Kinderleicht <strong>und</strong> innerhalb weniger<br />

Sek<strong>und</strong>en wird der Geldverkehr abgewickelt.<br />

Milliarden US-Dollar nicht über traditionelle Wege, sondern<br />

über Mobile Money-Anwendungen getätigt wurden, verdeutlicht<br />

das große Potenzial der Technologie. Nichtdestotrotz<br />

nehmen Heimatüberweisungen bisher einen sehr geringen<br />

Teil der Mobile Money-Transaktionen ein, da dessen Anwendungen<br />

wegen Regularien oft noch nicht ausreichend<br />

verbreitet sind.<br />

Unsere Verantwortung<br />

Bedeutend ist auch die Rolle, die Mobiltelefone <strong>und</strong> Mobile<br />

Money für den Zugang von Menschen zu Finanzsystemen<br />

spielen: Weltweit haben 2,5 Mrd. Menschen keinen Kontozugang.<br />

Nur jeder fünfte erwachsene Mensch mit einem Einkommen<br />

von weniger als 2 US$ pro Tag hat Zugang zu einem<br />

Bankkonto. Das bedeutet, dass beinahe 80 Prozent ärmere<br />

Menschen von finanziellen Dienstleistungen ausgeschlossen<br />

sind. Mobiles Bezahlen via SMS oder auch mobile Sparkonten<br />

können die finanzielle Inklusion verbessern. Wird dieser<br />

Prozess verantwortungsvoll gestaltet, eröffnen sich für viele<br />

Menschen <strong>neue</strong> Chancen, insbesondere für die betroffene<br />

ländliche Bevölkerung.<br />

Trotz der großen Chance, die Mobile Money entwicklungspolitisch<br />

<strong>und</strong> hinsichtlich finanzieller Inklusion in Ländern des<br />

globalen Südens bietet, zeigt sich die deutsche staatliche <strong>und</strong><br />

insbesondere die nichtstaatliche Entwicklungszusammenarbeit<br />

derzeit überwiegend passiv. Auch in der Diskussion<br />

um Migration spielt das Thema kaum eine Rolle. Zum einen<br />

ist es daher von staatlicher Seite dringend notwendig, sich<br />

allgemein Gedanken über die Potenziale <strong>und</strong> Möglichkeiten<br />

zu machen <strong>und</strong> zu verhindern, dass Migranten weiter unter<br />

Regularien wegen Geldwäsche <strong>und</strong> Terror-Finanzierung<br />

leiden. Zum anderen kann jeder dazu beitragen, diese Perspektiven<br />

in die Debatten um Digitalisierung, Migration <strong>und</strong><br />

Entwicklungszusammenarbeit einzubringen. Erst wenn alle<br />

Akteure sich für eine Verbesserung der Konditionen einsetzen,<br />

können Heimatüberweisungen zukünftig noch stärker<br />

zur nachhaltigen Entwicklung beitragen.<br />

www.suedwind-institut.de<br />

www.gsma.com<br />

www.geldtransfair.de<br />

DR. PEDRO MORAZAN<br />

ist Volkswirt <strong>und</strong> arbeitet seit 1992 am SÜDWIND Institut. Als<br />

gebürtiger Honduraner ist er selbst von den Schwierigkeiten der<br />

Heimatüberweisungen betroffen.<br />

PATRICK WULF<br />

studiert Geographie im Master an der Universität Bonn <strong>und</strong> ist seit<br />

<strong>2019</strong> Werksstudent am SÜDWIND Institut.<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

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51


DIE ZUKUNFT DER MENSCH-<br />

HEIT HÄNGT VON AFRIKA AB<br />

Obwohl der ehemalige B<strong>und</strong>espräsident Horst Köhler von sich selbst behauptet, kein Afrika-Experte zu<br />

sein, widmet er sich seit seinem Rücktritt 2010 vor allem diesem Kontinent. Denn Köhler ist sich sicher:<br />

Die Zukunft der Menschheit hängt davon ab, wie sich Afrika entwickelt.<br />

Von Katrin Wippich <strong>und</strong> Betti Brosche<br />

Bis 2050 wird sich die Bevölkerung des zweitgrößten Kontinents<br />

auf 2,4 Milliarden verdoppeln, <strong>und</strong> das mit weltweit<br />

geringstem Durchschnittsalter. Gleichzeitig ist das riesige<br />

Afrika zusammengesetzt aus unzähligen Staaten, Ethnien<br />

<strong>und</strong> Völkern, die diesen Kontinent bewohnen. Unser Bild<br />

von Afrika ist besetzt von zwei Klischees: Zum einen das von<br />

weiten Steppen <strong>und</strong> malerischen Sonnenuntergängen, zum<br />

anderen das von Krisen, Kriegen <strong>und</strong> Katastrophen. Um sich<br />

ein umfassenderes Bild zu schaffen, spricht Köhler auf seinen<br />

Reisen in Afrika mit Staats- <strong>und</strong> Regierungschefs, Parlamentariern,<br />

Kleinunternehmern, Bauern <strong>und</strong> Kunstschaffenden<br />

<strong>und</strong> immer wieder vor allem mit Jugendlichen.<br />

Ein junger Kontinent<br />

„Ich w<strong>und</strong>ere mich manchmal ein bisschen, wie wenig afrikanische<br />

Intellektuelle, Ökonomen, Aktivisten <strong>und</strong> vor allem<br />

politisch engagierte junge Afrikaner bei uns in Deutschland<br />

wahrgenommen werden. Die gibt es, <strong>und</strong> die haben was zu<br />

sagen!“ Jugendpartizipation ist für ihn eine der wichtigsten<br />

Fragen für die Demokratie. In Afrika, dem Kontinent mit<br />

der jüngsten Bevölkerung, ist der Abstand zwischen dem<br />

Durchschnittsalter der politischen Führung <strong>und</strong> dem Durchschnittsalter<br />

der Bevölkerung immens. Deshalb braucht die<br />

Jugend Afrikas Gehör <strong>und</strong> Entfaltungsspielraum. Köhler plädiert<br />

für die Förderung afrikanischer Initiativen <strong>und</strong> Ideen,<br />

Fotos: oben: © Thomas Ecke, Berlin | rechte Seite: © Michael Kuhlmann<br />

52 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


AFRIKA – KONTINENT DER ENTSCHEIDUNG | THEMEN<br />

Als gefragter Redner, im intensiven Dialog, als konstruktiver Gesprächspartner für die Jugend oder als Repräsentant einer<br />

zukunftsfähigen Völkergemeinschaft: B<strong>und</strong>espräsident a.D. Horst Köhler setzt sich ein für die Sache Afrikas.<br />

Fotos unten: links: © Christian Flemming | rechts: © Thomas Ecke, Berlin<br />

Thinktanks, Jugendinitiativen <strong>und</strong> Regionalorganisationen.<br />

Denn die Menschen in Afrika, vor allem die Jugend, brauchen<br />

Perspektiven. Politischer <strong>und</strong> wirtschaftlicher Art.<br />

Afrikanische Zivilgesellschaft<br />

Dabei setzt Köhler vor allem auf die Eigenverantwortung<br />

der afrikanischen Regierungen <strong>und</strong> Zivilgesellschaften: „Sie<br />

müssen Rechtstaatlichkeit, Bildung, den Aufbau von Infrastruktur<br />

<strong>und</strong> die Diversifizierung der Wirtschaft aus eigener<br />

Initiative ernsthaft anpacken“, so Köhler. Und weist sogleich<br />

darauf hin, dass auch hier der Blick vom Kontinent über die<br />

Staaten <strong>und</strong> Megastädte bis hin zu der Bevölkerung auf<br />

dem Land reichen muss, denn: Afrika als solches existiert<br />

nicht. Afrika, das sind riesige Flächenländer, Zwergstaaten,<br />

Küstenländer, Binnenstaaten. Afrika hat am meisten Sprachen.<br />

Kein Kontinent hat mehr Religionen. Afrika ist reich.<br />

Und Afrika ist arm.<br />

Afrikas Zukunft ist Europas Zukunft<br />

In einer globalisierten Welt, die durch schnellen Transport<br />

von Waren in alle Welt <strong>und</strong> moderne Kommunikation immer<br />

näher zusammenrückt, spüren viele Menschen, dass die<br />

extremen Unterschiede zwischen Arm <strong>und</strong> Reich eine Ungerechtigkeit<br />

darstellen, die nicht tolerierbar ist. Und das<br />

nicht nur in Afrika: Sie spüren, dass die dicksten Mauern, die<br />

Europa um seine Grenzen zu legen versucht, den Zustrom<br />

von Menschen aus ärmeren Ländern nicht werden abhalten<br />

können. Für Horst Köhler hängt die Zukunft Europas deshalb<br />

entschieden von einer guten Zukunft Afrikas ab: „Afrikas<br />

Erfolg birgt gerade für den direkten Nachbarn Europa die<br />

größten Chancen, Afrikas Scheitern die größten Risiken. So<br />

oder so: Afrikas Zukunft ist Europas Zukunft.“<br />

In Anerkennung seines Engagements erhält B<strong>und</strong>espräsident<br />

a.D. Prof. Dr. Horst Köhler den Internationalen B.A.U.M.-Sonderpreis<br />

<strong>2019</strong>.<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

53


THEMEN | FINANZEN – GESELLSCHAFT – WIRTSCHAFT<br />

INTELLIGENT INVESTIEREN<br />

in Zeiten des Klimawandels<br />

September <strong>2019</strong>, Klimagipfel New York: Die globalen Treibhausgasemissionen sind weiter gestiegen, die<br />

Weltgemeinschaft verfehlt krachend die Klimaziele des Paris Abkommens. Bürger, aber vor allem Unternehmen<br />

aller Branchen, müssen nun schleunigst ihre Emissionen reduzieren. Der Finanzsektor kann hierbei<br />

eine Schlüsselrolle einnehmen. <strong>forum</strong> berichtet über die Suche nach der nachhaltigen Stecknadel im<br />

Heuhaufen der Investitionsmöglichkeiten.<br />

Von Stefan Roithmeier<br />

Anleger fragen bei ihren Investitionsentscheidungen immer<br />

häufiger nach der Klimarelevanz <strong>und</strong> der <strong>Nachhaltig</strong>keit von<br />

Unternehmen. Hier sind die Portfoliomanager gefragt. Um<br />

Unternehmen als nachhaltige Anlagemöglichkeit zu identifizieren,<br />

greifen die Portfoliomanager auf verschiedene<br />

Ansätze zurück. Bei der Vielzahl an Methoden ist es für sie<br />

jedoch oft schwer, diese zu vergleichen <strong>und</strong> zu durchschauen.<br />

Für Unternehmen besteht zudem bei einigen Ansätzen die<br />

Möglichkeit, Ergebnisse zu manipulieren. Um hier transparente<br />

<strong>und</strong> vergleichbare Voraussetzungen zu schaffen,<br />

ergreift die EU zunehmend die Initiative: Eine Expertengruppe<br />

der EU arbeitet aktuell an einer EU-Taxonomie, die<br />

definieren soll, welche Aktivitäten als ökologisch nachhaltig<br />

gelten. EU-Parlament <strong>und</strong> Europäischer Rat konnten sich<br />

bereits auf die Schaffung einiger Standards einigen. Solange<br />

es jedoch keine gesetzlich verpflichtenden Regelungen gibt,<br />

werden weitgehend unregulierte Ansätze für die Bewertung<br />

der <strong>Nachhaltig</strong>keit verwendet.<br />

Spieglein, Spieglein an der Wand…<br />

Der verbreitetste Ansatz zur Messung des CO 2<br />

-Fußabdrucks,<br />

ist das sogenannte Carbon Accounting, welches die Treibhausgasemissionen<br />

von Unternehmen quantifiziert. Hierbei werden<br />

Emissionen in drei Kategorien eingeteilt: Scope 1 umfasst<br />

Abbildung 1: Überblick über die verschiedenen Emissions-Kategorien<br />

Grafik: © Roithmeier<br />

54 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


FINANZEN – GESELLSCHAFT – WIRTSCHAFT | THEMEN<br />

Emissionen, die im Unternehmen direkt entstehen, etwa durch<br />

fossile Brennstoffe, selbsterzeugten Strom oder durch den<br />

eigenen Fuhrpark. Als Scope 2 werden indirekte Emissionen<br />

aus dem Verbrauch von Sek<strong>und</strong>ärenergieträgern bezeichnet,<br />

die vom Unternehmen erworben <strong>und</strong> innerhalb der Organisation<br />

verwendet werden (z.B. Strom, Fernwärme-/kälte etc.).<br />

Etwas weiter gefasst ist Scope 3. Hierbei werden Emissionen<br />

entlang der gesamten Wertschöpfungskette erfasst. Dabei<br />

handelt es sich um Emissionen, die bei der Produktion von<br />

Gütern bei Zulieferern, sowie bei der Nutzung der Produkte<br />

während der voraussichtlichen Lebenszeit anfallen. Weil viele<br />

Zahlen jedoch kaum zu konkretisieren sind, rechnen Konzerne<br />

oft mit Modellen. Je mehr Kategorien bei der Berechnung<br />

miteinbezogen werden, umso höher ist der Wert. Wie schwer<br />

vergleichbar Aussagen zu Scope 3 sind, zeigt das Beispiel des<br />

Automobilzulieferers Continental. 2017 wies das Unternehmen<br />

12 Millionen Tonnen CO 2<br />

-Emissionen in seinem <strong>Nachhaltig</strong>keitsbericht<br />

aus, 2018 bereits 112 Millionen Tonnen.<br />

Der Gr<strong>und</strong> dafür sind nicht massiv gestiegene Treibhausgasemissionen,<br />

sondern die Einbeziehung zusätzlicher Faktoren.<br />

… wer ist der Klimafre<strong>und</strong>lichste im Land?<br />

Bei der Messung des CO 2<br />

-Fußabdrucks ist es entscheidend,<br />

Unternehmen vollständig <strong>und</strong> branchenbezogen zu analysieren.<br />

Die gegenwärtig noch unzureichende Verfügbarkeit der<br />

Scope-3-Daten führt daher in vielen Fällen zu ungerechten<br />

Bewertungen. Ein Vergleich von Apple <strong>und</strong> Samsung zeigt das<br />

beispielhaft: Während Apple seine Produktion weitgehend<br />

ausgelagert hat, produziert Samsung überwiegend selbst.<br />

Vergleicht man lediglich die Werte von Scope 1 <strong>und</strong> 2, so weist<br />

Apple deutlich weniger Emissionen <strong>und</strong> damit eine bessere<br />

<strong>Nachhaltig</strong>keitsbewertung auf. Zieht man jedoch Scope 3<br />

heran, stehen beide ähnlich gut da. Ein Unternehmen kann<br />

also seine Treibhausgasbilanz bewusst verbessern, indem es<br />

emissionsintensive Produktionsschritte an Zulieferer auslagert.<br />

Eine sinnvolle Ergänzung zu den Scope-Kategorien ist die Normierung<br />

<strong>und</strong> Relativierung der Emissionen mittels Unternehmenskennzahlen.<br />

Diese Variante nennt man Carbon Intensity.<br />

Dabei werden Finanzkennzahlen wie der Börsenwert oder der<br />

Umsatz verwendet, um den Fußabdruck zu normieren. Dies<br />

verhindert, dass Unternehmen mit hohen Absatzzahlen eine<br />

automatisch schlechtere Bewertung erhalten. Volkswagen<br />

würde sonst bereits wegen seiner hohen Verkaufszahlen<br />

schlechter bewertet werden als Konkurrenzunternehmen, die<br />

weniger Fahrzeuge verkaufen. Doch auch bei Carbon Intensity<br />

gibt es Fallstricke. Premiumhersteller weisen oft sehr viel<br />

höhere Börsenwerte im Verhältnis zu ihrem Absatz auf, was<br />

zu einer nur scheinbar guten Klimabilanz führt. Eine Berücksichtigung<br />

von schwer zu manipulierenden Kennzahlen wie<br />

Bilanzsumme oder Umsatz verhindert dabei Verzerrungen.<br />

Vom CO 2<br />

-Fußabdruck über die Carbon Intensity zum<br />

Climate Score<br />

Eine weitere Fehlerquelle bei der Bewertung von <strong>Nachhaltig</strong>keit<br />

ist die Tatsache, dass Emissionen zwischen den Branchen<br />

erheblich schwanken. Vergleicht man Unternehmen aus<br />

emissionsintensiven Industrien wie der Zementindustrie<br />

etwa mit Firmen aus der Telekommunikationsbranche, werden<br />

erstere generell benachteiligt. Somit ist es entscheidend,<br />

die Titel auf Branchenebene individuell zu bewerten, um<br />

nicht einen nachhaltig handelnden Versorger zu bestrafen,<br />

nur weil er sich in einer generell emissionsintensiven Branche<br />

befindet.<br />

Um solchen Verzerrungen vorzubeugen, wurden sogenannte<br />

Climate Scores entwickelt. Dieser Ansatz, der auf vielfältigen<br />

Daten aufbaut, beinhaltet h<strong>und</strong>erte Informationen zur Bewertung<br />

der ökologischen <strong>Nachhaltig</strong>keit eines Unternehmens.<br />

Neben Treibhausgasemissionen oder Maßnahmen<br />

zur Vermeidung des Klimawandels werden auch Daten zum<br />

Klimamanagement <strong>und</strong> zur Umweltberichterstattung berücksichtigt.<br />

Die Scores werden nach dem Best-in-Class-Verfahren<br />

bewertet, das die Leistungen zum Umweltschutz von Unternehmen<br />

aus derselben Branche vergleicht.<br />

Ein Vergleich der genannten Bewertungsmethoden<br />

zeigt sehr unterschiedliche Resultate. Wendet man für<br />

DAX-Unternehmen CO 2<br />

-Fußabdruck, Carbon Intensity <strong>und</strong><br />

Climate Scores an <strong>und</strong> vergleicht die Rankings, ergibt sich<br />

folgendes Bild:<br />

Abbildung 2: Vergleich der Umweltperformance deutscher DAX-<br />

Unternehmen<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

55


THEMEN | FINANZEN – GESELLSCHAFT – WIRTSCHAFT<br />

Auffällig ist hierbei, dass die Deutsche Börse aufgr<strong>und</strong> ihrer<br />

niedrigen totalen Emissionen sowohl beim Carbon-Accounting-<br />

als auch beim Carbon-Intensity-Ansatz sehr gute Werte<br />

erzielt. Bei der Bewertung der ökologischen <strong>Nachhaltig</strong>keit<br />

anhand Climate Scores schneiden andere Unternehmen<br />

jedoch besser ab, <strong>und</strong> die Deutsche Börse landet nur auf<br />

Platz 18, da sie im Vergleich zu anderen Börsenbetreibern<br />

nur durchschnittliche ökologische Kennzahlen erzielt. BMW<br />

hingegen hat als Automobilhersteller branchenbedingt hohe<br />

Emissionen. Beim Vergleich der CO 2<br />

-Fußabdrücke erzielt das<br />

Unternehmen den 13. Platz. Die Carbon Intensity, also die<br />

Emissionen in Relation zum Umsatz, lässt BMW im Ranking<br />

auf Platz 8 aufsteigen. Betrachtet man die Climate Scores,<br />

führt BMW das Ranking sogar an. In die Berechnung fließt<br />

hier beispielsweise die verbesserte Energieeffizienz der<br />

von BMW produzierten Fahrzeuge ein. Fehlende Berichterstattungen<br />

zu den Emissionen <strong>und</strong> <strong>Nachhaltig</strong>keitszielen<br />

dagegen führen zu schlechten Climate Scores bei Wirecard,<br />

das bei den ersten beiden Methoden gar nicht bewertet<br />

werden konnte, da vom Zahlungsdienstleister keine Daten<br />

veröffentlicht werden.<br />

Fazit<br />

Aufgr<strong>und</strong> der sehr unterschiedlichen Ergebnisse der jeweiligen<br />

Methoden, empfiehlt es sich für den institutionellen<br />

Investor, Kennzahlen zu kombinieren <strong>und</strong> die Unternehmen<br />

möglichst vollständig zu analysieren. Eine reine Aufsummierung<br />

der Emissionen zu einem Gesamtwert ist wenig sinnvoll.<br />

Deshalb ist es wichtig, alle vorhandenen Informationen zu<br />

Emissionen <strong>und</strong> Klimaschutzmaßnahmen einzubeziehen<br />

<strong>und</strong> die Unternehmen branchen- <strong>und</strong> größenabhängig zu<br />

vergleichen. Nur auf diese Weise kann ein nachhaltiges <strong>und</strong><br />

diverses Portfolio zusammengestellt werden.<br />

STEFAN ROITHMEIER<br />

untersuchte nach seinem Studium der Volkswirtschaftslehre für das<br />

B<strong>und</strong>es-Forschungsministerium Werttreiber für den Unternehmenserfolg.<br />

Seit 2008 arbeitet er beim Münchner Researchunternehmen<br />

The Value Group GmbH <strong>und</strong> ist dort für die Entwicklung innovativer<br />

Investmentprodukte <strong>und</strong> die Bewertung unternehmerischer <strong>Nachhaltig</strong>keit<br />

verantwortlich.<br />

Vorsorge für die Enkel<br />

Betriebliche Vorsorgekassen ergänzen als wesentlicher Teil der 2. Säule im österreichischen Pensionsmodell die gesetzliche <strong>und</strong> die private<br />

Vorsorge. Im Idealfall werden Gelder bis zum Pensionsantritt angespart <strong>und</strong> dienen im Alter als Zubrot in Form einer monatlichen Rente.<br />

Doch langsam wird auch dem Letzten klar, dass eine Vorsorge fürs Alter auch die Belange der Enkel einschließen muss. Die Investitionen<br />

von heute entscheiden über die Lebensumstände der kommenden Generationen. <strong>forum</strong> fragte fair-finance CEO Markus Zeilinger, worauf<br />

seine auf <strong>Nachhaltig</strong>keit ausgerichtete Vorsorgekasse bei der Kapitalanlage achtet.<br />

Herr Zeilinger, was erwarten Sie<br />

von Firmen, in die Sie investieren?<br />

Welche Anforderungen stellen Sie<br />

in Sachen Klimaschutz?<br />

Wenn wir in von Firmen ausgegebene<br />

Wertpapiere, also in Anleihen<br />

<strong>und</strong> Aktien, investieren, dürfen<br />

die Firmen einerseits nicht in Geschäftsfeldern<br />

tätig sein oder Geschäftspraktiken<br />

anwenden, die in<br />

unserer <strong>Nachhaltig</strong>keitsrichtlinie<br />

ausgeschlossen sind. Zurzeit haben<br />

wir 27 solcher Ausschlusskriterien<br />

festgelegt <strong>und</strong> sind weltweit in<br />

annähernd 1.000 unterschiedliche<br />

Anleihen <strong>und</strong> Aktien investiert. Andererseits muss die <strong>Nachhaltig</strong>keitsleistung<br />

in der besseren Hälfte des Gesamtuniversums liegen.<br />

Also ein Best-in-Class-Ansatz von 50 Prozent.<br />

Direktinvestitionen, also Beteiligungen, gehen wir erst seit kurzem ein<br />

<strong>und</strong> zwar ausschließlich in Unternehmen mit <strong>Social</strong> <strong>und</strong> Climate Impact,<br />

wobei der Impact durch einen unabhängigen Beirat festgestellt wird.<br />

Wie können die Aussagen der Firmen von Ihnen nachgeprüft werden?<br />

Unser Wertpapierportfolio lassen wir quartalsweise durch The Value<br />

Group, eine <strong>Nachhaltig</strong>keitsresearch- <strong>und</strong> Ratingagentur prüfen. Die<br />

Agentur greift auf öffentliche Informationen <strong>und</strong> eigene Erhebungen<br />

zurück. Bevor wir handeln <strong>und</strong> beispielsweise de-investieren, konfrontieren<br />

wir aber die jeweiligen Firmen im Rahmen unseres Engagementprozesses.<br />

Dies ist insofern notwendig, als der Sachverhalt oft<br />

nicht eindeutig ist oder Informationen nicht aktuell <strong>und</strong> manchmal<br />

auch einfach falsch sind. Bei Direktinvestitionen stehen wir in einem<br />

intensiven direkten persönlichen Kontakt.<br />

Reicht der Best-in-Class-Ansatz, um wirklich nachhaltige Firmen als<br />

Anlageobjekte zu identifizieren?<br />

Ja <strong>und</strong> Nein. Wir würden am liebsten einen Momentum-Ansatz verfolgen.<br />

Also Firmen anhand der Veränderung der <strong>Nachhaltig</strong>keitsleistung<br />

beurteilen. Um dies seriös machen zu können, würden wir<br />

allerdings eine größere Datenbasis, eine längere Zeitreihe <strong>und</strong> eine<br />

konsistente Messmethode benötigen. Da wir die dargestellten Parameter<br />

so aber nicht verfügbar haben, erscheint uns der Best-in-Class-<br />

Ansatz als derzeit praktikabelste Methode.<br />

Foto: © Christoph Hemmerich<br />

56 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


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KLIMAFREUNDLICH DRUCKEN<br />

Mit dem KYOCERA PRINT GREEN – Programm<br />

bietet KYOCERA Document Solutions<br />

seinen K<strong>und</strong>en die Möglichkeit, klimafre<strong>und</strong>lich<br />

zu drucken. 150.000 Tonnen CO 2<br />

wurden hierdurch bereits kompensiert. Für<br />

sein Umweltengagement wurde KYOCE-<br />

RA Document Solutions bereits mit dem<br />

Deutschen CSR-Preis sowie mehrfach mit<br />

dem German Brand Award ausgezeichnet.<br />

Nutzen Sie in Ihrem Büro Drucker oder<br />

Multifunktionssysteme von KYOCERA?<br />

Falls ja, dann tun Sie damit auch Gutes für<br />

die Umwelt sowie die Menschen in Kenia.<br />

Denn der japanische Hersteller bietet seit<br />

dem Jahr 2013 seinen Toner klimaneutral<br />

an. Die Kompensation erfolgt nach folgendem<br />

Prinzip: Pro gedruckter DIN-A4-Seite<br />

entsteht r<strong>und</strong> 1 Gramm CO 2<br />

. Diese Menge<br />

gleicht KYOCERA durch eine Investition in<br />

ein Gold-Standard-Projekt der Klimaschutzorganisation<br />

myclimate aus. Im Rahmen des<br />

Projekts werden in der Siaya-Region, im<br />

Westen Kenias, effiziente Haushaltskocher<br />

hergestellt <strong>und</strong> vertrieben.<br />

So nutzen die Menschen in Siaya hauptsächlich<br />

Kochstellen, die Holz sehr ineffizient<br />

verbrennen <strong>und</strong> zudem eine große Menge<br />

Ruß produzieren. Die effizienten Kocher<br />

benötigen dabei bis zu 50 Prozent weniger<br />

Holz <strong>und</strong> reduzieren zugleich die Rußmenge.<br />

Dies schont nicht nur die Umwelt, sondern<br />

verbessert auch die Ges<strong>und</strong>heit der Menschen:<br />

Insgesamt konnten durch<br />

das Projekt über 70.000 Tonnen<br />

Holz eingespart werden. Durch<br />

die lokale Produktion <strong>und</strong> den<br />

Vertrieb sind in den letzten<br />

Jahren 200 feste <strong>Jobs</strong> entstanden,<br />

während laut myclimate<br />

die Lebensbedingungen von<br />

über 255.000 Menschen in der<br />

Region verbessert wurden.<br />

Ausgezeichnetes Engagement<br />

Für sein Engagement durfte sich<br />

KYOCERA bereits über vielfache<br />

Auszeichnungen freuen: Neben<br />

dem Deutschen CSR-Preis 2017<br />

wurde das Unternehmen bereits<br />

zwei Mal mit dem German<br />

Brand Award ausgezeichnet<br />

– als „Sustainable Brand of the<br />

Year“ (2017) <strong>und</strong> in der Kategorie „Excellence<br />

in Brand Behavior“ (<strong>2019</strong>).<br />

Daniela Matysiak, Umwelt- <strong>und</strong> CSR-Managerin:<br />

„Der Umweltschutz ist seit Unternehmensgründung<br />

fester Bestandteil der<br />

KYOCERA-Philosophie. So pflegen wir mit<br />

der Deutschen Umwelthilfe eine seit 30<br />

Jahren bestehende Partnerschaft – die<br />

längste Kooperation der DUH mit einem<br />

Wirtschaftsunternehmen. Auch der KYO-<br />

CERA NATOUR-GUIDE wurde zusammen<br />

mit der DUH herausgegeben <strong>und</strong> stellt das<br />

gemeinsame Engagement im Rahmen des<br />

Projekts „Lebendige Flüsse“ vor. Auszeichnungen<br />

wie der German Brand Award sowie<br />

der Deutsche CSR-Preis sind für uns dabei<br />

ein wichtiger Ansporn, unser Engagement<br />

für den Umweltschutz weiter auszubauen.“<br />

Weitere Informationen zu KYOCERA PRINT<br />

GREEN gibt es auf der Website<br />

www.printgreen.kyocera.de.<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

57


THEMEN | FINANZEN – GESELLSCHAFT – WIRTSCHAFT<br />

Geballte Kompetenz für die große Transformation: 200 Mitarbeiter am Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) in Potsdam<br />

forschen nach Gestaltungsmaßnahmen für eine enkeltaugliche Zukunft.<br />

DIE DENKFABRIK<br />

Vom Wissen zum Handeln<br />

Unsere Welt verändert sich rasant. Damit Klima, Artenvielfalt <strong>und</strong> Umweltschutz bei diesem Wandel nicht<br />

auf der Strecke bleiben, brauchen wir einen Kompass, der den Weg in Richtung <strong>Nachhaltig</strong>keit zeigt. Das<br />

Institut für transformative <strong>Nachhaltig</strong>keitsforschung (IASS) in Potsdam will die Gesellschaft auf diesem<br />

Weg unterstützen.<br />

Von Matthias Tang<br />

Versetzen Sie sich einmal in die Lage eines Menschen, der<br />

zu Beginn des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts gelebt hat. Ihm würde der<br />

Kompass fehlen, um sich in unserer heutigen Welt zurechtzufinden,<br />

denn unser Alltag ist geprägt vom Internet, von<br />

Computern <strong>und</strong> Smartphones. Jeder Ort der Welt ist mit<br />

dem Flugzeug in wenigen St<strong>und</strong>en erreichbar, die meisten<br />

Menschen sind global vernetzt. Die Folgen des Klimawandels<br />

sind weithin spürbar, die Artenvielfalt geht zurück, unsere<br />

natürlichen Lebensgr<strong>und</strong>lagen geraten zunehmend in Gefahr.<br />

Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> treffen sich in Potsdam Nobelpreisträgerinnen<br />

<strong>und</strong> -träger zu einem interdisziplinären<br />

Symposium. Es ist Oktober des Jahres 2007. Das Ergebnis des<br />

Treffens ist das sogenannte Potsdam Memorandum „Global<br />

Sustainability: A Nobel Cause“, mit der klar formulierten Erkenntnis:<br />

Wir stehen an einem geschichtlichen Wendepunkt,<br />

wo der Bedrohung unseres Planeten nur mit einer Großen<br />

Transformation begegnet werden kann. Diese Transformation<br />

muss jetzt beginnen.“<br />

Ein Institut zur Frage: Wie gelingt Veränderung?<br />

Diese Idee fand einen Paten in dem damaligen Präsidenten<br />

der Leibniz-Gemeinschaft, Professor Ernst Theodor Rietschel.<br />

Er kombiniert verschiedene Konzepte <strong>und</strong> entwickelt daraus<br />

die Blaupause für ein Institut für Klimawandel, Erdsystem<br />

<strong>und</strong> <strong>Nachhaltig</strong>keit. Es ist der Sommer des Jahres 2008.<br />

Aufgr<strong>und</strong> des besonderen, transformativen, zugleich politiknahen<br />

<strong>und</strong> internationalen Ansatzes des <strong>neue</strong>n Instituts wird<br />

der frühere B<strong>und</strong>esumweltminister <strong>und</strong> ehemalige Leiter<br />

des UN-Umweltprogrammes Professor Klaus Töpfer zum<br />

Gründungsdirektor berufen. „Es war eine sehr kreative Zeit<br />

<strong>und</strong> richtig viel Arbeit. Allein die Suche nach der richtigen<br />

Immobilie war ein Kraftakt, natürlich durchlebten wir mit<br />

dem Institut die ein oder andere Geburtswehe“, erinnert<br />

sich Töpfer an jene Anfänge, wo er mit gerade einmal zwei<br />

Mitarbeitern begann, das Institut in Potsdam aufzubauen.<br />

Es ist der Januar des Jahres 2009. Das Institut soll bestehendes<br />

Wissen aller Disziplinen über die notwendige Transfor-<br />

Foto: © Rolf Schulten<br />

58 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


FINANZEN – GESELLSCHAFT – WIRTSCHAFT | THEMEN<br />

mation bündeln, um es kritisch zu reflektieren. Die transformative<br />

Forschung des IASS geht noch einen Schritt weiter:<br />

Wissenschaft <strong>und</strong> Gesellschaft sollen gemeinsam Lösungen<br />

suchen <strong>und</strong> umsetzen. Es gilt, demokratische Mehrheiten zu<br />

erreichen für Veränderungen, die zwar kurzfristig Nachteile,<br />

dafür langfristig den Schutz der menschlichen Lebensgr<strong>und</strong>lagen<br />

bringen können. Dieser <strong>neue</strong> Ansatz ist reizvoll <strong>und</strong> so<br />

gelingt es Töpfer, als wissenschaftlichen Leiter den Physiker<br />

<strong>und</strong> Nobelpreisträger Professor Carlo Rubbia zu gewinnen.<br />

Es ist der Juni des Jahres 2009.<br />

Der Dritte im B<strong>und</strong>e in der Gründungszeit wird Professor<br />

Mark Lawrence, der auch heute noch im IASS-Direktorium ist.<br />

„Es war ganz w<strong>und</strong>ervoll <strong>und</strong> zugleich sehr herausfordernd“,<br />

beschreibt der Erd- <strong>und</strong> Atmosphärenwissenschaftler Lawrence<br />

jene ersten Jahre. „Es herrschte fiebrige Aufbruchsstimmung,<br />

jeder wusste: Etwas ganz Neues entsteht.“<br />

Spektakuläre Ergebnisse erzielt in jenen Anfangsjahren beispielsweise<br />

die IASS Arbeitsgruppe „Ocean Governance“,<br />

die für einen nachhaltigen Umgang mit der Hohen See für<br />

Bereiche außerhalb nationalstaatlicher Zuständigkeiten<br />

eintritt. Sie legt bereits im Januar 2013 einen Policy-Brief<br />

vor, der beim Umweltprogramm der Vereinten Nationen<br />

oder auch dem Stanford Law School Symposium präsentiert<br />

wird. Dies kann als Beginn eines transdisziplinären Dialogprozesses<br />

über eine Meeres-Governance <strong>und</strong> ein weiteres<br />

<strong>Nachhaltig</strong>es Entwicklungsziel, dem „Leben unter Wasser“<br />

(SDG 14), gesehen werden.<br />

Paris 2015: Das Klimaabkommen setzt Ziele<br />

Ein weiterer, internationaler Meilenstein wird gesetzt auf der<br />

UN-Klimakonferenz in Paris. Fast alle Staaten unterzeichnen<br />

den internationalen Klimavertrag. Es ist Winter des Jahres<br />

2015. Auch die <strong>Nachhaltig</strong>keitsziele der UN zeigen, wohin<br />

die Reise gehen muss. Trotz all des Wissens um den Zustand<br />

der Welt begibt sich die Menschheit nur sehr zögerlich auf<br />

diese Reise. Für Professor Ortwin Renn, einer von drei wissenschaftlichen<br />

Direktoren am IASS, folgt daraus: „Damit wir<br />

Kurs halten in Richtung <strong>Nachhaltig</strong>keit, brauchen wir mehr<br />

als nur Fakten: Wir brauchen Antworten auf die Frage, wie<br />

wir vom Wissen zum Handeln kommen.“ Professorin Patrizia<br />

Nanz, seit 2016 wissenschaftliche Direktorin, soll das Thema<br />

Partizipation <strong>und</strong> Beteiligung an transformativen Prozessen<br />

bearbeiten, denn Politikberatung darf keine Einbahnstraße<br />

sein. „Transdisziplinär“, also über die verschiedenen<br />

Wissenschaftsdisziplinen hinaus, soll der Weg in Richtung<br />

<strong>Nachhaltig</strong>keit gemeinsam mit Politik <strong>und</strong> Zivilgesellschaft<br />

beschritten werden.<br />

Fridays for Future fordert: Veränderung ist erwünscht,<br />

aber schneller<br />

Wieder zwei Jahre später, ab Spätherbst 2018, treten<br />

Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler in den Streik <strong>und</strong> demonstrieren<br />

für ihre Zukunft. Fridays for Future – das ist vor allem ein<br />

Protest dagegen, dass die Regierungen viel zu wenig für den<br />

Klimaschutz tun <strong>und</strong> getan haben. Obwohl doch das Wissen<br />

vorhanden ist <strong>und</strong> die Ziele formuliert sind. Aber Veränderungen<br />

umzusetzen ist, wie wir aus unserem Alltag wissen, ein<br />

schwieriges Unterfangen. Das IASS – inzwischen auf r<strong>und</strong> 200<br />

Mitarbeiter angewachsen – will mit aller Kraft dazu beitragen:<br />

Es ist August <strong>2019</strong> <strong>und</strong> ein Modellprojekt geht an den Start.<br />

In Tempelhof-Schöneberg nimmt erstmals ein Bürgerinnen<strong>und</strong><br />

Bürgerrat seine Arbeit auf. Er diskutiert eine Vielzahl von<br />

Themen, die später der kommunalen Verwaltung vorgestellt<br />

werden. Das Projekt startet in Berlin-Friedenau. Monatlich<br />

bis ins Frühjahr 2020 folgen Räte in anderen Ortsteilen des<br />

Bezirks Tempelhof-Schöneberg. Der Bürgerrat soll die Beteiligung<br />

an demokratischen Prozessen weiterentwickeln<br />

<strong>und</strong> zwar generationsübergreifend, interkulturell <strong>und</strong> basisdemokratisch.<br />

Der Prozess wird von einem Team des IASS<br />

wissenschaftlich begleitet <strong>und</strong> beforscht.<br />

Dieser besondere, transdisziplinäre Ansatz des IASS zeigt<br />

sich auch in den anderen Arbeitsbereichen des Instituts, von<br />

denen nachfolgend die vier Bereiche Kohleausstieg, Schutz<br />

der Ozeane, saubere Energie <strong>und</strong> Klimawandel exemplarisch<br />

vorgestellt werden sollen.<br />

Kohleausstieg<br />

Wir müssen Abbau <strong>und</strong> Verstromung der Kohle beenden,<br />

besser heute als morgen. Braunkohleregionen wie die Lausitz<br />

brauchen deswegen ein <strong>neue</strong>, eine nachhaltige Perspektive.<br />

Mit dem Ende des Kohleabbaus verliert die Region nicht nur<br />

einen wichtigen Wirtschaftszweig, sondern es geht auch<br />

eine Tradition zu Ende. Wie kann dieser Verlust zu einer<br />

Chance für nachhaltiges Leben <strong>und</strong> Arbeiten werden? Die<br />

vielen Milliarden Euro, die in die ehemaligen Kohleregionen<br />

fließen sollen, sind keine ausreichende Antwort. Die<br />

IASS-Wissenschaftlerinnen <strong>und</strong> Wissenschaftler setzen den<br />

transformativen Ansatz des IASS um. Sie tauschen sich mit<br />

Kommunalpolitikern, Initiativen, Wirtschaftsverbänden <strong>und</strong><br />

anderen in der Lausitz aus, um daraus Rückschlüsse für ihre<br />

Forschung zu ziehen. Sie begleiten die Menschen vor Ort auf<br />

dem Weg in eine nachhaltige Zukunft. Professorin Patrizia<br />

Nanz: „Mit dem Kohleausstieg könnte dann eine Erzählung<br />

beginnen, wie Kommunen, Länder <strong>und</strong> B<strong>und</strong>esregierung<br />

gemeinsam mit Unternehmen, Vereinen <strong>und</strong> Bürgern die<br />

besten Konzepte abwägen für eine CO 2<br />

-freie, nachhaltige<br />

<strong>und</strong> lebensfre<strong>und</strong>liche Zukunft.“<br />

Schutz der Ozeane<br />

Der Mensch ist auf den Ozean angewiesen. Die Weltmeere<br />

sind eine wichtige Nahrungsquelle, sie regulieren das globale<br />

Klima <strong>und</strong> tragen als Lebensraum einer Vielzahl von Arten<br />

zur weltweiten Biodiversität bei. Aber der Lebensraum Ozean<br />

ist zunehmend bedroht, etwa durch viele Millionen Tonnen<br />

<strong>Plastik</strong>müll im Meer. Die Forscherinnen <strong>und</strong> Forscher des<br />

IASS fragen nach dem gesetzlichen Rahmen für einen nachhaltigen<br />

Umgang mit den Weltmeeren. Fast zwei Drittel der<br />

Ozeane liegen außerhalb der nationalen Hoheitsgewässer.<br />

Wie kann die Artenvielfalt in der Hochsee erhalten <strong>und</strong> eine<br />

nachhaltige Nutzung gefördert werden? Zum Beispiel geht<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

59


Ein Thinktank der Extraklasse: Kompetente Wissenschaftler, ein hochrangiges, vierköpfiges Direktorium, sowie der offene, internationale Dialog<br />

sind die Basis für Problemanalysen <strong>und</strong> konstruktive Vorschläge. Bleibt zu hoffen, dass die Politik ihnen Gehör schenkt.<br />

es um die Entwicklung internationaler Regeln für den Tiefseebodenabbau.<br />

Oder um den Schutz <strong>und</strong> die Artenvielfalt<br />

in Gebieten außerhalb der nationalen Hoheitsbereiche im<br />

Südostatlantik <strong>und</strong> Südostpazifik. Die Forschungsgruppe berät<br />

Regierungen, internationale Organisationen <strong>und</strong> andere<br />

gesellschaftliche Akteure, tauscht sich mit ihnen aus <strong>und</strong><br />

entwickelt Lösungsansätze.<br />

Saubere Energie<br />

International haben bereits viele Staaten die Reise weg von<br />

fossilen Energieträgern hin zu er<strong>neue</strong>rbaren Energien angetreten.<br />

Und das nicht nur aus Gründen des Klimaschutzes,<br />

sondern auch wegen wirtschaftlicher <strong>und</strong> sozialer Vorteile. In<br />

Indien sind zum Beispiel bis zum Jahr 2<strong>03</strong>0 allein durch das<br />

Wachstum der Solarenergie bis zu einer Million zusätzlicher<br />

Arbeitsplätze zu erwarten – zu diesem Ergebnis kommt eine<br />

vom IASS koordinierte Studie. Texas ist aufgr<strong>und</strong> des unschlagbaren<br />

Kostenvorteils der <strong>neue</strong>sten Generation Windenergie<br />

inzwischen wegweisend in Richtung globaler Energiewende.<br />

Diese „Co-Benefits“ untersuchen Forscherinnen<br />

<strong>und</strong> Forscher am IASS in Ländern wie Südafrika, Vietnam <strong>und</strong><br />

anderen. Und sie belassen es nicht beim Forschen, sondern<br />

suchen gemeinsam mit Politik <strong>und</strong> Verwaltung nach Wegen,<br />

wie diese Co-Benefits am besten genutzt werden können.<br />

Klimawandel<br />

Um die Pariser Klimaziele zu erreichen, werden immer häufiger<br />

technische Eingriffe in unser Klima ins Spiel gebracht.<br />

Geo- oder Climate Engineering lauten die Schlagworte dafür.<br />

Das Ergebnis der IASS-Forschung ist eindeutig: Den Klimawandel<br />

können diese Technologien nicht aufhalten. Eine<br />

deutliche Senkung der Emissionen von CO 2<br />

ist derzeit der<br />

einzig zuverlässige Weg, um die Ziele des Pariser Abkommens<br />

zu erreichen. Aber die IASS-Forscherinnen <strong>und</strong> Forscher<br />

stellen darüber hinaus weitere Fragen: Welche Folgen für<br />

Politik <strong>und</strong> Gesellschaft haben diese Technologien? Welche<br />

Risiken sind damit verb<strong>und</strong>en? Mit Akteuren aus Politik,<br />

Umweltverbänden, mit anderen Wissenschaftlerinnen <strong>und</strong><br />

Wissenschaftlern werden diese Fragen diskutiert, zum Beispiel<br />

auf einer alle drei Jahre stattfindenden Konferenz. Ziel:<br />

ein offener Dialog über alle Facetten dieser Technologien<br />

<strong>und</strong> die Folgen für unsere Gesellschaft. Das IASS beschäftigt<br />

sich darüber hinaus mit einer Vielzahl weiterer Themen:<br />

Digitalisierung <strong>und</strong> <strong>Nachhaltig</strong>keit gehört dazu, genauso<br />

wie die Fragen danach, wie Demokratie <strong>und</strong> <strong>Nachhaltig</strong>keit<br />

zusammenhängen, wie sich die Luftverschmutzung auf den<br />

Klimawandel auswirkt oder welche Denkweisen <strong>und</strong> Geisteshaltungen<br />

zu mehr <strong>Nachhaltig</strong>keit führen. In einer Reihe<br />

von Foren <strong>und</strong> Plattformen, wie zum Beispiel der Wissenschaftsplattform<br />

<strong>Nachhaltig</strong>keit, ist das IASS mit anderen<br />

Akteuren vernetzt.<br />

Allen gemeinsam ist: Im Dialog mit der Gesellschaft arbeitet<br />

das IASS am Kompass der <strong>Nachhaltig</strong>keit. Damit aus Wissen<br />

Handeln wird.<br />

Das IASS – im Portrait<br />

Das Institut für transformative <strong>Nachhaltig</strong>keitsforschung oder Institute<br />

for Advanced Sustainability Studies (IASS) ist ein wichtiger<br />

Thinktank für die „Große Transformation“, der zukünftig enger mit<br />

<strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong> zusammenarbeiten wird. Nachfolgend<br />

Daten <strong>und</strong> Fakten im Kurzüberblick<br />

• Gründung: 2009<br />

• Start: 2010<br />

• Sechs Forschungsbereiche, über zwanzig Forschungsgruppen<br />

• R<strong>und</strong> 200 Mitarbeiterinnen, Mitarbeiter, davon r<strong>und</strong> 130 Wissenschaftlerinnen<br />

<strong>und</strong> Wissenschaftler<br />

• Mehr als 200 Gastwissenschaftlerinnen <strong>und</strong> -wissenschaftler<br />

(„Fellows) aus 44 Ländern seit 2010<br />

• Vorstand: Professor Mark Lawrence, Professorin Patrizia Nanz,<br />

Professor Ortwin Renn, Jakob Meyer<br />

• Gefördert durch das B<strong>und</strong>esministerium für Bildung <strong>und</strong> Forschung<br />

<strong>und</strong> das Ministerium für Wissenschaft, Forschung <strong>und</strong><br />

Kultur Brandenburg<br />

www.iass-potsdam.de<br />

Fotos: oben: © IASS | unten: © Rolf Schulten<br />

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FINANZEN – GESELLSCHAFT – WIRTSCHAFT | THEMEN<br />

Das Potsdam-Memorandum<br />

„Global Sustainability: A Nobel Cause“<br />

Wir stehen an einem geschichtlichen Wendepunkt, an dem der Bedrohung unseres Planeten nur mit einer Großen Transformation begegnet werden<br />

kann. Diese Transformation muss jetzt beginnen; sie wird von allen Teilnehmern des Nobelpreisträger-Symposiums befürwortet <strong>und</strong> unterstützt.<br />

Potsdam, Deutschland, 8. bis 10. Oktober 2007<br />

Die Notwendigkeit einer Großen Transformation<br />

Die weltweite soziale <strong>und</strong> wirtschaftliche Entwicklung nach dem Zweiten<br />

Weltkrieg hat unseren Planeten in eine beispiellose Krisensituation<br />

gestürzt: Menschliche Aktivitäten wirken heute wie eine quasigeologische<br />

Kraft, die die Funktionsweise des natürlichen Erdsystems<br />

tiefgreifend <strong>und</strong> unumkehrbar verändert – falls diese Dynamik nicht<br />

rechtzeitig gebremst wird. Wie durch den IPCC dargelegt, ist die vom<br />

Menschen durch den Ausstoß von Treibhausgasen verursachte globale<br />

Erwärmung nur die erste in einer Reihe von Entwicklungs-, Sicherheits<strong>und</strong><br />

Umweltkrisen, die eine umfassende Reaktion erfordern. Doch<br />

Maßnahmen zum Klimaschutz sind scheinbar nicht mit dem vorherrschenden<br />

Wachstums-Paradigma vereinbar, denn dieses lässt den Zusammenhang<br />

zwischen menschlichem Gemeinwohl <strong>und</strong> den begrenzten<br />

natürlichen Ressourcen außer Acht. Die Menschheit steht nun vor<br />

der Aufgabe, den Ausstoß von Treibhausgasen drastisch zu verringern.<br />

Während dies eine veränderte Lebensweise in den wohlhabenden Ländern<br />

erfordert, gilt es dagegen in den ärmeren Ländern, in denen der<br />

größte Teil der Weltbevölkerung lebt, die Voraussetzungen für Wachstum<br />

im Sinne des Rechts auf Entwicklung zu schaffen. Um künftig r<strong>und</strong><br />

neun Milliarden Menschen auf der Erde ein Leben in Würde zu ermöglichen,<br />

muss vor allem deren nachhaltige Versorgung mit bezahlbarer<br />

Energie gesichert werden. Bislang hängt die Energieversorgung jedoch<br />

fast ausschließlich von den Ressourcen an fossilen Brennstoffen <strong>und</strong><br />

deren nicht-nachhaltiger Nutzung ab. Die Frage der „Kohlenstoff-Gerechtigkeit“<br />

erfordert dringend eine <strong>neue</strong> Form der internationalen<br />

Zusammenarbeit. Gibt es einen „Dritten Weg“ zwischen fortschreitender<br />

Umweltzerstörung <strong>und</strong> lähmender Unterentwicklung? Die Antwort<br />

lautet Ja, aber dieser Weg beinhaltet eine zügige <strong>und</strong> umfassende Neugestaltung<br />

unserer Industriegesellschaft. Diese Große Transformation<br />

ist eine gewaltige Herausforderung, doch sind wir gegenüber früheren<br />

Generationen im Vorteil: Wir verfügen heute über ein ausgereiftes System,<br />

Wissen zu produzieren, das prinzipiell dazu genutzt werden kann,<br />

diese Transformation unter mutiger politischer Leitung gemeinsam mit<br />

aufgeklärten Entscheidungsträgern in der Wirtschaft <strong>und</strong> der gesamten<br />

Zivilgesellschaft herbeizuführen.<br />

Eine globale Zielvereinbarung zwischen Wissenschaft <strong>und</strong><br />

Gesellschaft<br />

Es ist unumgänglich, dass wir alle Quellen unseres Erfindungsreichtums<br />

<strong>und</strong> der Kooperation erschließen, um den Herausforderungen<br />

in den Bereichen Umwelt <strong>und</strong> Entwicklung im 21. Jahrh<strong>und</strong>ert <strong>und</strong><br />

darüber hinaus gerecht zu werden. Wesentlich dabei ist eine strategische<br />

Allianz zwischen der wissenschaftlichen Gemeinschaft <strong>und</strong><br />

Führungskräften, Institutionen <strong>und</strong> den aktiven Bewegungen der<br />

Zivilgesellschaft. Im Gegenzug sollten die Regierungen, die Industrie<br />

<strong>und</strong> private Geldgeber in Forschungsvorhaben investieren, die nachhaltige<br />

Lösungen aufzeigen. Dieser <strong>neue</strong> „Vertrag“ zwischen Wissenschaft<br />

<strong>und</strong> Gesellschaft muss, neben vielen anderen, vor allem drei<br />

Elemente enthalten:<br />

1. Ein multinationales Innovations-Programm für die Sicherung der<br />

menschlichen Gr<strong>und</strong>bedürfnisse (Energie, Luft, Wasser, Nahrung,<br />

Ges<strong>und</strong>heit etc.), das in vielen Aspekten über die nationalen Kraftakte<br />

der Vergangenheit wie etwa Mondlandung oder Grüne Revolution<br />

hinausgeht.<br />

2. Abbau der hartnäckigen Bildungsgrenzen <strong>und</strong> -unterschiede durch<br />

ein globales Kommunikations-System (das von internationalen Diskursforen<br />

bis zu einem echten „World Wide Web“ des digitalen Informationsflusses<br />

reicht). Insbesondere das im Aufbau befindliche<br />

„Global Earth Observation System of Systems (GEOSS)“ könnte<br />

rechtzeitig vor drohenden ökologischen oder sozialen <strong>Nachhaltig</strong>keitskrisen<br />

warnen.<br />

3. Eine weltweite Initiative für Forschung sowie Aus- <strong>und</strong> Fortbildung<br />

im Bereich der <strong>Nachhaltig</strong>keit. Die klügsten jungen Menschen<br />

müssen motiviert werden, Probleme interdisziplinär zu lösen, basierend<br />

auf der beständig vorangetriebenen Exzellenz in den wissenschaftlichen<br />

Einzeldisziplinen. Ziel ist es, die nächste Generation<br />

dafür zu gewinnen, die Wissensbasis für das Wohlergehen der<br />

übernächsten Generation zu schaffen.<br />

DER ZUKUNFT VERPFLICHTET<br />

WIR ÜBERNEHMEN<br />

VERANTWORTUNG!<br />

Werte schaffen – Werte leben<br />

Innovative <strong>und</strong> langlebige Technologien<br />

Mitwirken im sozialen Umfeld<br />

Wissen vermitteln <strong>und</strong> Dialog fördern<br />

Artenvielfalt <strong>und</strong> Biodiversität erhalten<br />

<strong>Nachhaltig</strong>e Initiativen <strong>und</strong> Standards entwickeln<br />

Vielseitig im Klimaschutz<br />

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61<br />

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THEMEN | FINANZEN – GESELLSCHAFT – WIRTSCHAFT<br />

DIE KUNST,<br />

DEN KAPITALISMUS<br />

ZU VERÄNDERN<br />

Eine erste Annäherung in fünf Alternativen<br />

Plötzlich ist Bewegung in der Politik. Ein klimapolitischer Vorschlag jagt den nächsten. Endlich wird über<br />

Strategien gegen Mietwucher <strong>und</strong> Pflegenotstand diskutiert. Zu verdanken sind diese Debatten den <strong>neue</strong>n<br />

sozialen Bewegungen. Seit Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler freitags auf die Straße gehen, statt in die Schule,<br />

kann kein Politiker mehr die Klimapolitik ignorieren. Seit in den Großstädten Tausende für Enteignungen<br />

demonstrieren, ist eine strenge Mietpreisbremse auch für Konservative ein Thema.<br />

Von Wolfgang Kessler<br />

Doch so intensiv die politische Diskussion auch sein mag<br />

– ein Thema wird fast konsequent ausgespart: das Wirtschaftssystem.<br />

Noch immer herrscht ein Kapitalismus-Tabu.<br />

Spitzenpolitiker wie Volker Bouffier halten „Diskussionen<br />

über Enteignungen für einen Angriff aufs Gehirn“. Ökonomen<br />

mühen sich fast zwanghaft um marktwirtschaftliche<br />

Vorschläge gegen die Erderwärmung, nur um staatliche Vorgaben<br />

zu verhindern. Noch immer wird der Kapitalismus als<br />

soziale Marktwirtschaft verniedlicht, als hätte sich seit den<br />

1960er-Jahren nichts verändert.<br />

Finanzkapitalismus statt Marktwirtschaft<br />

Doch inzwischen regiert ein rasender Finanzkapitalismus die<br />

Welt, der von einer sozialen Marktwirtschaft Lichtjahre entfernt<br />

ist. Wenige Megafonds <strong>und</strong> Weltkonzerne unterwerfen<br />

die ganze Menschheit dem Diktat der Rendite. In Deutschland<br />

kaufen sie Wohnungen <strong>und</strong> treiben Mieten <strong>und</strong> Bodenpreise<br />

in schwindelnde Höhen. Längst erwerben Investoren auch<br />

Pflegeheime <strong>und</strong> Krankenhäuser. Ihr Interesse gilt weder den<br />

Pflegebedürftigen noch den Kranken, sie wollen nur das Geld<br />

ihrer Anleger vermehren.<br />

Weltweit treibt dieser Finanz-Kapitalismus ein rasendes<br />

Wachstumskarussell an. Auch mit positiven Folgen: Immerhin<br />

wurden bis zu 1,5 Milliarden Menschen aus der Armut<br />

geholt, 800 Millionen davon in China. Das ist nicht gering<br />

zu schätzen. Doch die Kosten dieses Wachstumskarussells<br />

sind hoch: Eine Million Arten könnten aussterben, das Klima<br />

wird aufgeheizt, die Meere werden vermüllt, schreibt ein<br />

aktueller UNO-Bericht.<br />

Die Kluft zwischen Arm <strong>und</strong> Reich wird immer tiefer. Nach<br />

Berechnungen der Entwicklungs-Organisation Oxfam leben<br />

noch immer 1,5 Milliarden Menschen von weniger als 1,50<br />

Dollar am Tag. Gleichzeitig sei das Vermögen der 1.892 Milliardäre<br />

weltweit 2018 um 2,5 Milliarden Dollar gewachsen<br />

– <strong>und</strong> zwar täglich. „Der Kapitalismus tötet“ – das schrieb<br />

Papst Franziskus schon 2013.<br />

62 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


FINANZEN – GESELLSCHAFT – WIRTSCHAFT | THEMEN<br />

„1,5 Milliarden Menschen<br />

aus der Armut geholt“<br />

Sind wir unersättlich?<br />

Natürlich ist der Kapitalismus nicht die einzige Ursache für<br />

diese Probleme. Auch die Bedürfnisse vieler Menschen<br />

scheinen unersättlich, auch sie treibt die Gier. Eine wachsende<br />

Weltbevölkerung verschärft das Problem. Doch die mächtigen<br />

Triebkräfte des Kapitalismus forcieren diese Unersättlichkeit.<br />

Dieses System belohnt alles, was produziert, verkauft wird<br />

<strong>und</strong> Gewinne bringt – egal, ob es Nutzen stiftet oder zerstört.<br />

Hauptsache Wachstum. Deshalb ist eine offene Debatte über<br />

die Veränderung dieses Wirtschaftssystems dringend notwendig.<br />

Es geht um den Mut, in den kommenden Jahrzehnten<br />

eine Wirtschaftsweise durchzusetzen, die Mensch <strong>und</strong> Natur<br />

in den Mittelpunkt stellt <strong>und</strong> nicht Investoren <strong>und</strong> Eigentümer.<br />

„Eine offene Debatte über die<br />

Veränderung dieses Wirtschaftssystems<br />

ist dringend notwendig“<br />

Fünf Alternativen…<br />

… zeigen, dass <strong>und</strong> wie der Übergang in eine soziale, nachhaltige<br />

<strong>und</strong> menschengerechte Wirtschaftsweise gelingen kann<br />

1. Wider das Diktat der Rendite<br />

Jahrzehntelang setzte die Politik auf Privatisierung – jetzt<br />

machen sich überall Finanzinvestoren breit. Das Internet<br />

ist von Privatkonzernen dominiert, die mit den Daten der<br />

User Geld verdienen.<br />

Es braucht deshalb eine drastische Wende: Pflege <strong>und</strong><br />

Ges<strong>und</strong>heit sind soziale Aufgaben. Sie müssen so organisiert<br />

werden, dass das Renditedenken keine Rolle spielt.<br />

Das gilt auch für Wohnen, Wasser, Strom <strong>und</strong> öffentlichen<br />

Verkehr. In der digitalen Welt gilt es, Alternativen zur Herrschaft<br />

der Privatkonzerne aufzubauen: Zu Recht fordert die<br />

Medienethikerin Petra Grimm ein We-Book in der Hand<br />

der Bürger als Alternative zum Privatkonzern Facebook.<br />

Und: Brauchen wir nicht auch öffentlich-rechtliche Suchmaschinen<br />

– als Alternative zu Google? Damit unsere<br />

persönlichen Daten nicht weiter zur Gewinnmaximierung<br />

missbraucht werden.<br />

Und damit nicht genug: Eine nachhaltige Wirtschaftsweise<br />

wird sich nur durchsetzen, wenn die Politik <strong>und</strong> kritische<br />

Anleger <strong>neue</strong> unternehmerische Modelle wie die Gemeinwohl-Ökonomie<br />

fördern, in denen die beteiligten<br />

Menschen das Sagen haben – <strong>und</strong> nicht Investoren, die<br />

sich nur an der Rendite orientieren.<br />

2. Ein Gr<strong>und</strong>einkommen gegen die Angst<br />

Angst vor Abstieg, Angst vor einer ungewissen Zukunft<br />

ist das beherrschende Gefühl in dieser Gesellschaft. Angesichts<br />

tiefgreifender Veränderungen durch die globale<br />

Konkurrenz, durch Digitalisierung, durch eine Klimapolitik,<br />

dürften diese Existenzängste weiterwachsen – <strong>und</strong> das<br />

extremistische Denken fördern. Wenn diese Veränderungen<br />

im demokratischen Rahmen bewältigt werden<br />

sollen, braucht es soziale Sicherheit für alle Bürgerinnen<br />

<strong>und</strong> Bürger: ein Gr<strong>und</strong>einkommen für alle. Als Teil einer<br />

gerechten Steuerreform.<br />

Stellen Sie sich Folgendes vor: Alle Bürger über 18 Jahre,<br />

die ihren Lebensmittelpunkt seit zehn Jahren in Deutschland<br />

haben, erhalten ein Anrecht auf ein monatliches<br />

Gr<strong>und</strong>einkommen vom Finanzamt in Höhe von zum Beispiel<br />

800 Euro, Kinder <strong>und</strong> Jugendliche 400 Euro. Im Unterschied<br />

zu anderen Modellen wird dieses Gr<strong>und</strong>einkommen<br />

vom Finanzamt ausbezahlt <strong>und</strong> mit der Einkommenssteuer<br />

verrechnet Das heißt: Wer keine Steuern bezahlt, erhält<br />

das Gr<strong>und</strong>einkommen. Wer – zum Beispiel – 1.800 Euro<br />

Steuern pro Monat zu zahlen hat, zahlt noch 1.000 Euro,<br />

der Anspruch auf das Gr<strong>und</strong>einkommen wird auf die<br />

Die Welt ist in Bewegung,<br />

Bewegung verursacht Reibung,<br />

Schmierstoffe vermindern Reibung,<br />

FUCHS-Schmierstoffe bewegen die Welt.<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

63


THEMEN | FINANZEN – GESELLSCHAFT – WIRTSCHAFT<br />

Steuerlast angerechnet. Auf diese Weise profitieren vor<br />

allem geringe Einkommen von diesem Gr<strong>und</strong>einkommen.<br />

Zugegeben, es klingt wie eine Neuberechnung der Steuer,<br />

doch es wäre eine gesellschaftliche Revolution: Niemand<br />

lebt mehr in absoluter Armut – <strong>und</strong> dies, ohne dass sich<br />

die Bürger vor der Bürokratie erniedrigen müssen. Das<br />

Gr<strong>und</strong>einkommen stärkt alle Menschen in allen Lebenslagen.<br />

Sie können ihr Leben kreativer <strong>und</strong> selbstbestimmter<br />

als heute gestalten.<br />

Doch es geht nicht nur um die Einzelnen. Wer mit anderen<br />

zusammenlebt, profitiert stärker. Der gesellschaftliche Zusammenhalt<br />

wächst. Eltern können ihr Leben mit Kindern<br />

leichter organisieren, indem sie Erwerbsarbeit teilen. Sie<br />

hätten mehr Zeit für ihre Kinder. Ähnliches gilt für Bürgerinnen<br />

<strong>und</strong> Bürger, die Angehörige oder Fre<strong>und</strong>e pflegen<br />

– oder die einem Ehrenamt nachgehen. Mit Gr<strong>und</strong>einkommen<br />

wird es leichter, die Arbeitszeit zu verkürzen, weil es<br />

die finanziellen Verluste abmildert. Und Arbeit zu teilen<br />

wird wichtig, wenn die Digitalisierung Arbeitsst<strong>und</strong>en wegrationalisiert.<br />

Gleichzeitig wertet ein Gr<strong>und</strong>einkommen<br />

Berufe mit geringen Gehältern auf. Pflegekräfte stehen<br />

besser da als heute.<br />

Da nicht jeder Mensch das Gr<strong>und</strong>einkommen ausbezahlt<br />

bekommt <strong>und</strong> viele Leistungen wie Hartz IV oder Steuerfreibeträge<br />

wie das Ehegattensplitting nicht mehr nötig<br />

sind, ist es finanzierbar. Vorausgesetzt, die Politik hat den<br />

Mut zu einer Vermögensabgabe, zu höheren Steuersätzen<br />

für höhere Einkommen, zu gerechter Besteuerung hoher<br />

Erbschaften <strong>und</strong> des Luxuskonsums.<br />

Klar: Das Gr<strong>und</strong>einkommen ist keine eierlegende Wollmilchsau,<br />

die alle Probleme löst. Aber es ver<strong>schafft</strong> den<br />

Menschen ein wenig Unabhängigkeit vom Hamsterrad des<br />

rasenden Finanzkapitalismus – <strong>und</strong> gibt ihnen Sicherheit<br />

in Zeiten großer Umbrüche – <strong>und</strong> dies bei mehr Freiheit.<br />

3. Eine gerechte Klimapolitik ist möglich<br />

Noch immer wiegen sich Politik <strong>und</strong> Wirtschaft in einer<br />

schönen Illusion: Klimaschutz gelingt, wenn wir möglichst<br />

schnell auf <strong>neue</strong> Techniken wie er<strong>neue</strong>rbare Energien oder<br />

E-Autos setzen. Doch es braucht mehr: Notwendig ist die<br />

gr<strong>und</strong>legende Veränderung von Konsum <strong>und</strong> Produktion.<br />

Diese wird sich erst entwickeln, wenn Umweltzerstörung,<br />

Verschwendung <strong>und</strong> Wegwerfwirtschaft durch Abgaben<br />

verteuert <strong>und</strong> eine ökologische Wirtschaft sowie ein nachhaltiger<br />

Lebensstil belohnt werden.<br />

Diese Ökopolitik wird jedoch nur akzeptiert, wenn sie<br />

sozial gerecht gestaltet ist. Ein Gedankenspiel zeigt, wie<br />

dies möglich wäre: Die Regierung erhebt Abgaben auf<br />

Kohlendioxid <strong>und</strong> auf endliche Rohstoffe. Das klingt so<br />

lange abschreckend, bis die Regierung die Einnahmen aus<br />

den Ökoabgaben an die Bürger zurückgibt. Jede Bürgerin,<br />

jeder Bürger, jedes Unternehmen erhält im folgenden Jahr<br />

einen Scheck über den gleichen Betrag aus den Einnahmen<br />

der Ökoabgaben. Undenkbar? Nein, es geschieht schon.<br />

Die Schweizer Großstadt Basel erhebt seit 15 Jahren eine<br />

Stromabgabe – <strong>und</strong> zahlt im folgenden Jahr jeder Bürgerin,<br />

jedem Bürger – Kinder eingeschlossen – <strong>und</strong> jedem Unternehmen<br />

für jeden Arbeitsplatz den gleichen Betrag aus den<br />

Einnahmen aus der Abgabe zurück. Die Botschaft an alle: Je<br />

weniger Strom Du verbrauchst, desto mehr profitierst Du<br />

von der Rückzahlung. In Basel hat dies zur Einsparung von<br />

Strom geführt. Eine CO 2<br />

-Steuer nach diesem Muster wäre<br />

der Einstieg in die ökologische Revolution des Lebens <strong>und</strong><br />

Arbeitens von heute. Er würde jene belohnen, die weniger<br />

Auto fahren, weniger fliegen, Ökostrom nutzen <strong>und</strong> mehr<br />

langlebige Produkte kaufen statt Wegwerfwaren. Die gerechte<br />

Rückzahlung der Bürger im folgenden Jahr würde<br />

garantieren, dass diese Revolution von der Bevölkerung<br />

akzeptiert würde – so ist es auch in Basel.<br />

4. Ein öko-fairer Welthandel für alle<br />

Noch immer bestimmen die Prinzipien des freien Welthandels<br />

die Weltwirtschaft, auch wenn sie in der Praxis<br />

durch eine egoistische Wirtschaftspolitik der USA, Chinas<br />

<strong>und</strong> der Europäischen Union außer Kraft gesetzt werden.<br />

Freihandel, das klingt gut: Die Abschaffung von Zöllen <strong>und</strong><br />

mehr Konkurrenz sorgt überall für billigere Produkte. Alle<br />

können sich mehr leisten. Das Dumme ist nur, dass jetzt<br />

die Anbieter im Vorteil sind, die die schlechtesten Arbeitsbedingungen<br />

bieten, die Hungerlöhne zahlen, jene Länder,<br />

die geringe Umweltstandards haben.<br />

Beispiel Baumwolle: Sie darf aus den meisten Ländern<br />

des Südens zollfrei importiert werden. Doch ihr Anbau<br />

frisst extrem viel Wasser, sorgt für Pestizid-Vergiftungen,<br />

auf den Feldern werden Hungerlöhne gezahlt, damit die<br />

Wohlstandsbürger billige Kleidung haben.<br />

Die Alternative wäre ein öko-fairer Welthandel. Nun würde<br />

Zollfreiheit nur noch für fair gehandelte Biobaumwolle<br />

gelten. Das hätte Folgen: Jetzt wird der Anbau jener Baumwolle<br />

billiger, für die gerechtere Löhne bezahlt werden, für<br />

die nur ein Zehntel Wasser gebraucht wird <strong>und</strong> die nicht<br />

mit Pestiziden behandelt wird.<br />

In dem Augenblick, in dem der Welthandel öko-fair gesteuert<br />

wird, fördert er eine gerechtere <strong>und</strong> nachhaltigere<br />

Weltwirtschaft.<br />

5. In die Armen investieren<br />

Das kapitalistische Denken in Renditen <strong>und</strong> Großprojekten<br />

prägt längst auch die sogenannte Entwicklungspolitik.<br />

Da geht es um einen „Marshallplan für Afrika“ oder ein<br />

Investitionsprogramm von 25 Milliarden Dollar zum Wiederaufbau<br />

der irakischen Stadt Mossul.<br />

Natürlich braucht Entwicklung auch Investitionen. Andererseits:<br />

Wie viele der geplanten Milliarden kommen wirklich<br />

bei den Menschen vor Ort an, wieviel bei ausländischen<br />

Konzernen <strong>und</strong> Bürokraten?<br />

Wäre es da nicht besser, Entwicklung von den Menschen<br />

aus zu denken. Ein Vorschlag: Die Geberländer für Mossul<br />

reservieren drei der vorgesehenen 25 Milliarden Dollar für<br />

eine unkonventionelle Strategie: Alle Bewohner <strong>und</strong> alle<br />

64 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


FINANZEN – GESELLSCHAFT – WIRTSCHAFT | THEMEN<br />

Cover: © publik <strong>forum</strong> Verlag<br />

Rückkehrer nach Mossul – Frauen, Männer <strong>und</strong> Kinder –<br />

erhalten zehn Jahre lang jeden Monat ein Einkommen von<br />

zwanzig Dollar. Damit kaufen sie Lebensmittel, Stoffe für<br />

Kleidung, Gips <strong>und</strong> Zement, um Wohnungen zu renovieren.<br />

Dann werden Bäckereien, Metzgereien, Nähereien, Handwerksbetriebe<br />

<strong>und</strong> Teestuben aus dem Boden schießen<br />

wie kleine Handwerksbetriebe <strong>und</strong> Teestuben. Ein lokaler<br />

Wirtschaftskreislauf entsteht.<br />

Unglaublich? Nein: In Kenia erhalten etwa 20.000 Menschen<br />

in 124 armen Dörfern seit zwei Jahren von der Basisorganisation<br />

„Givedirectly“ 22 Dollar pro Monat, auch die Kinder. Die<br />

Folgen: Der Hunger ist besiegt, alle Kinder <strong>und</strong> Jugendlichen<br />

besuchen Schulen, die Kleinkriminalität ist gesunken, in den<br />

Dörfern öffnen kleine Läden <strong>und</strong> Betriebe. Manche Familien<br />

sparen auf ein Stück Land oder auf Vieh. Das Selbstbewusstsein<br />

der Frauen ist gewachsen, der familiäre Zusammenhalt<br />

auch. Das zeigt: Wer eine soziale Entwicklung will, muss in<br />

erster Linie in die Armen investieren.<br />

Es gibt sie also, die Alternativen zu einem globalen Kapitalismus,<br />

der Gesellschaften zerrüttet <strong>und</strong> die Welt bedroht.<br />

Und weil es sie gibt, muss das Kapitalismus-Tabu durchbrochen<br />

werden – zugunsten einer offenen Diskussion über<br />

eine nachhaltige Wirtschaftsweise. Unabhängig von den<br />

Machtinteressen jener, die am Status festhalten wollen,<br />

weil sie an ihm gut verdienen.<br />

WOLFGANG KESSLER<br />

hat die herrschende Ökonomie in Konstanz, Bristol <strong>und</strong> an der London<br />

School of Economics studiert <strong>und</strong> die herrschende Wirtschaftspolitik<br />

beim Internationalen Währungsfonds in Washington verfolgt.<br />

Seitdem sucht er als Journalist nach Alternativen zu einem rasenden<br />

Finanzkapitalismus, der Mensch <strong>und</strong> Natur bedroht.<br />

Das Buch zum Beitrag<br />

Megakonzerne <strong>und</strong> Großinvestoren<br />

erobern Innenstädte, Krankenhäuser,<br />

Pflegeheime, Ackerland <strong>und</strong><br />

unsere Daten. Für hohe Renditen<br />

werden Rohstoffe ausgebeutet, Regenwälder<br />

abgeholzt <strong>und</strong> die Meere<br />

vermüllt. Der rasende Kapitalismus<br />

bedroht Mensch, Demokratie, Natur<br />

<strong>und</strong> Klima. Wirtschaft <strong>und</strong> Konsum<br />

müssen gr<strong>und</strong>legend anders werden.<br />

Das erfordert die Kunst, das<br />

Wirtschaftssystem tiefgreifend zu<br />

verändern – ohne dass es in eine Krise<br />

abstürzt. Wolfgang Kessler zeigt,<br />

wie dies gehen kann. Und was wir dafür tun können. Sichern Sie<br />

sich ein handsigniertes Exemplar – nur direkt über den Publik-Forum<br />

Bücherdienst erhältlich.<br />

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NATÜRLICH, NACHHALTIG<br />

UND ANSPRUCHSVOLL.“<br />

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65


THEMEN | FINANZEN – GESELLSCHAFT – WIRTSCHAFT<br />

DIE GEMEINWOHL-ÖKONOMIE<br />

Wie setzt man sie konkret um?<br />

Schon im Jahr 2012 berichtete eine EMNID-Umfrage, dass sich r<strong>und</strong> 80 Prozent der Menschen in<br />

unserem Land eine <strong>neue</strong> Wirtschaftsordnung wünschen. Anlass war damals die Finanz- <strong>und</strong> Bankenkrise.<br />

Angesichts weiterer Herausforderungen wie Klimawandel, <strong>Plastik</strong>verschmutzung <strong>und</strong> wachsende Weltbevölkerung<br />

ist es an der Zeit, <strong>neue</strong> Modelle zu erproben.<br />

Von Karl Heinz <strong>Jobs</strong>t<br />

Die Emnid-Umfrage setzte klare Signale: Zwei von drei Befragten<br />

misstrauen bei der Lösung der Probleme den Selbstheilungskräften<br />

der Märkte. Der Kapitalismus sorge weder für<br />

einen „sozialen Ausgleich in der Gesellschaft“ noch für den<br />

„Schutz der Umwelt“ oder einen „sorgfältigen Umgang mit<br />

den Ressourcen“. In einer Rangfolge der persönlich wichtigen<br />

Dinge stehen für die Befragten zunehmend postmaterielle<br />

Ziele oben: „Ges<strong>und</strong>heit“ liegt auf dem Spitzenplatz, gefolgt<br />

von „Zufriedenheit mit der persönlichen Lebenssituation“<br />

<strong>und</strong> dem „Schutz der Umwelt“. Erst als Letztes wünschen sich<br />

die Deutschen „Geld <strong>und</strong> Besitz zu sichern <strong>und</strong> zu mehren“.<br />

Leider wurden solche Signale von der Politik damals wie auch<br />

heute nicht weiter ernst genommen. Die Wirtschaftspolitik<br />

basiert noch immer auf der „Heiligen Kuh“ Wachstum <strong>und</strong><br />

dem Dogma Gewinnmaximierung. Die Globalisierung gipfelt<br />

in einer ungeahnten Perversion von billiger Produktion<br />

einerseits <strong>und</strong> sinnlosem Konsum andererseits. Dazwischen<br />

expandiert der Handel <strong>und</strong> eskaliert der internationale Transport<br />

in selbstzerstörerischen Größenordnungen. Geld ist<br />

zum Selbstzweck geworden, es vermehrt sich wie von selbst.<br />

Arbeit dagegen verliert zunehmend an Wert <strong>und</strong> wird hoch<br />

besteuert, während sich digitale Konzerne noch immer im<br />

fiskalischen Nirwana tummeln.<br />

Der Erfolg einer Wirtschaft ist nicht nur am Bruttoinlandsprodukt<br />

messbar<br />

Das Ergebnis dieser kaum regulierten Spirale sind nicht etwa<br />

wachsendes Glück <strong>und</strong> Wohlstand für alle, sondern vielmehr<br />

Ausbeutung, Werteverlust, sozialer Abstieg für Viele<br />

sowie Umwelt- <strong>und</strong> Klimaschäden weltweit in nicht mehr<br />

beherrschbarem Ausmaß.<br />

Es ist eine Farce, welch große Bedeutung heute der neoliberalen<br />

Wirtschaft, der Spekulation <strong>und</strong> den „Märkten“<br />

zugestanden wird. Zu bester Sendezeit – kurz vor der Tagesschau<br />

– wird täglich wie selbstverständlich der Börsenbericht<br />

gesendet, so als ob es für die meisten Menschen in diesem<br />

Land nichts Wichtigeres gäbe, als die aktuellen Auswirkungen<br />

von Brexit, Nahost-Krise oder Trump-Eskapaden auf ihr<br />

Aktien-Portfolio zu erfahren, wenn sie denn über ein solches<br />

verfügen würden.<br />

„Börse vor 8“ ist ein markantes Beispiel dafür, wie Prioritäten<br />

in den Medien unserer Gesellschaft aus dem Gleichgewicht<br />

geraten sind. DAX <strong>und</strong> NYSE über alles! Was interessiert in<br />

diesen drei Minuten da schon der erbärmliche Zustand des<br />

Planeten, die Menschenrechtsverletzungen durch internationale<br />

Konzerne oder die Fluchtursachen in aller Welt, hervorgerufen<br />

durch börsennotierte Unternehmen mit globalem,<br />

wirtschaftspolitischem Machtanspruch.<br />

Ist die Wirtschaft noch zu retten oder brauchen wir einen<br />

Neustart?<br />

Es gibt inzwischen viele alternative Theorien, wie das aus den<br />

Fugen geratene <strong>und</strong> krisengeschüttelte Wirtschaftssystem<br />

wieder den Menschen, der Allgemeinheit <strong>und</strong> nicht den<br />

Oligarchen dienen könnte. Die meisten setzen dabei auf politische<br />

Ordnungsmaßnahmen wie z.B. das „Economic Balance<br />

System“, das eine ganze Reihe von Beschränkungen in allen<br />

bestehenden Märkten vorsieht. Diese müssten jedoch von<br />

der Politik in zahlreichen Gesetzen umgesetzt werden, was<br />

eine gewaltige Bewusstseinsänderung in der Politik voraussetzen<br />

<strong>und</strong> vehemente Widerstände in der besitzenden <strong>und</strong><br />

machtausübenden Klasse hervorrufen dürfte. Die Aussicht<br />

66 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


DNP Unternehmen<br />

DNP Globale Partnerschaften<br />

Zum 12. Mal zeichnet der Deutsche <strong>Nachhaltig</strong>keitspreis<br />

Menschen aus, die sich erfolgreich den Herausforderungen<br />

der Zukunft stellen. Er prämiert die Geschäftsmodelle<br />

von morgen, die besten Ideen für die Städte<br />

der Zukunft <strong>und</strong> Forschung, die den Wandel zu nachhaltigem<br />

Leben <strong>und</strong> <strong>Wirtschaften</strong> möglich machen.<br />

Ehrenpreise gehen an prominente Ikonen des humanitären<br />

<strong>und</strong> ökologischen Engagements.<br />

Am Abend des 22. Novembers <strong>2019</strong> werden in Düsseldorf<br />

der Deutsche <strong>Nachhaltig</strong>keitspreis sowie der Next<br />

Economy Award im Rahmen des Deutschen <strong>Nachhaltig</strong>keitstages<br />

verliehen, dem meistbesuchten nationalen<br />

Kongress zur <strong>Nachhaltig</strong>keit.<br />

DNP Architektur<br />

A. Kidjo <strong>und</strong> B<strong>und</strong>espräsident a.D. Ch. Wulff<br />

Ehrenpreisträger Richard Gere<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

67


THEMEN | FINANZEN – GESELLSCHAFT – WIRTSCHAFT<br />

auf eine solche oder ähnliche Lösung erscheint deswegen noch<br />

lange nicht als Licht am Horizont. Sozialismus, Kommunismus<br />

oder Planwirtschaft haben sich in der Vergangenheit nicht<br />

bewährt <strong>und</strong> sind an ihren eigenen Schwächen gescheitert.<br />

An Neuauflagen dieser theoretisch guten aber praktisch unhaltbaren<br />

Modelle traut sich so schnell keiner mehr heran. Der<br />

Kapitalismus existiert zwar noch in seiner ganzen Perversion,<br />

ist aber dabei, sich selbst durch Größenwahn <strong>und</strong> Degeneration<br />

zu zerstören. Der Höhepunkt scheint längst überschritten.<br />

Eine gänzlich andere Lösung verfolgt die Gemeinwohl-Ökonomie<br />

(GWÖ). Sie orientiert sich an den wahren Bedürfnissen<br />

der Menschen. Und zwar aller Menschen, die sowohl ihre<br />

Rolle als Arbeitgeber*innen oder Produzent*innen als auch<br />

als Arbeitnehmer*innen <strong>und</strong> Konsument*innen spielen.<br />

Das Wohl von Mensch <strong>und</strong> Umwelt soll zum obersten Ziel<br />

des <strong>Wirtschaften</strong>s erhoben werden. So wie es in manchen<br />

Verfassungen geschrieben steht, aber politisch bisher kaum<br />

umgesetzt wurde. Christian Felber, der Initiator der GWÖ<br />

zitiert zu diesem Wertesystem Joachim Bauer: „Zu kooperieren,<br />

anderen zu helfen <strong>und</strong> Gerechtigkeit walten zu lassen ist<br />

eine global anzutreffende, biologisch verankerte menschliche<br />

Gr<strong>und</strong>motivation. Dieses Muster zeigt sich über alle Kulturen<br />

hinweg“. Und Felber ergänzt: „Die heutige Wirtschaft <strong>und</strong><br />

Ethik schließen sich aus.“<br />

Die Gemeinwohl-Ökonomie will ein ethisches Wertesystem<br />

wieder etablieren, das fast verloren gegangen ist – von unten<br />

nach oben <strong>und</strong> nach dem Prinzip der Freiwilligkeit <strong>und</strong> der<br />

Belohnung.<br />

Die GWÖ ist eine Vision für das große Ganze <strong>und</strong> gleichzeitig<br />

ein funktionierendes Modell, das bereits jetzt ohne<br />

politische Unterstützung punktuell erfolgreich praktiziert<br />

wird <strong>und</strong> sich auf Basis von Vernunft <strong>und</strong> Freiwilligkeit weltweit<br />

in beachtlicher Geschwindigkeit ausbreitet. Es existiert<br />

gegenwärtig parallel zum globalen Kapitalismus – ganz ohne<br />

Revolution –als nachahmenswertes Vorbild, dem sich Unternehmen<br />

zukünftig nur schwer entziehen können. Birgt es<br />

doch Vorteile, die sich in vielen Bereichen existenzsichernd<br />

für Unternehmen <strong>und</strong> Umwelt auswirken.<br />

Für die breitflächige Etablierung eines ethischen Wirtschaftssystems<br />

in Europa wurde das Modell der Gemeinwohl-Ökonomie<br />

auch vom Europäischen Wirtschafts- <strong>und</strong> Sozialausschuss<br />

(EWSA) weiterempfohlen.<br />

Die Gemeinwohl-Ökonomie ist ein innovativer Ansatz,<br />

der Beachtung auf allen Ebenen verdient!<br />

... auf wirtschaftlicher Ebene eine lebbare, konkret umsetzbare<br />

Alternative für Unternehmen verschiedener Größen<br />

<strong>und</strong> Rechtsformen.<br />

Der Zweck des <strong>Wirtschaften</strong>s <strong>und</strong> die Bewertung von<br />

Unternehmenserfolg werden anhand gemeinwohl-orientierter<br />

Werte definiert.<br />

... auf politischer Ebene ein Motor für rechtliche Veränderung.<br />

Ziel des Engagements ist ein gutes Leben für alle<br />

Lebewesen <strong>und</strong> den Planeten, unterstützt durch ein<br />

gemeinwohl-orientiertes Wirtschaftssystem.<br />

Menschenwürde, Solidarität, ökologische <strong>Nachhaltig</strong>keit,<br />

soziale Gerechtigkeit <strong>und</strong> demokratische Mitbestimmung<br />

sind dabei die zentralen Werte.<br />

... auf gesellschaftlicher Ebene eine Initiative der Bewusstseinsbildung<br />

für Systemwandel, die auf dem gemeinsamen,<br />

wertschätzenden Tun möglichst vieler Menschen<br />

beruht. Die Bewegung gibt Hoffnung <strong>und</strong> Mut <strong>und</strong> sucht<br />

die Vernetzung mit anderen Initiativen.<br />

Jedes Unternehmen, jede Kommune, aber auch Vereine, Verbände<br />

<strong>und</strong> andere Organisationen. können sofort <strong>und</strong> parallel<br />

zur bisherigen Betriebswirtschaft die Gemeinwohl-Ökonomie<br />

verfolgen <strong>und</strong> in mehrerlei Hinsicht profitieren. Ein Gemeinwohl-Unternehmen<br />

hebt sich in der Außenansicht positiv<br />

<strong>und</strong> vorbildhaft aus der Masse der Unternehmen ab. Es kann<br />

wegen hoher Zufriedenheit seiner Mitarbeiter*innen auf die<br />

wichtigste aller Ressourcen eines Unternehmens – das Personal<br />

– vertrauen. Die zukünftig unumgängliche unternehmerische<br />

Entwicklung zu nachhaltiger Produktion, umweltfre<strong>und</strong>lichen<br />

Produkten <strong>und</strong> r<strong>und</strong>um klimaschützendem Verhalten<br />

werden von einem GWÖ-Unternehmen dokumentiert <strong>und</strong><br />

gleichzeitig wird Verbesserungspotenzial aufgezeigt.<br />

Die GWÖ betrachtet in erster Linie sogenannte „weiche<br />

Faktoren“ in Unternehmen, die sich jedoch entscheidend auf<br />

die Leistungsfähigkeit <strong>und</strong> Akzeptanz im Markt auswirken.<br />

Unternehmen <strong>und</strong> Kommunen: Mit der Gemeinwohl-<br />

Bilanz auf dem Weg in die GWÖ<br />

Der GWÖ-Einstiegbericht ist eine erste unkomplizierte<br />

Selbsteinschätzung. Er dient der Orientierung, macht mit<br />

der Systematik vertraut <strong>und</strong> lässt bereits erkennen, dass man<br />

durchaus nicht bei null anfängt, sondern dass jedes Unternehmen<br />

bereits mehr oder weniger gemeinwohl-orientiert<br />

ist, allerdings in der Regel mit viel Luft nach oben.<br />

Danach folgt konsequenterweise die Erstellung einer Gemeinwohl-Bilanz<br />

neben der gewohnten betriebswirtschaftlichen<br />

Bilanz, die Zahlen <strong>und</strong> Fakten für eine Gemeinwohl-Betrachtung<br />

liefert.<br />

Der Banker Helmut Lind, Vorstandsvorsitzender der Sparda-Bank<br />

München eG kommentiert die Entscheidung seiner<br />

Bank für die regelmäßige Erstellung einer Gemeinwohl-Bilanz:<br />

„Die Orientierung am Gemeinwohl ist für mich das<br />

wichtigste F<strong>und</strong>ament der Zukunft <strong>und</strong> damit auch jeder<br />

künftigen Produktivitätssteigerung.“<br />

Die GWÖ unterscheidet zwischen einer Kompaktbilanz<br />

<strong>und</strong> einer Vollbilanz, die sich in Umfang <strong>und</strong> Tiefe deutlich<br />

unterscheiden. Für einen Start in die GWÖ ist zunächst die<br />

Kompaktbilanz zu empfehlen.<br />

Drei Möglichkeiten zur Erstellung einer Gemeinwohl-Bilanz<br />

werden angeboten:<br />

• eigenständige Erstellung eines Gemeinwohl-Berichts ohne<br />

GWÖ-Berater*in<br />

• Erstellung eines Gemeinwohl-Berichts in Begleitung von<br />

Gemeinwohl-Berater*innen<br />

68 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


FINANZEN – GESELLSCHAFT – WIRTSCHAFT | THEMEN<br />

• Erstellung eines Gemeinwohl-Berichts in einer Peer-Gruppe,<br />

moderiert durch eine Gemeinwohl-Berater*in<br />

Aus Erfahrung kann behauptet werden, dass die Erstellung<br />

eines Gemeinwohl-Berichts in einer Peer-Gruppe die einfachste,<br />

aber auch die lehrreichste Methode ist. Der offene<br />

Vergleich im Rahmen gegenseitiger Beurteilung zwischen<br />

unterschiedlichsten Unternehmen ist sehr zu empfehlen.<br />

Eine Vorgehensweise anhand des zur Verfügung gestellten<br />

ausführlichen Arbeitsbuchs ist sinnvoll <strong>und</strong> notwendig. Der<br />

Peer-Gruppe wird von der GWÖ ein Coaching-Team zur Seite<br />

gestellt, das offene Fragen kompetent beantworten kann <strong>und</strong><br />

zielführend durch den gesamten Prozess leitet. Am Beispiel<br />

von fünf Unternehmen im Raum München-Starnberg kann<br />

dies aktuell belegt werden.<br />

Ablauf einer Peer-Gruppen-Arbeit– ein Bericht aus der<br />

Praxis gibt Einblicke<br />

Der GWÖ-Bilanz liegt eine Gliederung in Form einer Matrix<br />

zugr<strong>und</strong>e. Sie wird stetig weiterentwickelt, weil Unternehmen<br />

ihre Erfahrungen reflektieren <strong>und</strong> an Verbesserungen<br />

stark interessiert sind. Hier die aktuelle Version 5.0. Für die<br />

vier Wertegruppen Menschenwürde, Solidarität, Ökologische<br />

<strong>Nachhaltig</strong>keit sowie Transparenz <strong>und</strong> Mitentscheidung<br />

wurde jeweils ein ganzer Tag der intensiven Zusammenarbeit<br />

angesetzt. Alle Unternehmen bereiteten pro Tag eine<br />

Wertegruppe in Bezug zu allen Berührungsgruppen A-E vor,<br />

fassten die Eigenbeurteilung in Textform zusammen <strong>und</strong><br />

stellten sie der R<strong>und</strong>e zur Diskussion. Mehrheitlich, jedoch<br />

meist einvernehmlich, wurde abgewogen, korrigiert <strong>und</strong><br />

schließlich für jedes einzelne Thema eine Wertung in Prozentpunkten<br />

festgelegt. Im Hintergr<strong>und</strong> arbeitete dabei ein<br />

Gemeinwohl-Kompaktbilanz-Rechner in Form einer Tabellenkalkulation.<br />

Es zeigte sich, dass bei den Beurteilungen der<br />

Themen durchaus größere Unterschiede deutlich wurden.<br />

Durch gegenseitige Argumentationen <strong>und</strong> durch die Unterstützung<br />

<strong>und</strong> Erfahrung der Coaches konnten die Meinungsverschiedenheiten<br />

jedoch allesamt relativiert werden.<br />

Der ganze Bilanzierungsprozess dauerte etwa ein Jahr, wobei<br />

die Findung der gemeinsamen Termine die größte Schwierigkeit<br />

darstellte. Es hat sich deshalb als gut erwiesen, wenn<br />

nicht nur eine Person pro Unternehmen an der Erstellung<br />

des Gemeinwohl-Berichts beteiligt war. Zum Abschluss fand<br />

eine Besprechung der Endfassungen aller Berichte statt <strong>und</strong><br />

die endgültige Einordnung in das Matrix-Punkte-System. Die<br />

fertigen Berichte wurden eingereicht, geprüft <strong>und</strong> schließlich<br />

mit einem Testat bestätigt.<br />

In der Peer-Gruppe wurde diskutiert, ob das Bilanzergebnis<br />

nach Punkten gewünscht ist oder ob dadurch ein Wettbewerb<br />

zwischen den Unternehmen entsteht, der eigentlich<br />

nicht im Sinne der Gemeinwohl-Ökonomie ist. Die Gruppe<br />

war einhellig der Meinung, dass eine textliche Beurteilung<br />

des Bilanzergebnisses <strong>und</strong> eine Einreihung in Fortschritt-Kategorien<br />

aussagekräftiger seien. Vorerst bleibt es jedoch noch<br />

bei der Punktebewertung, wie sinnvoll sie auch sein mag.<br />

Konsens bei allen Teilnehmer*innen war auch, dass die<br />

wechselseitige Betrachtung <strong>und</strong> der unbestechliche Spiegel<br />

des Gemeinwohls zu Bewusstseinserweiterung geführt<br />

haben, die im Ergebnis zur Verbesserung der Strukturen im<br />

Unternehmen führen wird. Bleibt noch zu ergänzen, dass die<br />

Zertifikate anschließend ordentlich gefeiert wurden, um sich<br />

für die Mühen zu belohnen.<br />

Wert Menschenwürde Solidarität <strong>und</strong><br />

Berührungsgruppe<br />

Gerechtigkeit<br />

A<br />

Lieferant*innen<br />

B<br />

Eigentümer*innen <strong>und</strong><br />

Finanzdienstleister*innen<br />

C<br />

Mitarbeitende<br />

D<br />

K<strong>und</strong>*innen <strong>und</strong><br />

Mitunternehmen<br />

E<br />

Gesellschaftliches<br />

Umfeld<br />

A1 Menschenwürde<br />

in der Zulieferkette<br />

B1 Ethische Haltung<br />

im Umgang mit<br />

Geldmitteln<br />

C1 Menschenwürde<br />

am Arbeitsplatz<br />

D1 Ethische<br />

K<strong>und</strong>*innenbeziehungen<br />

E1 Sinn <strong>und</strong> gesellschaftliche<br />

Wirkung<br />

der Produkte <strong>und</strong><br />

Dienstleistungen<br />

A2 Solidarität <strong>und</strong><br />

Gerechtigkeit in der<br />

Zulieferkette<br />

B2 Soziale Haltung<br />

im Umgang mit<br />

Geldmitteln<br />

C2 Ausgestaltung der<br />

Arbeitsverträge<br />

D2 Kooperation <strong>und</strong><br />

Solidarität mit<br />

Mitunternehmen<br />

E2 Beitrag zum<br />

Gemeinwesen<br />

Ökologische<br />

<strong>Nachhaltig</strong>keit<br />

A3 Ökologische<br />

<strong>Nachhaltig</strong>keit in der<br />

Zulieferkette<br />

B3 Sozial-ökonomische<br />

Investitionen<br />

<strong>und</strong> Mittelverwendung<br />

C3 Förderung des<br />

ökologischen<br />

Verhaltens der<br />

Mitarbeitenden<br />

D3 Ökologische Auswirkung<br />

durch Nutzung<br />

<strong>und</strong> Entsorgung<br />

von Produkten <strong>und</strong><br />

Dienstleistungen<br />

E3 Reduktion<br />

ökologischer<br />

Auswirkungen<br />

Transparenz <strong>und</strong><br />

Mitentscheidung<br />

A4 Transparenz <strong>und</strong><br />

Mitentscheidung in<br />

der Zulieferkette<br />

B4 Eigentum <strong>und</strong><br />

Mitentscheidung<br />

C4 Innerbetriebliche<br />

Mitentscheidung <strong>und</strong><br />

Transparenz<br />

D4 K<strong>und</strong>*innen-<br />

Mitwirkung <strong>und</strong><br />

Produkttransparenz<br />

E4 Transparenz <strong>und</strong><br />

gesellschaftliche<br />

Mitentscheidung<br />

Die Gemeinwohl-Matrix deckt Schwachstellen in der Organisation auf <strong>und</strong> regt damit zu Verbesserungen an.<br />

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69


THEMEN | GEMEINSAM FÜR DEN WANDEL<br />

1.000 Menschen formen mit ihren Körpern eine Botschaft in den Strand vor Lissabon: Stoppt die Ölbohrung. Wasser ist Leben.<br />

DIE GUTE NACHRICHT<br />

Ölbohrung in Portugal vom Tisch<br />

Protestieren, wo andere schweigen. Freizeit opfern, wo andere schwelgen. Das ist oft mit Frustrationen<br />

<strong>und</strong> Enttäuschung verb<strong>und</strong>en. Doch nicht zuletzt seit Greta wird dem Protest immer öfter Gehör geschenkt.<br />

ENDLICH! <strong>forum</strong> berichtete 2018 über einen schier aussichtslosen Kampf gegen Ölbohrung <strong>und</strong> Fracking.<br />

Und dann geschah das Unfassbare…<br />

Von Fritz Lietsch<br />

Das Ölkonsortium Galp <strong>und</strong> ENI hatte die Verträge bereits<br />

in der Tasche, alles war vorbereitet: Staatssekretäre aller<br />

portugiesischen Regierungen der letzten Perioden hatten ihm<br />

im Laufe der letzten Jahre Rechte für Offshore-Öl-Bohrungen<br />

<strong>und</strong> Offshore-Fracking vor der Küste zugesichert. Nicht<br />

irgendeiner Küste, sondern der malerischen Südwestküste<br />

Portugals, einer der letzten nicht zugebauten <strong>und</strong> verunstalteten<br />

Küsten Europas.<br />

Öl oder Natur?<br />

Die Vicentinische Küste ist ein Naturpark <strong>und</strong> seismisch<br />

aktiv – was die Strategen geflissentlich übersehen hatten.<br />

„Eine Umweltprüfung ist nicht notwendig“, entschied Nuno<br />

Lacasta, der Präsident der portugiesischen Umweltagentur<br />

(APA) im Frühjahr 2018, <strong>und</strong> ausgerechnet Umweltminister<br />

João Matos Fernandes befand: „Eine eigene Förderung<br />

fossiler Brennstoffe würde uns wirtschaftlich vom Ausland<br />

unabhängig machen.“<br />

Seit 2016 gab es wachsenden Widerstand gegen die Pläne,<br />

zunächst von der Tourismus-Industrie, die zwei von zehn <strong>Jobs</strong><br />

in Portugal sichert, dann von den betroffenen Gemeinden,<br />

den Fischereiverbänden, den Surfer-Vereinen <strong>und</strong> schließlich<br />

immer breiteren Schichten der Bevölkerung. Warum will das<br />

sonnenreichste Land Europas noch einmal auf den Wahnsinn<br />

Fotos: © Tamera<br />

70 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


GEMEINSAM FÜR DEN WANDEL | THEMEN<br />

Erdöl setzen? Zumal man nach hoher Wahrscheinlichkeit<br />

noch nicht einmal große Erdölvorkommen erwartete – aber<br />

allein die Bohrung würde einen großen Schaden im fragilen<br />

System der Küste auslösen.<br />

Gemeinsam protestieren!<br />

In der Algarve strickten Hausfrauen eine rekordverdächtige<br />

„Rote Linie“. In Lissabon schlichen sich verkleidete AktivistInnen<br />

in die Verhandlungsräume <strong>und</strong> bespritzten alles mit einer<br />

dunklen, öligen Flüssigkeit. Mehrere Großdemonstrationen<br />

forderten, dass die Entscheidungen über unsere gemeinsame<br />

Zukunft nicht mehr nur in geschlossenen Verhandlungen,<br />

sondern im Parlament debattiert werden müssten. Die betroffenen<br />

Gemeinden beantragten eine einstweilige Verfügung<br />

zum Stopp. Alle Parteien sprachen sich daraufhin gegen<br />

die Ölbohrung aus, aber die Verträge, tja, die müssten leider<br />

leider noch eingehalten werden, da sei nichts zu machen.<br />

Der Termin war auf den 15. September gesetzt, die Strategen<br />

der Umweltbewegung planten bereits das Vorgehen nach<br />

der Probe-Bohrung. Doch kurz davor, im August 2018, wenn<br />

normalerweise ganz Portugal in den Ferien ist, kumulierten<br />

die Proteste noch einmal. Am 4. August lud das Friedensforschungszentrum<br />

Tamera AktivistInnen aus aller Welt ein,<br />

darunter Mitglieder der Lakota aus Standing Rock mit ihrem<br />

Motto: Defend the Sacred – das Heilige verteidigen. Etwa 800<br />

Menschen trafen sich am Strand gegenüber von Lissabon <strong>und</strong><br />

legten unter Anleitung des Luftbildkünstlers (Aerial-Art) John<br />

Quigley mit ihren Körpern eine große Figur in den (äußerst<br />

heißen) Sand: Eine Delphinmutter mit Jungem <strong>und</strong> die Worte<br />

„Agua é vida“ (Wasser ist Leben) <strong>und</strong> „Defend the Sacred“.<br />

Es war ein Happening mit Trommeln <strong>und</strong> Musik <strong>und</strong> gleichzeitig<br />

eine Art gigantisches Gebetsritual mit Gesängen, Feuer<br />

<strong>und</strong> Wasser. Urlauber <strong>und</strong> Menschen am Strand reihten sich<br />

spontan ein. Der Haupt-Fernsehsender brachte die Aktion in<br />

den Nachrichten. Auch prominente Stimmen sprachen sich<br />

gegen die Umweltzerstörung aus <strong>und</strong> Energie-Alternativen<br />

wurden sichtbar gemacht: Am Strand wurde eine ganze Reihe<br />

von Solarsystemen aufgebaut <strong>und</strong> die Aktivisten von Tamera<br />

verschenkten solar gekochtes Mittagessen.<br />

Was bewegt Politik <strong>und</strong> Wirtschaft?<br />

Eine beeindruckende <strong>und</strong> gelungene Aktion bei 42° im Schatten<br />

– die gemeinsame Deklaration eines Willens – <strong>und</strong> doch:<br />

Was würden sich Politik <strong>und</strong> Industrie um ein paar h<strong>und</strong>ert<br />

Menschen scheren, die am Strand sitzen <strong>und</strong> protestieren?<br />

Dann geschah das Unerklärliche: Warum <strong>und</strong> durch welche<br />

Einzelursachen alles Weitere passierte, wird wohl niemals<br />

geklärt werden können. Jedenfalls erklärte vier Tage nach der<br />

Aktion der portugiesische Präsident, er müsse seine Haltung<br />

zur Ölbohrung überdenken. Zwei Wochen nach der Aktion<br />

gab ein Gericht der einstweiligen Verfügung überraschend<br />

statt: Die Ölbohrung wurde erst einmal ausgesetzt. Vorsichtige<br />

Freude, aber Wachsamkeit. Und dann – etwa 2 Monate<br />

nach der Aktion – zogen Galp <strong>und</strong> ENI ihre Pläne zurück. Sie<br />

verzichteten ohne weitere Klageandrohung auf ihre Rechte,<br />

Rote Tücher <strong>und</strong> Menschenketten transportieren die wichtige Botschaft.<br />

Die Aktivisten nutzen gemeinsam mit Urlaubern den Strand<br />

als gigantische Plakatwand.<br />

vor der portugiesischen Küste jemals nach Öl zu bohren. Ein<br />

Bravo für diesen Schritt!<br />

Für die Demonstranten, die am 4. August dabei waren,<br />

schien dies, als seien die gemeinsamen Gebete tatsächlich<br />

von irgendetwas oder irgendjemandem erhört worden, als<br />

hätten sich gemeinsamer Wille <strong>und</strong> Vision letztendlich doch<br />

noch durchgesetzt.<br />

Don‘t give up!<br />

Daraus lässt sich eine Erkenntnis ableiten für alle, die „Mutter<br />

Erde“ mit ganzer Kraft schützen wollen: Die Lage ist niemals<br />

aussichtslos. Gebt nicht auf. Um mit der US-Demokratin<br />

Alexandria Ocasio-Cortez zu sprechen: „Hoffnung ist nichts,<br />

das wir haben oder nicht haben. Hoffnung ist etwas, das wir<br />

durch unsere Aktionen erzeugen.“<br />

www.tamera.org/de<br />

www.the-grace-fo<strong>und</strong>ation.org/de/<br />

Buchtipp<br />

Die ganze Geschichte sowie zahlreiche Erfahrungen <strong>und</strong> Stimmen<br />

von AktivistInnen aus aller Welt finden sich im Buch „Defend the<br />

Sacred. Wenn das Leben siegt, wird es keine Verlierer geben“.<br />

Softcover Großformat 148 Seiten<br />

ISBN 978-3-927266-65-0<br />

22,- Euro<br />

www.verlag-meiga.org<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

Gedruckt auf Steinbeis Charisma Silk – hergestellt aus 100 % Altpapier, ausgezeichnet mit dem Blauen Engel. Ein Produkt der Steinbeis Papier GmbH.<br />

71


THEMEN | GEMEINSAM FÜR DEN WANDEL<br />

Ein außergewöhnliches Filmprojekt gab den Ausschlag für eine Reise in die Zukunft. <strong>forum</strong> besuchte die<br />

Transition Town Ungersheim im Elsass. Sie zeigt, wie nachhaltiges Leben in der Praxis funktionieren kann.<br />

72 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


GEMEINSAM FÜR DEN WANDEL | THEMEN<br />

Fotos: linke Seite: © dejavu-film | rechts: © m2rfilms<br />

Von Karl Heinz <strong>Jobs</strong>t<br />

Die bekannte Filmemacherin Marie-Monique Robin hat ein<br />

ganzes Jahr in der 2.400 Seelen-Gemeinde Ungersheim für<br />

ihren Dokumentarfilm „Worauf warten wir noch?“ gedreht.<br />

Länger als geplant, denn was Sie dort vorfand, zog sie immer<br />

mehr in seinen Bann. Robin zeigt, welch beeindruckende<br />

Ergebnisse entstehen können, wenn eine <strong>Nachhaltig</strong>keitstheorie<br />

durch einen konsequent demokratisch arbeitenden<br />

Gemeinderat mit einer offenen bürgermeisterlichen Führung<br />

<strong>und</strong> mit einer Gruppe engagierter Bürger*innen in die Realität<br />

umgesetzt wird.<br />

Gesellschaft im Wandel<br />

Die weltweite Bewegung „Transition Town“ (TT) – oder besser<br />

„Stadt im Wandel“ – die von Robert „Rob“ Hopkins, einem<br />

britischen Dozenten <strong>und</strong> Umweltaktivisten in Büchern <strong>und</strong><br />

konkreten Projekten bekannt gemacht wurde, vernetzt inzwischen<br />

weltweit 1.000, in Deutschland aktuell etwa 120<br />

lokale Initiativen.<br />

Und diese Transition Town-Initiativen verlassen sich nicht<br />

darauf, dass die Politik rechtzeitig handelt <strong>und</strong> etwa auf<br />

das absehbare Ende der fossilen Energieträger <strong>und</strong> anderer<br />

Rohstoffe reagiert, sondern ergreifen selber Maßnahmen,<br />

um aktiv die Zukunft zu gestalten. Reduktion von fossilem<br />

Energieverbrauch <strong>und</strong> die Förderung von er<strong>neue</strong>rbaren<br />

Energien, Stärkung einer regionalen <strong>und</strong> lokalen Wirtschaft<br />

oder eine möglichst weitreichende autarke Versorgung mit<br />

Nahrungsmitteln auf der Basis ökologischer Land- <strong>und</strong> Gartenwirtschaft<br />

sind nur ein kleiner Auszug der TT-Aktivitäten.<br />

Mit dem Kolibri fing alles an<br />

Ungersheim war bis vor wenigen Jahrzehnten vom Kali-Bergbau<br />

abhängig. Seine Bewohner mussten sich nach<br />

dem Ende der Minenarbeit <strong>neue</strong> Arbeit suchen <strong>und</strong> hatten<br />

deswegen schon einmal eine Transformation hinter sich.<br />

Dies erklärt vielleicht die hohe Bereitschaft der Bevölkerung<br />

für erneute Änderungen, für den Wandel. Es fing an mit der<br />

Bewegung „Le colibri“, die im Jahr 2000 von einigen Bürgern<br />

gegründet wurde, um die zunehmende Verwüstung <strong>und</strong><br />

Verwahrlosung in der Gemeinde zu stoppen. Aus dieser<br />

Gruppe heraus wuchsen im Lauf der Jahre fast von allein<br />

immer mehr Ideen.<br />

Entscheidend für die <strong>Nachhaltig</strong>keitsfortschritte waren<br />

jedoch die „21 Aktionen für das 21. Jahrh<strong>und</strong>ert“. Wie uns<br />

der Bürgermeister Jean-Claude Mensch mit sichtlichem<br />

Stolz erklärt, stehen die Aktionen auf drei Säulen:<br />

• Geistige Freiheit, um sich von Werbung <strong>und</strong> Konsumzwang<br />

zu befreien, bereichernde Lebensstile zu finden <strong>und</strong> die<br />

ökologischen Grenzen des Planeten zu erkennen.<br />

• Energieautonomie, für mehr Entwicklungsspielraum, womit<br />

Energiekosten in der Region bleiben, statt an Konzerne<br />

abzufließen.<br />

• Ernährungssouveränität, die den gesamten Weg vom Saatgut<br />

bis zum Teller beinhaltet.<br />

Mit ihrem Film gibt Marie-Monique Robin der Transition Town-Bewegung<br />

eine wertvolle Unterstützung. Er regt zur Nachahmung an <strong>und</strong><br />

hilft, die Veränderung auch in Ihre Gemeinde oder Stadt zu tragen.<br />

„Transition ist ganz einfach“, erklärt der Bürgermeister mit<br />

einem Lächeln. „Man muss nur den Wandel anstoßen, der<br />

den Menschen ohnehin schon lange am Herzen liegt. Seitdem<br />

gestalten wir unsere Zukunft selbst. Der fortschreitende<br />

Klimawandel hat uns dazu bewegt, wesentlich schneller die<br />

Maßnahmen zu ergreifen, die wir selbst beeinflussen können.“<br />

Jean-Claude zitiert gern die Fabel vom Kolibri, der ganz allein<br />

versucht, einen Waldbrand zu löschen, während alle anderen<br />

Tiere nur zusehen <strong>und</strong> seinen Erfolg anzweifeln. Der Kolibri<br />

erklärt ihnen: „Ich tue das, was ich kann. Ich tue mein Bestes.“<br />

Lebendige <strong>und</strong> partizipative Demokratie<br />

Der bereits zum fünften Mal gewählte Bürgermeister lebt<br />

mit Leidenschaft Basisdemokratie. Wie er selbst zugibt, sind<br />

die Diskussionen <strong>und</strong> Entscheidungsprozesse oft schwierig<br />

<strong>und</strong> langwierig. Aber sie bringen die Sicherheit, dass die<br />

Bürger*innen mehrheitlich hinter den Entscheidungen<br />

stehen <strong>und</strong> sie schließlich auch verteidigen. Das erleichtert<br />

wiederum seine Arbeit <strong>und</strong> nimmt ihm Verantwortung ab.<br />

Die Bürgerbeteiligung besteht aus einem Partizipationsrat,<br />

einem Bürgerrat, einem Rat der Weisen <strong>und</strong> einem Kinderrat.<br />

Den Räten wird Verantwortung übertragen, wo immer dies<br />

möglich <strong>und</strong> sinnvoll ist. So regelt zum Beispiel der Partizipationsrat<br />

die Arbeiten am gemeinschaftlichen Bauernhaus<br />

oder dem abgebrannten „Haus der Natur <strong>und</strong> Kultur“, das<br />

wiederaufgebaut werden soll. Er kümmert sich um die kommunalen<br />

Bepflanzungen <strong>und</strong> organisiert regelmäßig Feiern,<br />

um den Gemeinsinn <strong>und</strong> das Zusammengehörigkeitsgefühl<br />

zu fördern. So veranstaltet die Gemeinde jedes Jahr das dreitägige<br />

„Festival Eco-Equitable Bio Ungersheim“ mit Musik<br />

<strong>und</strong> selbst erzeugten Spezialitäten <strong>und</strong> ist selbstverständlich<br />

Fair Trade-zertifiziert. Besonders bemerkenswert: Es sind nur<br />

etwa fünfzig Aktivist*innen, die in der Gemeinde die Rolle<br />

des kreativen Anschiebens <strong>und</strong> der praktischen Umsetzung<br />

übernommen haben <strong>und</strong> damit so große Veränderungen<br />

bewirken.<br />

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73


THEMEN | GEMEINSAM FÜR DEN WANDEL<br />

Die Stadt Ungersheim startete 2009 ein partizipatives Demokratieprogramm mit dem Titel „21 Aktionen für das 21. Jahrh<strong>und</strong>ert“, das alle Aspekte<br />

des täglichen Lebens umfasst: Ernährung, Energie, Verkehr, Wohnen, Geld, Arbeit <strong>und</strong> Schule. „Autonomie“ ist das Schlüsselwort des Programms.<br />

Konsequentes <strong>und</strong> eigensinniges Energiemanagement<br />

Es gibt nicht viele Kommunen in Frankreich, die die Daseinsberechtigung<br />

der Atomenergie in Frage stellen. Ungersheim<br />

gehört dazu <strong>und</strong> hat nicht nur einen Antrag für den Ausstieg<br />

aus der gefährlichen Technologie gestellt, sondern ist selbst<br />

konsequent vorangegangen. Obwohl die Steuereinnahmen<br />

der Gemeinde nur 1,8 Mio. Euro betragen, betreibt sie mittlerweile<br />

eine große Sporthalle mit Schwimmbad <strong>und</strong> andere<br />

öffentliche Einrichtungen kostendeckend. Eine Hackschnitzelheizung,<br />

Solarwärme <strong>und</strong> der selbst produzierte Strom machen<br />

es möglich. Nicht nur die Halle, sondern sieben weitere<br />

öffentliche Gebäude werden vollständig mit regenerativer<br />

Energie versorgt. Die laufenden Kosten sind wegen der weitgehenden<br />

Energieautarkie gering <strong>und</strong> mit der Umstellung auf<br />

dimmbare LED-Technik konnten bereits ab 2006 40 Prozent<br />

der Energie bei der Straßenbeleuchtung eingespart werden.<br />

Eine Abschaltung der Parkplatz- <strong>und</strong> Radwegbeleuchtung ab<br />

Mitternacht verstärkt seit kurzem die Effizienz <strong>und</strong> hat den<br />

zusätzlichen Vorteil, dass die reduzierte Lichtverschmutzung<br />

Insekten <strong>und</strong> Menschen weniger schadet.<br />

Inzwischen betreibt Ungersheim Photovoltaikanlagen mit 5,4<br />

MWp auf Dächern <strong>und</strong> Konversionsflächen des Kalibergbaus<br />

<strong>und</strong> kann damit 10.000 Einwohner*innen mit Strom versorgen.<br />

Der Verkauf von Strom an umliegende Gemeinden <strong>und</strong> Private<br />

generiert seither stattliche Einnahmen für den Gemeindesäckel.<br />

Zukünftig fördert die Gemeinde private PV- <strong>und</strong> Solaranlagen<br />

<strong>und</strong> konzentriert sich nunmehr verstärkt auf die Einsparung<br />

von Wärmeenergie. Neubauten werden ausschließlich in Passivhaus-Bauweise<br />

oder Plusenergie-Bauweise mit Energiegewinnung<br />

genehmigt. Doch damit nicht genug. Bereits 2006<br />

hat Ungersheim ein vollständiges Pestizid- <strong>und</strong> Kunstdüngerverbot<br />

auf kommunalen <strong>und</strong> privaten Flächen erlassen <strong>und</strong><br />

verwendet in allen öffentlichen Gebäuden ausschließlich ökologische<br />

Reinigungsmittel. Auch im Verkehrsbereich geht der<br />

Ort mutig voran: Zur Reduktion von Lärm <strong>und</strong> CO 2<br />

-Ausstoß<br />

gilt durchgehend Tempo 30 <strong>und</strong> Radfahrer*innen genießen<br />

sichtbaren Vorrang vor dem Autoverkehr. Eine auffällige<br />

<strong>und</strong> sympathische aller Maßnahmen ist jedoch der Einsatz<br />

von zwei Pferden für den Transport der Schulkinder, für die<br />

<strong>Müll</strong>sammlung <strong>und</strong> die Feldarbeit. Man glaubt es kaum, aber<br />

das Pferdegespann ist schneller, wendiger <strong>und</strong> obendrein<br />

leiser als die motorisierte Konkurrenz <strong>und</strong> liefert auch noch<br />

natürlichen Dünger für das Gemüse.<br />

Lebensmittel für Lebewesen<br />

In großen Gewächshäusern auf 4.000 m² <strong>und</strong> auf 8 ha Freiflächen<br />

arbeiten Gärtner*innen <strong>und</strong> Langzeitarbeitslose an<br />

der Ernährungssouveränität von Ungersheim. Das Ziel ist,<br />

hochwertiges Gemüse, frischen Salat <strong>und</strong> ges<strong>und</strong>es Obst<br />

in Demeter-Qualität, der höchsten Bio-Stufe, zu erzeugen.<br />

Der Prozess beginnt bereits bei der Samengewinnung alter<br />

Sorten, um unabhängig von Hybridsaatgut von Agro-Konzernen<br />

zu bleiben. Auf Teilen der Gärten können Bürger*innen<br />

aktiv mitarbeiten, um auf diese Weise Anteile am Ertrag zu<br />

erhalten. Auch Kinder helfen auf den Feldern im Rahmen des<br />

Schulunterrichts mit, denn schließlich versorgt sie im Gegenzug<br />

die gemeindeeigene Catering-Küche täglich mit Bio-Essen.<br />

In den Sommermonaten füllen die Gärten zusätzlich 250 Gemüsekörbe<br />

wöchentlich, die die Ungersheimer kaufen <strong>und</strong><br />

selbst konsumieren. Weitere saisonale Überschüsse an Gemüse<br />

werden seit einigen Jahren in der eigenen kleinen Konservenfabrikation<br />

verarbeitet <strong>und</strong> im Winter verkauft. Ins Strahlen<br />

gerät der Bürgermeister, als er für uns das nagel<strong>neue</strong> Gebäude<br />

der Brauerei aufsperrt. Es ist noch leer, aber die Anlage soll in<br />

Kürze installiert werden. „Bald bekommen wir unser eigenes<br />

Bier, das wird den Zusammenhalt der Gemeinde noch einmal<br />

merklich verstärken“. Zur Unterstützung des einheimischen<br />

Gewerbes hat Ungersheim auch eine lokale, komplementäre<br />

Währung eingeführt: „Le Radis“ oder „d’r Ràadig“ wie er im<br />

elsässischen Dialekt heißt. 1 Radis entspricht immer 1 Euro.<br />

Warum braucht eine so kleine Gemeinde eigenes Geld?<br />

Kleine Händler*innen leiden sehr unter der Globalisierung<br />

<strong>und</strong> unter dem ständig wachsenden Online-Handel. Eine<br />

Fotos: © m2rfilms<br />

74 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


GEMEINSAM FÜR DEN WANDEL | THEMEN<br />

lokale oder regionale Währung zirkuliert nur innerhalb eines<br />

begrenzten Raums, so dass das Geld nicht abfließen kann.<br />

Eine Regionalwährung bindet K<strong>und</strong>en an die Region, das<br />

vorhandene Kapital fließt nicht ab <strong>und</strong> vermehrt nicht den<br />

Reichtum von internationalen Konzernen, sondern dient ausschließlich<br />

dem Auskommen <strong>und</strong> Wohlstand der örtlichen<br />

Zukunft <strong>und</strong> Vergangenheit<br />

Wir wollen die Exkursion nach Ungersheim im Frühjahr 2020 wiederholen,<br />

um die Fortschritte der Gemeinde zu sehen <strong>und</strong> auch<br />

um das große <strong>und</strong> lebendige Museumsdorf Écomusée d‘Alsace in<br />

der Nähe zu besuchen. Es ist das größte lebendige Freilichtmuseum<br />

Frankreichs <strong>und</strong> wie ein elsässisches Dorf Anfang des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

aufgebaut. Es lässt das ländliche Kulturerbe aufleben <strong>und</strong><br />

präsentiert seinen Besuchern die volkstümliche Kunst <strong>und</strong> Traditionen<br />

des Elsass: Gebäude <strong>und</strong> Sammlerobjekte, Handwerker bei<br />

der Arbeit, Ausstellungen, tägliche Animationen <strong>und</strong> große Veranstaltungen.<br />

Es wäre wünschenswert, dass möglichst viele Kommunalpolitiker<br />

oder Bürgerinitiativen mitfahren. Wir können jedem<br />

Bürgermeister wärmstens empfehlen, eine solche Informationsreise<br />

zusammen mit dem ganzen Gemeinderat zu organisieren. Sie<br />

werden inspiriert in ihre Gemeinde zurückkehren.<br />

Interessierte bitte vorab anmelden bei Öko & Fair Umweltzentrum<br />

Gauting unter 089 / 893 11 054 oder info@oeko-<strong>und</strong>-fair.de<br />

Geschäftsinhaber. Der Lebensmittelladen, der Bäcker <strong>und</strong><br />

Metzger <strong>und</strong> nicht zuletzt das Gasthaus <strong>und</strong> das Restaurant<br />

im Ort haben somit eine Chance zu überleben. Sie bilden<br />

zusammen die Infrastruktur, die eine Gemeinde lebenswert<br />

<strong>und</strong> liebenswert macht. Es sind nicht das Gewerbegebiet<br />

<strong>und</strong> der Supermarkt am Ortsrand, die der Stadt, dem Dorf<br />

Identität geben. In Ungersheim nutzen nur 6 Prozent der<br />

Menschen den Radis, trotzdem sind es sind immerhin ca.<br />

240.000 Euro, die regelmäßig pro Jahr im Ort auf diese Weise<br />

im Umlauf sind.<br />

Zum Abschluss bleibt die Frage: Ist es möglich, den Ungersheimer<br />

Wandel auf andere Gemeinden zu projizieren? Das<br />

Resümee ist, dass viele Dinge gleichzeitig wie ein Puzzle<br />

zusammenpassen müssen. Es fängt bei der kommunalpolitischen<br />

Führung an, die offen <strong>und</strong> basisdemokratisch<br />

denken <strong>und</strong> handeln muss. Es geht weiter mit der Existenz<br />

von starken bürgerlichen Gruppen, die von sich aus initiativ<br />

werden <strong>und</strong> es endet mit dem Willen einer breiten <strong>und</strong> vor<br />

allem jungen Bürgerschaft, sich aus der Lethargie des „weiter<br />

so“ zu lösen <strong>und</strong> an der Verbesserung der „weichen“ Faktoren<br />

eines glücklichen Lebens arbeiten zu wollen. Treffen diese<br />

Dinge zu, dann kann eine Blaupause von Ungersheim überall<br />

Wirklichkeit werden.<br />

Also – worauf warten wir noch? Fangen wir einfach noch<br />

heute an!<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

75


THEMEN | GEMEINSAM FÜR DEN WANDEL<br />

DIE ALL-LEADER-KULTUR<br />

Mit Konsens zu guten Entscheidungen kommen<br />

Wie kann eine Gruppe Entscheidungen so treffen, dass sich jeder gehört fühlt? Die Lebensgemeinschaft<br />

Schloss Tempelhof versucht sich daran <strong>und</strong> feiert Widerspruch als bereicherndes Element, um gemeinsam<br />

die beste Lösung zu finden.<br />

Von Michael Selig<br />

2010 kaufte eine Gruppe von 20 Menschen das Dorf Tempelhof<br />

in der Gemeinde Kreßberg im Nordosten von Baden-Württemberg.<br />

Es besteht aus einem Schloss aus dem<br />

17. Jahrh<strong>und</strong>ert, umrahmt von Gebäuden aus verschiedenen<br />

Epochen des letzten <strong>und</strong> vorletzten Jahrh<strong>und</strong>erts. Dort entstand<br />

die Zukunftswerkstatt <strong>und</strong> Lebensgemeinschaft Schloss<br />

Tempelhof: ein gesellschaftliches Forschungsprojekt mit dem<br />

Ziel, die Vision einer ökologisch nachhaltigen, sozial gerechten<br />

<strong>und</strong> sinnerfüllten menschlichen Daseinsform lebendig zu<br />

machen. Im Kern der Vision steht ein solidarisches Zusammenleben,<br />

das den Menschen <strong>und</strong> das Miteinander in den<br />

Mittelpunkt stellt. Die Gemeinschaft forscht auf den Feldern<br />

einer <strong>neue</strong>n Beziehungs- <strong>und</strong> Kommunikationskultur sowie<br />

ökonomischer <strong>und</strong> ökologischer Transformation.<br />

Inzwischen leben r<strong>und</strong> 100 Erwachsene <strong>und</strong> 50 Kinder <strong>und</strong><br />

Jugendliche in dem Dorf. Innerhalb kurzer Zeit entstanden<br />

vielfältige Genossenschaftsbetriebe (Wohnen, Gästehaus,<br />

„aufbauende Landwirtschaft“, Catering, Café, Laden, Carsharing),<br />

ein Seminarbetrieb sowie eine freie Schule. Damit all<br />

das funktionieren kann, hat die Gemeinschaft eine belastbare<br />

<strong>und</strong> leistungsfähige soziale Architektur geschaffen sowie einen<br />

klaren Rahmen mit einfachen Organisationswerkzeugen.<br />

Das ist der Kern des hier entstandenen All-Leader-Konzepts.<br />

Alle können mitwirken<br />

All-Leader bedeutet für die Gemeinschaft ein freies <strong>und</strong><br />

kooperatives Zusammenwirken von Menschen, die Vision<br />

<strong>und</strong> Werte teilen, die sich mit allem, was sie ausmacht,<br />

einbringen <strong>und</strong> Werkzeuge einsetzen, die das Miteinander<br />

<strong>und</strong> die „kollektive Intelligenz“ unterstützen. Das zentrale<br />

Element dabei ist ein sechsstufiger Entscheidungsprozess im<br />

Konsens. Dieser ist angelehnt an das Entscheidungsverfahren<br />

der „Werkstatt für Gewaltfreie Aktion Baden“. Konsens bedeutet<br />

„Übereinkunft“, „Übereinstimmung“ <strong>und</strong> bezeichnet<br />

einen Prozess, in dem unterschiedliche Meinungen zu einer<br />

gemeinsamen Entscheidung zusammengebracht werden,<br />

die von allen gutgeheißen <strong>und</strong> mitgetragen wird. Die Kernfrage<br />

im Rahmen der Entscheidungsfindung lautet: Welche<br />

Einwände gibt es <strong>und</strong> wie lassen sich diese minimieren? Alle<br />

Menschen der Gruppe sind dazu aufgefordert, sich aktiv an<br />

der Entscheidungsfindung zu beteiligen. Oberstes Entscheidungsgremium<br />

in der Zukunftswerkstatt Schloss Tempelhof<br />

ist das Dorfplenum, die Vollversammlung aller Dorfbewohner.<br />

Dieses Plenum trifft Gr<strong>und</strong>satzentscheidungen für das<br />

Dorf <strong>und</strong> legt auf Gr<strong>und</strong>lage von Organisationspapieren den<br />

Entscheidungsrahmen für Projekte (z.B. Schule, Landwirtschaft,<br />

etc.) fest.<br />

Foto: © Schloss Tempelhof<br />

76 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


GEMEINSAM FÜR DEN WANDEL | THEMEN<br />

Von der Idee zur gemeinsamen Entscheidung<br />

Der Ablauf eines Entscheidungsprozesses lässt sich wie folgt<br />

beschreiben:<br />

• Die Antragsteller präsentieren im Dorf eine Idee, ein Thema<br />

oder einen Vorschlag. Bei großen Themen, beispielsweise<br />

dem Bau eines <strong>neue</strong>n Schulgebäudes, gibt es dafür einen<br />

Impulsabend. Die Bewohner können ihre Anregungen <strong>und</strong><br />

ergänzenden Ideen, Bedenken <strong>und</strong> Einwände aussprechen.<br />

Alle können Argumente austauschen, Fragen stellen, zuhören,<br />

Meinungen hervorbringen.<br />

• Der Antrag ist nun angereichert mit der Resonanz des<br />

Dorfes <strong>und</strong> kommt mit konkreter Formulierung zur Abstimmung<br />

ins Dorfplenum. Ein zeitlicher Vorlauf von zehn Tagen<br />

gibt allen Beteiligten die Möglichkeit zur Einarbeitung ins<br />

Thema <strong>und</strong> zur persönlichen Meinungsbildung.<br />

• Im Dorfplenum beginnt der Antragsteller mit der kurzen<br />

Vorstellung des Antrags. Die Anwesenden können Verständnisfragen<br />

stellen.<br />

• Ein erstes Meinungsbild wird in sechs Stufen abgefragt.<br />

• Verschiedene Positionen <strong>und</strong> begründete Meinungen<br />

bilden ein Meinungsbild.<br />

• Es findet eine Aussprache statt. Wie müsste der Antrag<br />

formuliert sein, damit die Einwände minimiert werden<br />

können?<br />

• Der Antrag wird gegebenenfalls vom Antragsteller modifiziert.<br />

• Nun findet die finale Abstimmung in sechs Stufen statt.<br />

• Ein Entscheidungsvorschlag ist akzeptiert, wenn niemand<br />

ein Veto eingelegt hat.<br />

Die sechs Stufen der Abstimmung mit Konsens<br />

1. Vorbehaltlose Zustimmung<br />

2. Leichte Bedenken: Ein Gruppenmitglied hat relevante<br />

Einwände oder Bedenken, die alle Beteiligten wissen<br />

sollten. Es reicht oftmals aus, wenn diese Bedenken gehört<br />

werden.<br />

3. Enthaltung: Dem Mitglied ist die Entscheidung nicht<br />

wichtig oder es hat vielleicht keine klare Meinung zu dem<br />

Thema.<br />

4. Schwere Bedenken: Die Person drückt mit ihrem Votum<br />

klar aus, dass sie sich eine Veränderung des Vorschlags<br />

wünscht. Sie ist aber bereit, den bestehenden Lösungsvorschlag<br />

mitzutragen, falls die Gruppe keine bessere<br />

Lösung findet.<br />

5. Beiseite-Stehen: Das Mitglied kann mit dem Vorschlag<br />

nicht mitgehen, legt aber kein Veto ein, um der Gruppe<br />

nicht im Weg zu stehen.<br />

6. Veto: Der Vorschlag widerspricht den gr<strong>und</strong>legenden<br />

Überzeugungen <strong>und</strong> Werten des Mitglieds. Das Mitglied<br />

ist der Meinung, der Vorschlag schade der weiteren Entwicklung<br />

der Gruppe.<br />

Das Faszinierende am sechsstufigen Entscheidungsprozess<br />

ist, dass jeder gehört wird. Es gibt keine Koalitionen, keine<br />

Mehrheiten, keine Verlierer – im Gegensatz zu demokratischen<br />

Entscheidungsprozessen. Alle Teile des Organismus,<br />

also alle Mitglieder der Gruppe, gehen in Verantwortung<br />

für das Ganze. Jeder Einzelne trägt seinen Teil dazu bei, dass<br />

die Entscheidung von allen getragen werden kann. Heraus<br />

kommen nicht selten Entscheidungen, die weiter gedacht<br />

sind als der ursprüngliche Vorschlag <strong>und</strong> die alle Beteiligten<br />

motivieren, ihre Ideen umzusetzen. Der Entscheidungsprozess<br />

selbst verbindet die Gruppenmitglieder miteinander <strong>und</strong><br />

Die <strong>neue</strong> Schule: Ein Beispiel des Gelingens<br />

Wie gelingt so ein „All-Leader“-Entscheidungsprozess? Bei der Suche<br />

nach einem geeigneten Standort für die <strong>neue</strong> Schule auf dem<br />

Gelände der Zukunftswerkstatt Schloss Tempelhof kam die All-Leader-Kultur<br />

zum Einsatz.<br />

Das Schul-Team nahm diverse Grünflächen auf dem ca. 32 ha<br />

großen Gemeinschaftsgelände in die engere Auswahl. Im Rahmen<br />

eines Impulsabends diskutierte das Dorf die möglichen Standorte<br />

mit ihren jeweiligen Vor- <strong>und</strong> Nachteilen. Keiner der Standorte war<br />

wirklich perfekt, aber alle wären für die Schule irgendwie okay gewesen.<br />

Da ergriff eine Dorfbewohnerin das Wort: „Der schönste<br />

Platz für unsere Kinder wäre doch der Standort unserer Kantine,<br />

die wir uns als Gemeinschaft vor 5 Jahren gebaut haben. Im Süden<br />

des Dorfes am Rande einer w<strong>und</strong>erschönen Wiese mit Blick<br />

auf den angrenzenden Wald. Direkt daneben die alte Turnhalle. Die<br />

Kinder sind unsere Zukunft, sie haben den schönsten Platz im Dorf<br />

verdient.“<br />

Das Schul-Team hätte sich niemals getraut, diesen Vorschlag ins<br />

Dorf zu bringen <strong>und</strong> den Dorfbewohnern ihre Kantine, das Wohnzimmer<br />

des Dorfes, abzunehmen. Dieser Vorschlag kam nun von<br />

einem Menschen, der mit der Schule nicht direkt etwas zu tun hatte,<br />

aber das Dorf <strong>und</strong> seine Entwicklung ganzheitlich betrachtete.<br />

Als dieser Gedanke einmal in der Welt war, ging es Schlag auf<br />

Schlag: Man überlegte alternative Kantinen-Lösungen <strong>und</strong> führte<br />

offene Gespräche über das Für <strong>und</strong> Wider. Der Schulbau-Architekt<br />

lieferte gute Ideen für den Umbau des Gebäudes. Für die Trauer<br />

<strong>und</strong> den Schmerz über den Verlust eines geliebten Dorf-Treffpunktes<br />

wurde der nötige Raum gegeben. Nach sechs Monaten<br />

stand die entscheidende Standortfrage im Dorfplenum zur Abstimmung.<br />

Ergebnis: 32 Ja-Stimmen <strong>und</strong> 1 leichtes Bedenken. Das Dorf<br />

hat mit „kollektiver Intelligenz“ die beste Lösung hervorgebracht!<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

77


THEMEN | GEMEINSAM FÜR DEN WANDEL<br />

stärkt den sozialen Zusammenhalt. Alle Beteiligten zeigen<br />

sich mit ihren Ideen, Einwänden <strong>und</strong> Ängsten <strong>und</strong> tragen<br />

so zum Reifungsprozess der Idee bei. Dies funktioniert auch<br />

deswegen so gut, weil das Dorf Tempelhof eine gemeinschaftsfördernde<br />

Gesprächs- <strong>und</strong> Konfliktkultur pflegt. Ein<br />

Konsensverfahren, wie es die Gemeinschaft am Tempelhof<br />

praktiziert, ist meiner Auffassung nach auch auf Unternehmen<br />

<strong>und</strong> andere Organisationsformen übertragbar. Es bedarf<br />

dabei jedoch klarer Regeln <strong>und</strong> der Einbettung in eine<br />

kollegial geprägte Unternehmenskultur. Allen Mitgliedern<br />

muss klar sein, dass die Interessen der Organisation immer<br />

Vorrang haben vor den Interessen der Einzelnen.<br />

Das Veto-Recht bereichert den Entscheidungsprozess<br />

Um sich die Tragweite eines Vetos bewusst zu machen, muss<br />

der Vetogeber seine Entscheidung begründen <strong>und</strong> einen konkreten<br />

Lösungsvorschlag machen, wie das Thema aus seiner<br />

Sicht gelöst werden könnte. Es braucht begleitende soziale<br />

Prozesse, damit die Menschen in der Gruppe in sozialer<br />

Verb<strong>und</strong>enheit bleiben. Ein Veto darf nicht zur Ausgrenzung<br />

des Vetogebers führen oder negative Konsequenzen für<br />

ihn haben. Im Gegenteil, es führt zu Wertschätzung, denn<br />

es kann der Gruppe helfen, zu erkennen, dass bestimmte<br />

Sichtweisen bislang noch nicht genügend berücksichtigt <strong>und</strong><br />

integriert worden sind.<br />

Fazit<br />

Die All-Leader Kultur ist ein wirksames Instrument zur Konsensfindung.<br />

Es braucht jedoch eine dauernde Wachsamkeit<br />

der Gruppe für den verantwortungsvollen Umgang mit dieser<br />

Vorgehensweise, damit es der positiven Entwicklung der<br />

Organisation dient.<br />

MICHAEL SELIG<br />

ist seit 2016 in der Gemeinschaft Tempelhof geschäftsführender<br />

Vorstand des Vereins. Systemischer Berater für Organisation <strong>und</strong><br />

Transformation mit den Schwerpunkten Mitarbeiterbeteiligung,<br />

Führung <strong>und</strong> Change Management.<br />

Quellen / Leseempfehlung:<br />

Oestereich, Bernd / Schröder, Claudia (2017): Das kollegial geführte Unternehmen. Ideen <strong>und</strong> Praktiken für die agile Organisation von morgen<br />

Laloux, Frederic (2015): Reinventing Organizations. Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit.<br />

Sahler, Bernd et al. (2004): Konsens. Handbuch zur gewaltfreien Entscheidungsfindung.<br />

taz Verlags- <strong>und</strong> Vertriebs GmbH, Friedrichstraße 21, 10969 Berlin<br />

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GEMEINSAM FÜR DEN WANDEL | THEMEN<br />

RIACE DARF NICHT STERBEN!<br />

Wird der europäische Leuchtturm für eine gelungene Integration von Flüchtlingen ein Opfer rechtsradikaler<br />

Populisten? Gewinnt die Mafia oder erhält der Bürgermeister den Friedensnobelpreis?<br />

Von Karl Heinz <strong>Jobs</strong>t<br />

„Es wird der Tag kommen, an dem die<br />

Menschenrechte wieder respektiert<br />

werden, ein Tag, an dem es mehr Frieden<br />

als Krieg geben wird, mehr Gleichheit<br />

<strong>und</strong> Freiheit als Barbarei. Der Tag,<br />

an dem niemand mehr in der <strong>Business</strong><br />

Class reisen wird, während andere von<br />

kolonialen Häfen wie Waren gestapelt<br />

losfahren <strong>und</strong> sich in einem Meer des<br />

Hasses verzweifelt an jede Welle klammern.“<br />

Domenico Lucano<br />

Foto: © William Veder<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

79


THEMEN | GEMEINSAM FÜR DEN WANDEL<br />

Süditalien, Ende der Achtziger: Riace war fast ausgestorben.<br />

Wie unzähligen Dörfern in den süditalienischen Provinzen<br />

Kalabrien, Apulien <strong>und</strong> Basilikata, abseits der großen Industrie-<br />

<strong>und</strong> Hafenstädte, so erging es auch der kleinen Gemeinde<br />

Riace. An der Sohle des italienischen Stiefels gelegen, dort<br />

wo der Tourismus noch keine Spuren hinterlassen hatte, weil<br />

die Mittelmeerküste auch heute noch weiter als eine Autotagesreise<br />

von Mitteleuropa entfernt ist, liefen die jungen<br />

Menschen scharenweise Richtung Norden nach Bari, Neapel,<br />

Rom oder gar ins industrielle <strong>und</strong> reiche Norditalien davon.<br />

Zurück blieben nicht nur die Alten <strong>und</strong> Gebrechlichen, sondern<br />

auch die Getreide- <strong>und</strong> Gemüsefelder, die Weinstöcke,<br />

die Oliven- <strong>und</strong> Orangenhaine, die fortan brach lagen <strong>und</strong><br />

verwilderten. Die Landwirtschaft konnte ihre Bauern nicht<br />

mehr ernähren, sie gab ihnen keine Zukunft mehr, weil der<br />

Weltmarkt Europa mit Billigprodukten überschwemmte. Mit<br />

brasilianischen Orangen <strong>und</strong> chinesischen Tomaten konnten<br />

die italienischen Kleinbauern nicht mehr konkurrieren…<br />

Während Riace Marina, an der Küstenstraße <strong>und</strong> an der<br />

Bahnlinie gelegen, noch einigermaßen ausreichend Arbeitsplätze<br />

hatte, war das wenige Serpentinen höher gelegene<br />

alte Bergdorf dem Verfall ausgesetzt. Viele Häuser wurden<br />

einfach verlassen, Schule <strong>und</strong> Kindergarten aus Mangel an<br />

Kindern geschlossen, die Restaurants, die Espressobar, der<br />

Bäcker, der Metzger <strong>und</strong> der Lebensmittelladen aus Mangel<br />

an zahlungskräftigen Bürgern nur noch im Dunkeln hinter<br />

heruntergelassenen Blechjalousien zu erahnen. Vespas <strong>und</strong><br />

Piaggios knatterten immer seltener durch die engen <strong>und</strong><br />

steilen Gassen.<br />

Geflüchtete beleben die Gemeinde<br />

Doch dann landete eines Tages im Jahr 1998 ein Segelschiff<br />

mit 250 kurdischen Geflüchteten am Strand. Sie hatten ihr<br />

Ziel Griechenland verfehlt. Der damalige Chemielehrer Domenico<br />

Lucano war einer von jenen, die sich sofort um die<br />

erschöpften Menschen kümmerten. Und er hatte eine Idee:<br />

Warum sich nicht gegenseitig retten? „Mit den Flüchtlingen<br />

kam die Hoffnung“, sagte Lucano. Im Jahr darauf gründete<br />

er mit Fre<strong>und</strong>en den Verein „Città Futura“ (Zukunftsstadt),<br />

der sich zum Ziel setzte, das Dorf mit den Handwerkern <strong>und</strong><br />

Bauern aus der Fremde, mit Männern, Frauen <strong>und</strong> Kindern,<br />

die nur ihre Kraft der Hoffnung als Gepäck mitgebracht<br />

hatten, neu zu beleben. 2004 wurde Lucano ein erstes Mal<br />

zum Bürgermeister von Riace gewählt. Seine Liste hieß:<br />

„Ein anderes Riace“. Gleich nach Amtsantritt beantragte<br />

er eine Sondergenehmigung, Flüchtlinge unbürokratisch<br />

aufnehmen zu können. Und er bekam sie. Der Staat zahlte<br />

monatlich Beihilfen für jeden Geflüchteten <strong>und</strong> Lucano war<br />

sehr erfolgreich darin, Geldmittel aus verschiedenen Fonds<br />

Mit den Flüchtlingen kam die Hoffnung. Città Futura setzte sich zum<br />

Ziel, das Dorf mit den Handwerkern <strong>und</strong> Bauern aus der Fremde, mit<br />

Männern, Frauen <strong>und</strong> Kindern, die nur ihre Kraft der Hoffnung als<br />

Gepäck mitgebracht hatten, neu zu beleben.<br />

Fotos: © William Veder<br />

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GEMEINSAM FÜR DEN WANDEL | THEMEN<br />

der EU zu erhalten. Man sieht es Riace auf den ersten Blick<br />

an: Die Straßen sind liebevoll gepflastert, die Kanalisation,<br />

die Wasser- <strong>und</strong> Stromversorgung auf dem <strong>neue</strong>sten Stand<br />

renoviert, ein großes regenbogenfarbenes Amphitheater<br />

beherbergt Festivals <strong>und</strong> Kleinkunst, Street Art ziert viele<br />

Hauswände <strong>und</strong> schnelles Internet ist überall vorhanden. An<br />

vielen Ecken Symbole des Miteinanders <strong>und</strong> des Respekts.<br />

Äußerst ungewöhnlich für ein kalabrisches Bergdorf.<br />

Ein Dorn im Auge der Mafia<br />

Der Fluss der akquirierten Geldmittel hat selbstverständlich<br />

auch dunkle Kräfte auf den Plan gerufen, die Teile davon<br />

abzweigen wollten. Doch entscheidend für den Erfolg des<br />

Projektes war: Lucano widersetzte sich der `Ndrangheta, der<br />

kalabrischen Mafia. Trotz Morddrohungen <strong>und</strong> Anschlägen<br />

war es ihm gelungen, den Einfluss der Mafia mit Hilfe einer<br />

starken Gemeinschaft aus der Gemeinde fernzuhalten. In<br />

anderen Landesteilen hatte sich die Mafia der Geflüchteten<br />

„angenommen“, sie als rechtlose <strong>und</strong> ausgebeutete Arbeitssklaven<br />

missbraucht <strong>und</strong> in erbärmlichen <strong>Plastik</strong>folienverschlägen<br />

untergebracht. In vielen Gegenden werden diese<br />

skandalösen Zustände von Regierung <strong>und</strong> Polizei bis zum<br />

heutigen Tag toleriert. Immer wieder kommt es zu Aufständen<br />

der meist aus Afrika stammenden Menschen. Von<br />

all dem blieb Riace verschont. Nicht zuletzt deswegen, weil<br />

die Polizei Tür an Tür mit dem Bürgermeister im Rathaus<br />

<strong>und</strong> nicht mit der `Ndrangheta zusammenarbeitete. Ein<br />

Glücksfall, der auch heute noch nicht überall in Kalabrien<br />

erwartet werden darf. Das unregelmäßig eintreffende Geld<br />

wurde unbürokratisch für Taschengeld der Neuankömmlinge,<br />

für die Sanierung von Häusern, für die Schule, für den<br />

Kindergarten <strong>und</strong> für die Werkstätten verwendet, in denen<br />

Migranten <strong>und</strong> Einheimische zusammenarbeiten konnten.<br />

Die Gemeinde <strong>schafft</strong>e so bezahlte Arbeitsplätze für Italiener<br />

ebenso wie für Zuwanderer – auch für solche ohne<br />

Arbeitserlaubnis. Die Toleranz der Behörden gegenüber<br />

dieser Art der Integration war hinreichend groß, weil sie den<br />

Erfolg sehen <strong>und</strong> erleben konnten, weil Riace im Gegensatz<br />

zu anderen Gemeinden keine Probleme mit Gewalt <strong>und</strong><br />

Kriminalität bereitete. In Riace lebten über die Dauer von<br />

zwanzig Jahren Einheimische <strong>und</strong> eine überproportional<br />

hohe Zahl von Migranten nahezu ohne Kriminalität oder<br />

Ausschreitungen friedlich zusammen.<br />

Eine erfolgreiche Bilanz<br />

Weil immer wieder Zeiten ohne Geldfluss überbrückt werden<br />

mussten, kreierte Città Futura ein lokales Zahlungsmittel,<br />

das in der Gemeinde zirkulierte <strong>und</strong> von Zeit zu Zeit wieder<br />

in Euro umgetauscht werden konnte. Die liebevoll gestalteten<br />

Noten trugen die Portraits von Menschenrechtlern wie<br />

Gandhi, Mandela oder Martin Luther King, Künstlern wie<br />

Pasolini, Wim Wenders oder Chaplin, aber auch Revolutionär<br />

Che Guevara durfte nicht fehlen.<br />

Bis heute wurden 150 der einst verlassenen Häuser gemeinsam<br />

wiederaufgebaut. In ihnen lebten Flüchtlinge aus<br />

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81


THEMEN | GEMEINSAM FÜR DEN WANDEL<br />

mehr als 20 Ländern. Domenico „Mimmo“ Lucano nennt das<br />

Riace-Projekt das „Villagio globale“, das Weltdorf. Zahlreiche<br />

Preise <strong>und</strong> Ehrungen wurden dem Projekt zuerkannt <strong>und</strong><br />

schnell bekam Riace den internationalen Ruf als Vorzeigeobjekt<br />

für eine pragmatische Aufnahmekultur zu allseitigem<br />

Vorteil. In der Tat sind zahlreiche Gemeinden in Europa diesem<br />

Beispiel gefolgt. Nur die Bekanntheit von Riace haben sie<br />

zu Unrecht nicht erreicht, sie blieben im Verborgenen, sind<br />

aber ebenso wichtig, denn sie sind Inseln der Menschlichkeit.<br />

Populisten schüren Ängste<br />

Ausgelöst durch den Krieg in Syrien erreichte Europa – mit<br />

einem Höhepunkt im Jahr 2015 – eine große Zahl von Geflüchteten.<br />

Die erschütternden Bilder lösten einerseits bei<br />

den Menschen eine nicht gekannte Hilfsbereitschaft aus,<br />

andererseits schürten sie bei vielen Menschen <strong>und</strong>efinierte<br />

Ängste. Das war der Ausbruch einer unterschwellig vorhandenen<br />

Fremdenfeindlichkeit in allen europäischen Ländern.<br />

Einige Staaten schlossen Grenzen, bauten Zäune oder zahlten<br />

Geld an Drittstaaten, damit die Geflüchteten Europa erst gar<br />

nicht erreichen konnten, sondern in riesigen Lagern zurückgehalten<br />

wurden. Die offizielle Seenotrettung im Mittelmeer<br />

wurde Stück für Stück abgebaut <strong>und</strong> Abschreckung<br />

aufgebaut. Private Rettungsschiffbesatzungen sehen sich<br />

seither von offizieller Seite als Gutmenschen diskriminiert,<br />

behindert, als Helfer von Schlepperbanden kriminalisiert,<br />

mit hohen Geldstrafen belegt <strong>und</strong> durch Beschlagnahmung<br />

der Schiffe aus dem Verkehr gezogen.<br />

Es war die Zeit einer erstarkenden rechtsradikalen Szene,<br />

nicht nur, aber nicht zuletzt in Italien. Ängste <strong>und</strong> wirtschaftliche<br />

Schwäche zusammen bildeten das Biotop für<br />

populistische Politiker, die die Lage rasch für einen ungeahnt<br />

steilen Aufstieg nutzen konnten. Die Regierung stellte 2017<br />

ohne Angabe von Gründen die Zahlungen an Riace ein. Das<br />

hatte bald verheerende Folgen. Denn die angehäuften Lokalwährungsschulden<br />

konnten nicht mehr in Euro beglichen<br />

werden. Die Händler <strong>und</strong> Handwerker blieben auf ihren<br />

Riace-Geldscheinen sitzen. Unruhe <strong>und</strong> Ungeduld machten<br />

sich in der Gemeinde breit.<br />

Der Bürgermeister als Sündenbock <strong>und</strong> Zielscheibe,<br />

Geflüchtete als Leidtragende<br />

Mit Salvini als Innenminister der <strong>neue</strong>n Regierung verschärfte<br />

sich 2018 die Situation. Der rechtsradikale Populist der „Lega<br />

Nord“ fand auch bei seinem linksradikalen Koalitionspartner<br />

der „Cinque Stelle“ Unterstützer seiner harten, fremdenfeindlichen<br />

Politik. Bürgermeister Lucano wurde im Herbst<br />

2018 über Nacht seines Amtes enthoben, in Untersuchungshaft<br />

genommen, aus seiner Gemeinde verbannt, unter Hausarrest<br />

gestellt <strong>und</strong> wegen angeblicher Veruntreuung von<br />

Zahlreiche Streetart-Arbeiten binden die Thematik um Flucht <strong>und</strong><br />

Migration künstlerisch in das Dorf ein.<br />

Fotos: © Karl-Heinz <strong>Jobs</strong>t<br />

82 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


GEMEINSAM FÜR DEN WANDEL | THEMEN<br />

öffentlichen Geldern, Verstoß gegen das Vergaberecht <strong>und</strong><br />

Anbahnung einer Scheinehe angeklagt. Die Konten von Città<br />

Futura wurden beschlagnahmt, die Handwerksbetriebe <strong>und</strong><br />

Läden der Migranten geschlossen, die Felder blieben wieder<br />

unbearbeitet. Migranten ohne Duldung oder Anerkennung<br />

wurden innerhalb weniger Wochen in weit entfernte Lager<br />

deportiert oder sie tauchten vorher in der Illegalität unter.<br />

Mimmo wurde inzwischen von allen Anklagepunkten in<br />

erster Instanz freigesprochen. Das war für die Staatsanwaltschaft<br />

jedoch Anlass, sofort in allen Fällen in Revision zu<br />

gehen. Der Bann blieb somit bis heute aufrecht. Nicht genug,<br />

auch Lucanos Mitstreiter, etwa dreißig an der Zahl, wurden<br />

nun zur Abschreckung mit einer Welle von Klagen überzogen.<br />

Die Klagen hatten zur Folge, dass im Mai <strong>2019</strong> der Kommunalwahlkampf<br />

gleichzeitig mit der Europawahl ohne Lucano<br />

stattfinden musste. In den Wochen vor der Wahl wurden fast<br />

täglich teure <strong>und</strong> schwere Limousinen im Dorf beobachtet.<br />

Die Mafia hatte wieder ihre bewährte Einschüchterungstaktik<br />

aufgenommen, was offenbar zur auffallend geringen<br />

Wahlbeteiligung führte.<br />

Und weil sein Ruf wegen der Klagen angeschlagen war, wurde<br />

Lucano tatsächlich nicht mehr in den Gemeinderat gewählt.<br />

Als Bürgermeister durfte er ohnehin kein weiteres Mal kandidieren.<br />

Salvini war am Ziele seiner Zerstörungskampagne <strong>und</strong><br />

brüstete sich noch am Wahlabend im TV: „Riace ist gefallen!“<br />

Seine einzigen politischen Inhalte, die Fremdenfeindlichkeit<br />

<strong>und</strong> „Italia primo“ hatten ihm einen eindrucksvollen Wahlsieg<br />

beschert. Lucanos eigene Gemeinde hatte ihn also im<br />

Stich gelassen! Das Dorf war nicht nur gespalten, sondern<br />

das Wahlergebnis war jetzt mehrheitlich gegen ihn. In den<br />

Wochen darauf war Mimmo verzweifelt <strong>und</strong> selbst für seine<br />

besten Fre<strong>und</strong>e kaum noch zu sprechen.<br />

Eine europaweite Solidarität hält dagegen<br />

Nicht erst seit der verlorenen Kommunalwahl, sondern<br />

schon seit Beginn der Repressalien 2017 haben sich viele<br />

internationale Bewegungen gebildet, die Riace unbedingt<br />

als Leuchtturm erhalten, ausbauen <strong>und</strong> als „Best Practice“ in<br />

die Welt tragen möchten. Unter der Beteiligung zahlreicher<br />

NGOs wie z. B. longo maï oder Solidarity City wurde in Basel<br />

der Fahrplan für die Rettung Riaces geschrieben <strong>und</strong> schon im<br />

Frühjahr <strong>2019</strong> die Gründung einer Stiftung mit dem Namen<br />

„È stato il vento“ (Es war der Wind) beschlossen. Ein Hinweis<br />

auf die Landung des ersten Schiffes am Strand von Riace. Es<br />

folgte eine breit angelegt Sammlung für das Stiftungskapital<br />

in Höhe von 100.000 EURO. Das Geld war schnell zusammengetrommelt<br />

<strong>und</strong> so kam es in Mailand zur notariellen Gründung.<br />

Eine erste Aktion der Stiftung war der Ankauf eines<br />

Stockwerks im „Palazzo Pinnaro“, Das historische Gebäude<br />

im Zentrum von Riace hat symbolische Bedeutung als Sitz von<br />

Città Futura, Schule sowie als Anlauf- <strong>und</strong> Beratungsstelle für<br />

Geflüchtete. Der Palazzo war Kristallisationspunkt für viele<br />

Projekte <strong>und</strong> ist jetzt wieder Zentrum des Widerstands. Che<br />

Guevaras Portrait hängt dort nicht ohne Gr<strong>und</strong> an der Wand.<br />

Zur weiteren finanziellen Unterstützung der Stiftung ist ein<br />

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83


THEMEN | GEMEINSAM FÜR DEN WANDEL<br />

Das alte Dorf Riace war dem Verfall ausgesetzt. Viele Häuser wurden verlassen, Schule <strong>und</strong> Kindergarten aus Mangel an Kindern geschlossen.<br />

Restaurants <strong>und</strong> Lebensmittelgeschäfte sind unbelebt. Die Landwirtschaft konnte ihre Bauern nicht mehr ernähren. Doch dann landete ein<br />

Segelschiff mit Geflüchteten am Strand…<br />

„Wir haben uns dafür entschieden, das Herz sprechen zu lassen<br />

<strong>und</strong> nicht die Angst!“<br />

Domenico Lucano<br />

gemeinnütziger Verein „Retten wir Riace“ e.V. in Freiburg<br />

geplant. Er soll dazu dienen, Spenden zu sammeln, um die<br />

monatlich laufenden Kosten für Gehälter, Mieten, Material<br />

usw. zu bestreiten, damit unter anderem 19 Ferienwohnungen<br />

für einen zukünftigen sanften Riace-Tourismus weiter<br />

renoviert werden können. Die erneute Inbetriebnahme<br />

der kleinen Handwerksbetriebe, die Wiedereröffnung der<br />

Läden <strong>und</strong> Restaurants sind Gr<strong>und</strong>lagen für eine lebendige<br />

Gemeinde. Eine äußerst wichtige Aufgabe ist auch die Fertigstellung<br />

<strong>und</strong> Inbetriebnahme einer nagel<strong>neue</strong>n modernen<br />

Ölmühle, mit der die Oliven im Herbst selbst verarbeitet<br />

werden können. An den Vertriebskanälen für die Produkte<br />

wird bereits gearbeitet. Daran hängen viele Arbeitsplätze<br />

in der Landwirtschaft <strong>und</strong> somit auch ein großes Maß an<br />

Souveränität <strong>und</strong> Selbstbewusstsein des Dorfes. Ziel ist es,<br />

durch eigene Arbeit unabhängig von staatlichen Geldern <strong>und</strong><br />

den Schikanen von Staat <strong>und</strong> Mafia zu werden.<br />

Die Zukunft ist noch ungewiss, aber sie gibt Hoffnung<br />

Die <strong>neue</strong>ste Nachricht im Nachklang zur Kommunalwahl erreichte<br />

uns gerade heute im Juli <strong>2019</strong>: Der frisch gewählte<br />

Bürgermeister der Lega Nord hätte gar nicht kandidieren<br />

dürfen, weil er Staatspolizist war <strong>und</strong> somit eine Trennung<br />

von Legislative <strong>und</strong> Judikative nicht mehr gegeben ist. Das<br />

heißt, die Wahl war ungültig <strong>und</strong> muss demnächst wiederholt<br />

werden. Bezeichnend ist, dass der <strong>neue</strong> <strong>und</strong> jetzt schon<br />

wieder ehemalige Bürgermeister als erste Amtshandlung<br />

anordnete, Überwachungskameras in Riace aufzustellen.<br />

Ob sich nun durch eine Neuwahl politisch im Kleinen etwas<br />

zum Guten bewegt, darf aus heutiger Sicht bezweifelt werden.<br />

Jetzt zählen nur Taten der Zivilgesellschaft, die weithin<br />

sichtbar etwas bewegen. Die vielen jungen <strong>und</strong> idealistischen<br />

Menschen, die jetzt ins Dorf kommen <strong>und</strong> mit viel Engagement<br />

mit ihren Fähigkeiten <strong>und</strong> körperlicher Arbeit anpacken<br />

wollen, geben Hoffnung, dass es einen Neuanfang geben<br />

wird. Sicher ist, dass Riace nicht allein gelassen werden darf.<br />

Das Dorf <strong>und</strong> sein ehemaliger Bürgermeister haben trotz<br />

widriger Umstände immer noch so viel Strahlkraft, dass es<br />

viele anderer europäische Kommunen <strong>und</strong> internationaler<br />

Nichtregierungsorganisationen ermutigt, gegen politische<br />

Willkür, willfährige Justiz, Verletzung von Menschenrechten,<br />

<strong>und</strong> Fremdenfeindlichkeit vorzugehen.<br />

Domenico Lucano erzielte den dritten Platz als „World Mayor“<br />

bei der Auszeichnung der weltweit besten Bürgermeister<br />

2010. Im Jahr 2016 wurde er von der Zeitschrift Fortune in<br />

die Liste der weltweit 50 einflussreichsten Persönlichkeiten<br />

aufgenommen. Der deutsche Regisseur Wim Wenders<br />

drehte den Kurzdokumentarfilm Il Volo über ihn. Am 12.<br />

Februar 2017 wurde der Bürgermeister für seinen Einsatz<br />

mit dem Dresdner Friedenspreis ausgezeichnet. Mehr als<br />

1.300 Verbände, 2.400 Hochschullehrer <strong>und</strong> fast 100.000<br />

Bürger aus ganz Europa haben klar dargelegt <strong>und</strong> gefordert:<br />

Der Friedensnobelpreis <strong>2019</strong> muss an Domenico „Mimmo“<br />

Lucano <strong>und</strong> die Gemeinde Riace als Symbol für zwanzig Jahre<br />

Solidarität, Integration <strong>und</strong> Gerechtigkeit gehen. Diesem<br />

Aufruf ist nichts hinzuzufügen, außer, dass der Spendenfluss<br />

unbedingt erhalten bleiben muss.<br />

www.retten-wir-riace.de<br />

KARL HEINZ JOBST<br />

arbeitet seit seinem Ruhestand als selbständiger Ingenieur <strong>und</strong><br />

politscher Berater ehrenamtlich für ökosoziale Projekte. Themenschwerpunkte<br />

sind die Seenotrettung sowie die Unterstützung von<br />

Integration. Die Teilnahme an der Enquete-Kommission des Bayerischen<br />

Landtags „Integration in Bayern aktiv gestalten <strong>und</strong> Richtung<br />

geben“ war für ihn prägend.<br />

Spendenkonto<br />

Aktion Dritte Welt e.V. * GLS Bank<br />

IBAN: DE16 4306 0967 7913 3876 00<br />

BIC: GENODEM1GLS<br />

Verwendungszweck: „Riace“<br />

Spendenbescheinigungen werden auf Wunsch ausgestellt.<br />

Foto: © William Veder<br />

84 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


GEMEINSAM FÜR DEN WANDEL | THEMEN<br />

PLÄDOYER FÜR EINE<br />

VERÄNDERUNG<br />

IN DER BILDUNG<br />

Die Bildung muss digitaler werden – so lautet derzeit das einhellige Credo. Nicht mehr Wissensvermittlung<br />

sei das primäre Ziel, sondern Wissensnutzung. Gleichzeitig wird der Ruf nach einer Messbarkeit <strong>und</strong><br />

Vergleichbarkeit von Bildung immer lauter. Beides passt nicht zusammen. Ein Beitrag zur Ausräumung<br />

eines Missverständnisses.<br />

Von Susanne Hensel-Börner<br />

Überall geht es derzeit um die Frage, welchen Einfluss die<br />

Digitalisierung hat. Beim Thema Bildung wird die Diskussion<br />

besonders hitzig geführt. Alle meinen mitreden zu können –<br />

immerhin hat mehr oder weniger jeder einmal eine Schule<br />

besucht. Der gesellschaftliche Wandel jedoch, den wir aktuell<br />

erleben, macht diesen kollektiven Erfahrungsschatz auf einmal<br />

obsolet. Die Auswirkungen durch die Globalisierung <strong>und</strong><br />

Digitalisierung kennt schließlich langfristig noch niemand.<br />

Doch was die Diskussion um die Bildung besonders erhitzt,<br />

ist die Tatsache, dass sie von zwei Tendenzen dominiert wird,<br />

die widersprüchlicher kaum sein könnten.<br />

Die Bildung muss messbar <strong>und</strong> vergleichbar sein, sagen die<br />

einen. Eine Standardisierung der Bildung mit einem einheitlichen<br />

Abitur wäre die Folge. An den Hochschulen gibt<br />

es sie auch schon, eine international vergleichbare Einheit<br />

zur Messbarkeit von Arbeitspensum <strong>und</strong> Leistung, die sogenannten<br />

ECTS-Punkte.<br />

Auf der anderen Seite rüttelt der uneingeschränkte Zugang zu<br />

digitalisierten Informationen <strong>und</strong> Wissen am F<strong>und</strong>ament solcher<br />

alt hergebrachten Bildungsziele. Und so halten Kritiker<br />

dagegen: Anstelle standardisierter Wissensvermittlung ist es<br />

die erfolgreiche Nutzung vorhandener Informationsquellen,<br />

auf die es heutzutage ankommt. Fake News hinterfragen,<br />

Zusammenhänge verstehen <strong>und</strong> die interdisziplinäre Zusammenarbeit<br />

in teilweise virtuellen Teams <strong>und</strong> Netzwerken sind<br />

die Schlüsselkompetenzen im digitalen Zeitalter.<br />

Die Gegensätze könnten kaum größer sein. Echtzeitmessungen<br />

einheitlicher Erfolgsmaße stehen im f<strong>und</strong>amentalen<br />

Widerspruch zu individuellen <strong>und</strong> fachübergreifenden<br />

Kompetenzen, die nur schwer zu quantifizieren sind. Auf<br />

der Suche nach Lösungen möchte dieser Beitrag ein Missverständnis<br />

ausräumen <strong>und</strong> aufzeigen, dass die Instrumente<br />

erfolgreicher Bildung, die wir im digitalen Zeitalter brauchen,<br />

weder neu noch strittig sind.<br />

„Ich höre <strong>und</strong> vergesse.<br />

Ich sehe <strong>und</strong> behalte.<br />

Ich handle <strong>und</strong> verstehe.“<br />

Konfuzius<br />

Das Missverständnis: Digitalisierung der Lehre = / Bildung<br />

für eine digitale Welt<br />

Zweifelsohne bieten digitale Medien vielfältige Möglichkeiten<br />

zur Individualisierung <strong>und</strong> auch Modernisierung der Lehre.<br />

E-Learning kombiniert mit Flipped-Classroom–Konzepten,<br />

Lehrvideos <strong>und</strong> Lern-Apps, die mit Elementen von Computerspielen<br />

angereichert sind, sind nur einige Beispiele einer<br />

digitalisierten Lehre. Wird die Bildung in dieser Form vermittelt,<br />

hinterlassen Lernende permanent Spuren ihrer Lernprozesse,<br />

Spuren die auf Knopfdruck kontinuierlich ausgewertet<br />

<strong>und</strong> verglichen werden können. Die Digitalisierung ermöglicht<br />

nicht nur die Individualisierung von Lernprozessen in<br />

bisher ungeahntem Ausmaß, sondern auch die Messbarkeit.<br />

Dennoch greifen diese Ansätze isoliert betrachtet noch viel<br />

zu kurz. Denn nach wie vor steht hierbei die reine Wissensvermittlung<br />

im Mittelpunkt <strong>und</strong> die Erfolgsmessung basiert<br />

auf einer vorab definierten Ziellinie. Die Befürchtung ist berechtigt,<br />

dass mit dem Fokus auf eine solche Technisierung<br />

von eigentlich tradierten Methoden die wirklich notwendigen<br />

Veränderungen für erfolgreiche Bildungsarbeit im digitalen<br />

Zeitalter systematisch verhindert werden. Bildung für eine digitale<br />

Welt bedeutet mehr als angeleitete Trainingseinheiten<br />

zur Wissensabfrage an Smartphones <strong>und</strong> Tablets. Wenn wir<br />

mithalten wollen mit dem, was die IT längst kann, müssen wir<br />

vor allem eines: Vernetzt denken lernen. Und dies kann nur<br />

gelingen, wenn dem Bildungserwerb ein <strong>neue</strong>r Stellenwert<br />

zuteil wird, auch wenn die Erfolgsmessung <strong>und</strong> -beurteilung<br />

dann ungleich schwieriger wird.<br />

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85


THEMEN | GEMEINSAM FÜR DEN WANDEL<br />

Die Debatte um Kompetenzen – in Unternehmen oft auch<br />

soft skills genannt – ist nicht neu. Und sie ist nicht einmal<br />

sonderlich kontrovers. Denn eine Meinung eint alle: Der isoliert<br />

fachliche Wissenserwerb verliert an Bedeutung. Worauf<br />

es heutzutage vielmehr ankommt, ist Teamarbeit über Fachgrenzen<br />

hinweg, ist die gemeinsame Suche nach Lösungen.<br />

Die entscheidende Frage ist jetzt, wie die Lernumgebung<br />

gestaltet sein muss, um diesen notwendigen Kompetenzerwerb<br />

zu ermöglichen.<br />

Projektlernen muss zur zentralen Lernform werden<br />

Die heute noch dominierenden Strukturen in den Bildungseinrichtungen<br />

müssen maßgeblich verändert werden.<br />

Gesonderte Schulfächer, Module <strong>und</strong> isoliert konzipierte<br />

Vorlesungen verhindern geradezu vernetztes Denken. Alte<br />

Weisheiten jedoch bringen uns in dieser modernden Zeit<br />

weiter. Ob mit den Worten von Konfuzius, Aristoteles oder<br />

Goethe, die Kernbotschaft lautet immer: Vom Reden ins<br />

Handeln kommen.<br />

Übertragen auf die Bildung im digitalen Zeitalter bedeutet<br />

dies: Projektlernen muss zur zentralen Lernform in Schulen<br />

<strong>und</strong> Hochschulen werden.<br />

„Was man lernen muss, um es zu tun,<br />

das lernt man, indem man es tut.“<br />

Aristoteles<br />

Im Projektlernen arbeiten die Lernenden an konkreten<br />

Fragestellungen. Der Schulalltag, Forschungsfragen <strong>und</strong> das<br />

soziale <strong>und</strong> gesellschaftliche Umfeld bieten von sich aus<br />

eine Fülle von Herausforderungen <strong>und</strong> Fragen. Wenn sich<br />

die Lernenden nun mit den Fragen identifizieren, wird die<br />

notwendige Motivation entzündet, selbst nach Antworten zu<br />

suchen. Genau dann <strong>und</strong> nur dann kommen die Lernenden<br />

vom passiven Hören ins aktive Tun. Statt vorgefertigte <strong>und</strong><br />

didaktisch aufbereitete Lehrinhalte wiederzugeben, geht es<br />

um das selbstständige Erarbeiten von Lösungen.<br />

Betont sei hier ausdrücklich, dass dies den Wissenserwerb<br />

keinesfalls vernachlässigt. Ganz im Gegenteil. Auf der Suche<br />

nach Antworten eignet sich der Lernende durch eine aktive<br />

Fragehaltung das notwendige Fachwissen durchaus an. Das<br />

Paradoxe ist, dass wir durch die Digitalisierung, konkret durch<br />

das Internet, längst in dieser Form vorgehen, wenn es darum<br />

geht Aufgaben, Fragen <strong>und</strong> Projekte zu bearbeiten, sei es<br />

beruflich oder privat.<br />

Entscheidend für erfolgreiches Projektlernen ist die verantwortungsvolle<br />

An- <strong>und</strong> Begleitung der Lernenden. Selbstständig<br />

bedeutet an dieser Stelle nicht allein. Der Lehrende<br />

ist in diesem Prozess ein Begleiter, Mutmacher <strong>und</strong> Berater<br />

anstatt reiner Stoffvermittler. Doch diese veränderte Rolle<br />

des Lehrenden wirkt sich maßgeblich auch auf das Zeitbudget<br />

<strong>und</strong> den Arbeitsaufwand aus. So ist eine Anleitung<br />

verschiedener Projektteams zum Beispiel, die sich jeweils<br />

mit Teilaspekten einer Forschungsfrage befassen <strong>und</strong> dabei<br />

in unterschiedlichem Lerntempo vorgehen, nicht vergleichbar<br />

mit einer standardisierten Unterrichtseinheit oder Vorlesungsveranstaltung,<br />

die sich einmal konzipiert jahrelang<br />

wiederholen lässt. Für Projektlernen müssen Messzahlen wie<br />

Unterrichtsst<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Betreuungsschlüssel neu entwickelt<br />

sowie die alten Bewertungsmaßstäbe hinterfragt werden.<br />

Eine <strong>neue</strong> Währung für Projektlernen erforderlich<br />

Ein Blick auf den Alltag in vielen Schulen <strong>und</strong> Hochschulen<br />

zeigt: Projektlernen findet vielerorts <strong>und</strong> in zahlreichen Facetten<br />

bereits statt. Meine Söhne haben zum Beispiel schon<br />

ein Beachvolleyballfeld für ihre Schule gebaut oder begeistert<br />

an Spendenläufen für einen guten Zweck teilgenommen. Bei<br />

den Spendenläufen etwa, bei denen sie selber Sponsoren<br />

suchen mussten, lernten sie gesellschaftliche <strong>und</strong> soziale<br />

Verantwortung zu übernehmen. Sie erfuhren etwas über<br />

die Spendenprojekte <strong>und</strong> damit etwas über die Zustände in<br />

anderen Ländern. Und ganz allgemein erlebten sie, wie man<br />

gemeinsam etwas Großes schaffen kann.<br />

Nicht selten hört man allerdings den Vorwurf – insbesondere<br />

von Eltern –, dass dabei gar nichts gelernt wird. Auch die<br />

Schüler selbst bezeichnen solche Projekte oftmals als nicht<br />

richtige Schule, denn die Projektwoche findet erst nach der<br />

Notenabgabe fürs Zeugnis statt. Richtig Unterricht ist demnach<br />

nur, wenn man auf den harten Stühlen sitzt, der Lehrkraft<br />

zuhören muss oder für seine Klassenarbeiten büffelt.<br />

Und wir dürfen es der jungen Generation – egal ob an Schule<br />

oder Hochschule – nicht verdenken, denn das herrschende<br />

Bewertungssystem ist noch immer genau so konzipiert.<br />

Noch überwiegen einheitliche Klausuren <strong>und</strong> Einzeltests<br />

als Prüfungsform. Erfolgreich ist hier, wer unter Zeitdruck<br />

das Erlernte abrufen kann. Kooperation <strong>und</strong> Teamarbeit<br />

bedeuten bei dieser Form der Problemlösung sogar Betrug.<br />

In Stresssituationen kann unser Gehirn jedoch nicht kreativ<br />

sein. Innovative Ergebnisse sind bei vorgegebener Musterlösung<br />

auch gar nicht erwünscht. Selbst bei Gruppenarbeiten<br />

schreibt die Kultusministerkonferenz vor, jeden Einzelbeitrag<br />

namentlich zu kennzeichnen, um eine individuelle Leistungsbeurteilung<br />

zu gewährleisten. Teamarbeit, gegenseitige<br />

Unterstützung <strong>und</strong> Teilung von Wissen werden auf diese<br />

Weise nicht gefördert.<br />

„Es ist nicht genug, zu wissen,<br />

man muss es auch anwenden.<br />

Es ist nicht genug, zu wollen,<br />

man muss es auch tun.“<br />

J.W von Goethe<br />

Mir geht es ausdrücklich nicht um die Abschaffung von Noten<br />

<strong>und</strong> Bewertungen. Wir alle wollen <strong>und</strong> brauchen Feedback zu<br />

den Dingen, die wir leisten. Das ist menschlich <strong>und</strong> legitim.<br />

Zwar sind solche Bewertungen natürlich nicht immer fair <strong>und</strong><br />

schon gar nicht objektiv. Das waren sie im Übrigen noch nie<br />

<strong>und</strong> werden sie auch in digitalisierter Form nie sein. Im Sinne<br />

86 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


GEMEINSAM FÜR DEN WANDEL | THEMEN<br />

einer erfolgreichen Bildung für eine digitale Welt gilt es aber<br />

zu hinterfragen, was <strong>und</strong> wie bewertet wird.<br />

Von einem Schweizer Unternehmer erfuhr ich schon vor<br />

Jahren, dass für ihn bei der Bewerberauswahl genau eine<br />

einzige Zahl aus dem Schulzeugnis von Relevanz ist. Nein,<br />

es war nicht die Note im Fach Mathematik, wie viele immer<br />

vermuten oder die Note im Programmieren, wie es vielleicht<br />

in zehn Jahren heißen wird. Es war die Anzahl unentschuldigter<br />

Fehltage! Er interpretierte diese negativ als Indikator<br />

für verantwortungsloses Verhalten <strong>und</strong> für mangelnden<br />

Respekt gegenüber dem System Schule. Jedoch könnten<br />

die Fehltage auch ein positiver Indikator dafür sein, dass ein<br />

Schüler bereit war, sich außerschulisch zu engagieren oder<br />

dafür, dass er außerhalb der Schule wertvolle soziale Erfahrungen<br />

gemacht hat <strong>und</strong> dabei <strong>Social</strong> Skills wie Vertrauen<br />

<strong>und</strong> Respekt erworben hat.<br />

Vielleicht mag dieses Beispiel ein sehr radikaler <strong>und</strong> vereinfachter<br />

Ansatz sein. Aber er zeigt, dass wir die bestehenden<br />

Bewertungsmethoden in unserem Bildungssystem hinterfragen<br />

<strong>und</strong> neu gewichten müssen.<br />

Projektlernen als zentrales Instrument<br />

für Kompetenzerwerb<br />

Die Instrumente <strong>und</strong> Methoden für Kompetenzerwerb sind<br />

nicht neu. Vielerorts werden sie längst praktiziert in Form<br />

von Projekten <strong>und</strong> Engagements, <strong>und</strong> das nicht nur auf<br />

alternativen Schulen. Der Wirkungsgrad von solch einem<br />

Projektlernen kann noch weiter erhöht werden, wenn wir die<br />

Digitalisierung richtig nutzen. Die Voraussetzung jedoch ist,<br />

dass wir diese Entwicklung nicht auf die reine Technisierung<br />

veralteter Lehrformate reduzieren <strong>und</strong> nur eine Optimierung<br />

standardisierter Vergleichsmessungen anstreben. Für die<br />

Fragen <strong>und</strong> Herausforderungen des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts gibt es<br />

keine Musterlösungen, die automatisiert abgeprüft werden<br />

können. Die Bildungsziele <strong>und</strong> Bewertungsmaßstäbe müssen<br />

dahingehend verändert werden, dass das Fragen stellen, die<br />

gemeinsame Lösungssuche <strong>und</strong> das konkrete Handeln belohnt<br />

werden – auch wenn die Ergebnisse dann sehr individuell<br />

<strong>und</strong> nur schwer vergleichbar sind. Lassen Sie uns in eine<br />

offene <strong>und</strong> mutige Diskussion eintreten, um einer solchen<br />

Kompetenzorientierung in unseren Schulen, Hochschulen <strong>und</strong><br />

Unternehmen den Stellenwert zuteilwerden lassen, der ihr in<br />

einer globalen <strong>und</strong> digitalen Welt dringend gebührt.<br />

SUSANNE HENSEL-BÖRNER<br />

ist die Initiatorin <strong>und</strong> treibende Kraft hinter dem <strong>neue</strong>n Master-Studiengang<br />

„Digitale Transformation <strong>und</strong> <strong>Nachhaltig</strong>keit“. An der<br />

Hamburg School of <strong>Business</strong> Administration (HSBA) ist sie seit 2009<br />

Professorin für Betriebswirtschaftslehre.<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

87


THEMEN | LANDWIRTSCHAFT FAIR UND KLIMAFREUNDLICH<br />

BAUERN: PROBLEMLÖSER<br />

STATT SÜNDENBOCK<br />

Dicke Luft in der Landwirtschaft <strong>und</strong> schlechtes Klima müssen nicht sein<br />

Seit dem Volksbegehren Artenschutz herrscht dicke Luft in Bayern. Verbraucher mit Halbwissen sehen in<br />

Landwirten massive Umweltverschmutzer <strong>und</strong> tragen gleichzeitig durch den Kauf billiger Industrie-Lebensmittel<br />

zum großen Bauernsterben bei. Bauern fühlen sich am Pranger <strong>und</strong> schimpfen auf Konsumenten<br />

<strong>und</strong> Politik. Eine verzwickte Lage. <strong>forum</strong> sucht Auswege.<br />

Von Fritz Lietsch<br />

Sebastian, mein Cousin, ist Landwirt aus Leidenschaft. Sein<br />

Bauernhof im bayerischen Voralpenland ist ein Muster an<br />

Sauberkeit <strong>und</strong> Ordnung. Sein Maschinenbestand ist bestens<br />

gepflegt. Seine Kühe sind ges<strong>und</strong>, ein <strong>neue</strong>r Offenlaufstall<br />

gibt ihnen viel frische Luft <strong>und</strong> Bewegung.<br />

Zwei Generationen arbeiten auf dem Hof, damit alles so<br />

perfekt laufen kann wie beschrieben. Dennoch ist eine<br />

40-St<strong>und</strong>en-Woche ein ferner Traum. Der Arbeitstag beginnt<br />

um 5.00 Uhr morgens <strong>und</strong> endet oft erst 14 St<strong>und</strong>en später.<br />

Das alles nehmen der Landwirt <strong>und</strong> seine Familie klaglos in<br />

Kauf. Doch immer mehr gesetzliche Vorschriften rauben ihm<br />

die Lust am „freien“ Bauernleben. Und seit diesem Jahr ist<br />

er besonders sauer…<br />

Ärger in Bayern<br />

Im Süden Deutschlands herrscht dicke Luft: Seit der Verabschiedung<br />

des Volksbegehrens Artenvielfalt „Rettet<br />

die Bienen!“ fühlen sich viele Landwirte entmündigt.<br />

Nicht zuletzt aufgestachelt durch geschickte Agitation<br />

von Lobbygruppen <strong>und</strong> Bauernverband gehen sie auf die<br />

Barrikaden <strong>und</strong> reißen demonstrativ Streuobstwiesen<br />

nieder, bevor ihnen der Naturschutz zukünftig weitergehende<br />

Vorschriften auferlegen kann. Sie sehen nicht ein,<br />

warum ihnen Termine für das Walzen ihrer Wiesen <strong>und</strong><br />

die Berücksichtigung von Abstandsflächen zu Gräben von<br />

unk<strong>und</strong>igen Bürgern per Volksbegehren „aufgedrückt“<br />

werden. Die Folge: Die Kluft zwischen den Bauern <strong>und</strong><br />

Foto: © claas-gruppe.com<br />

88 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


LANDWIRTSCHAFT FAIR UND KLIMAFREUNDLICH | THEMEN<br />

restlichen Bürgern wächst, der Ton wird schärfer. Auch<br />

der meines Cousins.<br />

Dies ist für Thomas Prudlo, einen der Initiatoren des Volksbegehrens,<br />

völlig rätselhaft. Er hat mit Herzblut an dessen<br />

Inhalten mitgearbeitet, <strong>und</strong> da er selbst aus einer Allgäuer<br />

Bauernfamilie stammt, kennt er die Nöte gerade der kleineren<br />

Höfe. Aus seiner Sicht stehen die seiner Meinung nach<br />

geringen Belastungen der Bauern in keinem Verhältnis zur<br />

Aufregung, zumal ja nicht nur die Gesellschaft, sondern gerade<br />

auch die Bauern von einer intakten Natur profitieren.<br />

Man denke hier allein an die Bestäubungsleistungen von<br />

Bienen <strong>und</strong> Insekten.<br />

Dass aber nicht nur von der Landwirtschaft, sondern auch<br />

von anderen Wirtschaftszweigen Belastungen für Mensch<br />

<strong>und</strong> Umwelt ausgehen, sollte in Zeiten von Klimawandel<br />

<strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>wasserbelastung allgemein anerkannt sein. Die<br />

Bauern fordern deshalb auch zu Recht von den Bürgern selbst<br />

mehr Einsatz für die Artenvielfalt, weniger Mähroboter <strong>und</strong><br />

Glyphosat im Reihenhausgarten, Verzicht auf Flugreisen <strong>und</strong><br />

SUV-Nutzung.<br />

Größer, schneller, weiter<br />

Ohne gleich wieder über Verursacher <strong>und</strong> Schuld zu sprechen,<br />

gilt es als erstes, die Faktenlage zu analysieren <strong>und</strong><br />

die Schattenseiten unserer Gesellschaft zu beleuchten. Da<br />

müssen wir zunächst gar nicht auf die „bösen Bauern“ <strong>und</strong><br />

ihre Gülle, die „nervigen Naturschützer“, die „profitgierigen<br />

Konzerne“ oder die „geizigen Verbraucher“ deuten, sondern<br />

auf uns alle: Unser Konsum- <strong>und</strong> Wirtschaftsverhalten, unser<br />

„immer mehr, immer größer <strong>und</strong> immer schneller“ führen zu<br />

Flächenverbrauch, Umweltbelastung, Verkehrsüberlastung,<br />

Ressourcenverschwendung <strong>und</strong> zur Überforderung von<br />

Mensch, Tier <strong>und</strong> Umwelt. In Bezug auf die Landwirtschaft<br />

hierzulande bedeutet dies, dass auf immer weniger Fläche<br />

immer mehr produziert werden muss.<br />

Gleichzeitig tobt der Preiskampf im Supermarkt, <strong>und</strong> die<br />

Schnäppchenjagd der Konsumenten wird über den Lebensmittelgroßhandel<br />

gnadenlos auf dem Rücken der Landwirte<br />

ausgetragen. Diese versuchen in diesem Kampf, durch hohe<br />

Investitionen <strong>und</strong> noch mehr Arbeit sowie durch modernste<br />

Technologie ihr Überleben zu sichern. Vergeblich! Zwischen<br />

LANDWIRTSCHAFT IN MITVERANTWORTUNG<br />

Anteil der Wirtschaftszweige an den Gesamtemissionen von Treibhausgasen<br />

in der EU, 2016, in Millionen Tonnen CO 2<br />

-Äquivalent <strong>und</strong> Prozent<br />

430 Landwirtschaft<br />

138<br />

3,1 %<br />

9,7 %<br />

374 Industrie<br />

8,4 %<br />

Abfallwirtschaft<br />

Grafik: © Agrar-Atlas <strong>2019</strong>, EC<br />

1.080<br />

Verkehr<br />

24,3 %<br />

2.741<br />

54,4 %<br />

Ohne Änderungen der Landnutzung. Sie<br />

erhöhen die Klimawirksamkeit der Landwirtschaft um bis zu einem Drittel.<br />

Alle Bereiche unserer Gesellschaft tragen Verantwortung. In allen Sektoren muss CO 2<br />

eingespart werden.<br />

Energieerzeugung<br />

AGRAR-ATLAS <strong>2019</strong> / EC<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

89


THEMEN | LANDWIRTSCHAFT FAIR UND KLIMAFREUNDLICH<br />

2005 <strong>und</strong> 2016 mussten r<strong>und</strong> vier Millionen kleinbäuerliche<br />

Betriebe schließen. Sie werden durch immer weniger, immer<br />

größere Betriebe ersetzt. Die Folgen für die Natur: Monokulturen<br />

auf immer größeren, maschinengerechten Feldern<br />

ohne Feldraine <strong>und</strong> Hecken, Massentierhaltung in immer<br />

größerer Zahl. Die vermeintlich notwendige Spezialisierung<br />

birgt eine existenzielle Gefährdung durch starke Preisschwankungen<br />

der landwirtschaftlichen Produkte – nicht<br />

zuletzt wegen der weiträumigeren Handelsverflechtungen.<br />

Auch mein Cousin hat vor einigen Jahren aus Protest gegen<br />

immer weiter fallende Milchpreise tausende von Litern<br />

Milch „entsorgt“. Ähnliche Vernichtungsaktionen zur Preisstabilisierung<br />

gibt es in der EU mit Tomaten, Orangen <strong>und</strong><br />

anderen Lebensmitteln.<br />

Überproduktion, Marktregulierungen, Auslese nach optischen<br />

Gesichtspunkten, lange Transportwege <strong>und</strong> Verluste<br />

GROSSE MEHRHEIT GEGEN DEN TREND ZUM GROSSBETRIEB<br />

Meinungsumfrage zur Lage <strong>und</strong> Entwicklung landwirtschaftlicher Betriebe in Deutschland, alle Befragten, nach Geschlecht <strong>und</strong> Alter, in Prozent<br />

Strukturwandel: Dass es in Deutschland insgesamt immer weniger landwirtschaftliche<br />

Betriebe gibt <strong>und</strong> die verbleibenden Betriebe immer größer werden, bewerten als …<br />

insgesamt<br />

Männer<br />

Frauen<br />

18 bis 29<br />

30 bis 44<br />

45 bis 59<br />

60 <strong>und</strong> älter<br />

sehr positiv<br />

eher positiv<br />

weder positiv noch negativ<br />

eher negativ<br />

Staatsgelder: Die verbliebenen kleinen <strong>und</strong> mittleren landwirtschaftlichen Betriebe<br />

sollten besonders stark vom Staat unterstützt werden<br />

insgesamt<br />

Männer<br />

Frauen<br />

18 bis 29<br />

30 bis 44<br />

45 bis 59<br />

60 <strong>und</strong> älter<br />

insgesamt<br />

Männer<br />

Frauen<br />

18 bis 29<br />

30 bis 44<br />

45 bis 59<br />

60 <strong>und</strong> älter<br />

ja nein, nicht mehr als auch Großbetriebe weiß nicht<br />

Besondere Leistungen: Landwirtschaftliche Betriebe sollten …<br />

alle unabhängig von ihren Leistungen finanziell<br />

unterstützt werden<br />

alle finanziell unterstützt werden, aber mit mehr<br />

Fördergeldern für besondere Leistungen<br />

sehr negativ<br />

weiß nicht<br />

1 4<br />

17<br />

51<br />

25 2<br />

2 6<br />

25<br />

48<br />

20<br />

3 9<br />

55<br />

31 2<br />

2 2<br />

33<br />

38<br />

23 2<br />

5<br />

15<br />

54 25 1<br />

3 17<br />

52<br />

25 3<br />

1 6 11<br />

54<br />

27 1<br />

73 20 7<br />

65 28 7<br />

81 13 6<br />

69 22 9<br />

75 20 5<br />

69 24 7<br />

78 17 5<br />

nur für besondere Leistungen finanziell<br />

unterstützt werden<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich nicht unterstützt werden<br />

weiß nicht<br />

5 49 39 5 2<br />

5 47 39 7 2<br />

5 51 39 3 2<br />

3 71 19 7<br />

6 49 38 6 1<br />

6 44 44 5 1<br />

5 44 45 4 2<br />

76 Prozent der B<strong>und</strong>esbürgerinnen<br />

<strong>und</strong><br />

-bürger bewerten den<br />

Strukturwandel in<br />

der Landwirtschaft hin<br />

zu größeren Höfen<br />

als negativ oder sehr<br />

negativ. Nur für<br />

5 Prozent ist er positiv.<br />

Fast drei Viertel der<br />

Befragten meinen,<br />

dass die verbliebenen<br />

kleinen <strong>und</strong> mittleren<br />

landwirtschaftlichen<br />

Betriebe besonders<br />

stark vom Staat unterstützt<br />

werden sollten.<br />

Die Hälfte der Befragten<br />

stimmt zu, dass Agrarbetriebe<br />

zusätzlich<br />

honoriert werden sollten,<br />

wenn sie besondere<br />

Umweltleistungen<br />

für Wasser- bzw. Naturschutz<br />

erbringen.<br />

39 Prozent bejahen<br />

sogar, dass die Betriebe<br />

ausschließlich für solche<br />

Leistungen bezahlt<br />

werden sollten.<br />

Der größte Teil der<br />

Befragten ist offen<br />

dafür, Agrarbetriebe<br />

finanziell zu unterstützen.<br />

Das zeigt, wie<br />

positiv die Bevölkerung<br />

die Landwirtschaft<br />

sieht – <strong>und</strong> noch<br />

positiver, wenn bei der<br />

Bewirtschaftung Natur<br />

<strong>und</strong> Umwelt aktiv<br />

geschützt werden.<br />

Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa für die Heinrich-Böll-Stiftung, Erhebung im November 2018, 1.010 Befragte, Toleranz plus/minus 3 Prozentpunkte; Differenzen durch R<strong>und</strong>ung<br />

Der Trend <strong>und</strong> die Wünsche der Gesellschaft klaffen immer weiter auseinander.<br />

AGRAR-ATLAS <strong>2019</strong> / HBS<br />

Grafik: © Agrar-Atlas <strong>2019</strong>, HBS<br />

90 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


LANDWIRTSCHAFT FAIR UND KLIMAFREUNDLICH | THEMEN<br />

Grafik: © Agrar-Atlas <strong>2019</strong>, EC<br />

entlang der gesamten Wertschöpfungskette bringen weltweit<br />

40 Prozent der erzeugten Lebensmittel auf den <strong>Müll</strong>.<br />

Wir leisten uns diesen Luxus sowie übervolle Kühlschränke,<br />

während gleichzeitig immer noch Millionen von Menschen<br />

auf dieser Welt hungern. Die einen kämpfen in Fitnessstudios<br />

verzweifelt gegen ihr Übergewicht, die anderen ums Überleben.<br />

Ein humanitärer Skandal…<br />

Roboter erobern das Feld, <strong>und</strong> das Fleisch kommt aus<br />

dem 3-D-Drucker<br />

Trotzdem breitet sich mit den Argumenten des Hungers, einer<br />

wachsenden Weltbevölkerung <strong>und</strong> nicht zuletzt des Umweltschutzes<br />

einer <strong>neue</strong>r Trend aus, der die Bauern in die Zukunft<br />

katapultieren soll: Die digitale Landwirtschaft 4.0. Sie macht<br />

vor allem im Silicon Valley <strong>neue</strong> Investorenmilliarden locker<br />

<strong>und</strong> soll der nächste große Hype mit folgendem Szenario werden:<br />

Selbstfahrende Maschinen bearbeiten unermüdlich das<br />

Land. Drohnen analysieren laufend die Felder <strong>und</strong> ermitteln<br />

mit künstlicher Intelligenz den Bedarf an Dünger. Sie entdecken<br />

Schädlinge im Frühstadium <strong>und</strong> bestimmen Spritzmittel<br />

oder setzen gar natürliche Feinde – zum Beispiel gegen den<br />

Maiszünsler – aus. Sie helfen, den perfekten Erntezeitpunkt<br />

<strong>und</strong> den erwarteten Ertrag zu berechnen. Der „Bauer“ oder<br />

besser Produktionsingenieur sitzt derweil am Monitor <strong>und</strong><br />

überwacht den High-Tech-Einsatz auf dem Feld <strong>und</strong> die<br />

Fleischproduktion am 3-D-Drucker oder im Fleischreaktor.<br />

Das alles erfolgt nicht zuletzt auch mit dem Hinweis darauf,<br />

dass echte Kühe für den Klimawandel verantwortlich seien<br />

<strong>und</strong> die Massentierhaltung unmoralisch. Der erste Burger<br />

mit Fleisch aus dem Reagenzglas wurde denn auch – zum<br />

horrenden Herstellungspreis – publikumsgerecht von einem<br />

DIE VERFLECHTUNG NIMMT ZU<br />

Außenhandel der EU-28 mit landwirtschaftlichen Produkten,<br />

Milliarden Euro<br />

150<br />

120<br />

90<br />

60<br />

30<br />

Importe<br />

Exporte<br />

0<br />

2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017<br />

der Internetmilliardäre aus dem Valley tapfer verspeist. Er<br />

<strong>und</strong> sein Geld suchen <strong>neue</strong> Anlagemöglichkeiten…<br />

Eine ferngesteuerte, mühelose Landwirtschaft, maschinengerechte<br />

Monokulturen, Einsatz von Robotern sowie Dünger<br />

<strong>und</strong> Chemikalien, patentiertes Saatgut <strong>und</strong> Gentechnologie<br />

versprechen denn auch riesige Profite. Nach der Herrschaft<br />

über unsere Daten kommt die computergestützte, absolute<br />

Kontrolle über unsere Nahrungsmittelversorgung. Schöne<br />

<strong>neue</strong> Welt…?<br />

Nahrungskreisläufe in der Stadt<br />

Zusätzlich soll das Essen – ebenfalls aus ökologischen Gründen<br />

– in die Stadt zurückkommen <strong>und</strong> in Kreisläufen produziert<br />

werden. Gemüsezucht bei künstlichem Licht, gedüngt<br />

mit dem Abwasser aus Indoor-Fischteichen, Insektenzucht<br />

unter Verwertung von Lebensmittelabfällen, Pilzzucht auf<br />

Kaffeesatz, Kompostwirtschaft <strong>und</strong> geschlossene Rohstoffkreisläufe<br />

in Hochhäusern unter den Schlagworten Vertical<br />

Gardening <strong>und</strong> Hydroponic sind angesagt. All diese Entwicklungen<br />

werden <strong>und</strong> müssen kommen, um die Urbanisierung<br />

zu meistern. Doch vorher ruiniert der globale Wettbewerb<br />

von Lebensmitteln noch die letzten Reste regionaler, bäuerlicher<br />

Traditionen, belastet Boden <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>wasser <strong>und</strong><br />

verursacht einen gigantischen Transportaufwand. Er macht<br />

die Bauern zu Vasallen der Konzerne, verdirbt aufgeklärten<br />

Verbrauchern den Appetit <strong>und</strong> kostet vielen Menschen ihre<br />

Ges<strong>und</strong>heit. Kurzfristig werden wir dabei alle zu Verlierern<br />

<strong>und</strong> bezahlen die Zeche gemeinsam. Länderministerien <strong>und</strong><br />

die EU versuchen deshalb seit Jahren – allerdings massiv beeinflusst<br />

von mächtigen Lobbyorganisationen – entsprechend<br />

einzugreifen. Düngeverordnung, Flächenprämien, Tierzuchtregelungen,<br />

Bodenproben, Blühstreifen,<br />

Ausgleichsflächen <strong>und</strong> vieles mehr<br />

sollen helfen, die ärgsten Missstände zu<br />

beseitigen <strong>und</strong> das Schlimmste zu verhindern.<br />

Doch ein Zuviel an Regulierung<br />

führt dazu, dass Bauern sich mit einer<br />

unglaublichen Bürokratie konfrontiert<br />

sehen <strong>und</strong> mehr am Schreibtisch als auf<br />

dem Traktor sitzen. Das kostet Zeit <strong>und</strong><br />

Rendite.<br />

Globale Saatgutkonzerne sowie Chemie-<br />

<strong>und</strong> Industrieunternehmen wollen<br />

„helfen“ <strong>und</strong> bieten verlockende Problemlösungen.<br />

Doch die bäuerlichen<br />

Familienbetriebe verstricken sich damit<br />

häufig in Schulden <strong>und</strong> werden abhängig<br />

Es fragt sich, warum die EU ihre Landwirtschaft<br />

so sehr anheizt, dass ein<br />

Exportüberschuss auf Kosten der Umwelt<br />

erwirtschaftet wird.<br />

AGRAR-ATLAS <strong>2019</strong> / ECvon den Saatgut-Pestizidkombinationen,<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

Gedruckt auf Steinbeis Charisma Silk – hergestellt aus 100 % Altpapier, ausgezeichnet mit dem Blauen Engel. Ein Produkt der Steinbeis Papier GmbH.<br />

91


THEMEN | LANDWIRTSCHAFT FAIR UND KLIMAFREUNDLICH<br />

VERLORENE HÖFE<br />

Rückgang landwirtschaftlicher Betriebe nach B<strong>und</strong>esländern,<br />

absolut <strong>und</strong> in Prozent, 2018 zu 2010<br />

Schließungen<br />

5 bis unter 10 Prozent<br />

10 bis unter 15 Prozent<br />

15 Prozent <strong>und</strong> darüber<br />

Neugründungen<br />

bis 5 Prozent<br />

ohne Stadtstaaten<br />

- 3.840<br />

- 160<br />

- 4.640<br />

Nordrhein-<br />

Westfalen<br />

Rheinland-<br />

Pfalz<br />

Saarland<br />

Niedersachsen<br />

- 1.890<br />

Hessen<br />

- 1.640<br />

Schleswig-<br />

Holstein<br />

- 4.720<br />

- 4.700<br />

Baden-<br />

Württemberg<br />

- 200<br />

+ 200<br />

Mecklenburg-<br />

Vorpommern<br />

+ 210<br />

Sachsen-<br />

Anhalt<br />

Thüringen<br />

- 13.860<br />

Bayern<br />

- 280<br />

Brandenburg<br />

Sachsen<br />

+ 180<br />

Immer mehr landwirtschaftliche Betriebe geben auf. Der Trend muss<br />

gestoppt werden.<br />

Düngemitteln <strong>und</strong> Hightech-Angeboten weltweiter Monopolisten.<br />

Angeblich können Freihandelsabkommen wie CETA oder<br />

TTIP den Bauern im Gegenzug helfen, ihre Erzeugnisse international<br />

vermarktbar zu machen. Doch die Folge ist, dass<br />

Agrarprodukte fremde Märkte überschwemmen können,<br />

wie es in Europa gerade im Fall von Rindfleisch aus den USA<br />

AGRAR-ATLAS <strong>2019</strong> / DESTATIS<br />

befürchtet wird. Doch auch wir exportieren – natürlich subventioniert<br />

– landwirtschaftliche Produkte, wie Hühner- oder<br />

Schweinefleisch, etwa nach China oder Afrika. Dort zerstören<br />

wir damit die gewachsenen Markt-Strukturen <strong>und</strong> Preise<br />

<strong>und</strong> bei uns zerstören wir durch die intensive Produktion die<br />

Bodenges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>wasservorräte...<br />

So gingen im letzten Jahr allein aus Deutschland über zwei<br />

Millionen Tonnen Schweinefleisch in den Export. Gleichzeitig<br />

drohen Deutschland Strafzahlungen wegen seiner Nitratüberschüsse.<br />

Die aktuellen Diskussionen über ein halbherziges<br />

Tierwohlsiegel <strong>und</strong> eine generell höhere Mehrwertsteuer auf<br />

Fleisch wirken da eher wie ein Ablenkungsmanöver. Experten<br />

<strong>und</strong> Flächenstaaten fragen, warum der dichtbesiedelte Industriestandort<br />

Deutschland auf eine intensive, industrialisierte<br />

Landwirtschaft statt auf mehr Naturschutz <strong>und</strong> Naherholungsgebiete<br />

setzt. Doch der Geschäftsführer des deutschen<br />

Bauernverbades skandiert: „Wir schicken die <strong>Nachhaltig</strong>keit<br />

dorthin zurück, wo sie hingehört, nämlich in den Wald.“<br />

All You can eat<br />

Zurück zum Status quo: Weltweit sehen Bauern sich bei<br />

fallenden Preisen gezwungen, immer mehr zu produzieren,<br />

um überleben zu können. Oft auf Kosten von Natur <strong>und</strong><br />

Familie, nicht nur hierzulande sondern weltweit. Kakao mit<br />

einem dramatischen Preisverfall in den letzten Jahren ist<br />

ein trauriges Beispiel aus Afrika. Der Hunger in der Welt ist<br />

somit nicht ein Problem der global verfügbaren Lebensmittel,<br />

sondern eine Frage, wer sie sich leisten kann. Wir leisten uns<br />

den Luxus, zu viel zu essen <strong>und</strong> achten eher auf Quantität<br />

statt Qualität – mit den bekannten ges<strong>und</strong>heitlichen Folgen<br />

<strong>und</strong> einer offensichtlichen Zunahme der Dickleibigkeit. Ein<br />

globaler Teufelskreis, <strong>und</strong> es gäbe noch viel zu erzählen, zum<br />

Beispiel, wie unsere Futtermittelimporte für das Abholzen<br />

Buch-Tipps<br />

Heinrich-Böll-Stiftung u.a. (Hrsg)<br />

Agrar-Atlas<br />

Daten <strong>und</strong> Fakten zur EU-Landwirtschaft<br />

Die EU-Agrarpolitik ist ein bürokratisches<br />

Monstrum <strong>und</strong> für Laien kaum zu verstehen.<br />

Viele wissen nicht einmal, dass<br />

es sie gibt. Alle sieben Jahre wird sie<br />

überarbeitet, <strong>und</strong> trotzdem fördert sie<br />

ein falsches System. Sie ist nicht auf das<br />

ausgerichtet, was vielen von uns wichtig<br />

ist: ges<strong>und</strong>e <strong>und</strong> leckere Lebensmittel,<br />

artgerechte Haltung von Tieren, Schutz von Gewässern, Vögeln <strong>und</strong><br />

Insekten. Das Geld wird pro Hektar Fläche vergeben. Die größten<br />

Betriebe bekommen das meiste, während Programme für den Erhalt<br />

kleiner Bauernhöfe völlig unterfinanziert sind. Darum gibt es diesen<br />

Atlas. Er zeigt, wie eng die EU-Landwirtschaft mit unserem Leben <strong>und</strong><br />

unseren Lebensräumen verwoben ist. Er zeigt auch, wie wenig von<br />

dem Geld der GAP den Zielen zugutekommt, die sich Europäerinnen<br />

<strong>und</strong> Europäer von der Landwirtschaft wünschen.<br />

<strong>2019</strong>, 52 Seiten, ISBN 978-3-86928-188-9, kostenlos<br />

www.boell.de<br />

Heinrich-Böll-Stiftung u.a. (Hrsg)<br />

Konzernatlas<br />

Daten <strong>und</strong> Fakten über die Agrar- <strong>und</strong><br />

Lebensmittelindustrie<br />

Die Produktion von Lebensmitteln hat<br />

nur in seltenen Fällen etwas mit bäuerlicher<br />

Landwirtschaft, mit traditionellem<br />

Handwerk <strong>und</strong> einer intakten Natur zu<br />

tun. Sie ist heute weltweit vor allem<br />

ein einträgliches Geschäft von wenigen<br />

großen Konzernen, die sich die Felder<br />

<strong>und</strong> Märkte untereinander aufteilen.<br />

Und der Trend zur Machtkonzentration geht weiter. Übernahmen<br />

wie die von Monsanto durch Bayer oder die Aufteilung der Märkte<br />

von Kaisers/Tengelmann zwischen Rewe <strong>und</strong> Edeka sind nur die<br />

Spitze eines Eisberges, zu dem eine problematische Marktmacht <strong>und</strong><br />

großer politischer Einfluss gehören. Außerdem ist die industrielle<br />

Landwirtschaft weltweit für gravierende Klima- <strong>und</strong> Umweltprobleme<br />

verantwortlich.<br />

2017, 52 Seiten, kostenlos<br />

www.boell.de<br />

Grafik: © Agrar-Atlas <strong>2019</strong>, Destatis<br />

92 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


LANDWIRTSCHAFT FAIR UND KLIMAFREUNDLICH | THEMEN<br />

des Regenwaldes verantwortlich sind, wie der Pestizideinsatz<br />

Bodenlebewesen <strong>und</strong> Artenvielfalt den Garaus macht, wie<br />

Flächenfraß unsere Heimat <strong>und</strong> Raffgier unsere Gemeinschaften<br />

zerstört. Da erscheint die eingangs erwähnte Wut<br />

der Bauern auf die Naturschützer fast wie eine Farce...<br />

Save bees and farmers – Bienen <strong>und</strong> Bauern retten<br />

Doch <strong>forum</strong> will nicht die Probleme, sondern Auswege<br />

aufzeigen. Es gilt, kurzfristig <strong>neue</strong> Lösungen zu finden, die<br />

gleichermaßen Bienen <strong>und</strong> Bauern, Natur <strong>und</strong> Gesellschaft,<br />

Wirtschaft <strong>und</strong> Verbrauchern zugutekommen. Eine verantwortungsbewusste<br />

Mischung aus Landwirtschaft 4.0,<br />

der Förderung bäuerlicher Strukturen, der Nutzung von<br />

traditionellem Wissen <strong>und</strong> dem Verzicht auf Chemikalien<br />

<strong>und</strong> Gifte. Die Zeit eilt, denn der Artenverlust galoppiert<br />

<strong>und</strong> der Klimawandel ruft nach verstärktem Engagement. In<br />

Europa formiert sich dazu ein breites, zivilgesellschaftliches<br />

Bündnis zur Rettung der Artenvielfalt <strong>und</strong> der bäuerlichen<br />

Landwirtschaft. Organisationen aus ganz Europa reichten im<br />

August in Brüssel die Europäische Bürgerinitiative (EBI) „Save<br />

bees and farmers – Bienen <strong>und</strong> Bauern retten!“ ein. Sie will<br />

den Einsatz gefährlicher Pestizide beenden <strong>und</strong> Bäuerinnen<br />

<strong>und</strong> Bauern bei der Umstellung zu einer gesünderen <strong>und</strong><br />

umweltfre<strong>und</strong>licheren Produktionsweise unterstützen. Die<br />

EU-Kommission hat nun zwei Monate zeit, die Bürgerinitiative<br />

zu prüfen. Sobald sie die Registrierung bestätigt, will das<br />

Bündnis innerhalb eines Jahres eine Million Unterschriften<br />

in Europa sammeln.<br />

Es bleibt keine Zeit<br />

Die Wissenschaft gibt den Aktivisten recht: Ohne tiefgreifende<br />

Veränderungen unserer landwirtschaftlichen Produktion,<br />

aber auch unserer Siedlungspolitik <strong>und</strong> Bodenversiegelung<br />

wird der Kollaps unserer Ökosysteme nicht aufzuhalten sein.<br />

Ein Viertel der Wildtiere Europas ist vom Aussterben bedroht,<br />

der Bestand der Feldvögel hat sich in den vergangenen Jahrzehnten<br />

halbiert. Viele Bienenarten <strong>und</strong> andere bestäubende<br />

Insekten drohen auszusterben. Und auch die Bauern drohen<br />

bald auf der „roten Liste“ der gefährdeten Arten zu stehen.<br />

Gegenwärtig leiden ausgerechnet die vielfältigen bäuerlichen<br />

Betriebe unter der industriell ausgerichteten EU-Agrarpolitik.<br />

Bienensterben <strong>und</strong> Höfesterben haben damit dieselbe<br />

Ursache. Karl Bär vom Umweltinstitut München betont: „Die<br />

industrielle Landwirtschaft ist das Epizentrum des ökologischen<br />

Erdbebens, das uns erschüttert. Die Wissenschaft lässt<br />

keinen Zweifel daran, dass wir in der Landwirtschaftspolitik<br />

einen ganz gr<strong>und</strong>legenden Systemwandel benötigen, um Bienen<br />

<strong>und</strong> Bauern zu retten. Unsere <strong>neue</strong> EU-Bürgerinitiative<br />

wird ein Weckruf an die Politik, endlich die Interessen der<br />

Bevölkerung über die der Agrarkonzerne zu stellen.“<br />

Treibhaus ohne<br />

Treibhauseffekt.<br />

Die Zukunft beginnt heute.<br />

Wie sie aussehen wird, liegt an uns.<br />

myclimate.org / zukunft<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

93


THEMEN | LANDWIRTSCHAFT FAIR UND KLIMAFREUNDLICH<br />

POLITISCHE INSTRUMENTE<br />

EINSETZEN<br />

für einen Wandel in Landwirtschaft <strong>und</strong> Ernährung<br />

Es gibt Tage, da sind die Nachrichten voll von landwirtschaftlichen Themen: Klimawandel <strong>und</strong> Ernährung,<br />

Nitratüberschüsse, Biodiversitätsverluste, Mehrwertsteuererhöhung für Fleisch… Dann hat man den Eindruck,<br />

die gesamte Republik wünschte sich nichts dringlicher, als eine beherzte Wende hin zu einer ganz<br />

anderen Landwirtschaft <strong>und</strong> Ernährung…<br />

Von Felix Prinz zu Löwenstein<br />

… doch die gegenwärtige Landwirtschafts- <strong>und</strong> Ernährungspraxis<br />

sieht anders aus. Dabei sind diese Wünsche ganz<br />

<strong>und</strong> gar im Einklang mit dem breiten wissenschaftlichen<br />

Sachverstand, der eine solche Wende dringend einfordert.<br />

Denn zu groß, zu offensichtlich <strong>und</strong> zu beängstigend sind die<br />

Probleme angewachsen. Zu teuer kommen uns längst unsere<br />

scheinbar so billigen Lebensmittel zu stehen. Umso mehr<br />

verw<strong>und</strong>ert, wie wenig konkrete Veränderungsbereitschaft<br />

in der Politik wahrzunehmen ist. Denn jenseits der dem<br />

Zeitgeist angepassten Rhetorik überwiegt das „Weiter so“.<br />

Dabei gäbe es so viele Instrumente, mit denen Veränderung<br />

erreicht werden könnte.<br />

Regulierungen auf dem Rücken der Bauern<br />

Da ist zum einen die Ordnungspolitik: Von ihr wird bereits<br />

reichlich Gebrauch gemacht. Je nachdem, wen man fragt,<br />

viel zu wenig oder längst überzogen <strong>und</strong> zu viel. Ein aktuelles<br />

Beispiel ist die Dünge-Verordnung. Mit ihr soll das Ausbringen<br />

von Wirtschaftsdünger <strong>und</strong> Düngemitteln so geregelt werden,<br />

dass nicht so viel Nitrat <strong>und</strong> Phosphat im Wasser landen,<br />

dass die europäischen Grenzwerte überschritten werden.<br />

Seit 27 Jahren hat es die deutsche Politik, kräftig von den<br />

Interessen einer industriellen Landwirtschaft in die Zange<br />

genommen, nicht ge<strong>schafft</strong>, die Nitratrichtlinie der Europäischen<br />

Union wirksam umzusetzen. Auf den letzten Metern,<br />

in Erwartung millionenschwerer Strafzahlungen, werden nun<br />

Regelungen gestrickt, die, wenn sie von der Europäischen<br />

Union anerkannt werden sollen, den Bauern sehr viel abverlangen<br />

werden. Viele befürchten, die Wirtschaftlichkeit<br />

ihrer ohnehin schon kaum noch rentablen Betriebe könnte<br />

dabei endgültig verloren gehen. Ähnlich geht es den Ferkelerzeugern,<br />

die nicht wissen, welche der derzeit diskutierten<br />

Methoden, unter Schmerzausschaltung die Kastration männlicher<br />

Tiere vorzunehmen, erlaubt sein <strong>und</strong> wirken wird. Der<br />

Entzug der Zulassung von insektenschädlichen oder die Ges<strong>und</strong>heit<br />

des Menschen bedrohenden Pflanzenschutzmitteln<br />

verunsichert die Ackerbauern, die ihre Produktionsmethoden<br />

seit Jahrzehnten auf den Einsatz solcher Mittel eingerichtet<br />

haben. Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen. Gemeinsam<br />

ist all diesen Beispielen, dass es die Landwirtschaft ebenso<br />

wie die Politik versäumt haben, Alternativen zu erarbeiten,<br />

als sich die Probleme zu zeigen begannen. Und das ist schon<br />

sehr lange her! Gewohnt daran, dass sich durch politischen<br />

Druck Änderungen verhindern lassen, hat man den Bauern<br />

– <strong>und</strong> den Verbrauchern – suggeriert: Alles kann bleiben wie<br />

es ist. Erst dadurch sind die Brüche, die jetzt unausweichlich<br />

geworden sind, so schmerzlich geworden.<br />

Wer zahlt die Zeche?<br />

Auch mit Fiskalpolitik könnten Änderungen erreicht werden.<br />

Zwar liegen schon seit Langem Vorschläge für eine ökologische<br />

Steuerreform in allen Wirtschaftsbereichen vor.<br />

Der Anlass für solche Vorschläge ist, dass es viele Produkte<br />

(wie Benzin, Flugreisen oder Fleisch) gibt, die nur deshalb<br />

billig sind, weil der Großteil der bei ihrer Produktion entstehenden<br />

Kosten externalisiert, also auf die Allgemeinheit<br />

oder künftige Generationen abgeladen wird. Die Idee ist,<br />

diese externalisierten Kosten – wenigstens teilweise –<br />

durch Steuern oder Abgaben auszugleichen <strong>und</strong> so dafür<br />

zu sorgen, dass der Markt wieder in die Lage versetzt wird,<br />

richtig zu reagieren.<br />

Erst jetzt, mit der Diskussion um Steuern auf CO 2<br />

-Produktion<br />

oder auf Fleisch, gibt es für solche Konzepte eine breitere<br />

Wahrnehmung. Spannend sind dabei <strong>neue</strong> Vorschläge,<br />

94 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


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SICHERE ÖKO-ROHWAREN<br />

IN VERBANDS-QUALITÄT<br />

Fotos: © PointImages, fotolia.com | © PeJo, fotolia.com | © Stefan Simon<br />

Seit 29 Jahren ist die Marktgesellschaft<br />

der Naturland Bauern AG eine der wichtigsten<br />

Zulieferer für Öko-Verarbeiter in<br />

Deutschland.<br />

Der wachsende Bio-Markt braucht starke<br />

Partner <strong>und</strong> Erfahrung. Nicht nur der<br />

Bio-Fachhandel, sondern auch der Lebenseinzelhandel<br />

<strong>und</strong> die Drogeriemärkte setzen<br />

immer stärker auf heimische Verbandsware.<br />

Hier sind immer größere Mengen in gleichbleibend<br />

hoher Qualität gefragt, aber auch<br />

kleine Mengen für Nischenprodukte wie<br />

Hanfnüsse, Sonnenblumenkerne oder Soja<br />

aus Deutschland.<br />

Die Marktgesellschaft der Naturland Bauern<br />

liefert Rohwaren von über 2.200 Bäuerinnen<br />

<strong>und</strong> Bauern an Verarbeitungsunternehmen<br />

wie Mühlen, Mälzereien, Tofu-Werke oder<br />

Metzger. Mit großem Engagement <strong>und</strong> exzellentem<br />

Service entwickeln die Mitarbeiterinnen<br />

<strong>und</strong> Mitarbeiter der Marktgesellschaft<br />

gleichzeitig den Bio-Markt weiter. So<br />

etwa mit Systemen zur Rückverfolgbarkeit<br />

bis zum einzelnen Bio-Hof. Das gibt nicht nur<br />

den Verbraucherinnen <strong>und</strong> Verbrauchern,<br />

sondern auch den Verarbeitern <strong>und</strong> dem<br />

Handel größtmögliche Sicherheit woher das<br />

Bio-Produkt kommt.<br />

Darüber hinaus können Verarbeiter von<br />

Bio-Lebensmitteln kaum Verarbeitungs-<br />

Hilfsstoffe einsetzen. Deshalb sind Inhaltsstoffe<br />

<strong>und</strong> die Produktqualität bei Bio-Rohwaren<br />

von höchster Bedeutung. Denn nur<br />

dann gelingt z. B. bei Backwaren richtig<br />

gutes, lockeres Gebäck.<br />

Als Netzwerker zwischen Bio-Bauernhof<br />

<strong>und</strong> Handel plant die Marktgesellschaft<br />

nachhaltig gemeinsam mit allen Partnern<br />

entlang der Wertschöpfungskette.<br />

Das gibt den Bio-Landwirten wirtschaftliche<br />

Sicherheit <strong>und</strong> das gute Gefühl der<br />

Wertschätzung. Wer spricht schon von<br />

fairem Handel, wenn es um Produkte aus<br />

Deutschland geht? Die Marktgesellschaft<br />

der Naturland Bauern vermarktet zu 95<br />

Prozent Ware von heimischen Betrieben<br />

<strong>und</strong> lebt faire Zusammenarbeit seit ihrer<br />

Gründung. Die kleine Aktiengesellschaft<br />

mit 950 Aktionärinnen <strong>und</strong> Aktionären ist<br />

zu 100 Prozent in Bauernhand.<br />

Mehr erfahren Sie unter<br />

www.marktgesellschaft.de<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

95


THEMEN | LANDWIRTSCHAFT FAIR UND KLIMAFREUNDLICH<br />

den Ertrag einer solchen Steuer pauschal auf diejenigen<br />

zurück zu verteilen, die sie erbracht haben. So haben im<br />

Frühjahr <strong>2019</strong> über 3.500 führende Ökonomen der USA<br />

eine hohe CO 2<br />

-Steuer (ca 300 US $ je t) vorgeschlagen, die<br />

1:1 pro Kopf an die Bevölkerung zurückgegeben wird. Damit<br />

würden also diejenigen, die viel CO 2<br />

erzeugen (meist reichere<br />

Leute) an diejenigen zahlen, die wenig verbrauchen.<br />

Gleichzeitig wäre der wirtschaftliche Anreiz, CO 2<br />

-arme<br />

Produkte <strong>und</strong> Produktionsverfahren zu entwickeln, auf<br />

einen Schlag riesengroß. So würde z.B. die Entwicklung<br />

Energie sparender Kühlsysteme, wie sie heute schon von<br />

Pionieren der Naturkostbranche vorangetrieben wird,<br />

sofort auf Massen-Nachfrage treffen. Analog könnte man<br />

z.B. mit Pestiziden verfahren – ein Konzept dafür wurde<br />

2015 vom Hemholtz-Zentrum für Umweltforschung erstellt.<br />

Dessen Vorschlag, eine nach Umwelt-Toxizität gestaffelte<br />

Abgabe auf Pestizide zu erheben <strong>und</strong> so die Suche nach<br />

nicht-chemischen Alternativen wirtschaftlich interessanter<br />

zu machen, könnte man mit der Idee der amerikanischen<br />

Ökonomen verbinden: Indem man den Ertrag der Abgabe<br />

je Hektar an alle Landwirte zurückgibt, also auch hier eine<br />

Umverteilung von Wenig-Verwendern zu Viel-Verwendern<br />

vornimmt. Der Vorteil: Das Geld bleibt in der Landwirtschaft,<br />

was eine solche Abgabe leichter akzeptabel macht.<br />

Enkeltauglich ist gar nicht so schwer<br />

Eigentlich könnte man die gesamte Landwirtschaft – so wie<br />

die gesamte Wirtschaft – per Ordnungs- <strong>und</strong> Fiskalpolitik<br />

enkeltauglich machen. Da gibt es aber zwei Probleme: Erstens<br />

hat nicht jeder das Vertrauen, dass von Politikern <strong>und</strong><br />

Beamten ersonnene Vorschriften immer praktikabel <strong>und</strong><br />

zielführend sind <strong>und</strong> dass infolgedessen Eigeninitiative <strong>und</strong><br />

Kreativität der Wirtschaftsbeteiligten überflüssig würden.<br />

Zweitens – <strong>und</strong> das wiegt noch schwerer: Solange von Wirtschaftsräumen,<br />

in denen schärfere Bestimmungen nicht<br />

gelten, Produkte zu uns eingeführt werden können, kann<br />

man solche Verschärfungen nur in sehr beschränktem Rahmen<br />

vornehmen. Denn sonst würde die Produktion einfach<br />

dorthin auswandern, wo man billiger produzieren kann.<br />

Es braucht deshalb dringend Regelungen auf Europäischer<br />

Ebene <strong>und</strong> Handelsverträge, durch die der Unterschied<br />

zwischen hohen <strong>und</strong> niedrigen Standards durch eine Grenzabgabe<br />

ausgeglichen werden kann. Das ist fatalerweise in<br />

derzeitigen Freihandelsabkommen nicht vorgesehen, obwohl<br />

selbst die geltenden WTO-Bestimmungen das nicht<br />

als „unfaires Handelshemmnis“ einstufen würden. Hier ist<br />

die Europäische Politik dringend gefordert <strong>und</strong> solange es<br />

nur ein paar Öko- <strong>und</strong> Umweltverbände sind, die so etwas<br />

wollen <strong>und</strong> solange die großen Player der Wirtschaft zugunsten<br />

ihrer Importchancen schon die Diskussion solcher<br />

Ideen verweigern, wird im internationalen Handel weiterhin<br />

derjenige die besten Chancen behalten, dem es am<br />

besten gelingt, seine Kosten zulasten von Umwelt, Natur,<br />

Tierwohl oder den Lebenschancen künftiger Generationen<br />

zu externalisieren.<br />

Wer zahlt, <strong>schafft</strong> an<br />

So sagt man zumindest in Bayern <strong>und</strong> deshalb ist ein letztes<br />

Instrument, über das im Zusammenhang mit der Europäischen<br />

Agrarpolitik so intensiv diskutiert wird, von so großer<br />

Bedeutung: Die Zahlungen der EU an die Landwirte. Diese<br />

werden derzeit zum weit überwiegenden Teil per Hektar<br />

ausgezahlt. Die Gegenleistung ist die Einhaltung geltender<br />

Gesetze. Auch wenn die B<strong>und</strong>esregierung dafür eintritt,<br />

einen größeren Anteil dieser Zahlungen an die Erfüllung<br />

von Umweltleistungen – etwa durch Umstellung auf Ökologischen<br />

Landbau – zu knüpfen, will sie trotzdem von den<br />

Hektar-Beihilfen nicht abrücken. Zu groß sei die Abhängigkeit<br />

der bäuerlichen Einkommen von diesen Zahlungen. Man<br />

fragt sich zwar, weshalb jemand mit mehr Hektar mehr<br />

Einkommensübertragung benötigt als jemand mit wenigen.<br />

Aber gr<strong>und</strong>sätzlich stimmt der Einwand durchaus. Nur ist es<br />

hier wie mit den eingangs geschilderten ordnungspolitischen<br />

Maßnahmen: Es ist nicht zu erwarten, dass der europäische<br />

Steuerzahler auf ewig damit einverstanden sein wird, dass 40<br />

Prozent des EU-Budgets für die Belohnung von Flächenbesitz,<br />

nicht aber für das Erbringen konkreter Leistungen bezahlt<br />

wird. Je länger man den Umbau dieses Fördersystems aber<br />

hinausschiebt, desto dramatischer werden die Brüche für die<br />

landwirtschaftlichen Betriebe. Deshalb ist es unabdingbar,<br />

jetzt zu sagen, wie in 10 Jahren ein Fördersystem aussehen<br />

soll, das zu 100 Prozent Leistungen bezahlt, die Bäuerinnen<br />

<strong>und</strong> Bauern für die Gesellschaft erbringen sollen, für die<br />

der Markt sie jedoch nicht (ausreichend) belohnt. Und dann<br />

muss man heute in einen solchen Umbau einsteigen <strong>und</strong> ihn<br />

schrittweise zum erforderlichen Resultat bringen. Nur dann<br />

wird es im Übrigen gelingen, das EU-Geld weiterhin für die<br />

Landwirtschaft zur Verfügung zu halten – wo es gebraucht<br />

wird, um die Anforderungen für Umwelt-, Tier- <strong>und</strong> Klimaschutz<br />

zu erfüllen, auf die wir alle gemeinsam so dringend<br />

angewiesen sind.<br />

Natürlich müsste in der Besprechung der politischen Instrumente<br />

für einen Wandel in Landwirtschaft <strong>und</strong> Ernährung<br />

noch vieles mehr angesprochen werden: Forschung, Ernährungsbildung,<br />

öffentliches Beschaffungswesen – um nur drei<br />

Felder zu benennen. Wichtig ist jetzt aber vor allem: Der<br />

Druck der öffentlichen Meinung auf die Politikmacher darf<br />

nicht nachlassen, sondern muss im Gegenteil sogar noch<br />

stärker werden!<br />

DR. FELIX PRINZ ZU LÖWENSTEIN<br />

ist Landwirt in Südhessen – allerdings hat er seinen Betrieb schon<br />

an die nächste Generation übergeben. Er hat viele Jahre Erfahrung<br />

in der Entwicklungshilfe <strong>und</strong> ist seit 20 Jahren in der politischen<br />

Vertretung des Ökologischen Landbaus aktiv – seit seiner Gründung<br />

2002 als Vorstandsvorsitzender des Dachverbandes der Biobranche<br />

in Deutschland, B<strong>und</strong> Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW).<br />

Seine Recherchen <strong>und</strong> Gedanken zur Möglichkeit, Ökologische Landwirtschaft<br />

weltweit zur Alternative für die Industrielle Landwirtschaft<br />

zu machen, hat er in zwei Büchern („Food Crash“ <strong>und</strong> „Es ist genug<br />

da für Alle“) zu Papier gebracht.<br />

96 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


DER PIONIER DER ÖKO-<br />

SOZIALEN AGRARKULTUR<br />

Foto: © Andrea Klepsch<br />

„Auf dem Bio-Bauernhof bei der Stallarbeit anpacken, mit den Kühen nonverbal kommunizieren, in den<br />

Sog ihrer Gleichmut geraten, aber auch ins Kräftemessen gehen, wenn sie dich beim Melken an die Wand<br />

drücken. Oder Stier Manfred in seiner unruhigen Ruhe wahrnehmen, das sind unmittelbare Erfahrungen<br />

der Lebendigkeit,“ erzählt Franz-Theo Gottwald im Gespräch mit <strong>forum</strong> nachhaltig <strong>Wirtschaften</strong>, um<br />

gleich zum nächsten Wirkungsfeld überzuleiten: „An diese Lebendigkeit <strong>und</strong> die Rückkopplung an das<br />

Ursprüngliche gilt es bei der Umsetzung der Agrarwende anzuknüpfen. Das Erleben der wechselseitigen<br />

Verb<strong>und</strong>enheit gibt Impulse <strong>und</strong> öffnet Denk- <strong>und</strong> Handlungsräume. Diese sind dringend nötig, um eine<br />

zukunftsfähige Land- <strong>und</strong> Lebensmittelwirtschaft co-kreativ <strong>und</strong> innovativ zu realisieren.“<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

97


THEMEN | LANDWIRTSCHAFT FAIR UND KLIMAFREUNDLICH<br />

Prof. Dr. Franz-Theo<br />

Gottwald ist Agrar- <strong>und</strong><br />

Umwelt-Ethiker, Politik<strong>und</strong><br />

Unternehmensberater<br />

sowie Vorstand der<br />

Schweisfurth Stiftung.<br />

Mit viel Herzblut <strong>und</strong><br />

Sachverstand fördert er<br />

Dialog <strong>und</strong> Entwicklung<br />

einer enkeltauglichen<br />

Landwirtschaft. Im <strong>forum</strong><br />

Interview zeigt er einen<br />

Weg in die Zukunft der<br />

Landwirtschaft.<br />

„Es ist ein Irr glaube,<br />

allein Betriebsgröße <strong>und</strong><br />

Ertrags steigerung würden<br />

die Landwirtschaft<br />

zukunftsfähig machen.“<br />

Herr Gottwald, was bedeutet ganzheitlicher<br />

Mitweltschutz <strong>und</strong> worin unterscheidet sich<br />

die öko-soziale Agrarkultur von der industriellen<br />

Landwirtschaft?<br />

Ich will die Antwort mit den zentralen Aussagen<br />

von zwei Büchern geben, die mich stark<br />

geprägt haben. 1982 erschien „Die erwachende<br />

Erde“ des englischen Mathematikers <strong>und</strong><br />

Bewusstseinsforschers Peter Russell. Seine<br />

Einsichten darüber, dass alle Lebensformen<br />

auf dem Planeten Erde zusammenwirken,<br />

um co-kreativ eine gemeinsame Sozio- <strong>und</strong><br />

Biosphäre zu gestalten, beschreiben meine<br />

Haltung allem Lebendigen gegenüber <strong>und</strong><br />

sind die Gr<strong>und</strong>lage für einen ganzheitlichen<br />

Mitweltschutz.<br />

Das 1984 erschienene Buch „Wege zum<br />

Frieden mit der Natur“ des deutschen Physikers<br />

<strong>und</strong> Naturphilosophen Klaus Michael<br />

Meyer-Abich eröffnete mir den Ansatz einer<br />

postfossilen <strong>und</strong> Postwachstumswirtschaft.<br />

Dies bestärkte meine Abkehr von dem Einsatz<br />

fossiler <strong>und</strong> synthetischer Dünge- <strong>und</strong><br />

Pflanzenschutzmittel sowie die Auseinandersetzung<br />

mit dem Irrglauben, allein Betriebsgröße<br />

<strong>und</strong> Ertragssteigerung würden die<br />

Landwirtschaft zukunftsfähig machen. Neue<br />

Handlungsansätze stehen seither für mich<br />

im Zentrum einer öko-sozialen Agrarkultur.<br />

Sie beschreiben Zukunftsvisionen aus den<br />

80iger Jahren. Haben diese den <strong>Nachhaltig</strong>keitsdiskurs<br />

bis heute geprägt?<br />

Ja, bereits 1986 haben wir das in der Stiftung<br />

gemeinsam mit Vordenkern wie dem<br />

Systemforscher Frederik Vester entwickelte<br />

Leitbild der öko-sozialen Agrarkultur in die<br />

gesellschaftliche <strong>und</strong> politische Diskussion<br />

eingebracht. Es gab damals wenige Quellen,<br />

der Biolandbau war organisatorisch <strong>und</strong> publizistisch<br />

in der Pionierphase, viele wissenschaftliche<br />

Fragen zur Agrarökologie, zur guten <strong>und</strong><br />

zukunftsfähigen Haltung agrarisch genutzter<br />

Tiere, zu einer ganzheitlichen Bewirtschaftung<br />

ökologischer Betriebe waren offen. Deshalb<br />

habe ich Agrarkultur als übergeordneten Rahmen<br />

definiert, in dem die Entwicklung einer<br />

ökologisch zuträglichen, sozial verträglichen<br />

<strong>und</strong> ökonomisch belastbaren – heute würde<br />

man sagen: enkeltauglichen – komplexen<br />

Land- <strong>und</strong> Lebensmittelwirtschaft in regionalen<br />

Kreisläufen stattfindet. Es ist ein Leitbild<br />

für eine systemische Alternative, in der Essen<br />

<strong>und</strong> Trinken entlang der Wertschöpfungsketten<br />

neu organisiert werden. Auf jeder Stufe steht<br />

im Mittelpunkt, die Lebendigkeit zu fördern,<br />

Leben während des Nutzens zu schützen, verantwortbar<br />

zu handeln.<br />

Und wie wurde das praktisch umgesetzt?<br />

Karl-Ludwig Schweisfurth ist bereits Ende der<br />

80iger Jahre in die Erprobung <strong>und</strong> Umsetzung<br />

des Leitbildes gegangen. Mit dem Aufbau der<br />

Herrmannsdorfer Landwerkstätten im Osten<br />

Münchens, also einer Bio-Landwirtschaft in<br />

Verbindung mit der handwerklichen Lebensmittel-Verarbeitung,<br />

ist er konsequent den<br />

Weg einer regionalen Vermarktung gegangen.<br />

Bis heute sind diese Landwerkstätten ein Vorzeigebetrieb,<br />

der international Anerkennung<br />

bekommt – beispielsweise ganz aktuell durch<br />

den Besuch von Prinz Charles <strong>und</strong> Herzogin Camilla<br />

im Mai <strong>2019</strong> oder durch internationale Besuchergruppen,<br />

die sich hier inspirieren lassen.<br />

Wo steht die Land- <strong>und</strong> Lebensmittelwirtschaft<br />

nach über 30 Jahren Diskussion <strong>und</strong><br />

Erprobung <strong>neue</strong>r Wege?<br />

Im Gr<strong>und</strong>satz hat das Leitbild bis heute<br />

Bestand. Selbstverständlich arbeiten wir<br />

kontinuierlich an seiner Weiterentwicklung.<br />

So konnte ich zum Beispiel 2007 mit dem ehemaligen<br />

EU-Agrarkommissar Franz Fischler<br />

eine Aktualisierung vornehmen. In unserem<br />

Buch „Ernährung sichern“ haben wir das<br />

Konzept einer multifunktionalen Land- <strong>und</strong><br />

Lebensmittelwirtschaft auch mit Bezug auf<br />

seine öko-sozialen Wirkungen im globalen<br />

Maßstab reflektiert.<br />

Braucht es in Zeiten der Erderwärmung <strong>und</strong><br />

ihrer dramatischen Auswirkungen auf die<br />

Landwirtschaft eine weltweite Agrarkultur<br />

2.0?<br />

Wir haben die Perspektive des globalen<br />

Südens <strong>und</strong> des wachsenden Bedarfs an Nahrung<br />

in Südostasien eingenommen <strong>und</strong> mit<br />

Rückgriff auf viele wissenschaftlich belastbare<br />

Daten nachgewiesen, dass eine ökologische<br />

Ernährung „vom Acker auf den Teller“ im<br />

Weltmaßstab nicht nur notwendig ist, sondern<br />

auch ginge – wenn denn der politische<br />

Wille zur Gestaltung in der Weltgemeinschaft<br />

dafür mobilisiert werden kann.<br />

Kann die Generation Fridays for Future der<br />

öko-sozialen Agrarkultur in der Breite zum<br />

Durchbruch helfen?<br />

Ich hoffe sehr <strong>und</strong> arbeite derzeit zusammen<br />

mit Prof. Franz Josef Rademacher, dem<br />

98 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


LANDWIRTSCHAFT FAIR UND KLIMAFREUNDLICH | THEMEN<br />

Vordenker für eine öko-soziale Marktwirtschaft,<br />

<strong>und</strong> mit Jan Plagge, dem IFOAM-EU<br />

Präsidenten (Internationale Vereinigung<br />

der ökologischen Landbaubewegungen), an<br />

einem Buch mit dem Titel „Klimapositive<br />

Landwirtschaft geht!“<br />

Sie sprachen Eingangs von Co-Kreativität.<br />

Was genau meinen Sie damit?<br />

Damit wir die Agrarwende endlich in der Breite<br />

vollziehen, sind Forderungen wie sie die<br />

Generation Fridays for Future erheben, wichtig.<br />

Genauso wichtig ist, dass wir Netzwerke<br />

bilden, dass Unternehmen, Verbände <strong>und</strong><br />

Organisationen der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten<br />

<strong>und</strong> so Kräfte zur Umsetzung<br />

mobilisieren. Menschen zusammenbringen,<br />

Brücken bauen ist eine meiner Stärken, die<br />

ich in der Stiftungsarbeit nutze. So haben wir<br />

Herausragende Verdienste<br />

zum Beispiel zusammen mit dem Deutschen<br />

Tierschutzb<strong>und</strong>, mit der Verbraucherzentrale<br />

B<strong>und</strong>esverband <strong>und</strong> dem B<strong>und</strong> für Umwelt<strong>und</strong><br />

Naturschutz Deutschland eine „Allianz<br />

für Tiere in der Landwirtschaft“ gebildet, die<br />

die Tierwohldebatte in Deutschland stark gemacht<br />

hat: Themen wie ein einheitliches Tierwohlsiegel,<br />

Stallbau TÜV <strong>und</strong> Innovationen<br />

in der Tierhaltung zum Wohl der Nutztiere<br />

sind über lange Zeit mit dieser Allianz nach<br />

vorne gebracht worden. Derzeit wirke ich als<br />

Aufsichtsratsvorsitzender bei der Stiftung des<br />

World Future Council daran mit, dass weltweit<br />

beste nationale Politiken für Agrarökologie,<br />

Kleinbauernschutz <strong>und</strong> Ernährungssouveränität<br />

durchgesetzt werden, wie zum Beispiel in<br />

Sikkim, wo ein ganzes indisches B<strong>und</strong>esland<br />

nur noch ökologisch wirtschaftet.<br />

Und in Ihrem Heimatland, dem Freistaat<br />

Bayern, was tun Sie dort?<br />

Gemeinsam mit dem Landwirtschaftsministerium<br />

<strong>und</strong> den Verbänden des Lebensmittelhandwerks<br />

haben wir den Verein Kulinarisches<br />

Erbe Bayern ins Leben gerufen. Ziel<br />

ist die Förderung der regionalen Land- <strong>und</strong><br />

Lebensmittelwirtschaft. Traditionelle Rezepte<br />

<strong>und</strong> regionalspezifische Gerichte in allen<br />

bayerischen Bezirken machen eine Ökologie<br />

der kurzen Wege schmeckbar. Das fördert<br />

den Tourismus <strong>und</strong> unterstützt die lokale<br />

Vernetzung mit Gastronomie <strong>und</strong> Hotellerie.<br />

„Wir haben eine 'Allianz<br />

für Tiere in der Landwirtschaft'<br />

gebildet, die<br />

die Tierwohldebatte<br />

in Deutschland stark<br />

gemacht hat.“<br />

Foto: © Bayerisches Staatsministerium für Umwelt <strong>und</strong> Verbraucherschutz<br />

Der 63-jährige Theologe <strong>und</strong> promovierte Philosoph<br />

Franz-Theo Gottwald arbeitet seit 33<br />

Jahren am Leitbild der öko-sozialen Agrarkultur<br />

<strong>und</strong> deren Umsetzung. Nach dem Studium <strong>und</strong><br />

praktischer Arbeit zur Bewusstseinsentwicklung<br />

– u.a. in einem Gefängnis in Manila, Philippinen<br />

– nahm er als selbstständiger Organisationsberater<br />

den Auftrag des Unternehmers <strong>und</strong> Metzgermeisters<br />

Karl-Ludwig Schweisfurth an, das wissenschaftliche<br />

Konzept für die sich in Gründung<br />

befindende Schweisfurth Stiftung in München zu<br />

entwickeln. Konsequent setzt er sich seither für<br />

den ganzheitlichen Mitweltschutz <strong>und</strong> den von<br />

der Stiftung geprägten Ansatz der öko-sozialen<br />

Agrarkultur ein. 2018 verlieh ihm Dr. Marcel Huber<br />

(links), Staatsminister im Bayerischen Staatsministerium<br />

für Umwelt <strong>und</strong> Verbraucherschutz<br />

2014-2018, die Bayerische Staatsmedaille für herausragende<br />

Verdienste um die Umwelt.<br />

Sie sind in Ihrer Arbeit mit Entwicklungen wie<br />

Bauernhöfesterben <strong>und</strong> Boden als Spekulationsobjekt<br />

der Finanzwirtschaft konfrontiert.<br />

Was ist Ihre persönliche Kraftquelle, um sich<br />

weiter für die Transformation einzusetzen?<br />

Die vielen Ansätze im Boden-, Pflanzen- <strong>und</strong><br />

Tierschutz, die gerade in den letzten zehn<br />

Jahren auf der ganzen Welt erprobt <strong>und</strong> weiterentwickelt<br />

werden, motivieren mich, hartnäckig<br />

zu bleiben. Permakultur, regenerative<br />

Landwirtschaft <strong>und</strong> Solidarische Landwirtschaft<br />

sind dafür gute Beispiele. Hoffnung gibt<br />

mir die zunehmende Anzahl – auch begleitet<br />

von der Stiftung – von Dialogen zwischen<br />

Stadt <strong>und</strong> Land, um gemeinsame Wege für ein<br />

gutes Leben <strong>und</strong> <strong>Wirtschaften</strong> im regionalen<br />

Kontext zu finden. Und ganz persönlich schöpfe<br />

ich Kraft aus gemeinsamen Wanderungen<br />

mit meiner Frau durch europäische, agrarisch<br />

geprägte Kulturlandschaften. Und dem Miteinander<br />

in meinem Heimatdorf. Last but not<br />

least: Phasen der inneren Einkehr.<br />

„Hoffnung geben Dialoge<br />

zwischen Stadt <strong>und</strong> Land,<br />

um geinsame Wege für<br />

ein gutes Leben <strong>und</strong> <strong>Wirtschaften</strong><br />

zu finden.“<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

99


THEMEN | LANDWIRTSCHAFT FAIR UND KLIMAFREUNDLICH<br />

100 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


LANDWIRTSCHAFT FAIR UND KLIMAFREUNDLICH | THEMEN<br />

SCHOKOLADE<br />

immer eine Sünde wert?<br />

Schokolade ist lecker, hebt die Stimmung <strong>und</strong> gilt als eine süße Belohnung. Doch ein Großteil der in<br />

Deutschland <strong>und</strong> Österreich konsumierten Schokolade kommt nicht aus nachhaltiger Kakaoproduktion.<br />

Und auch bei „bio“ <strong>und</strong> „fair“ produziertem Kakao gibt es große Unterschiede. <strong>forum</strong> zeigt die gesamte<br />

Bandbreite von „geht gar nicht“ bis zur „Champions League“ in Sachen Schokoladengenuß.<br />

Von Fritz Lietsch<br />

Foto: © Andy Johnson, flickr.com<br />

Kakao (Theobroma cacao) wächst nur bei mittleren Jahrestemperaturen<br />

von 22-25°C <strong>und</strong> Niederschlägen von etwa<br />

2.000 Litern pro Quadratmeter. Längere Trockenzeiten übersteht<br />

er nicht. Das sind genau die Anforderungen, die auch<br />

tropische Regenwälder benötigen. Legt man eine Karte geeigneter<br />

Kakaoanbauflächen über eine Weltkarte, so überlagern<br />

diese sich fast vollständig mit den Gebieten ehemaliger <strong>und</strong><br />

existierender tropischer Regenwälder. Damit sind schon zwei<br />

Probleme des Kakaohandels genannt. In Europa produzierten,<br />

regionalen Kakao – mit kurzen Lieferwegen – kann es<br />

nicht geben! Und: Der Kakaoanbau steht in unmittelbarer<br />

Flächenkonkurrenz zu den artenreichsten Ökosystemen der<br />

Erde. Schlecht für letztere, denn unser Hunger nach Kakao<br />

wächst kontinuierlich. Somit müssen immer mehr Regenwälder<br />

den Kakaoanbauflächen weichen. Verstärkt wird dieser<br />

Trend auch dadurch, dass in vielen Regionen der Erde gerade<br />

erst eine Mittelschicht entsteht, die unter anderem auch das<br />

will, was wir schon lange haben: Schokolade!<br />

So konsumieren Chinesen bislang nur 70 g Schokolade pro<br />

Kopf <strong>und</strong> Jahr, verschwindend wenig im Vergleich zu den 7<br />

kg, die jeder Europäer im Jahr verspeist, oder der 9,12 Kilogramm<br />

bzw über 90 Tafeln Schokolade im Durchschnitt pro<br />

Jahr (Angaben des BDSI für 2017) die wir uns in Deutschland<br />

alljährlich zu Gemüte führen. Nimmt man die schokoladehaltigen<br />

Lebensmittel dazu sind es gar 11.2 kg. Doch die<br />

Lust auf Schokolade steigt nun auch in Asien rapide. So hat<br />

sich etwa der Schokoladenkonsum in China in den letzten<br />

10 Jahren glatt verdoppelt. Schlechte Nachrichten also für<br />

Regenwälder. Allein in Ghana, nach der Elfenbeinküste der<br />

zweitgrößte Kakaoproduzent der Welt, hat die Zerstörung<br />

von Wäldern zwischen 2017 <strong>und</strong> 2018 um 60% zugenommen,<br />

hauptsächlich um Platz für weitere Kakaoplantagen zu<br />

schaffen. Schuld an dieser Entwicklung haben aber nicht nur<br />

die Konsumenten, die billige Schokolade en masse kaufen,<br />

Treiber dieser Entwicklung sind auch die miserablen Anbaumethoden<br />

in den Produktionsländern.<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

101


Der Anbau von Kakao wurde für die afrikanischen Bauern zum Teufelskreis. Fallende Weltmarktpreise, magelnde Ausbildung <strong>und</strong> ausgelaugte<br />

Böden treiben sie unter die Armutsgrenze. Ein Umstieg ist schwer möglich. Nur mit Kinder- <strong>und</strong> Sklavenarbeit können sie sich<br />

über Wasser halten. Zeit für einen wirklich fairen Handel.<br />

Mit gutem Beispiel vorangehen<br />

Nominiert für den deutschen <strong>Nachhaltig</strong>keitspreis<br />

Bei der grünsten Gala Deutschlands in Düsseldorf steht in diesem<br />

Jahr ein Projekt in Sachen Kakao als Preisträger auf der Bühne. Die<br />

Jury schreibt dazu: „Der Kakao-Importeur PERÚ PURO GmbH setzt<br />

auf <strong>Nachhaltig</strong>keit entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Das<br />

Unternehmen bezieht den Kakao direkt von 45 Kleinbauern in Peru<br />

<strong>und</strong> lässt ihn zu hochwertigen Produkten verarbeiten. Für PERÚ<br />

PURO sind die Kleinbauern von Beginn an Partner auf Augenhöhe.<br />

Der Firmengründer Dr. Arno Wielgoss arbeitet seit 20 Jahren eng mit<br />

ihnen zusammen <strong>und</strong> sein gemeinnütziger Verein „Frederic Hilfe für<br />

Peru“ unterstützt sie mit Projekten im Bereich Ges<strong>und</strong>heit, Bildung,<br />

Nutzung regenerativer Energien <strong>und</strong> ökologischem Landbau. Durch<br />

die Aus- <strong>und</strong> Weiterbildung der Kakaobauern, erkennen diese die Bedeutung<br />

von Biodiversität <strong>und</strong> Ökosystemleistungen <strong>und</strong> tragen aktiv<br />

zum Schutz des umliegenden Regenwaldes bei. Zusätzlich hat sich<br />

PERÚ PURO maßgeblich an der Gründung einer Frauenkooperative<br />

beteiligt, mit deren Hilfe die Frauen vor Ort ihre Interessen <strong>und</strong> Rechte<br />

erstmals institutionalisiert vertreten können. Bis zum Jahr 2025<br />

will das Unternehmen seinen Kakaoimport mehr als verdoppeln. Damit<br />

zeigt PERÚ PURO stellvertretend für andere Initiativen dieser Art,<br />

dass Kakao <strong>und</strong> Schokolade auch ganz anders hergestellt werden können.<br />

Auf degradierten Flächen wird zunächst ein ausgeklügeltes System<br />

von Bodendeckerpflanzen etabliert, die schon nach kurzer Zeit<br />

erlauben, artenreiche Agroforstsysteme anzupflanzen. Dabei werden<br />

verschiedene Arten einheimischer Tropenbäume aufgeforstet, die<br />

Schattenbäume für den Kakao sind, aber auch als Bauholz <strong>und</strong> Geldanlage<br />

für spätere Generationen verwendet werden können. Besonders<br />

empfehlenswert ist der Anbau in Kombination mit anderen Lebensmitteln.<br />

Dies <strong>schafft</strong> <strong>neue</strong> Einkommensmöglichkeiten durch den<br />

Verkauf vor Ort <strong>und</strong> macht die Kleinbauern von Lebensmitteleinkäufen<br />

unabhängig. Der Bodenbewuchs in artenreichen Anbausystemen<br />

erhält dauerhaft die Fruchtbarkeit der Böden. Die Schaffung <strong>neue</strong>r<br />

Anbauflächen durch Brandrodung entfällt somit.<br />

Wann fließt wieviel Geld?<br />

Bei PERÚ PURO erfolgt eine 100prozentige Vorfinanzierung der Ernte<br />

<strong>und</strong> mit der Bezahlung direkt im Dorf. Dabei erhalten die Kleinbauern<br />

das Doppelte des Mindest-Fair-Trade- <strong>und</strong> Biopreises. Höhere Einkommen<br />

werden in Zukunft durch Qualitätssteigerungen erzielt. Schon<br />

jetzt wird der Kakao von Hand selektiert <strong>und</strong> temperaturkontrolliert<br />

fermentiert. Ein Nebeneffekt: Die Bauern begeistern sich für die Qualitätssteigerung<br />

ihres Kakaos. Im Herbst <strong>2019</strong> wird die Frauenkooperative<br />

ihre eigene kakaoverarbeitende Röstanlage in Betrieb nehmen.<br />

So verbleibt der größte Teil der Wertschöpfungskette direkt bei den<br />

Erzeugern des Kakaos. Verarbeitet wird der Kakao sorten-, jahrgangs<strong>und</strong><br />

lagenrein. Hauptverkaufsargument soll neben den hohen sozialen<br />

<strong>und</strong> ökologischen Standards immer die außergewöhnlich hohe Qualität<br />

des Kakaos sein.<br />

www.perupuro.de<br />

Foto: © Sean Hawkey, Fairtrade<br />

102 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


LANDWIRTSCHAFT FAIR UND KLIMAFREUNDLICH | THEMEN<br />

Schokohasen fressen Regenwälder<br />

Das Gr<strong>und</strong>problem: Weltweit werden <strong>neue</strong> Kakaoplantagen<br />

häufig durch Brandrodung geschaffen, bei der hochproduktive<br />

<strong>und</strong> artenreiche Regenwälder in kürzester Zeit <strong>und</strong> für<br />

immer zerstört werden. Weil der Großteil der Nährstoffe in<br />

diesen Ökosystemen in der „stehenden Biomasse“ <strong>und</strong> nicht<br />

in den Böden vorhanden ist, trügt die Annahme, dass hier<br />

lukrative Landwirtschaft in Monokulturen nachhaltig möglich<br />

ist. Trotz hohem Gift- <strong>und</strong> Kunstdüngereinsatz können<br />

solche Flächen oft nur wenige Jahre ertragreich bewirtschaftet<br />

werden. Um dennoch lukrativ zu sein, wird an der<br />

Kostenschraube gedreht: Die Ernte der begehrten Früchte<br />

erfolgt deshalb oft in Kinder- <strong>und</strong>/oder Sklavenarbeit. Allein<br />

in Ghana <strong>und</strong> der Elfenbeinküste arbeiten laut Südwind ca.<br />

2,2 Millionen Kinder auf Kakaoplantagen. Damit weist kaum<br />

ein anderes Lebensmittel eine so große Diskrepanz zwischen<br />

„Genuss hier <strong>und</strong> Leid dort“ auf.<br />

Für die Bauern in den größten Kakaoproduktionsstandorten<br />

der Welt (Elfenbeinküste <strong>und</strong> Ghana) ist Kakao eine exotische<br />

Frucht, mit der sie wenig Erfahrung haben. Kaum steht die<br />

Monokultur, werden nach der Devise „viel hilft viel“ Kunstdünger<br />

<strong>und</strong> Pestizide in großen Mengen ausgebracht. Weil<br />

viele Kleinbauern noch nicht einmal wissen, dass Kakao von<br />

Insekten bestäubt wird <strong>und</strong> am besten unter großen Schattenbäumen<br />

wächst, sind die Anbaumethoden oft haarsträubend.<br />

Ohne den für die Bestäuber (winzige Bartmücken) notwendigen<br />

Unterwuchs <strong>und</strong> die schattenspendenden Baumriesen<br />

kümmern die Kakaobäume dahin <strong>und</strong> liefern niedrige <strong>und</strong> oft<br />

kontinuierlich fallende Erträge. Bei uns wird aus diesem Kakao<br />

trotzdem – dank schöner Marketingdarstellungen – ein w<strong>und</strong>erbares<br />

„Traumprodukt“. Schokohase, Weihnachtsmann <strong>und</strong><br />

Chocolatier schmunzeln um die Wette, denn alles ist – angeblich<br />

– von höchster Qualität. In Wirklichkeit wird aus billigem<br />

Industriekakao mit jeder Menge Palmöl <strong>und</strong> viel Zucker eine<br />

Art „Todescocktail“ aus <strong>und</strong> für tropische Regenwälder.<br />

Fair oder fraglich?<br />

Die gute Nachricht: Es geht auch anders. Es gibt Bio-Kakao<br />

<strong>und</strong> fair gehandelte Schokolade.<br />

Doch auch hier gibt es große Unterschiede <strong>und</strong> einige Fragen.<br />

Wie viel besser kann man eigentlich Kakao produzieren<br />

<strong>und</strong> Schokolade herstellen? Lohnt sich das für Umwelt <strong>und</strong><br />

Bauern? Kann man die Produkte dann überhaupt noch bezahlen?<br />

Die Antwort lautet: im Prinzip ja, aber…<br />

starke<br />

menschen.<br />

starke siegel.<br />

Fairtrade<br />

Seit mehr als 25 Jahren stärkt Fairtrade benachteiligte Produzentenfamilien in Afrika,<br />

Asien <strong>und</strong> Lateinamerika darin, ihre Lebens- <strong>und</strong> Arbeitsbedingungen selbstbestimmt<br />

zu verbessern. Verbindliche Standards, feste Mindestpreise sowie Prämien für<br />

Gemeinschaftsprojekte unterstützen bereits mehr als 1,6 Millionen Menschen auf<br />

ihrem Weg aus der Armut.<br />

Mehr zu unseren Siegeln unter: www.fairtrade-deutschland.de/siegel<br />

Profitieren auch Sie vom bekanntesten <strong>Nachhaltig</strong>keitssiegel Deutschlands<br />

(84 % Bekanntheitsgrad, GlobeScan <strong>2019</strong>). Entscheiden Sie sich für FAIRTRADE.<br />

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1<strong>03</strong>


Kakaomasse<br />

Der lange Weg zum süßen Genuß: Viele Verarbeitungsschritte <strong>und</strong><br />

große Sorgfalt in der Wertschöpfungskette sind nötig, um wirklich<br />

hochwertige Schokolade zu erhalten.<br />

Quelle: REWE, Leitlinien Kakao<br />

104 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


Wie bei vielen anderen Produkten machen die meisten Produzenten auch bei<br />

Kakao erstmal eher kleine Schritte. Eine Vielzahl dieser Miniansätze wird vielfältig<br />

<strong>und</strong> öffentlichkeitswirksam kommuniziert. Beim Konsumenten kommt dadurch<br />

oft an, dass eigentlich alles gut ist. Alle geben sich doch Mühe <strong>und</strong> anders geht<br />

es eben nicht! Aber stimmt das wirklich?<br />

Verfolgen wir deshalb die Wertschöpfungskette einer, mehr oder weniger, nachhaltig<br />

produzierten Tafel Schokolade: Manche Hersteller werben mit dem Pflanzen<br />

<strong>neue</strong>r Bäume. Das ist immer dann gut, wenn sie viele verschiedene Arten<br />

einheimischer Bäume pflanzen <strong>und</strong> dann dauerhaft schützen. Doch manchmal<br />

verbirgt sich hinter solchen Pflanzaktionen schlicht das Er<strong>neue</strong>rn oder Ausweiten<br />

von Kakaoplantagen durch <strong>neue</strong> Kakaobäume, oft sogar in Monokultur.<br />

Eine Mogelpackung, die für den Konsumenten nicht einfach zu erkennen ist.<br />

Ein weiteres Problem: Bei mangelnder Pflege sterben neu gepflanzte Bäume<br />

häufig in kurzer Zeit wieder ab. Dann wird der mögliche positive Effekt einer<br />

solchen Pflanzaktion innerhalb weniger Wochen ins Gegenteil verkehrt, weil die<br />

absterbenden Bäume umgehend all das CO 2<br />

freisetzen, das sie in ihrem kurzen<br />

Leben gespeichert haben. Weil der Großteil des Kohlenstoffs zudem in Böden<br />

gespeichert ist, kann durch die Bodenbearbeitung im Rahmen der Pflanzaktion<br />

womöglich noch wesentlich mehr CO 2<br />

freigesetzt werden. In diesem Fall wird<br />

aus der kommunizierten Klimaschutzaktion ein fragwürdiger Marketinggag –<br />

Klimaschaden inklusive.<br />

THE ART OF<br />

CHOCOLATE<br />

kompostierbare<br />

Verpackungsfolie<br />

Ich war sehr beeindruckt, wie der gemeinsame<br />

Anbau mit anderen Bäumen <strong>und</strong><br />

stickstoffbildenden Pflanzen Beikräuter vermeidet<br />

<strong>und</strong> den Boden feucht hält.<br />

Artenvielfalt bewahren: Kakaobaum <strong>und</strong> Regenwald Hand in Hand<br />

Von zentraler Bedeutung für die Artenvielfalt ist natürlich die Anbaumethode.<br />

Während artenreiche Agroforstsysteme einen wichtigen Beitrag zum Erhalt<br />

von Biodiversität <strong>und</strong> Ökosystemleistungen leisten – <strong>und</strong> Kleinbauern zudem<br />

zusätzliches Einkommen <strong>und</strong> eine ges<strong>und</strong>e Ernährung sichern, sind Monokulturen<br />

immer Treiber des Verlustes von Biodiversität. Das gilt auch dann, wenn<br />

sie biozertifiziert sind, denn eine Handvoll Arten ersetzt in Monokulturen ein<br />

großes Set an dort vorher existierenden Tieren <strong>und</strong> Pflanzen.<br />

Weil die Biozertifizierung keinen Unterschied kennt zwischen Bio-Monokultur<br />

<strong>und</strong> Bio-Agroforstsystem können K<strong>und</strong>en diesen entscheidenden Faktor nicht<br />

leicht erkennen. Champions League ist somit der aktive Regenwaldschutz, bei<br />

dem Flächen, die ansonsten keinen Schutzstatus haben, von Kakaobauern<br />

dauerhaft vor der intensiven Nutzung/Zerstörung bewahrt <strong>und</strong> extensiv für<br />

den Kakaoanbau genutzt werden. Kaum ein Schokoladenproduzent kann diesen<br />

hohen Standard für sich nachweisen. Monokulturen haben aber auch soziale<br />

<strong>und</strong> ökonomische Auswirkungen. Wer nur eine Art von „Cash Crop“ anbaut, der<br />

muss alles andere zukaufen. Damit sind solche Kleinbauern plötzlich <strong>und</strong> „ungeübt“<br />

abhängig von Angebot <strong>und</strong> Nachfrage ihrer Gr<strong>und</strong>nahrungsmittel. Oft<br />

ein sicherer Weg in die Armutsfalle. Soziale Aspekte spielen somit eine wichtige<br />

Rolle bei der Bewertung nachhaltiger Schokolade. Wir gehen davon aus, dass<br />

Nº01<br />

<strong>Nachhaltig</strong>-zertifizierte<br />

Rohstoffe<br />

Nº02<br />

Nº<strong>03</strong><br />

Optimaler Produktschutz<br />

durch ganzheitlich<br />

ökologische<br />

Verpackung<br />

(NatureFlex TM statt Alufolie,<br />

FSC-zertifiziert)<br />

Soziales Engagement<br />

gegen Ungerechtigkeit<br />

<strong>und</strong> Unterdrückung<br />

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WWW.VIVANI.DE<br />

105


Schwere Last für süßen Genuss: Dem Kakaoanbau werden Regenwald <strong>und</strong> Menschenrechte geopfert. Doch es gibt immer mehr Pioniere, die<br />

zeigen, dass es auch anders geht. Agroforstwirtschaft, fairer Handel <strong>und</strong> Wertschöpfung vor Ort. Die Leitlinien der REWE Group für Kakaoerzeugnisse<br />

geben wertvolle Hintergr<strong>und</strong>informationen. Der <strong>forum</strong> Schoko-Check (siehe rechts) <strong>schafft</strong> Transparenz.<br />

Kinder- <strong>und</strong> Sklavenarbeit bei jedem, der sich <strong>Nachhaltig</strong>keit<br />

auf die Fahne geschrieben hat, nicht in die Tüte bzw. Tafel<br />

kommen. Aber auch bei fairer Schokolade gibt es deutliche<br />

Unterschiede, was am Ende für den Kleinbauern übrigbleibt.<br />

In fast allen Fällen gilt: Kleinbauern verkaufen ihre Ernte<br />

an Intermediäre <strong>und</strong> müssen dabei große Abschläge durch<br />

die Einschaltung von bis zu acht Zwischenhändlern in Kauf<br />

nehmen. Dadurch sinkt der von ihnen erzielte Verkaufspreis<br />

– <strong>und</strong> das oft deutlich (in Westafrika laut- Südwind auf 60<br />

bis 70 Prozent des Weltmarktpreises). Selbst wenn sie Bio<strong>und</strong><br />

Fair-Trade Boni erzielen, stehen diese Bauern dann mit<br />

einem Erlös da, der unterhalb des Weltmarktpreises liegt.<br />

Und trotzdem steht auch auf solcher Schokolade am Ende<br />

„fair gehandelt“.<br />

Hier kommt das Schlagwort „Direct Sourcing“, also das Ausschalten<br />

von Zwischenhändlern, ins Spiel. Das ist ein guter<br />

Ansatz, aber nur, wenn auch wirklich faire Preise bezahlt<br />

werden. Wer es bei der Aussage „wir kaufen direkt“ belässt,<br />

dem sollten Konsumenten kritisch gegenüberstehen. Am<br />

besten einfach mal nachfragen, wieviel denn beim einzelnen<br />

Kleinbauern ankommt. Ebenso wichtig ist es für Kleinbauern,<br />

ob ihre Handelspartner „Produzententreue“ zeigen, oder ob<br />

Anbauländer Kakao<br />

16%<br />

Karibik, Mittel<strong>und</strong><br />

Südamerika<br />

20%<br />

Ghana<br />

43%<br />

Elfenbeinküste<br />

76%<br />

Afrika<br />

8%<br />

Asien <strong>und</strong><br />

Ozeanien<br />

Legt man eine Karte geeigneter Kakaoanbauflächen über eine Weltkarte, so überlagern diese sich fast vollständig mit den Gebieten ehemaliger<br />

<strong>und</strong> existierender tropischer Regenwälder. Mehr als 75 Prozent der weltweiten Kakaoproduktion stammen aus Ghana <strong>und</strong> der Elefenbeinküste.<br />

Foto: © Max Havelaar Fairtrade, flickr.com | Quelle: REWE Group – Leitlinie für Kakaoerzeugnisse<br />

106 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


LANDWIRTSCHAFT FAIR UND KLIMAFREUNDLICH | THEMEN<br />

sie jede Ernte neu verhandeln. Wird keine dauerhafte Handelsbeziehung<br />

aufgebaut, stehen die Kleinbauern alljährlich<br />

in erneuter Konkurrenz miteinander. So können (Zwischen-)<br />

Händler einen Preisdruck zulasten der Kleinbauern aufbauen.<br />

Wo ist die Wertschöpfung?<br />

Immer wieder wird gefordert, einen größeren Teil der<br />

Wertschöpfungskette in den Ursprungsländern zu belassen.<br />

Das kann geschehen, indem man neben der üblichen<br />

Fermentation auch das Rösten, Schroten, Trocknen oder<br />

die Schokoladenproduktion vor Ort durchführt. Nur wenn<br />

lokal produzierte Schokolade aus artenreichen Agroforstsystemen<br />

stammt, bio-zertifiziert ist <strong>und</strong> nachweislich ein<br />

höheres Einkommen der Kleinbauern zur Folge hat, ist sie<br />

mit in Europa produzierter Schokolade in einer Art <strong>Nachhaltig</strong>keitsranking<br />

überhaupt konkurrenzfähig. Die einfache<br />

Aussage „wir produzieren im Land“, macht die Schokolade<br />

noch nicht fairer <strong>und</strong> nachhaltiger, ebenso wenig, wie ein<br />

billiges T-Shirt dadurch besser wird, dass es in einem Sweat-<br />

Shop in Pakistan hergestellt wurde.<br />

Weil Schokolade auch noch schmelzen kann, gilt es darüber<br />

hinaus zu bedenken, dass diese Schokolade ihren weiten<br />

Weg nach Europa in gekühlten Containern zurücklegen<br />

muss, was ihren ökologischen Fußabdruck noch einmal<br />

deutlich erhöht.<br />

Unser Fazit<br />

Auch bei bio&fair gehandelter Schokolade gibt es große<br />

Unterschiede in Qualität, Fairness <strong>und</strong> erreichtem Schutz<br />

tropischer Regenwälder. Wer möglichst alles richtig machen<br />

will, der wirft einen Blick auf unseren Schoko-Check.<br />

www.suedwind.de<br />

www.kakao<strong>forum</strong><br />

Der Schoko-Check<br />

Thema Geht so Mittelmaß Champions League<br />

Standort Regenwald < 10 Jahre Regenwald > 10 Jahre Wiederaufforstung auf<br />

degradierten Flächen<br />

Anbausystem<br />

Monokultur ohne Schattenbäume<br />

Plantage mit Schattenbäumen<br />

Agroforstsystem mit einheimischen<br />

Schattenbäumen +<br />

Lebensmittelproduktion<br />

Kompensation Kakaobäume pflanzen einheimische Bäume pflanzen aktiver Regenwaldschutz<br />

Transparenz & Regeln<br />

Handelsbeziehung<br />

(Importeur Kleinbauern)<br />

Teil-Zertifizierung (bio- oder<br />

fair)<br />

Zertifizierung (bio <strong>und</strong> fair)<br />

Anforderungen höher als bio<strong>und</strong><br />

fair-trade Zertifizierung<br />

wechselnd Manchmal wechselnd Dauerhafte, partnerschaftliche<br />

Zusammenarbeit<br />

Zwischenhändler wechselnd, viele vorhanden wenige ohne Zwischenhändler<br />

Verkaufspreis ab Hof<br />

schwankend / deutlich unter<br />

Weltmarktpreis<br />

stabiler Mindestpreis<br />

(Bio- <strong>und</strong> Fair)<br />

stabil deutlich über<br />

Mindestpreis (Bio <strong>und</strong> Fair)<br />

wirtschaftliches Risiko trägt der Kleinbauer teilen sich beide Seiten trägt der Käufer des Kakaos<br />

Zahlungsort am Exporthafen – im Dorf<br />

Zahlungsfrist<br />

mehrere Monate nach der<br />

Ernte<br />

direkt nach der Ernte<br />

100%ige Vorfinanzierung<br />

Wertschöpfungskette Export von Rohware Verarbeitung im Land Verarbeitung im Dorf<br />

Produzentenorganisation keine Großkooperative Kleinkooperative<br />

Kakaosorte Industriekakao – seltene Kakaosorte<br />

Selektion der Kakaoschoten keine Aussortieren stark<br />

verschimmelter Schoten<br />

Einzelsortierung von Hand<br />

Fermentation keine in Säcken oder Gruben temperaturkontrolliert in<br />

Kisten mit exaktem Fermentationsprotokoll<br />

Kakao in Schokolade<br />

Mischung von Sorten, Jahrgängen<br />

<strong>und</strong> Herkünften<br />

sortenrein<br />

Angabe des Herkunftslandes<br />

jahrgangs-, lagen- <strong>und</strong><br />

sortenrein<br />

Zutaten Schokolade Palmfett, künstliche Aromen – Kakaobutter,<br />

keine künstlichen Aromen<br />

Biodiversitätsmerkmale Sozialmerkmale Qualitätsmerkmale<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

107


THEMEN | LANDWIRTSCHAFT FAIR UND KLIMAFREUNDLICH<br />

AUSBEUTUNG FÜR SÜSSES?<br />

Entspannt <strong>und</strong> mit gutem Gewissen genießen wir fairtrade-Schokolade. Das ist gut so, <strong>und</strong> es gilt mehr<br />

denn je, einen fairen Handel zu unterstützen. Trotzdem bleiben untragbare Zustände in der Kakaoproduktion<br />

vor allem in Afrika. <strong>forum</strong> fragte nach, wo <strong>und</strong> warum die Situation am schlimmsten ist.<br />

Friedel Hütz-Adams arbeitet<br />

seit 1993 als wissenschaftlicher<br />

Mitarbeiter<br />

für das SÜDWIND-Institut<br />

<strong>und</strong> hat Studien zu Wertschöpfungsketten<br />

veröffentlicht<br />

sowie Kon -<br />

ferenzen dazu organisiert.<br />

Er engagiert sich<br />

bei VOICE, einem Netzwerk<br />

von Nichtregierungsorganisationen<br />

<strong>und</strong><br />

Gewerkschaften, die zum<br />

Thema Kakao arbeiten.<br />

Er war darüber hinaus<br />

zwischen 2012 <strong>und</strong> 2017<br />

Vorstandsmitglied des<br />

Forums <strong>Nachhaltig</strong>er<br />

Kakao, einem Zusammenschluss<br />

von mehr<br />

als 70 Unternehmen,<br />

Nichtregierungsorganisationen,<br />

Gewerkschaften,<br />

Forschungsinstituten <strong>und</strong><br />

standardsetzenden Organisationen.<br />

Herr Hütz-Adams, welche menschenrechtlichen<br />

Probleme bestehen derzeit im Kakaoanbau?<br />

Der Anbau von Kakao findet in der Regel auf<br />

kleinen Bauernhöfen statt, die weniger als<br />

fünf Hektar bewirtschaften. Studien zufolge<br />

sind die Einnahmen aus dem Kakaoverkauf für<br />

weltweit r<strong>und</strong> 5,5 Mio. Familien die wichtigste<br />

Einnahmequelle. Insbesondere in Westafrika,<br />

woher knapp drei Viertel der Welternte<br />

stammen, besteht bei Millionen Familien eine<br />

hohe Abhängigkeit vom Kakao.<br />

Der Anbau von Kakao ist mit menschenrechtlichen<br />

Risiken verb<strong>und</strong>en. Immer wieder<br />

sorgen Fälle von Kinderarbeit für Schlagzeilen.<br />

Doch diese Kinderarbeit ist ein Symptom<br />

dafür, wie schlecht es den Familien geht, die<br />

Kakao anbauen. Der größte Teil von ihnen<br />

lebt unterhalb der Armutsgrenze. Studien belegen,<br />

dass sich viele Familien in den Monaten<br />

vor der nächsten Ernte, bis wieder frisches<br />

Geld hereinkommt, keine drei Mahlzeiten am<br />

Tag leisten können. Fehl- <strong>und</strong> Unterernährung<br />

bei Kindern sind daher weit verbreitet.<br />

Welche Wirkung zeigt fair gehandelter <strong>und</strong>/<br />

oder zertifizierter Kakao bei den Kakaobauern?<br />

In den Kakaoanbaugebieten ist mittlerweile<br />

mindestens ein Drittel der Ernte zertifiziert,<br />

hauptsächlich durch UTZ <strong>und</strong> Rainforest<br />

Alliance, die 2018 fusioniert sind, doch auch<br />

immer größere Mengen durch Fairtrade. Die<br />

Zertifizierung ist häufig gekoppelt an Unterstützungsmaßnahmen<br />

für Bäuerinnen <strong>und</strong><br />

Bauern: Training in guten Agrarpraktiken,<br />

Unterstützung bei Verbesserungen in den<br />

Kooperativen <strong>und</strong> Plantagen etc. Dafür zahlen<br />

die Unternehmen, die zertifizierten Kakao<br />

zum vereinbarten Preis beziehen, Prämien.<br />

Bei Fairtrade ist diese Prämie festgelegt auf<br />

200 US-Dollar je Tonne, ab Oktober <strong>2019</strong><br />

steigt sie auf 240 US-Dollar je Tonne. Bei<br />

UTZ <strong>und</strong> Rainforest Alliance müssen die Kooperativen<br />

die Prämie mit den Unternehmen<br />

aushandeln, die Zahlungen sind in der Regel<br />

niedriger als bei Fairtrade. Schlussendlich gibt<br />

es nur bei Fairtrade einen Mindestpreis, der<br />

bislang bei 2.000 US-Dollar je Tonne liegt <strong>und</strong><br />

demnächst auf 2.400 US-Dollar steigt.<br />

Welche Probleme kann der Faire Handel /<br />

eine Zertifizierung nicht lösen?<br />

Datenerhebungen in der Elfenbeinküste <strong>und</strong><br />

Ghana haben im vergangenen Jahr ergeben,<br />

dass die Kakaobauern dort durchschnittlich<br />

deutlich weniger als die Hälfte dessen verdienen,<br />

was ein existenzsicherndes Einkommen<br />

ausmacht. Dies gilt auch für Bäuerinnen <strong>und</strong><br />

Bauern, deren Anbau zertifiziert ist.<br />

Sicherlich könnten sie durch eine höhere Produktivität<br />

oder durch die Diversifizierung des<br />

Anbaus höhere Einkommen erzielen. Das ist<br />

aber nicht so einfach. Würden sie flächendeckend<br />

die Produktivität des Kakaoanbaus steigern,<br />

gäbe es ein noch größeres Überangebot<br />

von Kakao am Markt, als dies derzeit bereits<br />

der Fall ist, <strong>und</strong> die Preise würden weiter fallen.<br />

Für andere Anbauprodukte brauchen sie erst<br />

einmal Märkte, auf denen sie diese überhaupt<br />

verkaufen können.<br />

Der Preis für den Kakao wird somit auf absehbare<br />

Zeit der wichtigste Faktor bleiben, der<br />

darüber bestimmt, ob Bäuerinnen <strong>und</strong> Bauern<br />

in Armut leben oder nicht. Inflationsbereinigt<br />

liegt dieser Preis heute weit niedriger als in<br />

großen Teilen des letzten Jahrh<strong>und</strong>erts. Damals<br />

waren die Landwirte in den Kakaoanbau<br />

gewechselt, weil dieser gute Einnahmen versprach.<br />

Diese Attraktivität hat zum Anstieg der<br />

Produktion beigetragen, was dann wiederum<br />

zum Preisverfall führte.<br />

Auf eben diese Preise haben standardsetzende<br />

Organisationen keinen Einfluss. Auch der<br />

Mindestpreis von Fairtrade ist lediglich eine<br />

Absicherung gegen den extremen Preisverfall,<br />

garantiert aber bei weitem keine existenzsichernden<br />

Einkommen. Würde Fairtrade<br />

den Mindestpreis auf das Niveau heben, das<br />

ausreicht, um existenzsichernde Einkommen<br />

zu garantieren, würde wahrscheinlich kaum<br />

noch ein Unternehmen das Label nutzen. Dann<br />

Foto: © Volker Hackmann<br />

108 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


LANDWIRTSCHAFT FAIR UND KLIMAFREUNDLICH | THEMEN<br />

blieben die Bauern auf ihrem zertifizierten Kakao sitzen <strong>und</strong><br />

könnten diesen nur auf dem konventionellen Markt zum Weltmarktpreis<br />

verkaufen – was heute schon häufig der Fall ist.<br />

Welche menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten haben<br />

Schokoladeproduzenten? Inwieweit kommen sie denen<br />

bereits nach?<br />

Der Preis für Kakao ist nicht die alleinige Stellschraube für<br />

die Einkommen der Produzenten. Wie erwähnt spielen<br />

Produktivität <strong>und</strong> Diversifizierung auch noch eine Rolle.<br />

Dennoch: Alle Unternehmen der Branche wissen, dass zum<br />

derzeitigen Kakaopreis der größte Teil der Menschen nicht<br />

aus der Armut herauskommen wird. Ihre Einkommen reichen<br />

nicht aus, um in die Plantagen zu investieren. Letzteres wäre<br />

aber die Voraussetzung, um die Produktivität zu steigern<br />

oder auf andere Produkte umzusteigen. Die Unternehmen<br />

wissen somit, dass beim derzeitigen Preis Menschenrechtsverletzungen<br />

bis hin zur Kinderarbeit an der Tagesordnung<br />

bleiben werden. Zugleich gibt es seit 2011 die Leitprinzipien<br />

der Vereinten Nationen für Wirtschaft <strong>und</strong> Menschenrechte<br />

<strong>und</strong> darauf aufbauend die Richtlinien der OECD für multinationale<br />

Unternehmen. Um ihrer menschenrechtlichen<br />

Verantwortung gerecht zu werden, müssten sich die Kakao<strong>und</strong><br />

Schokoladenunternehmen in einem ersten Schritt zu<br />

ihrer Verantwortung für die Einhaltung der Menschenrechte<br />

in ihrer gesamten Lieferkette bekennen. Das haben bislang<br />

nur die wenigsten gemacht. Der zweite Schritt wäre dann,<br />

Risiken in ihrer Wertschöpfungskette zu identifizieren. Dabei<br />

können sie von standardsetzenden Organisationen unterstützt<br />

werden. Im dritten Schritt müssten Preise gezahlt<br />

werden, die existenzsichernde Einkommen für die Kakao<br />

anbauenden Familien garantiert. Dies wird definitiv mehr<br />

kosten, als derzeit für Kakao bezahlt wird.<br />

Welche Verantwortung haben die Regierungen / Länder, in<br />

denen Kakao produziert wird?<br />

Die Regierungen der Kakao anbauenden Länder müssten ein<br />

Umfeld schaffen, das die Schaffung existenzsichernder Einkommen<br />

erleichtert. Doch hier gibt es in vielen Bereichen erhebliche<br />

Mängel. Dies beginnt damit, dass die Infrastruktur in den Kakao<br />

anbauenden Gebieten oft sehr schlecht ist. Dies verteuert den<br />

Transport von Kakao wie auch von anderen Gütern. Das wiederum<br />

hat erheblichen Einfluss auf die Einkommen der Bauern.<br />

Auch die Ges<strong>und</strong>heitsversorgung <strong>und</strong> das Schulwesen müssten<br />

deutlich verbessert werden. Darüber hinaus mangelt es an<br />

Unterstützung für jene, die Plantagen modernisieren wollen<br />

oder auch Märkte für andere Produkte suchen. Ein weiteres<br />

Problem in Westafrika sind oft unklare Eigentumsverhältnisse<br />

des Anbaulandes. Bäuerinnen <strong>und</strong> Bauern müssten dabei<br />

unterstützt werden, Eigentumstitel zu bekommen. Regierungen<br />

müssten somit in vielen Bereichen mehr tun.<br />

Die Regierungen Ghanas <strong>und</strong> der Elfenbeinküste versuchen<br />

derzeit, höhere Preise am Weltmarkt durchzusetzen. Da sie<br />

zusammen mehr als 60 Prozent der Welternte liefern, haben<br />

sie eine gewisse Macht <strong>und</strong> wollen für die im Oktober 2020<br />

beginnende Ernte eine zusätzliche Prämie von 400 US-Dollar<br />

pro Tonne auf den exportierten Kakao aufschlagen. Diese Prämie<br />

soll dafür sorgen, ein Exportpreisniveau von r<strong>und</strong> 2.600<br />

Dollar als Untergrenze zu halten. Steigt der Weltmarktpreis auf<br />

eine Höhe, mit der inklusive der Prämie von 400 US-Dollar die<br />

Schwelle von 2.600 US-Dollar überschritten wird, wird Geld<br />

in einen Fonds eingezahlt. Sinkt der Weltmarktpreis zu weit<br />

ab, wird Geld aus dem Fonds genommen. Vom Exportpreis<br />

wiederum sollen die Kakaobauern 70 Prozent, also r<strong>und</strong> 1.800<br />

US-Dollar je Tonne bekommen. Wenn das den Regierungen<br />

gelingt, wäre dies ein Schritt hin zu existenzsichernden Einkommen<br />

– allerdings bei weitem nicht ausreichend.<br />

Alexa,<br />

rette<br />

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109


THEMEN | LANDWIRTSCHAFT FAIR UND KLIMAFREUNDLICH<br />

Was könnte ein Gesetz zu Unternehmensverantwortung haben mittlerweile mehrere Unternehmen, darunter Mars,<br />

im Kakao verarbeitenden Bereich bewirken? Gibt es Unternehmen,<br />

die so The eine previous Gesetzesinitiative two Barometers unterstützen? were instrumental des Sektors gefordert. in kick-starting Weitere Unternehmen the sollten folgen.<br />

Mondelez <strong>und</strong> Barry Callebaut, öffentlich eine Regulierung<br />

Alle Unternehmen wissen, dass der Aufbau transparenter Es muss der deutschen wie auch der europäischen Politik<br />

conversation on farmer livelihoods. Now that a living income is seen as a<br />

Wertschöpfungsketten bis hin zu den Erzeugern erhebliche<br />

Investitionen keystone erfordert. for Für the die cocoa Erhebung sector, der men-<br />

this Barometer von Menschenrechten goes in depth von Unternehmen into this could nur dann ge-<br />

klargemacht werden, dass die Kosten für die Einhaltung<br />

schenrechtlichen be Risiken, achieved, verknüpft in the mit focus Maßnahmen area “Ensuring zur tragen a werden Living können, Income”. wenn In dies addition, für alle Unternehmen<br />

Reduzierung der Armut <strong>und</strong> der Kinderarbeit, müssen vorgeschrieben ist. Das gilt in Deutschland genauso wie im<br />

ebenfalls Investitionen cocoa farming geleistet need werden. to Schlussendlich see a viable local globalen infrastructure, Kakaosektor. including schools,<br />

4 sind sich alle Unternehmen health care, darüber and access im Klaren, to dass markets. sie in There is a key role for both companies<br />

vielen Fällen deutlich mehr für den Kakao zahlen müssten. Was denken Sie, wird es solch ein Gesetz geben oder nicht?<br />

and specifically governments to play on that level. The second focus<br />

Unternehmen, die dies heute bereits tun, bewegen sich Es wird ein Gesetz geben, die Frage ist nur, wann. Auch in<br />

noch in der Nische. area on Wenn “Transparency sich der Massenmarkt and Accountability” ändern Deutschland takes hat a es deeper Jahrzehnte look gedauert, into bis the gr<strong>und</strong>legende<br />

soll, müssten prerequisites alle Unternehmen for gleichzeitig this. handeln. Rechte zum Schutz von Menschenrechten durchgesetzt wurden.<br />

Das Erschreckende ist derzeit, dass deutsche Unterneh-<br />

Sonst werden die bestraft, die die Vorreiter sind. Diese<br />

investieren, haben höhere Kosten <strong>und</strong> werden von Wettbewerbern,<br />

die nichts unternehmen, unterboten <strong>und</strong> vom dürfen, die in Deutschland längst verboten<br />

men in ihrer Wertschöpfungskette im Ausland Dinge zulassen<br />

Markt gedrängt. So funktionieren unregulierte Märkte nun werden. Dies wird sich irgendwann ändern.<br />

einmal: Wer teurer ist als der Wettbewerber, der verliert,<br />

selbst wenn die Mehrkosten erforderlich sind, um den Bruch Herr Hütz-Adams, wir danken für das Gespräch<br />

<strong>und</strong> wünschen für Ihre Arbeit viel<br />

von Menschenrechten Production zu verhindern. / Consumption<br />

Dies ist den Unternehmen<br />

bekannt. Um aus dieser Falle herauszukommen Erfolg.<br />

Cocoa Production in 1,000 tonnes 2017/18<br />

Kakaoproduktion Source: <strong>und</strong> -konsum ICCO in Zahlen 2018, Table 2, 40<br />

Kakaoproduktion (rot) <strong>und</strong> -konsum (braun) in 1000 Tonnen 2017 / 2018 (Quelle: ICCO 2018 – Cacaobarometer 2018)<br />

1.852<br />

351<br />

732<br />

176<br />

Europe<br />

Rest of<br />

Asia<br />

82<br />

Japan<br />

US<br />

333<br />

Africa<br />

154 46<br />

China<br />

Rest of<br />

Americas<br />

Brasil<br />

189<br />

India<br />

317 165 270<br />

2.000<br />

Côte<br />

d’Ivoire<br />

900<br />

Ghana<br />

618<br />

Rest of<br />

Africa<br />

88<br />

280 Rest of Asia<br />

Indonesia<br />

Rest Brasil<br />

Ecuador<br />

76<br />

Australia<br />

Der globale Süden schuftet <strong>und</strong> der globale Norden konsumiert. Zwei Länder tragen die Hauptlast unserer Kakaolust.<br />

110 Gedruckt auf Steinbeis Charisma Silk – hergestellt aus 100 % Altpapier, ausgezeichnet mit dem Blauen Engel. <strong>forum</strong> Ein Produkt <strong>Nachhaltig</strong> der Steinbeis <strong>Wirtschaften</strong><br />

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HEUTE FÜR MORGEN HANDELN | THEMEN<br />

VORSTOSS<br />

für den ökologischen Gebäudebetrieb<br />

Wie sieht ein Gebäudebetrieb aus, der ökologisch <strong>und</strong> sozial vorbildlich ist? Welche Potenziale sind in<br />

einem Unternehmen diesbezüglich noch zu heben? Die Richtlinie 160 des Deutschen Verbandes für<br />

Facility Management hält für all diese Fragen eine Antwort bereit.<br />

Von Andrea Pelzeter<br />

Foto: © GEFMA<br />

Corporate <strong>Social</strong> Responsibility (CSR) findet auch bei solchen<br />

Prozessen ein weites Anwendungsfeld, die in der Wirtschaft<br />

nur eine sek<strong>und</strong>äre Rolle spielen. Dazu zählen unter anderem<br />

das Betreiben von Gebäuden <strong>und</strong> die Bereitstellung<br />

von Services, wie zum Beispiel Security oder Catering. Die<br />

Steuerung all dieser Services wird im Facility Management<br />

gebündelt. Als in dieser Branche plötzlich für „grüne“ oder<br />

„blaue“ Service-Produkte geworben wurde, zog der Verband<br />

GEFMA (German Facility Management Association) daraus<br />

eine Konsequenz: Er definierte in 24 Kriterien, worin genau<br />

die ökologische, ökonomische <strong>und</strong> soziale <strong>Nachhaltig</strong>keit beim<br />

Managen <strong>und</strong> Erbringen von Facility Services bestehen könnte<br />

– ein Prozess, an dem sowohl die Anbieter, als auch die K<strong>und</strong>en<br />

von Facility-Management-Dienstleistungen beteiligt waren.<br />

Was zeichnet einen nachhaltigen Gebäudebetrieb aus?<br />

Mit Hilfe dieser 2014 veröffentlichten GEFMA-Richtlinie 160<br />

„<strong>Nachhaltig</strong>keit im Facility Management“ kann der Gebäudebetrieb<br />

systematisch auf soziale <strong>und</strong> ökologische Belange<br />

hin untersucht <strong>und</strong> optimiert werden. Was in der Abbildung<br />

bereits auffällt: Immer ist von „…-Management“ die Rede.<br />

Dies ist wichtig, denn das bedeutet, dass nicht ein bestimmter<br />

Kennwert als Ziel gesetzt wird, sondern ein kontinuierlicher<br />

Verbesserungsprozess. So kann auch in einem Gebäude, das<br />

schon lange auf seine energetische Ertüchtigung wartet,<br />

ein ressourcenschonendes Energiemanagement umgesetzt<br />

werden – hier hat es sogar meist einen besonders großen<br />

Einfluss. Die benannten Kriterien wurden in fünf Gruppen<br />

eingeteilt. Den Anfang machen die drei Kernbereiche von<br />

<strong>Nachhaltig</strong>keit: Ökologie, Ökonomie <strong>und</strong> Soziales.<br />

Die Ökonomie umfasst als einziges Kriterium die Nutzungskosten,<br />

die zum Beispiel in einem Vergleich mit den letzten<br />

drei Jahren eine rückläufige Entwicklung aufweisen sollten.<br />

Der ökologische Bereich behandelt die Themen Energie,<br />

Wasser <strong>und</strong> Wertstoffe (aus dem Prozess der Entsorgung) <strong>und</strong><br />

zusätzlich das Management von Havarien. Bei alledem geht<br />

es um die Vermeidung von Umweltschäden, z.B. bei Extremereignissen<br />

wie Überschwemmung, Brand, Stromausfall, etc.<br />

Ein weiterer Bereich ist die soziokulturelle <strong>und</strong> funktionale<br />

Qualität. Diese umfasst auch einige „Eh-da“-Kriterien, wie<br />

die Rechtskonformität oder die Arbeits- <strong>und</strong> die Gebäudesicherheit,<br />

die eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein<br />

sollten. Trotzdem ist das Beachten solcher Regeln kein Automatismus.<br />

Ihnen muss im Konzert mit den vielen anderen<br />

Impulsen des wirtschaftlichen Handelns eine angemessene<br />

Aufmerksamkeit gewidmet werden.<br />

Das nächste Themenfeld heißt „Qualität der FM-Organisation“.<br />

Darin geht es um all jene Aktivitäten, in denen die<br />

Weichen für die Übernahme von ökologischer <strong>und</strong> sozialer<br />

Verantwortung gestellt werden.<br />

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111


THEMEN | HEUTE FÜR MORGEN HANDELN<br />

Das letzte Themenfeld benennt den Status quo, der sich in<br />

der vergangenen Optimierung von einzelnen Facility Services<br />

bereits herausgebildet hat, wie zum Beispiel das Anbieten<br />

von regionalen <strong>und</strong> saisonalen Speisen im Catering.<br />

Wie kann man <strong>Nachhaltig</strong>keit im Gebäudebetrieb sichtbar<br />

machen?<br />

Damit aber auch Dritte auf einen Blick erkennen können, wie<br />

intensiv das Facility Management in einem spezifischen Gebäude<br />

bereits auf <strong>Nachhaltig</strong>keits-Kriterien hin ausgerichtet<br />

wurde, ist eine entsprechende Zertifizierung entwickelt worden.<br />

Die Zertifizierung nach GEFMA 160-1 macht das bisher<br />

erreichte <strong>Nachhaltig</strong>keits-Level in Form eines prozentualen<br />

Erfüllungsgrades nach außen hin sichtbar. Bewertet wird hier<br />

die ökologische <strong>und</strong> soziale Qualität aller für die Nutzung<br />

eines Gebäudes erforderlichen Leistungen, wie zum Beispiel<br />

Instandhaltung, Reinigung oder Sicherheitsdienste.<br />

Die Kriterien, die für die Bewertung ausgearbeitet wurden,<br />

geben jedoch keine Maximalwerte vor – anders als in der<br />

Bewertung des nachhaltigen Bauens. Vielmehr fordern sie<br />

die Dokumentation eines Verbesserungsprozesses mit den<br />

Phasen „Plan – Do – Check – Act“ ein. Zudem benennen sie<br />

im Detail, wie ein optimal auf <strong>Nachhaltig</strong>keit ausgerichtetes<br />

Konzept aussehen sollte. Unabhängig davon, ob diese Listen<br />

zu einer Zertifizierung beitragen, sind sie als Instrument für<br />

das Qualitätsmanagement <strong>und</strong> für die Umsetzung der CSR<br />

im eigenen Unternehmen nützlich.<br />

Welche Hilfsmittel stellt GEFMA zur <strong>Nachhaltig</strong>keitsbewertung<br />

bereit?<br />

Seit September 2018 gibt es für den vereinfachten Einstieg<br />

in die Bewertung von <strong>Nachhaltig</strong>keit im Facility Management<br />

zudem die App „SustainFM“. Sie führt den Nutzer digital durch<br />

die Kriterien der GEFMA 160 <strong>und</strong> ermöglicht einen Pre-Check<br />

für die erste Einschätzung des Grades von <strong>Nachhaltig</strong>keit im<br />

eigenen Gebäudebetrieb. Auch die bei der ersten Bewertung<br />

festgestellten Verbesserungspotenziale kann man mit der App<br />

in künftigen internen Prozessen managen. Erhältlich ist die<br />

App kostenlos in allen gängigen App-Stores. Alle anderen benannten<br />

Unterlagen können über GEFMA Deutscher Verband<br />

für Facility Management e.V. bezogen werden.<br />

www.gefma-2018.de<br />

PROF. DR. ANDREA PELZETER<br />

leitet den GEFMA-Arbeitskreis <strong>Nachhaltig</strong>keit <strong>und</strong> lehrt an der<br />

HWR Berlin.<br />

Übersicht über die Kriterien der GEFMA-Richtlinie 160 zu <strong>Nachhaltig</strong>keit im Facility Management<br />

112 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


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BESTE WAHL<br />

Der Dyson Händetrockner<br />

Eine Milliarde Papierhandtücher verbrauchen<br />

die vier größten Städte Deutschlands<br />

jedes Jahr. Dabei gibt es inzwischen deutlich<br />

umweltfre<strong>und</strong>lichere Alternativen.<br />

In Berlin sind es 436 Millionen, in Hamburg<br />

327 Millionen <strong>und</strong> in München immerhin<br />

noch180 Millionen Papierhandtücher:<br />

Jährlich bestellt die öffentliche Hand große<br />

Mengen Papierhandtücher, um die Waschräume<br />

der städtischen Ämter, Kitas <strong>und</strong><br />

Unternehmen zu beliefern. Für die Städte<br />

Berlin, Hamburg, München, Köln, Stuttgart<br />

<strong>und</strong> Düsseldorf hat Dyson Zahlen erhoben<br />

<strong>und</strong> den Papierverbrauch miteinander verglichen<br />

1 (s. Grafik).<br />

Umweltkriterien zunehmend wichtig in<br />

der öffentlichen Beschaffung<br />

Dabei werden Umweltaspekte in der öffentlichen<br />

Beschaffung immer wichtiger <strong>und</strong> zunehmend<br />

auch in den Vergabekriterien be-<br />

rücksichtigt. „In allen untersuchten Städten<br />

müssen Papierhandtücher für die kommunalen<br />

Waschräume aus Recyclingfasern bestehen“,<br />

so van den Berg. „Das ist ein wichtiger<br />

Schritt in die richtige Richtung.“ Aber<br />

auch Papiere aus Recyclingpapier schneiden<br />

im Umweltvergleich noch schlecht ab. Eines<br />

der Probleme: Wie Einwegbecher werden<br />

die Tücher in der Regel nicht recycelt <strong>und</strong><br />

die Fasern gehen damit dem Stoffkreislauf<br />

häufig für immer verloren. 3<br />

Umweltfre<strong>und</strong>liche Alternativen<br />

Für Papierhandtücher gibt es Alternativen,<br />

die sowohl umweltfre<strong>und</strong>licher sind als auch<br />

kostengünstiger sein können. 2014 hat das<br />

Umweltb<strong>und</strong>esamt (UBA) die verschiedenen<br />

am Markt befindlichen Systeme für<br />

das Händetrocknen in öffentlichen Waschräumen<br />

untersucht: In dem Vergleichstest<br />

schnitten Handtrockner mit Kaltluft Jetstream-Technik<br />

ökologisch am besten ab. 4<br />

„Jetstream-Händetrockner, wie der Dyson<br />

Airblade, streifen mit einem kalten, starken<br />

Luftstrahl das Wasser von der Hand“, erklärt<br />

van den Berg. „So verbrauchen sie nur<br />

wenig Strom, komplexe Filtersysteme <strong>und</strong><br />

antibakterielle Beschichtungen sorgen für<br />

die notwendige Hygiene.“ 5 Viele namhafte<br />

Unternehmen wie Rügenwalder Mühle, die<br />

Bauhaus Stiftung sowie zahlreiche Filialen<br />

von Ikea, Mc Donald’s <strong>und</strong> Burger King ließen<br />

sich durch die Vorteile gegenüber Papier<br />

bereits überzeugen.<br />

Weitere Informationen finden Sie unter<br />

www.dyson.de. Oder nehmen Sie Kontakt<br />

auf unter business@dyson.com oder unter<br />

0221 50 600 333.<br />

1 Die verglichenen Daten stammen aus den entsprechenden Rahmenverträgen der Städte oder wurden direkt bei den Städten angefragt. Die Rahmenverträge schätzen den Verbrauch für den Vertragszeitraum aus<br />

dem durchschnittlichen Verbrauch der Vorjahre.<br />

2 Für die Berechnung der Anzahl der Papierhandtücher wurden auch Papierhandtuchrollen mit berücksichtigt. Dabei wurde davon ausgegangen, dass einzelne Papierhandtücher, die von den Rollen abgerissen<br />

werden, im Schnitt 30 cm lang sind.<br />

3 Vgl. Umweltb<strong>und</strong>esamt: Papiertaschentücher, Hygienepapiere, Absatz 3 (www.umweltb<strong>und</strong>esamt.de/umwelttipps-fuer-den-alltag/haushalt-wohnen/papiertaschentuecher-hygienepapiere#textpart-3)<br />

4 Umweltb<strong>und</strong>esamt, Texte 33/2014, Vereinfachte Umweltbewertung des Umweltb<strong>und</strong>esamtes, Fallbeispiel Handtrocknungssysteme, ab S. 108. Im Internet: www.umweltb<strong>und</strong>esamt.de/sites/default/files/medien/1410/publikationen/texte_33_2014_verum_vorherige-version-mit-fallbeispielen.pdf<br />

5 Informationen zur Hygiene von Jetstream-Händetrocknern unter anderem unter: www.dyson.de/haendetrockner/die-wahrheit-ueber-hygiene.aspx<br />

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113


THEMEN | HEUTE FÜR MORGEN HANDELN<br />

NAVIGATIONSHILFE<br />

FÜR MORGEN<br />

Das <strong>neue</strong> Ars Electronica Center in Linz wird zum Museum der Zukunft<br />

Mit dem Programm „Navigating the Future“ wandelt sich das Ars Electronica Center in Linz zum Kompass<br />

<strong>und</strong> Begleiter durch das 21. Jahrh<strong>und</strong>ert. Vier Millionen Euro flossen in das Prachtstück am Ufer der<br />

Donau. Begleiten Sie uns auf einem R<strong>und</strong>gang.<br />

Von Maria Kargl<br />

114 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


HEUTE FÜR MORGEN HANDELN | THEMEN<br />

Foto: © Robert Bauernhansl, Ars Electronica<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

115


THEMEN | HEUTE FÜR MORGEN HANDELN<br />

Interaktive Stationen, Forschungsprojekte, Labore. Im <strong>neue</strong>n Ars<br />

Electonica Center erforschen die Besucher hautnah mit Wissenschaftlern<br />

<strong>neue</strong> Zukunftsfelder.<br />

Mit dem „Unicorn Brain Interface“ lassen sich Haushaltsgeräte, Prothesen<br />

oder Roboter mit den Gedanken steuern oder Wörter sowie<br />

ganze Sätze am Computer „schreiben“.<br />

„Wir haben sämtliche Ausstellungen neu gestaltet, begrüßt uns<br />

Gerfried Stocker, Künstlerischer Leiter der Ars Electronica <strong>und</strong><br />

erklärt stolz: „Eine ganze Etage wurde zum Labor umgebaut.“<br />

Das <strong>neue</strong> Ars Electronica Center bietet eine Fülle interaktiver<br />

Szenarien, künstlerische Werke, wissenschaftliche Forschungsprojekte,<br />

Info-Stationen, Werkstätten <strong>und</strong> Labore, die sich<br />

allesamt um aktuelle Entwicklungen in den Bereichen Künstliche<br />

Intelligenz, Neurowissenschaften, Neurobionik, Robotik,<br />

Prothetik, autonome Mobilität sowie Gen- <strong>und</strong> Biotechnologie<br />

drehen. Besonders begeistert hat uns eine Technologie: Künstliche<br />

Intelligenz. „KI stößt gerade eine Revolution an, deren<br />

Bedeutung für unser Leben gar nicht überschätzt werden<br />

kann“, erklärt uns Gerfried Stocker. Es ist also höchst an der<br />

Zeit, sich mit diesem nächsten Game Changer zu befassen.<br />

Fokus auf Künstliche Intelligenz<br />

In der Ausstellung „Understanding KI“ sehen wir, wie neuronale<br />

Netze aufgebaut sind, im <strong>neue</strong>n „Machine Learning<br />

Studio“ kann jede <strong>und</strong> jeder mit konkreten Anwendungen<br />

von KI experimentieren. Die Ausstellung „Global Shift“ zeigt,<br />

welche Rolle neuronale Netze bei der wissenschaftlichen<br />

Erforschung unseres Planeten spielen <strong>und</strong> wie sie dazu beitragen,<br />

Herausforderungen wie etwa dem Klimawandel zu<br />

begegnen. Der Besuch des <strong>neue</strong>n Ars Electronica Centers soll<br />

allen eine gr<strong>und</strong>sätzliche Vorstellung davon vermitteln, was<br />

KI ist <strong>und</strong> wozu ihre Anwendungen fähig sind.<br />

Compass – Navigating the Future<br />

Seit jeher ist die Geschichte des Menschen untrennbar mit<br />

Technologie verb<strong>und</strong>en. Doch heute haben wir eine Welt<br />

kreiert, die aus realen <strong>und</strong> virtuellen Räumen besteht, die<br />

nahtlos ineinander übergehen <strong>und</strong> sich permanent überlagern:<br />

Wir teilen immer weitere Teile dieser Welt mit immer<br />

intelligenteren künstlichen Systemen. Bild mit Bildschirmen<br />

Enormen Schub erhielt diese Entwicklung jüngst von neuronalen<br />

Netzen, die eine Revolution in den Computerwissenschaften<br />

ausgelöst haben: Software wird nicht länger von<br />

Menschen programmiert, sondern modelliert sich selbst aus<br />

Daten. Gerade weil Technologie damit noch leistungsfähiger<br />

<strong>und</strong> mächtiger wird, sind wir Menschen in Zukunft nicht weniger,<br />

sondern mehr gefordert, die Gestaltung unserer Zukunft<br />

aktiv in die Hand zu nehmen <strong>und</strong> somit zu beeinflussen, ob die<br />

<strong>neue</strong>n Technologien Ursache unserer Probleme oder Teil ihrer<br />

Lösung sind. Um möglichst weit nach vorn zu blicken, braucht<br />

es ein Fernrohr. Um aber entscheiden zu können, in welche<br />

Richtung man navigieren will, braucht es einen Kompass.<br />

Die Ars Electronica Labs<br />

Ein Labor ist ein Knotenpunkt von Kreativität, Technik, Gesellschaft<br />

<strong>und</strong> Wissenschaft. Unabdingbar dabei ist die Zusammenarbeit<br />

über die Grenzen von Disziplinen <strong>und</strong> Branchen<br />

hinweg – Forschung lebt schon immer vom Austausch. Genau<br />

das erfahren wir in den Ars Electronica Labs, von denen jedes<br />

für sich ein Erlebnis ist.<br />

Im Bio Lab<br />

Mit modernen Technologien greifen wir immer öfter <strong>und</strong><br />

immer tiefer direkt in die Entstehung <strong>und</strong> Gestaltung des<br />

Lebens ein. Dies birgt nicht nur enorme Chancen, es wirft<br />

auch immer öfter zutiefst ethische Fragen auf.<br />

Das Bio Lab eröffnet uns die Möglichkeit, <strong>neue</strong>ste Bio- <strong>und</strong><br />

Gentechnologien hautnah selbst zu erforschen.<br />

Im Material Lab<br />

Weiter führt uns unser R<strong>und</strong>gang ins Material Lab: Innovative<br />

Materialien sind Treiber nachhaltiger Produkte, sie erhöhen<br />

Wirkungsgrade, steigern Effizienz, befördern damit Wettbewerbsfähigkeit<br />

wie ökologische <strong>Nachhaltig</strong>keit <strong>und</strong> helfen<br />

den Klimawandel, zunehmende Ressourcenknappheit <strong>und</strong><br />

schlechte Arbeitsbedingungen zu bekämpfen.<br />

Fotos v.l.n.r.: © Robert Bauernhansl, Ars Electronica | © vog.photo<br />

116 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


HEUTE FÜR MORGEN HANDELN | THEMEN<br />

Noch sind die künstlichen neuronalen Netzwerke dem menschlichen Gehirn unterlegen, doch Forscher arbeiten stetig an immer komplexeren<br />

Systemen. Bald wird künstliche Intelligenz unser Leben bereichern – oder bestimmen...<br />

Foto: © vog.photo<br />

Im Second Body Lab<br />

Seit jeher entwickeln wir Menschen Technologien, die uns<br />

stärker, schneller <strong>und</strong> gesünder machen <strong>und</strong> unser Leben<br />

einfacher, leichter <strong>und</strong> lebenswerter gestalten. Lange Zeit<br />

beschränkte sich dies auf bloße Werkzeuge, in jüngster Vergangenheit<br />

dringt Technologie zunehmend in unsere Körper<br />

ein. Beispiele dieser <strong>neue</strong>n Schnittstellen zwischen Mensch<br />

<strong>und</strong> Maschine zeigt das Second Body Lab des <strong>neue</strong>n Ars<br />

Electronica Center.<br />

Im Citizen Lab<br />

Bei unserem R<strong>und</strong>gang durch das Ars Electronica Center hat<br />

uns besonderes das Citizen Lab begeistert: Viele aktuelle soziale,<br />

ökologische, ökonomische <strong>und</strong> politische Verwerfungen<br />

sind dem rasanten technologischen Fortschritt geschuldet.<br />

Tagtäglich lesen wir von mannigfaltigen Herausforderungen,<br />

denen wir uns stellen müssen, wollen wir eine lebenswerte<br />

Zukunft sicherstellen. Das „CitizenLab“ des <strong>neue</strong>n Ars Electronica<br />

Centers zeigt, wie jede <strong>und</strong> jeder einzelne von uns<br />

unsere Welt aktiv mitgestalten kann.<br />

Auch „Bellingcat” steht für Verantwortung, Engagement <strong>und</strong><br />

Vernetzung. Die Online-Plattform bündelt Recherchen von<br />

Graswurzel-Journalisten (Citizen-Journalists), die kriminelle<br />

Machenschaften dokumentieren. Neben der Publikation <strong>und</strong><br />

Verbreitung von Artikeln <strong>und</strong> Reportagen, bietet „Bellingcat”<br />

Anleitungen <strong>und</strong> Guides für all jene, die ebenfalls als Graswurzel-Journalisten<br />

aktiv werden <strong>und</strong> helfen wollen, Fakten <strong>und</strong><br />

Beweise zu sichern, die für die gerichtliche Aufarbeitung von<br />

organisierter Kriminalität oder Kriegsverbrechen relevant sind.<br />

Understanding Artificial Intelligence – Künstliche Intelligenz<br />

verstehen<br />

Künstliche Intelligenz (KI) ist in aller M<strong>und</strong>e. Ob selbstfahrende<br />

Autos, der News-Feed von Facebook, Sprachassistenten<br />

wie Siri, Cortana, Alexa oder Assistant, die FaceID der<br />

<strong>neue</strong>sten iPhone-Generation oder Diagnoseverfahren in<br />

der Medizin – hinter all diesen Dingen stecken schon heute<br />

Anwendungen von KI. Mit der Ausstellung „Understanding<br />

Artificial Intelligence“ zeigt das <strong>neue</strong> Ars Electronica Center<br />

wie diese Systeme funktionieren.<br />

Gleich eingangs werden wir von einem großen „Auge“ erfasst<br />

<strong>und</strong> fotografiert. Ein „Generative Adversarial Network“ – kurz<br />

GAN – kreiert aus diesen Aufnahmen Portraits, die wenige<br />

Meter weiter auf Screens zu sehen sind. Es sind „Fake Faces“,<br />

künstliche Gesichter, die aus Tausenden unterschiedlichen<br />

Bildern erzeugt werden <strong>und</strong> vollkommen echt wirken.<br />

Wie können diese Systeme Objekte wie Gesichter eigentlich<br />

erkennen oder sogar selbst welche erzeugen? Genau wie<br />

unser Gehirn müssen auch künstliche neuronale Netze erst<br />

einmal mitbekommen, was um sie herum überhaupt vor sich<br />

geht. Die <strong>neue</strong> Ars Electronica zeigt, wie das Zusammenspiel<br />

von Wahrnehmung <strong>und</strong> Gehirn bei uns Menschen funktioniert<br />

– <strong>und</strong> wie wir dies bei Maschinen mittels Sensoren<br />

nachempfinden.<br />

Wie das funktioniert, sehen wir im Ars Electronica Futurelab.<br />

Hier können wir neuronale Netze beim Lernen <strong>und</strong> „Denken“<br />

erleben: Muss sich eine Maus vor einem Elefanten fürchten?<br />

Vor einer Forelle? Einer Katze? Indem wir diese Fragen beantworten,<br />

trainieren wir ein künstliches neuronales Netz.<br />

Jede unsrer Antworten liefert dem System einen weiteren<br />

Hinweis darauf, welcher Kombination aus Eigengewicht,<br />

Größe, Schnelligkeit, Krallen <strong>und</strong> Zähnen eine Maus tunlichst<br />

aus dem Weg gehen sollte.<br />

Die Neurobionik<br />

Auch wenn künstliche neuronale Netze nicht wie das menschliche<br />

Gehirn funktionieren, sind viele ihrer Spielarten, etwa<br />

des aktuell so erfolgreiche „Machine Learning“ vage der<br />

menschlichen Physiologie entlehnt. Ein noch relativ junger<br />

Ansatz der KI-Forschung geht einen Schritt weiter: Bio-<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

117


THEMEN | HEUTE FÜR MORGEN HANDELN<br />

118 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


HEUTE FÜR MORGEN HANDELN | THEMEN<br />

Fotos: o.l.: © vog.photos | o.r.: © Robert Bauernhansl, Ars Electronica | Mitte: © Martin Hieselmair, Ars Electronica | unten: © Robert Bauernhansl, Ars Electronica | Kasten rechts: © OMAi<br />

logische Nervensysteme werden digital nachgebildet <strong>und</strong><br />

anschließend auf Roboter übertragen.<br />

Wenngleich dieser Ansatz der nächste Schritt hin zu noch<br />

schneller lernenden, noch intelligenteren KI-Systemen sein<br />

könnte, heißt das nicht, dass eine „starke“ KI deshalb näher<br />

rückt. Die Leistungsfähigkeit <strong>und</strong> Vielseitigkeit des menschlichen<br />

Gehirns sind unerreicht. Ganze 650 Millionen Jahre<br />

hat die Evolution gebraucht, um seine einzigartige Komplexität<br />

auszuformen. Eine Komplexität, die sich aus r<strong>und</strong> 86<br />

Milliarden Neuronen speist, die r<strong>und</strong> 100 Billionen Synapsen<br />

bilden – <strong>und</strong> von uns noch weitgehend unverstanden ist.<br />

Im Machine Learning Studio<br />

„Machine Learning“ ist die derzeit populärste Anwendung<br />

von KI. Es handelt sich dabei um neuronale Netze, die sich<br />

selbständig Wissen aneignen <strong>und</strong> dieses Wissen verallgemeinern<br />

können. Es werden Muster <strong>und</strong> Gesetzmäßigkeiten<br />

in Datenmengen erkannt <strong>und</strong> diese Erkenntnisse dann auf<br />

andere, <strong>neue</strong> Daten angewandt. Anwendbar in Spam-Filtern,<br />

Sprach- <strong>und</strong> Texterkennung, Suchfunktionen, automatischen<br />

Empfehlungsdiensten sowie Bild- <strong>und</strong> Gesichtserkennung.<br />

Im „Machine Learning Studio“ des <strong>neue</strong>n Ars Electronica<br />

Centers können wir mit selbstfahrenden Autos oder automatisierten<br />

Robotern experimentieren <strong>und</strong> ihre Funktionsweisen<br />

kennenlernen.<br />

KI <strong>und</strong> Kreativität<br />

Ob todtraurig oder himmelhoch jauchzend, anmutig oder<br />

unbeholfen – wir Menschen können einer schlichten Holzfigur<br />

unglaubliche Magie <strong>und</strong> einmaligen Ausdruck verleihen.<br />

Doch können das auch Maschinen? Und: Wer ist dann die<br />

Künstlerin oder der Künstler? Die Maschine oder die Programmiererinnen<br />

<strong>und</strong> Programmierer? Und wer hält die<br />

Urheberrechte an ihren Werken?<br />

In der Ausstellung „Pinocchio“ sehen wir, dass KI-Anwendungen<br />

heute nicht mehr nur Produktionsanlagen optimieren<br />

oder Autos steuern. Sie drängen zunehmend auf ein Feld,<br />

das bislang uns Menschen vorbehalten war: die Kunst. Dabei<br />

stellt sich uns die Frage: Ist dieser Prozess, der aus einem<br />

Input einen Output erstellt ein kreativer Akt oder bloß eine<br />

zwangsläufige Interpretation?<br />

Oben links: Menschen können eine schlichte Holzfigur zum Leben<br />

erwecken. Doch können das auch Maschinen? Was, wenn zur Abwechslung<br />

moderne Industrieroboter die Strippen ziehen <strong>und</strong> einer<br />

Marionette Leben einhauchen?<br />

Oben rechts: Ein maßgeschneideter künstlicher Finger gliedert sich<br />

perfekt an die restliche Hand an. The „Alternative Limb Project“<br />

betrachtet Prothesen als Erweiterung nicht nur des Körpers, sonder<br />

auch der Persönlichkeit.<br />

Mitte: Unser Leben spielt sich immer mehr in digitalen Räumen ab.<br />

Mit der Virtual Reality Technologie lassen sich die <strong>neue</strong>n Realitäten<br />

interaktiv <strong>und</strong> mit allen Sinnen erleben.<br />

Unten: Der „Deep Space 8K“ zeigt, dass Technik <strong>und</strong> Kunst zusammengehören.<br />

Mit riesigen Wand- <strong>und</strong> Bodenprojektionen schicken<br />

Künstler die Besucher auf eine audiovisuelle Reise in 3D.<br />

KI <strong>und</strong> Vorurteile<br />

Stichwort Interpretation: Können KI-Systeme frei von jeglichen<br />

Vorurteilen sein <strong>und</strong> faire Entscheidungen treffen?<br />

„Machine Learning“ vollbringt heute beeindruckende Leistungen.<br />

Unfehlbar ist es aber nicht. Die Fehlerquote dieser<br />

Systeme hängt maßgeblich von der Quantität <strong>und</strong> Qualität<br />

jener Daten ab, mit denen sie trainiert werden <strong>und</strong> somit<br />

von uns Menschen, welche häufig Fehler machen. In „imageNet<br />

fails“ erfahren wir, dass ein solcher Fehler auch bloß<br />

darin bestehen kann, dass Daten Merkmale enthalten, die<br />

uns Menschen gar nicht auffallen, einem KI-System aber<br />

sehr wohl. Schlimmer ist ohne Zweifel, wenn Datensätze<br />

unsere Vorurteile widerspiegeln – in dem Fall wird nämlich<br />

auch ein künstliches neuronales Netz zu diskriminierenden<br />

Ergebnissen kommen.<br />

Global Shift – Leben im Anthropozän<br />

Wenn es die Erde seit 24 St<strong>und</strong>en gäbe, wäre der Homo Sapiens<br />

vor gerade einmal 3,6 Sek<strong>und</strong>en aufgetaucht. Seit 0,2<br />

Das Ars Electronica Festival <strong>2019</strong><br />

Out of the Box – Die Midlife-Crisis der digitalen Revolution<br />

Schon seit 1979 bietet das Festival eine einzigartige Plattform für<br />

Medienkunst, digitale Musik, Kreativität <strong>und</strong> Innovationen. Es ist<br />

global das größte seiner Art <strong>und</strong> zieht jährlich zehntausende Besucher<br />

an.<br />

Zum 40. Geburtstag breitet sich für die Besucher vom 05.- 09. September<br />

<strong>2019</strong> im österreichischen Linz eine Spielwiese für internationale<br />

KünstlerInnen <strong>und</strong> WissenschaftlerInnen, IngenieurInnen,<br />

DesignerInnen, TechnologInnen, Entrepreneurs <strong>und</strong> <strong>Social</strong> Activists<br />

aus der ganzen Welt aus.<br />

Unter dem Motto „Out of the Box – die Midlife-Crisis der Digitalen<br />

Revolution“ begibt sich das Festival auf eine Expedition zur<br />

ku?nstlerisch-wissenschaftlichen Vermessung unserer modernen<br />

techno-o?konomisch gepra?gten Welt, fragt nach unseren Zukunftsperspektiven<br />

<strong>und</strong> Handlungsoptionen.<br />

Neben zahlreichen Veranstaltungsorten, die sich quer durch die<br />

Stadt ziehen, wird wieder die POSTCITY, das ehemalige Post- <strong>und</strong><br />

Paketverteilerzentrum am Linzer Hauptbahnhof Festival-Hotspot<br />

sein.<br />

Der Festivalpass für alle 5 Tage kostet 147Euro (Ermäßigt: 99 Euro<br />

für Jugendliche unter 19 Jahren: 18 Euro). Tagestickets ab 31 Euro<br />

können online oder direkt vor Ort gekauft werden<br />

Informationen <strong>und</strong> Festival-Programm: www.ars.electronica.art<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

119


Das <strong>neue</strong> Kinderforschungslabor begeistert junge <strong>und</strong> junggebliebene Besucher für die Zukunft. Mittels KI kann jeder Musik komponieren<br />

oder Lego-Steine zu virtuellem Leben erwecken. Bleibt hier die „wirkliche“ Kunst auf der Strecke?<br />

Sek<strong>und</strong>en würden wir Ackerbau <strong>und</strong> Viehzucht betreiben,<br />

das Industriezeitalter hätte vor 0,002 Sek<strong>und</strong>en begonnen.<br />

Zweitausendstel Sek<strong>und</strong>en, die uns gereicht haben, zum<br />

bestimmenden Faktor auf diesem Planeten zu werden. Als<br />

das Zeitalter des Menschen, das „Anthropozän“, wird dieses<br />

jüngste Kapitel der Erdgeschichte deshalb bezeichnet. Unter<br />

dem Motto „Global Shift“ wirft das <strong>neue</strong> Ars Electronica<br />

Center einen Blick auf unsere aktuelle Lebensrealität.<br />

Diese Realität spiel sich zunehmend in digitalen Räumen ab.<br />

Weil wir die Gestaltung dieser digitalen Räume <strong>und</strong> Infrastrukturen<br />

bislang fast ausschließlich Technologiekonzernen<br />

überlassen haben, sind wir ziemlich im Verzug, was Spielregeln<br />

<strong>und</strong> Verantwortlichkeiten angeht. Eine Folge davon ist, dass<br />

wir Services im Netz nur dann nutzen können, wenn wir vorher<br />

der Übermittlung all unserer Daten zustimmen.<br />

Im W-LAN des <strong>neue</strong>n Ars Electronica Centers werden sämtliche<br />

Server der Amazon Web Services (AWS) blockiert. Wir versuchen<br />

vergeblich, Apps auf unserem Smartphone zu nutzen.<br />

Uns wird klar, wie viele davon auf AWS basieren <strong>und</strong> welche<br />

Dominanz heute einige wenige Technologieriesen innehaben.<br />

Aber auch abseits der rein digitalen Welt beeinflusst Technologie<br />

unser Leben maßgeblich. Sie ist hauptverantwortlich dafür,<br />

dass wir heute besser, gesünder <strong>und</strong> länger leben als jede<br />

Generation vor uns <strong>und</strong> dass wir immer besser Bescheid wissen<br />

über uns selbst, unseren Planeten – <strong>und</strong> darüber hinaus.<br />

Unser letzter permanent besetzter Außenposten kreist aktuell<br />

in r<strong>und</strong> 400 Kilometern Höhe um die Erde <strong>und</strong> mit ihm mehr<br />

als 6.000 Tonnen Schrott <strong>und</strong> <strong>Müll</strong>, was zunehmend für Probleme<br />

sorgt. Denn knapp die Hälfte dieses Schrotts befindet<br />

sich im erdnahen Orbit, also dort, wo auch unsere Satelliten<br />

unterwegs sind. Mit „Orbits“ (Quadrature) zeigt das <strong>neue</strong> Ars<br />

Electronica Center ein künstlerisches Projekt, das die Flugbahnen<br />

von 17.000 Objekten zu ästhetischen Mustern formt.<br />

Stichwort Erdbeobachtung: Mittels Satelliten können wir uns<br />

r<strong>und</strong> um die Uhr ein Bild davon machen, was auf der Erdoberfläche,<br />

in den Meeren <strong>und</strong> in der Atmosphäre abläuft.<br />

Um die dabei gewonnenen Daten auszuwerten, kommen<br />

wiederum KI-Systeme zum Einsatz. Die dadurch gewonnenen<br />

Erkenntnisse zeigen immer deutlicher, dass der technologische<br />

Fortschritt <strong>und</strong> das permanente Wachstum unserer<br />

Wirtschaft ihren Preis haben.<br />

Mit „Global Shift“ zeigt das <strong>neue</strong> Ars Electronica Center, wie<br />

stark wir unsere Welt nach unseren Wünschen gestalten,<br />

aber auch welche Probleme dadurch entstehen. Es liegt an<br />

uns, zu bestimmen, welche Richtung wir künftig einschlagen<br />

wollen, wie wir Wirtschaftswachstum bewerten, welche<br />

Bedeutung wir der irdischen Biodiversität beimessen <strong>und</strong><br />

welche Rolle wir unserer Technologie zuschreiben.<br />

Kinderforschungslabor, Mirages & miracles, AI x Music<br />

Im <strong>neue</strong>n Kinderforschungslabor können junge <strong>und</strong> neugierige<br />

Besucherinnen <strong>und</strong> Besucher Technologien wie Künstliche<br />

Intelligenz spielerisch ausprobieren. Die Ausstellung ‚Mirages<br />

& miracles‘ inszeniert Augmented Reality auf fantasievolle<br />

Weise <strong>und</strong> die Schau ‚AI x Music‘ zeugt davon, dass Kreativität<br />

seit jeher vor allem auch in der Musik zum Ausdruck<br />

kommt. Auch im Versuch, Musik mit Automaten künstlich zu<br />

erzeugen. Das Ars Electronica Center bietet somit der ganzen<br />

Familie einen Ausblick in die Zukunft.<br />

www.arselectronica.at<br />

MARIA KARGL<br />

hat Modedesign mit dem Schwerpunkt „ökologische <strong>und</strong> soziale Verantwortung<br />

in der globalen Lieferkette“ in München studiert. Zurzeit<br />

setzt sie sich mit dem Thema <strong>Nachhaltig</strong>keit im interdisziplinären<br />

Studiengang „Umweltethik“ an der Universität Augsburg auseinander<br />

<strong>und</strong> arbeitet als Werkstudentin bei <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>.<br />

Fotos v.l.n.r.: © Stephan Islermann | © David Hasselhoff<br />

120 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


B.A.U.M. INFORMIERT | SERVICE<br />

B.A.U.M. DANKT ALLEN PARTNERN<br />

DER JAHRESTAGUNG UND<br />

PREISVERLEIHUNG <strong>2019</strong><br />

Hauptpartner<br />

Co-Partner<br />

Nachrichten<br />

B.A.U.M.-Preisträgerinnen <strong>und</strong> -Preisträger <strong>2019</strong><br />

Auch <strong>2019</strong> zeichnet B.A.U.M. wieder <strong>Nachhaltig</strong>keitsengagierte<br />

mit seinen begehrten Preisen aus.<br />

Internationaler B.A.U.M.-Sonderpreis<br />

• Prof. Dr. Horst Köhler, B<strong>und</strong>espräsident a. D.<br />

• Ole Scheeren, Büro Ole Scheeren<br />

B.A.U.M. | Umwelt- <strong>und</strong> <strong>Nachhaltig</strong>keitspreis<br />

Kategorie Großunternehmen<br />

• Thomas Fuhr, Grohe AG<br />

Kategorie Kleine <strong>und</strong> mittelständische Unternehmen<br />

• Anne-Kathrin Laufmann, SV Werder Bremen GmbH & Co. KGaA<br />

• Dr. Philip Lettmann, Wala Heilmittel GmbH<br />

• Barbara Scheitz, Andechser Molkerei Scheitz GmbH<br />

Kategorie Medien<br />

• Christiane Grefe, DIE ZEIT<br />

Kategorie Wissenschaft<br />

• Prof. Dr. Natalie Eßig, Hochschule München<br />

Kategorie Digitalisierung<br />

• Christian Kroll, Ecosia GmbH<br />

Sachsponsoren<br />

Veranstaltungsvorschau<br />

Einführung in das Design Thinking<br />

26./27.11.<strong>2019</strong>, Nordakademie Graduate School, Hamburg<br />

Zur Unterstützung von Innovation, Digitalisierung <strong>und</strong> <strong>Nachhaltig</strong>keit<br />

in Unternehmen bieten B.A.U.M. <strong>und</strong> das B.A.U.M.-<br />

Mitglied Protellus einen Workshop zur Einführung in das Design<br />

Thinking an. Teilnehmende erhalten ein Teilnahme-Zertifikat.<br />

Besuchen Sie uns auch im Internet! Unter www.baumev.de<br />

finden Sie aktuelle Nachrichten <strong>und</strong> Veranstaltungshinweise.<br />

Partner im Netzwerk<br />

Die Veranstaltung ist klimaneutral durch<br />

Als <strong>neue</strong> Mitglieder des Förderkreises von<br />

B.A.U.M. e. V.* begrüßen wir:<br />

alkaWell WaterCompany GmbH, Hamburg |<br />

Franke Vermögensberatungs GmbH, Emmerthal | HELMA Eigenheimbau<br />

AG, Lehrte | HELMA Ferienimmobilien GmbH, Lehrte |<br />

HELMA Wohnungsbau GmbH, Lehrte | IFAW Internationaler<br />

Tierschutz-Fonds gGmbH, Hamburg | lion energy GmbH & Co.<br />

KG, Brilon | Pickawood GmbH, Hamburg | Privacy Solutions<br />

GmbH, Hannover | R-Biopharm AG, Darmstadt | Roschker Consulting.<br />

Sustainability & Communication, Kronberg | Scholz &<br />

Volkmer GmbH, Wiesbaden | s-coll Service GmbH, Hilpoltstein |<br />

SDG media GmbH, Dortm<strong>und</strong> | VERSO GmbH, München | Working<br />

Light LED Lichtsysteme GmbH, Hamburg<br />

* Stand zum Redaktionsschluss am 15.7.<strong>2019</strong><br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

121


SERVICE | AWARDS UND PREISTRÄGER<br />

AND THE WINNER IS…<br />

Eine wahre Flut von Preisen <strong>und</strong> Auszeichnungen zeigt: Immer mehr Menschen <strong>und</strong> Organisationen engagieren sich für eine<br />

nachhaltige Wirtschaft <strong>und</strong> Gesellschaft <strong>und</strong> wir bieten ihnen dafür eine Plattform. Ob Preisträger, Nominierte oder Awardveranstalter<br />

– sehen Sie hier (<strong>und</strong> auf www.<strong>forum</strong>-csr.net) die Vielfalt des Engagements. Lassen Sie sich inspirieren <strong>und</strong> vergessen<br />

Sie nicht, sich zu bewerben! Wenn auch Sie sich <strong>und</strong> Ihren Einsatz bei uns präsentieren wollen, senden Sie einfach eine Mail an<br />

Dorothee Wimmer (d.wimmer@<strong>forum</strong>-csr.net).<br />

Ausgezeichnete CSR-Kommunikation<br />

KYOCERA NATOUR-GUIDE – German Brand Award<br />

KYOCERA Document Solutions ist für seinen NATOUR-GUIDE mit dem German Brand<br />

Award in Gold ausgezeichnet worden. Der KYOCERA NATOUR-GUIDE wurde zusammen<br />

mit der Deutschen Umwelthilfe herausgegeben <strong>und</strong> stellt das gemeinsame Engagement<br />

im Rahmen des Projekts Lebendige Flüsse vor. 15 Wanderstrecken dokumentieren die<br />

deutschlandweiten Projekt-Ergebnisse. Die einzelnen Strecken wurden nicht nur in einer<br />

Print-Publikation veröffentlicht, sondern auch digital verlängert: So sind alle Strecken<br />

über die Wanderapp komoot sowie die Website www.natourguide.kyocera.de verfügbar.<br />

Zugleich nutzte KYOCERA den Wanderführer als Aufhänger für Partner- <strong>und</strong> PR-Events<br />

sowie für <strong>Social</strong>-Media-Kampagnen.<br />

www.kyoceradocumentsolutions.de | www.german-brand-award.com<br />

Biodiversität stärken mit Lasuren <strong>und</strong> Holzölen<br />

DAW SE – DGNB Sustainability Challenge <strong>2019</strong><br />

Die DAW SE, Finalist des Deutschen <strong>Nachhaltig</strong>keitspreis 2018 <strong>und</strong> bekannt durch<br />

die Marken Caparol <strong>und</strong> Alpina, baut konsequent auf Innovation <strong>und</strong> <strong>Nachhaltig</strong>keit.<br />

Für seine auf der Leindotterpflanze basierenden Lasuren <strong>und</strong> Holzöle wurde<br />

das Unternehmen von der Gesellschaft für <strong>Nachhaltig</strong>es Bauen ausgezeichnet.<br />

Der Anbau des Leindotters erfolgt im Mischfruchtanbau <strong>und</strong> liefert einen wertvollen<br />

Beitrag zur Biodiversität <strong>und</strong> Stärkung des Ökosystems. Die Lasuren <strong>und</strong><br />

Holzöle ermöglichen durch ihre pflegenden Eigenschaften einen nachhaltigen<br />

Einsatz des Rohstoffs Holz. Somit bietet das Leindotterprojekt über die gesamte<br />

Wertschöpfungskette hinweg einen positiven Beitrag für das Bauen der Zukunft.<br />

www.daw.de | www.dgnb.de<br />

Umweltfre<strong>und</strong>liche Mappen & Produktverpackungen<br />

werbegrün – PSI Sustainability Awards<br />

Das Berliner Unternehmen werbegrün produziert umweltfre<strong>und</strong>liche Verpackungsprodukte <strong>und</strong><br />

wurde dafür bei den vierten PSI Sustainability Awards in der Kategorie „Sustainable Product<br />

– Product Line“ ausgezeichnet. werbegrün setzt sich seit der Gründung ehrgeizige<br />

Ziele. Die in Berlin gefertigten Produkte sind langlebig <strong>und</strong> sollen weder bei der Herstellung<br />

noch bei der Entsorgung unsere Umwelt beeinträchtigen. Dabei wird ganzheitlich <strong>und</strong><br />

nachhaltig mit sozialer Umsicht gehandelt. Mit modernsten Produktionstechnologien <strong>und</strong><br />

traditionellem Handwerk werden individuelle Produktverpackungen, wie Faltschachteln<br />

<strong>und</strong> Werbematerialien, wie Präsentationsmappen, gefertigt. Werbegrün-Inhaber Oliver<br />

Hampe nahm die Auszeichnung entgegen.<br />

www.werbegruen.de | www.psi-awards.de<br />

Fotos: © KYOCERA Document Solutions Deutschland GmbH | © DGNB | © Behrendt <strong>und</strong> Rausch<br />

122 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


AWARDS UND PREISTRÄGER | SERVICE<br />

Projekte <strong>und</strong> Initiativen für eine nachhaltige Welt<br />

ÖGUT-Umweltpreis <strong>2019</strong><br />

In Österreich werden Lösungen für die Stadt der Zukunft <strong>und</strong> die nachhaltige Kommune, gute<br />

Beispiele gelebter BürgerInnenbeteiligung, ressourceneffiziente Betriebe <strong>und</strong> Frauen mit Karriere<br />

im Bereich der Umwelttechnik gesucht. Die 33. Ausschreibung zum ÖGUT-Umweltpreis ist bis zum<br />

30. September geöffnet. PreisträgerInnen dürfen sich Chancen auf insgesamt 22.000 Euro Preisgeld<br />

ausrechnen. Zur Verfügung stellen das Preisgeld das B<strong>und</strong>esministerium für <strong>Nachhaltig</strong>keit <strong>und</strong><br />

Tourismus (BMNT), das B<strong>und</strong>esministerium für Verkehr, Innovation <strong>und</strong> Technologie (BMVIT),<br />

der Österreichische Städteb<strong>und</strong> <strong>und</strong> Coca Cola. Damit soll nicht nur die breite öffentliche Anerkennung<br />

<strong>und</strong> Vorbildwirkung der ausgezeichneten Projekte gefördert werden, sondern durch<br />

den finanziellen Bonus auch ganz konkret die Umsetzung von Ideen <strong>und</strong> Projekten.<br />

www.oegut.at<br />

Akteure <strong>und</strong> Ideen mit Vorbildfunktion<br />

Deutscher <strong>Nachhaltig</strong>keitspreis<br />

Der Deutsche <strong>Nachhaltig</strong>keitspreis ist die nationale Auszeichnung für Spitzenleistungen der<br />

<strong>Nachhaltig</strong>keit in Wirtschaft, Kommunen <strong>und</strong> Forschung. Mit fünf Wettbewerben (darunter<br />

der Next Economy Award für „grüne Gründer“), über 800 Bewerbern <strong>und</strong> 2.000 Gästen zu<br />

den Veranstaltungen ist der Preis der größte seiner Art in Europa. Die Auszeichnung wird<br />

vergeben von der Stiftung Deutscher <strong>Nachhaltig</strong>keitspreis e.V. in Zusammenarbeit mit der<br />

B<strong>und</strong>esregierung, kommunalen Spitzenverbänden, Wirtschaftsvereinigungen, zivilgesellschaftlichen<br />

Organisationen <strong>und</strong> Forschungseinrichtungen. Rahmen für die Verleihung ist<br />

der Deutsche <strong>Nachhaltig</strong>keitstag in Düsseldorf, die meistbesuchte jährliche Kommunikationsplattform<br />

zu den Themen nachhaltiger Entwicklung.<br />

www.nachhaltigkeitspreis.de<br />

Reisen fernab des Massentourismus<br />

Fairaway Travel GmbH – nominiert für den Deutschen <strong>Nachhaltig</strong>keitspreis (in der Kategorie KMU)<br />

Als einziger Reiseveranstalter ist die auf Fernreisen spezialisierte Online-Plattform Fairaway für den<br />

Deutschen <strong>Nachhaltig</strong>keitspreis nominiert. Das Konzept: Reiseexperten im jeweiligen Land erstellen<br />

für K<strong>und</strong>en maßgeschneiderte (R<strong>und</strong>-)Reisen fernab der Massen. Durch die Zusammenarbeit mit<br />

lokalen Dienstleistern <strong>und</strong> Familienpensionen entstehen <strong>neue</strong> Arbeitsplätze für die Bevölkerung vor<br />

Ort. Die Lebenssituation der Menschen in den Destinationen wird durch faire Bezahlung <strong>und</strong> angemessene Arbeitsbedingungen<br />

verbessert. Alle bei Fernreisen unvermeidlich anfallenden CO 2<br />

-Emissionen werden vollständig kompensiert – auch<br />

die der Flüge, die nicht bei Fairaway gebucht werden. 2020 möchte Fairaway seine Reisen plastikfrei anbieten.<br />

www.fairaway.de| www.nachhaltigkeitspreis.de<br />

Umweltfre<strong>und</strong>liche <strong>und</strong> nachhaltige Drucksachen<br />

Fotos: © Frank Fendler<br />

Print Pool – nominiert für den B<strong>und</strong>espreis Ecodesign<br />

Der B<strong>und</strong>espreis Ecodesign ist die höchste staatliche Auszeichnung für die umweltfre<strong>und</strong>liche Produktion<br />

von Drucksachen. „Es ist ja schon fast Pflicht, dass wir an dem Wettbewerb teilnehmen – die<br />

ökologische Qualität <strong>und</strong> ein verantwortungsvoller Umgang mit Ressourcen bei Drucksachen sind<br />

uns sehr wichtig. Täglich beraten wir unsere K<strong>und</strong>en <strong>und</strong> leisten wichtige Aufklärungsarbeit zur umweltverträglichen Produktion.<br />

Broschüren, <strong>Nachhaltig</strong>keitsberichte, Folder, Notizhefte <strong>und</strong> Visitenkarten, die mit Biodruck farben <strong>und</strong> Re cyclingpapier<br />

gedruckt werden, verbessern die Ökobilanz – das ist ein echter Vorteil!“, erklärt Matthias Simon, Geschäftsführer der Print<br />

Pool GmbH.<br />

www.print-pool.com | www.b<strong>und</strong>espreis-ecodesign.de<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

123


SERVICE | MEDIENTIPPS<br />

Filmtipps<br />

The Biggest Little Farm<br />

Der mehrfache Emmy-Preisträger <strong>und</strong><br />

Naturfilmer John Chester <strong>und</strong> seine<br />

Frau Molly haben einen Traum: eine<br />

<strong>neue</strong> Existenz aauf einer Farm aufzubauen<br />

<strong>und</strong> im Einklang mit der Natur<br />

zu leben. Doch rückt die Verwirklichung<br />

ihres Traumes in weite Ferne,<br />

als sie den Boden ihres Pachtlandes<br />

das erste Mal begutachten – alles Leben<br />

scheint aus dem staubtrockenen,<br />

harten Boden gewichen zu sein. Über<br />

einen Zeitraum von acht Jahren dokumentiert John Chester, wie<br />

das Leben auf dem heruntergekommenen Land erwacht <strong>und</strong><br />

sich dieses schrittweise zu einem Paradies auf Erden wandelt.<br />

Honeyland<br />

Eine Wild-Imkerin in Mazedonien<br />

betreibt ihre Bienenzucht nach dem<br />

simplen Prinzip: „Die Hälfte mir, die<br />

Hälfte den Bienen.“ Als ihr Nachbar<br />

ebenfalls mit der Bienenzucht anfängt,<br />

droht das Gleichgewicht zwischen<br />

Schutz <strong>und</strong> Nutzung zu kippen. Denn<br />

der von der Gier angetriebene Nachbar<br />

ist blind für die Gesetze der Natur<br />

<strong>und</strong> treibt damit nicht nur sein Stück<br />

Land in den Ruin. Ein ergreifender Film<br />

über den Respekt <strong>und</strong> die Wertschätzung für die Natur, welche<br />

auch den achtsamen Umgang mit Menschen einschließt.<br />

Chasing the Th<strong>und</strong>er<br />

Als die Aktivisten der Sea Shepherds<br />

das berüchtigte Schiff „Th<strong>und</strong>er“ bei<br />

der illegalen Fischerei in den abgelegenen<br />

Gewässern der Antarktis<br />

entdecken, beginnt eine spannungsgeladene<br />

Verfolgungsjagd durch<br />

drei Weltmeere. 110 Tage lang <strong>und</strong><br />

auf einer Strecke von 16.000 Kilometern<br />

versucht die Th<strong>und</strong>er den<br />

beiden Booten der Sea Shepherds<br />

mit allen Mitteln zu entkommen.<br />

Doch die 60-köpfige Crew bleibt<br />

den illegalen Fischern beharrlich auf den Fersen, damit ihnen<br />

gelingt, was die Regierungen <strong>und</strong> Interpol jahrelang vergeblich<br />

versucht haben.<br />

Ghost Fleet<br />

Nach jahrzehntelanger Überfischung<br />

sind die Fischbestände in<br />

Thailand stark dezimiert. Doch<br />

die Welt giert mehr den je nach<br />

den beliebten Meeresbewohnern.<br />

Auf der Suche nach Fisch begeben<br />

sich die thailändischen Fangflotten<br />

tausende Kilometer von den Küsten<br />

weg – <strong>und</strong> das für Monate. Auch<br />

gegen Bezahlung finden die Fischerbetriebe<br />

dafür keine Arbeiter.<br />

Täglich werden deshalb Menschen<br />

entführt, zu Zehntausenden auf die Fangflotten verschleppt <strong>und</strong><br />

als Sklaven gefangengehalten. Der Film portraitiert eine Gruppe<br />

von Aktivist*innen um die mutige Thailänderin Patima Tungpuchayakul,<br />

die ihr Leben riskieren, um die Sklaven zu befreien<br />

<strong>und</strong> ihnen ihre Menschenwürde zurückzugeben.<br />

Sharkwater Extinction<br />

Mit seinem Film Sharkwater hat<br />

der charismatische Naturfilmer<br />

<strong>und</strong> Meeresbiologe Rob Stewart<br />

unsere Sicht auf die Welt der<br />

Haie nachhaltig verändert. Das<br />

Nachfolgewerk „Sharkwater Extinction“<br />

zeigt aus verschiedenen<br />

Perspektiven, wieso Haie weiter<br />

abgeschlachtet <strong>und</strong> an den Rand<br />

des Aussterbens gebracht werden.<br />

Rob Stewart ist noch während den Dreharbeiten bei einem Tauchunfall<br />

gestorben. Der Film ist daher auch eine Hommage an<br />

den Mann, der sich unermüdlich <strong>und</strong> unerschütterlich für den<br />

Schutz dieser geheimnisvollen Meeresbewohner eingesetzt hat.<br />

Unstoppable Youth<br />

Unstoppable Youth begleitet<br />

die junge Filmemacherin Slater<br />

Jewell-Kemker auf ihrer erlebnisreichen<br />

Reise an vorderster Front<br />

der Klimajugendbewegung – mit<br />

allen Hochs <strong>und</strong> Tiefs der Klimapolitik<br />

der letzten Jahre. Der Film<br />

ist das filmische Tagebuch der<br />

jungen Aktivistin, die seit ihrem<br />

zehnten Lebensjahr Prominente<br />

<strong>und</strong> Politiker zum Thema Klimawandel<br />

<strong>und</strong> Umwelt interviewt,<br />

<strong>und</strong> macht Mut, selber für den<br />

Klimaschutz aktiv zu werden.<br />

Die Film-Tipps werden von Filme für die Erde präsentiert. www.FILMEfürdieERDE.ch ist die weltweit größte Website zu Film <strong>und</strong><br />

<strong>Nachhaltig</strong>keit, mit über 200 Filmen, die direkt online angeschaut werden können.<br />

124 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


MEDIENTIPPS | SERVICE<br />

Bücher<br />

Frank Martin Püschel<br />

Radical Change<br />

<strong>Nachhaltig</strong>, sozial <strong>und</strong> trotzdem profitabel<br />

im <strong>Business</strong><br />

Während sich Europas Jugend bei den<br />

„Fridays for Future“-Demonstrationen für<br />

Umweltschutz engagiert <strong>und</strong> die Politik<br />

viel über <strong>Nachhaltig</strong>keit <strong>und</strong> Klimaschutz<br />

debattiert, widmet sich Frank Martin<br />

Püschel in seinem Buch „Radical Change“<br />

der Frage, wie sich Unternehmen für<br />

<strong>Nachhaltig</strong>keit einsetzen <strong>und</strong> trotzdem<br />

profitabel sein können. Der Unternehmer<br />

entwickelte mit TRI-MONY ein <strong>neue</strong>s Wirtschaftskonzept, das für einen<br />

Ausgleich zwischen den Interessen sorgt. Sein bereits in der Praxis erprobtes<br />

Programm berücksichtigt monetäre, soziale <strong>und</strong> ökologische<br />

Bedürfnisse. Dafür erhielt er im Mai <strong>2019</strong> für sein Konzept von TRI-MONY<br />

bei der „More than a Market“- Gala den zweiten Platz in der Kategorie<br />

„Small Enterprises (1-500 employees in China)“.<br />

2018, 112 Seiten, ISBN: 978-3-96251-027-5, 15,00 EUR<br />

www.fazbuch.de<br />

Hanni Rützler<br />

Food Report 2020<br />

Revolution der Esskultur<br />

„Der Mensch ist, was er isst.“ Schon dem<br />

Philosophen Ludwig Feuerbach war es<br />

vor mehr als anderthalb Jahrh<strong>und</strong>erten<br />

klar, dass Essen weitaus mehr bedeutet<br />

als nur die reine Nahrungsaufnahme.<br />

Inzwischen ist der Mensch auch immer<br />

mehr das, was er aus Überzeugung nicht<br />

isst, betont Hanni Rützler. Wir können frei entscheiden, was wir essen.<br />

Und wir entscheiden zunehmend bewusster <strong>und</strong> gezielter, wann wir wo<br />

mit wem was essen. Diese Wahlfreiheit differenziert unsere Esskultur<br />

immens aus. Hierbei gibt es kein gesellschaftliches Richtig oder Falsch<br />

mehr, jeder Einzelne entscheidet über seine kulinarischen Vorlieben<br />

selbst. Hanni Rützler nimmt die Leser mit auf einen horizonterweiternden<br />

R<strong>und</strong>flug über die aktuellen Entwicklungen im Food-Bereich <strong>und</strong> eröffnet<br />

den Blick auf den Wandel unserer Esskultur.<br />

<strong>2019</strong>, 120 Seiten, ISBN 978-3-945647-60-8, 150,00 EUR<br />

www.zukunftsinstitut.de<br />

Erwin Thoma<br />

Strategien der Natur<br />

Wie die Weisheit der Bäume unser Leben<br />

stärkt<br />

Erwin Thoma stellt in seinem <strong>neue</strong>n Buch<br />

die Evolution der Bäume anschaulich <strong>und</strong><br />

umfassend dar. Er zeigt, wie sie sich aus dem<br />

Wurzelreich in den Himmel kämpfen, wie<br />

sie über die Jahre an Charakter gewinnen,<br />

welche Beziehung sie mit anderen Waldbewohnern<br />

eingehen <strong>und</strong> was Neues aus<br />

ihrem Vergehen erwächst. Darüber hinaus<br />

führt er uns vor Augen, dass gerade jetzt die Zeit der Bäume gekommen<br />

ist: Wir kommen nicht länger umhin, ihre Überlebensweisheiten <strong>und</strong><br />

ihre Heilkraft für uns zu nutzen, wollen wir die Verwerfungen des Klimawandels<br />

stoppen <strong>und</strong> die Zerstörung der Natur rückgängig machen.<br />

Ein außergewöhnliches Bäume-Buch voller faszinierender Geschichten<br />

<strong>und</strong> Mythen, voller spannender Details <strong>und</strong> Zusammenhänge. Ein leidenschaftlicher<br />

Appell an uns Menschen!<br />

<strong>2019</strong>, 224 Seiten, ISBN 13 978-3-7109-0087-7, 24,00 EUR<br />

www.beneventopublishing.com<br />

DVD-Tipp<br />

Karin de Miguel Wessendorf<br />

Die rote Linie<br />

Widerstand im Hambacher Forst<br />

Die rote Linie erzählt den Protest gegen<br />

die Vernichtung des Hambacher Forstes<br />

<strong>und</strong> den Widerstand gegen den Braunkohleabbau<br />

aus Sicht verschiedener Gruppen,<br />

die sich erst alleine, dann gemeinsam<br />

gegen den Energieriesen RWE stellen. Eine<br />

lokale David-gegen-Goliath-Geschichte<br />

unabdingbar mit den global relevanten<br />

Themen Klimawandel, Energiepolitik <strong>und</strong><br />

zivile Protestbewegung verknüpft. Der Hambacher Forst ist zu einem<br />

Symbol des Widerstandes gegen die bisherige Energiepolitik geworden.<br />

Die Auseinandersetzungen um die Räumung des Waldes im Herbst<br />

2018 haben gezeigt, wie dringend die Diskussion um einen früheren<br />

Braunkohleausstieg für viele Menschen ist.<br />

<strong>2019</strong>, 115 Minuten, DVD 18,90 EUR<br />

www.mindjazz-pictures.de<br />

WWW.SMARTCITYSOLUTIONS.EU<br />

INSPIRATION FÜR<br />

DIE STADT VON MORGEN<br />

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STUTTGART<br />

17 – 19 SEPTEMBER <strong>2019</strong><br />

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125


SERVICE | EVENTS IN DER VORSCHAU<br />

part of<br />

17. bis 19. September <strong>2019</strong>, Stuttgart<br />

SMART CITY SOLUTIONS part of<br />

INTERGEO<br />

Inspiration für die Stadt von morgen<br />

Umweltfre<strong>und</strong>lich, effizient <strong>und</strong> lebenswert<br />

soll sie sein: die Smart City. Städte,<br />

Verantwortliche <strong>und</strong> Lösungsanbieter<br />

arbeiten bei der SMART CITY SOLUTIONS<br />

an Städten der Zukunft. Schwerpunkte sind<br />

Use Cases <strong>und</strong> Technologien von Städten<br />

<strong>und</strong> Lösungsanbietern, eine Konferenz<br />

setzt Themenschwerpunkte <strong>und</strong> bietet<br />

Weiterbildungsinhalte. Die SMART CITY<br />

SOLUTIONS ist eingeb<strong>und</strong>en in die Geodäsie-Weltleitmesse<br />

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AKADEMIE<br />

19. bis 20. September <strong>2019</strong>, Bad Nauheim<br />

Deutscher Umwelt-Kongress<br />

<strong>2019</strong><br />

Das Fach<strong>forum</strong> für nachhaltigen<br />

Umwelt schutz<br />

2 Tage Wissensaustausch – 3 Fachforen – 23<br />

Fachbeiträge. Der Kongress verspricht einen<br />

spannenden Mix aus Praxis- <strong>und</strong> Fachwissen.<br />

Namhafte Experten stehen für die fachliche<br />

Expertise der Veranstaltung. Lassen Sie sich<br />

diese Pflichtveranstaltung für den betrieblichen<br />

Umweltschutz nicht entgehen.<br />

www.deutscher-umwelt-kongress.de<br />

3. bis 6. Oktober <strong>2019</strong>, Kirchzarten<br />

Kongress Wirtschaft <strong>und</strong><br />

Spiritualität<br />

Unternehmerischer Erfolg <strong>und</strong><br />

Mitmenschlichkeit<br />

Erfolgreiche <strong>und</strong> namhafte Unternehmen,<br />

Berater, Philosophen <strong>und</strong> Coaches,<br />

die eine geistige Anbindung an einen<br />

Schöpfungsgedanken haben, werden<br />

als Impulsgeber mit Ihnen in Austausch<br />

kommen. Es geht u.a. um Mitmenschlichkeit,<br />

Integrales Denken, Ökologie,<br />

Spiritualität, Vision für eine lebenswerte<br />

Erde, Unternehmensphilosophie, Arbeit<br />

<strong>und</strong> innere Erfüllung.<br />

www.freiburger-<strong>forum</strong>.com<br />

28. <strong>und</strong> 29. Oktober <strong>2019</strong>, Husum<br />

Coast & Prevention<br />

Fachkonferenz zu Klimawandel <strong>und</strong><br />

Anpassungsstrategien<br />

Internationale Fachkonferenz r<strong>und</strong> um<br />

Klimawandel, Küstenschutz, Deichbau,<br />

Hochwasser, Starkregen <strong>und</strong> Naturschutz.<br />

Hochkarätige Referenten aus Forschung,<br />

Wissenschaft, Technik <strong>und</strong> Naturschutz laden<br />

zum Wissensaustausch – mit dem Ziel,<br />

gemeinsame Lösungsmodelle für Länder<br />

<strong>und</strong> Kommunen zu erarbeiten.<br />

www.coast-prevention.de<br />

9. <strong>und</strong> 10. November <strong>2019</strong>, Berlin<br />

Heldenmarkt Berlin<br />

Die Messe für alle, die was besser machen<br />

wollen<br />

Lerne die Hersteller nachhaltiger Produktalternativen<br />

kennen <strong>und</strong> lass dich bei<br />

Diskussionen & Vorträgen, Kochshows<br />

& Verkostungen, Ausstellungen & Workshops<br />

inspirieren. Überzeuge dich selbst<br />

davon, dass ein nachhaltiger Lifestyle ohne<br />

große Mühen möglich ist, denn: Egal war<br />

gestern.<br />

www.heldenmarkt.de<br />

13. <strong>und</strong> 14. November <strong>2019</strong>, Offenburg<br />

STORENERGY congress<br />

Energiespeicher-Dialog: Kongress <strong>und</strong><br />

Fachmesse<br />

Der STORENERGY congress widmet sich<br />

den Themen Energiespeicher, Integration<br />

von er<strong>neue</strong>rbaren Energien ins Energiesystem<br />

sowie die Entwicklung der Netze.<br />

Als grenzüberschreitende Plattform im<br />

Südwesten schaffen wir ein trinationales<br />

Forum, welches sich auf die Zielmärkte<br />

Deutschland, Frankreich <strong>und</strong> Schweiz<br />

konzentriert.<br />

www.storenergy.de<br />

24. September <strong>2019</strong>, München<br />

7. Bayerischer CSR-Tag<br />

Wirtschaft für Zukunft – Höher, schneller,<br />

weiter!?<br />

Bayerns größte CSR-Netzwerkveranstaltung<br />

richtet den Blick dieses Jahr in die Zukunft<br />

<strong>und</strong> stellt die Frage nach der Bedeutung von<br />

Wirtschaft <strong>und</strong> Wirtschaftswachstum für<br />

eine nachhaltige Entwicklung. Ist das Motto<br />

„Höher, schneller, weiter“ noch zeitgemäß?<br />

Seien Sie mit dabei!<br />

www.ihk-muenchen.de/csr-tag<br />

9. November <strong>2019</strong>, Berlin<br />

Sustainable Finance<br />

Vorfahrt für grüne Finanzen & Investitionen<br />

Wie können Unternehmen ihre Finanzen<br />

nachhaltiger gestalten? Welche Möglichkeiten<br />

im Bereich Sustainable Investments<br />

gibt es? Welche Rolle spielt die Politik?<br />

Darum geht es auf der Unternehmens-<br />

Grün-Jahrestagung in Kooperation mit der<br />

Heinrich-Böll-Stiftung! Mit Keynote von<br />

Gerhard Schick.<br />

www.unternehmensgruen.org/jt-<strong>2019</strong><br />

21. <strong>und</strong> 22. November <strong>2019</strong>, Düsseldorf<br />

12. Deutscher <strong>Nachhaltig</strong>keitstag<br />

<strong>Nachhaltig</strong>keit <strong>2019</strong>: Anders denken.<br />

Neu verknüpfen. Kraftvoll umsetzen.<br />

Der Deutsche <strong>Nachhaltig</strong>keitstag ist der<br />

meistbesuchte nationale Kongress zur<br />

<strong>Nachhaltig</strong>keit. Er richtet sich an CEOs<br />

<strong>und</strong> <strong>Nachhaltig</strong>keitsexperten aus Unternehmen<br />

<strong>und</strong> Kommunalverwaltung,<br />

an VertreterInnen aus Zivilgesellschaft,<br />

Politik, Forschung <strong>und</strong> Medien.<br />

www.nachhaltigkeitstag.de<br />

126 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


EVENTS IN DER VORSCHAU | SERVICE<br />

Events Österreich<br />

02. Oktober <strong>2019</strong>, Wien<br />

Forum Automatisierte Mobilität<br />

<strong>2019</strong><br />

CASE ein automatisierter Fall für alle Fälle<br />

Die Mobilitätsbereiche Connected, Automated,<br />

Shared & Electric (CASE) liefern<br />

wesentliche Bausteine für das integrierte<br />

Mobilitätssystem. Automatisierung spielt<br />

dabei eine zentrale Rolle. Zu oft wird vergeblich<br />

an der Entwicklung von Lösungen<br />

gearbeitet <strong>und</strong> erst im Nachhinein erkannt,<br />

dass „Best-Practice-Beispiele“ bereits verfügbar<br />

gewesen wären. Umso wichtiger ist<br />

ein transparenter <strong>und</strong> objektiver Wissensaustausch.<br />

Das Forum zeigt verschiedene<br />

Bereiche auf, um die Entwicklung automatisierter<br />

Mobilität bestmöglich zu begleiten.<br />

www.austriatech.at<br />

16. <strong>und</strong> 17. Oktober <strong>2019</strong>, Innsbruck<br />

Österreichischer CSR-Tag <strong>2019</strong><br />

17 Ziele – Zahlreiche Chancen<br />

Der Kongress für nachhaltiges <strong>Wirtschaften</strong><br />

von respACT zeigt, wie Unternehmen<br />

das Innovationspotenzial der UN-<strong>Nachhaltig</strong>keitsziele<br />

wirkungsvoll ausschöpfen <strong>und</strong><br />

so ihren Beitrag zur Agenda 2<strong>03</strong>0 leisten<br />

können. ExpertInnen <strong>und</strong> Vorzeigebeispiele<br />

geben Inspiration <strong>und</strong> sorgen für<br />

Wissenstransfer.<br />

www.csrtag<strong>2019</strong>.com<br />

17. <strong>und</strong> 18. Oktober <strong>2019</strong>, Wien<br />

Symposium: Konsum Neu Denken<br />

Repair & Do-It-Yourself Aktivitäten <strong>und</strong><br />

Kreislaufwirtschaft<br />

Das Symposium bietet Raum, um die<br />

Relevanz, die Wechselwirkungen sowie<br />

die Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen<br />

der Phänomene des Reparierens, des<br />

Selber-machens, Länger Nutzens <strong>und</strong> des<br />

Kreislaufwirtschaftens zu diskutieren – sowohl<br />

aus wissenschaftlicher als auch aus<br />

praxisbezogener Perspektive. Akteurinnen<br />

<strong>und</strong> Akteure aus der wissenschaftlichen<br />

Forschung <strong>und</strong> der Praxis sind ebenso<br />

eingeladen, wie interessierte BürgerInnen.<br />

www.ihs.ac.at<br />

25. November <strong>2019</strong>, Wien<br />

Staatspreis Mobilität <strong>2019</strong><br />

Wirtschaftsmotor Innovation<br />

Der Staatspreis Mobilität ist die höchste<br />

Auszeichnung, die der B<strong>und</strong>esminister<br />

für Verkehr, Innovation <strong>und</strong> Technologie<br />

an österreichische Unternehmen<br />

<strong>und</strong> Institutionen verleiht. Er zeichnet<br />

damit innovative Konzepte, Produkte<br />

<strong>und</strong> Lösungen aus, die die Wettbewerbsfähigkeit<br />

der verkehrs-<strong>und</strong> mobilitätsrelevanten<br />

High-Tech-Branchen in Österreich<br />

fördern <strong>und</strong> <strong>neue</strong> Wege für eine<br />

zukunftsfähige Mobilität aufzeigen. So<br />

gilt es, das Mobilitätssystem der Zukunft<br />

sicherer, wettbewerbsfähiger, sozialer<br />

<strong>und</strong> umwelt-wie nutzerfre<strong>und</strong>licher zu<br />

gestalten.<br />

www.staatspreis-mobilitaet.at<br />

Events Schweiz<br />

12. bis 14. September <strong>2019</strong>, Zermatt<br />

Zermatt Summit <strong>2019</strong><br />

Entrepreneurship to serve the common<br />

good<br />

Das Wirtschaftsmodell, bei dem der<br />

Mensch im Mittelpunkt steht, muss transformiert<br />

werden –inspiriert von der Natur<br />

<strong>und</strong> unter Berücksichtigung der Bedürfnisse<br />

aller Menschen. Auf dem 8. Zermatt<br />

Summit zeigen r<strong>und</strong> 25 Unternehmer, wie<br />

sie durch Innovation mit der traditionellen<br />

Logik des Mainstreamgeschäfts brechen.<br />

www.zermattsummit.org<br />

Events international<br />

20. September <strong>2019</strong>, DACH<br />

9. Filme für die Erde Festival<br />

Wissen weitergeben – Bewusstsein schaffen<br />

Filme für die Erde zeigt in mehr als 20 Städten<br />

in der Schweiz, in Deutschland <strong>und</strong> in<br />

Liechtenstein die sieben besten <strong>Nachhaltig</strong>keitsfilme<br />

des Jahres. Außerdem erwarten<br />

die Festivalbesucher*innen Ausstellungen,<br />

ein Bio-Apéro <strong>und</strong> ein spannendes Abendprogramm.<br />

Für Jung <strong>und</strong> Alt. Der Eintritt ist<br />

kostenlos (mit Ausnahme des Lunchkinos).<br />

www.filmefuerdieerde.org/festival<br />

IMMER<br />

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Berufsbegleitendes Weiterbildungsangebot<br />

Strategisches<br />

<strong>Nachhaltig</strong>keitsmanagement<br />

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<strong>und</strong> werden Sie Change Agent!<br />

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127


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Die sanfte (R)evolution Die für sanfte das 21. (R)evolution Jahrh<strong>und</strong>ert für – das inspiriert 21. Jahrh<strong>und</strong>ert vom Visionär – inspiriert Robert vom Jungk Visionär Robert Jungk<br />

Mit Beiträgen u.a. von Mit Franz Beiträgen Alt; Maximilian u.a. von Franz Gege; Alt; Mathias Maximilian Greffrath; Gege; Bärbel Mathias Höhn; Greffrath; Bärbel Höhn;<br />

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Josef Radermacher; Josef Ortwin Radermacher; Renn; Angelica Ortwin Schwall-Düren; Renn; Angelica Ernst-Ulrich Schwall-Düren; von Ernst-Ulrich von<br />

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128 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


TAGEN UND TOURISMUS | SERVICE<br />

stellt vor…<br />

Als Partner für nachhaltigen Tourismus präsentiert das Beratungs- <strong>und</strong> Zertifizierungs-Unternehmen eine Auswahl seiner<br />

TourCert-Mitglieder. Diese Reiseunternehmen <strong>und</strong> -ziele tragen das TourCert-Siegel <strong>und</strong> setzen damit ein Zeichen für einen<br />

verantwortungsvollen Tourismus.<br />

Sie wollen mehr über TourCert als <strong>Nachhaltig</strong>keits-Berater <strong>und</strong> Siegelgeber erfahren? Unter dem QR-Code haben<br />

wir für Sie das ausführliche TourCert Unternehmensprofil veröffentlicht.<br />

Mit Ventura Travel entdecken Sie das Beste jedes Reiselandes<br />

© Ventura Travel<br />

Seit 2001 bietet Ventura Travel nachhaltig geplante <strong>und</strong> authentische Reiseerlebnisse<br />

für Reisende an, die durch ihre Reisen die Menschen vor Ort unterstützen<br />

wollen. Gesellschaftliche Verantwortung liegt Ventura Travel besonders am<br />

Herzen. Das zentrale Anliegen ist die Einbeziehung der lokalen Bevölkerung – beispielsweise<br />

durch den Besuch <strong>und</strong> die finanzielle Unterstützung von Gemeinde-<br />

Tourismus-Projekten der V<strong>Social</strong> Fo<strong>und</strong>ation, das Beschäftigen lokaler Mitarbeiter<br />

oder auch die Wahl lokaler Servicepartner. Somit verbleibt ein großer Teil der<br />

Wertschöpfung im bereisten Land. Die CO 2<br />

-Emissionen der Reisen werden zu 100<br />

Prozent kompensiert. Angeboten werden Reisen nach Süd- <strong>und</strong> Mittelamerika,<br />

Japan, China <strong>und</strong> in den Iran.<br />

www.venturatravel.org/de/unsere-marken<br />

Positive Fußspuren hinterlassen<br />

© ReNatour<br />

Das ist das Ziel des Reiseveranstalters ReNatour, welcher bereits seit 25 Jahren Wert<br />

darauflegt, seinen Gästen ein möglichst natürliches Urlaubserlebnis zu ermöglichen<br />

<strong>und</strong> dabei die Auswirkungen auf Umwelt <strong>und</strong> Klima gering zu halten. Neben der<br />

sorgfältigen Auswahl von Unterkünften, zu denen familiengeführte Pensionen,<br />

traditionelle Bauernhöfe oder restaurierte Landhäuser gehören, zählen auch die<br />

Verpflegung mit regionalen Lebensmitteln, der Kontakt zu Tier <strong>und</strong> Natur sowie<br />

der Fokus auf faire Preise zur Philosophie des Veranstalters. Das Portfolio richtet<br />

sich dabei an Familien, Wanderer, Entspannungssuchende <strong>und</strong> Naturliebhaber<br />

gleichermaßen. Darüber hinaus initiiert <strong>und</strong> unterstützt ReNatour ganz konkrete<br />

Aktionen zum Schutz <strong>und</strong> Erhalt der lokalen Umwelt <strong>und</strong> Gemeinden.<br />

www.renatour.de<br />

Naturerlebnis im Nördlichen Schwarzwald<br />

© Tourismus GmbH Nördlicher Schwarzwald<br />

Der Nördliche Schwarzwald ist als Teil des Schwarzwalds eine der beliebtesten Urlaubsdestinationen<br />

Deutschlands. Ob für einen Aktivurlaub, einen erholsamen Wellness-<br />

Kurztrip oder einen spontanen Tagesausflug zu einem der zahlreichen Hot-Spots…<br />

die abwechslungsreiche Naturregion ist mit ihren faszinierenden Landschaften,<br />

Kulturschätzen, kulinarischen Spezialitäten <strong>und</strong> Wellness-Kraftorten ein ideales Ziel<br />

für Naturliebhaber, Bewegungshungrige, Erholungssuchende <strong>und</strong> Genuss-Menschen<br />

zugleich. Übernachten Sie bei Schwarzwälder Gastgebern <strong>und</strong> schlemmen Sie sich<br />

durch ein 33-Kilometer-Menü, bei dem alle Produkte aus dem Umkreis von 33 Kilometer<br />

vom Standort des Naturpark-Wirts stammen. Das attraktive E-Mobil-Angebot<br />

r<strong>und</strong>et das Portfolio der Tourismus GmbH Nördlicher Schwarzwald nachhaltig ab.<br />

www.mein-schwarzwald.de<br />

www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

129


SERVICE | VORSCHAU & IMPRESSUM<br />

Foto: © sunfarming<br />

Foto: © <strong>forum</strong> Gemüsegarten, Glücksacker<br />

Liebe Leserinnen <strong>und</strong> Leser,<br />

auch in der kommenden Ausgabe werden<br />

wir jede Menge gute Nachrichten für Sie<br />

aufbereiten. Nicht die Probleme, sondern<br />

deren Lösungen sind unser Antrieb <strong>und</strong><br />

unser Magazin für Sie deshalb eine Inspiration.<br />

Deshalb setzten wir unseren Streifzug<br />

durch Afrika fort <strong>und</strong> suchen nach Antworten<br />

zu den Fragen Warum helfen <strong>und</strong><br />

Wie helfen. Wir zeigen, wie eine schnelle<br />

Katastrophenhilfe funktionieren sollte,<br />

dass Entrepreneurship auch in Afrika ein<br />

Schlüssel für die Zukunft ist <strong>und</strong> wie man<br />

mit Solargewächshäusern Gemüse <strong>und</strong><br />

Energie produzieren kann.<br />

Gut essen! „Erst kommt das Fressen <strong>und</strong><br />

dann kommt die Moral“, schrieb Brecht<br />

in der Dreigroschenoper. Wie, wo <strong>und</strong><br />

welche Nahrungsmittel werden zukünftig<br />

produziert? Und vor allem von wem? Das<br />

ist die große Frage, der wir uns in der kommenden<br />

Ausgabe stellen werden.<br />

Auf Sand bauen? Früher hieß es „Stein auf Stein“…, doch plötzlich sollen Häuser nicht<br />

mehr auf Sand <strong>und</strong> Zement zurückgreifen. Der Gr<strong>und</strong>: Sand wird knapp <strong>und</strong> Zement ist<br />

eine CO 2<br />

-Schleuder. Doch wir haben ja Holz <strong>und</strong> auch <strong>neue</strong> Verfahren für umwelt- <strong>und</strong><br />

klimafre<strong>und</strong>lichen Beton sind in Aussicht.<br />

Klug verpackt! Dieses Thema lässt uns auch nach dieser Ausgabe nicht mehr in Ruhe.<br />

Wir präsentieren <strong>neue</strong> Pfandsysteme in unterschiedlichen Branchen <strong>und</strong> beleuchten,<br />

welche besonderen Ideen sich die Bio-Szene hat einfallen lassen.<br />

Wer sind die Guten? Im kommenden Heft stellen wir die Ausrichter <strong>und</strong> Gewinner von<br />

Awards vor. Darüber hinaus geben wir Ihnen Produkttipps <strong>und</strong> Anregungen für Weihnachtsgeschenke,<br />

die nicht die Welt kosten. Und wir bringen wie immer jede Menge<br />

Beiträge über Produktverantwortung in der Lieferkette, <strong>Nachhaltig</strong>keitskommunikation,<br />

Arbeitswelt 4.0, Mobilitätsmanagement, Bildung <strong>und</strong> <strong>Nachhaltig</strong>keit, technische Textilien,<br />

<strong>neue</strong> Versicherungen, Speicher für die Energiewende, Energieeffizienz in Unternehmen <strong>und</strong><br />

last but not least in unserer Serie Genussmittel: Kaffee, der Muntermacher für die Welt.<br />

<strong>Nachhaltig</strong> informiert! Antworten bekommen Sie im kommenden<br />

Heft wie immer mit vielen guten Nachrichten <strong>und</strong> konstruktivem<br />

Journalismus. Deshalb möchten wir Ihnen auch unsere Bücher sowie<br />

das <strong>forum</strong>-Abo ans Herz legen: Sie schenken damit sich oder anderen<br />

Inspiration <strong>und</strong> unterstützen konkret unsere Arbeit. Einfach bestellen<br />

unter nebenstehendem QR Code oder online unter www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

Wenn Sie es bis zur nächsten Ausgabe nicht mehr erwarten können, dann abonnieren<br />

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Heft senden Sie bitte an: Redaktion@<strong>forum</strong>-csr.net.<br />

Impressum<br />

Herausgeber: ALTOP Verlag GmbH in Kooperation<br />

mit B.A.U.M. e.V.<br />

Redaktion: Bernward Geier, Hans Fritz, Dorothee<br />

Wimmer, Alrun Vogt, Sarah Ullmann, Betti Brosche,<br />

Karl Heinz <strong>Jobs</strong>t, Maria Kargl, Eric Weinhandl, Birgit<br />

Quirchmayr, Fritz Lietsch, Edda Langenmayr<br />

Telefon +49 (0)89 / 74 66 11 - 0<br />

redaktion@<strong>forum</strong>-csr.net; www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

Korrektorat: Uta Dobler, Vera Schilffarth<br />

Verlag: ALTOP Verlag GmbH, Gotzinger Str. 48<br />

81371 München, Telefon +49 (0)89 / 74 66 11 - 0<br />

Fax +49 (0)89 / 74 66 11 - 60, info@altop.de<br />

www.altop.de<br />

Geschäftsführer: Fritz Lietsch; Gerichtsort<br />

München; Handelsregister Nr. 749 25<br />

Anzeigenbetreuung: <strong>forum</strong> Büro Nord, Lasbeker<br />

Str. 9, 22967 Tremsbüttel, Dagmar Hermann<br />

Telefon +49 (0)4532 / 2 14 02<br />

d.hermann@<strong>forum</strong>-csr.net, mit Felicitas Bittong,<br />

Rolf W<strong>und</strong>er, Daniela Günter, Dieter Möller<br />

Abonnentenbetreuung: <strong>forum</strong> Büro Süd<br />

abo@<strong>forum</strong>-csr.net<br />

Telefon +49 (0)89 / 74 66 11 - 10<br />

Onlineredaktion <strong>und</strong> Beratung: Uta Dobler<br />

info@<strong>forum</strong>-csr.net<br />

Telefon +49 (0)89 / 74 66 11 - 73<br />

Vertrieb: IPS Pressevertrieb GmbH Postfach 12 11<br />

53334 Meckenheim<br />

Telefon +49 (0)2225 / 88 01 - 0<br />

info@ips-pressevertrieb.de<br />

Bezug auch direkt unter www.<strong>forum</strong>-csr.net<br />

Layout <strong>und</strong> Satz: dtp/layout; www.dtp-layout.de<br />

Preis: 7,50 Euro<br />

Erscheinungsweise: vierteljährlich<br />

ISSN 1865-4266<br />

Printed in Germany <strong>2019</strong><br />

Für die redaktionellen Beiträge von Unternehmen<br />

sowie die Best Practice-Beispiele sind die Unternehmen<br />

selbst verantwortlich. Namentliche oder<br />

anders gekennzeichnete Beiträge geben nicht<br />

unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die<br />

durch die Herstellung des Magazins verursachten<br />

Treibhausgase werden durch Klimaschutzmaßnahmen<br />

kompensiert. Nachdruck, auch auszugsweise,<br />

nur mit Genehmigung des Verlages unter Angabe<br />

der Bezugsanschrift gestattet. Aus Gründen der<br />

besseren Lesbarkeit wurde in der Regel die männliche<br />

Schreibweise verwendet. Wir weisen an dieser<br />

Stelle ausdrücklich darauf hin, dass sowohl die<br />

männliche als auch die weibliche Schreibweise für<br />

die entsprechenden Beiträge gemeint ist.<br />

Kuratorium<br />

Energie Prof. Dr. Claudia Kemfert, DIW; Dr. Axel<br />

Berg, EUROSOLAR Ethischer Konsum Michael<br />

Kuhndt, CSCP Gesellschaft & Zukunft Prof. Dr.<br />

Rolf Kreibich, Institut für Zukunftsstudien <strong>und</strong><br />

Technologiebewertung; Stefanie Wahl, Denkwerk<br />

Zukunft Globalisierung & Entwicklung Prof. Dr. Dr.<br />

Franz Josef Radermacher, Universität Ulm; Barbara<br />

Unmüßig, Heinrich-Böll-Stiftung Green Money<br />

Rolf D. Häßler, oekom research AG; Volker Weber,<br />

Forum <strong>Nachhaltig</strong>e Geldanlagen Landwirtschaft &<br />

Ernährung Bernward Geier, COLABORA Psychologie<br />

Prof. Dr. Lenelis Kruse, Universität Heidelberg<br />

<strong>Social</strong> <strong>Business</strong> Peter Spiegel, GENISIS Umwelt- &<br />

Ressourcenschutz Prof. Maximilian Gege, B.A.U.M.<br />

Klima & Ozeane Mojib Latif, Geomar<br />

Und nun wünschen wir Ihnen einen goldenen Herbst.<br />

CO 2<br />

neutral gedruckt mit dem Projekt www.grünesklima.de – ein Produkt der Miller Forest Investment AG. Dauerhafte <strong>und</strong> ökologisch wertvolle Bindung von Kohlendioxid<br />

durch Mischwaldaufforstung in Südamerika. Inhalt gedruckt auf Steinbeis Charisma Silk, hergestellt aus 100 % Altpapier, ausgezeichnet mit dem Blauen Engel.<br />

Ein Produkt der Steinbeis Papier GmbH.<br />

130 <strong>forum</strong> <strong>Nachhaltig</strong> <strong>Wirtschaften</strong>


Bio-Pionier seit 1974<br />

Sofía Huarina Chacon, Bio-Kakaobäuerin<br />

der Kleinbauernkooperative El Ceibo in Bolivien.<br />

„Seit über 20 Jahren baue ich mit<br />

meiner Familie Bio-Kakao in Mischkultur an.<br />

Gemeinsam mit El Ceibo <strong>und</strong> Rapunzel haben wir<br />

viel erreicht wie beste Bio-Qualität <strong>und</strong> faire Preise.<br />

So gibt es bei uns keine Kinderarbeit. Unsere Kinder haben die<br />

Möglich keit für qualifizierende Ausbildungen – <strong>und</strong> damit echte<br />

Berufschancen, innerhalb <strong>und</strong> außerhalb der Kooperative.“<br />

Mehr auf rapunzel.de/fair<br />

Wir machen Bio aus Liebe.


Denn wovon das Herz voll ist,<br />

davon spricht der m<strong>und</strong>.<br />

matthäus 12,34<br />

HERZENS. SACHE.<br />

Unsere ethisch-nachhaltige Kapitalanlage<br />

<strong>und</strong> ein fairer Versicherungsschutz liegen<br />

uns besonders am Herzen.<br />

www.vrk.de/ethisch-nachhaltig

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