24.12.2012 Aufrufe

Innovative Methoden und Ansätze in Wasserbau und Wasserwirtschaft

Innovative Methoden und Ansätze in Wasserbau und Wasserwirtschaft

Innovative Methoden und Ansätze in Wasserbau und Wasserwirtschaft

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Lehrstuhl <strong>und</strong> Institut<br />

für <strong>Wasserbau</strong> <strong>und</strong> <strong>Wasserwirtschaft</strong><br />

Rhe<strong>in</strong>isch-Westfälische Technische Hochschule Aachen<br />

Herausgeber: Univ.-Professor Dr.-Ing. Holger Schüttrumpf<br />

40. IWASA<br />

Internationales <strong>Wasserbau</strong>-Symposium<br />

Aachen 2010<br />

<strong>Innovative</strong> <strong>Methoden</strong> <strong>und</strong> <strong>Ansätze</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Wasserbau</strong> <strong>und</strong> <strong>Wasserwirtschaft</strong><br />

7. <strong>und</strong> 8. Januar 2010


<strong>Wasserbau</strong>liche Modellversuche zur Sanierung des Hochwasserrückhaltebeckens Goldberger Teich D / 1<br />

<strong>Wasserbau</strong>liche Modellversuche zur Sanierung des<br />

Hochwasserrückhaltebeckens Goldberger Teich<br />

Jürgen Jensen <strong>und</strong> Stefan Felder<br />

Abstract<br />

For test<strong>in</strong>g the discharge capacity of the flow control structure of the flood control bas<strong>in</strong><br />

(HRB) Goldberger Teich, physical experiments were conducted, because the complex<br />

design of the build<strong>in</strong>g is not qualified for numerical or analytic solution attempts. The<br />

<strong>in</strong>vestigation of the efficiency occurred <strong>in</strong> the model through measurement as an <strong>in</strong>tegral<br />

part of the upper water levels with known run-off. Thereby, this approach considers<br />

the structure and its flow processes <strong>in</strong>side as a black box, because <strong>in</strong> physical experiments<br />

it is too costly to capture the three-dimensional highly complicated processes <strong>in</strong><br />

the flow control structure.<br />

The <strong>in</strong>tegral consideration was based on a comparison of the efficiencies for comb<strong>in</strong>ation<br />

measurements of several discharge organs with the added up capacities of s<strong>in</strong>gle<br />

components. It appeared that the discharge capacity for comb<strong>in</strong>ations was up to 20 %<br />

lower than for s<strong>in</strong>gle components. This reduction is not attributable to a change of the<br />

flow conditions <strong>in</strong> the outlet channel from open channel flow <strong>in</strong> pressure flow for very<br />

big run-offs, as the water level run-off relations and the two comb<strong>in</strong>ation considerations<br />

expla<strong>in</strong>ed. Rather the efficiency decrease seems to go back to the <strong>in</strong>fluence of the flow<br />

component from the overfall over the fish belly flap gate.<br />

The <strong>in</strong>troduced <strong>in</strong>tegral consideration of the flow control structure illustrates a simple<br />

method to exam<strong>in</strong>e the discharge capacity of a civil eng<strong>in</strong>eer<strong>in</strong>g build<strong>in</strong>g without captur<strong>in</strong>g<br />

the highly complicated flow processes <strong>in</strong> the build<strong>in</strong>g. Besides, the results give<br />

reference values of the efficiency decreases <strong>in</strong> complicated constructions with several<br />

discharge organs.<br />

Zusammenfassung<br />

Zur Überprüfung der Leistungsfähigkeit des Entlastungsbauwerks des Hochwasserrückhaltebeckens<br />

(HRB) Goldberger Teich wurden wasserbauliche Modellversuche<br />

durchgeführt, da aufgr<strong>und</strong> des komplexen Bauwerks ke<strong>in</strong>e numerischen oder analytischen<br />

Lösungsansätze <strong>in</strong> Frage kommen. Die Ermittlung der Leistungsfähigkeit erfolgte<br />

im Modell durch Messung der Oberwasserstände bei bekanntem Abfluss <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>tegralen<br />

Ansatz. Dieser Ansatz betrachtet das Bauwerk <strong>und</strong> die dar<strong>in</strong> auftretenden Strömungsvorgänge<br />

als Blackbox, da es auch <strong>in</strong> wasserbaulichen Modellversuchen schwer


D / 2 J. Jensen <strong>und</strong> S. Felder<br />

möglich <strong>und</strong> zu aufwendig ist, die dreidimensionalen hochkomplexen Vorgänge im<br />

Entlastungsbauwerk zu erfassen.<br />

Die <strong>in</strong>tegrale Betrachtung beruhte auf e<strong>in</strong>em Vergleich der Leistungsfähigkeiten für<br />

Komb<strong>in</strong>ationsmessungen mehrerer Abflussorgane mit den aufsummierten Leistungsfähigkeiten<br />

der E<strong>in</strong>zelorgane. Es zeigte sich, dass die Leistungsfähigkeit bei den Komb<strong>in</strong>ationsbetrachtungen<br />

um bis zu 20 % ger<strong>in</strong>ger ist als die Addition der Abflüsse für die<br />

E<strong>in</strong>zelorgane. Diese Reduzierung ist nicht auf e<strong>in</strong>e Änderung des Fließzustandes im<br />

Ablaufkanal vom Freispiegel- <strong>in</strong> den Druckabfluss für sehr große Abflüsse zurückzuführen,<br />

wie die Wasserstands-Abfluss-Beziehungen <strong>und</strong> die Zweier-Komb<strong>in</strong>ationsbetrachtungen<br />

verdeutlichten. Vielmehr sche<strong>in</strong>t die Leistungsfähigkeitsm<strong>in</strong>derung auf den<br />

E<strong>in</strong>fluss der Strömungskomponente aus dem Überfall über die Fischbauchklappe zurückzugehen.<br />

Die vorgestellte <strong>in</strong>tegrale Betrachtung des Entlastungsbauwerks zeigt e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>fache<br />

Methode auf, um die Leistungsfähigkeit e<strong>in</strong>es Ingenieurbauwerks zu untersuchen, ohne<br />

die hochkomplexen Strömungsvorgänge im Bauwerk zu erfassen. Zudem geben die<br />

Ergebnisse Anhaltswerte für die Leistungsfähigkeitsm<strong>in</strong>derungen bei komplexen Bauwerken<br />

mit mehreren Ablauforganen.<br />

1 E<strong>in</strong>leitung<br />

Für Planungs- <strong>und</strong> Bemessungsaufgaben bzw. für die Überprüfung der Leistungsfähigkeit<br />

von hydraulisch komplexen Strukturen, wie z. B. Entlastungsbauwerke, s<strong>in</strong>d wasserbauliche<br />

Modellversuche häufig der e<strong>in</strong>zige Lösungsansatz. Zwar könnten auch<br />

mathematisch-numerische Modelle zur Strömungssimulation herangezogen werden,<br />

aber gerade bei dreidimensionalen hochturbulenten Strömungszuständen mit komplexen<br />

Randbed<strong>in</strong>gungen ist es schwierig bis unmöglich, die Navier-Stokes-Gleichungen genau<br />

genug zu lösen <strong>und</strong> im numerischen Modell nachzubilden [1], [2].<br />

Für die Überprüfung des geplanten Entlastungsbauwerks des HRB Goldberger Teich<br />

wurde daher e<strong>in</strong> wasserbaulicher Modellversuch durchgeführt. Durch diesen Modellversuch<br />

im Maßstab von 1:10 konnten geeignete Umbaumaßnahmen für die Ausführungsplanung<br />

identifiziert <strong>und</strong> so die Leistungsfähigkeit des Bauwerks für die Bemessungsabflüsse<br />

BHQ1 <strong>und</strong> BHQ2 hergestellt werden. Detaillierte Informationen zur Sanierung<br />

des HRB <strong>und</strong> zu den wasserbaulichen Modellversuchen können [3] entnommen<br />

werden. Die Bauwerksoptimierung erfolgte durch Erfassung der Wasserstands-Abfluss-<br />

Beziehungen im Oberwasser des Staubeckens <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>direkten Betrachtung der<br />

Strömungsvorgänge <strong>und</strong> Energieverluste im Entlastungsbauwerk.<br />

In den Modellversuchen wurde deutlich, dass die Leistungsfähigkeit stark vom Zusammenwirken<br />

der E<strong>in</strong>zelorgane abhängt; beim Zusammenwirken mehrerer Komponenten<br />

s<strong>in</strong>kt die Gesamtleistungsfähigkeit des Entlastungsbauwerks. Auch <strong>in</strong> den Modellversuchen<br />

war es nicht möglich, die Strömungsvorgänge im Entlastungsbauwerk zu erfassen


<strong>Wasserbau</strong>liche Modellversuche zur Sanierung des Hochwasserrückhaltebeckens Goldberger Teich D / 3<br />

<strong>und</strong> diese Leistungsfähigkeitsm<strong>in</strong>derungen auf direktem Wege zu bestimmen. In diesem<br />

Beitrag wird erläutert, wie durch e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tegrale Bauwerksbetrachtung die Leistungsfähigkeitsm<strong>in</strong>derungen<br />

der E<strong>in</strong>zelorgane, die durch gegenseitige Abflussbeh<strong>in</strong>derung<br />

e<strong>in</strong>treten, auf <strong>in</strong>direktem Weg erfasst <strong>und</strong> quantifiziert werden können.<br />

2 Gr<strong>und</strong>lagen wasserbaulicher <strong>und</strong> numerischer Modelle<br />

Für Planung, Bau <strong>und</strong> Optimierung von wasserbaulichen Maßnahmen kommen neben<br />

hydraulischen Modellen bzw. numerischen Simulationen auch wasserbauliche Modellversuche<br />

bzw. e<strong>in</strong>e Komb<strong>in</strong>ation dieser beiden Lösungsansätze <strong>in</strong> Hybridmodellen zum<br />

E<strong>in</strong>satz. Seit e<strong>in</strong>igen Jahrzehnten werden zwar durch den sich beschleunigenden Trend<br />

steigender Rechnerleistungen numerisch-mathematische Modelle zunehmend zur Lösung<br />

wasserbaulicher Fragestellungen herangezogen. Doch gerade wenn es um die<br />

Bearbeitung komplexer Fragen mit vielen Parametern <strong>und</strong> komplizierten Randbed<strong>in</strong>gungen<br />

geht, stellen wasserbauliche Modellversuche häufig die e<strong>in</strong>zige Möglichkeit<br />

dar, um Strömungs- <strong>und</strong> Fließvorgänge zu erfassen <strong>und</strong> praktische wasserbauliche Fragestellungen<br />

zu bearbeiten [2], [4], [5], [6].<br />

<strong>Wasserbau</strong>liche Modellversuche werden heute als Ergänzung zu mathematischen Modellen<br />

für e<strong>in</strong>e bessere Abbildung der Strömungsvorgänge <strong>in</strong> der Computersimulation,<br />

als wirksames Instrument zur Erforschung gr<strong>und</strong>legender hydrodynamischer Fließvorgänge<br />

<strong>und</strong> als Möglichkeit der Überprüfung von Ingenieurbauwerken im Neubau- bzw.<br />

Sanierungsfall e<strong>in</strong>gesetzt [7]. Durch computergesteuerte Mess- <strong>und</strong> Steuerungstechniken<br />

sowie durch e<strong>in</strong> gestiegenes Datenspeicher- <strong>und</strong> Verarbeitungsvolumen hat es <strong>in</strong><br />

allen Bereichen des Modellversuchswesens große Fortschritte gegeben, welche e<strong>in</strong>e<br />

immer bessere Erfassung der Abflussvorgänge <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e effiziente Bearbeitung von<br />

komplexen Fragestellungen ermöglichen [8].<br />

3 Abflüsse <strong>und</strong> Strömungsvorgänge im Entlastungsbauwerk<br />

Das Entlastungsbauwerk des HRB Goldberger Teich besteht aus e<strong>in</strong>em fünfeckigen<br />

Bauwerk mit ger<strong>in</strong>ger Volumengröße. Der Zufluss zu diesem Bauwerk erfolgt durch<br />

drei jeweils vollständig steuerbare Ablauforgane: Gr<strong>und</strong>ablass <strong>und</strong> Betriebsauslass mit<br />

Schützen <strong>und</strong> Fischbauchklappe als Hochwasserentlastung. Der Abfluss aus dem Bauwerk<br />

erfolgt über e<strong>in</strong>en Ablaufkanal <strong>in</strong>s Unterwasser des Mettmanner Bachs. Aufgr<strong>und</strong><br />

der Anordnung der Bauwerksteile mit senkrecht zue<strong>in</strong>ander stehenden Abflussrichtungen<br />

bee<strong>in</strong>flussen sich die Abflüsse durch die e<strong>in</strong>zelnen Ablauforgane gegenseitig <strong>und</strong> es<br />

kommt zu hochturbulenten Strömungsvorgängen im Entlastungsbauwerk (Abb. 1).<br />

Die Art der Strömungsvorgänge im Bauwerk hängt dabei vor allem von der Abflussmenge<br />

aber auch der Abflussorgankomb<strong>in</strong>ation <strong>und</strong> dem Öffnungsgrad der Abflussorgane<br />

ab. So ergeben sich zum Beispiel andere Strömungsbilder beim Ausfluss aus voll-


D / 4 J. Jensen <strong>und</strong> S. Felder<br />

ständig geöffneten Betriebsauslass <strong>und</strong> Überfall über die vollständig geöffnete Fischbauchklappe<br />

<strong>und</strong> e<strong>in</strong>em auf die Natur bezogenen Abfluss von Q = 5 m³/s (Abb. 1) sowie<br />

bei e<strong>in</strong>em Abflusszustand für das BHQ2 = 18,05 m³/s bei vollständig geöffnetem<br />

Gr<strong>und</strong>ablass, Betriebsauslass <strong>und</strong> Fischbauchklappe (Abb. 2).<br />

Abb. 1: Draufsicht des Entlastungsbauwerks <strong>und</strong> der Strömungsvorgänge; Freispiegelabfluss im Ablaufkanal<br />

bei Q = 5,0 m³/s bei vollständig geöffnetem Betriebsauslass <strong>und</strong> Fischbauchklappe<br />

Abb. 2: Seitenansicht der Strömungsvorgänge im Entlastungsbauwerk; Druckabfluss im Ablaufkanal bei<br />

Q = 18,05 m³/s bei vollständig geöffnetem Betriebsauslass, Fischbauchklappe <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>ablass


<strong>Wasserbau</strong>liche Modellversuche zur Sanierung des Hochwasserrückhaltebeckens Goldberger Teich D / 5<br />

Je nach Öffnungsgrad <strong>und</strong> Abflussmenge ergeben sich sehr viele mögliche Komb<strong>in</strong>ationen;<br />

vere<strong>in</strong>fachend wurden daher für die Untersuchung der Leistungsfähigkeitsm<strong>in</strong>derungen<br />

Abflüsse von bis zu 20 m³/s (alle Angaben s<strong>in</strong>d im Folgenden auf die Natur bezogen)<br />

für jeweils vollständig geöffnete E<strong>in</strong>zelorgane <strong>und</strong> sämtliche Komb<strong>in</strong>ationen aus<br />

vollständig geöffneten E<strong>in</strong>zelorganen untersucht.<br />

Bei Abflüssen größer als etwa 15 m³/s ergeben sich im Ablaufkanal Druckabflusszustände;<br />

bei kle<strong>in</strong>eren Abflüssen liegt h<strong>in</strong>gegen Freispiegelabfluss vor. In Abb. 1 <strong>und</strong><br />

Abb. 2 s<strong>in</strong>d die sich e<strong>in</strong>stellenden Abflussprozesse zu erkennen; es s<strong>in</strong>d an der Oberfläche<br />

starke Wellen, Instationaritäten <strong>und</strong> Lufte<strong>in</strong>trag sichtbar, die auch die komplexen<br />

Abflussvorgänge im darunterliegenden Teil des Bauwerks erahnen lassen. In Abb. 3<br />

verdeutlichen Pr<strong>in</strong>zipskizzen die Bauwerksgeometrie, die Abflussvorgänge <strong>und</strong><br />

-richtungen sowie die räumliche Anordnung der drei Zulauforgane Gr<strong>und</strong>ablass,<br />

Betriebsauslass <strong>und</strong> Fischbauchklappe <strong>und</strong> Ablaufkanal.<br />

Abb. 3: Pr<strong>in</strong>zipskizze der Zu- <strong>und</strong> Abflüsse sowie Strömungsrichtungen zum Bauwerk <strong>und</strong> Darstellung<br />

des Oberwasserstands HOW; obere Abbildung: Draufsicht, untere Abbildung: Seitenansicht<br />

Der Gr<strong>und</strong>ablass entwässert seitlich <strong>in</strong> das Bauwerk <strong>und</strong> <strong>in</strong>itiiert e<strong>in</strong>en Wasseraufstau<br />

an der gegenüberliegenden Bauwerkswand sowie e<strong>in</strong>e starke Strudelbildung im Bauwerk.<br />

Für den Gr<strong>und</strong>ablass liegt für kle<strong>in</strong>e Abflüsse bei geschlossener Fischbauchklappe<br />

<strong>und</strong> Betriebsauslass Freispiegelabfluss vor. Mit größer werdendem Abfluss bzw.<br />

Anstieg des Staubeckenwasserstandes <strong>und</strong> Übergangs <strong>in</strong> den Druckabfluss nehmen die<br />

Instationaritäten <strong>und</strong> Verwirbelungen zu. Bei Vollöffnung des Betriebsauslasses <strong>und</strong><br />

geschlossener Fischbauchklappe <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>ablass liegt zunächst freier Überfall vor; mit<br />

steigendem Abfluss kommt es aber zu Ausfluss aus e<strong>in</strong>er Öffnung. Die Hauptströmungsrichtung<br />

des Betriebsauslasses liegt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Flucht mit dem Ablaufkanal; mit


D / 6 J. Jensen <strong>und</strong> S. Felder<br />

steigendem Abfluss kommt es zu e<strong>in</strong>er Zunahme der Wellenbildung. Bei der Fischbauchklappe<br />

liegt für alle Abflusszustände freier Überfall vor; die Fallparabel trifft für<br />

sämtliche Abflusszustände annähernd senkrecht auf das Wasserpolster im Entlastungsbauwerk<br />

(Abb. 1 <strong>und</strong> Abb. 2). Mit steigender Abflussmenge kommt es zu e<strong>in</strong>em vermehrten<br />

Lufte<strong>in</strong>trag.<br />

Bei gleichzeitigem Abfluss durch mehrere der Abflusskomponenten kommt es zu e<strong>in</strong>er<br />

Bee<strong>in</strong>flussung der Abflüsse <strong>und</strong> zu e<strong>in</strong>er Verkle<strong>in</strong>erung der Leistungsfähigkeit der jeweiligen<br />

E<strong>in</strong>zelorgane. Zur Ermittlung der Leistungsfähigkeit können bei e<strong>in</strong>em derartigen<br />

Bauwerk daher ke<strong>in</strong>e verb<strong>in</strong>dlichen allgeme<strong>in</strong>en Abflussgleichungen herangezogen<br />

werden [9]. E<strong>in</strong>e direkte Erfassung der Abflussbee<strong>in</strong>flussung <strong>und</strong> der komplexen<br />

Strömungen im Bauwerk ist auch experimentell nicht möglich; selbst die Messung des<br />

Wasserstandes im Bauwerk mit Ultraschalldistanzmessern gestaltet sich aufgr<strong>und</strong> starker<br />

Wellen, Instationaritäten <strong>und</strong> Lufte<strong>in</strong>trag schwierig. Daher wurde das Bauwerk<br />

<strong>in</strong>tegral als „Blackbox“ betrachtet <strong>und</strong> die Leistungsfähigkeitsm<strong>in</strong>derung auf <strong>in</strong>direktem<br />

Weg ermittelt.<br />

4 Leistungsfähigkeitsbetrachtung für E<strong>in</strong>zelorgane <strong>und</strong> Abflussorgankomb<strong>in</strong>ationen<br />

In den Modellversuchen wurden sowohl die Abflüsse als auch die Oberwasserstände<br />

computergestützt gesteuert bzw. gemessen <strong>und</strong> dadurch e<strong>in</strong>e hohe Messgenauigkeit <strong>und</strong><br />

Reproduzierbarkeit erzielt. Die Bestimmung der Leistungsfähigkeitsreduzierung der<br />

Abflussorgankomb<strong>in</strong>ationen bezogen auf die Leistungsfähigkeit der E<strong>in</strong>zelorgane erfolgte<br />

<strong>in</strong>tegral durch den Vergleich der Komb<strong>in</strong>ationsmesswerte mit der Summe der<br />

Messwerte für die E<strong>in</strong>zelorgane.<br />

Zunächst wurden die Wasserstands-Abfluss-Beziehungen für die drei vollständig geöffneten<br />

E<strong>in</strong>zelorgane bei jeweils vollständig geschlossenen zwei verbleibenden Organen<br />

aufgenommen. Weitere Schlüsselkurven resultierten aus Komb<strong>in</strong>ationsbetrachtungen<br />

von jeweils zwei bzw. drei vollständig geöffneten Abflussorganen. Die charakteristischen<br />

Kurven s<strong>in</strong>d für e<strong>in</strong>en Abfluss bis zu 20 m³/s bzw. e<strong>in</strong>em im Versuchsmodell<br />

maximalen Oberwasserstand von 123,67 mNN <strong>in</strong> Abb. 4 dargestellt. Zur Verdeutlichung<br />

der Abflussorgancharakteristik s<strong>in</strong>d zudem Hilfsl<strong>in</strong>ien für die Ober- bzw. Unterkanten<br />

der Ablauforgane abgebildet. Die Wasserstands-Abfluss-Beziehungen basieren<br />

auf dem sich bei konstantem Abfluss e<strong>in</strong>stellenden Oberwasserstand <strong>und</strong> stellen die<br />

Leistungsfähigkeit der E<strong>in</strong>zelorgane bzw. die Abflussorgankomb<strong>in</strong>ationen dar.<br />

Für die <strong>in</strong>tegrale Betrachtung der Leistungsfähigkeit wurde die Leistungsfähigkeit der<br />

E<strong>in</strong>zelorgane aufsummiert <strong>und</strong> mit der Leistungsfähigkeit der Komb<strong>in</strong>ationsmessungen<br />

verglichen. Dieser Vergleich basiert e<strong>in</strong>zig auf den sich e<strong>in</strong>stellenden Oberwasserständen<br />

bei bekanntem Abfluss. Damit ergeben sich <strong>in</strong>sgesamt sieben Vergleichsmöglichkeiten<br />

aus drei Zweier-Komb<strong>in</strong>ationsbetrachtungen <strong>und</strong> vier weiteren Komb<strong>in</strong>ationen.


<strong>Wasserbau</strong>liche Modellversuche zur Sanierung des Hochwasserrückhaltebeckens Goldberger Teich D / 7<br />

Abb. 4: Wasserstands-Abfluss-Beziehungen für vollständig geöffnete E<strong>in</strong>zelorgane Fischbauchklappe<br />

(FK), Betriebsauslass (BA) <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>ablass (GA) sowie Komb<strong>in</strong>ationen aus diesen Abflussorganen;<br />

Hilfsl<strong>in</strong>ien für Abflusszustandsänderungen<br />

Abb. 5 zeigt die Ergebnisse der Addition von den Zweier-Komb<strong>in</strong>ationsmessungen mit<br />

den E<strong>in</strong>zelmesswerten für das dritte Abflussorgan. Dadurch ergibt sich jeweils e<strong>in</strong>e<br />

<strong>in</strong>tegrale Leistungsfähigkeit aus den drei Abflussorganen Gr<strong>und</strong>ablass, Betriebsauslass<br />

<strong>und</strong> Fischbauchklappe. Diese drei Kurven s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Abb. 5 zusammen mit der aus der<br />

Dreier-Komb<strong>in</strong>ationsmessung resultierenden Schlüsselkurve abgebildet. Es ist deutlich<br />

zu erkennen, dass die aufsummierten E<strong>in</strong>zelabflüsse jeweils größer s<strong>in</strong>d als die Komb<strong>in</strong>ationsmessung<br />

bei entsprechend konstantem Wasserstand. Die Leistungsfähigkeit der<br />

Komb<strong>in</strong>ationsmessung ist ger<strong>in</strong>ger; mit größer werdendem Oberwasserstand bzw. Abfluss<br />

nimmt die Differenz zwischen aufsummierten E<strong>in</strong>zelmessungen <strong>und</strong> Komb<strong>in</strong>ationsmessung<br />

zu.<br />

Diese Leistungsfähigkeitm<strong>in</strong>derung bei den Abflussorgankomb<strong>in</strong>ationen kann durch<br />

e<strong>in</strong>e Betrachtung der relativen Leistungsfähigkeitsänderung noch weiter verdeutlicht<br />

werden. Dazu werden die sich bei identischem Oberwasserstand ergebenden Abflüsse<br />

der Abflussorgankomb<strong>in</strong>ationen <strong>und</strong> der aufsummierten Abflüsse der E<strong>in</strong>zelmessungen<br />

<strong>in</strong>s Verhältnis gesetzt. Damit kann die prozentuale Leistungsfähigkeitänderung ermittelt<br />

werden.


D / 8 J. Jensen <strong>und</strong> S. Felder<br />

Abb. 5: Wasserstands-Abfluss-Kurven: Vergleich von Komb<strong>in</strong>ationsmessung aus Fischbauchklappe<br />

(FK), Betriebsauslass (BA) <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>ablass (GA) mit Addition aus Zweier-Komb<strong>in</strong>ation<br />

<strong>und</strong> E<strong>in</strong>zelorganmessung<br />

In Abb. 6 ist diese Leistungsfähigkeitsänderung für das Verhältnis von Abflüssen bei<br />

Zweier- bzw. Dreier- Komb<strong>in</strong>ationsmessungen <strong>und</strong> den aufsummierten Abflüssen für<br />

die E<strong>in</strong>zelorgane dargestellt. Zur besseren Verdeutlichung der sich ergebenden Leistungsfähigkeitsänderungen<br />

s<strong>in</strong>d die Ausgleichs- bzw. Trendl<strong>in</strong>ien <strong>in</strong> Abb. 6 h<strong>in</strong>zugefügt.<br />

Es ist klar erkennbar, dass sich die Leistungsfähigkeit bei den Komb<strong>in</strong>ationen der<br />

E<strong>in</strong>zelmessungen um bis zu 20 % reduziert. Lediglich für die vergleichende Betrachtung<br />

von der Komb<strong>in</strong>ation aus Betriebsauslass <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>ablass zeigen sich nur m<strong>in</strong>imale<br />

Änderungen, d. h. die Leistungsfähigkeit bei dieser Komb<strong>in</strong>ation bleibt im Vergleich<br />

zu den E<strong>in</strong>zelbetrachtungen nahezu unverändert. Anders verhält es sich mit den<br />

übrigen drei Vergleichen, die e<strong>in</strong>e überproportionale Abnahme der Leistungsfähigkeiten<br />

bei Abflussorgankomb<strong>in</strong>ationen mit größer werdendem Abfluss bzw. höherem Oberwasserstand<br />

aufzeigen. Die größte Leistungsfähigkeitsreduzierung ergibt sich beim<br />

Zusammenwirken von allen drei Abflussorganen; für den maximal möglichen Oberwasserstand<br />

von 123,67 mNN liegt diese Reduzierung bei etwa 20 %.


<strong>Wasserbau</strong>liche Modellversuche zur Sanierung des Hochwasserrückhaltebeckens Goldberger Teich D / 9<br />

Abb. 6: Relative Leistungsfähigkeitsänderung aus den Komb<strong>in</strong>ationsmessungen <strong>und</strong> aus der Addition<br />

der E<strong>in</strong>zelmessungen; Ausgleichs- bzw. Trendl<strong>in</strong>ien zur Verdeutlichung<br />

5 Diskussion <strong>und</strong> Schlussfolgerung<br />

In Abb. 5 <strong>und</strong> Abb. 6 wird gezeigt, dass sich die Leistungsfähigkeit bei Komb<strong>in</strong>ationen<br />

aus mehreren E<strong>in</strong>zelorganen gegenüber der Addition der E<strong>in</strong>zelmessungen um bis zu<br />

20 % reduziert; lediglich bei e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>zigen Komb<strong>in</strong>ation bleibt die Leistungsfähigkeit<br />

fast unverändert. Die <strong>in</strong>tegrale Betrachtung des Bauwerks als Blackbox lässt die genauen<br />

Ursachen dieser Leistungsfähigkeitsänderungen offen, e<strong>in</strong>ige Möglichkeiten sollen<br />

an dieser Stelle aber diskutiert werden.<br />

Da es bei Abflüssen größer 15 m³/s zu Druckabfluss im Ablaufkanal kommt, wäre es<br />

denkbar, dass der Vergleich von der Druckabflussbetrachtung bei den Dreier-<br />

Abflussorgankomb<strong>in</strong>ationen mit der Summe aus den E<strong>in</strong>zelabflussleistungen, die bei<br />

Freispiegelabfluss erfolgten, unzulässig ist. Allerd<strong>in</strong>gs lässt der l<strong>in</strong>eare Verlauf der<br />

Wasserstands-Abfluss-Beziehung der Dreier-Komb<strong>in</strong>ation <strong>in</strong> Abb. 4 <strong>und</strong> Abb. 5 ke<strong>in</strong>e<br />

Änderung des Abflusszustandes erkennen. Dieser Sachverhalt zeigt klar auf, dass für<br />

die betrachteten Abflüsse bzw. Oberwasserstände der Engpass der Leistungsfähigkeit<br />

im Zufluss zum Bauwerk liegt <strong>und</strong> der Abflusszustand im Ablaufkanal bei den betrachteten<br />

Abflüssen ke<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluss auf die Leistungsfähigkeit hat. Des Weiteren liegt für<br />

die Zweier-Komb<strong>in</strong>ationen dauerhaft Freispiegelabfluss vor, sodass die Vergleichsbetrachtung<br />

nicht vom Fließzustand im Ablaufkanal bestimmt ist.<br />

Die Ergebnisse der Vergleichsbetrachtung lassen vielmehr auf e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluss der jeweiligen<br />

Abflussorgankomb<strong>in</strong>ationen schließen. Auffällig ist, dass es bei allen Komb<strong>in</strong>ati-


D / 10 J. Jensen <strong>und</strong> S. Felder<br />

onen zu Leistungsreduzierungen kommt, außer bei der Komb<strong>in</strong>ation aus Betriebsauslass<br />

<strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>ablass. Dieser Umstand deutet darauf h<strong>in</strong>, dass die Strömungskomponente,<br />

die aus dem Überfall über die Fischbauchklappe resultiert, e<strong>in</strong>en entscheidenden E<strong>in</strong>fluss<br />

auf die Leistungsfähigkeit hat.<br />

Die Ergebnisse s<strong>in</strong>d nicht unmittelbar auf andere Entlastungsbauwerke mit anderen<br />

geometrischen Abmessungen zu übertragen, da der E<strong>in</strong>fluss der Strömungszustände,<br />

Instationaritäten, Turbulenzen <strong>und</strong> Lufte<strong>in</strong>träge nicht quantifiziert <strong>und</strong> somit ke<strong>in</strong>e<br />

allgeme<strong>in</strong> gültigen Aussagen abgeleitet werden konnten. Dennoch geben die Modellversuche<br />

e<strong>in</strong>e Orientierung für entsprechende Bauwerksplanungen <strong>und</strong> verdeutlichen,<br />

dass die Leistungsfähigkeit komplexer Entlastungsbauwerke mit wasserbaulichen Modellversuchen,<br />

unter Beachtung der Modellgesetze <strong>und</strong> e<strong>in</strong>em ausreichenden Modellmaßstab,<br />

mit großer Genauigkeit ermittelt werden kann. Trotz vieler Innovationen <strong>in</strong><br />

Hard- <strong>und</strong> Software im Bereich von numerischen Modellen bzw. Simulationen ist das<br />

wasserbauliche Versuchwesen nach wie vor für die wirtschaftliche <strong>und</strong> sichere Planung<br />

<strong>und</strong> Bemessung von hydraulisch komplexen Strukturen unverzichtbar.<br />

6 Literatur<br />

[1] Ferziger, J. H. <strong>und</strong> Peric, M. (2008): Numerische Strömungsmechanik. Berl<strong>in</strong>:<br />

Spr<strong>in</strong>ger-Verlag. - ISBN 978-3-540-67586-0<br />

[2] Strobl, T <strong>und</strong> Zunic, F. (2006): <strong>Wasserbau</strong>: Aktuelle Gr<strong>und</strong>lagen – Neue Entwicklungen.<br />

Berl<strong>in</strong>: Spr<strong>in</strong>ger-Verlag. - ISBN-10 3-540-22300-2<br />

[3] Felder, S.; Wieland, J.; Jensen, J. (2009): <strong>Wasserbau</strong>liche Modellversuche zur<br />

Sanierung des Hochwasserrückhaltebeckens Mettmanner Bach/Goldberger Teich.<br />

In: WasserWirtschaft, 99. Jahrgang, Heft 10, S. 34-39. Wiesbaden: Vieweg+Teubner<br />

Verlag.<br />

[4] Hensen, W. <strong>und</strong> Führböter, A. (1967): Stand <strong>und</strong> Möglichkeiten des wasserbaulichen<br />

Versuchswesens. In: Umschau <strong>in</strong> Wissenschaft <strong>und</strong> Technik, 67. Jahrgang,<br />

Heft 13, S. 401-408.<br />

[5] Novak, P. <strong>und</strong> Cabelka, J. (1981): Models <strong>in</strong> Hydraulic Eng<strong>in</strong>eer<strong>in</strong>g: Physical Pr<strong>in</strong>ciples<br />

and Design Applications. London: Pitman.<br />

[6] Stephan, U. <strong>und</strong> Nujic, M. (2005): Physikalische <strong>und</strong> numerische Strömungsmodellierung:<br />

Vorteile <strong>und</strong> Grenzen. In: Wasser <strong>und</strong> Abfall, Heft 11, S. 39-42.<br />

[7] Jensen, J. <strong>und</strong> Wieland, J. (2003): Optimierung e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>nerstädtischen Staustufenanlage<br />

unter Berücksichtigung konkurrierender Ansprüche. In: <strong>Wasserbau</strong>liche<br />

Mitteilungen des Instituts für <strong>Wasserbau</strong> <strong>und</strong> Technische Hydromechanik der TU<br />

Dresden, Heft 24, S. 165-179.


<strong>Wasserbau</strong>liche Modellversuche zur Sanierung des Hochwasserrückhaltebeckens Goldberger Teich D / 11<br />

[8] B<strong>und</strong>esanstalt für <strong>Wasserbau</strong> (Hrsg.) (2007): <strong>Wasserbau</strong>liches Versuchswesen. In:<br />

Mitteilungsblatt, Nr. 90.<br />

[9] Vischer, D. <strong>und</strong> Hager, W. H. (1992): Hochwasserrückhaltebecken. Zürich: Verlag<br />

der Fachvere<strong>in</strong>e an den schweizerischen Hochschulen <strong>und</strong> Techniken AG.<br />

Anschrift der Verfasser<br />

Univ.-Prof. Dr.-Ing. Jürgen Jensen<br />

Universität Siegen<br />

Forschungs<strong>in</strong>stitut Wasser <strong>und</strong> Umwelt (fwu)<br />

Abt. <strong>Wasserbau</strong> <strong>und</strong> Hydromechanik<br />

Paul-Bonatz-Str. 9-11<br />

57068 Siegen<br />

juergen.jensen@uni-siegen.de<br />

Dipl.-Ing. Stefan Felder<br />

Department of Civil Eng<strong>in</strong>eer<strong>in</strong>g<br />

The University of Queensland<br />

Brisbane, QLD 4072, Australien<br />

stefan.felder@web.de

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!