Jahrbuch_Yearbook_2021
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In der Doku: Vor einer Grafik, die Adolf Hitler zeigt, bleiben wir stehen.
Leider ein beliebtes Selfiemotiv, merkt eine Mitarbeiterin an. Wir wenden
uns einer Vitrine zu. In ihr ist der Obersalzberg, wie er in den 1930er Jahren
von den Nationalsozialist*innen angelegt und umgebaut wurde, in Miniatur
nachgebaut. Durch rote Knöpfe kann man die Häuser zum Leuchten bringen.
Das Atelier von Albert Speer ist bis heute erhalten geblieben, das können wir
später, unweit der ehemaligen Theaterhalle, sehen. Das Teehäusel, das zeige
ich euch später, das liegt unterhalb des Golfplatzes. Der Platterhof, früher ein
Gebirgskurhaus, wurde unter Bruno Büchner zum Volkshotel Platterhof und
beherbergte die Gäste Adolf Hitlers. 2006 wurde das Gebäude nach langen
Diskussionen abgerissen. Doch die Steine des Hofes finden sich jetzt in der
Region an den unterschiedlichsten Stellen verbaut wieder. Wir verlassen das
Haus und stapfen Richtung Bunkeranlagen. Von der Baustelle dringt Helene
Fischers „Atemlos“ zu uns rüber. In den Bunkeranlagen werden wir aufgeklärt
über Schriftzeichen an der Wand, die die Amerikaner, die Franzosen,
Plünderer und Neugierige aus der Region hier hinterlassen haben. 1945,
1956, 1990. Die weißen Stellen an den Wänden sind Marker für übermalte
Runen, Hakenkreuze, Huldigungen, verfassungsfeindliche Symbole.
Im Gelände. Erste Station: der Berghof. Wir stehen vor einer Tafel, die
über diesen Täterort informiert. Sie ist demoliert. Wörter wie Holocaust
und Ermordung sind durchgestrichen, dunkle Flecken zeugen von einer
großflächigen Übermalung, die entfernt wurde. Außer uns ist heute niemand
hier. Vor uns liegt die Stützmauer des Berghofes in voller Länge. Wenn die
Erde nicht gefroren ist, finden sich hier Menschen ein, die nach Abzeichen,
Militaria und Devotionalien buddeln. Die Identitären waren auch schon hier
und haben für Fotos posiert. Wir blicken ins Tal in Richtung Salzburger Land.
Wieso unser Blick nicht durch die gewachsenen Fichten verstellt ist? Bei einer
sogenannten „Nacht-und-Nebel“ Aktion wurden die Bäume gefällt, um den
Blick wieder freizulegen und ins andere Land zu schauen. Wir erkundigen
uns nach den Zuständigkeiten für diese Ruine: dem Freistaat gehört das
Stück Land, das Kempinski verwaltet es, der Hausmeister geht gelegentlich
hier vorbei und sammelt Müll ein. Wir gehen weiter Richtung Kempinski
Hotel, entlang der ehemaligen SS-Kaserne, passieren den Gasthof zum
Türken – momentan unbewirtschaftet –, sehen zwei Skitourerengeher an uns
vorbeiziehen, sie machen sich auf, die Straße zum Kehlsteinhaus zu besteigen
– zum letzten Gebäude aus der NS-Zeit, das noch komplett erhalten ist und
gerade von den Pächtern restauriert wird.
Zurück in der Dokumentation: Eine Kiste wird hervorgeholt. Das ist der Müll,
der am Berghof heute eingesammelt wird. Der Hausmeister weiß auch nicht
so recht damit umzugehen und die Dokumentation verwahrt die Objekte und
so landet der rot, weiß, mit schwarzen Hakenkreuzen bemalte Grabschmuck
in einem Pappkarton, der sich stetig füllt.
Der hier abgedruckte Text ist ein Auszug aus dem seit 2020 laufenden
künstlerischen Rechercheprojekt ELECTRIC MOUNTAIN Obersalzberg von
Caroline Kapp und Manon Haase.