19.02.2022 Aufrufe

Jahrbuch_Yearbook_2021

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

In der Doku: Vor einer Grafik, die Adolf Hitler zeigt, bleiben wir stehen.

Leider ein beliebtes Selfiemotiv, merkt eine Mitarbeiterin an. Wir wenden

uns einer Vitrine zu. In ihr ist der Obersalzberg, wie er in den 1930er Jahren

von den Nationalsozialist*innen angelegt und umgebaut wurde, in Miniatur

nachgebaut. Durch rote Knöpfe kann man die Häuser zum Leuchten bringen.

Das Atelier von Albert Speer ist bis heute erhalten geblieben, das können wir

später, unweit der ehemaligen Theaterhalle, sehen. Das Teehäusel, das zeige

ich euch später, das liegt unterhalb des Golfplatzes. Der Platterhof, früher ein

Gebirgskurhaus, wurde unter Bruno Büchner zum Volkshotel Platterhof und

beherbergte die Gäste Adolf Hitlers. 2006 wurde das Gebäude nach langen

Diskussionen abgerissen. Doch die Steine des Hofes finden sich jetzt in der

Region an den unterschiedlichsten Stellen verbaut wieder. Wir verlassen das

Haus und stapfen Richtung Bunkeranlagen. Von der Baustelle dringt Helene

Fischers „Atemlos“ zu uns rüber. In den Bunkeranlagen werden wir aufgeklärt

über Schriftzeichen an der Wand, die die Amerikaner, die Franzosen,

Plünderer und Neugierige aus der Region hier hinterlassen haben. 1945,

1956, 1990. Die weißen Stellen an den Wänden sind Marker für übermalte

Runen, Hakenkreuze, Huldigungen, verfassungsfeindliche Symbole.

Im Gelände. Erste Station: der Berghof. Wir stehen vor einer Tafel, die

über diesen Täterort informiert. Sie ist demoliert. Wörter wie Holocaust

und Ermordung sind durchgestrichen, dunkle Flecken zeugen von einer

großflächigen Übermalung, die entfernt wurde. Außer uns ist heute niemand

hier. Vor uns liegt die Stützmauer des Berghofes in voller Länge. Wenn die

Erde nicht gefroren ist, finden sich hier Menschen ein, die nach Abzeichen,

Militaria und Devotionalien buddeln. Die Identitären waren auch schon hier

und haben für Fotos posiert. Wir blicken ins Tal in Richtung Salzburger Land.

Wieso unser Blick nicht durch die gewachsenen Fichten verstellt ist? Bei einer

sogenannten „Nacht-und-Nebel“ Aktion wurden die Bäume gefällt, um den

Blick wieder freizulegen und ins andere Land zu schauen. Wir erkundigen

uns nach den Zuständigkeiten für diese Ruine: dem Freistaat gehört das

Stück Land, das Kempinski verwaltet es, der Hausmeister geht gelegentlich

hier vorbei und sammelt Müll ein. Wir gehen weiter Richtung Kempinski

Hotel, entlang der ehemaligen SS-Kaserne, passieren den Gasthof zum

Türken – momentan unbewirtschaftet –, sehen zwei Skitourerengeher an uns

vorbeiziehen, sie machen sich auf, die Straße zum Kehlsteinhaus zu besteigen

– zum letzten Gebäude aus der NS-Zeit, das noch komplett erhalten ist und

gerade von den Pächtern restauriert wird.

Zurück in der Dokumentation: Eine Kiste wird hervorgeholt. Das ist der Müll,

der am Berghof heute eingesammelt wird. Der Hausmeister weiß auch nicht

so recht damit umzugehen und die Dokumentation verwahrt die Objekte und

so landet der rot, weiß, mit schwarzen Hakenkreuzen bemalte Grabschmuck

in einem Pappkarton, der sich stetig füllt.

Der hier abgedruckte Text ist ein Auszug aus dem seit 2020 laufenden

künstlerischen Rechercheprojekt ELECTRIC MOUNTAIN Obersalzberg von

Caroline Kapp und Manon Haase.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!