Pfarrblatt Nr. 21 - Juni 2010
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Begegnung mit Gott – keine Zeit?<br />
Liebe Pfarrgemeinde!<br />
Es wird wahrscheinlich die Grundfrage des modernen Menschen werden: ob<br />
er sich Zeit nimmt für Gott. Wer sich für Gott keine Zeit mehr nimmt, soll sich<br />
nicht wundern, wenn sein Glaube abbröckelt wie ein verwitterter Sandstein.<br />
Glaubensunsicherheit als Dauerzustand? Viele verkünden das als Parole von<br />
heute. Aber du sollst es zuerst einmal versuchen, dir die Zeit für Gott zu<br />
nehmen; Zeit zur Begegnung mit Gott; Zeit dafür, dass dich Gott mit seinem<br />
Licht, seiner Kraft und seiner Nähe erfüllt. Dann wirst du wissen, was Glaube<br />
ist; und dass Glaube Ähnlichkeit hat mit einem Felsen, mit einem Berg, an<br />
dem man nicht mehr rütteln kann.<br />
Die Kirche unserer Tage wankt, weil sie sich für die Wüste, für die Stille, für<br />
die intime Begegnung mit Gott keine Zeit mehr nimmt, weil sie nicht mehr weiß<br />
dass man für Gott Zeit braucht. Sind es viele Blinde? Viele Blindenführer?<br />
Das Problem der Mondraumfahrt haben wir gelöst, die Evolution der Welt<br />
werden wir bald selber steuern können, die Kräfte des Atoms sind unser<br />
Eigentum geworden; aber die Zeitfrage können wir nicht lösen? Ist es<br />
wirklich unmöglich, sich für Gott Zeit zu nehmen?<br />
Wie viel Zeit vertrödelst du täglich? Wie viel vertust du mit unnötigem<br />
Geschwätz? Wie viel Zeit rinnt dir durch die Finger, weil du nicht mehr Herr<br />
deines Tages bist und in deinem übermüdeten Zustand gar nicht mehr fähig<br />
bist, dir die Zeit einzuteilen? Wie viel Zeit tust du damit, dass du am falschen<br />
Fleck deine Erholung suchst? Und vielleicht kommst du aus dem Kino, aus<br />
dem Gasthaus, vom Fernsehschirm ermatteter, als du hineingegangen bist?<br />
Wenn du dir zur Besinnung Zeit nimmst, wirst du dir viel vertrödelte Zeit<br />
ersparen. Denn dann bist du wieder Herr deines Tages und weißt, was du<br />
weglassen kannst und was unbedingt getan werden muss.<br />
Siebzehn Stunden täglich bist du tätig: Und eine halbe Stunde der Besinnung<br />
kannst du dir nicht einteilen? Das sind drei Prozent deiner wachen Tageszeit!<br />
Ob du sechzehneinhalb Stunden werkst oder siebzehn Stunden, darauf kommt<br />
es nicht so sehr an; aber ob du dich täglich eine halbe Stunde auf das<br />
Wesentliche besinnst oder nicht, das wird über dein Leben entscheiden.<br />
Vielleicht kannst du dich mit deiner Gattin, deinem Mann verabreden: „Diese<br />
halbe Stunde oder diese Viertelstunde am Tag, da möchte ich allein sein; da<br />
möchte ich mich bedenken; in Ruhe etwas lesen und wissen: Jetzt stört mich<br />
niemand.“ Die Mutter wird den Kindern dann sagen: „Kinder, jetzt könnt ihr<br />
nicht hingehen zum Vater, jetzt will er Ruhe haben.“ Die Familie wird sich<br />
daran gewöhnen; auch für den anderen Ehepartner wird dasselbe möglich<br />
werden. Und beide werden staunen, dass der andere so leicht und so gern<br />
zugestimmt hat und dass es ihnen beiden gut tut.<br />
Mit freundlichen Grüßen:<br />
2<br />
Pfarrer Franz Kostenwein