14 FRAGEN AN DREI NEUE DIRIGENTEN IN NRW MUSIK ... - K.West
14 FRAGEN AN DREI NEUE DIRIGENTEN IN NRW MUSIK ... - K.West
14 FRAGEN AN DREI NEUE DIRIGENTEN IN NRW MUSIK ... - K.West
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DAS KULTURMAGAZ<strong>IN</strong> DES WESTENS<br />
KLASSIK-SZENE <strong>NRW</strong><br />
<strong>14</strong> <strong>FRAGEN</strong> <strong>AN</strong> <strong>DREI</strong><br />
<strong>NEUE</strong> <strong>DIRIGENTEN</strong> <strong>IN</strong> <strong>NRW</strong><br />
»RESIDENCE«-KÜNSTLER<br />
CHRISTOPH ESCHENBACH<br />
<strong>MUSIK</strong>-FESTIVALS UND<br />
KONZERTE IM HERBST<br />
K.WEST 05/2012 | 1<br />
SPE<br />
CIAL<br />
KLA<br />
SSIK
Die Online-Jobbörse für alle<br />
Berufe im Theater und Orchester
08<br />
Christoph Eschenbach<br />
ist »Residence«-<br />
Künstler an der<br />
Philharmonie Essen.<br />
IMPRESSUM<br />
SONDERAUSGABE K.WEST<br />
SPECIAL KLASSIK SZENE <strong>NRW</strong><br />
K.WEST<br />
erscheint monatlich<br />
im Verlag K-<strong>West</strong> GmbH<br />
Heßlerstraße 37<br />
45329 Essen<br />
Tel.: 0201/86 206-33<br />
Fax: 0201/86 206-22<br />
REDAKTION<br />
V.i.S.d.P.: U. Deuter<br />
A. Wilink<br />
LAYOUT<br />
Herweg/Michalakopoulos/<br />
Pecher<br />
<strong>AN</strong>ZEIGEN & MARKET<strong>IN</strong>G<br />
MaschMedia, Oberhausen<br />
DRUCK<br />
WAZ Druck, Duisburg<br />
TITELFOTO<br />
Giordano Bellincampi.<br />
Foto: Andreas Köhring<br />
04<br />
06<br />
08<br />
<strong>14</strong><br />
Mojca Erdmann<br />
singt beim Bonner<br />
Beethovenfest.<br />
<strong>IN</strong>HALT<br />
ENDLICH J.S. BACH<br />
VERSTEHEN<br />
Drei neue Dirigenten in<br />
<strong>NRW</strong>: in Mönchengladbach/<br />
Krefeld, Duisburg und<br />
Aachen. K.WEST hat ihnen<br />
zum Kennenlernen einen<br />
Fragebogen geschickt.<br />
WIE ORPHEUS S<strong>IN</strong>GEN<br />
Der Saxofonist Jan<br />
Garbarek ist mit seiner Band<br />
unterwegs.<br />
IM WELT<strong>IN</strong>NENRAUM<br />
Der Dirigent und Pianist<br />
Christoph Eschenbach ist<br />
neuer »Residence«-Künstler<br />
an der Philharmonie Essen.<br />
10<br />
12<br />
<strong>14</strong><br />
16<br />
22<br />
H<strong>IN</strong>GEHÖRT<br />
Neue CDs und DVDs mit<br />
starker <strong>NRW</strong>-Beteiligung<br />
WIEGENLIEDER<br />
ZUM ABSCHIED<br />
Die Kölner Philharmonie<br />
ehrt Kasper König<br />
STIMM-LÄUFE<br />
Die Sopranistin Mojca<br />
Erdmann beim Bonner<br />
Beethovenfest<br />
EMPFEHLUNGEN DER<br />
REDAKTION<br />
ROM<strong>AN</strong>TIK VON HEUTE<br />
Der Pianist David Fray<br />
spielt in Bielefeld.
4 | KLASSIK SPECIAL<br />
ENDLICH J.S. BACH<br />
VERSTEHEN …<br />
Stabübergabe: Drei Dirigenten haben das Pult neu übernommen, Mihkel Kütson in Mönchengladbach/Krefeld,<br />
Giordano Bellincampi bei den Philharmonikern in Duisburg und Kazem Abdullah am Theater Aachen. K.WEST hat ihnen<br />
einen Fragebogen geschickt – Steckbrief und Kontaktbogen zum Kennenlernen.<br />
Die Fragen zu Biografie, Vorlieben, Handwerk und Wünschen stellte dem Trio Christoph Vratz.<br />
MIHKEL KÜTSON<br />
Geburtsdatum: 11. September 1971<br />
Geburtsort: Tallin<br />
Erstes Instrument: Klavier<br />
Erste selbst gekaufte CD: Ich kaufte zuerst LPs.<br />
Musikstudium in: Tallinn, Hamburg<br />
Große Dirigenten (lebend oder tot): Mariss Jansons<br />
Die Aura eines Dirigenten zeigt sich durch: Aura kann man nicht sehen.<br />
In meine Partituren schreibe ich: möglichst wenig.<br />
Meine Wunschtraum-Aufführung (Werk und Besetzung): »Mazeppa«<br />
von Tschaikowsky<br />
Mein größtes musikalisches Glück: die gelungene Aufführung<br />
Zuerst in langsamem Tempo proben ist: alltäglich<br />
Von meinem neuen Orchester erwarte ich: Aufmerksamkeit und<br />
Musizierfreude.<br />
Als Kulturpolitiker würde ich: durchsetzen, dass Kultur auch eine<br />
Angelegenheit für den Bund ist.<br />
GIORD<strong>AN</strong>O BELL<strong>IN</strong>CAMPI<br />
Geburtsdatum: 16. Oktober 1965<br />
Geburtsort: Rom<br />
Erstes Instrument: Blockflöte<br />
Erste selbst gekaufte CD: eine LP mit Beethovens Fünfter, dirigiert von<br />
Karajan – da war ich zehn Jahre alt<br />
Musikstudium in: Kopenhagen<br />
Große Dirigenten (lebend oder tot): Carlos Kleiber<br />
Die Aura eines Dirigenten zeigt sich durch: Authentizität<br />
In meine Partituren schreibe ich: so wenig wie möglich.<br />
Meine Wunschtraum-Aufführung (Werk und Besetzung): das nächste<br />
Konzert bzw. das 1. Philharmonische Konzert in Duisburg mit »Don Juan«<br />
von Strauss, Mozarts Krönungskonzert und Dvořáks »Aus der neuen Welt«<br />
Mein größtes musikalisches Glück: wäre, wenn ich endlich Johann Sebastian<br />
Bach verstehen würde.<br />
Zuerst in langsamem Tempo proben ist: – das hieße, gegen den Komponisten<br />
zu arbeiten.<br />
Von meinem neuen Orchester erwarte ich: dass sie das musikalische<br />
Kind in sich bewahren und mit Herz und viel Gefühl musizieren.<br />
Als Kulturpolitiker würde ich: immer weiter an der geistigen Entwicklung<br />
arbeiten.
KAzEM ABDULLAH<br />
Geburtsdatum: 4. Juli 1979<br />
Geburtsort: Indianapolis<br />
Erstes Instrument: Klavier und Klarinette<br />
Erste selbst gekaufte CD: Tschaikowskys 5. Sinfonie mit dem Chicago<br />
Symphony Orchestra und Claudio Abbado<br />
Musikstudium in: Cincinnati Conservatory of Music und University of<br />
Southern California<br />
Große Dirigenten (lebend oder tot): Fritz Reiner, Arturo Toscanini,<br />
Hans Rosbaud<br />
Die Aura eines Dirigenten zeigt sich durch: musikalische Kenntnisse<br />
und die Fähigkeit, Musiker zu motivieren.<br />
In meine Partituren schreibe ich: sehr wenig, aber dafür sehr präzise an<br />
markanten Stellen.<br />
Meine Wunschtraum-Aufführung (Werk und Besetzung): Schönbergs<br />
Gurre-Lieder<br />
Mein größtes musikalisches Glück: mein Debüt an der Metropolitan<br />
Opera und mein Anfang in Aachen<br />
Zuerst in langsamem Tempo proben ist: Ich beginne nie in langsamem<br />
Tempo zu proben, sondern probe das Stück zunächst im Ganzen, um<br />
dann nach und nach ins Detail zu gehen.<br />
Von meinem neuen Orchester erwarte ich: dass es die Musik genießt und<br />
mit voller Konzentration bei der Arbeit trotzdem Spaß hat.<br />
Als Kulturpolitiker würde ich: die Kultur und die Kunst wieder mehr in<br />
den Mittelpunkt stellen wollen und weniger die Zahlen und das Geld.<br />
AVI_K<strong>West</strong>_AVI_K<strong>West</strong> 19.09.12 12:08 Seite 1<br />
Festival-Mitschnitte von 2011<br />
W<strong>IN</strong>DS & STR<strong>IN</strong>GS<br />
Spohr· Ibert<br />
Janáček · Widmann<br />
Avi - Service for music · www.avi-music.de<br />
DUO · TRIO · QUARTET<br />
Haydn · Rossini<br />
Schubert<br />
Co-Produktionen mit<br />
Erhältlich in allen Fachgeschäften.<br />
www.facebook.com/CAVI.MUSIC<br />
K.WEST 09/2012 | 5<br />
SP<strong>AN</strong>NUNGEN<br />
Musik im Kraftwerk HEIMBACH<br />
Das Kammermusikfestival des Besonderen!<br />
Künstlerische Leiter: LARS VOGT<br />
PI<strong>AN</strong>O TRIOS<br />
Smetana · Ravel<br />
Watkins<br />
SPE<br />
CIAL<br />
KLA<br />
SSIK
6 | KLASSIK SPECIAL<br />
WIE ORPHEUS<br />
S<strong>IN</strong>GEN<br />
Der Saxofonist Jan Garbarek ist mit<br />
seiner Band in <strong>NRW</strong> unterwegs.<br />
Mit 23 Jahren betrat Jan Garbarek 1970 zum zweiten Mal ein Aufnahmestudio.<br />
Mit »Afric Pepperbird« sollte die Erfolgsstory beginnen. Der Saxofonist<br />
legte mit dem Album den Grundstein für eine der aufsehenerregendsten<br />
Karrieren im Jazz. Zugleich war es der Beginn der Zusammenarbeit<br />
zwischen einem Musiker und seinem Produzenten, die es in dieser Form<br />
bislang nicht gegeben hat. »Afric Pepperbird« war die erste Schallplatte, mit<br />
der Manfred Eicher sein Label ECM ins Leben rief. Bis heute blieb Garbarek<br />
seinem Entdecker treu. Obwohl ihn lukrativere Angebote erreichten, sind<br />
die mehr als 40 Alben Garbareks beim Münchner Stammhaus erschienen.<br />
Die meisten zählen zu Klassikern des jüngeren Jazz, darunter die frühen<br />
Sessions mit Keith Jarrett oder die weltmusikalischen Erkundungen mit<br />
dem brasilianischen Gitarristen Egberto Gismonti.<br />
Allein von den Verkaufszahlen her erwies sich keine Garbarek-Aufnahme<br />
erfolgreicher als »Officium«. 1993 hatte er sich dafür mit den englischen<br />
Star-Vokalisten vom Hilliard Ensemble zusammengetan, um auf einem<br />
Atem mittelalterliche und zeitgenössische Ausdrucksformen auszubalancieren.<br />
Vielleicht bringen auch die beiden gemeinsamen Nachfolgealben<br />
Garbareks künstlerisches Selbstverständnis bislang am besten auf den<br />
Punkt. Denn im Grunde will er auf seinem Saxofon der menschlichen<br />
Stimme so nahe wie möglich kommen.<br />
Für seinen instrumentalen Gesang hat er schon von Beginn an einen<br />
Sound entwickelt, den man unter Tausenden von Saxofonisten nach wenigen<br />
Sekunden als den des jetzt 65-jährigen Norwegers identifiziert. Eindringliche<br />
Hymnik und unbefleckte Tonschönheit, lyrische Verträumtheit<br />
und melancholische Tiefe – in diesem Ausdrucksspektrum bewegt sich<br />
Garbarek vollkommen unbeeindruckt von allem, was im Jazz der letzten<br />
Dezennien gerade mal en vogue war. Mit dieser Haltung hat es der aus<br />
einem 6000-Seelen-Dorf stammende Autodidakt weit gebracht. Garbarek<br />
ist es zu danken, dass sich Norwegen in eine blühende Jazz-Landschaft<br />
verwandelte. Allein unter den aktuellen Stars gibt es kaum einen Musiker,<br />
der Garbarek nicht als Vorbild nennen würde. Da wären der Trompeter<br />
Nils Petter Molvær, der Keyboarder Bugge Wesseltoft oder die Sirenen<br />
Sidsel Endresen und Solveig Slettahjell.<br />
Hat Garbarek in seinem Produzenten den künstlerischen Partner gefunden,<br />
tauchen auch in seinen Projekten Namen von Kollegen auf, mit denen<br />
er kontinuierlich zusammenarbeitet. So kam der Pianist Rainer Brüninghaus<br />
1988 zu dem Quartett, das Garbarek acht Jahre zuvor mit dem<br />
Bassisten Eberhard Weber gegründet hatte. Nach Webers Schlaganfall<br />
im Jahr 2007 musste sich Garbarek nach einem adäquaten Ersatzmann<br />
umschauen. Seitdem bildet der Brasilianer Yuri Daniel das Bass-Rückgrat<br />
– auch auf der aktuellen Tournee der Garbarek-Group. An den Percussionsinstrumenten<br />
sitzt jetzt Trilok Gurtu. Doch wie schon vor 30 Jahren,<br />
als Gurtu und Garbarek sich begegneten, hält sich der Inder mit seinen<br />
akrobatischen Rhythmuskünsten eher etwas zurück. Wenngleich Garbarek<br />
durchaus das Weltmusikalische mit leichten Jazzrock-Energien speist,<br />
läuft es immer auf jene Momente hinaus, in denen er am Saxofon nur<br />
eines will: poetisch singen. | GUFI<br />
<strong>IN</strong>FO<br />
Jan Garbarek. Foto: Guri Dahl<br />
11. Oktober, Paderhalle Paderborn,<br />
www.paderhalle.de<br />
12. Oktober, Congress-Saal / Halle Münsterland Münster,<br />
www.halle-muensterland<br />
13. Oktober, Tonhalle Düsseldorf,<br />
www.tonhalle.de
Vorverkauf<br />
Mit Unterstützung von<br />
13. Oktober 2012<br />
Konzert<br />
tickets:<br />
25 Euro<br />
plus Vvk-Gebühr,<br />
koelnticket.de<br />
„Das Museum gehört allen und keinem“<br />
Ein Fest zu Ehren:<br />
Kasper König zum Abschied<br />
Moderation: Harald Schmidt<br />
FESTAKT im Museum Ludwig:<br />
ab 15 Uhr Führungen, kunst:dialoge,<br />
Reden und Buchpräsentation<br />
KONZERT in der Kölner Philharmonie:<br />
20 Uhr Josef Bierbichler, Ensemble Modern:<br />
Heiner Goebbels „Eislermaterial“<br />
Eintritt<br />
frei!<br />
im Museum<br />
Ludwig<br />
www.koelner-philharmonie.de www.museum-ludwig.de
8 | KLASSIK SPECIAL<br />
IM WELT<strong>IN</strong>NENRAUM<br />
TEXT: GUIDO FISCHER<br />
Der Dirigent und Pianist Christoph Eschenbach ist neuer<br />
»Residence«-Künstler an der Philharmonie Essen.<br />
In den 1980er Jahre war Christoph Eschenbach als Pianist an einer<br />
Mozart-Aufnahme beteiligt, die man nicht unbedingt zu den Kostbarkeiten<br />
des Genres rechnet. Dafür schaffte er es mit dieser Einspielung<br />
einmal auf die Seiten »Vermischtes«. Gemeinsam mit seinem<br />
langjährigen Duo-Partner Justus Frantz hatte Eschenbach in Mozarts<br />
Konzert für drei Klaviere einen prominenten Amateurpianisten hinzugewonnen.<br />
Es war Helmut Schmidt, der sich wacker in der dritten<br />
(auch leichtesten) Klavierstimme schlug. Vom Resultat waren zumindest<br />
der eiserne Bundeskanzler und Weltpolitiker sowie der auch von<br />
seinem Naturell her blonde Frantz begeistert. Eschenbach hingegen<br />
schien eher amüsiert vom medialen Hype um eine Schallplatte, der<br />
kein Überleben als Klassiker gesichert war.<br />
In Eschenbachs beinahe ein halbes Jahrhundert währenden Karriere<br />
besitzt diese Kuriosität dennoch besonderen Stellenwert: als Abschiedsdokument<br />
des Konzertpianisten Eschenbach. Hatte er 20 Jahre zuvor<br />
seine Studio-Laufbahn bei der Deutschen Grammophon mit Mozart<br />
begonnen, schloss sich so nun der Kreis.<br />
Die Entscheidung schien Eschenbach 1983 nicht schwergefallen zu sein.<br />
Es hatte seit längerem Hinweise gegeben, dass der hochbegabte Künstler<br />
das solitäre Leben am Klavier nicht fortzusetzen gedachte. In den letzten<br />
Veröffentlichungen war er einzig als Klavierpartner von Justus Frantz im<br />
vierhändigen Spiel und als Liedbegleiter von Dietrich Fischer-Dieskau<br />
zu hören. Das Dirigieren beanspruchte ihn damals schon mehr und<br />
mehr. 1978 war Eschenbach zum GMD der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz<br />
ernannt worden. 1981 kam die Position als Erster Gastdirigent<br />
beim London Philharmonic Orchestra hinzu. Im Jahr darauf wurde<br />
er zum musikalischen Leiter ans Tonhalle-Orchester Zürich berufen.<br />
Eschenbach hat dieses Tempo beibehalten. In seinen Engagements als<br />
Musikdirektor formte er aus gelegentlich etwas verschlafenen Traditionsorchestern<br />
international konkurrenzfähige Spitzenklangkörper.<br />
Das gilt für das Orchestre de Paris, das er zehn Jahre leitete. Vor allem<br />
in den USA sind ihm kleine Wunder geglückt, in Houston und<br />
in Philadelphia. Und seit er 2010 das National Symphony Orchestra<br />
Washington übernahm, treten die Hauptstädter peu à peu aus dem<br />
Schatten der Top-Orchester von New York und Chicago. Die Leistungssteigerung<br />
hat der nunmehr 72-Jährige nicht mit konventionellen<br />
Zuchtmeister-Methoden erreicht. Eschenbach geht mit höchstem<br />
Respekt und großer Offenheit auf die Musiker zu und lädt sie ein, nicht<br />
nur musikalisch aufeinander zu hören, sondern auch menschlich. So<br />
entsteht unter seiner Hand aus häufig genug komplizierten Individuen<br />
ein klangprächtiger, fein abgestimmter Gesamtorganismus.<br />
In den Proben des Menschenfreundes und Menschenfängers Eschenbach<br />
geht es nie laut zu, sondern gesammelt und mit nahezu buddhistisch<br />
wirkender Ruh. So erarbeitet er sich mit seinen Orchestern die<br />
Schwergewichte der Musikgeschichte, aber auch Werke, die er bei zeitgenössischen<br />
Komponisten wie Pascal Dusapin und Peter Lieberson in<br />
Auftrag gegeben hat.<br />
Die Begabung, den Musikern seinen Geist und seine musikalische Vision<br />
zu vermitteln, hat Eschenbach vor allem von zwei gegensätzlichen<br />
Dirigenten gelernt: bei Herbert von Karajan in Berlin und George Szell<br />
in Cleveland, deren Proben er bereits in seiner Zeit als weltweit gastierender<br />
Pianist besuchte. Nachdem Eschenbach und Karajan 1966<br />
das 1. Klavierkonzert von Beethoven aufgenommen hatten, begann<br />
ihre intensive Zusammenarbeit – und Freundschaft. Noch vor seinem<br />
US-Debüt 1969 mit dem Cleveland Orchestra nahm Eschenbach Dirigierunterricht<br />
bei Szell, der ihn auf Phrasierung und Transparenz<br />
achtgeben ließ. Karajan lenkte seine Aufmerksamkeit vor allem auf<br />
Klangfarben, Nuancen und atmosphärische Übergänge. »Szell war der<br />
Zeichner, Karajan der Maler«, bringt es Eschenbach auf den Begriff.<br />
Als er 1972 erstmals in Hamburg vor einem Orchester stand und<br />
Bruckners 3. Symphonie dirigierte, erfüllte sich sein Berufswunsch,<br />
dem der 1940 in Breslau geborene, als Waisenkind aufgewachsene<br />
Eschenbach von früh auf nachhing. Initiiert, wie er sich erinnert,<br />
durch den Besuch eines Konzerts der Berliner Philharmoniker unter<br />
Wilhelm Furtwängler, der »ein Kollektiv von Musikern in Ekstase, ja<br />
in Raserei zu bringen« wusste.
Christoph Eschenbach begnügt sich nicht damit, Taumel mit Beethoven,<br />
Bruckner, Tschaikowsky oder Mahler auszulösen. Bei seiner Nachwuchsförderung<br />
hat er außerdem Talente aufgespürt und sie bis zur<br />
Weltspitze begleitet. Der berühmteste Eschenbach-Zögling ist der chinesische<br />
Tasten-Akrobat Lang Lang.<br />
Trotz seines ohnehin immensen Arbeitspensums reizt es Eschenbach,<br />
im Team Play als Kammermusiker und Liedbegleiter aufzutreten. Auch<br />
dieser Aspekt kommt während der Essener Konzertsaison zur Ansicht<br />
bzw. zu Gehör. Der »Residence«-Künstler gastiert als Dirigent des London<br />
Philharmonic Orchestra sowie in einer nobel besetzten, mehrstündigen<br />
Kammermusik-Nacht. Zu Beginn der kleinen Eschenbach-<br />
Festspiele gibt er mit dem Bariton Matthias Goerne einen Meisterkurs<br />
im Liedgesang und präsentiert einen reinen Schubert-Abend. Mit Goerne<br />
verbindet Eschenbach eine seeelenverwandte Auffassung darin, zur<br />
Tiefe und Essenz der Musik vorzudringen. Es lässt sich auch mit einem<br />
Wort Rainer Maria Rilkes sagen, das sich Eschenbach zum künstlerischen<br />
Motto genommen hat: »Nirgends wird Welt sein als Innen«.<br />
<strong>IN</strong>FO<br />
Christoph Eschenbach, Foto: Eric Brissaud<br />
20. und 21. Oktober 2012, Matthias Goerne (Bariton) &<br />
Christoph Eschenbach (Klavier), Philharmonie Essen;<br />
22. Dezember, Eschenbach und das London Philharmonic<br />
Orchestra, ebenfalls Philharmonie Essen<br />
www.philharmonie-essen.de<br />
Spielzeit 2012 | 2013<br />
K.WEST 10/2012 | 9<br />
premieren<br />
Oper<br />
Pelléas et Mélisande Claude Debussy, 6.10.2012<br />
Ariadne auf Naxos Richard Strauss, 1.12.2012<br />
Parsifal Richard Wagner, 17.3.2013<br />
Die Räuber Giuseppe Verdi, 8.6.2013<br />
BAllett<br />
Ein Sommernachtstraum Heinz Spoerli, 3.11.2012<br />
Othello (UA) Denis Untila, Michelle Yamamoto, 9.2.2013<br />
Deca Dance Ohad Naharin, 27.4.2013<br />
WiederAufnAhmen<br />
Oper<br />
Die Macht des Schicksals | Die Entführung aus dem Serail<br />
Hoffmanns Erzählungen | La Traviata | Eugen Onegin<br />
Die Fledermaus | Die Zauberflöte | La Bohème | Hercules<br />
Tosca | Madama Butterfly | Aida | Die Hochzeit des Figaro<br />
Tristan und Isolde | Die Frau ohne Schatten<br />
BAllett<br />
Tanzhommage an Queen | Zeitblicke | Carmen/Boléro<br />
Max und Moritz<br />
Stefan Soltesz Intendant und Generalmusikdirektor<br />
Ben Van Cauwenbergh Ballettdirektor<br />
Tickets T 02 01 81 22-200<br />
www.theater-essen.de
10 | KLASSIK SPECIAL<br />
H<strong>IN</strong>GEHÖRT<br />
MAGNETISCH<br />
Der in Ungarn geborene, seit knapp 30 Jahren<br />
im Rheinland lebende Pianist Martin Tchiba beweist<br />
mit seinem Solo-Programm, dass Gegensätze<br />
sich anziehen können. Johannes Brahms<br />
war für Richard Wagner und dessen Schwiegervater<br />
Franz Liszt die Antithese. Tchiba aber<br />
entdeckt durchaus Gemeinsamkeiten, was die<br />
ins Dunkel getauchte romantische Klang-Seele,<br />
den radikal in sich gekehrten Sehnsuchtston angeht.<br />
Plötzlich scheinen die späten Klavier-Fantasien<br />
op. 116 von Brahms, das kaum bekannte<br />
Wagner-Stück »Ankunft bei den schwarzen<br />
Schwänen« und Liszts »Nuages gris« aus einer<br />
Stimmung geboren. Überhaupt schafft es Tchiba<br />
mit der für das Album »Linkages« getroffenen<br />
Auswahl, verschiedene Wege der Musikgeschichte<br />
als organisch darzustellen. Helmut Lachenmanns<br />
»Wiegenmusik« (1963) ist in ihrer<br />
Kantigkeit und Kargheit an die zwölftönige Klavier-Suite<br />
Schönbergs angelehnt – und erinnert<br />
an die visionäre Modernität des ergrauten Liszt.<br />
Auch das macht Tchiba mit seinem Nuancenreichtum<br />
traumwandlerisch sinnfällig.<br />
Martin Tchiba »Linkages«: Werke von Brahms,<br />
Wagner, Liszt u.a. (Challenge / Sunny-Moon CC<br />
72562)<br />
IM KL<strong>AN</strong>GRAUM<br />
Bei Gustav Mahlers 1. Symphonie betritt man zunächst<br />
einen »riesigen leeren Raum«. So hat der<br />
Ungar György Ligeti den Beginn mit seinem kaum<br />
wahrnehmbaren, stehenden Streicher-Ton gehört.<br />
Dass mit Ligeti sich einer der bedeutendsten zeitgenössischen<br />
Komponisten mit Mahlers Erstling<br />
beschäftigte, ist nicht verwunderlich. Schon in<br />
der 1889 in Budapest uraufgeführten Symphonie<br />
Mahlers finden sich jene Montagetechnik und<br />
Klangraum-Experimente, die im 20. Jahrhundert<br />
mehr als eine Komponistengeneration beeinflusste.<br />
Auch Kölns GMD Markus Stenz spürt mit<br />
dem Gürzenich-Orchester Mahlers Echo nach,<br />
indem er allein die ätherische Einleitung fast wie<br />
eine Reverenz an die Klang-Studie »The Unanswered<br />
Question« von Charles Ives gestaltet. Doch<br />
Neue CDs & DVDs mit starker<br />
<strong>NRW</strong>-Beteiligung.<br />
bei der Fortsetzung der Gesamteinspielung aller<br />
Mahler-Symphonien versteht es der Neue Musik-<br />
Kenner Stenz genauso, die mitreißenden Energien<br />
und seligmachenden Walzeranklänge brillant und<br />
beglückend zu inszenieren.<br />
Markus Stenz, Gürzenich-Orchester Köln: Mahler<br />
1. Symphonie (Oehms / Naxos OC 646)<br />
TEAMPLAY<br />
Dicke Honorare gibt es für die prominenten Musikerfreunde<br />
von Pianist Lars Vogt nicht, wenn<br />
sie bei seinem »Spannungen«-Festival im idyllischen<br />
Eifel-Städtchen Heimbach gastierten. Dafür<br />
bekommen sie seit 1998 bei freier Kost und<br />
Logis die Möglichkeit, sich entspannt, doch auf<br />
höchstem Niveau kammermusikalisch auszutauschen.<br />
Glücklicherweise werden die konzertanten<br />
Abendgespräche von jeher auf CD dokumentiert.<br />
So spiegeln auch die beiden Einzel-CDs<br />
der »Spannungen 2011« die unüberhörbare Lust<br />
der Musiker wider, sich bis in Randbezirke des<br />
Repertoires vorzuwagen. Da sorgen Violinistin<br />
Lisa Batiashvili und Klarinettist Sebastian Manz<br />
mit sieben Kollegen für romantischen Wohlklang<br />
im Nonett von Louis Spohr. Elektrisierende Farbskalen<br />
entlocken Geiger Christian Tetzlaff und<br />
Cellistin Marie-Elisabeth Hecker den elf Duos<br />
von Jörg Widmann. Auf der zweiten CD folgt<br />
auf die Klaviertrios von Smetana und Ravel (mit<br />
Vogt am Klavier) die Uraufführung eines reizvoll<br />
nostalgischen Trios des Engländers Huw Watkins.<br />
Musiziert wird das mit einem derartigen<br />
Verständnis füreinander, das andere Ensembles<br />
erst nach Jahren erreichen.<br />
Spannungen-Festival: Werke von Ibert, Ravel,<br />
Smetana, Spohr, Widmann u.a. (Avi-Music /<br />
Harmonia Mundi 8553260 & 8553261)<br />
VON GUIDO FISCHER<br />
AM SIEDEPUNKT<br />
Seit der Saxofonist Maceo Parker sich nicht<br />
zu schade ist, zwischen Bierzelten und Würstchenbuden<br />
aufzutreten, hat er in der spaßlosen<br />
Jazz-Szene seinen Kredit verspielt. Na,<br />
und? Denn mit knapp 70 verwandelt er selbst<br />
einen schmucklosen Konzertsaal wie das Leverkusener<br />
Forum in einen Hexenkessel. So<br />
geschehen bei den Leverkusener Jazztagen<br />
2011, als er mit der WDR Big Band dem johlenden<br />
Publikum exquisit arrangierte Soul-<br />
und Funk-Klassiker zuwarf. Mit prominenten<br />
Gastmusikern wie Bassist Christian McBride<br />
ließ die amerikanische Groove-Größe nicht<br />
nur Hits seines ehemaligen Funk-Chefs James<br />
Brown von der Leine (»Papa’s Got A Brand<br />
New Bag«). Auch Balladen und Muntermacher<br />
von den Soul-Stars Isaac Hayes und<br />
Aretha Franklin brachte Parker auf Betriebstemperatur<br />
am Siedepunkt.<br />
Maceo Parker & WDR Big Band Köln »Soul<br />
Classics« (Moosicus / Indigo 1201-2)<br />
TRUNKEN<br />
Seit mehr als zehn Jahren arbeitet der Deutsch-<br />
Italiener Fabio Nieder an einem Musiktheater-<br />
Projekt, das sich um den 1949 verstorbenen<br />
Wiener Maler Vito von Thümmel dreht.<br />
Thümmel zählte zu jenen Weltaussteigern,<br />
die im Rausch das Paradies zu finden hofften.<br />
Ein Teilstück des Thümmel-Projekts lautet<br />
»Der Bilderfresser« und wurde 2011 in<br />
Köln uraufgeführt. In neunzehn Orchester-<br />
Miniaturen, oftmals nicht länger als von zwei<br />
Minuten Dauer, erkundet Nieder gleichsam<br />
die Gehirnwindungen Thümmels, durch die<br />
das Traumhafte und Fantastische zieht. Wo<br />
der Verstand verblasst, setzt Nieder mit einer<br />
surreal beengenden wie faszinierend prismatischen<br />
Tonsprache an. Die Besetzung des von<br />
Emilio Pomàrico geleiteten WDR Sinfonieorchesters<br />
besitzt mit Mandoline und Gitarre fast<br />
Mahler’schen Einschlag. Zudem potenzieren<br />
bizarr sphärische Schwingungen eines Akkordeons,<br />
ein großformatiges Schlagzeugaufgebot
sowie der WDR Rundfunkchor das Trunkene<br />
dieser Musik.<br />
Emilio Pomàrico, WDR Sinfonieorchester<br />
u.a.: Fabio Nieder »Der Bilderfresser« (Winter<br />
& Winter / Edel 910 188-2)<br />
TOLLE FRATzEN<br />
Mit seinem 2. Klavierkonzert soll Dmitri Schostakowitsch<br />
ausschließlich »pädagogische Ziele«<br />
verfolgt haben: Um die Finger seines 19-jährigen<br />
Sohns Maxim geschmeidig zu machen, legte er<br />
diesen wahnwitzigen Geläufigkeitsparcours aus.<br />
Aber diese Hochbetriebsamkeit ist nur eine der<br />
augenzwinkernden Gemeinheiten in Schostakowitschs<br />
so gar nicht lehrbuchreifem Konzert.<br />
Zumal das Orchester von burlesken Fanfaren<br />
und perkussiven Entladungen durchschüttelt<br />
wird. Ähnlich gezackt und schweißtreibend<br />
geht es im 1. Konzert für Klavier, Trompete und<br />
Streicher zu. Was die russische Pianistin Valentina<br />
Igoshina nicht davon abhielt, noch einen<br />
Gang höher zu schalten, um den Entertainer<br />
Schostakowitsch zu packen. Die Deutsche Kammerakademie<br />
Neuss schneidet dazu unter ihrem<br />
Chef Lavard Skou-Larsen fantastische Fratzen.<br />
Die Ohren klingeln einem.<br />
Valentina Igoshina (Klavier), Lavard Skou-<br />
Larsen, Deutsche Kammerakademie Neuss:<br />
Schostakowitsch, Klavierkonzerte Nr. 1 & 2<br />
u.a. (cpo / jpc 777 750-2)<br />
LIEBES-FRÖSCHE<br />
Das vom Kölner Bassisten Sebastian Gramss in<br />
Leben gerufene Quintett Underkarl gehört zu<br />
den unberechenbaren Sprengköpfen des Jazz.<br />
In das aufgescheuchte Blue-Note-Gewimmel<br />
kann sich bei der Crew schon mal Ausgeflipptes,<br />
flotte Tanzmusik ode Altmeister Bach verirren.<br />
Fast schon aufreizend traditionsbewusst<br />
hat man sich mit Kapiteln der Jazzgeschichte<br />
beschäftigt, mit Cool Jazz, Bebop und mit dem<br />
Free-Jazz-Papst Ornette Coleman. Doch dass<br />
die neuformierte Band (Posaunist Nils Wogram<br />
wurde durch Klarinettist Rudi Mahall<br />
ersetzt) seinem herrlich querköpfigen Fake-<br />
Jazz treu blieb, verraten schon die Titel der<br />
zwölf Stücke. Angefangen bei den quirlig jazzrockigen<br />
»Frogs in Love« über den Hochgeschwindigkeits-Swing<br />
in »Teeempö« bis hin zu<br />
den »190 Strophen der gemeinen Singamsel«,<br />
wo die Fetzen und Federn fliegen.<br />
Underkarl: Humo Ludens (rent a dog / Al!ve<br />
2013-2)<br />
SzENEN E<strong>IN</strong>ER EHE<br />
Im Januar 1966 kam es in New York zum Gipfeltreffen<br />
zwischen zwei Jahrhundertmusikern. Die<br />
Sopranistin Elisabeth Schwarzkopf und ihr Bewunderer<br />
Glenn Gould wollten gemeinsam einige<br />
Strauss-Lieder aufnehmen. Dass es dabei zu Spannungen<br />
gekommen sein muss, wusste man aus<br />
K.WEST 10/2012 | 11<br />
der Gould-Biografie von Michael Stegemann. Nun<br />
hat der umtriebige Gould-Experte und in Dortmund<br />
lehrende Professor für Musikwissenschaft<br />
dieses Kapitel für ein packendes und preisverdächtiges<br />
Hörspiel rekonstruiert. Passend zum 80. Geburtstag<br />
des genialen und exzentrischen Pianisten<br />
Gould, der 1982 verstarb. Sämtliche Bänder, die<br />
1966 bei den Proben mitliefen und festhielten, was<br />
die Protagonisten von sich gaben, hat Stegemann<br />
wiederentdeckt. So wird man in seiner Doku-<br />
Collage »Chronik einer unglücklichen Liebe« Ohrenzeuge<br />
eines menschlichen und künstlerischen<br />
Missverständnisses. In zwei Tagen hatte Gould<br />
mit eigenwilligen Tempo-Variationen die Sängerin<br />
zur Weißglut gebracht. Im Studio herrschte zudem<br />
eine solche Hitze, dass Schwarzkopf stöhnte: »I’m<br />
full of Schleim!« Den fröstelnden Kanadier schien<br />
das Klima wenig gestört zu haben.<br />
Glenn Gould »Die Schwarzkopf Bänder« (Sony<br />
Classical, 2 CDs 88725462362)<br />
Wuppertal | Historische Stadthalle<br />
Dienstag | 18. Dezember 2012 | 20 Uhr<br />
Preise: € 100 | 75 | 65 | 45 | 20<br />
Vorverkauf ab Montag 27. August 2012<br />
Hélène Grimaud & Sol Gabetta<br />
(Klavier) (Violoncello)<br />
Werke von Schumann, Brahms, Debussy, Schostakowitsch<br />
Klavier-Festival Ruhr<br />
Info | Ticket: 01805 · 500 80 3* | www.klavierfestival.de<br />
*(0,<strong>14</strong> € / Min. aus dem dt. Festnetz; Mobil max. 0,42 € / Min.)<br />
stiftung<br />
klavier-festival<br />
ruhr<br />
Extra!<br />
Das kulturelle Leitprojekt des
52 12 | KUNST KLASSIK SPECIAL<br />
WIEGENLIEDER<br />
ZUM<br />
ABSCHIED<br />
Hanns Eisler und Bertolt Brecht, 1950. Foto: ullstein bild<br />
TEXT: MICHAEL STRUCK-SCHLOEN<br />
Die Kölner Philharmonie ehrt Kasper König<br />
mit Heiner Goebbels und Hanns Eisler.<br />
Plötzlich, nach der Wiedervereinigung, hatte sie wieder Konjunktur,<br />
die so genannte »Kinderhymne«, die Bertolt Brecht 1950 gedichtet und<br />
Hanns Eisler vertont hatte. »Anmut sparet nicht noch Mühe, Leidenschaft<br />
nicht noch Verstand, daß ein gutes Deutschland blühe wie ein andres gutes<br />
Land.« So wenig staatstragend lautet die erste Strophe des Liedes, das<br />
in Metrum und Wortwahl eine Antwort auf das in der Bundesrepublik<br />
wiedereingeführte Deutschlandlied war, aber auch eine »sanfte« Alternative<br />
zur DDR-Hymne von Johannes R. Becher. Denn obwohl es Brecht<br />
nicht an Aufbaupathos und erneutem Selbstbewusstsein in der Staatengemeinschaft<br />
fehlen lässt, kommt die »Hymne« poetischer und bescheidender<br />
daher. Vor allem fällt sie auf durch die untypische Betonen des »Wir«<br />
– nicht mehr Staat oder Nation, sondern der solidarisch empfindende<br />
Mensch steht hier im Mittelpunkt.<br />
In keiner Aufnahme kommt die Humanität des Textes, aber auch ihre<br />
Aussichtslosigkeit in der Zeit des Kalten Kriegs berührender zum Vorschein<br />
als in Hanns Eislers eigenem Vortrag aus seinen späten Jahren (er<br />
starb am 6. September vor 50 Jahren in Ostberlin). Die Stimme klingt<br />
flach und schlägt in der Höhe um, Eisler wirkt kurzatmig, die Aussprache<br />
ist österreichisch weich, wenn auch ohne älplerische Färbung. Was<br />
aber der alte, körperlich verbrauchte Mann aus diesem dürftigen Material<br />
macht, ist herzzerreißend und raffiniert zugleich. Er weiß die fließende<br />
Melodie zu gestalten und kraftvolle Akzente zu setzen, weiß die Intensität<br />
des Barrikadensängers mit der Innigkeit des Verlorenen zu vereinen.<br />
»Aus diesen wunderschönen Aufnahmen hört man seine Herkunft,<br />
sein Temperament und die Identität mit dem Material, und das alles<br />
ist nicht reproduzierbar«, sagt der Komponist Heiner Goebbels über<br />
den singenden Eisler der späten Jahre. Dieser Komponist lag ihm seit<br />
der Frankfurter Studienzeit am Herzen: weil er seine einfachen, kraftvollen,<br />
gesinnungsstarken Stücke mochte, und weil damals, zu Beginn<br />
der 1970er Jahre, ohnehin alles politisiert war. Für Goebbels war Eisler<br />
ein Original in vielfacher Hinsicht; vor allem aber war er keiner jener<br />
Neutöner, die es plötzlich notwendig und schick fanden, mit den Parteiwölfen<br />
oder den Studenten zu heulen, ansonsten aber weiter ihrer<br />
bürgerlichen Musik ästhetik anhingen. Durch Eisler ging nicht dieser<br />
Riss, sondern der Mensch und der Künstler waren beide in der Wolle rot<br />
gefärbt. Deshalb wurde er für den jungen Soziologiestudenten und Jazzmusiker<br />
Heiner Goebbels so wichtig wie wohl nur noch Heiner Müller<br />
auf literarischem Gebiet.<br />
Da verstand es sich fast von selbst, dass man zur Feier von Eislers 100.<br />
Geburtstag im Jahr 1998 Goebbels um eine Hommage fragte – ohnehin<br />
hatte sich im <strong>West</strong>en der Republik außer ihm kaum ein Kollege für den<br />
in Leipzig geborenen Sohn des Wiener Philosophen Rudolf Eisler interessiert.<br />
Also sichtete Goebbels noch einmal Eislers Werk und hörte sich<br />
die stundenlangen Gespräche mit Hans Bunge über Musik und Brecht<br />
und Politik an. Das Ergebnis war der etwa einstündige Zyklus »Eislermaterial«,<br />
den Goebbels in enger Zusammenarbeit mit dem Ensemble<br />
Modern erstellte. Und da ertönt gleich zu Beginn jenes Lied, das man,<br />
wenn man es einmal aus Eislers Mund gehört hat, eigentlich gar nicht<br />
mehr für reproduzierbar oder gar arrangierbar hält: die Kinderhymne.<br />
Zuerst vernimmt man – intoniert von einem schnarrenden Harmonium
aus Heilsarmee-Beständen – nur die dürre Begleitung ohne Text, eine<br />
Musica povera von der Straße für die Straße. Goebbels scheut sich nicht,<br />
Eislers Zitat aus seiner eigenen DDR-Hymne, das er da hineingeheimniste,<br />
mit voller Breitseite zu servieren. Die übrigen Musiker setzen ein<br />
mit einem schmalzigen Arrangement, später singen sie selbst den Text,<br />
zuletzt trägt ihn der Schauspieler Josef Bierbichler mit unausgebildet<br />
fisteliger, leicht brüchiger Stimme vor. Da greift also der Eisler-Verehrer<br />
Goebbels gleich zu Beginn so tief in den politischen Honigtopf, dass<br />
man sich erschreckt fragt, wie man diese Sozi-Folklore wohl eine Stunde<br />
lang überstehen mag.<br />
Aber wie Eisler ist auch Goebbels ein Fuchs, der uns erst auf die falsche<br />
Fährte setzt, um uns dann umso rüder aus nostalgischen Träumen zu reißen.<br />
Unvermittelt und lautstark rattert ein Satz aus Eislers Kleiner Sinfonie,<br />
einem Werk aus dem amerikanischen Exil, durchs Ensemble. Hat<br />
man sich allmählich auch an diesen kämpferischen Geschwindmarsch<br />
gewöhnt, spielt plötzlich die Klarinette einen Break, und der Satz endet in<br />
einer Gruppenimprovisation, aus dem sich wiederum ein sanftes Eisler-<br />
Andante herauslöst, dann warnt uns Bierbichler mit einigen Wiegenliedern<br />
für Arbeitermütter vor Unterdrückung und Krieg – und in diesem<br />
Wechsel geht es in Miniaturen fort zwischen sozialistischer Liedromantik,<br />
Jazzsoli, Anklängen ans Straßentheater und komponierten Sätzen. Selbst<br />
Eislers Stimme ist in zwei witzigen Collagen zu hören.<br />
Die Botschaft dieser ungewöhnlichen Hommage ist klar: Eisler, so suggeriert<br />
Goebbels, ist einer von uns, einer, der um die Nöte der einfachen<br />
Menschen wusste und Musik als Äußerungsform gegen jede Art von<br />
K.WEST_<strong>14</strong>8 x 210 mm_Schubert_Layout 1 20.09.12 16:04 Seite 1<br />
SCHUBERT?<br />
<strong>IN</strong>FO<br />
Heiner Goebbels, Eislermaterial, mit Josef<br />
Bierbichler und dem Ensemble Modern.<br />
Ein Fest zu Ehren von Kasper König (mit<br />
abschließendem Programm, moderiert<br />
von Harald Schmidt); Kölner Philharmonie,<br />
13. Oktober 2012<br />
www.koelner-philharmonie.de<br />
K.WEST 10/2012 | 13<br />
Herrschaft verstand. Zum demokratischen Ansatz passt, dass die meisten<br />
Arrangements in Zusammenarbeit mit dem Ensemble Modern entwickelt<br />
wurden, dass die Musiker bunt gemischt und »unhierarchisch« auf Holzbänken<br />
sitzen und der Dirigent – fehlt. »Eisler hätte das sehr begrüßt«,<br />
meint Goebbels, der freilich Praktiker genug ist, um zu wissen, was ohne<br />
Dirigent machbar ist und was nicht. So ist Eislermate rial das Werk eines<br />
Perfektionisten, der sich spontan gibt und nicht alle Fragen, die er aufwirft,<br />
auch selbst beantwortet. Nicht nur deshalb ist das Stück eine wür dige Gabe<br />
zu Ehren des scheidenden Kölner Museumsmannes Kasper König.<br />
<strong>AN</strong>TWORTEN MONATLICH.<br />
KUNST, BÜHNE, <strong>MUSIK</strong>, DESIGN, FILM, LITERATUR<br />
DAS KULTURMAGAZ<strong>IN</strong> DES WESTENS<br />
www.kulturwest.de oder Tel.: 0201 / 86206-33<br />
ABO?<br />
Telefon<br />
0201.8620633<br />
vertrieb@kulturwest.de
<strong>14</strong> | KLASSIK SPECIAL<br />
STIMM-LÄUFE<br />
Die Sopranistin Mojca Erdmann beim<br />
Bonner Beethovenfest<br />
In Interviews wird Mojca Erdmann bevorzugt auf ihr absolutes Gehör<br />
angesprochen. Gern erzählt sie dann die Geschichte, wie sie diese Gabe<br />
entdeckt hat. Mit zehn oder elf Jahren habe sie im Musikunterricht eine<br />
Aufnahme mit Schubert-Liedern gehört und ihr sei gleich aufgefallen,<br />
dass die gesungene Tonart nicht mit den Noten übereinstimmte. Über<br />
eine andere überlieferte Behauptung hingegen kann Erdmann mittlerweile<br />
nur noch schmunzeln. Denn dass die Sopranistin eigentlich Spätstarterin<br />
gewesen sei, trifft nun überhaupt nicht zu. Als sie 2006 bei den<br />
Salzburger Festspielen die Titelpartie von Mozarts »Zaide« sang und<br />
damit den Sprung ins internationale Geschäft nahm, war sie 30 Jahre<br />
alt. Doch die Opernwelt kannte die gebürtige Hamburgerin da bereits<br />
in- und auswendig.<br />
Statt sich jedoch zu Beginn ihrer Laufbahn an größeren Partien zu versuchen<br />
und womöglich zu verheben, führte sie ihren Weg konsequent über<br />
kleinere Rollen, die sie an der Komischen Oper Berlin wie auch in Mannheim<br />
übernahm. Für ihre erste CD-Produktion wählte Erdmann 2001<br />
auch nicht das gewichtige dramatische Fach, sondern präsentierte sich in<br />
einer Operetten-Rarität von Jacques Offenbach von schwungvoll leichter<br />
Seite. Nicht zuletzt dank der Ratschläge ihrer Lehrer Evelyn Herlitzius und<br />
Hans Sotin ließ Erdmann peu à peu ihr Stimm- und Ausdruckspotenzial<br />
aufblühen und reifen. Die umsichtige Karriereplanung hat sich gelohnt.<br />
Heute, mit 36 Jahren, und seit ihrem Salzburg-Debüt singt Mojca Erdmann<br />
kontinuierlich auf atemberaubend hohem Niveau. Aktuell gibt es<br />
neben Christine Schäfer keine zweite Sopranistin dieses Formats, die<br />
über solch ein breitgefächertes Repertoire verfügt. In der Oper reicht<br />
Erdmanns Spektrum von ihrem Favoriten Mozart über Wagner und<br />
Strauss bis zu Alban Bergs »Lulu«, die sie jüngst an der Berliner Staatsoper<br />
unter Daniel Barenboim gesungen hat. Sie gibt Liederabende mit<br />
ihrem Pianisten Gerold Huber und ist mit Nikolaus Harnoncourt als<br />
Oratorien- und mit Kent Nagano als Konzert-Sängerin unterwegs.<br />
Zudem widerlegt die Künstlerin, die bei einem Gesangswettbewerb 2002<br />
einen Sonderpreis für Zeitgenössische Musik bekommen hat, das hartnäckig<br />
sich haltende Vorurteil, mit Neuer Musik würde man sich nur<br />
die Stimme verknoten. Wenn sie eine Stunde lang in dem Monodrama<br />
»Proserpina« von Wolfgang Rihm über zweieinhalb Oktaven gefordert<br />
wird, meistert sie auch diese Leistung bravourös und ohne Überdehnung<br />
der Stimmbänder. Als Halbmarathon-Läuferin ist sie trainiert und<br />
getrimmt auf Kondition.<br />
Rihm, der neben der »Proserpina« weitere Werke für sie geschrieben<br />
hat, kenne sie und ihre Stimme wirklich gut, weiß Erdmann. Gleiches<br />
gilt für Peter Ruzicka und Aribert Reimann, deren melosreiche, zugleich<br />
feinnervig-chromatische Klangsprache perfekt zu ihr passen. Von beiden<br />
Komponisten hatte sie bereits vor zwei Jahren beim Beethovenfest<br />
Stücke auf ihr Programm gesetzt, darunter Reimanns Fassung der »Sechs<br />
Gesänge« von Robert Schumann für Sopran und Streichquartett, mit der<br />
Erdmann nun mit dem Kuss Quartett erneut gastiert. Wenn sie zudem<br />
in die geheimnisvoll entrückte Stimmung der Vokal-Sätze von Arnold<br />
Schönbergs Streichquartett op. 10 eintaucht, muss einem nicht bange<br />
werden. Ihr betörend schöner Gesang befriedet und bannt. | GUFI<br />
<strong>IN</strong>FO<br />
Mojca Erdmann, Foto: Felix Broede<br />
5. Oktober 2012<br />
Burg Heimerzheim Swistttal<br />
www.beethovenfest.de
Denken. Fühlen. Wissen.<br />
montags bis freitags • 2:05 bis 5:00<br />
samstags • 3:05 bis 5:00<br />
sonntags • 2:05 bis 4:00<br />
> Nachtkonzert<br />
vom Deutschlandfunk<br />
><br />
montags bis freitags •<br />
18:30 bis 19:00<br />
> Da Capo<br />
><br />
><br />
Weitere Informationen:<br />
deutschlandradio.de oder<br />
Hörerservice 0221.345-1831<br />
dienstags und donnerstags •<br />
21:05 bis 22:50<br />
Musikforum, Festspiel-Panorama<br />
samstags • 5:05 bis 6:00<br />
6 Klassik am Morgen<br />
täglich außer mittwochs •<br />
20:03 bis 22:00<br />
Konzert<br />
samstags • 19:05 bis 22:00<br />
Oper<br />
samstags • 22:05 bis 22:50<br />
6 Atelier neuer Musik<br />
sonntags • 9:10 bis 9:30<br />
7 Die neue Platte<br />
sonntags • 15:05 bis 16:00<br />
7 Musikszene<br />
sonntags • 21:05 bis 23:00<br />
7 Konzertdokument der Woche<br />
DRadio Wissen<br />
DRadio Wissen ist das neue Wissensradio für alle, die<br />
besonders neu gierig sind. Von Alltagswissen bis Wissenschaft.<br />
Und immer eng mit dem Internet verknüpft.<br />
Über Digitalradio, Kabel, Satellit und Internet: deutschlandradio.de<br />
täglich außer mittwochs •<br />
ca. 22:00 bis 22:30<br />
><br />
dienstags: Alte Musik<br />
donnerstags: Chormusik<br />
freitags: Einstand<br />
samstags: Die besondere Aufnahme<br />
sonntags: Musikfeuilleton<br />
sonntags • 15:05 bis 17:00<br />
7 Interpretationen
16 | KLASSIK SPECIAL<br />
KLASSIKTIPPS<br />
Klassik-Konzertauswahl bis<br />
zum Jahresende<br />
FRETWORK & HILLIARD ENSEMBLE<br />
Ein außergewöhnliches Gipfeltreffen zwischen zwei englischen Ausnahmeensembles<br />
bildet den Abschluss des »düsseldorf festivals!«.<br />
Fretwork ist eines der weltweit besten Ensembles für Gamben-Musik.<br />
Das Hilliard Ensemble setzt seit Jahrzehnten Maßstäbe, was die<br />
Vokalmusik der letzten sechs Jahrhunderte angeht. Einen zeitlich<br />
weiten Bogen schlagen beide Teams nun mit Werken vorrangig von<br />
Landsleuten. Da stehen Stücke von den englischen Barockmeistern<br />
Orlando Gibbons und Henry Purcell auf dem Programm. Vom einstigen<br />
Jazz-Kontrabassisten Gavin Bryars präsentiert man eine Purcell-Hommage<br />
sowie sein minimalistisches wie traditionsbewusstes<br />
»Cadman Requiem«. Als Deutsche Erstaufführung erklingt zudem<br />
ein flammneues Stück des Amerikaners Nico Muhly, der vor allem<br />
durch seinen Soundtrack zur Bernhard Schlink-Verfilmung »Der<br />
Vorleser« bekannt wurde.<br />
3. Oktober, Johanneskirche, Düsseldorf<br />
Empfehlungen<br />
der Redaktion<br />
GRAUSCHUMACHER PI<strong>AN</strong>O DUO<br />
Andreas Grau & Götz Schumacher gehören zu den dienstältesten Klavierduos.<br />
Seit drei Jahrzehnten musizieren sie zusammen. Kaum ein<br />
anderes Tastendoppel besitzt ein derart facettenreiches Repertoire, das<br />
von Schubert über Messiaen und Mozart bis hin zu Stockhausen reicht.<br />
Auch viele Zeitgenossen komponieren für sie. Wenn sie sich im K20<br />
an die Flügel setzen, schlagen GrauSchumacher einen repräsentativen<br />
Klang-Bogen, moderiert vom Pianistenkollegen Steffen Schleiermacher.<br />
Als »Hommage à Paul Klee« sind Werke von Bach bis Boulez, von Debussy<br />
bis Schleiermacher zu hören. Der Eintritt ist frei!<br />
3.Oktober, K20, Düsseldorf<br />
ESA-PEKKA SALONEN & PHILHARMONIA ORCHESTRA<br />
Nach seiner legendären Ära bei der Los Angeles Philharmonic kehrte der<br />
Finne Esa-Pekka Salonen 2008 nach Europa zurück, um das Londoner Philharmonia<br />
Orchestra zu übernehmen. Aus dem leicht verschlafenen Traditionsklangkörper<br />
formte er wieder eine Spitzentruppe. Gleich sechs Konzerte<br />
an zwei Orten geben sie gemeinsam. Beim Bonner Beethovenfest spielen<br />
Salonen und das Philharmonie Orchestra alle Neune von Beethoven. An allen<br />
vier Abenden ist zudem das Werk eines zeitgenössischen Komponisten<br />
zu hören, etwa von der Koreanerin Unsuk Chin und dem Australier Brett<br />
Dean. In Dortmund setzen die Musiker um Salonen die 2010 begonnene<br />
Residenzschaft fort. Im Rahmen der »Zeitinsel Alban Berg« erwarten einen<br />
das Violinkonzert des Schönberg-Schülers (Solist: Frank Peter Zimmermann)<br />
sowie eine konzertante Aufführung des »Wozzeck«.<br />
3. bis 6. Oktober Beethovenhalle Bonn<br />
30. & 31. Oktober Konzerthaus Dortmund<br />
Fretwork & Hilliard Ensemble , Foto: Friedrun Reinhold
MARC M<strong>IN</strong>KOWSKI & MAHLER CHAMBER ORCHESTRA<br />
Von Edvard Griegs Bühnenmusik zu Ibsens »Peer Gynt« kennt man<br />
im Grunde nur eine Handvoll Hits, darunter »Die Morgenstimmung«<br />
oder »Die Halle des Bergkönigs«. Dabei stecken in dem Werk reichlich<br />
Überraschungen. Herrliches Trollen- und Gnomentreiben und<br />
gar ein musikalischer Ausflug in die Sahara. Wer daher die Breite<br />
und Tiefe der Partitur erleben und genießen will, merke sich eine der<br />
drei Gesamtaufführungen. Denn in dieser erstklassigen Besetzung<br />
wird man den kompletten nordischen Faust so schnell nicht wieder<br />
hören. Geleitet wird das Mahler Chamber Orchestra vom Franzosen<br />
Marc Minkowski und damit von einem absoluten Spezialisten für<br />
die historische Aufführungspraxis. Die Sprecherrolle übernimmt die<br />
charismatische Sunnyi Melles.<br />
5. Oktober Philharmonie Essen; 6. Oktober Philharmonie Köln<br />
7. Oktober Konzerthaus Dortmund<br />
13. Oktober, 19 Uhr<br />
„L’Elisir d’Amore“ (Donizetti)<br />
27. Oktober, 19 Uhr<br />
„Otello“ (Verdi)<br />
The Metropolitan Opera<br />
Die große Oper auf der großen Leinwand.<br />
Alle Infos auf www.cinemaxx.de/met<br />
Marc Minkowski, Foto: Marco Borggreve<br />
K.WEST 10/2012 | 17 57<br />
Live im CinemaxX
58 18 | KUNST KLASSIK SPECIAL<br />
Ensemble Modern, Foto: Manu Theobald<br />
ENSEMBLE MODERN<br />
Zu zwei Festkonzerten reist aus Frankfurt am Main das Ensemble<br />
Modern an. In Köln präsentiert es zu Ehren des scheidenden Direktors<br />
des Museums Ludwig, Kaspar König, die Collage »Eislermaterial«<br />
von Heiner Goebbels. 1998 hatte das Ensemble Modern das<br />
zwischen Jazz und Moritat sausende Orchesterwerk uraufgeführt.<br />
Vom Rhein geht es danach für das Ensemble an die Ruhr, wo es das<br />
hochkarätig besetzte Neue Musik-Festival »Now!« eröffnet. Neben<br />
»Arcanto« für Klarinette und Orchester von Altmeister Helmut Lachenmann<br />
kommen Werke jüngerer Komponisten wie Lars Petter<br />
Hagen und Sven-Ingo Koch zur Aufführung.<br />
13. Oktober Philharmonie Köln<br />
26. Oktober Philharmonie Essen<br />
XAVIER DE MAISTRE<br />
Adel verpflichtet. Das gilt allemal im traditionsbewussten Frankreich,<br />
wo Herkunft trotz »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit« zählt.<br />
Der junge Blaublütler Xavier de Maistre wäre fast als schwarzes Schaf<br />
in die Annalen seiner Familie eingegangen. Denn schon früh hatte<br />
er mit dem unstandesgemäßen Beruf des Musikers geflirtet. Mittlerweile<br />
sind die Eltern mächtig stolz auf ihn. Bis 2010 war Monsieur 1.<br />
Solo-Harfenist bei den Wiener Philharmonikern. Seitdem ist er als<br />
musizierender Freiberufler unterwegs. Nun lässt de Maistre gemeinsam<br />
mit dem Gürzenich-Orchester Köln seine Harfe rauschen und<br />
lateinamerikanisch schwingen, wenn er das Konzert für Harfe und<br />
Orchester des Argentiers Alberto Ginastera spielt. Dirigent Bertrand<br />
de Billy dirigiert danach eine selten zu hörende Sinfonie des österreichischen<br />
Hollywood-Eroberers Erich Wolfgang Korngold.<br />
21. – 23. Oktober, Kölner Philharmonie<br />
KONST<strong>AN</strong>T<strong>IN</strong> LIFSCHITz<br />
Im Rahmen des dreitätigen Rhein-Sieg-Kammermusikfestivals gastiert<br />
mit Konstantin Lifschitz einer der aktuell faszinierendsten Pianisten. Der<br />
Russe, der von Gidon Kremer bis Mstislav Rostropowitsch nur mit den<br />
ganz Großen musiziert hat, gilt momentan neben dem Kollegen Pierre-<br />
Laurent Aimard als der vielleicht bedeutendste Bach-Interpret. Für sein<br />
Solo-Recital hat Lifschitz sich laut eigener Aussage ein »einmalig offenes«<br />
Musikkunstwerk ausgesucht. Es stammt selbstverständlich von Bach: die<br />
»Kunst der Fuge«. Immer noch umrankt dieses unvollendet gebliebene<br />
kontrapunktische Gipfelwerk einige Rätsel. Ziemlich sicher ist man sich<br />
inzwischen, dass es für ein Tasteninstrument geschrieben worden ist.<br />
Bach hatte bekanntermaßen nur die Wahl zwischen Cembalo und Orgel.<br />
Ganz im Sinne des zukunftsweisenden Urhebers spielt Lifschitz diese Kathedrale<br />
der Polyphonie nun auf einem modernen Flügel.<br />
27. Oktober, Stadtmuseum, Siegburg<br />
KLAVIERDUO SILVER-GARBURG<br />
Sivan Silver und Gil Garburg wurden beide in Israel geboren. Das auch<br />
privat liierte Klavierduo hat es schnell in die weite Welt gezogen, um internationale<br />
Klavierwettbewerbe am laufenden Band zu gewinnen. Heute<br />
gibt das Klavierduo Silver-Garburg selber Meisterkurse nur an den bedeutendsten<br />
Konservatorien und unterrichtet seit 2001 eine Klasse an der<br />
Hochschule für Musik und Theater in Hannover. Einen Eindruck von<br />
ihrer lyrischen Empfindsamkeit und technischen Meisterschaft vermittelt<br />
das Recital in Coesfeld, für das das Duo die Haydn-Variationen von<br />
Brahms sowie ein Concertino für zwei Klaviere von Schostakowitsch ausgewählt<br />
hat. Zum Auftakt steht Mendelssohns »Sommernachtstraum«-<br />
Schlager in der selten zu hörenden, vom Komponisten stammenden Version<br />
für vier Hände auf dem Programm.<br />
28. Oktober, Theater Coesfeld<br />
GAUTIER CAPUçON & GABRIELA MONTERO<br />
Kennengelernt haben sich Gautier Capuçon und Gabriela Montero 2006<br />
in Lugano – über die gemeinsame Freundin und Förderin Martha Argerich.<br />
Zwei Jahre später war die erste Aufnahme im Kasten. Seither weiß<br />
man, dass sich der französische Cellist und die venezolanische Pianistin<br />
gesucht und gefunden haben. Alles saß bei den Cello-Sonaten von Rachmaninow<br />
und Prokofjew spieltechnisch wie eine Eins mit Sternchen. Aber<br />
was Capuçon & Montero noch an Feuer und Schmelz aufboten, setzte das<br />
Signal für ihre Duo-Zukunft. Obwohl beide seitdem eine erfolgreiche<br />
Solo-Karriere gestartet haben – Montero auch als Improvisationswunder,<br />
Capuçon als beeindruckender Cello-Sänger –, halten sie in ihrem Tour-<br />
Kalender Termine für gemeinsame Konzerte frei. Mit den neu einstudierten<br />
Cello-Sonaten von Grieg und Schostakowitsch ist das Traumpaar der<br />
Kammermusik unterwegs.<br />
9. November Hörsaal H1 der Universität Münster;<br />
15. November Rudolf-Oetker-Halle Bielefeld<br />
BRAD MEHLDAU & ORPHEUS CHAMBER ORCHESTRA NEW YORK<br />
Normalerweise ist Brad Mehldau mit seinem Trio unterwegs, um sich<br />
den Klassikern des Jazz auch gelegentlich romantisch entrückt zu nähern.<br />
Da der gefeierte amerikanische Jazz-Pianist darüber hinaus ein<br />
enges Verhältnis zur klassischen Musik hat, zu Brahms und Strauss<br />
etwa, tauscht er seine beiden Trio-Mitstreiter bisweilen gegen ein Orchester<br />
ein. Wie jetzt auf seiner Tournee mit dem Orpheus Chamber<br />
Orchestra. Weil die basisdemokratisch organisierten, ohne festen Dirigenten<br />
auskommenden New Yorker heuer ihr 40-jähriges Bestehen<br />
feiern, haben sie bei Mehldau ein musikalisches Geburtstagsgeschenk<br />
in Auftrag gegeben. »Variations on a Melancholy-Theme« für Klavier<br />
und Orchester heißt das Werk, mit dem Mehldau und das OCO auf<br />
Deutschland-Tournee sind. Eingerahmt wird es von zwei Evergreens:<br />
Prokofjews »Klassischer«- und Mozarts Jupiter-Symphonie.<br />
10. November Tonhalle Düsseldorf
HAGEN QUARTETT<br />
2011 hat die österreichische Familienbande zusammen mit dem zweiten<br />
Violinisten Rainer Schmidt ihren 30-jährigen Quartett-Geburtstag<br />
gefeiert. Auch mit Neueinspielungen von Werken, die das von jeher<br />
breitgefächerte Repertoire-Spektrum des Hagen Quartetts absteckt.<br />
Da befand sich die Wiener Klassik genauso in den besten Händen der<br />
drei Hagen-Geschwister wie die klassische Moderne (Webern) und<br />
Zeitgenössisches von Jörg Widmann. Nach den Feierlichkeiten hat das<br />
einst von Nikolaus Harnoncourt protegierte Quartett für diese Saison<br />
einen Gipfel avisiert. In den weltweit wichtigsten Musikmetropolen<br />
von New York über Paris und London bis Wien spielt es in Konzertzyklen<br />
sämtliche Streichquartette von Beethoven. Einen exemplarischen<br />
Einblick in die vielschichtige Beethoven-Werkstatt gewährt das Ensemble<br />
beim Duisburger Gastspiel mit drei ausgewählten Quartetten<br />
(u.a. das von polyphonen Verästelungen durchsetzte, in hymnischer<br />
Kraft strotzende op. 127).<br />
18. November, voraussichtlich Theater am Marientor Duisburg;<br />
genauere Infos über den Veranstaltungsort unter<br />
www.duisburger-philharmoniker.de<br />
NICOLAS ALTSTAEDT & PEKKA KUUSISTO<br />
Wenn Goethes Bonmot zutrifft, dass ein Streichquartett ein vernünftiges<br />
Gespräch unter vier Musikern ist, was kommt dann wohl dabei<br />
heraus, wenn die zweite Violine und die Bratsche mal Pause haben?<br />
Launiges Geplauder auf nur acht Saiten? Oder tatsächlich spannende<br />
Brad Mehldau, Foto: Michael Wilson<br />
K.WEST 10/2012 | 19 59
60 20 | KUNST KLASSIK SPECIAL<br />
Grimaud & Gabetta, Foto: Mat Hennek<br />
bis hitzige Argumentationen zwischen zwei Bögen? Die Antwort geben<br />
zwei junge, schon unüberhörbar gute Spitzenkräfte an ihren jeweiligen<br />
Instrumenten. Nicolas Altstaedt konnte noch beim legendären Boris<br />
Pergamenschikow studieren und hat kammermusikalisch mit den Allerbesten<br />
wie Gidon Kremer und Yuri Bashmet gearbeitet. Der finnische<br />
Geiger Pekka Kuusisto hat sich auf seiner Guadagnini-Geige zu einem<br />
musikalischen Tausendsassa entwickelt, der neben Paganini auch Volkslieder<br />
spielt oder mit elektronischen Sounds experimentiert. Ein ideales<br />
Gespann bilden Altstaedt und Kuusisto, um das knappe Repertoire<br />
neu zu beleben. Mit Klassikern wie Ravel und Kodály, aber auch mit der<br />
Deutschen Erstaufführung eines Werks des Franzosen Raphaël Merlin.<br />
21. November Zeughaus Neuss<br />
22. November Konzerthaus Dortmund<br />
PR<strong>IN</strong>zESS<strong>IN</strong> NETREBKO<br />
Den Opernkomponisten Peter Tschaikowsky kennt man von »Eugen<br />
Onegin« und vielleicht noch von seiner »Pique Dame«. Aber sein letztes<br />
Musiktheater-Werk »Iolanta« ist zumindest hierzulande kaum zu hören.<br />
Dabei ist dieser Einakter Tschaikowskys schönste Oper, wie Anna Netrebko<br />
findet. Daher setzt sich die russische Star-Sopranistin für dieses<br />
Rührstück um eine blinde Prinzessin ein. Etwa bei den Salzburger Festspielen.<br />
»Konzertant, dennoch triumphal…jeder Ton ihres fabelhaften<br />
Soprans ist pures Gold«, jubelten die Salzburger Nachrichten. Nun geht<br />
Netrebko auf »Iolanta«-Tournee – zusammen mit zumeist russischen<br />
Solisten-Kollegen und dem Orchester der Slowenischen Nationalphilharmonie<br />
unter Leitung von Emmanuel Villaume.<br />
27. November Philharmonie Essen<br />
DAVID GER<strong>IN</strong>GAS<br />
Mit den Cello-Konzerten Dmitri Schostakowitschs hat in den letzten<br />
Jahren David Geringas ehemalige Meisterschülerin Sol Gabetta für<br />
Furore gesorgt. Doch der in Litauen geborene und längst in Deutschland<br />
heimisch gewordene Cellist ist nicht nur ein weltweit anerkannter<br />
Pädagoge. Auch auf seinem Instrument ist er eine Instanz, wenn<br />
es um die Repertoire-Klassiker geht. So ist Geringas nun selbst im 1.<br />
Cellokonzert von Schostakowitsch zu bestaunen. Begleitet wird er von<br />
den Duisburger Philharmonikern unter ihrem neuen GMD Giordano<br />
Bellincampi. Für das Rahmenprogramm hat Bellincampi zwei Orchesterkolosse<br />
ausgewählt. Sie stammen aus den Federn des Engländers<br />
Thomas Adès und Beethovens.<br />
5. & 6. Dezember, Theater am Marientor, Duisburg<br />
KÖNIG EMM<strong>AN</strong>UEL PAHUD<br />
2012 feiert man den 300. Geburtstag des Preußenkönigs, Feldherrn und<br />
Freund der Künste. Der gebürtige Schweizer und Top-Flötist Emmanuel<br />
Pahud ist für sein musikalisches Geburtstagsständchen mit leichtem Augenzwinkern<br />
in die Rolle Friedrichs geschlüpft. Im Booklet seiner Hommage<br />
»FlötenKönig« hat Pahud zwar einen schmucken Rock angelegt, wie<br />
er einst en vogue war. Doch statt edler Knöpfe sind bunte Metallplättchen<br />
von Champagnerkorken zu sehen. Und an Pahuds Dreispitz klebt eine<br />
harntreibende Judenkirsche! Bei seinen Gastspielen mit der Kammerakademie<br />
Potsdam setzt Pahud aber ausschließlich seinen goldenen Flötenton<br />
in Szene, um mit galanten, brillanten Konzerten u.a. vom Bach-Sohn<br />
Carl Philipp Emanuel an den Hof von Sanssouci einzuladen.<br />
10. Dezember Philharmonie Essen; 13. Dezember Eurogress Aachen<br />
THOMAS HAMPSON<br />
Wer sich sporadisch auf der Internetseite des amerikanischen Baritons<br />
Thomas Hampson nach dessen nächsten Auftritten erkundigt, erlebt<br />
immer wieder Überraschendes. Denn statt als Weltstar um die Welt zu<br />
jetten, reichen ihm sechs, sieben Konzerte bzw. Opern pro Monat. Der<br />
pflegliche Umgang mit seiner Stimme ist daher das eigentliche Geheimnis,<br />
weshalb Hampson mit seinen 57 Jahren weiterhin an oberster<br />
Spitze mitsingt. Vor allem als enzyklopädisch gebildeter Liedgestalter<br />
ist er Vorbild für alle nachrückenden Sängerkollegen. Mit dem Pianisten<br />
Wolfram Rieger, mit dem er seit über 15 Jahren zusammenarbeitet,<br />
widmet sich Hampson ausgewählten Liedern von Jules Massenet und<br />
Richard Strauss.<br />
<strong>14</strong>. Dezember Konzerthaus Dortmund
Anna Netrebko, Foto: Felix Broede<br />
SOL GABETTA & HéLèNE GRIMAUD<br />
2011 gaben sie ihr gemeinsames Konzert beim Menuhin-Festival in<br />
Gstaad / Schweiz. Nach dem Auftritt der Cellistin Sol Gabetta und der<br />
Pianistin Hélène Grimaud jubelten Publikum und Presse. »Einfach Grimetta«<br />
titelte eine Zeitung schlagfertig über die verblüffende Symbiose<br />
zweier Musikerinnen, die von Temperament und Wesen sehr verschieden<br />
sind. Während Sol Gabetta auch live ein Energiebündel ist, gibt<br />
sich Hélène Grimaud sachlich und nachdenklich. Nun sind die Zwei im<br />
Aufnahmestudio gewesen, um jenes Repertoire einzuspielen, mit dem<br />
sie aktuell gastieren. Beim vorerst einzigen <strong>NRW</strong>-Konzert stehen Cello-<br />
Sonaten von Brahms, Debussy und Schostakowitsch sowie Schumann-<br />
Arrangements auf dem Programm.<br />
18. Dezember Historische Stadthalle Wuppertal<br />
QUEEN KERMES<br />
Simone Kermes, einzig wahre Crazy Queen of Baroque, ist international<br />
eine der gefragtesten Sängerinnen im dramatischen Koloraturfach:<br />
dank ihres außergewöhnlichen Stimmumfangs, stupender<br />
Technik und betörend zärtlicher Pianissimi. Die Sopranistin macht<br />
nicht nur akustisch etwas her. An ihrem Faible für schrille Outfits<br />
verbeißen sich zwar die Stil-Polizisten, doch Kermes ist es gleich. Sie<br />
liebt die Verwandlung. Zu Weihnachteen brennt sie ein Feuerwerk an<br />
Verzierungen ab, um sich dann wieder mit lyrischer Fülle und Intensität<br />
einzuschmeicheln. All das und noch viel mehr passiert in den<br />
ausgewählten Opern-Arien von Antonio Vivaldi. Das dazu passende<br />
Barockorchester hat sich nach dem alten Volkstanz »La Folia« – Die<br />
Verrückte benannt.<br />
25. Dezember Philharmonie Köln<br />
K.WEST 10/2012 | 21<br />
K.WEST_92 x 127 mm_Vorschau_Layout 1 20.09.12 16:55 Seite 1<br />
Unser nächstes Special<br />
bietet einen fundierten<br />
Ausblick auf das Kulturjahr<br />
2013.<br />
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22<br />
| KLASSIK SPECIAL<br />
ROM<strong>AN</strong>TIK<br />
VON HEUTE<br />
Der Pianist David Fray spielt in Bielefeld.<br />
Es kann passieren, dass er beim Klavierspiel mit der Nasenspitze fast seine<br />
Finger berührt. David Fray beugt sich so weit vornüber, als wolle er ganz<br />
eins werden mit der Tastatur und nicht bloß das Handwerk betreiben. So<br />
extravagant diese Haltung erscheint, erinnert sie verblüffend an den ebenso<br />
wenig lehrbuchgemäßen Körpereinsatz des großen Glenn Gould. Auch<br />
wenn Fray bei einigen Stück-Interpretationen gelegentlich mitsummt, erinnert<br />
das an den genialen kanadischen Sonderling. Es lassen sich noch<br />
weitere Gemeinsamkeiten entdecken. Wie Gould tritt Fray stets mit eigenem<br />
Klavierstuhl auf. Vor allem beim Repertoire gibt es Parallelen. Frays<br />
Liebe zu Bach geht auf Goulds legendäre »Goldberg-Variationen« zurück,<br />
die er in seiner Jugend verinnerlicht hatte. Mit Debussy oder Chopin hingegen<br />
kann der 1981 in den Pyrenäen geborene Franzose so wenig etwas<br />
anfangen wie Gould.<br />
Ein Gould-Klon ist er deshalb nicht. Im Gegenteil. Allein beider Bach-<br />
Spiel könnte unterschiedlicher nicht sein. Im Kontrast zu den rhythmisch<br />
pointierten Abenteuern von Gould lässt Fray die Musik des J.S. Bach in<br />
schier unendlichem Facettenreichtum erblühen. Frays Gespür für das<br />
überirdisch Poetische lässt begreifen, weshalb für ihn vielmehr ein Pianist<br />
aus der romantischen Bach-Tradition Vorbild ist, wie er selbst bestätigt:<br />
»Wilhelm Kempffs Klavier ist ein singendes, lyrisches Instrument und zugleich<br />
ein intimes, das die Gefühle der menschlichen Seele wiedergibt«.<br />
Dass sich ein junger Pianist auf den etwas in Vergessenheit geratenen<br />
deutschen Erz-Romantiker Kempff beruft, mag zunächst erstaunen. Andererseits<br />
stammt Fray aus einer Familie, in der deutsche Kultur- und<br />
Geistesgeschichte präsent war. Frays Mutter ist Deutschlehrerin, während<br />
der Vater sich als Philosophie-Professor besonders mit Kant und Hegel<br />
beschäftigte. Das Nachdenklich-Grüblerische gehört zu seinem Erbteil.<br />
Fray bekräftigt diesen Eindruck, wenn er sich sinnierend, sphärenfern<br />
und leicht entrückt für seine CDs und Promotion-Fotos porträtieren lässt.<br />
Was ihm durchaus gut zu Gesicht steht.<br />
Foto: JB Mondino<br />
Dass Fray trotz seiner romantisch verträumten Aura ein Musiker des 21.<br />
Jahrhunderts ist, hat er freilich bestätigt. 2007 spielte er Klavierwerke von<br />
Bach und dem französischen Avantgardisten Pierre Boulez ein, der zusammen<br />
mit Christoph Eschenbach zu seinen Förderern gehörte.<br />
Die Basis für seine Laufbahn legte Fray zunächst am Pariser Konservatorium.<br />
Dort studierte er bei Jacques Rouvier, in dessen Klasse schon<br />
Hélène Grimaud gegangen war. Grimaud verhalf ihm dann unfreiwillig<br />
zum Durchbruch. Als sie erkrankte, sprang Fray 2006 für sie bei gemeinsamen<br />
Konzerten der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen<br />
in Paris und Brüssel ein und bekam einen Exklusivvertrag bei einem<br />
renommierten Label.<br />
Zwei Bach-Aufnahmen sind dort erschienen, die mit einem ECHO-Klassikpreis<br />
ausgezeichnet wurden. Die Einspielung von zwei späten Mozart-<br />
Klavierkonzerten jedoch ist Frays vielleicht bislang beeindruckendster<br />
Auftritt. Hinter unbeschwert leichtem Elan und einem himmlischen Anschlagsleuchten<br />
drohen bei ihm heftige psychische Gewitterstürme, die<br />
dem Mozart-Spiel des Österreichers Friedrich Gulda weit näher stehen als<br />
dem Kempffs. Was im großen Konzertkontext bereits funktioniert, soll nun<br />
im intimen Rahmen mit Mozart- und Beethoven-Sonaten gelingen, die<br />
Fray etwa auch schon beim Klavier-Festival Ruhr vorgestellt hat. | GUFI<br />
<strong>IN</strong>FO<br />
3. Oktober 2012<br />
Rudolf-Oetker-Halle Bielefeld<br />
www.rudolf-oetker-halle.de
Unterstützen auch Sie<br />
das Operndorf Afrika<br />
mit einer Spende auf das<br />
folgende Konto:<br />
Empfänger Festspielhaus aFrika ggmbh<br />
Deutsche bank berlin<br />
Konto 11 28 578, BLZ. 100 701 24<br />
www.opernDorF-aFrika.com<br />
www.Facebook.De/opernDorFaFrika
Eröffnungspremiere Ruhrtriennale 2013<br />
Delusion of the Fury<br />
Musiktheater von Harry Partch<br />
23. August 2013<br />
Jahrhunderthalle Bochum<br />
Inszenierung — Heiner Goebbels<br />
Mit — Ensemble musikFabrik<br />
Foto © Ensemble musikFabrik<br />
Der Instrumentenbau und deren Einstudierung<br />
durch das Ensemble musikFabrik wurde gefördert<br />
von der Kulturstiftung des Bundes<br />
und der Kunststiftung <strong>NRW</strong>.