Sommerkrimi 2007
In 2007 startete die Braunschweiger-Zeitung das Projekt "Sommerkrimi" Zweimal in der Woche, dienstags und freitags, wiurde die spannende Story mit viel Lokalkolorit aus der Stadt der Wissenschaft von bekannten Braunschweigern weitergestrickt. Auf Seite 39: schreibt Ewald Schnug das Kapitel 18 „Spur führt in einen Luftschutzkeller“. In dieser Story sind einschneidende Erlebnisse seiner ersten Jahre als Institutsleiter an der FAL verklausuliert! In diesem Sommer lassen wir bekannte Braunschweiger einen Fortsetzungs-Krimi schreiben – und Sie sind für das große Finale zuständig.
In 2007 startete die Braunschweiger-Zeitung das Projekt "Sommerkrimi" Zweimal in der Woche, dienstags und freitags, wiurde die spannende Story mit viel Lokalkolorit aus der Stadt der Wissenschaft von
bekannten Braunschweigern weitergestrickt. Auf Seite 39: schreibt Ewald Schnug das Kapitel 18 „Spur führt in einen Luftschutzkeller“. In dieser Story sind einschneidende Erlebnisse seiner ersten Jahre als Institutsleiter an der FAL verklausuliert!
In diesem Sommer lassen wir bekannte Braunschweiger einen Fortsetzungs-Krimi schreiben – und Sie sind für das große Finale zuständig.
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Der große Sommer-Krimi 2007 der
BRAUNSCHWEIGER Zeitung
Seite 39: Ewald Schnug Kapitel 18 „Spur führt in einen Luftschutzkeller“
In diesem Sommer lassen wir bekannte Braunschweiger einen Fortsetzungs-Krimi schreiben –
und Sie sind für das große Finale zuständig.
Zweimal in der Woche, dienstags und freitags, wird die spannende Story mit viel Lokalkolorit
aus der Stadt der Wissenschaft von unseren Autoren weitergestrickt.
52°17'23.335" / 10°26'10.936"
Der große Sommer-Krimi 2007 der BRAUNSCHWEIGER Zeitung
Inhalt
Seite
1 Lokale Nachwuchs-Fürsten wollen nach oben. Peter Schanz 3
2 Rolf-Hubert liegt tot im weißen Sand. Peter Schanz 6
3 Eine geheimnisvolle Botschaft gibt Rätsel auf. Stefan Miersch 8
4 Rat wird zu einer Sondersitzung einberufen. Ulrich Markurth 10
5 Noch eine Leiche – Wieder ein Journalist. Hans-Jürgen Grasemann 12
6 Suse wächst die Sache über den Kopf. Oliver Braun 14
7 War die Meister-Mannschaft 1967 gedopt? Rudi Balling 17
8 Vision: Eintracht in die Champions League. Stefan Maiwald 19
9 Suse in Panik: "Wir sind in Gefahr!". Elisabeth Hoffmann 21
10 Leiche in der Oker – mit Zettel in der Hand. Thomas Ostwald 23
11 Soko "Pferdeschwanz" nimmt die Arbeit auf. Michael Hoppe 25
12 Mysteriöser Zettel steckte in der Geldbörse. Hans-Peter Richter 27
13 Polizei will Hohlräume der Rösser untersuchen. Joachim Grande 29
14 Kommissarin findet Notizbuch eines Opfers. Maybritt Hugo 31
15 Suse gesteht: Wir haben großen Mist gebaut. Michael Strauß 33
16 Bronze-Schweif liegt im Klostergarten. Burkhard Bohne 35
17 Das Morden nimmt kein Ende. Jens Simon 37
18 Spur führt in einen Luftschutzkeller. Ewald Schnug 39
19 Biss-Spuren von Blutegeln entdeckt. Horst Grunert 41
20 "Operation Pferdebauch" in vollem Gange. Silke Schirmer 43
21 Drogen-Doping Sumpf wird trockengelegt. Silke Grefen-Peters 45
Die Autoren 47
Der Tatort von Kapitel 18 50
1 Lokale Nachwuchs-Fürsten wollen nach oben
Die sportliche Viererbande aus der Kommunikations-Branche trifft sich regelmäßig in einem Lokal in der
Spielmannstraße
Von Peter Schanz
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Braunschweig blühte. Eine Stadt im Jahrhunderthoch! Kalendarisch hatte die heiße Jahreszeit zwar soeben erst
begonnen, der gefühlte Sommer jedoch warf seit Wochen schon mit Glückshormonen um sich.
Die Stadt war wie besoffen von sich selbst. Ganz Deutschland sprach anerkennend über das Husarenstück, beim
Otto-Versand ein funkelnagelneues altes Schloss bestellt zu haben. Anderswo mochten die Menschen zu C & A
gehen oder zu H & M, in Braunschweig flanierte man jetzt durch die Welfenresidenz und shoppte dortselbst
nach Kräften.
Der große Aufschwung lauerte an jeder zweiten Ecke: Man riss ab und baute wieder auf, es wurde eingerüstet,
und es wurde enthüllt. Dazwischen saß man in den Eisdielen und schmolz, saß in den Biergärten und
verdunstete, saß selig in seiner Stadt herum, die prall im Saft stand wie die üppigste Mitsommernachts-Wiese.
Ja, selbst die Störche waren zurückgekehrt, und das städtische Presseamt bot Fotos an vom Oberbürgermeister in
kurzen Ärmeln: Wie er mit einem Jute-Säckchen aus der Gemüseabteilung eines Supermarktes im Untergeschoss
des Schlosses schlenderte, in bester Laune sein Einkaufsverhalten den Zeichen der neuen Zeit angepasst; jeder
Zoll ein entspannter Herrscher im Zenit seiner Macht – und höchst dekorativ etwas Grün über den Beutelrand
hängen lassend. War es Mohrrübengrün? War es Porree? Es könnten auch Maiglöckchenblätter gewesen sein –
aber wer isst so etwas schon.
„Ihr Reklame-Machos lasst ja keinen Fettnapf aus"
"Probleme? Kenn' ich nicht, seh' ich nicht. Das ist vorbei", sagte Rolf-Hubert und griff zu seiner Latte
Macchiato.
"Seh' ich genauso", schloss Suse sich an, "wir Braunschweiger starten jetzt ganz groß durch!"
"Bis auf die Üblichen", grinste Andrea.
"Welche Üblichen?", fragte Kai.
"Na - die Eintracht und das Stadtmarketing!" Andrea lachte.
"Müsst Ihr immer auf uns herumhacken?", jammerte Kai.
"Selber schuld", meinte Suse, "Ihr städtischen Reklame-Machos lasst ja keinen Fettnapf aus."
"Aber die Eintracht ist weg von den Problemoholikern. Ich habe mit Benno gesprochen", sagte Rolf-Hubert, "das
geht klar: wir steigen sofort wieder auf. Da wette ich meinen Kopf drauf!"
"Ich wusste gar nicht, dass Du noch einen hast!", frotzelte Suse.
Das sommerlich entkleidete Quartett hatte sich zu einem After-Work-Kaffee bei Eusebia getroffen. Das
Spielmannsträßchen liegt so schön zentral: mitten im TU-Viertel und kaum zehn Minuten vom
Rathaus wie vom Pressehaus entfernt. Man sah sich fast jeden zweiten Tag.
Die vier bildeten ein kleines feines Netzwerk der lokalen Nachwuchs-Fürsten aus den zweiten Reihen, wie Suse
es einmal formuliert hatte, stets zum Durchbruch bereit. Man nahm zum Hintergrundgespräch ein Glas
Milchkaffee und eine Flasche Volvic, oder – und ohne mit der Zunge zu zucken – eines dieser neumodischen
Panschbiere mit Limonengeschmack. "Ich war noch nie so gerne Braunschweiger wie heute"
Wäre die Frau am Nebentisch nicht so mit Hape Kerkeling auf dem Jakobsweg beschäftigt gewesen, hätte sie die
Viererbande etwa folgendermaßen beschreiben können: mutmaßlich Singles mittleren Alters, relativ sportlich,
über alles mögliche im Bilde, müssen wohl etwas mit Kommunikation und Öffentlichkeit machen.
Der Rundere, den sie Kai nennen und eine der Frauen sind möglicherweise bei der Stadt, der Längere mit hoher
Stirn und tiefer Brille eher bei der Presse; die andere Frau – Design vielleicht oder Werbung für eine Behörde?
Man könnte ja noch einmal hinhören.
"Einmal den Bärlauch-Salat mit Ziegenkäse-Crostini?"
"Danke." Rolf-Hubert hatte sofort die Gabel im Mund.
"Du kannst auch immer essen."
"Stimmt." Er pulte sich einen Fitzel Grünzeug aus den Zähnen. "Mir schmeckt's eben. Und wisst Ihr was: ich
war noch nie so gerne Braunschweiger wie heute. Es geht richtig 'was ab, soviel Synergie war nie: Wissenschaft
und Gastronomie, Wirtschaft und Sport, Technik und Kunst . . ."
"Apropos Wissenschaft und Sport: was macht eigentlich Deine Doping-Story?"
"Recherche läuft noch", mampfte Rolf-Hubert.
"Aber mal ehrlich: wer soll denn bei denen gedopt gewesen sein?", sagte Kai.
"Warte ab, das wird noch ganz spannend!"
Die Frau vom Nebentisch schüttelte ihre roten Haare, schlang sie durch ein Gummi, verstaute Hape Kerkeling in
ihrer Tasche, bezahlte eine Hollunder-Bionade und ging wieder nach oben ins "Infam". Dipl.-Ing. Heike
Mittelstaedt war wissenschaftliche Mitarbeiterin am "Institut für Angewandte Mechanik". Sie hatte noch
Abenddienst bei der heutigen Ringvorlesung und wollte zuvor noch ein bisschen ihre Festplatte aufräumen.
Rolf-Hubert ließ sich seine rothaarige Feierabend-Vision nicht anmerken: "Stimmt das eigentlich, dass Ihr für
den OB ein Dossier zur Olympia-Bewerbung 2020 erarbeiten sollt?"
"Alter Schwede", grinste Kai, "das kann ich weder bestätigen noch dementieren."
"Wusste ichs doch!" Rolf-Hubert triumphierte geradezu.
"Ich habe nichts gesagt!"
"Wir danken für dieses Gespräch!"
Das Quartett brach jetzt auf.
"Morgen beim Sport?" fragte Andrea.
"Mal sehn, ich sims' Dir noch", antwortete Suse.
"Wir telefonieren!", sagte Kai zu Rolf-Hubert.
"Man sieht sich!", sagt Rolf-Hubert zu Suse.
Im Infam wurde ein Fenster geschlossen, ein Stockwerk über Eusebia.
Dienstag, 03.07.2007
2 Rolf-Hubert liegt tot im weißen Sand
Vandalismus-Anzeige vom Bauamt: An den Pferden der Quadriga fehlen alle vier Schwänze
Von Peter Schanz
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Braunschweig stöhnte. Soviel Blüte war seit Jahrzehnten nicht: der Pollenflug wollte gar nicht mehr aufhören.
"Ich wäre lieber mit den Kollegen in Heiligendamm gewesen," ächzte Nicole. "Eine Woche an der Küste, immer
Seeluft, kein Heuschnupfen und trotzdem Dienst im Freien – vielleicht sogar im Sattel. Nichts gegen
Gliesmarode – aber wenn Du nur die Wahl hast zwischen Im-Büro-Ersticken und Sich-Zu-Tode-Niesen..."
"Gesundheit, Frau Schwertfeger!"
Hauptkommissarin Nicole Schwertfeger war das, was ihr Chef Freddie Moehring gerne "mein bestes Pferd im
Stall" nannte. Nein, mit der Reiterstaffel hatte sie nichts zu tun. Andere Baustelle: Nicole war im Zentralen
Kriminaldienst, Fachkommissariat 1, Friedrich-Voigtländer-Straße, zuständig für Mord & Totschlag also. Was
Nicole wiederum ihr bestes Pferd nannte, stand in einem Schöppenstedter Stall. Sie hatte eine Reitbeteiligung an
einem 17-jährigen Hannoveraner Wallach. In Wahrheit hatte sie sich wegen der vielen Wochenend-Dienste
längst in ein neues Hobby geflüchtet: Kochen statt Reiten. Sie besaß alle Bücher dieses kleinen englischen
Starkochs. "Und ein Ticket für Tim Mälzers Koch-Show in der Stadthalle im Dezember hab ich auch schon!"
Man sah ihr nicht an, wo sie das alles hin aß. Und die Kerle auf der Wache nannten die offensiv Blondierte nur
den Schwertfeger: "Unser Schwert-Feger sieht für 'ne Bullin einfach zu gut aus." Aber das war natürlich Nicoles
Kapital.
Eine Leiche im Bürgerpark. Männlich, mittelalt, groß.
"Das wirklich Geniale an dieser Sache mit der Ideenküche ist ja nun einmal die Idee mit der Küche," sagte
Nicole. "Total simpel - aber eben genial. Überall wird gekocht, auf jedem TV-Sender, in Kassel kochen sie jetzt
Kunst, und bei uns eben Wissenschaft. Und das Geile ist, es gibt jetzt nicht mehr dauernd diese Wurstplatten und
Mett-Igel, die sie früher immer als rustikale Eingeborenen-Spezialität hinstellten: Braunschweich Stadt mit
Wissensdurst, Braunschweich Stadt der Bregenwurst – nein, das reicht nicht mehr. Die Sponsoren wollen was
besseres als Hackepeter. Und jetzt kriegen sie es."
"Und was besseres?" fragte Kommissaranwärter Bülent Camoglu seine Chefin.
"Spargel in Bärlauch-Hülle zum Beispiel."
"Spargel in Bärlauch-Hülle?"
"Gestern abend – auf dem PTB-Empfang. Zum Beispiel."
"Und das ist wirklich besser?"
"Absolut!"
"Ist das Zeug nicht giftig?"
"Ach was, darfst Du nur nicht verwechseln. Aber das kennt man ja vom Pilzesuchen."
Bülent war verwirrt: "Wie jetzt? Ist Bärlauch 'n Pilz?"
Moehring stand im Türrahmen: "Schluss mit Bärlauch! Wir haben eine Leiche."
"Aha." Nicole wusste, jetzt kommt Moehrings Monolog. Und da kam er:
"Eine Leiche im Bürgerpark. Männlich, mittelalt, groß, schlank. Die Fotos müssen gleich hier sein. Lag auf dem
Gelände der Okercabana – diesem Beachclub, wo meine Kinder immer rumhängen. Muss da schon ein paar
Stunden gelegen haben, malerisch im weißen Sand: Hemd offen, Hose offen, ohne Schuhe. Und neben ihm lag
ein Schwanz, ein mächtiger Schwanz. Eine Joggerin fand ihn heute mor-gen."
"Und?" fragte Hauptkommissarin Schwertfeger. "Wer ist es?"
"Sport-Müller. Einwandfrei identifiziert: Rolf-Hubert Müller, der Sportchef der Zeitung. Nun der Ex-Sportchef."
"Und der Schwanz?" fragte Bülent.
"Ein Monstrum von Schwanz: unwirklich glänzend – und fast genauso lang wie Müllers sterbliche, nun
gestorbene Hülle. Beste polnische Bronze."
"Und was willst Du damit sagen?" fragte Nicole ihren Chef.
Moehring liebte es, sein Wissen kalkuliert zu präsentieren: "Vorhin eine Anzeige vom städtischen Bauhof:
Vandalismus samt schwerer Sachbeschädigung und Diebstahl, wenn nicht Raub. Jemand hat den Quadriga-
Rössern die Schwänze abgeschlagen. Die sollten doch in ihrem Schuppen auf Brunonia mit dem Wägelchen
warten, damit sie endlich komplett dem Schloss aufs Dach steigen können. Und jetzt das."
"Unsere Fledder-Mäuse sind noch bei der Arbeit"
"Alle vier Schwänze ab?"
"Alle vier Schwänze ab - und weg!"
"Aber bei Müller nur einer?"
"Bei Müller nur einer."
"Das heißt, es fehlen nur noch drei."
"Kann man so sehen."
"Was wiegt so ein Pferdeschwanz?" fragte Bülent.
"Auf jeden Fall zu viel," sagte Moehring.
"Und der Schwanz war die Todesursache?" fragte Nicole.
"Unsere Fledder-Mäuse sind noch bei der Arbeit", antwortete Moehring. "Und jetzt hab ich noch das hier." Er
reichte Nicole ein Blatt Papier im Klarsichtbeutel.
Nicole las: "Einladung zur Ringvorlesung an der TU: Wackelt der Hund oder wackelt der Schwanz: Methoden
der Schwingungsmessung und ihre technische Realisierung. Ich dachte, es war ein Pferde-schwanz! Mein Humor
geht anders. Was soll ich damit?"
"Dreh’ es um!" Nicole drehte es um. "Oh! Ein Bekennerschreiben?"
Freitag, 06.07.2007
3 Eine geheimnisvolle Botschaft gibt Rätsel auf
Spezialist der Spurensicherung untersucht die Leiche von Rolf-Hubert Müller – Alarmierender Anruf
beim Polizeipräsidenten
Von Stefan Miersch
Freddie Moehring grinste breit: "Ja, da steht zwar ein Name. Aber leider nicht unter einem Geständnis."
Nicole Schwertfeger fixierte das Blatt Papier in ihren Händen. Nicht mehr als sieben Worte waren dort zu lesen.
"Und außerdem scheidet der Knabe sowieso aus dem Kreis der Verdächtigen aus. Ist schließlich seit mehr als
vierzig Jahren tot", fuhr Moehring ungerührt fort.
Bülent Camoglus Geduldsfaden riss in der Sekunde, in der er realisierte, dass sich seine Chefin entschieden
hatte, den Grund für ihre beeindruckend steile Falte zwischen ihren Augenbrauen keineswegs öffentlich
kundzutun. "Nun lies schon vor! Wie soll ich mir etwas von Deinen genialen Ermittlungsmethoden abgucken,
wenn Du mich nicht an Deiner Arbeit teilhaben lässt?"
Aber diese Schmeichelei konnte Nicole nur dazu bewegen, sich ausgiebig hinter dem rechten Ohr zu kratzen,
ihren Vorgesetzen ratlos anzusehen und den Zettel in ihren Händen achtlos zu Bülent herabflattern zu lassen, der
auf seinem Drehstuhl gespannt vor ihr saß. Er fing das Blatt Papier auf und las laut vor, obwohl von den
Anwesenden schon jeder außer ihm wusste, was dort stand: "POLITIK: WETTRENNEN TROJANISCHER
PFERDE - STANISLAW JERZY LEC".
Nicole tigerte grübelnd durch das kleine Büro. "Offenbar will uns jemand auf eine bestimmte Fährte locken, es
uns aber nicht zu einfach machen. Denn diese Ringvorlesung war am 20. Juni, also gestern. Wir müssen
herauskriegen, ob sich dort Politiker haben blicken lassen." Plötzlich blickte sie auf. "Wo hat man die Einladung
– und dieses Zitat eines mir bis dato unbekannten, offensichtlich polnischen Dichters – überhaupt gefunden?"
"Auf unserem neuen Vorhänge-Schloss, dem glanzvollen Kontrapunkt zu der zu erwartenden Verödung der
übrigen City. Genau an der Stelle, wo einmal die Brunonia über der Stadt thronen soll", klärte Moehring sie auf.
Bülent hatte den Eindruck, dass der Zeitpunkt gekommen war, an dem sich ein ehrgeiziger Kommissaranwärter
einschalten sollte: "Ok, kurzes Brainstorming: Die Brunonia ist die symbolhafte Schutzpatronin des ehemaligen
Herzogtums und Landes und nunmehr der Stadt Braunschweig. Und wer will deren Integrität beeinträchtigen,
indem sie in ein Konstrukt eingebunden werden soll, das sich Metropolregion nennt? Die Politik. Der
betreffende Kongress findet am morgigen Freitag, den 22. Juni statt. Und dieses Mal werden wir nicht zu spät
kommen."
Nicole ignorierte Bülents Redeschwall ebenso wie das triumphierende Strahlen in seinem Gesicht. "Weiß man,
woran Müller zuletzt recherchiert hat?"
"Ja, an dieser Doping-Geschichte", antwortete Moehring.
Bülent horchte auf. "Wussten Sie, dass es eine Turnerschaft mit dem Namen Brunsviga-Brunonia gibt, auf deren
Internetseite der Spruch steht ,Mens sana in corpore sano’? Vielleicht gibt es da ja eine Verbindung. Übrigens
gibt es auch ein Stärkungsmittel für Pflanzen mit dem Namen Brunonia. Wer sagt denn, dass man zum Dopen
Captagon braucht?"
Nicole und Moehring warfen sich entnervte Blicke zu. "Und während Du Deine Verschwörungstheorien
verfeinerst, sehen wir uns mal den Tatort an. Schließlich sinken die Aufklärungschancen nach einem
Kapitalverbrechen nach nur 24 Stunden dramatisch, wenn man nicht vorher alle erdenklichen Spuren gesichert
hat."
Nicole drehte sich im Rausgehen noch einmal zu Bülent um. "Wie Sie natürlich wissen, großer Sherlock
Holmes! Wenn Du den Fall wider Erwarten nicht vom Schreibtisch aus lösen solltest, kannst Du ja mit Professor
von Löwenstadt auf Wissens-Safari gehen. Das bringt mit Sicherheit die nötigen Erkenntnisse."
Heike Mittelstaedt konnte sich erst gegen Mittag aufraffen, ihr warmes Bett zu verlassen. Der Abend war lang
geworden. Und vielversprechend für die nähere Zukunft! Doch das Croissant vom Vortag fiel ihr schon beim
ersten Blick auf die Titelseite der Braunschweiger Zeitung aus der Hand. Unter der Haupt-Überschrift prangte
das Bild eines Mannes, dem sie in ihrem Leben genau zweimal begegnet war. Und das erste Mal war am
gestrigen Nachmittag gewesen. Dieser Mann sollte nun tot sein? Sie griff zum Handy und wählte mit zittrigen
Händen eine Nummer.
"Nun, meine Kinder: Gebt fein acht! Ich hab’ Euch etwas mitgebracht." Nicole starrte Ernst Kroiter verwirrt an.
Der Spezialist der Spurensicherung schwang theatralisch ein silbernes Köfferchen.
"Er steht auf Zitate aus Kinderserien – wie z. B. das Sandmännchen", raunte Moehring ihr hinter vorgehaltener
Hand zu. "Extrem guter Mann, aber leicht durchgeknallt."
Das erklärte, warum er sie mit einem langgezogenen "Guddenaaabend" à la Mainzelmännchen begrüßt hatte,
obwohl es jetzt eigentlich die richtige Zeit für ein üppiges Mittagsmahl gewesen wäre. Kroiter beugte sich über
den Leichnam Müllers und klatschte voller Tatendurst in die Hände. "Das wird heutigen Tags wieder eine
Verlustigung erster Kajüte."
Und als er in die verständnislosen Augen der beiden Kriminalisten schaute, fügte er gnädiger Weise hinzu: "Wie
mein Kollege Bugs Bunny sagen würde."
Nicole und Moehring hofften, dass dieser Teil ihrer Arbeit bald hinter ihnen liegen und der Sendeschluss auf
dem Kinderkanal nicht mehr allzu lange auf sich warten lassen würde. Plötzlich kramte Moehring umständlich
sein Mobiltelefon aus seiner Brusttasche hervor. Sein Vibrationsalarm vermittelte den Eindruck, als würde ein
externer Herzschrittmacher nur auf zwei Zylindern laufen.
Nicole sah, wie ihrem Chef sämtliche Gesichtszüge entglitten. Dennoch wartete sie geduldig, bis er das
Telefonat beendet hatte. Sein einziger Gesprächsbeitrag hatte aus dem Satz bestanden: "Ist gut, wir kommen
sofort."
"Was ist los? Noch eine Leiche?"
Dienstag, 10.07.2007
4 Rat wird zu einer Sondersitzung einberufen
Polizeipräsident Moehring: "Braunschweig ist dabei, in die Kriminalgeschichte einzugehen" – Suse
befallen böse Vorahnungen
Von Ulrich Markurth
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Der Polizeipräsident eröffnete ohne große Formalitäten die Sitzung und stellte Moehring und sein Team kurz den
bereits Anwesenden vor. "Unsere besten Leute in Braunschweig, meine Damen und Herren – schön, dass Sie
gleich kommen konnten. Ich darf annehmen, dass Sie ihrerseits die Runde kennen – vielleicht mit Ausnahme der
Kollegin aus dem Innenministerium."
Moehring blickte fragend zu seiner Inspektionsleiterin, die aber auch nur mit den Schultern zucken konnte.
"Die Sache ist höchst delikat und von daher selbstredend in besonderem Maße vertraulich", fuhr der Präsident
fort. Er machte eine staatstragende Geste: "Braunschweig ist dabei, in die Kriminalgeschichte einzugehen."
In diesem Moment konnten die Anwesenden nicht einmal ahnen, dass dazu gerade mal die ersten Kapitel
geschrieben waren…
Auf der Oker tanzten die reflektierenden Strahlen der späten Nachmittagssonne, die den Weg durch das dichte
Grün des Museumsparks auf die Wasseroberfläche gefunden hatten. Kanuten in ihren superleichten schnittigen
Booten zogen an den "Okerterrassen" vorbei, fast lautlos und so anmutig, wie die letzte Ballettaufführung im
nahen Staatstheater. Das Paar blickte ihnen mit leerem Gesichtsausdruck über ihre seit 10 Minuten nicht
angerührten Getränke nach.
"Wusstest Du eigentlich, dass Braunschweig eine Hochburg des Kanuslaloms und Wildwasserrennsports ist?",
versuchte Kai das Gespräch wieder aufzunehmen. "Rolf-Hubert hat oft darüber …" Er konnte nicht weiterreden.
"Ist doch alles ein Wahnsinn. Ich meine, welcher Irre …"
"Wieso eigentlich ein Irrer", unterbrach Suse, und in ihren rot unterlaufenen Augen funkelte eine gallige
Mischung aus unendlicher Trauer und Wut. Den ganzen Tag war sie seit der Todesnachricht wie in Trance
gewesen, weit davon entfernt, sich auf ihren seit Wochen akribisch vorbereiteten Jahreshöhepunkt, die
metropolregionale Wissensvernetzung einstellen zu können, die der Braunschweiger Ideenküche gleich eine
ganze Batterie an Kochmützen oder Sternen verleihen sollte. Die Verabredung mit den Freunden könnte helfen,
ihre Gedanken und Gefühle ein wenig zu ordnen. "Wenn ich daran denke, dass wir gestern um diese Zeit noch
alle zusammen waren … In die ?Euse' hätte ich heute nicht gehen können."
"Ich überlege die ganze Zeit, was wir jetzt tun können, ja müssen", versuchte sich Kai in schlecht gespielter
Entschlossenheit.
"Wo bleibt eigentlich Andrea", ärgerte sich Suse und griff erneut zu ihrem Mobiltelefon. Die Nummer war
programmiert, und sie zu wählen kostete nur Sekunden. Zum wiederholten Male meldete sich Andrea lediglich
in Form ihrer Mailbox. "Verdammt!" Suse unterbrach den Kontakt.
Am gegenüber liegenden Ufer beschnupperten sich zwei an langer Leine geführte Hunde und wedelten dabei
heftig mit dem Schwanz. Da unterbrach der Lärm von Rotorblättern eines tieffliegenden Helikopters abrupt die
scheinbare Idylle der innerstädtischen Natur-Kultur-Melange und übertönte die dezente klassische
Hintergrundmusik im Café mit metallischem Gebrüll. Plötzlich nahm ein unheimlicher, noch diffuser Gedanke
Raum in Suses bis dahin völlig unaufgeräumten Überlegungen, wurde mächtiger und schnürte ihr fast die Kehle
zu. Kalter Schweiß trat auf ihre Stirn. Sie sprang auf und blickte über Kai hinweg auf das silbern glänzende Band
der Oker. Suses Herzschlag setzte für eine Sekunde aus, und sie versuchte, die aufkommende Panik zu
unterdrücken. In diesem Moment wusste sie, dass der Schrecken, der mit der Nachricht von Müllers Tod
begonnen hatte, noch lange nicht zu Ende sein würde. Eine fürchterliche Ahnung überkam sie: "Was zum Teufel
haben wir, habe ich denn mit der Sache zu tun", sagte sie vor sich hin – dann wurde es schwarz um sie herum.
Der riesengroße, etwas rosablass konturierte Löwe gab der Versammlung eine Würde, der sie nicht immer
gerecht werden konnte. Inmitten des Plenums öffnete ein angestrengt seriös wirkender Mittfünfziger ein Paket
und zog mit einem Stoßseufzer ein Bündel eng bedruckten Umweltpapiers hervor.
"Du siehst müde aus – ist wohl spät geworden gestern Abend?", frotzelte sein Banknachbar. "Wo wart ihr denn
noch hin? Um die Ecke in unsere alte Verbindungskneipe? Backofen hieß die doch."
"Der ?Backofen' heißt seit über einem Vierteljahrhundert ?Eusebia'", raunte der Angesprochene und wollte das
Gespräch eigentlich nicht fortsetzen.
"Hattest Du denn Erfolg?", ließ sein Nachbar nicht locker. "Ich meine rein ?sportlich', von wegen alter, wahrer
Liebe – in Ewigkeit, Eintracht, amen."
"Wie kommst Du jetzt auf Eintracht?"
"Ich komme doch irgendwie immer auf Eintracht … Apropos, das mit dem Sport-Müller – irgendwie hat er es ja
verdient. Vor allem sein Geschreibe über …"
Ein Klingelton im Walzertakt des Handys seines Nachbarn unterbrach den kruden Gedankengang. Leicht
erschrocken griff der Fraktionsvize in seine Aktentasche und brachte das Telefon zum Schweigen noch ehe die
tadelnden Blicke der Umsitzenden ihn treffen konnten. In diesem Augenblick erheischte der Klang einer Glocke
Aufmerksamkeit.
"Meine Damen und Herren", ertönte eine sonore Stimme und erstarb alle Tuscheleien.
"Ich eröffne die kurzfristig anberaumte Sondersitzung des Rates der Stadt Braunschweig."
Freitag, 13.07.2007
5 Noch eine Leiche – Wieder ein Journalist
Hector Schwabe, Redakteur des regionalen Hörfunkstudios, liegt tot auf dem Eiermarkt –
Ratssondersitzung bleibt geheim
Von Hans-Jürgen Grasemann
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Die Sondersitzung des Rates war längst beendet, die Lichter im Rathaus, das jetzt im Schatten des Domes lag,
erloschen. Nichts war nach draußen gedrungen, nicht der Anlass der eiligen Einberufung noch ihr Inhalt.
Hector Schwabe, Redakteur des regionalen Hörfunkstudios, hatte bis zuletzt hinter den wuchtigen Säulen im
Rathausfoyer gekauert, um wenigstens Wortfetzen aufzuschnappen.
Doch die Mitglieder des Rates waren schweigend und schnellen Schrittes ins Freie geströmt. Kein Anruf, keine
SMS von seinem Dealer, der ihm sonst den Info-Stoff zuverlässig und pünktlich lieferte. Aber er wäre nicht der
Investigationsjournalist, den manche füttern, viele fürchten, hätte er nicht doch noch einen Pfeil im Köcher... Die
Braunschweiger Nacht verschluckte Hector Schwabe.
"Der frühe Vogel fängt den Wurm", sagte sich Claudia Vögele und machte sich mit der "Ente", ein großzügiges
Geschenk ihres Vaters, der als Alt-68er mit dem Gefährt wilde Erinnerungen verband, inzwischen lieber
schwarze Limousinen mit Stern fährt, um 5 Uhr auf den Weg vom Messeweg zur Turnierstraße.
Bleiern lagen Endmoränen von Akten auf ihrem Schreibtisch. Diese wollte "CV", wie die junge Staatsanwältin
im Freundeskreis genannt wird, an diesem Samstagmorgen endlich dem "Ausgang" überantworten. Kaum hatte
sie den ersten Vorgang aufgeschlagen, meldete ihr Magen, dass zwei Tassen "Heimbs" für das Tagwerk doch
nicht ausreichen. Als eingefleischte Vegetarierin wandte sie sich ihrer stets gut gefüllten Jutetasche zu, die die
Breite der Fensterbank einnahm. Kernloses Obst in der einen Hand, öffnete sie mit der anderen das Fenster ihres
Dienstzimmers.
"CV" blinzelte in die Sonne, die sie mit wohliger Wärme übergoss. "O what a beautiful morning, o what a
beautiful day", summte sie vor sich hin und dachte an das Raffteichbad.
Wann war sie vor der Regenzeit, die Braunschweig heimgesucht hatte, zuletzt im Bad gewesen? Je länger sie
darüber nachdachte, um so größer wurden ihre Entzugserscheinungen, die in den Akten immer nur die anderen
haben.
"Nichts mit Freibad heute! Die Akten sind keine Hasen. Die sind sonst morgen noch da!" Den Tritt verspürte ihr
innerer Schweinehund schmerzhaft. Als Herrin des Ermittlungsverfahrens und ihres Dienstzimmers würde sie
hier auch nicht auf den öligen Rechtsanwalt treffen, dessen anzügliche Anmache bei ihr nur Wut im Bauch, aber
keine Schmetterlinge ausgelöst hatte.
Seit dem dieser Schönling, der in der Flirtschule allenfalls die mittlere Reife erreicht hat, sie in ihrem Bikini
angestiert hat, wartete sie bei jedem unvermeidbaren Treffen auf dem Gerichtsflur auf seine Frage,ob sie das
Teil, das sie so kleide, auch unter der Robe trage.
"CV" liebte ihr Büro. Schaute sie aus dem Fenster, hatte sie ein unvergleichliches Panorama vor Augen: die
Martinikirche, das Gewandhaus, freilich nicht seine Schokoladenseite, das Amtsgericht, dessen Säulen früher
das "Landschaftsgebäude" des braunschweigischen Landtages geziert haben sollen. Die Watzmann-Gruppe ist
nichts dagegen, pflegte sie zu sagen.
Ihr Blick fiel auf den Eiermarkt, dessen Pflaster ihre Schuhe bislang unversehrt gelassen hat. Stilettos und
Jutebeutel passen nicht zueinander.
Auf dem historischen Platz war gelber Sand für den Beach-Volleyball-Cup aufgefahren und akkurat planiert.
Inmitten ein Farbtupfer, der ihr Interesse weckte. Konnte ein Spieler das Turnier nicht erwarten? Oder genoss da
jemand einfach nur den kühlen Sand und die Ruhe vor dem Erwachen der Stadt Heinrichs des Löwen und Gerd
Biegels?
Mit ihrem Opernglas, zuletzt im "Weißen Rössl" eingesetzt, entriss sie dem Sand sein Geheimnis. Es war nicht
ihre erste Leiche, aber die erste, die sie auf dem Eiermarkt sah. "Hier spielt das Leben", sagte sie sich, häufte die
Endmoräne wieder auf und griff zum Telefon. "Hier Staatsanwältin Vögele. Ein Toter auf dem Eiermarkt. Um
ihn herum ist der Sand rot mit Blut gefärbt. Neben ihm ein riesiger Gegenstand, der in der Sonne funkelt."
Kommissarsanwärter Bülent Camoglu, ihm hatte der Dienstplan den Nachtdienst am Wochenende beschert,
übernahm gern den Weckdienst für seine Chefin, Kriminalhauptkommissarin Nicole Schwertfeger. Einen Anruf
bei Polizeipräsident Moehring hielt er zu dieser Stunde hingegen nicht für opportun. "Erst Rolf-Hubert Müller,
jetzt Hector Schwabe", seufzte die Leiterin des FK 1. Sie hatte den Toten sofort erkannt.
"Und wieder Mord mit dem Schwanz eines Quadriga-Pferdes!" "Opfer Journalisten, Tatwerkzeuge identisch,
Tatort Sandflächen. Die Parallelen sind offensichtlich. Und der Täter verfügt noch über zwei Schwänze, die er
zum Einsatz bringen kann. Was ist, wenn er sich auch noch an den Pferden von Herzog Carl Wilhelm Ferdinand
und Herzog Friedrich Wilhelm vor deren Residenzschloss vergeht? Also keine Denkverbote mehr: Online-
Durchsuchungen, präventive Kommunikationsüberwachung, Rasterfahndung, großer Lauschangriff, verdeckte
Ermittler, Videoeinsatz, das volle Programm!"
"Wir sollten nicht aus dem Auge verlieren, dass die Opfer zuerst die Pferde waren", unterbrach Peter Becker den
Wortschwall von PK-Anwärter Camoglu.
Der Profiler aus dem Landeskriminalamt, der sich bis dahin der jungen Staatsanwältin Vögele zugewandt hatte,
flüsterte fast: "Mehr Aufsehen als in Braunschweig kann der Pferde-Ripper aus der Wedemark nicht erzielen."
Dienstag, 17.07.2007
6 Suse wächst die Sache über den Kopf
Polizist Bülent Camoglu trifft zufällig auf dem Markt in Querum eine Zeugin: Heike Mittelstaedt
Von Oliver Braun
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Die Stimmung auf dem Polizeipräsidium war schlecht. Bülent Camoglu, Nicole Schwerdtfeger und auch Freddie
Moehring arbeiteten rund um die Uhr, sprachen mit vielen Leuten und kamen nicht wirklich voran.
Noch dazu war zu befürchten, dass der Mörder demnächst erneut zuschlagen würde. Die Stadt hielt den Atem
an, die regionale Presse stand der Polizei auf Grund der Tatsache, dass es sich bei dem einen Opfer um einen
Journalisten gehandelt hatte, natürlich auf den Füßen.
Und zu allem Überfluss hatte ihnen das Landeskriminalamt Hannover noch einen Ermittler geschickt. Den
"Profiler".
Bülent Camoglu hatte die Nase gestrichen voll. "Als ob so ein Typ aus Hannover, ausgerechnet aus Hannover,
uns hier auch nur ein Stück weiterhelfen könnte. Nee nee."
Bülent war so angespannt, dass er beschloss, sein Büro zu verlassen, und da gerade Freitag war, wusste er, dass
in Querum Markt ist. Also schlenderte er los und war nach seinem Büro in cirka 15 Minuten auf dem Markt
angelangt.
"Eier, frische Eier, direkt vom Ökobauern und von garantiert glücklichen Hühnern!" Auf dem Markt konnte
Bülent entspannen. Bei einem Blumenstand blieb er stehen, da sein Handy klingelte. "Ja, Camoglu hier? Aha,
mmh, soso, ja ich bin in ein paar Minuten wieder im Büro, dann werde ich bei meinen E-Mails nachschauen, ob
ich etwas bekommen habe, danke für die Nachricht."
Bülent steckte sein Handy wieder ein und ging etwas achtlos weiter. Eine Frau, die offenbar ebenso auf dem
Westfalenplatz herumgeschlendert war, stieß ihn an. "Oh, tut mir leid", sagte Bülent und schaute die Frau an.
Sie war sehr hübsch, hatte rote Haare und war ungefähr 28 Jahre alt und hatte rechts und links jeweils eine große
Tüte mit Gemüse in der Hand. "Ja, schon gut, macht nichts."
Die Frau starrte Bülent an. "Moment, sind sie nicht Bülent Camoglu von der Polizei?" Bülent nickte nur. "Ich
habe ihr Foto in der Zeitung gesehen, sie waren einmal in Zusammenhang mit diesen Mordfällen abgebildet."
Jetzt hatte Bülent seine Sprache wiedergefunden. "Ja, das bin ich, Bülent Camoglu, Kommissaranwärter."
"Ich wollte sie schon seit einiger Zeit einmal anrufen, ich habe mich mit Müller kurz vor seinem Tod getroffen."
"Aha, das ist ja sehr interessant, würden Sie mich bitte auf das Präsidium begleiten? Ich lasse einen
Streifenwagen kommen, der uns abholt."
Auf der Dienststelle angelangt, stellte sich die Frau als Heike Mittelstaedt vor. Sie sei eine wissenschaftliche
Mitarbeiterin der TU, und Müller habe sie kurz vor seinem gewaltsamen Tod angerufen, weil er sich mit ihr
treffen wollte.
Sie hatten sich im Jolly Joker getroffen, was Heike zuerst etwas komisch vorgekommen sei, aber Müller habe
gemeint, in der ersten Etage gebe es einige ruhige Ecken, wo garantiert niemand auf die Idee käme, nach ihnen
zu suchen. In der Diskothek, wo die beiden deutlich zu den älteren Semestern gehört hätten, sich aber niemand
an ihrer Anwesenheit gestört habe, habe er ihr dann offenbart, dass er gerade an einer heißen Story säße. Nach
einigen Diskussionen, aber keinen konkreten Aussagen sei sie wütend geworden.
Sie habe ihm gesagt, was sie von seinen Anschuldigungen gegenüber der lokalen Szene halte und habe dann das
Jolly verlassen. Sie sei darauf die Broitzemer Straße Richtung Giselerwall gegangen, da sie noch Lust verspürt
habe, einen Café zu trinken.
Müller sei ihr noch kurz gefolgt, habe sie dann jedoch in Ruhe gelassen. Er sei weiter an der Oker Richtung
Volkswagen-Halle entlang gegangen. Es habe so ausgesehen, als ob Müllers Ziel das Okercabana gewesen sei.
Einen Tag später habe sie dann von seinem Tod erfahren.
"Das macht Sie natürlich zu einer Verdächtigen, Frau Mittelstaedt. Obwohl mir klar ist, dass Sie das
Mordwerkzeug wohl nicht heben könnten, aber vielleicht hatten Sie ja einen Komplizen? Haben Sie Zeugen, die
ihren Aufenthalt beim Café bestätigen können?"
"Ja, natürlich, ich war ja mit Freunden dort. Erst haben wir uns gemütlich unterhalten und sind dann noch weiter
ins Soleil gegangen, dort kenne ich sogar den Chef, der meine Anwesenheit bestätigen kann."
"Na gut, dann nehme ich jetzt Ihre Personalien auf, bitte verlassen Sie Braunschweig nicht, wir melden uns bei
Ihnen."
Zum selben Zeitpunkt auf der anderen Seite der Stadt in der Volkswagen-Halle überprüfte der Hausmeister den
Keller. Alles war wie immer, alles war an seinem Platz. Das liebte der Hausmeister. "Ordnung ist nicht nur das
halbe Leben, Ordnung ist alles!" Das war sein Wahlspruch, und nach diesem handelte er auch.
Auf einmal bemerkte er jedoch, dass ein Schrank in den Katakomben der Halle nicht verschlossen war. Der
Hausmeister bekam einen Schreck. Er ging zu dem Schrank. Er war leer. "Was war hier doch gleich drin? Oh
Mist."
Der Hausmeister zückte sein Handy und wählte den Eintrag "Chefin" aus dem Telefonbuch aus. "Hallo Boss, das
Kostüm des Phantoms-Maskottchens ist weg! Soll ich die Polizei rufen?"
Am anderen Ende der Leitung überlegte die Chefin kurz. "Nein, lassen sie alles so wie es ist, ich komme sofort
vorbei."
Suse beendete das Gespräch und verfluchte den heutigen Tag schon zum zweiten Mal. Zuerst hatte sie einen
Hinweis ihres Informanten von der Polizei bekommen, dass es eine Zeugin gäbe, die sich mit Müller in der
Nacht seines Todes getroffen hatte und deren Beschreibung auf eine Person zutraf, die sie kurz vorher bei einem
Treffen mit Müller und den anderen im Eusebia gesehen hatte und die sie wahrscheinlich auch gesehen hatte.
Und jetzt hatte dieser Vollidiot noch vergessen, dass Kostüm zurück zu bringen, bevor der Hausmeister aus dem
Urlaub wiederkam. Suse war die Assistent-Hallenmanagerin und somit fielen die Angelegenheiten des
Hausmeisters in ihre Zuständigkeit. Letztendlich war es sogar noch schlimmer, ihr war mitgeteilt worden, dass
das Kostüm Blutspritzer abbekommen hatte.
Suse hatte das Gefühl, dass ihr die ganze Sache langsam über den Kopf wuchs. Es gab schon zwei Tote, das
hätte sie nicht ahnen können. Wer waren die Hintermänner des Mannes, der die schmutzige Arbeit erledigte?
Sollte sie vielleicht doch zur Polizei gehen? Aber sie hatten ihr schlimme Konsequenzen angedroht. Sie
brauchten sie. Vielleicht könnte sie durch eine geschickte Taktik aus dieser Nummer noch herauskommen. Sie
musste endlich die Flucht nach vorne antreten, für ein Zurück war es längst zu spät… Vielleicht könnte diese
Zeugin eine entscheidende Rolle spielen…
Freitag, 20.07.2007
7 War die Meister-Mannschaft 1967 gedopt?
In einer Kiesgrube in Mascherode wird der 3. Quadriga-Schweif gefunden… diesmal ohne eine Leiche
Von Rudi Balling
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Braunschweig schwitzte. Bei Temperaturen über 30 Grad befreite sich sogar der Leiter des Landesmuseums von
seinem Alter Ego, dem italienischen Seiden-Halstuch und der modernistischen Fliege und legte sie auf einen
Stapel von Büchern. Und solchen, die es werden sollten.
Als oberster Gralshüter der Braunschweiger Landesgeschichte war er nur zu gut mit den Ereignissen des
Schlossabrisses Ende der 50er, Anfang der 60er vertraut. Auch mit dem Schicksal der Quadriga kannte er sich
aus. Dazu war er das "Gehirn" hinter "Troja, Traum und Wirklichkeit" gewesen, der Ausstellung des
Landesmuseums im Jahr 2001, mit der Braunschweig endgültig in die Kultur-Bundesliga der neueren
Zeitgeschichte aufgestiegen war.
Das war genau der Grund, warum sich der Profiler aus dem Hannoveraner Landeskriminalamt bei dem Professor
angemeldet hatte. Ob er eine Idee habe, was die sieben Worte auf dem Zettel bedeuten könnten: "POLITIK:
WETTRENNEN TROJANISCHER PFERDE. STANISLAW JERZY LEC"? Und warum ausrechnet als
Mordwerkzeug der Schwanz eines Quadriga-Pferdes?
Der Professor, ansonsten eher ein Meister des Wortes und der Reden, war überraschend einsilbig.
Standortwechsel: Madamenweg. Weit weg vom Bohlweg. Aber durch die "Schloss-Kaspaden-Aktion" und die
fieberhafte Suche nach angekokelten Säulen und Steinen hat man sich wieder an den Ort erinnert. Hier hatte man
die abrissbirnentraktierten Steine des Ottmer-Schlosses verbuddelt.
Sogar in den Fundamenten einiger Gartenlauben hatte man kleingeschredderten Bauschutt aus den herzöglichen
Schlossruinen wiederverwertet. Braunschweiger sind eben sparsam.
Nicole Schwertfeger stupste Freddy Moehring, ihren Chef, an: "Schau Dir das mal an! Hier war schon einer vor
uns da."
"Ich trau dem Braten nicht", meinte Freddy Moehring und zog aus dem Bauschutt eine grünliche Flasche. "Ich
muss immer an diese Dopinggeschichte denken, an der Rolf-Hubert Müller zuletzt gearbeitet hat. Ein
Stärkungsmittel für Pflanzen, ha,ha."
"Wir sollten mal Glogowski fragen, ob er uns Einblick in die Akten von Eintracht Braunschweig aus den Jahren
1960-1970 gibt. Vielleicht ist ja doch was dran an den Gerüchten, dass die Meistermannschaft 1967 gedopt war."
Freddy Moehring schaute sich wieder die grüne Flasche an. Das Etikett mit einem Hirschen drauf war noch
deutlich erkennbar. Angeblich ein Gemisch aus 56 Kräutern. Nicht nur ein wahres Meistergetränk, sondern auch
ein Dopingmittel? Für das Rezept hatten sich schon viele interessiert. Eines der best gehüteten Geheimnisse der
deutschen Industriegeschichte.
In dem Moment klingelte das Telefon der Schwertfeger. Bülent Camoglu rief aus dem Polizeipräsidium an.
"Fahrt mal schnell rüber nach Mascherode. In die Kiesgrube. Sieht so aus, als wenn der 3. Quadriga-Schweif
gefunden wurde. Allerdings ohne Leiche. Noch. Aber nehmt den Weg über Stöckheim! In der Salzdahlumer
Straße ist mal wieder alles dicht."
Die Kiesgrube kannte Freddy Moehring noch gut aus seinen Kindertagen. Er hatte mal in Mascherode gewohnt.
Gleich hinter Theurings. Da wo auch die Gattows und Jaumanns ihr Haus hatten. Auf der rechten Seite, wenn
man aus der Südstadt kommt. Kiesgruben haben für Jungs einen besonderen Reiz. Ein idealer Platz zum Spielen.
"Allerdings auch zum Leichen entsorgen", ging es Moehring durch den Kopf. Jetzt wurde es ernst. Irgendwie
machte er sich Sorgen um seinen Freund Loske. Der war nämlich auch Journalist bei der Braunschweiger
Zeitung. Schwerpunkt: "Eingebetteter Journalismus". Steht für "Einschleusen ins Milieu". Nicht ganz
ungefährlich.
Dienstag, 24.07.2007
8 Vision: Eintracht in die Champions League
Wer als Hannoveraner das Stadion an der Hamburger Straße betritt, kann nur Finsteres im Schilde
führen…
Von Stefan Maiwald
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Moehring wählte besorgt eine vertraute Nummer. Sofort meldete sich Loske. "Möhre, alter Lebemann!" Er war
der einzige Mensch, der so mit dem Polizeipräsidenten reden durfte, schließlich hatte man schon in Teenie-
Tagen solidarisch verpickelt im Raffteichbad gelegen und den Bikini-Blondinen nachgestiert. Ein bisschen
wurde geflachst, dann legte Moehring erleichtert auf. Dieser Journalist lebte also noch.
Blieb nur noch, die Taucher zu verständigen. Gleich morgen früh sollten sie die Kiesgrube in Mascherode nach
einer möglichen Leiche absuchen.
Das Tor stand einen Spalt breit offen, so wie es die Stimme am Telefon versprochen hatte. Peter Becker zögerte
kurz und zuckte zusammen, als im Hintergrund die Straßenbahn der Linie 4 vorbei rauschte. Dann huschte der
Profiler hinein. Die Abendsonne verschwand hinter einer fernen Gewitterwand, und das Eintracht-Stadion an der
Hamburger Straße, dem er sich in vorsichtigen Schritten näherte, war in ein seltsam violettes Licht getaucht.
Haupttribüne, Block 2, Reihe 5, hatte die Stimme ihm gesagt. Eine so präzise Anweisung wäre gar nicht möglich
gewesen, schließlich waren sie die Einzigen in dem malerisch vor sich hin verfallenden Bau. Und den Kerl, der
auf ihn wartete, hätte man aus hundert Metern Entfernung wahrgenommen.
Der Hintern des massigen Menschen quoll fast aus dem Schalensitz. Der Rest des Körpers schien beständig nach
unten zu fließen. Wenn er sich bewegte, liefen Wellen unter der mehrschichtigen Kleidung hindurch. Er wedelte
mit den dicken Fingern und wies Becker einen Platz ein paar Sitze entfernt zu.
Der Voluminöse roch nach Alkohol, selbst über die Distanz von zwei Armlängen. Nach edlem Alkohol, keinem
Fusel. Irgendwie nach - ja, nach torfigem Single Malt Whisky. Sein Gesicht war kaum zu erkennen. Das
Halbdunkel unter dem Tribünendach und eine Konsul-Weyer-Sonnenbrille verbargen den Großteil der Mimik.
Dazu verwischte das Fett die Konturen.
Der Voluminöse musste ein paar Mal husten, bis er einen ganzen Satz herausbrachte. Seine Stimme klang
überraschend gut, ein bisschen wie beim dicken Willem, dem legendären NDR-Radiomoderator von einst. Ja:
Die ganze Erscheinung wirkte wie Willem.
"Hat Ihnen die Polizei den Quatsch mit dem Pferderipper geglaubt?"
"Naja, zumindest hat sie interessiert zugehört", antwortete Becker.
"Profilern wie Ihnen glaubt man auch alles. Lächerlich. Ein bisschen gesunder Menschenverstand, und jeder
Depp könnte Ihren Job machen."
Becker schmunzelte gequält. Diese Sprüche würde er wohl ertragen müssen, schließlich zahlte der Mann ihm
viel Geld.
"Hätte ja nicht gedacht, dass man ausgerechnet einen Hannoveraner engagiert. Bei der Schwertfeger würde ich
übrigens aufpassen. Dem Camoglu dagegen kann man alles erzählen. Ausländer bei der Polizei, lächerliche
Idee."
"Ähem, ich denke, der Herr ist deutscher Staatsbür…"
"Ach, hören Sie doch auf mit dem Quatsch." Das war zu viel Konversation, der Voluminöse hustete und hustete.
Als er sich wieder gefangen hatte, schnaufte er ein paar Mal tief ein und aus. Er setzte zu einem Monolog an, der
ihm herkulische Anstrengungen abverlangte.
"Sehen Sie, Braunschweig muss groß werden. Aber Stadt der Wissenschaft? Dass ich nicht lache. Sport – das ist
die Zukunft. Think big, verstehen Sie? Eintracht in der Ersten Liga, Meisterschaft, Pokal, Champions League.
Alles, was denkbar ist, ist auch möglich. Und Olympia-Bewerbung – warum denn nicht? Braunschweig, Harz
und Heide 2020, das wäre es doch. Ich sage Ihnen: Potente Sponsoren stehen bereit. Ganz große Nummern."
Der Voluminöse kramte nach einem Umschlag. "Also, machen Sie weiter so. Tarnen, täuschen, falsche Fährten
legen."
Der Profiler zählte nach. Die Summe stimmte.
Loske machte Überstunden wie immer. Nicht, dass er so viel zu tun hatte, aber es gab eben viele Internet-Seiten,
die man ansurfen musste, um gut unterhalten nach Hause zu gehen. Er schlenderte zum Parkplatz und schloss die
Tür seines Alfa 156 auf. Alfa – eine rebellische Geste in einem VW-Land. Aber der Presserabatt von 18 Prozent
des Listenpreises war ein überzeugendes Argument gewesen.
Was er nicht sah, während er in Richtung Völkenrode zu seinem Reihenendhaus fuhr und den dünnen Witzen
des Radiomoderators lauschte: Zwei Personen folgten ihm. Und ganz standesgemäß fuhren die Verfolger einen
Golf.
Freitag, 27.07.2007
9 Suse in Panik: "Wir sind in Gefahr!"
Noch immer kein Lebenszeichen von Andrea, doch ihr zweitliebstes Sommerkleid treibt unbemerkt in der
Oker
Von Elisabeth Hoffmann
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Suse hatte sich in die Ecke des Strandkorbs gekauert, die Knie fast bis zur Nasenspitze hochgezogen, ihre Zehen
wühlten sich unablässig in den gestreiften Bezug der Sitzauflage. Mit beiden Daumen bearbeitete sie ihr Handy.
Jetzt löschte sie bereits den dritten Versuch, Kai und Andrea per SMS eine Botschaft zu senden.
Von rechts waberte unablässig lautes Lachen herüber. Elf oder zwölf Leute, die nackten Füße neben Weizenbier-
Gläsern in den Sand gestemmt, grölten und quiekten dort rum wie eine Horde pubertierender Lemuren. Und das
in deren Alter. Auch andere Gäste ringsum sahen peinlich berührt hinüber.
Zum Teufel auch! Wie sollte sie ausgerechnet hier einen klaren Gedanken fassen? Es war schon schwer genug
gewesen, hierher zu kommen. Die Polizei hatte das Gelände der Strandbar wieder freigegeben, sämtliche Spuren
waren längst gesichert und die Absperrbänder beseitigt. Aber zu wissen, dass gerade hier Rolf-Hubert tot im
Sand gelegen hatte …
Das Gelächter von nebenan pochte erneut in Suses Ohren. Unerträglich – nicht einmal mehr an der Okercabana
war man als Braunschweiger noch unter sich.
Suse gab das "Simsen" auf und rief zum vierten Mal heute in Kais Büro an. "Mir egal, wer bei ihm ist, holen Sie
ihn endlich aus seiner verflixten Besprechung, es ist wichtig", raunzte sie die Sekretärin an. Endlich hatte sie ihn
an der Strippe. Kai hatte auch noch nichts von Andrea gehört. Suses Magen krampfte sich zusammen. "Wann
genau warst Du mit Hector zusammen? Am Abend, bevor er starb?", insistierte sie.
"Hab ich Dir doch gesagt. Wir waren mit ein paar Leuten im ?Max am Markt'." Kai wirkte genervt. "Und was
hattest Du an?", bohrte sie weiter. "Was weiß ich … Jeans, rotes Hemd, meine Regenjacke." Suse hatte genug
gehört. "Lass Deine Sitzung sausen und fahr sofort nach Hause. Ich bin in zehn Minuten bei Dir. Wir sind in
Gefahr."
"Darf dat dat – dat dat dat
darf …" Schon wieder dies Gegröle und Schenkelklopfen bei den auswärtigen Primitivlingen. Die Leute
schienen sich unablässig gegenseitig Witze zu erzählen. Auch der Voluminöse hörte den penetranten Lärm.
Dabei saß er abseits der anderen Gäste, dem Wasser zugewandt.
Behaglich drückte er seine Massen in die klapprige Strandliege, deren Stoff sich beängstigend unter ihm spannte.
Wie war das noch mit der Kraftverteilung in einem ruhenden System? Er musste grinsen: Die Ringvorlesung war
doch ganz lehrreich gewesen, obgleich er sich keineswegs aus fachlichem Interesse in die unbequemen
Sitzbänke von Hörsaal 11.1 gequetscht hatte.
Ob der Psycho-Softie aus Hannover sein Geld wert war? Es würde sich zeigen. Der Dicke sog entspannt an
seinem Drink. In dieser Angelegenheit nahm er es ausnahmsweise mit dem Geld nicht so genau. Schließlich ging
es ja diesmal auch nicht ums Geschäft. Er gönnte sich diese kleine Schwäche. Was würde er nicht noch alles tun
– für sein kleines, fuchsrotes Herzblatt?
Unter dem abgeknickten Ast einer Trauerweide, nicht weit entfernt, hatte sich nah am Ufer etwas Lindgrünes
verfangen. Aus einem der vielen Boote betrachtet, die sich an diesem Tag auf der Oker drängten, hätte es
beinahe so ausgesehen, als winke ein Wassermann den fröhlichen Ausflüglern zu. Doch niemand bemerkte
Andreas zweitliebstes Sommerkleid. So blieb es noch ein Weilchen still der seichten Strömung des Flusses
überlassen.
Dienstag, 31.07.2007
10 Leiche in der Oker – mit Zettel in der Hand
Andrea tot geborgen – Leichnam wurde offenbar oberhalb des Eisenbütteler Wehres in den Fluss
geworfen
Von Thomas Ostwald
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Hallo Sie! - Ja, Sie meine ich dort in dem Liegestuhl!"
Das schmale Kanu hatte sanft mit der Spitze das Ufer unterhalb des Okercabana-Strandes berührt.
Ein braungebrannter, muskulöser Oberkörper richtete sich darin auf und hielt das Gleichgewicht mit einem
Paddel. Der Kanute funkelte den Voluminösen zornig an, denn der tat so, als könne er nicht gemeint sein.
"Mann, bewegen Sie mal Ihren fetten Hintern aus der Liege und kommen Sie hierher! Ich brauche Ihre Hilfe!"
Die kräftige Stimme war nicht zu überhören, aber der Voluminöse hustete nur und schnaufte anschließend tief
durch.
"Verdammt noch mal, kommen Sie jetzt endlich? Ich brauche Ihre Hilfe! Hier liegt eine Leiche im Wasser!"
Der Lärm der Gruppe konnte seine Worte nicht übertönen, und jetzt wurde auch Suse aufmerksam. Was wollte
dieser Superwassersportler in seinem Kanu? Sie richtete sich auf und musterte den Mann, der jetzt mit seiner
freien Hand heftige Winkbewegungen machte.
Im nächsten Augenblick war der Kanute im Wasser und griff nach einem grünen, sackartigen Gegenstand, den er
halb auf das Ufer wuchtete. Dann kletterte er tropfend hinterher.
Suses Blick streifte kurz den Fleischberg in der wackligen Strandliege und kehrte zu dem Kanuten zurück. Der
stand gleich darauf vor der Liege und herrschte den noch immer Hustenden an: "Ein Handy werden Sie wohl
haben? Geben Sie her, ich muss sofort die Polizei alarmieren!"
Der Voluminöse schien vor lauter Husten nichts zu hören, hatte ein Stofftaschentuch vor den Mund gepresst und
milderte damit etwas die ekelhaften Geräusche.
"Was ist los?" fragte Suse irritiert. Sie war aufgestanden und auf die beiden Männer zugegangen.
"Das Handy, schnell!", rief der Kanute und hatte es der Verblüfften schon im gleichen Moment aus der Hand
genommen und tippte den Notruf ein.
Suse achtete nicht weiter auf ihn, denn der lindgrüne Farbfleck zog sie magisch an. Er breitete sich halb im
Wasser, halb am Ufer aus. Als sie sich herunterbeugte, um diesen seltsamen Stoffsack näher zu betrachten,
erkannte sie in dem zur Seite gedrehten Gesicht Andrea, obwohl fast der gesamte hintere Kopf seltsam
eingedrückt war und ihr Gesicht einen unbeschreiblichen Ausdruck in den wächsernen Zügen trug. Ihr Herz
schlug wild, alles drehte sich um sie, und als der Kanute neben sie trat, brach sie am Okerufer zusammen.
"Fundort ist nicht Tatort", hörte sie Bülent Camoglu sagen, als sie die Augen wieder aufschlug. "Dürfte ja wohl
klar sein", antworte ihm unwirsch Nicole Schwerdtfeger.
"Etwa seit 48 Stunden im Wasser." Dr. Köhler richtete sich auf und sah die beiden über den Rand seiner
schmalen Brille an. "Todesursache: Schädelfraktur durch schweren Gegenstand. Der Rest wie üblich nach der
Autopsie. Ach ja – das hatte sie zusammengeknüllt in der linken Hand. Ist schon ziemlich aufgeweicht, scheint
ein Prospektblatt zu sein."
Er hatte das Stück Papier etwas geglättet und reichte es in einer kleinen Plastiktüte der Schwerdtfeger.
"Ein Propektblatt aus dem Gerstäcker-Museum mit einer handschriftlichen Notiz – scheint eine Telefonnummer
und ein Name zu sein", warf Bülent nach einem raschen Blick ein. "Peter B... und Vorwahl von Hannover."
"Dann muss die Tote oberhalb des Eisenbütteler Wehres in die Oker geworfen worden sein. Das Museum liegt
neben Schloss Richmond."
"Ein Besuch dort würde auch mit den 48 Stunden zusammenpassen. Heute ist Dienstag, das Museum hat nur am
Sonntag geöffnet. Also sollten die Taucher mal unterhalb von Richmond mit der Suche beginnen, schlage ich
vor!"
Nicole Schwerdtfeger warf ihm einen nachdenklichen Blick zu, dann nickte sie.
Freitag, 03.08.2007
11 Soko "Pferdeschwanz" nimmt die Arbeit auf
Drei Leichen, vier gestohlene Pferdeschwänze: Kommissarin und ihr Assistent überprüfen eine
Telefonnummer . . . und staunen
Von Michael Hoppe
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Suse kam nur langsam wieder zu sich. Noch fiel es ihr schwer, sich zurecht zu finden. Ihr Blick fiel auf ein
junges sympathisches Gesicht. "Wie geht es Ihnen?"
Kommissaranwärter Bülent Camoglu stützte Suses Kopf. "Hübsch", dachte er sich, "im Moment ein bisschen
blass, aber . . ." – "Danke, es geht schon wieder", stammelte Suse. "Was ist mit Andrea?" – "Wer ist Andrea?" –
"Das Kleid, wir haben das Kleid zusammen gekauft. Wir haben uns noch so gefreut, dass es in Braunschweig
nun endlich einmal etwas Flippigeres gibt . . ." Suses Tränen liefen. Sie verbarg ihr Gesicht in den Händen und
schluchzte.
"Ich hole Ihnen ein Glas Wasser, und dann erzählen Sie einmal der Reihe nach, ja?" Camoglu ging zur Strandbar
und holte ein großes Glas Wasser. Auf dem Rückweg stieß er mit einem voluminösen unangenehmen Menschen
zusammen, der alles andere als bereit war, der Polizei Platz zu machen, sondern in seiner ganzen Breite nur
neugierig auf die Szenerie schaute.
"Typischer Katastrophen-Tourist", dachte sich Camoglu. Schnell informierte er seine Chefin, dass er glaubte,
von Suse noch wichtige Informationen zu bekommen, und eilte zu der immer noch schluchzenden Suse zurück.
"Hier, trinken Sie erst einmal. Brauchen Sie einen Arzt?" Suse schüttelte den Kopf. "Also, was hat Sie so
erschreckt? Sie kennen die Tote? War Sie eine Freundin von Ihnen?" Suse holte tief Luft und versuchte, einen
klaren Kopf zu bekommen. Sie durfte der Polizei nichts von ihren dunklen Ahnungen berichten, sonst würde sie
sich und Kai unnötig in Gefahr bringen.
Aber schweigen konnte sie auch nicht, dazu hatte der junge Mann an ihrer Seite schon zu viel von ihren
spontanen Reaktionen registriert. Ach, hätte sie doch bloß schon mit einem Anwalt gesprochen. Sie hatte einen
vertrauenswürdigen Tipp über einen guten Strafverteidiger bekommen, sich aber bisher noch nicht entschließen
können, dort einen Termin zu vereinbaren. Was tun? Sie musste sich hinter einem Schock verstecken. Ja, so
musste es gehen.
"Ja", antwortete sie. "Andrea war eine enge Freundin von mir. Seit zweit Tagen versuche ich vergeblich, sie zu
erreichen. Wir waren zum Sport verabredet, aber sie hat sich nicht gemeldet. Das sieht ihr gar nicht ähnlich."
Wieder schluchzte sie.
Camoglu gelang es gerade noch, Suse ihre und die Personalien Andreas zu entlocken, dann ließ er sie nach
Hause bringen. "Schock", dachte er sich, "aber auch irgendwie seltsam, da ist noch etwas . . . Ein Grund mehr,
ihr noch einmal einen Besuch abzustatten", dachte er sich und wendete sich seinen Kollegen der KTU zu.
Diese waren noch bei der Arbeit, der Pathologe gerade erst eingetroffen. Der Leichenfundort war inzwischen
großräumig abgesperrt. "Teamsitzung in einer Stunde im Präsidium", hörte er gerade noch Nicole Schwertfeger
sagen. "Moehring will, dass wir eine Sonderkommission einsetzen".
Genau eine Stunde später saß das Team der "Soko-Pferdeschwanz" zusammen. Die Stimmung war gedrückt.
Natürlich war niemand begeistert, auf das Wochenende verzichten zu müssen, aber allen war auch klar, dass
Braunschweig und insbesondere auch ihre Arbeit hier eine traurige Berühmtheit erlangten. Ein gefundenes
Sommerloch-Fressen für die Presse, zumal Kollegen der eigenen Zunft betroffen waren . . .
Nicole riss sich zusammen und wandte sich an ihre Kollegen. "Also, was haben wir? Drei Leichen, vier
gestohlene Pferde-Schwänze, drei appene Schwänze zurück, in zwei Fällen neben den Leichen. Eine Leiche, ein
Schwanz, jeweils solo . . . gehören die auch zusammen? Oder liegen noch irgendwo eine Leiche und ein
Schwanz herum? Ist ein Schwanz wirklich die Mordwaffe? Brauchte man nicht einen Kran und Zielwasser, um
damit Menschen gezielt erschlagen zu können? Zwei Journalisten, eine Angestellte der Stadt. Was haben die
Personen gemeinsam? Und überhaupt, was ist das Motiv? Klassisch sind es Geld, Frauen – o.k., manchmal auch
Männer –, Liebe, Hass und Eifersucht, aber hier? Was bedeuten die Nachrichten?"
Vordergründig zuhörend grübelte Bülent Camoglu über den Tauchereinsatz unterhalb des Gerstäcker-
Museums/Schloss Richmond. Die Chefin hatte so nachdenklich geguckt . . . Wir war das nochmal mit Toten?
Schwimmen die erst oben und gehen dann unter oder umgekehrt? Reicht die Okerströmung zum wegtreiben,
oder bleibt eine Leiche gleich im Okerschlamm stecken? Am Eisenbütteler Wehr schwimmt immer so viel Müll
oben, geht nicht das Wasser unten durch, ist das breit genug zum Durchschwemmen einer Leiche?
Hätte er doch in der Theorie bei der Ausbildung besser aufgepasst und sich besser mit den lokalen
Gegebenheiten beschäftigt. Ob er letzteres gemeinsam mit dieser niedlichen Zeugin von heute nachholen kann?
Und er dachte dabei nicht nur an Wissenschaft in dieser selbigen Stadt, auch wenn jetzt eine sachbezogene
Erkenntnis hilfreich wäre, die Wissen schafft . . . Hätten nicht Profis einen alten Schlossstein genommen und die
angekettete Leiche im Okerschlick versenkt?
Bülent Camoglu drohte selig zu entschlummern, als seine Chefin ihn ansprach, "Was hat unser Experte zu der
geheimnisvollen Nachricht auf dem ersten Zettel sagen können? Und der Zettel, den die letzte Leiche in der
Hand hielt, der Name und die Telefonnummer. Ist das schon überprüft?"
"Nein", sagte Camoglu und reichte ihr die Plastiktüte mit dem Beweisstück. Oberkommissarin Nicole
Schwertfeger zückte ihr Handy und wählte die Nummer. Sie staunten nicht schlecht, als es in ihrer Mitte
klingelte, das Handy des ungeliebten Aufpassers vom LKA, "Peter B . . ."
Peter Becker also. Was hatte das zu bedeuten?
Dienstag, 07.08.2007
12 Mysteriöser Zettel steckte in der Geldbörse
Mord an Hector Schwabe gibt weiter Rätsel auf – Suse trifft sich in der Volkswagen-Halle mit einem
Informanten
Von Hans-Peter Richter
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Alle Blicke richteten sich auf den Profiler. Bevor Moehring fragen konnte, erklärte Becker, dass er im Zuge
erster Ermittlungen, wie üblich, seine Telefonnummer weitergegeben hatte. Damit auch neue Informationen
sofort an ihn weitergereicht werden können.
Verständnisvolles Nicken beim Team der Soko "Pferdeschwanz". Die Gespräche über weitere als die genannten
Motive zogen sich hin. Draußen fing es an zu regnen, alle Bürofenster wurden geschlossen. Ein
unbeschreiblicher Mief von Feuchtigkeit, Rauch und auch etwas Knoblauch hing bald im Besprechungszimmer.
Nicole Schwerdtfeger, Bülent Camoglu, Peter Becker und der Chef sprachen jede Möglichkeit an, aber die
bisherigen Ermittlungsergebnisse waren zu mager. Die Hinweise zeigten in alle Richtungen. Doping, Drogen,
Politik, Bestechung, aber genaues war nicht darunter. Es war fast Mitternacht, als sich die Runde ergebnislos
trennte.
Es schien, als hätte der Sommer sich, wie in Deutschland üblich, plötzlich verabschiedet. Hauptkommissarin
Nicole Schwerdtfeger zog sich fröstelnd eine leichte Regenjacke an und ging in den Regen hinaus. Die Lampen
spiegelten sich in den Pfützen.
Beim nächsten Windstoß fielen dicke Tropfen von den Bäumen, als die Kommissarin, einer Eingebung folgend,
der Asservatenkammer zustrebte. Zwei Zettel waren gefunden worden, einer inneren Eingebung folgend wollte
sie noch einmal die bei den drei Toten gefundenen Gegenstände untersuchen.
Der Verwalter knurrte über die Störung, aber er legte alle zum Fall passende Asservaten auf den Tisch. Die
Hauptkommissarin begutachtete jeden Gegenstand. In Hector Schwabes Portmonee steckte ein vergilbter Zettel
mit einer Aufzähl-jung von Straßennamen. Europaplatz, Güldenstraße, Altstadtmarkt, Gördelingerstraße, Lange
Straße, Bohlweg, Georg-Eckert-Straße, Leonhardstraße. Die Kommissarin schrieb die Namen ab.
Am frühen Morgen traf sie in ihrem Büro den von ihr eingeladenen, Psychologen Dr. Ossenbrink. Seine
Erfahrung in der Verbrechens-Analyse wollte sie sich zu nutze machen, um sich ein Bild des Täters oder der
Täter zu machen. Dass es ein sehr kräftiger Täter sein musste, war ihr klar, denn die Tatwerkzeuge der Morde
waren zu schwer für eine Frau.
Als die Kommissarin ein Tempotaschentuch aus ihrer Tasche holte, sah sie den Zettel mit den Straßennamen. Sie
entschuldigte sich kurz bei dem Psychologen und ging zum Chef, der stand mit Bülent auf dem Flur. Aber
Moehring winkte ab, das ist der Weg des Karnevalzuges, des Schoduvels und damit nicht aktuell. "Moment",
warf der Kommissaranwärter ein, "wir hatten gerade die Christopher-Street-Day-Parade, und da wird sich auch
kostümiert, und auch Drogen wechseln in dem Gewühle ihre Besitzer."
Nicole Schwerdtfeger und Bülent Camoglu atmeten nur flach, um nicht so viel von den Desinfektionsmittel-
Gerüchen in den Pathologieräumen von Dr. Köhler einatmen zu müssen. Der Gerichts-Mediziner bestätigte, dass
die Schädelverletzung von Andrea durch einen Schlag mit einem stumpfen Gegenstand, mit großer
Wahrscheinlichkeit einem der Pferdeschweife, entstanden ist.
Die Kommissarin ordnete an, sofort den Mascheroder-Schweif gründlich zu untersuchen. Ob er als Tatwaffe für
Andrea in Frage kam?
Mit leichtem Unbehagen ging Suse durch die Gänge der Volkswagen-Halle. Sie dachte an den Neuen, ein Herr
Loske war als Hilfskraft eingestellt worden. Noch war ihr keine Taktik eingefallen, wie sie die Polizei
benachrichtigen konnte. Und nun der Neue, sollte er sie überwachen? Gerade jetzt, wo es zu einem Treffen mit
ihrem Informanten von der Polizei, einem Unbekannten und dem Idioten, der das Kostüm nicht rechtzeitig
zurück gebracht hatte, komen sollte.
Da kamen sie schon über den Vorplatz der Volkswagen-Halle. Das Triumvirat strebte den Seiteneingang an. Der
Profiler mit dem Unbekannten, einem Voluminösen, der im Watschelgang dicker Menschen ging, und der
Kostümausleiher.
Freitag, 10.08.2007
13 Polizei will Hohlräume der Rösser untersuchen
Rechtsmedizin entdeckt in Leiche die Rückstände einer Droge – Und was hat es mit mysteriösen
Trojanern auf sich?
Von Joachim Grande
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Loske fiel die seltsame Gruppe sofort auf, während er auf einer Leiter in vier Meter Höhe umständlich versuchte,
eine Leuchtstoffröhre zu wechseln. Irgendwie passten diese Menschen nicht zueinander. "Den verschwitzten
Massigen im Knitteranzug habe ich schon mal gesehen", dachte er bei sich.
Als die vier in Suses Büro verschwunden waren, fiel es Loske ein. Der Fleischberg hatte bei der Ringvorlesung
vor einiger Zeit in der TU vor ihm gesessen. Loske hatte den penetranten Schweißgeruch, den der Mann dort
verströmt hatte, sofort wieder in der Nase.
Er erinnerte sich, dass der Kerl sich wohl weniger für den Vortrag, umso mehr aber für die hübsche, rothaarige
Referentin, Diplom-Ingenieurin Heike Mittelstädt, interessiert hatte.
"Werte Mitarbeiter, ich erinnere ausdrücklich an das Rauchverbot in Diensträumen!", durchdrangen Moehrings
Worte die wabernden, nebelartigen Schwaden im Besprechungsraum. Der Chef konnte zwar nachfühlen, wie es
den Nikotinabhängigen ging, aber für alle galt seit Anfang August der Nichtrauchererlass.
"Wir haben weitere Erkenntnisse der gerichtsmedizinischen Untersuchung der letzten Leiche", fuhr Moehring
fort. "Bei der toxikologischen Begutachtung durch die Rechtsmedizin wurde in Andreas Blut eine geringe
Menge Gamma-Hydroxy-Buttersäure, kurz GHB, festgestellt".
"Auch unter dem Szene-Namen Liquid-Ecstasy bekannt", warf Bülent Camoglu ein, "eine Sexdroge". "Nicht
nur", fuhr Moehring fort, "in den frühen 80er Jahren wurde das Mittel für Dopingzwecke im Kraftsport
eingesetzt. Der Vorteil war, dass die Substanz nach kurzer Zeit schon nicht mehr im Körper nachweisbar war.
Allerdings gab es auch Todesfälle bei Überdosierung".
"Irgendwie wird der Fall immer undurchsichtiger". Nicole Schwerdtfeger, Kommissaranwärter Camoglu und
Moehring standen grübelnd zwischen den Reiterstandbildern auf dem Schlossvorplatz. Man musste mal raus,
versuchen, den Kopf etwas frei zu kriegen. "Also ich kann nicht erkennen, dass die Rösser schief stehen", warf
Nicole ein. "Aber die Braunschweiger beschäftigt das. Mich interessieren eigentlich nur die Spaltmaße an
meinem neuen A 3", erwiderte Bülent.
"Leute, lasst uns noch mal überlegen, wie der Fall begann", forderte Moehring. "Wir hatten die erste Leiche von
Rolf-Hubert Müller und ein Stück Papier mit einer Einladung zu einer Ringvorlesung an der TU und auf der
Rückseite das Zitat des polnischen Satirikers ,Politik: Wettrennen trojanischer Pferde’."
"Ich habe im Internet ein weiteres Zitat des Polen gelesen: ,Die meisten Denkmäler sind hohl’", verkündete
Bülent stolz. "Unsere Quadriga auch"?, fragte Nicole. "Nicht nur das", erwiderte Bülent, "sie ist auch in Polen,
genauer in Posen, hergestellt worden, 10,5 Tonnen schwer und aus Bronze. Posen hat übrigens eine
Städtepartnerschaft mit Hannover!"
"Wir werden die Hohlräume der Rösser, denen die Schwänze fehlen, näher untersuchen lassen", ordnete
Moehring an und fuhr fort: "Was meint wohl das Zitat mit – trojanischen Pferden"?
Der junge Camoglu sah seine Stunde gekommen, vor dem Chef zu glänzen. "Zum einen entspringt es der
griechischen Mythologie als Kriegslist. Ein großes Holzmodell stand ja auch am Burgplatz während der
Trojaausstellung. Als Trojaner bezeichnet man auch Programme, die heimlich auf Computer installiert werden,
um Schaden zu verursachen oder zu spionieren".
Moehring stutzte. Er erinnerte sich an die vor einigen Wochen hastig einberufene Sondersitzung im Rathaus. Es
ging um einen Computerabsturz im gesamten Gebäude der TU. Außerdem gab es nicht erklärbare
Unregelmäßigkeiten und vorübergehende Ausfälle im städtischen Rechenzentrum.
Dabei waren sensible und zum Teil geheime Daten über die Planungen hinsichtlich der "Metropolregion", die
Braunschweig gegenüber Hannover stärken sollte, verschwunden. Moehring liefen Schauer über den Rücken.
Welche Dimension nimmt dieser Fall an?
Dienstag, 14.08.2007
14 Kommissarin findet Notizbuch eines Opfers
Radtour in die Rieselfelder endet mit blutiger Überraschung – Ringvorlesung an der Uni rückt in den
Mittelpunkt des Interesses
Von Maybritt Hugo
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Endlich raus!" Nicole Schwertfeger war froh, dem Büro mal entronnen zu sein. Moehring hatte der Soko
"Pferdeschwanz" eine Auszeit von einem Tag verordnet. Sie kamen nicht recht voran, und allen qualmte der
Kopf.
Da kam ihr der Anruf von Petra gerade recht, Petra Meier, eine alte Schulfreundin, Dr. Meier genau gesagt. Sie
war Ornithologin und nutzte die Semesterferien zu einem Besuch bei ihren Eltern. Petra hatte eine Radtour in die
Rieselfelder vorgeschlagen.
"Tringa nebularia!" Petra war ganz begeistert. Sie waren an einigen Teichen vorbeigeradelt und bei der
Beobachtungsplattform gelandet. Petra hatte gleich ihr Fernglas gezückt und reichte es nun an Nicole weiter.
"Grünschenkel", übersetzte sie. "Aha, und wo ist dieser Vogel?" – "Na da links." – "Ich sehe nichts, aber was ist
denn dieses Rote da?" – "Wie, rot?" Petra nahm das Fernglas wieder. "Ach da, aber das ist doch… da hat jemand
seinen Müll hingeworfen!"
Schnell war Petra unten und spähte nach einem Weg zu der offensichtlich gefüllten rot-weißen Plastiktüte. Sie
wollte keine Vögel aufscheuchen, schaffte es vorsichtig ans Teichufer und zog die Tüte raus. "Eine Jacke und
irgendwas darunter, unglaublich, dass Leute hier so was hinschmeißen."
Nicole, von Berufswegen neugierig, spähte hinein. "Ein Notizbuch." Sie zog es vorsichtig heraus "RHM" stand
oben in der Innenseite. Notizen in krakeliger Schrift, Zeitungsausschnitte, irgend ein Formular . . .
"Uih, da ist ja Blut dran!" Petra hatte wieder in die Tüte geguckt. Sie wies auf ein Halstuch darin. Nicole, die
genauer in das Notizbuch geguckt hatte, wurde plötzlich hellwach, die Gedanken überschlugen sich. "Mist, stell’
die Tüte am besten ab!" Sie zückte ein Taschentuch und einen Plastikbeutel aus ihrem Rucksack, fasste das
Notizbuch und ließ es vorsichtig in den Plastikbeutel gleiten. "Auszeit ade."
Nicole griff zum Handy und wählte die Nummer ihres Chefs. "Hätte ich bloß die Tüte nicht geholt, tut mir echt
leid." "Schon in Ordnung, vielleicht bringt uns das jetzt endlich weiter."
Heike Mittelstaedt verbrachte ihre Mittagspause im Eusebia. Hunger hatte sie nicht. Der grüne Tee vor ihr wurde
auch langsam kalt. Sie hatte Gewissensbisse. "Hätte ich nur Rolf-Hubert die Anzeige nicht gezeigt." Sie war an
dem Abend einfach sauer gewesen über seine an den Haaren herbeigezogenen Theorien. Er kam gar nicht davon
los. Da wollte sie ihm zeigen, was wirklich belastet und auch mal darüber reden.
Es war ekelig gewesen, wie dieser andere Typ sie angegrabscht hatte, und sie hatte noch Glück gehabt, dass dann
der Bus kam. Sie hätte gedacht, Rolf-Hubert würde ihr zuhören, aber der hatte nur auf den Namen geguckt und
sofort gefragt, ob er die Anzeige kopieren dürfe. Sie hatte nichts dagegen, war eher enttäuscht, dass er nicht
hören wollte, wie es ihr damit ging. Und nun . . . Es gab keine Chance mehr, es zu klären.
"Also", Moehring fasste zusammen. "Wir wissen mehr darüber, woran Rolf-Hubert Müller arbeitete. Der Name
auf der Strafanzeige ist geschwärzt, das wird im Labor untersucht. Was haben wir sonst: Notizen über
Recherchen zum Dopingmittel GHB, zu dessen Vertriebswegen, einen Hinweis auf Verbindungen von Drogenund
Frauenhandel und dieses Gespräch mit einem Politiker. Aber Leute, das ist zu wenig. Es gibt viel zu viele
offene Fragen, und dieses Notizbuch haben wir eher dem Zufall zu verdanken. Das . . ."
Bevor er zu einer seiner Moralpredigten ausholen konnte, meinte Bülent: "Ich rede noch mal mit dieser Suse, da
steckt noch mehr dahinter, als sie sagt." – "O.k."
"Mir geht diese komische Ringvorlesung durch den Kopf", sagte Nicole. "Stimmt, wo arbeitet eigentlich noch
mal diese Zeugin von der Uni?", fragte Moehring. "Institut für Angewandte Mechanik, Heike Mittelstaedt. Sie
hat Rolf-Hubert noch am Todesabend gesehen. Wer war eigentlich bei dieser Ringvorlesung? Bin schon auf dem
Weg zur Uni", antwortete Nicole. Moehring seufzte. Mit welchem Politiker hatte Müller gesprochen? In welcher
Verbindung standen die Toten? Zu viele offene Punkte. Oder stellten sie die falschen Fragen?
Freitag, 17.08.2007
15 Suse gesteht: Wir haben großen Mist gebaut
Treffen mit Pfarrer Rochus Tempel in der Krypta des Doms – Spürsinn des Geistlichen erwacht: Wer gab
Denkmal-Ripper den Auftrag?
Von Michael Strauß
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Kai saß in seinem Büro. Gedankenverloren blickte er auf die Zeitungsausschnitte. Ein gewisser Stolz erfüllte ihn.
Mit fetten Schlagzeilen schaffte es die Löwenstadt seit Tagen selbst auf die Titelseite der Bild-Zeitung:
"Schwanzmörder hat wieder zugeschlagen", war da zu lesen, oder: "Mörderhand am Okerstrand".
Das alles war für Nicole Schwertfeger und ihre Sonderkommission nicht gerade schmeichelhaft. Seit Tagen hatte
sie Mühe, ihre mangelnden Ermittlungserfolge der Öffentlichkeit zu erklären. Blass und mitgenommen wirkte
sie in dem Beitrag, den N 3 gestern im Fernsehen gebracht hatte. Kai hatte durchaus Mitleid mit ihr, doch für
Braunschweig war das bundesweite Medienecho eine grandiose PR-Kampagne.
Was die Wiedererrichtung des Schlosses noch nicht erreicht haben mochte, die abgeschlagenen Schwänze der
Quadriga hatten es vollends geschafft: Jetzt war Braunschweig wirklich in aller Munde. "Schlechte Nachrichten
sind eben doch gute Nachrichten", murmelte Kai.
Gerade machte er sich klar, dass dies eine durchaus zynische Sicht der Dinge war, da klingelte sein Telefon:
"Kai, das geht so nicht mehr weiter." Suse war dran und rang mit der Fassung. "Ich halte den Druck nicht mehr
aus. Wir machen uns mitschuldig, wenn wir der Schwertfeger nicht reinen Wein einschenken."
Kai zögerte: "Wenn wir jetzt die Nerven verlieren, sind wir in dieser Stadt erledigt, auch wenn wir mit den
Morden nichts zu tun haben. Sei vernünftig! So, wie es aussieht, löst die Schwertfeger den Fall nie."
"Aber das Notizbuch", sagte Suse. "Meinst du nicht, sie werden durch Rolf-Huberts Aufzeichnungen auch uns
auf die Spur kommen? Außerdem hat mich der Camoglu noch einmal aufs Kommissariat bestellt. Der ahnt doch
was."
"Ach was", polterte Kai. " Die Notizen mögen zum Mörder führen, aber doch nicht zu uns." – "Andreas Name
steht aber auch drin", insistierte Suse. Gleichzeitig fühlte sie, dass Kai ihr fremd geworden war. All die Jahre
waren sie Freunde gewesen. Fast wäre einmal sogar mehr daraus geworden. Und nun drohte ihre Freundschaft
zu zerbrechen. Sie seufzte und nahm ihre Jeansjacke.
Bevor sie Bülent Camoglu aufsuchte, wollte sie noch zum Braunschweiger Dom. Pfarrer Rochus Tempel hatte
zwar am vergangenen Sonntag die Morde zum Anlass genommen, um über die verlotterten Verhältnisse in der
Stadt zu wettern. Er war ihr aber in den vergangenen Monaten ein vertrauter Gesprächspartner geworden.
"Hallo Suse", begrüßte sie Tempel. Er stand im Seitenschiff des Doms und schaute verklärt auf das Imervard-
Kreuz. "Habe gerade erfahren, dass Tom Cruise Mitglied im Kuratorium unserer Dombaustiftung wird. Steht
morgen in der Zeitung." – "Aber der ist doch Scientologe", entfuhr es Suse. "Keine Sorge", konterte Tempel,
"den habe ich missioniert. Er tritt bei uns in die Kirche ein." Suse war beeindruckt. Auch sie trug sich seit
längerem mit dem Gedanken, wieder in die Kirche einzutreten.
Tempel bemerkte ihre Unruhe. "Was ist los?" – "Können wir ungestört reden?" Suse ließ ihren Blick suchend
durch den Dom schweifen. "Na klar, komm’, wir gehen dahin, wo die Toten liegen, die stören nicht mehr." –
"Da bin ich mir nicht so sicher", sagte Suse mit einem ironischen Unterton und folgte Tempel in die Krypta.
"Wir haben Mist gebaut. Ganz großen Mist!" Rochus Tempel schaute sie fragend an. "Sie wissen doch, die
Sache mit den abgeschlagenen Pferdeschwänzen. Daran sind wir schuld." Dem Pfarrer verschlug es ganz gegen
seine Art die Sprache. "Wie?" stotterte er. "Na, ja, der Kai hat gedacht, es wäre eine Mörderidee, jemanden zu
engagieren, der den Quadriga-Pferden die Schwänze abschlägt. Das würde bestimmt ein riesiges Medienecho
nach sich ziehen und Braunschweig endgültig in ganz Deutschland bekannt machen."
"Aber, aber . . ." Tempel stockte der Atem, ". . . die Morde, die Toten!" – "Nein, nein", Suse heulte los. "Das
waren wir nicht!" – "Aber wer dann?" Tempel schien nun doch einigermaßen konsterniert. "Ich weiß es nicht,
ich habe nur so eine schreckliche Ahnung. Irgendwie ist uns die ganze Sache aus den Händen geglitten." Suse
war einem Nervenzusammenbruch nahe.
Das war eine unglaubliche Geschichte, doch Rochus Tempel glaubte, dass Suse die Wahrheit sagte. Zunehmend
erwachte sein Spürsinn: Wenn die Morde mit den abgeschlagenen Schwänzen ursächlich gar nichts zu tun
hatten, dann hatte der von Kai und Suse engagierte Denkmal-Ripper noch einen anderen Auftraggeber. Dann
wollte dieser andere mit den Schwänzen von seinen eigenen Taten lediglich ablenken.
Dienstag, 21.08.2007-08-24
16 Bronze-Schweif liegt im Klostergarten
Zeugen beobachten verwirrte Frau – Schwarzer Mönch in der Nähe der Kapelle gibt Rätsel auf
Von Burkhard Bohne
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Immer noch ausgesprochen nervös verließ Suse den Dom. Was sollte sie tun? Die Spannung wegen ihres
bevorstehenden Termins bei Bülent Camoglu wurde unerträglich. Welche Worte gab Pfarrer Tempel ihr mit auf
den Weg? "Immer schön bei der Wahrheit bleiben". Nun gut, sie würde diesem Rat wohl folgen. Was aber ist
mit Kai? Mittlerweile ist er neben ihr der einzige Überlebende des Pferdeschweif-Komplottes. Suses ungutes
Gefühl wurde von Minute zu Minute stärker . . .
Hauptkommissarin Nicole Schwerdtfeger machte sich auf den Weg zum Institut für Angewandte Mechanik der
TU Braunschweig. Wegen des ausgesprochen schlechten Medien-Echos ("Mörderhand am Okerstrand") war das
Ansehen der Mordkommission und damit auch ihre Laune auf einem neuen Allzeittief angekommen. Es half
nichts, Heike Mittelstaedt musste noch einmal befragt werden. Schließlich hatte sie zugegeben, am Vorabend
seines Todes mit Rolf-Hubert Müller gesprochen zu haben. Und da war da auch noch die Ringvorlesung . . .
Polizeipräsident Freddie Möhring grübelte immer noch über die Fragen: Welche Politiker hatte Müller
getroffen? und: Gibt es einen Zusammenhang zwischen den Toten?, als Braunschweig von einer neuen
Nachricht erschüttert wurde: Unsere Eintracht unter Doping-Verdacht. Aha, dachte Möhring, hat mein Freud
Loske also wieder mal zugeschlagen?!
Gott sei Dank wusste Eintracht-Präsident Grabowski diese Meldung gleich zu dementieren: "Während meiner
Präsidentschaft steht der Verein unter einem guten Stern. Freiwillige Selbstkontrollen ließen zu keinem
Zeitpunkt einen Dopingverdacht zu." Die Mannschaft würde aus eigener Kraft die ihr zustehende Liga erreichen.
War Müller also doch auf der richtigen Fährte?
Suse fuhr zur Entspannung in das nahe gelegene Naturschutzgebiet Riddagshausen, schließlich hatte sie noch
zwei Stunden Zeit, bevor sie Bülent Camoglu Rede und Antwort stehen sollte. Sie wanderte um den Kreuzteich,
genehmigte sich im Biergarten einen Cappuccino und dachte darüber nach, was jetzt zu tun sei. Ihr Entschluss
war klar, Pfarrer Tempel hatte es ja auch empfohlen, sie wollte ab sofort nur noch die Wahrheit sagen.
Beschwingt von ihrer neu gewonnen Klarheit beschloss Suse, durch den Klostergarten hinter der Kirche zu
wandern. Hier würde sie in aller Ruhe die Kräuterbeete und Obstwiesen betrachten, vielleicht einmal von
verbotenen Früchten naschen und die Abgeschiedenheit des Ortes nutzen, um Kai anzurufen und ihm ihre neue
Vorgehensweise zu erläutern.
Es war ein wundervoller Sommertag, der Garten duftete herrlich, und Bienen und Schmetterlinge begleiteten sie
auf ihrem Weg. Aus der Kirche drangen gewaltige Klänge, der Kantor übte für ein anspruchsvolles Orgelkonzert
in Moll. Suse war so sehr in Gedanken versunken, dass sie weder den Küster noch die im Garten arbeitenden
Kulturpaten bemerkte. Sie setzte sich auf die Treppe vor der Siechenkapelle und wählte Kais Nummer.
Währenddessen sprach Nicole Schwerdtfeger mit Heike Mittelstaedt. Leider brachte auch dieses Gespräch keine
neuen Erkenntnisse zum Thema Ringvorlesung. Interessant aber war, dass Frau Mittelstaedt am Vorabend von
Rolf-Huberts Tod im Eusebia saß und eine Holunder-Bionade trank. Es ist nicht wirklich aufregend, dass eine
Diplom-Ingenieurin Bionade trinkt, dachte Nicole, aber sie brachte auch in Erfahrung, dass am Nebentisch Rolf-
Hubert Müller gesessen und sich sehr angeregt mit zwei jungen Frauen und einem Mann unterhalten hatte. Eine
der Frauen war das dritte Opfer der Schwanzmordserie . . .
Kommissar-Anwärter Bülent Camoglu saß lustlos am Schreibtisch. Es war unerträglich heiß, und er wartete
vergeblich auf die vorgeladene Assistent-Managerin der VW-Halle. Er war sich sicher, diese Frau wusste mehr,
als sie bisher zugegeben hat. So ein Mist, schon wieder überflüssige Überstunden . . .
Möhring, seines Zeichens überzeugter Eintrachtfan, konnte sich mit dem neuen Dopingverdacht gegen seine
Mannschaft nicht wirklich abfinden. Er wählte gerade die Nummer seines Freundes Loske, um sich über dessen
scheinbar stümperhaft geführten Recherchen und seine ausgesprochen überzogene Berichterstattung zu
beschweren. Eintracht und Doping? Niemals.
Gerade wollte Möhring seinen Freund lautstark beschimpfen, als seine Sekretärin Fräulein Müller in das Büro
stürzte und ihm zurief: "Chef, Neuigkeiten im Schwanzmordfall!"
Möhring legte sofort auf und ließ sich mit dem aufgeregten Küster der Klosterkirche Riddagshausen verbinden.
Bei Aufräumarbeiten im Klostergarten hätten die Grünpfleger einen Bronzeschweif gefunden, womöglich den
vierten der jüngst beschädigten Quadriga. Versteckt unter mühsam zusammengekehrtem Laub konnte dieses
glänzende Metallstück unmöglich ein Fundstück aus dem zu sanierenden historischen Klosterpark sein. Der Herr
Pfarrer und der Herr Diakoniedirektor seien außer sich, Diebesgut im Kloster . . .
Möhring und Nicole erreichten das Kloster gleichzeitig. Es stellte sich schnell heraus, dass es sich bei dem
gefundenen Bronzeschweif tatsächlich um den letzten vermissten Schweif der Quadriga handelte. Der Fall
wurde immer mysteriöser. Ein Schweif im Klostergarten unter einem Laubhaufen hinter der Siechenkapelle, das
macht nun gar keinen Sinn.
Erst die Befragung des Küsters und einiger der aufgeregten Kulturpaten brachte die Information, dass heute
Nachmittag eine nachdenklich wirkende Frau im Garten beobachtet worden war, die zunächst durch den Garten
schlenderte und später sogar dabei gesehen wurde, wie sie heimlich Quitten entwendete. Die waren doch noch
gar nicht reif. Später saß die Frau auch noch vor der Siechenkapelle mitten auf dem Weg zum Kompostplatz und
telefonierte, also wirklich unverschämt. Allerdings wirkte sie sehr verstört und war etwas blass. Das ist nun wohl
zwei Stunden her.
Und noch etwas wurde beobachtet: Gestern gab es in der Kirche und im Garten ein Spektakel mit Musik, Tanz
und Filmvorführungen. Alle Akteure waren mit weißen Mönchskutten bekleidet, die Gäste in Zivil. Als während
der Dämmerung Feuerfackeln im Garten entzündet wurden, behaupteten einige Gäste, sie hätten einen
schwarzen Mönch in der Nähe der Kapelle gesehen . . .
Freitag, 24.08.2007
17 Das Morden nimmt kein Ende
Suse wird tot in der Volkswagen-Halle gefunden – Und um Loske wird es plötzlich dunkel . . .
Von Jens Simon
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Er hatte es satt, so satt. Wie war er bloß auf den Gedanken gekommen, er könne als kleine Hilfskraft in der
Volkswagen-Halle der große Aufklärer in dieser Mordserie werden? Investigativer Journalismus in
Braunschweig? Diese Idee hörte sich von Ferne gut an, wurde aber aus der Nähe betrachtet schal und
deprimierte ihn mehr und mehr.
Erst heute Morgen hatte ihn diese Suse zur Schnecke gemacht. Im Wandelgang um die Halle würden einige
Leuchtstoffröhren immer noch wie irre flackern. Das habe sie ihm doch gestern schon gesagt. Und dann hatte sie
gleich noch nachgelegt.
"Loske", hatte sie gesagt – er hatte gar nicht gewusst, dass man seinen Namen so unfreundlich aussprechen
konnte – "Loske, im Oberring der Halle, Blöcke M bis P, sind einige Sitzschalen locker. Ziehen Sie mal alle
Schrauben nach! Sie wissen ja, wo der Werkzeugkasten steht."
Wo einige Schrauben wirklich locker saßen, wusste er ganz genau. Aber es half ja nichts. "Klar, Chefin, mach’
ich." Und Suse war abgerauscht, hatte noch was von wichtigen Terminen gemurmelt und gesagt, dass sie heute
nicht mehr reinkäme.
Trübsinnig hockte Loske jetzt, es war schon spät am Nachmittag, im Hausmeisterkasten, starrte auf die Wanduhr
und rührte, als würde sich dadurch etwas bewegen lassen, in seinem Pulverkaffee. Nach Umdrehung 200 hatte er
aufgehört zu zählen. Inzwischen war die Plörre kalt, ungenießbar wie zuvor und seine Laune weit unter dem
Gefrierpunkt.
Was hatte er bisher schon herausgefunden? Der alte Hausmeister hatte ihm etwas von einem verschwundenen
Kostüm des Phantoms-Maskottchens erzählt. War das wichtig, war das belanglos? Und vor ein paar Tagen hatte
sich seine Chefin hier in der Halle mit ein paar dubiosen Typen getroffen. Aber er war nicht nahe genug
herangekommen, um etwas von dem Gespräch aufzuschnappen. Kurzum: Seine Recherche war mehr als mager.
Loske rappelte sich auf, schüttete die düsteren Gedanken gemeinsam mit dem Pseudokaffee in den Ausguss,
schnappte sich seinen Werkzeugkasten und ging langsam den Wandelgang entlang.
Die Braunschweiger Sonne stand schon tief, und ein altes Westernlied kam ihm in den Sinn. Vor sich
hinsummend – "I was born under a wandering star" – nahm Loske den Treppenaufgang zum Oberring, Block O
bis P, übte mit dem tiefstem Bass, zu dem er fähig war, immer mutiger werdend, die entscheidende Liedstelle –
"Home is made for comin’ from, for dreams of goin’ to".
Im Dämmerlicht der paar eingeschalteten Deckenlampen lag die Volkswagen-Halle unter ihm. Wie groß die
eigene Stimme hier wurde. Mittlerweile laut schmetternd, schließlich war er mutterseelenallein, wandte er sich
zielstrebig Block O zu und brach mitten im "wandering star" ab.
Suse saß keine fünf Meter von ihm entfernt auf einem Sitz, dessen Schrauben er mit Sicherheit noch nicht
festgezogen hatte. Gleich würde es ein Donnerwetter geben.
"Hallo Chefin, ich wollte gerade . . .", setzte Loske an, als er merkte, dass seine Entschuldigung kein Gehör mehr
finden würde. Suse hing mehr im Sitz, als dass sie saß, ihr Kopf war auf die Brust gesunken, ihre Arme hingen
schlaff herunter.
"Oh, Gott . . .", keuchte Loske, dessen Magen sich schlagartig zusammenkrampfte, als er in die Blutlache trat,
die sich langsam, Stufe für Stufe, den Weg nach unten suchte und ein aufgeklapptes Handy umfloß, eine
leuchtende Flaschenpost im roten Meer.
"Jetzt nur keine Panik", sagte sich Loske. "Jetzt hast du doch deine Geschichte, die du gesucht hast." In diesem
Moment ging in der Halle mit einem leisen Klick das Licht aus.
Dienstag, 28.08.2007
18 Spur führt in einen Luftschutzkeller
Verdächtige Notiz auf einem Bierdeckel – Koordinaten weisen Ermittlern den Weg
Von Ewald Schnug
Da muss mehr sein, hatte ihm die Schwertfeger gesagt. Alles noch einmal auf den Kopf stellen und auseinander
nehmen, durchsieben – und – tatsächlich, plötzlich stach ihm der Stich ins Auge. Verborgen zwischen Rückwand
und Glas, hinter einem Kupferstich des Braunschweiger Doms in Rolf-Huberts Schlafzimmer, wurde Camoglu
fündig. Ein Polaroidfoto und zwei Papierschnipsel.
"Was für eine Quadriga!", entfuhr es ihm. In einem konturlos dunklen Raum, in schamloser Schärfe, ein
unglaublich fetter Mann mit Konsul Weyer-Brille in schwarzer Mönchskutte, die ecstasy-verklärte Andrea im
Phantombody an einer Hundeleine haltend. Davor auf Knien, im Novizendress und gekonnt und kunstvoll
gefesselt, Peter Becker, dem die Vögele im fuchsroten Latexdress mit einer siebenschwänzigen Katze Eiermarkt
und Leinenbeutel versohlte.
"Nomen est Omen", schoss es Camoglu durch den Kopf: "Kein Wunder bei so viel Fleisch, dass die Dame
Vegetarierin ist" und: "Stilettos trägt sie auch nicht nur bei Tage". Plötzlich interessierten ihn nicht mehr nur an
seinem A 3 die Spaltmaße . . .
Derweil in Möhrings Büro: Pfarrer Rochus Tempel mit der völlig verheulten und seelisch verbeulten Ehefrau
von Hector Schwabe. Gestehen wolle sie, Frieden mit ihrer Seele machen, das habe der gute Pastor ihr geraten.
Dass die Gespielin ihres Mannes auch noch einen Pferdeschwanz getragen habe, das habe ihr den Rest und
Hector das Bügeleisen auf den Kopf gegeben. Eigentlich nicht soooo feste, denn bis zum Eiermarkt habe er es ja
immerhin noch geschafft. "Kollateralschaden" nennt man so etwas, dachte die Schwertfeger nur.
Die beiden Schnipsel waren kryptische Offenbarungen. Der erste eine Zeitungsanzeige: "Großzügigen Männern
bringen Herrin Conduleezza Vice (CV!) und Zofe Angela wahre Seemannschaft und straffen Gehorsam bei".
Der zweite war die Ankündigung eines Sondervortrages in Heike Mittelstaedts Ringvorlesung, gehalten von
einem Gastwissenschaftler aus Wooster, Ohio, mit dem vielsagenden Titel: "Computerberechnungen zur
Aufbindefreudigkeit von Knoten".
Vielleicht war das, was er auf dem Polaroid sah, ja auch nur eine völlig unschuldige, praktische
Ergänzungsübung zur Ringvorlesung und sogar ein ganz außergewöhnlicher Beitrag zu "Braunschweig - Stadt
der Wissenschaft 2007"? Eigentlich einmal etwas wirklich Reizvolles, wenn da nicht die tote Andrea gewesen
wäre.
Endlich mal ein Fall so einfach, dass ihn auch der Chef lösen können müsste, dachte Camoglu. Die Vögele war
ihm schon gleich verdächtig vorgekommen: nur einmal mit dem Glas auf ’n Eiermarkt gucken, und schwupps
eine Leiche entdecken! Und so dauerte es denn auch nur die 11 Minuten, bis Möhring mit der Vögele fertig war.
Sie zerbröselte wie ein 2CV im Crashtest und sang wie eine Nachtigall: "Ich war sein fuchsrotes Herzblatt",
gestand sie.
"Fette Henne" sei der Spitzname des schwarzen Mönches gewesen, "Kücken" der des Novizen (er bestand auf
die Bremer Form des Vögelchens!), "und am liebsten mochte es der schwarze Mönch, im Finale als böser Junge
in die Ecke gestellt zu werden. Im wahren Leben hieß der Mönch George Buch und . . ."
Weiter kam das Vögelein nicht: "Die Mittelstaedt ist in Gefahr", entfuhr es der Schwertfeger! "Bei dem, was sie
weiß, braucht sie höchsten Personenschutz!" Aber Heike war verschwunden.
Möhrings komplette Soko durchwühlte Heikes Büro in der Uni und brachte nur eine verdächtige Notiz auf einem
Bierdeckel der Eusebia zu Tage: Freitag 17 Uhr, 52°17'23.335" / 10°26'10.936" /, alter Luftschutzkeller . . .
Das Böse ist immer und überall, dachte Möhring. Er konnte den Durchbruch förmlich spüren, wenn da nicht
noch Murphy’s Gesetz gewesen wäre . . .
Freitag, 31.08.2007
19 Biss-Spuren von Blutegeln entdeckt
An allen vier Leichen finden sich die dreizackigen Male – Würmer aus dem Schapenbruchteil
entnommen?
Von Horst Grunert
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In den "Blinden" wurde Skat gespielt, heute saßen die Ärzte am Stammtisch. Doch Dr. Köhler war gar nicht bei
der Sache. Auch die lockeren Sprüche seines Skatbruders konnten ihn nicht aufmuntern. Tom, der Freund aus
gemeinsamen Studientagen in Göttingen, hatte es nicht bis zum Abschluss geschafft. Nach dem Physikum
wählte er einen lukrativeren Weg, um sich und den Menschen zu helfen.
"Jeder Fuzzy fährt ’ne Guzzi", begrüßte Eckhard die Skatrunde. Damit meinte er das alte italienische
Polizeimotorrad, es stand direkt vor der Kneipentür. Mit der Guzzi kam Tom früher bei den Mädels gut an, heute
schröpft er die älteren Semester als erfolgreicher Heilpraktiker.
Eine Dschungeltour brachte ihn auf die Idee, seine teuren Schröpfgläser durch Blutegel zu ersetzen. Heute ging
die lokale Sportprominenz in seiner Praxis ein und aus, so manche vom ältesten Gewerbe gesellte sich dazu.
Doch es gab Tage, da wollte Tom seine kleinen Lieblinge selber füttern. Er liebte es, wenn er dabei noch die
"Vierschwänzige" zu spüren bekam, seine "Dienerin der Liebe" stellte ihm dann keinen Cent in Rechnung. Doch
diese Pikanterien behielt Tom für sich.
Köhler stockte der Atem, als Tom beim Null-Ouvert die Hosen runterließ: Auf den kräftigen Unterarmen des
Heilpraktikers sah er das, worüber er den ganzen Tag gegrübelt hatte. Wie Schuppen fiel es ihm von den Augen:
Blutegel, das war es! Die dreizackigen Male waren eindeutig.
Eilig verließ der Voluminöse die VW-Halle, erst im Wagen atmete er ruhig durch. "Sport ist Mord!", kicherte er,
als er den schweren Geländewagen durch den dichten Stadtverkehr lenkte. Auf dem Messeweg überholte er
hupend einen schwarzen Benz, nicht gewohnt, aufgehalten zu werden. Das Profil des Fahrers kam ihm bekannt
vor, dieser stritt heftig mit der Frau auf dem Beifahrersitz. Mit quietschenden Reifen bog Buch in den schmalen
Teichweg ein. Die blonde Frau des Fischers holte gerade die frisch geräucherten Forellen aus dem Rauch, als der
Fleischberg sich aus dem Fahrersitz quälte.
Doch Blondinen und auch Forellen reizten ihn nicht. Wie so oft in den letzten Wochen nahm er einen fetten Aal
mit. Sein Handy klingelte: "Nur ruhig Blut!", nuschelte er, als er den Wagen im knirschenden Kies wendete, "wir
treffen uns wie verabredet." Auf dem Weg zur FAL dachte er lüstern an sein Abendprogramm, hoffentlich war
seinem fuchsroten Herzblatt der Aal fett genug. Er merkte nicht, dass ein schwarzer Alfa ihm folgte.
Bülent Camoglu wartete auf seine Chefin. Endlich sah er die Schwertfeger am Ende des Ganges. "Köhler", rief
er ihr zu, "sie müssen sofort den Köhler anrufen" und brummelte Unverständliches über Heparin und Egel. Die
Kommissarin wählte die Nummer des Gerichtsmediziners: "Ja, Frau Schwertfeger, meine Berichte sind fertig,
und endlich habe ich die Lösung für die merkwürdigen Spuren an allen vier Leichen!"
Petra Meier wartete in Leos Eiscafé auf ihre Freundin. Die Proben zu Rigoletto hatten begonnen. "La donna è
mobile ...", erschallte die klagende Stimme des Tenors über den Burgplatz.
Petra sah sofort, dass Nicole heute den Kopf nicht frei hatte. "Ärger im Büro?", fragte sie die Freundin. Obwohl
die Kommissarin sonst niemals über laufende Ermittlungen sprach, sprudelte es aus ihr heraus, nur das mit der
Staatsanwältin verkniff sie sich.
Die Biologin, die sich gut mit italienischen Opern auskannte, summte mit dem Quartett im Hintergrund: "Bella
figlia deii àmore . . ." War es nicht wie immer? Liebe, Lust und Leidenschaft sind das Leben und so oft auch der
Tod. "Heparin und Hirudin fand man im Blut der Toten, dazu Bissmale von Blutegeln", berichtete Nicole.
"Das ist ja irre", erwiderte Petra, "mit Blutegeln schröpfen heute die Heilpraktiker ihre Patienten, sogar die
Mönche in Riddagshausen sollen sie schon gezüchtet haben. In der Sportmedizin sind sie momentan der
Renner!". "Woher weißt du denn das?", fragte Nicole.
"Im letzten Jahr gab’s doch die Vortragsreihe über das Naturschutzgebiet Riddagshausen. Einer der
Naturschützer zeigte sogar das Foto eines Blutegels. Hirudo medicinalis heißt der seltene Wurm, in
Niedersachsen gibt es die Viecher nur noch in Riddagshausen im Schapenbruchteich".
Dienstag, 04.09.2007
20 "Operation Pferdebauch" in vollem Gange
Kreativ-Sitzung der Ermittler dreht sich vor allem um die Zahl Vier – Führt die Spur zu Eintracht
Braunschweig?
Von Silke Schirmer
Großansicht
Camoglu schrie. Er lag in einem Kanu, über und über mit Blutegeln bedeckt, die an ihm saugten. Über ihm
konnte er nur ein Stück grauen Himmel sehen. Irgend jemand musste ihn doch hören. Er konnte sich kaum
bewegen, vom Gewicht der Millionen Egel gefesselt war er kurz davor, die Besinnung zu verlieren. Aus dem
Augenwinkel sah er plötzlich Brunonia mit ihrem Wagen über den Himmel ziehen. "Hiiiilfe!", rief er, aber
Brunonia lachte nur und rief zurück: "Keine Zeit Bülent! Ich habe einen dringenden Termin in Polen". Die
Blutegel krochen ihm in den Mund und in die Ohren und als er sich schon mit dem äußerst würdelosen Ende
seines Lebens abgefunden hatte, streckte sich ihm eine Hand entgegen. Es war die seines Chefs Moehring, er
trug eine blau-gelb gestreifte Mönchskutte und sang: "Zwischen Harz und Heideland…". Camoglu ergriff die so
sehnlich erwartete helfende Hand und sofort waren die ekel-Egel verschwunden. Moehring war auch nicht mehr
Moehring sondern sein Zahnarzt, der ihm einen Vortrag über die Vorzüge ungewachster Zahnseide hielt,
während sie gemeinsam die Volkswagen Halle betraten, in der gerade eine Lack- und Ledermesse stattfand.
Nicole Schwertfeger begrüßte ihn an einem Stand, der Liquid Ecstasy in riesigen Fässern anbot. Auf einer Bühne
sezierte Köhler gerade ein Pferd und winkte ihm zu. "Hey, Camoglu, Lust mal Pferdedarm zu kosten?", rief er.
Ideenküchen Braunschweig hin oder her, das war einfach zu viel. Auf dem Weg nach draußen kam er an einer
der vielen Fressstände vorbei, die zu unfassbaren Preisen unfassbar mieses Catering anboten. Auf einem
Pferdeschwanz aufgespießt drehte sich Dönerfleisch, über das Blutegel krochen.
Schweißgebadet wachte Camoglu auf. Was für ein Traum. Mein Gott. Er sollte einfach nicht mehr so spät essen,
dachte er, während er ins Bad taumelte. Auf dem Heimweg von einer bis in die Nacht dauernden Sondersitzung
der "Soko Pferdeschwanz" hatte er noch in der Imbissbude seines Cousins Halt gemacht und einen Döner "mit
alles" verschlungen. Die Magenschmerzen und der Horror-Traum ließen ihn kurz an Gammelfleisch denken,
aber nein, das konnte nicht sein. Nicht sein Cousin. Oder? Sei’s drum, es gab wichtigere Dinge, um die er sich
jetzt zu kümmern hatte. Heute sollten die Hohlräume der Quadriga-Pferde untersucht werden und Moehring
hatte ihn dazu verdonnert, anwesend zu sein. Auch der Oberbürgermeister und der edle Stifter der gewichtigen
Vierbeiner würden vorbeikommen, hatte sein Chef angedroht. Was immer sich im Inneren der Pferde befand, die
beiden hofften inständig, es möge so schwer sein, dass sich gewisse Statikprobleme nach der Entfernung quasi
wie von selbst lösten.
Bis zur Operation Pferdebauch war noch ein bisschen Zeit und darum fuhr Camoglu vorher noch ins Büro. Sein
Albtraum hatte ihn inspiriert. "Vielleicht sollten wir wirklich mal quer denken und versuchen, ganz andere
Verbindungen herzustellen", sage Nicole Schwertfeger auf Camoglus Vorschlag hin. Nie hätte sie gedacht, dass
der Workshop "Du und das Moderations-Wölkchen" zu dem Moehring sie gezwungen hatte, sich noch einmal
auszahlen würde.
Doch nun erinnerte sie sich an die Meta-Plan-Methode, die vielen Karteikärtchen und die unzähligen Pin-
Nadeln, die sie damals dem lahmarschigen Workshopleiter am liebsten in die pädagogisch-blöd dreinblickenden
Augen gestochen hätte, um den Workshop frühzeitig zu beenden.
Camoglu war inzwischen beim Bauhof angekommen. Zwei Stunden lang guckte er bei den Versuchen zu, den
äußerst robusten Pferde-Bäuchen zuzusetzen, aber nichts tat sich. Bei Köhler hatte es ganz leicht ausgesehen,
aber das war ja schließlich ein Traum gewesen. Und leider läuft im Leben eben nicht alles so reibungslos ab, wie
in Träumen. Das mussten auch der OB und der Stifter – nicht zum ersten Mal – feststellen und strichen genervt
die Segel. Schon lustig, dachte Camoglu, dass die Polen dafür sorgen, einbruchsichere Fortbewegungsmittel
herzustellen.
Im Hinblick auf seine Karriere verzichtete er jedoch darauf, diese kleine Spitze einer breiteren Öffentlichkeit
zugänglich zu machen und fuhr zurück ins Büro, nicht ohne sich vorher versichert zu haben, dass man ihn sofort
anrufen werde, wenn es Fortschritte gab.
Die Kreativ-Sitzung konnte beginnen. Moehring hatte sie kurzerhand zu einer "nicht offiziellen Arbeitssitzung"
erklärt, um erstens das Rauchverbot aufheben zu können und zweitens eine Kiste Wolters zu rechtfertigen, die
das kreative Potenzial aller Beteiligten heben sollte. Man hatte schließlich nichts zu verlieren.
"Also, was haben wir?", fragte die Schwertfeger. "Wir haben: vier Tote, vier Pferdeschwänze, vier Personen mit
fragwürdigen sexuellen Ambitionen auf einem Foto, vier Eusebia-Stammtischler, von denen drei tot sind, was
fällt euch dazu ein?"
"Vierer-Kette", sagte Moehring.
"Jetzt mal ernsthaft!"
"Ich meine das vollkommen ernst. Ich bin der Meinung, dass wir in Richtung Eintracht suchen müssen, auch
wenn ich niemals glaube, dass die was mit Doping zu tun haben. Wenn doch, dann müsste es ja wohl das
mieseste Doping-Mittel aller Zeiten sein".
"Moment mal", schaltete sich Camoglu ein, "hat die Eintracht nicht die ersten vier Spiele der Saison verloren?"
"Jaja, schon gut, jetzt reib mir das nicht wieder unter die Nase. Willst du Eintracht oben seh’n, musst du die
Tabelle drehn. Nächstes Jahr spielt ihr gegen Bortfeld. Der Präsi hat mittags schon mehr Biere drin, als Eintracht
in der Saison Tore schießt…bla bla bla… ich kann’s nicht mehr hören! Ich hab genug von euren dämlichen
Sticheleien!"
"Jetzt krieg dich mal wieder ein, Moehring", sagte Camoglu, "ich meine ja nur, vielleicht hat die Zahl Vier
tatsächlich was zu bedeuten und vielleicht hast du ja Recht mit deiner blau-gelben Theorie.
"Also gut, hier ist ja brainstorming-mäßig erstmal alles erlaubt", sagte Schwertfeger und ordnete die Karteikarten
neu an. Plötzlich erinnerte sie sich an das Zitat dieses polnischen Dichters…. "Die meisten Denkmäler sind hohl"
oder so ähnlich. Was, wenn mit den Denkmälern gar nicht die Quadriga gemeint ist, sondern der Löwe?
Löwe…Eintracht, vielleicht geht da wirklich was?
Sie fand schon immer, dass das ein äußerst fragwürdiges Wappentier ist. Was ist schon von einer Stadt zu halten,
die sich durch ein Tier repräsentieren lässt, das den ganzen Tag auf der faulen Haut liegt, sich einen Harem hält,
kleine Artgenossen auffrisst, Frauen die ganze Arbeit erledigen lässt und dazu noch ne beschissene Frisur hat?
Im Nebenraum klingelte das Telefon. Camoglu ging rüber. Der Rest nutzte die kurze Pause, um sich das vierte
Bier aufzumachen, schließlich war Vier die Zahl des Tages.
Als Camoglu zurückkam hielt er sich vor Lachen den Bauch.
"Was ist denn los, Bülent?", wollte die Schwertfeger wissen, "jetzt sag schon". "Das waren die vom Bauhof, die
haben die Pferde aufgekriegt."
"Und?"
"Das glaubt ihr nie!!!", prustete Camoglu und wischte sich die Lachtränen aus dem Gesicht.
Freitag, 07.09.2007
Sommer-Krimi: Die Leser-Auflösung
21 Drogen-Doping Sumpf wird trockengelegt
Gefälschte „Ölper 12 Pöints“-Karten im Pferdebauch – Mörder verwechselte Hector mit Kai – Das große
Finale im Luftschutzkeller
Von Silke Grefen-Peters
Hunderte von Eintrittskarten für Ölper 12 Pöints im Bauch des Zossen,prustete Bülent,“ das wäre ein Geschäft
geworden“!Der Aufdruck „Staffel 3“ und der Eintrittspreis von 100 Zloty enttarnten den Kartenstapel jedoch als
plumpe Fälschung. Das Team war nun auch nicht schlauer „Operation Pferdebuch“ ein Flop.
Als die rote Nora morgens den Lokalteil der Braunschweiger Zeitung aufschlug, erkannte sie drei der vier
Personen auf dem Foto sofort wieder. „Donnerwetter“!
entfuhr es ihr, und sie zerzauste nervös ihren üppig roten Pferdeschwanz. Diesen „Spezialauftrag“ hatte sie nicht
vergessen. Auf eine Annonce vor einigen Wochen in der NB meldete sich die Blondine auf dem Foto, Für 300
Mäuse sollte Nora die Geburtstagsparty ihres Freundes in Schwung bringen. Diese trockenen Werbefuzzis auf
Trapp zu bringen, war eine ihrer leichtesten Übungen. Maskiert, in rotem Lack und mit Peitsche, zog sie die
volle Show ab. Nein, nicht sofort die volle. Das machte sie erst, als ihr das angetrunkene Geburtstagskind noch
einen Nachschlag in das üppige Halfter stopfte. Alle Gäste amüsierten sich prächtig.
Nora nahm ihr Handy und hatte schnell ihre Zwillingsschwester an der Strippe. Sofort macht sie sich auf den
Weg in die Kanzleistraße. Nur Claudia konnte ihr jetzt noch weiter helfen. Früher täuschten sie ihre Rollen,
wenn Claudia mal Lust auf Langeweile hatte.
Wie die Party damals endete, davon wusste Nora nichts. Kai, das Geburtstagskind, hatte eine Idee, wie er sich
für den Höhepunkt der Party bedanken konnte. Als Erinnerung an seinen Vierzigsten sollte jeder der
Eingeschworenen einen „Pferdeschwanz“ erhalten. Mit Hilfe einer Flex verloren
die Rösser auf dem Bauhof ihre Schwänze, die anschließend an den unterschiedlichsten Orten der Stadt versteckt
wurden. Rolf-Hubert, Suse und Andrea waren eifrig auf der Suche! Seine eigene Trophäe vergrub Kai in der
Kiesgrube Mascherode.
Auch Tom hatte die Zeitung gelesen. Anfangs klang es noch wie ein Studentenstreich, als die Presse von den
fehlenen Pferdeschwänzen berichtete. Den Stoff aus Polen in einem der hohlen Pferdeschwänze zu
transportierten, hielt der Heilpraktiker für eine blendende Idee. Die Gießerei in Posen lag ja genau neben seiner
Drogenküche. Er schwitzte Blut und Wasser, als auch das „Trojanische Pferd“ hoch oben auf dem Schloss stand.
Noch heute war er von Heikes Idee fasziniert: „gewisse Statikprobleme“, das war genial! Erst als die Rösser
wieder festen Boden unter den Hufen hatten, konnte er aufatmen. Doch die Freude kam zu früh. Bevor der Inhalt
des präparieren Schwanzes geborgen werden konnte, waren alle vier Schwänze verschwunden.
Wieder war es Heike, die ihm aus der Patsche half. Sie hatte das Gespräch der vier Partyhelden in der Euse
belauscht. Gnadenlos verfolgte er nun sein mörderisches Ziel: Der Stoff musste her, wie auch immer! Einen nach
dem anderen lockte die rote Nora in den düsteren Keller. Unter der egeligen Folter gab jeder der drei das
Versteck „seines Schwanzes“ nur zu gern preis. Aber das rettete nicht ihr Leben. Als Warnung platzierte er die
Schweife nben den Toten. Das die Polizei den vierten Schwanz bereits in Mascherode sichergestellt hatte, konnte
Tom nicht ahnen. Nur einen Fehler gestand er sich ein: Er hatte Hector mit Kai verwechselt. Zu dumm, dass
beide an diesen Abend rote Hemden trugen. Da war es ein wahrer Glücksfall, dass Hectors biedere Ehefrau zu
seinen Patientinnen zählte. Sie dazu zu bringen, den Gatten mit dem Bügeleisen zu erlegen, war schon die hohe
Schule der Hypnose.
Als Tom sich vor der VW-Halle auf die Guzzi schwang, war er sicher, dass er seinen fetten Drogenkurier nie
mehr wiedersehen musste. Die Dosis war genau gewählt, die haute den stärksten Kaffernbüffel um. Nun raste er
in sein geheimes Labor in der FAL. Der letzte Versuch musste noch gelingen, er war seinem Ziel so nah:
Aufstieg in die 2. Bundesliga, keine lästigen Playoffs, vielleicht sogar der Eurobowl! Nein, er konnte seine
Patienten nicht enttäuschen. So nah war er am ultimativen Doping, der umgekehrten Schröpfung, Blut vom Egel
direkt zum Menschen, ein Nachweis bei Kontrollen unmöglich! Stadt der Wissenschaft – dass ich nicht lache –
rief er, hier ist wahre Wissenschaft! Was ihm fehlte, war nur der Stoff aus dem letzten Schwanz. Es blieb ihm
nur noch wenig Zeit. Im ersten Raum seiner Hexenküche standen die Versuchsbecken mit den Hungertieren.
„Diese Ignoranten, aufgeblasene Doktoren forschen an dreiköpfigen Quallen, lächerlich!“ rief er, als er wütend
die Aquarien umstürzte. Schnell verteilten sich die hungrigen Blutsauger auf dem Boden. Er schlug die
gesicherte Labortür zu und verschwand in der Dunkelheit.
Der Fette fuhr in Richtung FAL. Kalter Schweiß strömte über seinen Stiernacken, die wenigen Haare klebten am
klobigen Schädel. Unsicher steuerte er den Wagen durch den dichten Verkehr. Die plärrende Stimme seines Tom
Toms lotste ihn durch Lehndorf. „Tom, dieser Lump!“ jetzt wurde es ihm klar. Er musste ihm etwas in den
Kaffee geschüttet haben. Der Pförtner der FAL kannte den Geländewagen, ohne Kontrolle kam er bis zum
Luftschutzbunker.
Mit letzter Kraft stolperte er die steile Treppe hinunter. Die schwere verrostete Eisentür war nur angelehnt. Er
drückte sie auf und sank in den verrotteten Ledersessel. Dann verlor er die Besinnung und merkte es nicht mehr:
eine Armada von Blutsaugern kroch über den glitschigen feuchten Boden auf ihn zu.
Der Polizeichef hatte wieder den richtigen Riecher und die Koordinaten auf dem Bierdeckel längst entschlüsselt.
Mit Blaulicht raste die Einsatzgruppe über die Celler Strasse. Mit quietschenden Bremsen hielt das
Sonderkommando vor dem Luftschutzkeller, die schwere Eingangstür war nicht verschlossen. Als Moehring
hinter Schwertfeger den Raum betrat, stockte ihnen der Atem....................
Aschfahl und blutleer hing der voluminöse Dealer im Sessel. Die Stille wurde nur von einem dumpfen Klatschen
aus dem Nebenraum unterbrochen. Hier bekam Kai gerade die „Neunschwänzige“ zu spüren. Noch hatte er das
Versteck des letzten „Drogenschwanzes“ nicht verraten. Tom hatte es geschafft, heute Heike zu dieser
„Gefälligkeit“ zu überreden. In ihrer roten Latexkluft war die Wissenschaftlerin nicht mehr zu bremsen.
Die hungrigen Egel schlängelten sich auf dem Boden in Richtung Moehring. Seine in Sandalen steckenden Füße
zogen sie magisch an. Mit einem Aufschrei zog die Kommissarin ihre Dienstwaffe und feuerte voller Ekel auf
das Gewürm! Der Lärm war ohrenbetäubend. Mit einem großen Erlenmeyerkolben in den Händen stand der
Forscher mit wirrem Blick in der Tür. Voller Verachtung schleudert Tom das Gefäß mit Äther in Richtung der
Eindringlinge. Vor Schreck fiel Camoglu sein geliebtes Zigarillo, leichte Havanna, aus der Hand. Die Explosion
war gewaltig und schleuderte alle aus dem Raum. Drinnen toste ein Inferno. Camoglu kam als erster wieder auf
die Beine und schlug geistesgegenwärtig die schwere Eisentür zu. Alles wurde ein Raub der Flammen Forscher,
Egel und auch die Patientenkartei.
Ihren Erfolg feierten Moehring, Camoglu und die Kommissarin in Leos Eis-Kaffee. Nicole trug eine schnell
gehäkelte Mütze, die beiden Herren seit gestern Naturkrause. Der Abschlussbericht war endlich fertig. Sogar der
unbequeme Lokalredakteur der BZ war voller Anerkennung. Der Oberstaatsanwalt hielt sich verständlicherweise
bedeckt. Trotz der sommerlich heißen Temperaturen hatte der Polizeipräsident seine alten Einsatzstiefel an,
sicher ist sicher, dazu die seltenen Spendierhosen. „Für alle ein Heißgetränk, den Eisbecher zahlt jeder selbst!“
rief er launig in die Runde. Wuchtig brandete vom Burgplatz Verdis Totenmesse herüber. Als die Bedienung für
Camoglu, jetzt überzeugter Nichtraucher, das Spagetti-Eis auf den Tisch stellte, wurde Nicole blass und
verschwand angeekelt auf der Damentoilette. „Was die wohl wieder hat?“ nuschelte Moehring „Frauen!“.
Mittwoch, 19.09.2007
Der große Sommer-Krimi 2007 der BRAUNSCHWEIGER Zeitung
Die Autoren
1/2 Peter Schanz
Geboren 1957 in Bamberg/Oberfranken. Studium der Germanistik, Geschichte und Politologie in Würzburg,
Graz und München. Staatsexamen. Zivildienst. Ab 1984 Engagements als Dramaturg und Regisseur an
verschiedenen deutschen Theatern, zuletzt Künstlerischer Direktor am Staatstheater Braunschweig. Seit 1999
freiberuflicher Autor und Dramaturg. Verheiratet, drei erwachsene Kinder.
Schanz lebt auf Fehmarn in der Ostsee und schreibt vornehmlich für Hörfunk und Theater. In Braunschweig
zuletzt Arbeiten für das Literaturbüro und das Staatstheater, unter anderem Das Wunder von der Hamburger
Straße, Das Braunschweigische Wurstmysterium, Braukunst Braunschweig, Der Afrikaner (nach Wilhelm
Raabe), Braunschweich Braunschweich, Ölper Zwölf Pöints, Mensch Agnes!
3 Stefan Miersch
Geboren am 1. Februar 1969 in Helmstedt. Nach dem Abitur folgte eine Ausbildung zum Bankkaufmann. Nach
dem Grundwehrdienst begann er ein Studium der Rechtswissenschaft in Göttingen. Nach seiner Referendarzeit
in Braunschweig legte Miersch sein zweites Staatsexamen ab und promoviert1998 in Arbeits- und allgemeinem
Zivilrecht. Steffan Miersch ist seit 1999 Richter, seit 2002 am Landgericht. Nach zahlreichen Fachpublikationen
ist Miersch seit 2005 auch Hobbyautor im Bereich Belletristik mit überwiegend fantastische Themen. Im März
2007 erschien sein Kinderbuch „Zetus und der graue Schatten“. Im September soll das Jugendbuch „Der weiße
Legionär“ auf den Markt kommen.
4 Ulrich Markurth
Ulrich Markurth wurde am 17. Oktober 1956 in Braunschweig geboren. Er ist verheiratet, hat zwei Töchter und
ist leidenschaftlicher Braunschweiger. Er absolvierte ein Studium der Soziologie, Psychologie,
Erziehungswissenschaften an der TU, war 4 Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bundestages und 6 Jahre
Leiter einer Jugendhilfeeinrichtung im Harz. Von 2001 bis 2005 war Markurth geschäftsführendes
Vorstandsmitglied des AWO-Bezirksverbandes. Seit 1. November 2005 ist er Dezernent für Soziales,
Gesundheit und Jugend der Stadt Braunschweig. Hobbys: Politik und Sport (unverbesserlicher Fan der Blau-
Gelben.
5 Hans-Jürgen Grasemann
Hans-Joachim Grsemann wurde am 19. August 1946 in Hannover geboren. Nach dem Studium der
Rechtswissenschaften in Göttingen war er fünf Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Ost-Akademie
Lüneburg. 1973 promovierte er in DDR-Verfassungsrecht. 1976/77 war er am Landgericht Braunschweig als
Richter tätig. Der Wechsel zur Staatsanwaltschaft erfolgte 1978. Er war viele Jahre Pressesprecher der
Staatsanwaltschaft sowie der Zentralen Erfassungsstelle Salzgitter. Seit 1994 ist er als Oberstaatsanwalt
Abteilungsleiter in der Strafverfolgungsbehörde. Verheiratet mit Ehefrau Angelika sind beide Hannoveraner
längst bekennende Braunschweiger.
6 Oliver Braun
Oliver Braun ist aufgewachsen in einem kleinen Dorf bei Hannover. Während der Kindheit probierte er alle
möglichen Sportarten aus. Mit 13 Jahren blieb er beim Basketball „hängen“ und kam schnell in eine Auswahl-
Mannschaft. Es folgten Jugendnationalmannschaft, der Vereinswechsel zum Bundesligisten TK Hannover, mit
dem der Aufstieg in die 1. Bundesliga gelang. Dann Engagements bei namhaften Bundesligisten, wie SG
Braunschweig, Alba Berlin Telekom Baskets, Artland Dagons etc. sowie Vereinen in Italien und Grichenland.
Sportliche Erfolge waren u. a. Vizemeisterschaften, Vizepokal-Sieger Europapokalsieger, Nationalmanschafts-
Teilnahmen, Europameisterschaften. Abschließend zur sportlilchen Kariere in der 2. Basketballbundesliga kam
ein akademischer Teil im Rahmen eines internationalen Diplom-Betriebswirtschaftsstudiums hinzu.
Seit Juni 2007 ist Oliver Braun als Geschäftsführer Sport bei den New Yorker Phantoms tätig.
7 Rudi Balling
Rudi Balling wurde 1953 geboren. Er studierte Ernährungswissenschaften in Bonn und in den USA und
promovierte in Reproduktionsbiologie an der RWTH Aachen. Zwei Jahre lang absolvierte er einen Postdoc-
Aufenthalt in Toronto/Kanada im Mount Sinai-Forschungskrankenhaus und ging dann für 5 Jahre ans Max-
Planck-Institut Göttingen. Es folgten drei Jahre Max Planck-Institut Freiburg. 7 Jahre war Balling Direktor des
Instituts für Säugetiergenetik am GSF-Forschungszentrum München. Seit 2001 ist er Wissenschaftlicher Leiter
des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung in Braunschweig (früher GBF) Balling ist verheiratet und hat
zwei Kinder. Hobbies: Sammeln alter Bücher, Geschichte und Mathematik.
8 Stefan Maiwald
Stefan Maiwald, geboren 1971 in Braunschweig, lebt mit Frau und zwei Töchtern in Grado, Italien. Der
Journalist ( u.a. Süddeutsche Zeitung, Merian) veröffentlichte Anfang 2007 den Bestseller „Laura, Leo, Luca
und ich – wie man in einer italienischen Familie überlebt“, den die BZ im Mai als Fortsetzungsroman
veröffentlichte. Er gehört zu den vehementesten Unterstützern einer Olympia-Bewerbung Braunschweigs.
9 Elisabeth Hoffmann
Dr. Elisabeth Hoffmann wurde 1965 in Wesel am Niederrhein geboren. Sie studierte Vergleichende
Literaturwissenschaft an der Universität Bonn und war dort anschließend als Wissenschaftliche Mitarbeiterin
tätig. Nach der Promotion arbeitete Elisabeth Hoffmann in der PR-Agentur IPR & O und bei der Deutschen
Universitätszeitung. 1996 führte sie ihre neue Aufgabe als Leiterin der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der
Technischen Universität Braunschweig in die Löwenstadt. Elisabeth Hoffmann ist verheiratet mit dem
Rechtsanwalt Jürgen Hoffmann und hat zwei Kinder, Katharina (8) und Thomas (4).
10 Thomas Ostwald
Thomas Ostwald, 1949 in Braunschweig geboren, Buchhändler und Autor, unter anderem „Auf unsers Carls
Befehl“, „Friedrich Gerstäcker – Leben und Werk“, „Stadtjunker von Braunschweig“ (bearb.), „Till
Eulenspiegels lustige Streiche“; seit 25 Jahren ehrenamtlich Leiter des Gerstäcker-Museums, mit der Gruppe
„Braunschweiger Jäger 1776“ regelmäßig als Schlosswache im Einsatz.
Er ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.
11 Michael Hoppe
Michael Hoppe, 1947 in Hildesheim geboren, Jura-Studium in Göttingen, betreibt seit nunmehr 31 Jahren als
selbständiger Rechtsanwalt und Notar eine Kanzlei in Braunschweig. Er ist spezialisiert auf Straf- und
Arbeitsrecht, entsprechend Fachanwalt für diese Bereiche. Trotz dieser Profession liest er immer noch sehr gern
Kriminalromane, insbesondere auf den ebenfalls sehr gern angetretenen Reisen. Das sind Motor- Rad-Touren
ebenso wie Segeltörns oder ganz geruhsame Tage auf Rügen – am liebsten in Begleitung seiner Frau, ebenfalls
Krimifan.
12 Hans-Peter Richter
Hans-Peter Richter, Elektroinstallationsmeister, 1944 in Dresden geboren, in Schöningen aufgewachsen.
Nach Lehre und Gesellenzeit fuhr er 15 Jahre zur See ( 4 Jahre Bundesmarine, 11 Jahre Handelsmarine und
Reedereiinspektor). 25 Jahre Netzleitstelle der ÜZH, später Avacon. Karnevalist mit Leib und Seele, daher
Präsident der Mascheroder Karnevalgesellschaft und Zugmarschall des Braunschweiger Karnevalszuges.
Verheiratet, 2 Kinder. Hans-Peter Richter wohnt in Jerxheim.
13 Joachim Grande
Joachim Grande, im November 1954 in Waggum ( heute Braunschweig) geboren und im östlichen Ringgebiet
und der Südstadt aufgewachsen, wohnt heute wieder in Waggum. Verheiratet, einen Sohn, David.
Nach Besuch der Gaußschule trat Grande 1971 in die Polizei Niedersachsen ein. Seit 1972 war er, mit wenigen
Unterbrechungen, als Polizeibeamter in unterschiedlichen Funktionen in Braunschweig tätig. Seit 2003 zuständig
für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.
14 Maybritt Hugo
Geboren 1960 in Minden/Westfalen, Studium der Politikwissenschaft und Germanistik in Braunschweig,
wissenschaftliche Mitarbeiterin am Seminar für Politikwissenschaft und Soziologie der TU Braunschweig,
Fraktionsgeschäftsführerin bei der Fraktion „ Die Grünen“ im Rat der Stadt Braunschweig. Seit 1992 Frauenbzw.
Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Braunschweig. Maybritt Hugo lebt mit ihrer Partnerin in
Braunschweig. Hobbys: Arbeit im Garten, Fahrradtouren, Lesen, Yoga und Gesang.
15 Michael Strauß
Michael Strauß (45) ist seit 2001 Pressesprecher der Landeskirche Braunschweig. Nach einem
Tageszeitungsvolontariat in Lüdenscheid studierte er Evangelische Theologie, Anglistik und Germanistik in
Bielefeld. Als Redakteur der nordrhein-westfälischen Wochenzeitung „Unsere Kirche“ spezialisierte er sich auf
das Thema Ökumenel, bevor er Redakteur der Monatszeitschriften „Evangelische Kommentare“ und
„zeitzeichen“ In Stuttgart und Berlin wurde. Als Musiker, Texter und Komponist hat er außerdem zahlreiche
CDs veröffentlicht, unter anderem mit Olivia Molina und Siegfried Filetz.
16 Burkhard Bohne
Geboren 1962 in Northeim, nach dem Abitur Ausbildung zum Gärtner. Anschließend Gesellen- und Reisejahre,
Meisterschule in Heidelberg. Seit 1990 Technischer Leiter des Arzneipflanzengartens der TU Braunschweig
.Nebenberuflich ist er Dozent für Gartenthemen im Haus der Familie, Autor von Pflanzenbestimmungsmedien,
Kräuterbuchautor und freiberuflicher Gartenplaner. Ab 2002 Aufbau des Klostergartens Riddagshausen.
Burkhard Bohne ist verheiratet und lebt mit seiner Familie (drei Söhne, 16, 14 und 11 Jahre alt) seit vier Jahren
in Rautheim.
17 Jens Simon
Seit 1962 gehört Jens Simon zur Spezies der „echten Braunschweiger“. Nach dem Studium der Theoretischen
Physik und der Germanistik an der hiesigen TU ging er als Physiker nach Jülich und Hamburg, übte sich in
Promotionen und arbeitete danach meherer Jahre als Wissenschaftjournalist in Aachen, um doch schließlich
mitsamt Frau und Tochter der Attraktion Braunschweigs zu erliegen. In der PTB leitet er seit nunmehr neun
Jahren die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, das kleine gallische Dorf innerhalb der PTB (10 Einwohner).
Mordfaälle kommen hier zwar eher selten vor –mordsmäßige Aktionen aber durchaus.
18 Ewald Schnug
Geboren 1954 im Sternbild Jungfrau in Hachenburg im Westerwald: Graf von Roit, aber anglophil; ist studiert in
Landwirtschaft und Chemie, promoviert und habilitiert in Pflanzenernährung und Botanik, leitet das Institut für
Pflanzenernährung und Bodenkunde an der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft (FAL), lehrt als apl.
Professor an der TU-Braunschweig, hat drei ausgewachsene Töchter, lebt in Goslar, liebt seine Muse, Wasser,
Schach, Lesen, Jagen, Fischen und Forschen.
19 Horst Grunert
Horst Grunert wurde 1951 in Braunschweig geboren und hat nach einer Ausbildung als Lithograph bei
Westermann sein Hobby zum Beruf gemacht: Nach seinem Biologiestudium an der TU Braunschweig wechselte
er zum Naturschutz. Heute ist er beim Niedersöchsischen Betrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz
unter anderem für Artenschutz und das EU-Landesprogramm „Natur-erleben“ zuständig. Horst Grunert ist in
seiner Freizeit Naturfotograf und begeisterter Hobbykoch. Regelmäßig trifft man ihn im Fitness-Studio und auf
seinen Fahrradtouren in Riddagshausen, wo er nicht nur jeden Egel kennt.
20 Silke Schirmer
Silke Schirmer wurde 1968 in Braunschweig geboren. Sie absolvierte eine Ausbildung zur
Wirtschaftsdolmetscherin, war 1995 bis 2002 Mitglied von Olala-Entertainment. Silke Schirmer gründete 2002
Fool-Tool (zusammen mit Thomas Chrysachoides, genannt „Manni“) Ihr Spezialge biet: Arbeit im Bereich
Unternehmenstheater, diverse Comedy- und Kabarett Programme, Seminare, Theater-Projekte
21 Silke Grefen-Peters
Es fließt zwar rheinisches Blut in ihren Adern, aber die Biologin erklärte Braunschweig nach ihrem Studium an
der Technischen Universiät zu ihrer Wahlheimat. Ihr 25-jähriger Sohn ist seit Jahren begeisterter Lions-Fan.
Mit großem Engagement geht die promovierte Freiberuflerin ihrer Leidenschaft nach: Sie untersucht
Knochenfunde, die bei archöologischen Ausgrabungen ans Tageslicht kommen. Ihnen entlockt die
Anthropologin so manch spannende Geschichte. In ihrer Freizeit liest sie Krimis und streift mit Kurzhaarcollie
Vamos durch Feld und Flur.
D e r T a t o r t
D ie T a t