Als PDF öffnen - Alumni - TUM
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Symbiosen über Artgrenzen hinweg<br />
Nach Abschluss eines bereits bestehenden Sonderforschungsbereiches,<br />
in dem Riederer 1996 die Sprecherrolle<br />
übernommen hatte, startete er im Jahr 2000 eine<br />
neue SFB-Initiative: »Mechanismen der interspezifischen<br />
Interaktion von Organismen«. Sie wurde von der DFG<br />
bis 2003 mit 2,8 Millionen Euro gefördert, für 2004-<br />
2007 wurden weitere 5 Millionen Euro zugesagt. Der<br />
SFB 567, an dem Wissenschaftlerteams aus den drei Fakultäten<br />
Biologie, Medizin und Chemie beteiligt sind,<br />
untersucht »Symbiosen«, d.h. Formen des Zusammenlebens,<br />
zwischen artfremden Organismen. Wichtige Gruppen<br />
aus den fünf Reichen der Lebewesen sind vertreten:<br />
Bakterien, Pilze, Pflanzen, Tiere sowie auch Viren. Geforscht<br />
wird nach grundlegenden und allgemeinen Prinzipien<br />
des Austausches von Informationen, Ressourcen und<br />
Energie zwischen verschiedenen Arten - gleichgültig, ob<br />
sich die Vorteile und Nachteile für die Symbiosepartner<br />
die Waage halten oder nicht. Ein besonders schönes Beispiel<br />
ist die Symbiose zwischen tropischen Blattschneiderameisen<br />
und Pilzarten, die von den Ameisen in unterirdischen<br />
Pilzgärten mit kleingebissenen Blättern von Bäumen<br />
gefüttert werden. Im Rohzustand sind diese Blätter,<br />
wie die meisten tropischen Pflanzen, für die Ameise giftig.<br />
Deswegen ernähren sie sich stattdessen von den Pilzen,<br />
die das Blattgift für sie gleichsam vorverdauen und<br />
dadurch neutralisieren. Wenn dem Pilz das Gift einer bestimmten<br />
Baumart zuviel wird, signalisiert er der Ameise<br />
auf dem Geruchsweg über eine flüchtige organische Verbindung,<br />
dass es ihm nicht gut geht - woraufhin die Ameise<br />
den Futterbaum wechselt.<br />
Die Fragestellungen des SFB 567 orientieren sich daran,<br />
dass Organismen fast nie in einer rein abiotischen, d.h.<br />
leblosen Umwelt existieren. Wenn Markus Riederer seine<br />
Motivation beschreibt, spürt man eine seit früher Jugend<br />
ungebrochene Faszination: »Die Lebensformen auf der<br />
Erde sind zutiefst miteinander verflochten. Wer Organismen<br />
nur für sich betrachtet, erkennt nur einen kleinen Teil<br />
ihrer Lebenswirklichkeit! Es gibt eine Hypothese, wonach<br />
ein großer Teil des Genoms für Funktionen kodiert, die für<br />
Wechselbeziehungen mit anderen Arten wichtig sind.<br />
Viele der biochemischen, physiologischen, morphologischen<br />
und ethologischen Leistungen eines Organismus<br />
entwickelten sich im Verlauf der Evolution erst als Reaktion<br />
auf Wechselwirkungen mit artfremden Organismen.<br />
Ohne die Symbiose mit dem Pilz könnte die Blattschneiderameise<br />
in dieser Umwelt nicht leben.«<br />
Integrative Biologie<br />
Spitzenforschung ist selten nur in einer Hinsicht innovativ.<br />
Die Teilprojekte des SFB 567 untersuchen die Wechselwirkungen<br />
zwischen verschiedenen Arten nicht nur<br />
auf einer, sondern auf mehreren Integrationsebenen: von<br />
der molekulargenetischen, über die zelluläre, die organische,<br />
die organismische bis hin zur ökologischen Ebe-<br />
15<br />
Bei sehr hoher Vergrößerung und<br />
Auflösung werden die 2 Mikrometer<br />
(2/1000 mm) großen Wachskristalle<br />
auf der Oberfläche eines<br />
Erbsenblattes sichtbar.<br />
Foto: SFB 567<br />
ne. Wenn man z.B. die Konsequenzen<br />
eines molekulargenetischen<br />
Phänomens über all diese<br />
Integrationsebenen verfolgt, ermöglicht<br />
erst deren Zusammenschau<br />
eine Beschreibung der Bedeutung<br />
dieser Genexpression für das Leben<br />
des Organismus als Ganzem. »Diese Methode<br />
stellt einen Versuch dar, einen Ansatz in Deutschland<br />
einzuführen, der in den angelsächsischen Ländern<br />
»Integrative Biologie« genannt wird. In den USA wird<br />
diese neue Forschungs- und Lehrmethode gerade an biologischen<br />
Spitzenfakultäten wie Harvard und Cornell<br />
praktiziert, die nie allein auf das molekularbiologische<br />
Pferd gesetzt haben.«<br />
Bei aller Zufriedenheit mit den eigenen Forschungsbedingungen<br />
gibt es auch Entwicklungen, die Riederer<br />
Kopfzerbrechen bereiten: »Tragisch finde ich, dass wir<br />
Gefahr laufen, unsere besten Nachwuchswissenschaftlerinnen<br />
und Wissenschaftler an die Amerikaner zu verlieren,<br />
die ihnen z.B. eine Professur im Tenure Track, d.h.<br />
mit der Aussicht auf Festanstellung, anbieten. Wir brauchen<br />
dringend neue Instrumente, um diese Abwanderung<br />
zu stoppen.« Einesteils erwünscht, wird Markus Riederer<br />
die gegenwärtige Universitätsmodernisierung dort<br />
zum Problem, wo sie auf Drittmittelfixierung und eine<br />
Kommerzialisierung des Verhältnisses zwischen den Studierenden<br />
und ihrer Universität hinauszulaufen scheint.<br />
»Ich kann das sagen, weil ich ein Drittel meiner Forschung<br />
aus Industriemitteln finanziere. Das Negativbeispiel,<br />
das ich vor Augen habe, sind die neuseeländischen<br />
Universitäten, bei denen die Beziehungen der Studierenden<br />
zu den Professoren eine von Kunden zu Dienstleistern<br />
ist, ähnlich wie die zu Fahrkartenverkäufern am Bahnhofschalter.<br />
Entsprechend verengt sich das Verhältnis zu einem<br />
reinen Ausbildungsverhältnis und die Weitergabe<br />
von Wissenschaft wird von einem Prozess des Erkenntnisgewinns<br />
zu einem Prozess der Erarbeitung ökonomisch<br />
verwertbarer Fakten. Durch meine zahlreichen Industriekooperationen<br />
weiß ich jedoch, dass die forschungsorientierte<br />
Industrie keine Absolventen sucht, die bloß eine<br />
Berufsausbildung haben, sondern echte Wissenschaftler,<br />
die gelernt haben, frei und unabhängig zu denken.<br />
Eine moderne Universität muss zwei Dinge gewährleisten:<br />
die Freiheit des Denkens, unabhängig von wirtschaftlichen<br />
Zwängen, und den offenen Austausch zwischen<br />
Lernenden und Lehrenden, der nicht von ökonomischen<br />
Gesetzen wie denen zwischen Kunden und Dienstleistern<br />
bestimmt werden darf.«<br />
Hanna Lauterbach