Selbstbewusst zum Vorsprechen
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umgekehrt, aber das ist die Ausnahme. Also engagieren die Theaterleitungen<br />
fast überall wesentlich mehr Männer als Frauen. Schau dir mal<br />
einige Internetseiten von Theatern an und zähle die Kolleginnen im<br />
Ensemble. Oder wirf einen Blick auf die Rollenaufzählung am Anfang<br />
von klassischen Theaterstücken. Beeindruckend klar siehst du es,<br />
wenn du am Ende eines Theaterabends die Kolleg:innen beim Applaus<br />
zählst.<br />
Bei Film und Fernsehen sieht es leider immer noch ähnlich aus,<br />
obwohl es sich dort etwas schneller ändert als beim Theater. Mittlerweile<br />
bekomme ich manchmal Drehbücher, in denen es eine Notärztin,<br />
eine Polizistin und eine Feuerwehrfrau in derselben Szene gibt,<br />
aber das ist immer noch so ungewöhnlich, dass es mir beim Lesen<br />
auffällt.<br />
Aufgrund dieser Situation bilden fast alle staatlichen Schauspielschulen<br />
mehr Männer als Frauen aus. Sie wollen sicherstellen, dass<br />
ihre Absolvent:innen nach dem Studium ein Engagement an einem<br />
Theater bekommen werden. Im Gegensatz dazu bewerben sich jedes<br />
Jahr viel mehr Frauen als Männer. Warum das der Fall ist, ist ein anderes<br />
Thema, das ich hier nicht vertiefen werde. Auch das verschiebt sich<br />
langsam, aber es sind immer noch eher 80 % Frauen, die sich auf maximal<br />
40 % der Studienplätze bewerben. Das heißt konkret, dass Männer<br />
bei den Prüfungen häufiger in die zweite und dritte Runde kommen<br />
als Frauen, auch wenn diese vielleicht »besser« gespielt haben. Deshalb:<br />
Gerade ihr jungen Frauen, lasst euch nicht zu schnell frustrieren.<br />
Es ist rechnerisch ganz normal, dass ihr, auch wenn ihr gut spielt, nicht<br />
so oft weiterkommen werdet. Bei den Frauen wird schon in der ersten<br />
Runde oft sehr stark und auch sehr subjektiv aussortiert.<br />
An der UdK versuchen die Lehrenden von den anfänglichen circa<br />
1000 bis 2000 Bewerber:innen auf 60 bis 70 Leute in der zweiten Runde<br />
zu reduzieren, um dort ausreichend Zeit für alle zu haben. Von diesen<br />
kommen etwa 30 in die Endrunde, davon werden etwa 10 am Ende<br />
aufgenommen. Dabei wird versucht, in der zweiten und dritten Runde<br />
jeweils ungefähr die Hälfte Männer zu haben, was meist nicht klappt.<br />
Der andere Punkt ist die begrenzte Anzahl an Studienplätzen. Es ist<br />
wichtig, sich klar zu machen, dass ein Schauspielstudium eher eine Art<br />
Begabtenförderung ist als eine normale Ausbildung. Durch die kleinen<br />
Gruppen und die Notwendigkeit von sehr viel Einzelunterricht ist<br />
es ein sehr arbeitsintensives und teures Studium. Als ich selbst mein<br />
Studium begann, erzählte uns einer der Professoren, dass ein Schauspielstudienplatz<br />
teurer ist als ein Medizinstudium. Deshalb werden<br />
nicht alle Leute ausgebildet, die Lust dazu haben, sondern nur so viele,<br />
wie jedes Jahr von den Theatern in Anfänger-Engagements gebraucht<br />
werden. Es bekommen also sehr viele, die durchaus das Zeug dazu<br />
haben, Schauspieler:innen zu werden, keinen Studienplatz. Du kannst<br />
es besser nachvollziehen, wenn du dir ein Schauspielstudium als eine<br />
Art Stipendium vorstellst.<br />
Wenn du also nicht angenommen wirst, heißt das absolut nicht, dass<br />
dein Talent nicht ausreicht. Es ist eben auch eine Frage von Glück –<br />
und ganz stark eine Frage von Geduld und Durchhaltevermögen.<br />
Oder vielleicht auch von Leidensfähigkeit? Ich denke, du solltest<br />
schauen, ob der Berufswunsch so stark ist, dass du diese durchaus<br />
harte Prüfungszeit durchhältst. Ob es dir mehr gibt, als es dich emotional<br />
kostet. Da diese Erfahrung zwar während der Aufnahmeprüfungen<br />
besonders intensiv und heftig ist, aber in der Berufsrealität immer<br />
wieder ähnliche Situationen und Zeiten dazugehören, ist es hilfreich,<br />
wenn du dir jetzt schon darüber klar wirst, ob du das aushältst und<br />
damit leben kannst.<br />
In den Jahren, in denen ich unterrichte und junge Menschen in der<br />
Zeit der Aufnahmeprüfungen begleite, gab es einige Schüler:innen,<br />
die ich absolut für begabt genug halte, Schauspieler:innen zu sein.<br />
Trotzdem haben sie keinen Studienplatz bekommen und machen jetzt<br />
etwas anderes. Meist gab es einen Punkt, an dem sie selbst entschieden<br />
haben, mit den Prüfungen aufzuhören und in eine andere Richtung zu<br />
gehen. Sie haben gemerkt, dass sie die Lust verlieren, dass der Beruf<br />
und alles was er mit sich bringt, doch anders ist als die Vorstellung, die<br />
sie davon hatten – oder dass sie sich einen anderen Beruf und Lebensweg<br />
auch gut vorstellen können.<br />
Diejenigen, die sich das nicht vorstellen können, die nicht aufhören,<br />
weil es das Einzige ist, was sie tun wollen – oder tun müssen –, bei<br />
denen dauert es manchmal lange, aber meist klappt es am Ende doch.<br />
Auch wenn das durchaus mehrere Jahre und zahlreiche <strong>Vorsprechen</strong><br />
dauern kann. Das soll keine moralische Bewertung derjenigen sein,<br />
die sich für einen anderen Weg entscheiden. Es ist nicht besser durchzuhalten.<br />
Jede:r, der oder die mit einem anderen Beruf glücklich<br />
werden kann, sollte sich lieber dafür entscheiden. Es kann trotzdem<br />
hilfreich sein, den Weg auszuprobieren und herauszufinden, ob es das<br />
ist, was du tun willst oder nicht. Es ist leichter, einen Traum loszulassen,<br />
wenn du seine Realität kennengelernt und mit vollem Einsatz aus-<br />
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