Standpunkt - Schutzgemeinschaft Filder
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40 JAHRE<br />
und kein<br />
bisschen<br />
leiser<br />
40 Jahre <strong>Schutzgemeinschaft</strong> FILDER e.V.<br />
Eine Denk-Schrift 1967 – 2007<br />
Kostenbeitrag: 2,50 Euro<br />
Illustration F. Groß
40 Jahre <strong>Schutzgemeinschaft</strong> <strong>Filder</strong>, so alt ist keine andere<br />
Umwelt-Bürgerinitiative in Deutschland. Liegt es daran, dass<br />
wir zäher sind, unbeugsamer als alle anderen? Oder liegt<br />
es daran, dass das, was wir schützen wollen, die <strong>Filder</strong>ebene,<br />
von so herausragender Einzigartigkeit ist?<br />
<strong>Filder</strong> heißt Felder – die metertiefen, steinlosen Lössböden<br />
sind von weltweit außergewöhnlicher Fruchtbarkeit. Unsere<br />
bäuerlichen Betriebe schauen auf eine über tausendjährige<br />
Geschichte zurück. Sie versorgen nicht nur unsere Märkte<br />
vor Ort, sondern den gesamten Großraum Stuttgart mit<br />
Getreide, Rüben, Salat und Gemüse – und eben auch mit<br />
dem besonderen <strong>Filder</strong>spitzkraut.<br />
Die <strong>Filder</strong> waren in schlechten Zeiten gefragt, in neueren,<br />
guten Zeiten dagegen werden sie missbraucht. Für unsere<br />
geschichtslosen „Macher“ sind die herrlichen, ebenen und<br />
steinfreien Böden ideale Voraussetzungen, um Großprojekte<br />
zu planen.<br />
Alles begann 1967, als die Landesregierung und der Flughafen<br />
eine gigantische Zerstörung der <strong>Filder</strong>ebene planten.<br />
Die fruchtbaren Äcker sollten unter dem Beton eines<br />
Großflughafens verschwinden. Man dachte an zwei riesige<br />
Parallelstartbahnen und eine dritte, schräg in Richtung Vaihingen<br />
gelegt, da wo heute die Messe steht.<br />
Das war die Geburtsstunde der <strong>Schutzgemeinschaft</strong> und<br />
auch des Kommunalen Arbeitskreises <strong>Filder</strong>, in dem sich die<br />
von den Flughafenplänen betroffenen Kommunen zusammengeschlossen<br />
haben.<br />
2<br />
Liebe Bürgerinnen und Bürger, liebe<br />
<strong>Schutzgemeinschaft</strong>smitglieder,<br />
Seither kämpfen Bürgerinnen und Bürger um den Erhalt<br />
unserer <strong>Filder</strong>. Ein Projekt jagt das nächste: Autobahnausbau-<br />
und verlegung, Startbahnverlängerung, neue Gewerbe-<br />
und Wohngebiete, Straßenbauten, Luftfrachtzentrum<br />
und schließlich die Großmesse.<br />
Die Messe war noch nicht gebaut, da wurde bereits von<br />
einer Westerweiterung des Flughafens, einer Schnellbahntrasse<br />
mit unterirdischem Bahnhof und jetzt sogar von<br />
einer zweiten Start-und Landebahn gesprochen.<br />
Menschen stoßen zur <strong>Schutzgemeinschaft</strong>, weil sie sich ganz<br />
persönlich durch ein Projekt bedroht fühlen, sei es durch<br />
mehr Lärm und Abgase, durch den Wertverlust ihres<br />
Häuschens usw.<br />
Viele davon beschäftigen sich seitdem immer intensiver<br />
auch mit grundsätzlichen Fragen zum Verkehr und zum<br />
Fliegen, zur Gesundheit, zur Ernährung, zum Naturschutz,<br />
ja bis hin zu Fragen des Wachstums oder der Klimaveränderung.<br />
Es bildeten sich Fachleute heraus, die den Gutachtern<br />
in den Verfahren nicht nur Paroli bieten konnten,<br />
sondern sogar oft überlegen waren, da sie die Gesamtzusammenhänge<br />
herausarbeiteten und nicht im Fachidiotentum<br />
hängen blieben. Sie stellten die Frage, was einmal<br />
unseren Kindern dienen wird und nicht die Frage, was<br />
heute kurzfristige Gewinne bringt.<br />
Wir sind auf engagierte Bürgerinnen und Bürger und auf<br />
ihr spezifisches Wissen und ihre Erfahrungen angewiesen,<br />
auf Menschen mit langem Atem.<br />
Wir arbeiten eng zusammen mit den Kommunen, mit<br />
Vereinen, mit politischen Gruppen und Kirchen, mit dem<br />
Aktionskreis und den Landwirten, Naturschützern, mit<br />
Professoren, Rentnern und Schülern …<br />
Die <strong>Schutzgemeinschaft</strong> ist so wichtig wie<br />
eh und je.<br />
Sie hat schon viele Regierungen überlebt und muss oft mit<br />
deren Nachlass leben.<br />
Sie wird weiter aufrecht, wie das köstliche <strong>Filder</strong>spitzkraut,<br />
gegen die Zerstörungsideen angehen und sie wird mit Ihrer<br />
Hilfe noch viel älter als 40 Jahre werden.<br />
Steffen Siegel<br />
Vorsitzender der<br />
<strong>Schutzgemeinschaft</strong> <strong>Filder</strong> e.V.
„Der geneigte Leser muß vor allen<br />
Dingen wissen, daß es zwei gelobte<br />
Länder in der Welt gibt, das<br />
eine ist das Land Canaan oder<br />
Palästina, das andere ist Württemberg.“<br />
(Bestsellerautor Christian Gottlob<br />
Barth 1843).<br />
Vierzig Jahre hat Mose sein Volk<br />
durch die Wüste in das gelobte<br />
Land geführt.<br />
Vierzig Jahre hat die „<strong>Schutzgemeinschaft</strong><br />
<strong>Filder</strong>“ gekämpft, um<br />
unsere Leithammel daran zu hindern,<br />
aus unserem gelobten Land<br />
eine Wüste zu machen.<br />
Vierzig Jahre Kampf gegen die<br />
Habgier und Dummheit der Beton-<br />
und Asphaltmafia, gegen die<br />
Vernichtung unserer fruchtbaren<br />
<strong>Filder</strong>landschaft, gegen die Zerstörung<br />
unserer Heimat.<br />
Der Kampf geht weiter.<br />
Die Hurgler machet sonst<br />
voll älles heh.<br />
Dr. Gerhard Raff,<br />
Historiker, schwäbischer Dichter,<br />
Autor des Buches:<br />
„Herr schmeiß Hirn ra“<br />
40 Jahre <strong>Schutzgemeinschaft</strong> <strong>Filder</strong><br />
Grußwort von Prof. Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker<br />
Viele Bürgerinitiativen kommen und<br />
gehen, aber ein Alter von 40 Jahren<br />
hat noch kaum eine erreicht.<br />
Die <strong>Schutzgemeinschaft</strong> <strong>Filder</strong> e.V. hat<br />
Geschichte geschrieben. Nicht zur<br />
Freude aller, aber zum Wohl der Natur<br />
und zum Wohl der Menschen, die in<br />
einer intakten Landschaft leben und<br />
ihre Heimat erhalten wissen wollen.<br />
Deshalb sage ich: Hut ab vor dem Mut<br />
und dem Durchhaltevermögen der<br />
Tausende aktiver und unterstützender<br />
Bürgerinnen und Bürger, die für eine<br />
gute Sache stehen.<br />
Keine Frage: Der Flughafen ist eine<br />
Realität auf den <strong>Filder</strong>n und die Landesmesse<br />
ist vor kurzem eröffnet worden.<br />
Inzwischen ist die wirtschaftliche<br />
Dynamik auf der <strong>Filder</strong>höhe größer als<br />
unten am Neckar, ganz anders als<br />
noch vor 50 Jahren. Aber das hat in<br />
mehrfacher Hinsicht auch mit Lebensqualität<br />
zu tun. High-Tech-Tüftler<br />
brauchen nicht unbedingt einen<br />
schiffbaren Neckar und auch keinen<br />
Gleisanschluss, sondern Internetanschluss,<br />
gute Luft zum Atmen und<br />
ausreichend Ruhe zum Denken –<br />
ohne Lärm. Dass Fraunhofer und<br />
Max Planck und die Hochschulstandorte<br />
Hohenheim und Vaihingen hier<br />
oben sind, kommt allen zugute. Und<br />
seit die Daimlerzentrale nicht mehr<br />
auf Detroit hören muss, ist die<br />
Stimmung auch in Möhringen wieder<br />
besser.<br />
Prof. Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker war<br />
Gründer und erster Präsident des Wuppertal<br />
Instituts für Klima, Umwelt und Energie,<br />
sowie bis 2005 Bundestagsabgeordneter für<br />
Stuttgart-Süd und die <strong>Filder</strong>stadtteile.<br />
Für kreative Arbeit und kreatives<br />
Denken braucht der Mensch einen<br />
Platz mit Lebensqualität. Und die<br />
<strong>Filder</strong>ebene mit ihrem weiten Blick bis<br />
an den Schönbuchrand ist ein guter<br />
Standort, den bis heute tüchtige Landwirte<br />
bewirtschaften. Diese Landschaft<br />
können uns weder die Münchner<br />
noch die Hamburger nachbauen.<br />
Sehen wir zu, dass sie so erhalten<br />
bleibt und nicht zum strukturlosen<br />
Häusermeer und Gewerbeterrain verkommt.<br />
Mein Jubiläumswunsch lautet: Viel<br />
Erfolg beim Wächteramt und weitere<br />
gute <strong>Filder</strong>jahre.<br />
Prof. Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker<br />
Beim Startbahnausbau 1992 wird <strong>Filder</strong>erde über erntereife Felder geschoben<br />
3
Grußwort – 40 Jahre <strong>Schutzgemeinschaft</strong> <strong>Filder</strong> e.V.<br />
Bereits vor 40 Jahren hat die <strong>Schutzgemeinschaft</strong><br />
<strong>Filder</strong> e.V. Landverbrauch<br />
und zunehmenden Lärm<br />
als Bedrohung erkannt. Mit dem<br />
Flughafenausbau, der Messeansiedlung,<br />
neuen Siedlungsflächen<br />
und den vielfältigsten Infrastrukturmaßnahmen<br />
hat sich das Bild<br />
der <strong>Filder</strong> bis heute stark verändert.<br />
4<br />
Liebe Freunde der <strong>Schutzgemeinschaft</strong> <strong>Filder</strong>,<br />
verehrte Damen und Herren,<br />
gerne gratuliere ich der <strong>Schutzgemeinschaft</strong><br />
<strong>Filder</strong> als derzeitiger<br />
Vorsitzender des Kommunalen Arbeitskreises<br />
<strong>Filder</strong> (KAF) zu ihrem<br />
40. Geburtstag. Den meisten unter<br />
Ihnen wird bekannt sein, dass sich<br />
die <strong>Schutzgemeinschaft</strong> und der<br />
KAF in den sechziger Jahren aus<br />
dem Kampf gegen einen „Generalausbauplan“<br />
des Flughafens heraus<br />
konstituiert haben – und beide inzwischen<br />
seit 40 Jahren bestehen.<br />
Im vergangenen Jahr wurde die<br />
<strong>Schutzgemeinschaft</strong> für ihr herausragendes<br />
bürgerschaftliches und<br />
ehrenamtliches Engagement mit<br />
einem zweiten Platz im Landeswettbewerb<br />
„Echt gut! Ehrenamt in<br />
Baden-Württemberg!“ in der Kategorie<br />
Umwelt und Natur ausgezeichnet.<br />
Die Auszeichnung zeigt,<br />
dass Ihr Engagement für die Menschen<br />
auf den <strong>Filder</strong>n und für ihre<br />
Lebensbedingungen und Gesundheit<br />
geschätzt und gewürdigt wird.<br />
Heute sind wir wieder an einem<br />
Meist sind die verlorenen Böden bestes<br />
Ackerland und stellen damit auch<br />
die örtliche Landwirtschaft vor immense<br />
Probleme. Die Frage, wie viel<br />
an zusätzlicher Belastung Mensch und<br />
Natur auf den <strong>Filder</strong>n noch zumutbar<br />
ist, muss daher bei jeder künftigen<br />
Planung im Mittelpunkt stehen.<br />
Die <strong>Schutzgemeinschaft</strong> <strong>Filder</strong> e.V.<br />
steht für nachhaltiges und ehrenamtliches<br />
Engagement. Ihr Eintreten für<br />
Ökologie und gegen einen ungehemmten<br />
Landschaftsverbrauch ist<br />
über all die Jahre „modern“ geblieben.<br />
Unsere Demokratie lebt davon,<br />
dass im Diskurs Lösungen gefunden<br />
werden. Hierzu hat die <strong>Schutzgemeinschaft</strong><br />
einen wichtigen Teil beigetragen.<br />
Der Landkreis Esslingen und insbesondere<br />
der <strong>Filder</strong>raum sind durch eine<br />
sehr starke Wirtschaft mit entsprechender<br />
Infrastruktur geprägt. Bei genauerem<br />
Hinschauen kann man jedoch<br />
erkennen, dass die Städte und<br />
Gemeinden auf den <strong>Filder</strong>n dennoch<br />
ihren Charme und ihre landschaft-<br />
Punkt angelangt, an dem wieder über<br />
eine Flughafenerweiterung diskutiert<br />
wird. Eine zweite Start- und Landebahn<br />
würde nicht nur das Leben und<br />
die Gesundheit der Menschen auf den<br />
<strong>Filder</strong>n, sondern weit darüber hinaus<br />
durch erhöhte Emissionen an Lärm<br />
und Schmutz beeinträchtigen.<br />
Ich persönlich finde es bewundernswert,<br />
mit welchem Engagement Sie<br />
sich, auch nach Niederlagen, noch<br />
immer für den <strong>Filder</strong>raum, seine<br />
Bewohner und die Natur einsetzen.<br />
Innerhalb kürzester Zeit haben Sie im<br />
Vorfeld unseres Aktionstages gegen<br />
den Flughafenausbau im Juli dieses<br />
Jahres 18.000 Unterschriften gesammelt.<br />
Hinter Ihren Aktionen stecken<br />
nicht nur jede Menge Idealismus,<br />
sondern auch das Engagement und<br />
die Unterstützung von sehr vielen<br />
Menschen.<br />
Für die Zukunft wünsche ich der<br />
<strong>Schutzgemeinschaft</strong> <strong>Filder</strong>, dass Sie<br />
viele Menschen unterschiedlicher Ge-<br />
lichen Reize erhalten haben. Diese<br />
„weichen“ Standortfaktoren gewinnen<br />
auch in unserer Region immer<br />
mehr an Bedeutung.<br />
Ich hoffe, dass wir auf den <strong>Filder</strong>n<br />
möglichst viel Natur und damit den<br />
Menschen ein lebenswertes Umfeld<br />
erhalten können. Die <strong>Schutzgemeinschaft</strong><br />
<strong>Filder</strong> e.V. wird hierzu sicherlich<br />
ihren Teil beitragen.<br />
Ich wünsche der <strong>Schutzgemeinschaft</strong><br />
<strong>Filder</strong> e.V. und allen Mitgliedern,<br />
Freunden und Förderern eine harmonische<br />
und erfolgreiche Jubiläumsveranstaltung.<br />
Heinz Eininger,<br />
Landrat<br />
Landkreis Esslingen<br />
nerationen mit Ihrer Vitalität und<br />
Ihrer Begeisterung anstecken können<br />
– und natürlich, dass es uns<br />
gemeinsam gelingt, eine zweite<br />
Start- und Landebahn am Stuttgarter<br />
Flughafen zu verhindern.<br />
Ingo Hacker<br />
BM Neuhausen<br />
1. Vorsitzender des Kommunalen<br />
Arbeitskreises <strong>Filder</strong>
Ein dankbarer, respektvoller und<br />
freundschaftlicher Gruß vom BUND<br />
Wir schreiben das Jahr 2047: ganz<br />
Baden-Württemberg ist überbaut.<br />
Ganz Baden-Württemberg? Nein,<br />
ein kleiner Fleck auf den <strong>Filder</strong>n hat<br />
sich dem Versiegelungswahn entzogen<br />
und leistet Widerstand.<br />
Bürgerinnen und Bürger, Bauern und<br />
Naturschützerinnen, Junge und Alte,<br />
haben sich als <strong>Schutzgemeinschaft</strong><br />
zusammengeschlossen, um ihre Heimat<br />
gegen immer neue Straßen, Flughäfen,<br />
Gewerbegebiete und Großmessen<br />
zu verteidigen. Damit es so nicht<br />
kommt, sondern Baden-Württemberg<br />
auch zukünftig noch lebenswert ist,<br />
braucht es den Widerstand allerdings<br />
nicht erst in 40 Jahren, sondern schon<br />
heute.<br />
Deshalb unterstützt der BUND die<br />
<strong>Schutzgemeinschaft</strong> <strong>Filder</strong> in ihrem<br />
Engagement gegen den Ausbau des<br />
Stuttgarter Flughafens. Deshalb war<br />
auch der gemeinsame Kampf gegen<br />
die unsinnige Messeplanung richtig,<br />
selbst wenn wir ihn am Schluss nicht<br />
gewonnen haben. Und deshalb ist der<br />
40jährige Widerstand der <strong>Schutzgemeinschaft</strong><br />
gegen die Zerstörung der<br />
<strong>Filder</strong> so wichtig, denn er macht Mut.<br />
Dass sich so viele Menschen so viele<br />
Jahre für ihre Heimat einsetzen und<br />
trotz mancher Niederlage nicht aufgeben,<br />
ist mehr als ein Symbol. 40<br />
Jahre beharrlicher, fleißiger, mutiger,<br />
bunter und phantasievoller Widerstand<br />
gegen eine zukunftsvergessene<br />
Politik, gibt allen Menschen Zuversicht,<br />
die sich anderenorts für eine<br />
enkelverträgliche Lebensweise einsetzen.<br />
Mich haben die Proteste und<br />
Demonstrationen, die Feste und Aktionen<br />
und vor allem die Begegnungen<br />
mit den Menschen, die sich mit so<br />
viel Engagement und Lebenszeit für<br />
die <strong>Filder</strong> einsetzen, bestärkt und beglückt.<br />
Deshalb zum Geburtstag ein dankbarer,<br />
respektvoller und freundschaftlicher<br />
Gruß. Ich wünschte Euch und<br />
NABU gratuliert <strong>Schutzgemeinschaft</strong> <strong>Filder</strong><br />
zum 40. Geburtstag<br />
Die <strong>Schutzgemeinschaft</strong> <strong>Filder</strong> wurde<br />
vor 40 Jahren gegründet. Damit ist sie<br />
die älteste, dauerhaft aktive Umwelt-<br />
Bürgerinitiative in Deutschland. Trotz<br />
des verlorenen Kampfes gegen die<br />
<strong>Filder</strong>messe ist sie notwendiger denn<br />
je. Dies beweisen die aktuellen Diskussionen<br />
um die zweite Start- und Landebahn<br />
des Flughafens sowie die gravierende<br />
Umweltbelastung vor Ort.<br />
Der ungebremste Flächenfraß, die<br />
Zerschneidung und Verlärmung der<br />
<strong>Filder</strong> schreien geradezu nach Bürger-<br />
Engagement und Widerstand. Denn<br />
trotz Flughafen, Autobahnen und<br />
Messehallen sind die <strong>Filder</strong> auch weiterhin<br />
Heimat und Lebensraum. Von<br />
Menschen, die hier wohnen wollen,<br />
von Landwirten, die hier arbeiten und<br />
leben wollen, von Tieren und Pflanzen,<br />
die hier zuhause sind. Und nicht<br />
zuletzt von Kindern, die ein Recht auf<br />
Lebensqualität haben und die sich<br />
hier auch in Zukunft noch wohl fühlen<br />
sollen.<br />
Seit über zehn Jahren begleitet<br />
und unterstützt der NABU-Landes-<br />
verband Baden-Württemberg die<br />
<strong>Schutzgemeinschaft</strong> <strong>Filder</strong> bei<br />
ihrem unermüdlichen Einsatz. Der<br />
NABU gratuliert der <strong>Schutzgemeinschaft</strong><br />
<strong>Filder</strong> sehr herzlich zu ihrem<br />
Geburtstag. Und bedankt sich bei all<br />
den für Lebensqualität, Landwirtschaft<br />
und Umwelt auf den <strong>Filder</strong>n<br />
engagierten Menschen. Einen ganz<br />
besonderen Dank möchte ich an<br />
dieser Stelle stellvertretend an Gabi<br />
Visintin und Steffen Siegel aussprechen.<br />
Die Ausdauer, Beharrlichkeit<br />
und Unerschrockenheit der beiden<br />
„Gallionsfiguren“ der <strong>Schutzgemeinschaft</strong><br />
<strong>Filder</strong> ist ein Vorbild<br />
für bürgerliches Engagement und<br />
Ehrenamt weit über die <strong>Filder</strong> hinaus.<br />
Der NABU wünscht der <strong>Schutzgemeinschaft</strong><br />
<strong>Filder</strong> Kraft und Energie für<br />
viele weitere Jahre unerschrockenes<br />
Engagement. Und hofft, dass sich<br />
auch in Zukunft möglichst viele Bürgerinnen<br />
und Bürger aktiv in der<br />
<strong>Schutzgemeinschaft</strong> <strong>Filder</strong> engagieren.<br />
Auf dem Weg zu einer Politik und<br />
uns, dass eine <strong>Schutzgemeinschaft</strong> für<br />
die <strong>Filder</strong> irgendwann nicht mehr<br />
nötig ist. Einstweilen jedoch brauchen<br />
wir Euch und Euren Einsatz<br />
dringend: für die <strong>Filder</strong>, gegen Lärm<br />
und Zerstörung.<br />
Michael Spielmann, Landesgeschäftsführer<br />
des Bund für Umwelt<br />
und Naturschutz Deutschland<br />
(BUND), Landesverband Baden-<br />
Württemberg e.V.<br />
Kultur der Nachhaltigkeit, die entgegen<br />
weit verbreiteter Sonntagsreden<br />
wirtschaftliche, soziale und ökologische<br />
Belange tatsächlich endlich als<br />
gleichwertig behandelt.<br />
Dr. Stefan Rösler, Landesvorsitzender<br />
des Naturschutzbund (NABU) Baden-<br />
Württemberg<br />
5
Bürger gegen Beton<br />
40 Jahre Engagement für Lebensqualität<br />
und Bürgerrechte<br />
Die heutige <strong>Schutzgemeinschaft</strong> <strong>Filder</strong><br />
e.V. ist nicht nur die älteste<br />
Bürgerinitiative Deutschlands, sondern<br />
– nach einem Ausspruch des<br />
früheren Ministerpräsidenten Lothar<br />
Späth – auch die „zäheste“. Darin<br />
schwingt, wie wir meinen, trotz aller<br />
Kontroversen auch ein Stück Respekt<br />
mit, Respekt nämlich für die Standfestigkeit<br />
und Durchhaltekraft von<br />
Tausenden von Bürgerinnen und Bürgern,<br />
die nichts anderes wollten als<br />
ihre demokratischen Rechte wahrnehmen.<br />
Die Bürgerinitiative wurde im Herbst<br />
1967 gegründet, und zwar unter dem<br />
Namen „<strong>Schutzgemeinschaft</strong> gegen<br />
Großflughafen Stuttgart e.V.“ Der<br />
konkrete Anlass war die Bekanntgabe<br />
des sogenannten Generalausbauplans<br />
für den Flughafen Stuttgart von Prof.<br />
Gerlach.<br />
Er sah auf den <strong>Filder</strong>n drei Startbahnen<br />
vor, die längste sollte 4310 Meter<br />
umfassen. Dagegen erhob sich bei<br />
den Kommunen und der Bevölkerung<br />
ein Sturm der Entrüstung. Die Gemeinden<br />
sahen ihre Entwicklungschancen<br />
gefährdet, die Landwirte<br />
wehrten sich gegen den Verlust ihrer<br />
Ackerflächen und die <strong>Filder</strong>bewohner<br />
befürchteten in großer Mehrheit eine<br />
dramatische Verschlechterung ihres<br />
Wohnumfelds, mehr Lärmbelastung<br />
und tiefe Eingriffe in die <strong>Filder</strong>landschaft.<br />
Die <strong>Schutzgemeinschaft</strong> verstand sich<br />
von Anfang an als Vertretung der<br />
gesamten Bevölkerung, die vom Flughafen<br />
und den Auswirkungen des<br />
Flugverkehrs betroffen ist. Es ging<br />
nicht um Ideologie, wie manche uns<br />
vorwarfen, es ging auch nicht um<br />
einen scheinbaren Kampf Tradition<br />
gegen Fortschritt, und schon gar nicht<br />
um Parteiinteressen. Vielmehr ging es<br />
schlicht um das Recht auf ein humanes<br />
Leben. Dieses sahen die Menschen<br />
bedroht durch rücksichtslose technokratische<br />
Pläne, die jedes Maß vermissen<br />
ließen.<br />
Zweifellos zeichnete sich im Aufstand<br />
gegen den Gerlach-Plan schon die Aus-<br />
6<br />
einandersetzung der 70er Jahre zwischen<br />
einer grenzenlosen Wachstumseuphorie<br />
und der Frage nach einer<br />
Lebensqualität ab, die nicht dem<br />
Kommerz- und Profitdenken Vorrang<br />
gibt, sondern die elementare Werte<br />
wie Heimat, eine intakte Natur und<br />
nachbarliches Miteinander als Menschenrechte<br />
betrachtet und sie verteidigt.<br />
Aus diesem Grunde galt der Kampf<br />
der <strong>Schutzgemeinschaft</strong> von vornherein<br />
nicht allein der Ablehnung des<br />
überzogenen Gerlach´schen Mammutplans<br />
(er verschwand bereits1969 in<br />
den Schubladen der Stuttgarter Amtsstuben),<br />
sondern auch der Eindämmung<br />
der bestehenden Fluglärmbelastung,<br />
unter der die Menschen litten,<br />
insbesondere während der Nachtzeit.<br />
Durch den gemeinsamen Einsatz<br />
der Bürgerinitiative und der Kommunen<br />
erhielt Stuttgart als erster<br />
Verkehrsflughafen 1968 ein Nachtstartverbot<br />
und später auch ein Nachtlandeverbot<br />
(1973).<br />
Darauf sind wir heute noch stolz. Ob<br />
Kinder oder Jugendliche, ob kranke<br />
oder alte Leute, Berufstätige oder<br />
Rentner – sie alle haben ein Anrecht<br />
auf Nachtruhe, wenn sie gesund bleiben<br />
wollen. Deswegen sind die vor<br />
mehr als dreißig Jahren erreichten<br />
und heute noch geltenden Nachtflugbeschränkungen<br />
für die <strong>Schutzgemeinschaft</strong><br />
in keiner Weise verhandelbar.<br />
Auch in Zukunft nicht.<br />
Der Vorstand der <strong>Schutzgemeinschaft</strong><br />
hat sich frühzeitig der von Pfarrer<br />
Kurt Oeser geleiteten „Bundesvereinigung<br />
gegen Fluglärm“ angeschlossen,<br />
die auf ein Gesetz zum Schutz vor<br />
Fluglärm hinarbeitete, das dann im<br />
März 1971 in Kraft trat. Auch internationale<br />
Kontakte wurden gesucht,<br />
z.B. zu der Schweizer Vereinigung<br />
„Association contre le Bruit“,<br />
denn es war einsichtig, dass nur durch<br />
eine länderübergreifende politische<br />
Kampagne die mächtige Flugzeugindustrie<br />
dazu gebracht werden<br />
konnte, z.B. neue lärmärmere Triebwerke<br />
herzustellen. Airbus machte<br />
den Anfang.<br />
Dr. Liesel Hartenstein, Vorsitzende der<br />
„<strong>Schutzgemeinschaft</strong> gegen Großflughafen<br />
Stuttgart e.V.“ 1969 – 1994 und<br />
Bundestagsabgeordnete bis 1998<br />
Zwei Merkmale haben die Arbeit der<br />
<strong>Schutzgemeinschaft</strong> über vier Jahrzehnte<br />
hinweg geprägt: Sie hat stets<br />
eine enge Kooperation mit den Kommunen<br />
gesucht und sich bemüht,<br />
keine Spaltung eintreten zu lassen,<br />
weder zwischen den verschiedenen<br />
Bürgergruppen mit ihren Eigeninteressen<br />
noch zwischen der östlichen und<br />
der westlichen <strong>Filder</strong>region.<br />
Dass eine Startbahnverlängerung um<br />
1380 Meter nach Osten die alten<br />
Gemeinden Nellingen und Scharnhausen<br />
sowie Neuhausen und Denkendorf<br />
stärker treffen würde als den<br />
Westen, lag auf der Hand, dagegen<br />
bedrohte der Kahlschlag von 70 ha<br />
Schönbuchwald auf der Weidacher<br />
Höhe und erst recht die geplante<br />
Abtragung der Kuppe – eine ökologische<br />
Barbarei erster Ordnung! wie<br />
ein Hohenheimer Professor sagte – die<br />
mittlere und westliche <strong>Filder</strong>, allen<br />
voran Bernhausen, Plieningen, aber<br />
auch Möhringen und Vaihingen.<br />
Hauptgrund: Die Veränderung des<br />
Kleinklimas, da Gewitter, Stürme und<br />
Nachtfröste über die ungeschützten<br />
Flächen hereinbrechen würden, sobald<br />
der Wald als Bollwerk fehlt. Bis<br />
heute sind die Landwirte der <strong>Filder</strong>,<br />
die um ihren fruchtbaren Lössboden
ingen, eine starke Stütze der Bürgerinitiative;<br />
sie haben mit ihren<br />
Äckern, auf denen bestes Gemüse<br />
gedeiht, ein entscheidendes Pfand für<br />
die Zukunft der Region in der Hand.<br />
Auch die Kirchen haben unseren<br />
Kampf und unsere Ziele nach Kräften<br />
unterstützt. Das sei ausdrücklich anerkannt.<br />
Pfarrer Becker (Echterdingen)<br />
hat eindringliche Worte gegen<br />
die moderne Hybris gefunden, dass<br />
alles machbar sei: „Wir sind Geschöpfe<br />
und nicht die Herren der Welt“. Ihm<br />
sei auch an dieser Stelle für seinen<br />
Einsatz gedankt. Und ebenso Pfarrer<br />
Martin Guther, der bis 1987 die Evangelische<br />
Kirchengemeinde in Plieningen<br />
betreute. Er hat unerbittlich<br />
nach den Prioritäten gefragt und nach<br />
der christlichen Verantwortung der<br />
Politik. Was ist wichtiger, Betonflächen<br />
und Asphaltpisten oder gesunde<br />
Luft und das Heimatrecht der<br />
Menschen? „Welche Lebensqualität<br />
wollen wir heute, und was bleibt<br />
folglich noch für morgen übrig?“<br />
Die <strong>Schutzgemeinschaft</strong> braucht sich<br />
nicht das Etikett anhängen zu lassen,<br />
sie nehme stets eine Contra-Stellung<br />
ein. Dies wurde oft genug versucht<br />
und gegen uns verwendet. Gewiss ist<br />
unbestreitbar, dass die Bürgerinitia-<br />
tive sich energisch und konsequent<br />
gegen die Zubetonierung der Landschaft,<br />
gegen brutale Eingriffe in den<br />
Lebensraum <strong>Filder</strong>, gegen die Vernichtung<br />
bäuerlicher Existenzen und<br />
ebenso gegen die Missachtung demokratischer<br />
Rechte wehrte und<br />
wehrt – und dafür Argumente hat.<br />
Aber sie bezieht gleichzeitig eine Pro-<br />
Stellung, wo es geboten ist: nämlich<br />
für mehr Lebensqualität, für das Recht<br />
auf gesundheitliche Unversehrtheit,<br />
sprich für eine ausreichende Nachtruhe,<br />
für das Existenzrecht unserer<br />
Bauern, für die Bewahrung der <strong>Filder</strong><br />
als Kulturlandschaft, für den Erhalt<br />
der Natur mit ihrer Artenvielfalt.<br />
Wägt man Pro und Contra gegeneinander<br />
ab, so wird sich die Schale<br />
eindeutig auf die Seite der Pro-Ziele<br />
neigen.<br />
In der Sicht der Bevölkerung hat die<br />
<strong>Schutzgemeinschaft</strong> zweifellos mitgeholfen,<br />
das Leitbild des mündigen<br />
Bürgers zu formen und das Selbstbewusstsein<br />
der Menschen zu stärken.<br />
Schon das ist in einer lebendigen Demokratie<br />
ein Schritt nach vorne, auch<br />
wenn in der Sache ab und zu Niederlagen<br />
einzustecken waren. Kompromisse<br />
sind das tägliche Brot im<br />
politischen Geschäft. Aber es gibt<br />
Situationen, wo keine Kompromis-<br />
se mehr zulässig sind. Das gilt für<br />
Grundentscheidungen, die das menschliche<br />
Überleben in der Zukunft und<br />
den Fortbestand des Planeten betreffen.<br />
Von politischer Seite wurde in den<br />
harten Jahren des Kampfes viel Vertrauen<br />
zerstört, insbesondere durch<br />
die Nichteinhaltung gegebener Versprechen.<br />
Der immer wieder beschworene<br />
Grundsatz, die Landesregierung<br />
wolle nur einen Europa- und Mittelstreckenflughafen<br />
mit 3000 km<br />
Reichweite, war schnell vergessen,<br />
genauso wie die mehrfach bekräftigte<br />
Zusage (erstmals 1961!), es werde<br />
keine weiteren Großprojekte auf den<br />
<strong>Filder</strong>n mehr geben. Deshalb haben<br />
die Bürger gelernt, wachsam zu<br />
bleiben und auf ihre eigene Kraft zu<br />
vertrauen. Dies gilt auch künftig.<br />
„Erst wenn der letzte Baum gerodet,<br />
der letzte Fluss vergiftet, der letzte<br />
Fisch gefangen ist, werdet ihr merken,<br />
dass man Geld nicht essen kann“. An<br />
diese berühmt gewordene Mahnung<br />
des indianischen Häuptlings Seattle<br />
aus dem Jahr 1854 sollte man immer<br />
wieder erinnern.<br />
Dr. Liesel Hartenstein<br />
7
<strong>Schutzgemeinschaft</strong><br />
8<br />
gegen<br />
Großflughafen e.V.<br />
1967 – 1987: Erfahrungen, Erfolge<br />
und Niederlagen<br />
Oktober 1967<br />
Gründung der „<strong>Schutzgemeinschaft</strong><br />
gegen Großflughafen e.V.“ in einem<br />
Nebenzimmer des Hotels „Post“ in<br />
Plieningen. 52 Teilnehmer waren gekommen,<br />
darunter einige Bürgermeister<br />
aus <strong>Filder</strong>gemeinden.<br />
Vorausgegangen war im Sommer<br />
1967 die Veröffentlichung des Generalausbauplans<br />
(GAP) von Prof. Gerlach,<br />
der den Flughafen Echterdingen<br />
mit dem Bau von drei Startbahnen<br />
zu einem interkontinentalen Großflughafen<br />
machen wollte. Die Empörung<br />
der Bevölkerung schlug hohe<br />
Wellen.<br />
1968 – erste Erfolge: Nachtstartverbot<br />
Anfang des Jahres zählte die <strong>Schutzgemeinschaft</strong><br />
schon 1000 Mitglieder,<br />
im Oktober 1968 hatten sich bereits<br />
5.000 Flughafenausbaugegner in der<br />
Bürgerinitiative zusammengeschlossen.<br />
In enger Kooperation mit dem<br />
„Kommunalen Arbeitskreis Flughafen<br />
Stuttgart“, der 22 Städte und Gemeinden<br />
umfasste, setzte die <strong>Schutzgemeinschaft</strong><br />
ein Nachtstartverbot für<br />
Strahlflugzeuge durch. Es trat am<br />
1. November 1968 in Kraft.<br />
1969 / 1970: Lärmschutzkommission<br />
und Lärmschutzbeauftragter<br />
Vom Innenministerium wurde eine<br />
Lärmschutzkommission berufen, in welche<br />
die <strong>Schutzgemeinschaft</strong> zwei Vertreter<br />
entsenden konnte. Außerdem<br />
setzte das Ministerium auf Drängen<br />
der Initiative einen Lärmschutzbeauftragten<br />
ein, der nicht nur als Beschwerde-Instanz<br />
fungierte, sondern auch bis<br />
Ende 1970 neue An- und Abflugwege<br />
erarbeitete, die Schulen und bewohnte<br />
Gebiete möglichst verschonten.<br />
Eine Fluglärm-Überwachungsanlage<br />
mit sieben Messstellen wird einge-<br />
richtet. Ende 1969 wurde der Gerlach-<br />
Plan endgültig aufgegeben.<br />
1971 / 1972<br />
Die Forderung nach sofortigen Schallschutzeinrichtungen,<br />
insbesondere für<br />
Schulen und stark belastete Wohngebiete,<br />
wurde von der Landesregierung<br />
abgelehnt. Am 31. März 1971<br />
fanden auf dem Stuttgarter Flughafen<br />
123.000 Flugbewegungen statt, davon<br />
waren 27.927 militärische Flugbewegungen.<br />
Ein neuer Flughafenstandort<br />
wird gesucht, leider ohne Erfolg.<br />
1973 / 1974 : Nachtflugverbot<br />
Nach heftigen Kämpfen setzen <strong>Schutzgemeinschaft</strong><br />
und Kommunen 1973<br />
auch ein Landeverbot für Düsenflugzeuge<br />
durch. Damit galt ein allgemeines<br />
Nachtflugverbot für Starts von<br />
23 Uhr – 6 Uhr. Ausgenommen blieben<br />
Nachtpostmaschinen, Starts- und<br />
Landungen in Not- und Katastrophenfällen<br />
sowie Maschinen mit Sondergenehmigungen.<br />
Die Mitgliederzahl der <strong>Schutzgemeinschaft</strong><br />
stieg ständig – Mitglied wurde,<br />
Signet der <strong>Schutzgemeinschaft</strong> gegen Großflughafen<br />
und 30 Jahre altes Plakat (links unten);<br />
gestaltet von Eberhard Hartenstein<br />
wer sich anmeldete und einmalig fünf<br />
Mark bezahlte. So sammelten sich viele<br />
1000 Personen und Bürgergruppen<br />
unter dem Dach der <strong>Schutzgemeinschaft</strong>.<br />
Zur laufenden Information<br />
wurde neben Flugblättern, Prospekten<br />
und Pressemitteilungen auch ein<br />
„Fluglärm-Report“ heraus gegeben.<br />
1975 / 1976<br />
Ablehnung einer „Interimsstartbahn“<br />
bei Bernhausen (Vorschlag des Gutachters<br />
Kossak), die wenige Meter vor<br />
den Balkonen der ersten Wohnhäuser<br />
Bernhausens vorbeigeführt hätte.<br />
Landesregierung will Sanierung der<br />
alten Startbahn mit einer Verlängerung<br />
um 1380 Meter verquicken. Die<br />
Kommunalreform macht aus 13 Städten<br />
und Gemeinden auf den <strong>Filder</strong>n die<br />
drei Städte Ostfildern, <strong>Filder</strong>stadt und<br />
Leinfelden-Echterdingen.<br />
1977 – 1979: Hearing und<br />
Ausbaubeschluss<br />
Protestfahrt rund um das geplante<br />
Erweiterungsgelände. Traktor-Demo<br />
zum Schlossplatz in Stuttgart. Ein Gutachten<br />
von Prof. Gösele stellt offiziell<br />
fest, dass bei einem Ausbau der<br />
Lärmpegel im Ostfilderbereich erheblich<br />
ansteigt. Ein „Charter-Drehkreuz<br />
des Südens“ wird geplant.<br />
1978 wird das lauteste Jahr seit Bestehen<br />
des Flughafens. Am 1. Dezember<br />
1979 findet ein Flughafen-Hearing<br />
mit Ministerpräsident Späth in der<br />
Rundsporthalle Bernhausen statt. Große<br />
Beteiligung der Bevölkerung. Am<br />
21. Dezember 1979 Ministerratsbeschluss<br />
zur Verlängerung der Startbahn<br />
und Verlegung der Autobahn.<br />
1980 / 1982: Planfeststellung<br />
wird vorbereitet<br />
Die Ausbaupläne sehen für eine Erweiterung<br />
des Flughafenareals und
die Verlegung der Autobahn fast 240<br />
Hektar vor. Man plante zwei Parallelrollwege<br />
sowie die Abholzung der<br />
Weidacher Höhe. Es soll eine Lärmfestschreibung<br />
des Dauerschallpegels<br />
auf dem Wert des lautesten Jahres<br />
1978 (!) erfolgen. 34 bäuerliche Betriebe<br />
sind gefährdet. Protestveranstaltung<br />
und zweiter Rundmarsch um<br />
das geplante Ausbaugelände. „Null-<br />
Meter-Beschluss“ auf der 7. Mitgliederversammlung<br />
der <strong>Schutzgemeinschaft</strong><br />
1982.<br />
1983: Erfolgreiche Kampagne<br />
gegen Mammutplanung –<br />
41.509 Einsprüche<br />
Alle Städte und Gemeinden auf den<br />
<strong>Filder</strong>n, der Kreistag Esslingen und der<br />
Stadtrat in Stuttgart lehnen die Pläne<br />
ab. Kommunale Verwaltungen und<br />
<strong>Schutzgemeinschaft</strong> übernehmen Einspruchsberatungen.<br />
Innerhalb der gesetzten<br />
Frist gehen 41.509 Einsprüche<br />
beim Regierungspräsidium ein. Die<br />
hervorragende Kooperation zwischen<br />
Kommunalverwaltungen und Bürgerorganisation<br />
wird auch öffentlich als<br />
einmalig in der Bundesrepublik gelobt.<br />
Auftrag des Kommunalen Arbeitskreises<br />
an den Schweizer Gutachter<br />
Urs Graf zur Erstellung eines eigenen<br />
Sicherheitsgutachtens. Die ICAO in<br />
Montreal und britische Experten bestätigen<br />
das Ergebnis von Graf, wonach<br />
aus sicherheitstechnischen Gründen<br />
keine Verlängerung um 1380 m<br />
notwendig ist.<br />
1985 / 1986 : Neue Planauflage<br />
und weitere 42.324 Einwendungen<br />
Das neue Berechnungsmodell erfordert<br />
eine zweite Planauflage. Zum Erstaunen<br />
aller, reichen die Bürger noch<br />
mehr Einsprüche als beim ersten Mal<br />
ein, nämlich genau 42.324. Die Bahnverlängerung<br />
konnte nicht verhindert<br />
werden, aber die Mühe hat sich dennoch<br />
gelohnt: Die Autobahn darf aus<br />
hydrogeologischen Gründen nicht in<br />
einem elf Meter tiefen Einschnitt<br />
verlegt werden, der Erlachsee zwischen<br />
Neuhausen und Denkendorf soll nicht<br />
mehr zum Auffangen der Autobahnabwässer<br />
missbraucht werden, die<br />
Weidacher Höhe wird geschont, die<br />
Bäume werden nur noch auf zehn<br />
Hektar „wuchshöhenbegrenzt“ und<br />
vieles mehr.<br />
1987: Vier Wochen Erörterungsverhandlung<br />
mit Bürgerbeteiligung<br />
Im Januar 1987 werden vom RP vier<br />
Wochen lang Erörterungsverhand-<br />
Gabi Visintin (hier mit dem Kabarettisten Peter Grohmann) wird 1994 zur Vor-sitzenden<br />
der <strong>Schutzgemeinschaft</strong> gewählt. Mit weiteren zehn Frauen und Männern im Vorstand<br />
kämpft sie zuerst gegen die Resignation der Menschen auf den <strong>Filder</strong>n, nach dem die<br />
Gerichte den Ausbaubeschluss der Startbahnverlängerung bestätigen. Zusammen mit<br />
dem Landwirtschaftlichen Ortsverein Echterdingen (Fritz Auch-Schwarz) und dem Naturschutzbund<br />
(NABU) Baden-Württemberg initiiert die SG <strong>Filder</strong> 1996 den Aktionskreis<br />
„Die <strong>Filder</strong> leben lassen!“ Rund 4000 Menschen kommen 1998 zum Aktionstag<br />
gegen das Landesmessegesetz und bilden eine Menschenkette zwischen Plieningen<br />
und Echterdingen. Es folgen Planfesstellung mit knapp 23.000 Einsprüchen, Erörterung,<br />
Planfesstellungsbeschluss und die brachiale Durchsetzung der Interessen der Messeplaner<br />
im Sommer 2004. Nach zehn Jahren an der Spitze des Widerstands tritt Gabi<br />
Visintin in die zweite Reihe des SG <strong>Filder</strong>-Vorstands zurück.<br />
lungen in der Bernhäuser Rundsporthalle<br />
durchgeführt, unter Beteiligung<br />
von vielen Hunderten von<br />
Bürgern. „Wir haben die besseren<br />
Argumente“ stellte OB Gerhard Koch<br />
aus Ostfildern, der damalige Vorsitzende<br />
des Kommunalen Arbeitskreises<br />
mit großer Bestimmtheit und<br />
unter starkem Beifall fest. Trotzdem<br />
erfolgte durch Regierungspräsident<br />
Dr. Bulling am 30. September 1987 der<br />
Planfeststellungsbeschluss. Fazit: An<br />
den Maximalforderungen wird festgehalten.<br />
Nach zwanzig Jahren ehrenamtlicher<br />
Arbeit und intensivem Einsatz in der<br />
Bürgerinitiative und den Kommunen<br />
erklärt die <strong>Schutzgemeinschaft</strong>: Wir<br />
ziehen vor Gericht!<br />
Und dann ?<br />
Es folgen mehrere Gerichtsverfahren,<br />
bei denen wir trotz guter Argumente<br />
unterliegen und schließlich verweigert<br />
das Verfassungsgericht die Annahme<br />
einer Beschwerde gegen die einzigartig<br />
hohe Festlegung des Streitwerts,<br />
wonach sich die Gerichtskosten bemessen,<br />
die wir aufbringen müssen.<br />
Mit Hilfe unzähliger Spenden schaffen<br />
wir auch diese Hürde.<br />
Zu Beginn der 90er Jahre werden für<br />
die Startbahn herrliche Äcker hem-<br />
mungslos weggeschoben, Baumaschinen<br />
bestimmen das Bild. Und noch<br />
während die Planierer am Werken<br />
sind, beginnt die Diskussion um eine<br />
Großmesse auf den <strong>Filder</strong>n. Zorn und<br />
Resignation breiten sich aus.<br />
Doch da kommt eine junge Frau<br />
und reißt uns mit ihrem Elan<br />
wieder mit. Gabi Visintin aus Bonlanden,<br />
Mutter zweier, damals<br />
kleiner Kinder, die unter der Luftbelastung<br />
ständig husten mussten,<br />
übernimmt 1994 den verantwortungsvollen<br />
Posten der Vorsitzenden<br />
der <strong>Schutzgemeinschaft</strong>.<br />
Vor allem durch die Messepläne<br />
erweiterten sich die Aufgaben der<br />
„<strong>Schutzgemeinschaft</strong> gegen Großflughafen“,<br />
was sich in der Namensänderung<br />
niederschlug. Wir<br />
nannten uns nun „<strong>Schutzgemeinschaft</strong><br />
<strong>Filder</strong> e.V.“.<br />
Gabi Visintin führte die Bürgerinitiative<br />
mehr als 10 Jahre mit unglaublichem<br />
Einsatz durch die verrückte<br />
Messe-Planungszeit.<br />
Wir verdanken der versierten Journalistin<br />
nicht nur unsere Wiederbelebung,<br />
sondern auch die Professionalisierung<br />
unserer Pressearbeit.<br />
Sie war und ist die gute<br />
Seele der Bürgerinitiative.<br />
9
Der Messewiderstand<br />
„Wir können alles, außer demokratisch“<br />
stand auf einem Plakat im <strong>Filder</strong>camp Sommer 2004. Das Regierungspräsidium hatte die Besitzeinweisungen<br />
für das geplanten Messeareal gerade verschickt.<br />
Der Widerstand der Messe ist ein Lehrstück<br />
für Demokratie in doppeltem<br />
Sinne. Auf der einen Seite die rund<br />
130 Grundstücksbesitzer – unter ihnen<br />
die in ihrer landwirtschaftlichen Existenz<br />
bedrohten Bauern – die ein ganz<br />
klares Nein gegenüber den Plänen des<br />
Landes formulierten, die Stadt Leinfelden-Echterdingen,<br />
die auf ihre<br />
Planungshoheit pochte und mehrmals<br />
gegen die Messepläne stimmte, die<br />
23.000 Menschen die in ihren Einsprüchen<br />
im Planfestellungsverfahren auf<br />
die hohe Belastung durch Verkehr<br />
und Emissionen hinwiesen, das große<br />
Bündnis aus allen Teilen der Bevölkerung:<br />
Stadträte und BürgerInnen<br />
aller Coleur, Ärzte, Pfarrer, Landwirte,<br />
Künstler, Ingenieure, Historiker, Hausfrauen,<br />
Lehrer, Arbeiter, Rechtsanwälte,<br />
Programmierer... Auf der anderen<br />
Seite der Staat, der alle Mittel –<br />
unter demokratischen Gesichtspunkten<br />
auch sehr fragliche – einsetzte, um<br />
doch noch zu seinem Ziel zu kommen.<br />
Der Wille der Eigentümer und der<br />
Stadt wurde mit Brachialgewalt gebrochen.<br />
Ein historischer Abriss:<br />
Dez. 93 Wer eine neues Projekt plant,<br />
sei es ein Wohngebiet oder eine Messe,<br />
muss zuerst einen Bedarf begrün-<br />
10<br />
<strong>Standpunkt</strong><br />
Susanne<br />
Schulte,<br />
Ostfildern<br />
“Es ist nicht immer<br />
leicht heutzutage,<br />
sich selbst<br />
für das, was man<br />
als richtig und<br />
notwendig erachtet, auch wirklich<br />
einzusetzen. Die <strong>Schutzgemeinschaft</strong><br />
<strong>Filder</strong> bietet mir hierfür<br />
eine Möglichkeit. Ich bin froh,<br />
dass es sie mit den hervorragend<br />
engagierten Mitgliedern gibt und<br />
danke ihnen für ihre glänzende<br />
Arbeit.“<br />
den, dann ein Konzept entwickeln, für<br />
eine seriöse Finanzierung sorgen und<br />
schließlich einen Standort suchen.<br />
Nicht so in Baden-Württemberg!<br />
Im Dezember 1993 erblickt ein Standortgutachten<br />
der Planungsfirma<br />
„weidleplan“, das im Auftrag der<br />
Messegesellschaft erstellt wurde, das<br />
Licht der Welt. Eine 200 Hektar große<br />
Fläche neben dem Flughafen auf Echterdinger<br />
Markung wurde dafür ausgesucht.<br />
Ausgegangen wird von einer<br />
– durch nichts begründeten – Bausumme<br />
von 600 Millionen DM (!),<br />
heute 300 Mio. Euro. Landwirte und<br />
Grundstücksbesitzer, die aus der Zeitung<br />
davon erfuhren, dass ihr Land<br />
einer Messe weichen soll, Stadträte<br />
und Bürger sowie Mitglieder der<br />
<strong>Schutzgemeinschaft</strong> <strong>Filder</strong> beginnen<br />
das Projekt zu hinterfragen und lehnen<br />
ein weiteres Großprojekt neben<br />
dem Flughafen ab.<br />
Juli 95 Darauf folgt im Sommer eine<br />
Bedarfsanalyse von weidleplan, die<br />
natürlich den Bedarf begründet.<br />
März 97 Der baden-württembergische<br />
Ministerpräsident Erwin Teufel,<br />
Stuttgarts Oberbürgermeister Schuster<br />
sowie der Vorsitzende des Regionalparlaments<br />
Eberhard Palmer erstellen<br />
ohne jedes inhaltliche Konzept<br />
einen Finanzierungsplan für die geplante<br />
Messe. Die Kosten werden<br />
willkürlich auf 1 Milliarde DM (heute<br />
500 Mio. Euro) festgelegt.<br />
Sommer 97 Die ersten Kaufangebote<br />
der Landsiedlung gehen an die Landbesitzer.<br />
Das Angebot von 100 DM /qm<br />
liegt weit über dem „normalen“<br />
Ackerpreis, aber auch tief unter dem<br />
Preis von Gewerbeflächen.<br />
Nov. 98 Wahrscheinlich auf Druck der<br />
Gegner und auf Grund der dünnen<br />
Ergebnisse des ersten Bedarfsgutachtens<br />
werden plötzlich die Größenanforderungen<br />
an die Messe reduziert.<br />
Gesucht wurde nun ein Areal in<br />
einer Größe von maximal 100 Hektar.<br />
Die Kernmesse soll nur noch 65 Hektar<br />
beanspruchen. Das Ergebnis der nun<br />
erforderlichen zweiten Suchschleife ist<br />
wieder Echterdingen.<br />
Die SG <strong>Filder</strong> prüft zusammen mit<br />
dem NABU das 2. Standortgutachten<br />
und stellt eklatante Fehler fest: Dass<br />
auf den <strong>Filder</strong>n die Eigentumsrechte<br />
von rund 150 Grundstücksbesitzern<br />
betroffen waren, während in Böblingen<br />
(Platz 2 im Standortgutachten)<br />
mit dem alten Militärflugplatz ein<br />
Gelände in öffentlicher Hand zur Verfügung<br />
stand, wurde im Gutachten<br />
nicht gewertet. Dagegen wurde der<br />
Aufwand für die Kampfmittelbeseitigung<br />
auf dem alten Böblinger<br />
Flughafen als Minuspunkt für den<br />
Standort Böblingen angesetzt. Die<br />
kritische Prüfung der Messekritiker<br />
ergab: Der Echterdinger Standort<br />
wurde auf Biegen und Brechen zur<br />
Nummer 1 des Gutachtens erkoren.<br />
Kein Wunder allerdings, wenn man<br />
weiß, dass weidleplan schon lange am<br />
Stuttgarter Flughafen auf der Honorarliste<br />
stand und sich Folgeaufträge<br />
auf den <strong>Filder</strong>n versprach. Mit allen<br />
Tricks wurde auf das Ziel <strong>Filder</strong>messe<br />
hingearbeitet.<br />
Moderner Landraub<br />
Dez. 98 Nachdem der NABU-Rechtsanwalt<br />
Krüger im Dezember 1997 darauf<br />
verwiesen hatte, dass die Messe<br />
nach geltendem Recht nicht gegen<br />
den Willen der Betroffenen gebaut<br />
werden konnte und weder „Zuckerbrot“<br />
noch „Peitsche“ bei Stadt und<br />
Grundbesitzern fruchteten, ließ die<br />
Regierung ein Landesmessegesetz<br />
entwerfen und kurz vor Weihnachten<br />
im Landtag verabschieden.<br />
Darin steht zum Beispiel:<br />
– Es besteht ein Bedarf für eine Landesmesse.<br />
– Sie dient der Stärkung der wirtschaftlichen<br />
Infrastruktur.<br />
– Die Anfechtungsklage gegen einen<br />
Planfeststellungsbeschluss hat keine<br />
aufschiebende Wirkung ( = Sofortvollzug).<br />
– Für die Messe ist die Enteignung<br />
zulässig.
– Mit Hilfe des Mittels der Besitzeinweisung<br />
darf schon gebaut werden,<br />
bevor die Enteignung rechtskräftig<br />
ist. Ein Widerspruch dagegen hat<br />
keine aufschiebende Wirkung.<br />
Anmerkung: Solche scharfe Vorgaben<br />
gab es bislang selbst bei Projekten<br />
nicht, die unstrittig „im öffentlichen<br />
Interesse“ waren, etwa beim Flughafenausbau.<br />
Über die Jahre waren wir von den<br />
Messeplanern einiges an Arroganz<br />
und Dreistigkeit gewohnt. Was dann<br />
aber passierte, hatte eine völlig neue<br />
Qualität:<br />
So hat sich beispielsweise der Regierungspräsident<br />
Udo Andriof, Leiter<br />
einer Kontrollbehörde, die eigentlich<br />
völlig unabhängig zu beurteilen hat,<br />
ob ein Verfahren formal rechtens ist<br />
oder nicht, über die Jahre hinweg ungeniert<br />
über diesen Grundsatz hinweggesetzt.<br />
Er war und ist bis heute<br />
nicht unabhängiger Kontrolleur, sondern<br />
Partei. Er wollte die Messe auf<br />
den <strong>Filder</strong>n und gab sogar ungefragt<br />
Anregungen, wie sie am geschicktesten<br />
durchzusetzen sei. Die Stuttgarter<br />
Zeitungen betitelten Andriof denn<br />
auch als Helfershelfer des Ministerpräsidenten.<br />
Hier wurde der Rechtsstaat<br />
auf den Kopf gestellt.<br />
Juli 02 Erörterungsverfahren durch<br />
das Regierungspräsidium (22.800 Einsprüche).<br />
Frühjahr 03 Planfeststellungsbeschluss.<br />
Udo Andriof, dessen Befangenheit wir<br />
während der Erörterung thematisierten,<br />
hatte die Messepläne nahezu<br />
unverändert durchgewunken.<br />
Dez. 03 Endgültiger Planfeststellungsbeschluss.<br />
Sechs betroffene Landwirte<br />
klagen mit Unterstützung der <strong>Schutzgemeinschaft</strong><br />
gegen den Planfeststellungsbeschluss<br />
und das Landesmessegesetz.<br />
Febr. 04 Das Stuttgarter Verwaltungsgericht<br />
verhandelt. Richterin ist Jutta<br />
Semler. Wie die StZ im April schreibt,<br />
hängt auch ihr eine gewisse Befangen-<br />
<strong>Standpunkt</strong><br />
Gerhard Härer,<br />
Aichtal<br />
„Für mich als Aichtaler<br />
Bürger kann<br />
es nicht egal sein,<br />
wie sich die <strong>Filder</strong><br />
entwickeln, da<br />
sich der Straßenund<br />
Luftverkehr<br />
auch hier bei uns negativ auswirkt<br />
und die Lebensqualität beeinträchtigt.“<br />
heit an. Sie ist die Gattin des Wirtschaftsanwalts<br />
Semler, dessen Kanzlei<br />
CMS für die Messegesellschaft die no-<br />
Illustration F. Groß<br />
tarielle Beurkundung der Landkäufe<br />
auf den <strong>Filder</strong>n vornahm. Sie erlässt<br />
ein knallhartes Urteil. Einige Aussagen<br />
aus dem Urteil:<br />
– Das Landesmessegesetz ist verfassungskonform.<br />
(Doch Frau Semler<br />
hat dies weder ernsthaft geprüft<br />
noch hat sie unseres Erachtens die<br />
Kompetenz dies zu tun. Diese Frage<br />
hätte von Anfang an vom Bundesverfassungsgericht<br />
geprüft werden<br />
müssen).<br />
– Der Streitwert wird auf ein Mehrfaches<br />
des Üblichen festgesetzt.<br />
– Frau Semler gesteht uns zu, dass das<br />
Land eigentlich nicht die Gesetzgebungskompetenz<br />
hat und widerspricht<br />
damit Rechtsanwalt Dolde,<br />
Anwalt des Landes und „Messegesetz-Erfinder“.<br />
Doch sie „rettet“ das<br />
Land, indem sie einen neuen Erklärungsstrang<br />
für das Messegesetz<br />
findet.<br />
– Eine Berufung wird nicht zugelassen.<br />
Auch das ist einzigartig bei<br />
einem so strittigen Gesetz.<br />
Wir müssen auf Zulassung der Berufung<br />
klagen. Diesem Antrag wird im<br />
Mai 04 stattgegeben. Zudem stellen<br />
wir einen Eilantrag beim Mannheimer<br />
Verwaltungsgerichtshof gegen den<br />
jetzt möglichen Sofortvollzug, wie er<br />
im Messegesetz steht.<br />
20. April 2004 Das Massenenteignungsverfahren<br />
gegen rund 150 Grundeigentümer<br />
beginnt. Eine große Trak-<br />
11
tordemonstration staut den Verkehr<br />
weit über Vaihingen hinaus. RP Andriof<br />
verletzt die Persönlichkeitsrechte<br />
der Betroffenen, indem er die Grundstücksbesitzer,<br />
die beim RP antreten<br />
müssen, öffentlich bekannt gibt. Zudem<br />
muss der RP einen befangenen<br />
Beisitzer in der Enteignungskommission<br />
auswechseln.<br />
Mai 2004 Die Enteignungsverhandlungen<br />
ziehen sich. Wir warten auf<br />
eine Entscheidung des Mannheimer<br />
Verwaltungsgerichtshofs zum Sofortvollzug.<br />
Doch es tut sich nichts – auch<br />
weil Rechtsanwalt Dolde für seine<br />
Erwiderung lange braucht.<br />
Die Verzögerungen vor Gericht erklären<br />
sich heute: Sie gehörten zum<br />
Konzept, den Widerstand zu brechen.<br />
Inzwischen hatte die Messegesellschaft<br />
und das RP ein neues Druck-<br />
Werkzeug ins Spiel gebracht: Im Enteignungsverfahren<br />
wurden die Grundstücksbesitzer<br />
mit dem Fakt konfrontiert,<br />
dass die Messeprojektgesellschaft<br />
jetzt keine 53 € mehr für den<br />
qm mehr bezahlen wollte, sondern<br />
nur noch 20 € für Flächen im Messerandgebiete<br />
und 25 € für das Kerngebiet.<br />
Das extra angefertigte Gutachten<br />
wurde von RP Andriof unterstützt,<br />
wohingegen er unser – von<br />
kompetenten Fachleuten erstellte<br />
Gegengutachten – in Gänze verwarf.<br />
Das Ziel des Preispokers war klar, doch<br />
es stellte sich die Frage: Entweder ist<br />
das Ackerland tatsächlich 53 Euro<br />
Wert oder das Land hatte bei den<br />
Käufen im Vorfeld Steuergelder veruntreut.<br />
Juli 2004 Der Baubeginn wird von<br />
Anfang Juli auf Ende Juli verschoben,<br />
mit dem Hinweis, man wolle die Ernte<br />
schonen.<br />
28. Juli 2004 Unser Eilantrag wird<br />
abgelehnt. Wieder wird die Verfassungskonformität<br />
des Landesmessegesetzes<br />
bestätigt und die Messe als<br />
ein Projekt der „Daseinsvorsorge“ de-<br />
12<br />
<strong>Standpunkt</strong><br />
Liesel und<br />
Manfred Illi<br />
Ostfildern<br />
Ruit<br />
„Keine <strong>Filder</strong>äcker<br />
für noch<br />
mehr Billigflieger.“<br />
finiert – diesmal vom VGH Mannheim.<br />
Wäre dieser Beschluss früher gekommen,<br />
hätten wir schon eher<br />
vor das Bundesverfassungsgericht<br />
gehen können!<br />
29. Juli 2004 Genau einen Tag nach<br />
der Ablehnung des Eilantrags werden<br />
die Standardbesitzeinweisungen<br />
ausgefahren. Dies ist so punktgenau<br />
aufeinander abgestimmt, dass man<br />
von einer Unabhängigkeit weder beim<br />
Regierungspräsidium noch – und das<br />
ist noch viel schlimmer – bei der Justiz<br />
ausgehen kann. Diese maßgeschneiderte<br />
Aktion hat in einem Rechtsstaat<br />
nichts zu suchen!<br />
Damit werden die Betroffenen bewusst<br />
unter Druck gesetzt:<br />
1. Durch die Ablehnung unseres Eilantrags<br />
kann und soll gleich großflächig<br />
mit der Abtragung des Mutterbodens<br />
begonnen werden, das<br />
heißt es sollen unumkehrbare Tatsachen<br />
geschaffen werden. Unter<br />
diesem Druck folgen die inzwischen<br />
fünf klagenden Landwirte – Walter<br />
Stäbler hatte sein Haus und Land<br />
vorher völlig überraschend verkauft<br />
– einer Einladung ins Staatsministerium.<br />
2. Erst in dem Moment, in dem das<br />
VGH-Urteil vorliegt, können wir vor<br />
das Verfassungsgericht gehen, das<br />
Baggerblockade 1.9.2004<br />
ja auch noch Zeit für die Entscheidung<br />
braucht. Gleichzeitig aber<br />
läuft die Zeit davon, weil es der<br />
Sofortvollzug möglich macht, dass<br />
die Bagger sofort anrollen und die<br />
Lösskrume unwiederbringlich zerstören.<br />
3. Die Enteigneten sollen nur 20 bzw.<br />
25 statt der 53 € bekommen.<br />
4. Ulrich Bauer, der Leiter der Projektgesellschaft<br />
neue Messe, und ein<br />
Sprecher der Landesregierung posaunen<br />
heraus, dass die verbleibenden<br />
Landwirte – nach dem Verkauf<br />
Walter Stäblers – nun nicht mehr<br />
existenzbedroht seien, da ja genug<br />
Fläche zur Verfügung stünden. Dabei<br />
handelte es sich um eine bewusste<br />
Irreführung, wie es sich auch<br />
bei den Verhandlungen der Landwirte<br />
mit dem Staatsministerium<br />
zeigte. Dort wurde händeringend<br />
nach Flächen außerhalb der <strong>Filder</strong><br />
gesucht, um wenigstens einen Teilausgleich<br />
für die verbleibenden<br />
existenzbedrohten Landwirte zu<br />
finden.<br />
Das gesamte Vorgehen ist nur damit<br />
zu erklären, dass man offensichtlich<br />
eine Heidenangst vor der Entscheidung<br />
des Bundesverfassungsgerichts<br />
hatte.<br />
Die Situation wurde für Landwirte<br />
und Grundstücksbesitzer immer enger:<br />
Die Landwirte hatten keine Chance<br />
mehr, zu ihrem Recht zu kommen,<br />
bevor ihr gesamter Boden weggeräumt<br />
war. Es war nur nachvollziehbar<br />
und richtig, dass sie sich in dieser<br />
verzweifelten Lage entschlossen, zu<br />
verkaufen und übereinkamen, dass<br />
nur einer oder zwei weiterklagen.<br />
Diese Möglichkeit wurde ihnen durch<br />
einen weiteren erpresserischen Trick<br />
der Landesregierung zunichte gemacht:<br />
Nach harten Verhandlungen<br />
der Bauern und ihres Kreisobmanns<br />
bot das Land den Bauern (und den<br />
Grundstücksbesitzern), die jetzt in<br />
letzter Minute „freiwillig“ verkauften<br />
die 53 €, allerdings nur unter der<br />
Voraussetzung, dass alle (!) mitmachten.<br />
Wenn nur einer weiterklagen<br />
würde, würden alle (!) Verbliebenen<br />
nur noch 20/25 € erhalten – auch die<br />
vielen Grundstücksbesitzer, die ihr<br />
Land an die klagenden Landwirte<br />
verpachtet und ebenfalls bis jetzt<br />
nicht verkauft hatten. Dadurch wurden<br />
die Klagewilligen unter moralischen<br />
Druck gesetzt. Über ihre Klage<br />
wäre wahrscheinlich erst Monate<br />
später entschieden worden, d.h.<br />
sie hätten das Wegschieben des<br />
Bodens nicht mehr verhindern können<br />
und hätten trotzdem einen hohen<br />
Wertverlust ihrer Grundstücke<br />
hinnehmen müssen. Durch die „Erpressung“<br />
waren die Landwirte nicht<br />
mehr nur für sich allein verantwortlich,<br />
sondern nun auch noch für<br />
die finanzielle Entschädigung vieler<br />
anderer.
Jan. 2006 Zwei Echterdinger Nebenerwerbslandwirte<br />
klagten später dennoch<br />
weiter. Letztendlich ließ das Bundesverfassungsgericht<br />
die Beschwerde<br />
aber aus formalen Gründen nicht zu.<br />
Es argumentierte, die beiden Altlandwirte<br />
hätten bereits gegen den Plan-<br />
<strong>Standpunkt</strong><br />
Karsten Meurer,<br />
Leinfelden-<br />
Echterdingen-<br />
Stetten<br />
„Die <strong>Filder</strong>gegend<br />
steht im Fokus<br />
der Politik. Immer<br />
mehr industrielle<br />
Entwicklung wird hier geballt und<br />
angesiedelt. Neue Landesmesse,<br />
Industriegebieterweiterung, ICE<br />
Bahnhof, ICE Trasse und und<br />
und... Wenn es nach dem Willen<br />
der Politiker ginge, dann wäre<br />
insbesondere die zweite Startbahn<br />
des Flughafens bereits beschlossene<br />
Sache. Zum Glück regt<br />
sich hiergegen ein wohlorganisierter<br />
Widerstand der <strong>Schutzgemeinschaft</strong><br />
<strong>Filder</strong> und vertritt die<br />
Interessen der hier lebenden<br />
Menschen.“<br />
feststellungsbeschluss klagen müssen,<br />
jetzt sei es zu spät. Man stelle sich vor:<br />
Ein (juristisch nicht erfahrener) Landwirt<br />
legt Einspruch gegen die vorgelegten<br />
Pläne ein – wie knapp 23.000<br />
andere auch. Dennoch wird ein Planfeststellungsbeschluss<br />
ausgesprochen.<br />
Daraufhin fordert die Behörde den<br />
Landwirt auf, zu verkaufen, sonst<br />
werde er enteignet. Jetzt ist der<br />
Landwirt direkt betroffen und will<br />
sich gegen die Enteignung wehren.<br />
Doch das Gericht verwehrt es ihm, die<br />
Grundsatzfrage des Landesmessegesetzes<br />
– ob für einen Wirtschaftsbetrieb<br />
wie die Messe enteignet<br />
werden kann – klären zu lassen. Diese<br />
Handlung ist ein Armutszeugnis für<br />
das Bundesverfassungsgericht. Und<br />
für diese Entscheidung, ob es den<br />
Antrag zulässt, hat das Bundesverfassungsgericht<br />
zudem noch ein Jahr<br />
lang gebraucht!<br />
Im Gegensatz zu manchen Medienberichten<br />
und Meinungen muss an<br />
dieser Stelle festgestellt werden: Das<br />
Landesmessegesetz ist damit immer<br />
noch nicht auf seine Rechtmäßigkeit<br />
überprüft worden. Dabei ist das<br />
Landsmessegesetz doch so brisant,<br />
dass die politische Ebene und erst<br />
recht die verschiedenen juristischen<br />
Instanzen, von sich aus das Bundesver-<br />
fassungsgericht zwecks Klärung hätten<br />
anrufen müssen. Eine Forderung,<br />
die z.B. Karl Wanner, der die CDU-<br />
Messegegner im LE-Stadtrat anführte,<br />
immer wieder erhob.<br />
Fazit: An vielen Stellen wurde mit<br />
unanständigen Mitteln gearbeitet bis<br />
hin zu erpresserischem Druck.<br />
In der Politik ist man Scheinheiligkeit,<br />
Überheblichkeit und Machtmissbrauch<br />
schon fast gewöhnt. Dass aber auch<br />
angeblich neutrale Behörden (Regierungspräsidium)<br />
und sogar die Justiz<br />
ganz offenkundig Zweifel an ihrer<br />
Unabhängigkeit aufkommen lassen,<br />
ist selbst uns, die wir in fast 40 Jahren<br />
Bürgerinitiative vieles erfahren haben,<br />
in dieser krassen Form bisher nicht<br />
untergekommen.<br />
Gabi Visintin und<br />
Steffen Siegel<br />
Illustration F. Groß<br />
Der ehemalige Leiter der Projektgesellschaft<br />
Neue Messe, Ulrich<br />
Bauer:<br />
„Die Verkehrsbelastung für Leinfelden-Echterdingen<br />
wird durch<br />
die geplanten Verkehrsbauten<br />
geringer“ (FZ; 14. 11. 2001)<br />
13
STUTTGART 21<br />
Geheimnisvoller Flughafenanschluss<br />
Fünf Abschnitte bei Stuttgart 21 sind planfestgestellt. Fünf von sieben, zwei fehlen noch. Offenbar sind es die<br />
schwierigsten, unter anderem der Flughafenanschluss mit seinen zwei Bahnhöfen (Fernbahnhof und Gäubahn-<br />
Bahnhof).<br />
Wie wir wissen, gibt es unter anderem<br />
auch deshalb Probleme, weil die jetzige<br />
Trasse nach Rohr nur für den S-<br />
Bahn-Verkehr ausgelegt und genehmigt<br />
ist (schmalere Gleisabstände für<br />
max. 80 km/h). Die „Lösung“ wird<br />
wohl sein, dass der bei Stuttgart 21<br />
vorgesehene Regional- und Fernverkehr<br />
ebenfalls diese maximale Geschwindigkeit<br />
einhalten muss. Ein<br />
weiteres Problem ist die geplante eingleisige<br />
Ausschleifung zum Fernbahnhof,<br />
die zu Fahrwegausschlüssen<br />
führt und daher die betriebliche Flexibilität<br />
erheblich einschränkt. Wir gehen<br />
davon aus, dass es eine Billiglösung<br />
geben wird, weil nämlich das<br />
Interesse an der Verknüpfung der Verkehrsträger<br />
Bahn und Flieger schon<br />
deutlich nachlässt. So lassen die Fahrgastzahlen<br />
zum Großflughafen Frankfurt,<br />
aber auch zum Flughafen Köln<br />
aus Sicht der Bahn zu wünschen übrig.<br />
Im letzteren Fall hat dies dazu geführt,<br />
dass Fernverkehrsverbindungen<br />
über den Flughafen wieder gestrichen<br />
wurden. Klar ist, dass Flughafenchef<br />
Fundel und seine Landesregierung<br />
gerne so was Schickes vor der Haustüre<br />
hätten, die Bahn ist aber vielleicht<br />
schon desillusioniert und demotiviert.<br />
Lassen wir uns überraschen.<br />
14<br />
<strong>Standpunkt</strong><br />
Gerd Hütter,<br />
Stuttgart-<br />
Plieningen<br />
„Der <strong>Schutzgemeinschaft</strong><br />
<strong>Filder</strong><br />
solidarische Grüße<br />
von “jenseits<br />
der Autobahn“<br />
aus Plieningen-Birkach, denn nur<br />
gemeinsam können wir etwas gegen<br />
die Zerstörung von Landschaft<br />
und Umwelt bewirken. Ihre energischen<br />
Proteste gegen den Flughafenausbau<br />
sind beispielhaft und<br />
motivieren die Bevölkerung zu<br />
mehr Engagement. Weiter so!“<br />
Grundsätzlich ist dieses Verknüpfungskonzept<br />
von Flugverkehr und Bahnverkehr<br />
auch falsch, denn in solchen<br />
Knoten bestimmt der Schnellere den<br />
Takt. Die ökologisch sinnvollere Bahn<br />
wird dann nämlich zum Zubringer für<br />
den schädlichen Flugverkehr.<br />
Auch ist das bei Stuttgart 21 vorgesehene<br />
Bahnhofskonzept hochgradig<br />
albern. Der Fernbahnhof liegt zwar direkt<br />
an der Messe, befindet sich aber<br />
250 Meter weg vom Check-In. MessebesucherInnen,<br />
in der Regel ohne großes<br />
Gepäck, kommen direkt an der Messe<br />
an. Flugreisende, in der Regel mit schwerem<br />
Gepäck, schleppen dieses 250<br />
Meter zum Check-In. Ein Geheimtipp<br />
für Flugreisende wäre daher: „Steigen’se<br />
am Hauptbahnhof um in den<br />
RE nach Singen. Wenn Sie dann am Gäubahn-Bahnhof<br />
(heutiger S-Bahnhof) aussteigen,<br />
sind’se direkt am Check-In. Aber<br />
wenn das zu lange dauert, bis ein RE nach<br />
Singen in den unterirdischen Hauptbahnhof-Engpaß<br />
hinein passt, dann<br />
fahren’se einfach mit der S-Bahn“.<br />
Das konnten Sie übrigens schon immer.<br />
Aber wenn die DB und die „bahnfahrende<br />
Politik“ (gibt es so was<br />
überhaupt?) meint, es mache Sinn, mit<br />
dem ICE mit viel Energieaufwand den<br />
<strong>Filder</strong>aufstiegstunnel 4 Minuten lang<br />
hinaufzubrettern, um dann sogleich<br />
wieder energi(e)sch abzubremsen,<br />
und wenn die Bahnreisende das Preis-<br />
Auf diesen Feldern hat sich die neue Messe<br />
breit gemacht<br />
Grafik DB AG<br />
Leistungsverhältnis (ICE-Zuschlag bzw.<br />
längere Fahrtzeit nach Ulm) in Ordnung<br />
finden, na dann… Wir finden, das<br />
macht weder ökologisch noch ökonomisch<br />
Sinn. Aber wir sind ja auch nicht<br />
Ministerpräsident oder Bahnchef.<br />
Interessant wird auch die Frage sein,<br />
wie man den Fernbahnhof und die<br />
Trasse unter den bestehenden Messeund<br />
Flughafengebäuden bauen will,<br />
ohne dabei deutliche Mehrkosten in<br />
Kauf nehmen zu müssen. Bekanntlich<br />
wollte die Messe ja vor Jahren das<br />
Planfeststellungsverfahren gemeinsam<br />
mit der DB durchführen, was die<br />
DB jedoch damals ablehnte.<br />
Nun, wir sind gespannt auf die Auslegung<br />
der Pläne, zumal ja im Planfeststellungsverfahren<br />
gerade der Anschluss<br />
des Flughafens bei der Abwägung<br />
zwischen Stuttgart 21 und<br />
der Alternative Kopfbahnhof 21 mit<br />
ausschlaggebend war. Was ist, wenn<br />
es jetzt nur noch ein „Anschlüssle“<br />
wird? Nein, das wird das Eisenbahnbundesamt<br />
nicht irritieren, und schon<br />
gar nicht den Verwaltungsgerichtshof
in Mannheim. Aber die Leinfelden-<br />
Echterdinger haben auf jeden Fall<br />
plötzlich Regional- und Fernverkehr<br />
vor der Tür. Ach ja, und die SSB hat<br />
auch schon die Idee, von Leinfelden<br />
aus auf dieser Trasse zum Flughafen<br />
zu fahren. Und jetzt hätte ich es doch<br />
fast vergessen: Die beiden Bahnhöfe<br />
am Flughafen sind ja „<strong>Filder</strong>bahnhöfe“!<br />
Sie erschließen die <strong>Filder</strong>n. So<br />
wird dies ernsthaft in den Hochglanzbroschüren<br />
der DB verkauft! Also,<br />
wenn die <strong>Filder</strong>bewohner, die man ja<br />
offensichtlich für blöd hält, daran denken<br />
sollten, von diesen Bahnhöfen aus<br />
mit dem Zug in die Region oder in die<br />
weite Welt zu fahren, dann müssten<br />
sie ja da erstmal hinkommen. Und wie<br />
kommen sie dahin, wenn nicht mit<br />
dem Auto (und bekanntlich steigt,<br />
wer ins Auto einsteigt, nicht mehr<br />
aus), dann mit dem Bus. Herrlich, jede<br />
Buslinie müsste dann beide Bahnhöfe<br />
bedienen! Die Berufspendler und<br />
Schüler und alle anderen Fahrgäste<br />
werden begeistert sein.<br />
Die Initiative „Leben in Stuttgart –<br />
Kein Stuttgart 21“ gratuliert der <strong>Schutzgemeinschaft</strong><br />
<strong>Filder</strong> zu ihrem 40-Jahre-Jubiläum.<br />
Wir sind ja nur zwölf<br />
Jahre alt. Zwölf lange, streitvolle Jahre.<br />
Ein paar Jahre werden schon noch<br />
Aktuelles zum <strong>Filder</strong>bahnhof<br />
Im Oktober 2007 erklärte das Bundesverkehrsministerium:<br />
So wie bisher gedacht, kann der <strong>Filder</strong>bahnhof nicht gebaut werden!!<br />
Für die Planer von Stuttgart 21 bedeutet dies einen herben Rückschlag!<br />
Der Grund ist, dass die Bahnsteige für Fernzüge, die über die S-Bahnstation<br />
geführt werden sollen, so umgebaut werden müssten, dass sie für die<br />
S-Bahn nicht mehr brauchbar wären. Also denkt man an einen zusätzlichen<br />
Tunnel hin zum geplanten Fernbahnhof. Und das alles unter einer Messe,<br />
die bereits in Betrieb ist, mit Mehrkosten in dreistelliger Millionenhöhe.<br />
Es gibt doch die bessere Alternative: Gäubahn lassen wo sie ist, auch als<br />
Ausweichstrecke bei Sperrung des S-Bahntunnels, und über den Westbahnhof<br />
hinunter in den Stuttgarter Kessel fahren und im Kopfbahnhof<br />
einschleifen – also die Wiederentdeckung der bestehenden Trasse!<br />
Dann fährt auch kein IC durch LE!<br />
dazu kommen. Und am Ende wollen<br />
wir noch immer Stuttgart 21 verhindern.<br />
Die Kundgebung am 24. September<br />
2007 auf dem Stuttgarter Marktplatz<br />
und der Verlauf des Bürgerbegehrens<br />
machen uns Hoffnung.<br />
Illustration F. Groß<br />
„Die Art der Präsentation im April 1994 war ein überfallartiger Vorgang.<br />
Gegner und Skeptiker sind nicht imstande gewesen, die Sache zu zerreden.<br />
Ein Musterbeispiel, wie man solche Großprojekte vorstellen muss.“<br />
Heinz Dürr, ehem. Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn AG zu<br />
Stuttgart 21 (SN,14.2.95).<br />
Gangolf Stocker,<br />
Sprecher der Initiative „Leben in<br />
Stuttgart – Kein Stuttgart 21“<br />
15
„<strong>Filder</strong> kommt von Felder“<br />
Flughafen und Messe begraben<br />
die besten Böden unter sich<br />
Walter Vohl, langjähriger Kreisobmann<br />
des Bauernverbands Esslingen und engagierter<br />
Kämpfer für die Interessen<br />
der Bauern und der <strong>Filder</strong>, kommentiert<br />
den Geburtstag der <strong>Schutzgemeinschaft</strong><br />
so: „Ein 40. Geburtstag ist für<br />
einen Schwaben ein Grund zu feiern.<br />
Dass wir nach 40 Jahren die <strong>Schutzgemeinschaft</strong><br />
<strong>Filder</strong> nötiger denn je brauchen,<br />
ist wahrlich kein Ruhmesblatt für<br />
die politisch Verantwortlichen in Land,<br />
Region und der Stadt Stuttgart.“<br />
Seit dem Bau des Flughafens auf den<br />
besten Böden des Landes sind die<br />
Bauern der <strong>Filder</strong> in ständiger Bedrängnis,<br />
durch den Entzug landwirtschaftlicher<br />
Flächen ihre Existenz zu<br />
verlieren. So haben allein zwischen<br />
1979 und 2003 über die Hälfte der<br />
Bauern auf den <strong>Filder</strong>n ihre Betriebe<br />
aufgegeben. Dies geschah in vielen<br />
Fällen nicht freiwillig, sondern aufgrund<br />
des Entzugs landwirtschaftlicher<br />
Flächen.<br />
Es gab nur deshalb keinen Aufruhr,<br />
weil das Angebot an Arbeitsplätzen<br />
ausserhalb der Landwirtschaft groß<br />
war. Nicht allein die großen Infrastruktureinrichtungen<br />
wie Flughafen,<br />
Straßen und Messe waren und sind<br />
die Ursachen für diesen überproportionalen<br />
Strukturwandel, sondern<br />
auch die stetige Entwicklung der<br />
Städte und Gemeinden.<br />
Bei näherer Betrachtung kann man<br />
aber den Kommunen der <strong>Filder</strong> durchaus<br />
attestieren, dass sie mit der Fläche<br />
16<br />
verantwortungsbewusst umgegangen<br />
sind. Die Arbeitsplatzdichte pro Hektar<br />
Gewerbefläche und die Einwohnerdichte<br />
pro Siedlungsfläche ist<br />
nirgends im Land so hoch wie auf den<br />
<strong>Filder</strong>n. Zusätzlich erstreckt sich die<br />
Inanspruchnahme landwirtschaftlicher<br />
Flächen durch die Kommunen<br />
immer über längere Zeiträume, so<br />
dass man sich darauf einstellen kann.<br />
In der Regel waren es auch nicht die<br />
allerbesten landwirtschaftlichen Flächen,<br />
die einer Bebauung zugeführt<br />
wurden.<br />
Blick auf Plieningen mit Messebaukränen<br />
Ganz anders bei den Großprojekten.<br />
Flughafen und Neue Messe haben fast<br />
ausschließlich beste landwirtschaftliche<br />
Ackerflächen mit einer Bodenpunktzahl<br />
von 80 und mehr unter sich<br />
begraben. Diese Tatsache macht uns<br />
Bauern betroffen. Wir haben immer<br />
versucht, den Befürwortern klar zu<br />
machen, dass es ein irreversibler Fehler<br />
ist, Böden mit einem so hohen<br />
natürlichen Ertragspotenzial zu versiegeln.<br />
Dieses Argument haben sich<br />
nur die <strong>Schutzgemeinschaft</strong> und vor<br />
allen Dingen auch der Historiker Gerhard<br />
Raff zu eigen gemacht.<br />
Im Gegenteil, uns wurde von den<br />
Befürwortern der Messe immer wieder<br />
entgegen gehalten, wir Bauern<br />
würden doch nur Überschüsse produzieren,<br />
die mit Steuermitteln gelagert<br />
oder entsorgt werden müssen.<br />
Dass in so kurzer Zeit, noch vor der<br />
Messeeröffnung, die landwirtschaftlichen<br />
Vorräte auf ein historisches Tief<br />
sinken, die Preise für Getreide steil<br />
nach oben gehen, hat alle überrascht.<br />
Für die betonierte Fläche kommt es<br />
aber zu spät.<br />
Zwölf Hektar ökologisch gestaltete<br />
Trittsteine, (die die Messeplaner als<br />
Ausgleich für mindestens 120 Hektar!!<br />
entzogene Fläche einplanten; Anmerkung<br />
der Redaktion) bringen auf dem<br />
Papier die Welt wieder in Ordnung,<br />
niemals aber in Wirklichkeit und satt<br />
machen sie erst recht niemanden.<br />
Wir Bauern helfen mit, eine noch größere<br />
und stärkere <strong>Schutzgemeinschaft</strong><br />
zu bilden, der es gelingt, so viele Menschen<br />
zu mobilisieren, dass weitere<br />
Großprojekte politisch verhindert<br />
werden. Juristisch wird es immer<br />
schwerer, weil das Land die Gesetze so<br />
zimmert, dass vor Gericht unsere<br />
Chancen schlecht stehen. Deshalb<br />
lasst uns gemeinsam politisch weiter<br />
kämpfen.<br />
Walter Vohl, Landwirt aus Stetten<br />
2007: Das <strong>Filder</strong>-Spitzkraut wurde<br />
als regionale Spezialität in die<br />
„Arche des guten Geschmacks“<br />
aufgenommen.
Wilhem Hertig (✝ 2004), Heinz Bauer (✝ 2006)<br />
Zwei außergewöhnliche Menschen, die<br />
die <strong>Schutzgemeinschaft</strong> geprägt haben.<br />
Traktordemonstration 1998; 65 Schlepper fahren von den <strong>Filder</strong>n zum<br />
Stuttgarter Schlossplatz<br />
OB Wolfgang Schuster 1997 auf den Vorhalt , dass eine<br />
Milliarde DM (ca. 500 Mio €) für die Messe nie ausreiche:<br />
„Wir werden auf keinen Fall nachschießen, dann werden<br />
eben nur 80.000 statt 100.000 Quadratmeter Messefläche<br />
gebaut.“ (SZ 27.3.97)<br />
OB Schuster 2007 bei der Eröffnung der inzwischen 806<br />
Mio € teuren Messe:<br />
„Ich würde mich freuen, Sie in wenigen Jahren zur<br />
Eröffnung des Erweiterungsbaus einladen zu dürfen.“<br />
(SN 20.10.07)<br />
Wilhelm Hertig, (Ehrenvorstand<br />
der <strong>Schutzgemeinschaft</strong> <strong>Filder</strong>), Plieningen,<br />
Landwirtsschaftsobmann,<br />
Baumwart, Ortschronist und unermüdlicher<br />
Kämpfer für den Schutz<br />
der <strong>Filder</strong>, aufrecht und unbestechlich;<br />
so lehnte er die Landesehrennadel<br />
ab, weil er keine Auszeichnung<br />
von denen annehmen wollte,<br />
„die auf den <strong>Filder</strong>n Ungutes anrichten“.<br />
In seiner bescheidenen Art<br />
strahlte er mehr Würde aus als alle<br />
„hohen Herren“.<br />
Heinz Bauer, Plattenhardt, unser<br />
Grafiker und ständiger Ideenproduzierer;<br />
sein LandArt Projekt, wo er<br />
Künstler und Bauern gegen den Flughafenausbau<br />
vereinte, ist einzigartig.<br />
Die <strong>Schutzgemeinschaft</strong> lebte<br />
von seinen Zeichnungen, Plakaten,<br />
Karikaturen, Karten, Fotos und vor<br />
allem von seinen Ideen.<br />
Vor dem neuen Schloss wird <strong>Filder</strong>erde ausgebracht und Kraut gepflanzt.<br />
Plakataufschrift: Diese Fläche staatlichen Eigentums haben wir<br />
symbolisch enteignet zum Zwecke der Demonstration eines öffentlichen<br />
Interesses an der Erhaltung der Fruchtbarkeit des<br />
<strong>Filder</strong>bodens. (Juristensprache übersetzt: „Beton kascht et esse“)<br />
Unsere <strong>Filder</strong>camphütte muss der Bulldozergewalt weichen (1.10.04)<br />
17
Klimakiller Flugzeug<br />
Unser Erdball ist von einer Lufthülle (Atmosphäre) umgeben. In etwa fünf Kilometer Höhe – das ist lächerlich<br />
wenig – können wir schon nicht mehr richtig atmen oder gar auf Dauer leben. Diese Lufthülle ist ein ganz<br />
dünnes, hochempfindliches „Häutchen“, das es dem Menschen erst ermöglicht zu leben und das uns gegen<br />
das unwirtliche, unendliche Universum schützt. Doch seit einigen Jahrzehnten blasen wir in dieses empfindliche<br />
Häutchen, das sich über Jahrmillionen ausgebildet hat, tagtäglich unvorstellbare Mengen von Gasen und<br />
Stäuben, die der normalen Zusammensetzung der Luft nicht entsprechen. Dies geschieht mit steigender<br />
Tendenz.<br />
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis das<br />
empfindliche Gleichgewicht nachhaltig<br />
gestört ist, also sich das Klima<br />
nachhaltig ändert.<br />
Ein weit unterschätzter Verursacher<br />
dieser Klimaänderung ist der Flugverkehr.<br />
In einer Höhe von rund zehn<br />
Kilometern – die Luft ist dort bereits<br />
extrem dünn – stoßen Flugzeuge<br />
Dreck und heiße Abgase aus. Unter<br />
der starken UV-Strahlung, die dort<br />
herrscht, wirken die Emmissionen dramatisch<br />
klimaschädigend. In dieser<br />
Höhe bildet sich unter dem starken<br />
Unterdruck ein Schmutzschleier, der<br />
den ganzen Globus umschließt. Weil<br />
es nur einen ganz langsamen vertikalen<br />
Stoffaustausch in dieser Höhe<br />
gibt, wächst der Schmutzschleier unaufhaltsam<br />
weiter. Anders als unten<br />
auf der Erde, findet in der oberen<br />
Luftschicht praktisch keine Auswaschung<br />
durch Regen statt. Ein Verstärken<br />
des Treibhauseffekts ist die unausweichliche<br />
Folge.<br />
Nach dem Uno-Klimabericht 2007 sind<br />
Flugzeuge „nur“ mit 3,5% am weltweit<br />
ausgestoßenen Treibhausgas CO 2<br />
beteiligt. Das klingt relativ wenig,<br />
aber die in großen Höhen ausge-<br />
18<br />
stoßenen Gase wirken wesentlich<br />
stärker auf das Klima, als wenn sie auf<br />
dem Erdboden ausgestoßen würden.<br />
Fachleute belegen die Klimawirkung<br />
der Flugzeuge deshalb mit einem<br />
Faktor 3 bis 4. Das bedeutet: Flugzeugabgase<br />
haben einen Anteil an<br />
der Klimaschädigung im Bereich von<br />
etwa 10%. Bedenkt man, dass sich der<br />
Flugverkehr bis 2020 verdoppeln und<br />
bis 2030 verdreifachen soll, wird die<br />
Klima-Brisanz des Fliegens klar. Fliegen<br />
ist die klimaschädlichste Art, sich<br />
fortzubewegen<br />
Wolkenbildung durch Kondensstreifen<br />
Kondensstreifen bilden sich am Himmel,<br />
wenn der Wasserdampf der Luft<br />
an den von den Düsentriebwerken<br />
ausgestoßenen feinen Rußpartikeln<br />
kondensiert. Die Luft in dieser ansonsten<br />
extrem staubarmen Luft in<br />
diesen großen Höhen ist zwar feucht,<br />
der Wasserdampf kann sich jedoch<br />
mangels so genannter Kondensationskeime<br />
nirgends niederschlagen.<br />
Wer hat nicht schon gesehen, wie sich<br />
Kondensstreifen, langsam verändern,<br />
sich ausdehnen und irgendwann nur<br />
noch als Wolken erkennbar sind.<br />
Es entstehen hohe Schleierwolken<br />
(Zirrus), die die globale Erwärmung<br />
verstärken. Deutlich wurde der Klimaeinfluss<br />
der Flugzeuge z.B. während<br />
des dreitägigen Flugverbots nach den<br />
Terroranschlägen (11. September 2001)<br />
in den USA. Der Temperaturunterschied<br />
zwischen Tag und Nacht war in<br />
diesen 3 Tagen deutlich erhöht.<br />
<strong>Filder</strong> und Klima<br />
Wenn es durch einen Klimawandel<br />
wärmer wird, dann werden dünne<br />
Humusschichten wie auf der Alb austrocknen<br />
und bei zu erwartenden<br />
starken Regengüssen weggeschwemmt.<br />
Die metertiefen, wasserhaltigen <strong>Filder</strong>lössböden<br />
dagegen werden nicht<br />
so schnell austrocknen und dann noch<br />
viel wichtiger als heute für unsere<br />
Ernährung sein. Wer also eine Betonpiste<br />
für Flugzeuge auf <strong>Filder</strong>boden<br />
baut, sündigt zweifach: Einmal, weil<br />
Flieger das Klima schädigen, zum<br />
zweiten, weil dann der wichtige <strong>Filder</strong>humus<br />
als Lebensgrundlage fehlt.<br />
Deshalb: Die <strong>Filder</strong> leben lassen! Damit<br />
auch Menschen und Tiere leben<br />
können.<br />
Steffen Siegel<br />
Foto: C. Vogg
„Jesus Christus spricht: Was nützt es einem Menschen,<br />
wenn er die ganze Welt gewinnt, sich selbst dabei<br />
aber verliert und Schaden nimmt?“<br />
(Lukas 9, 25)<br />
Was nützt es? Wozu ist es gut?<br />
Was bringts? So fragen wir, bevor<br />
wir Entscheidungen treffen. Wir stellen<br />
Kosten-Nutzen-Berechnungen an.<br />
Was habe ich davon? Lohnt sich die<br />
Sache?<br />
Und wer uns etwas verkaufen<br />
will, der preist sein Produkte in den<br />
höchsten Tönen an, und welche Vorteile<br />
wir doch davon haben. Wollt ihr<br />
euch wirklich diese einmalige Chance<br />
entgehen lassen?<br />
Genauso geschieht es bei dem, was<br />
hier auf unseren <strong>Filder</strong>n geplant ist.<br />
Wir fragen uns: Was nützt es? Wozu<br />
soll das alles gut sein? Brauchen wir<br />
das und wollen wir das? …. Sie malen<br />
uns alles fast mit paradiesischen<br />
Farben vor Augen und versuchen uns<br />
klarzumachen, dass das alles letztlich<br />
auch uns nur nützt…. Aber um welchen<br />
Preis, das alles?<br />
Jesus fragt auch: Was nützt es?<br />
Was nützt es einem Menschen, wenn<br />
er die ganze Welt gewinnt? Jesus<br />
fragt auch nach dem Nutzen des Gewinnmachens.<br />
…. Für ihn gibt es offenbar<br />
viel wichtigeres als Gewinne zu<br />
machen. Er hinterfragt alles Gewinnstreben.<br />
Er ist also der Meinung: Viel<br />
besitzen, eine Menge haben ist nicht<br />
alles und auch nicht das Wichtigste im<br />
Leben eines Menschen.<br />
Vor dem <strong>Filder</strong>denkmal, von links: Gabi Visintin, Dr. Hans Huber,<br />
Pfarrer Hans-Peter Becker, OB Wolfgang Fischer<br />
Hast du was, dann bist du was,<br />
sagt ein Sprichwort. Und in der Tat<br />
gelten die unter uns viel, die viel haben.<br />
Entsprechend nehmen sich viele<br />
die als Vorbilder und so wie die zu<br />
werden als Lebensziel. Aber sind solche<br />
Menschen auch glücklich? Sind sie<br />
mit ihrem Leben zufrieden? Ist viel zu<br />
haben Sinn und Zweck eines Menschenlebens?<br />
Was nützt mir das alles,<br />
wenn ich keine Zeit habe, mein Leben<br />
zu leben und zu genießen, sondern<br />
nur gelebt werde und getrieben? Was<br />
nützt es mir, wenn meine Ehe darüber<br />
zerbricht und meine Freundschaften,<br />
weil ich sie nicht mehr pflegen kann?<br />
Was, wenn meine Umwelt darüber<br />
kaputtgeht, ich mich nur noch mit Hilfe<br />
von Lärmschutzfenstern in meiner<br />
Wohnstube unterhalten kann oder<br />
die Fenster ständig geschlossen halten<br />
muss, damit ich es einigermaßen erträglich<br />
habe? Was nützt das alles,<br />
wenn ich nur noch auf Betonfassaden<br />
starre beim Blick aus meiner Wohnung<br />
oder statt Blütenduft nur Autoabgase<br />
zu riechen bekomme? Und<br />
was nützt das alles, wenn ich darüber<br />
krank werde, körperlich oder seelisch<br />
krank? Das kanns also nicht sein.<br />
Wir dürfen nicht vergessen, dass<br />
unsere Entscheidungen heute nicht<br />
nur uns betreffen. Wenn wir fragen:<br />
Was nützt es? dann interessiert uns<br />
normalerweise, was bringt das alles<br />
mir? Aber das ist zu kurzsichtig. Vielleicht<br />
haben wir tatsächlich persönlich<br />
Nutzen von manchem, was man hier<br />
plant. Aber haben das auch noch unsere<br />
Kinder und Enkel? Was haben<br />
die davon, wenn das Geld vom Landverkauf<br />
längst verbraucht ist? Welche<br />
Welt hinterlassen wir denen?<br />
Jesus warnt davor, sich selbst, sein<br />
eigenes Selbst, seine Mitte zu verlieren….<br />
(Aus einer Ansprache von Pfarrer<br />
Hans-Peter Becker, Echterdingen,<br />
am 13. Juli 1997)<br />
Pfarrer Hans-Peter Becker mit dem Posaunenchor Echterdingen bei seiner<br />
Ansprache in der landwirtschaftlichen Halle der Familie Bayha<br />
19
Die zweite Startbahn<br />
Eine absurde Idee<br />
Im Jahr 2000, also bereits vor sechs Jahren, trat Flughafenchef Georg Fundel mit der unsäglichen Überlegung<br />
an die Öffentlichkeit, die bestehende Start- und Landebahn (SL-Bahn) um 300 bis 600 Meter zu verlängern und<br />
eine zweite Start- und Landebahn parallel dazu zu bauen.<br />
Der Flughafenchef wurde damals allerdings<br />
von Ministerpräsident (MP)<br />
Erwin Teufel zurückgepfiffen, unter<br />
anderem mit der Aussage : „Ich halte<br />
mich selbstverständlich an die verbindlichen<br />
Zusagen, die wir vor zehn<br />
und fünfzehn Jahren im Zusammenhang<br />
mit dem Ausbau der Bahn gemacht<br />
haben“ (StN, 3.5.2000). Gemeint<br />
sind die Aussagen von Lothar<br />
Späth, der den <strong>Filder</strong>bewohnern in<br />
den 80er Jahren versprach, der Ausbau<br />
des Flughafens sei das letzte<br />
Großprojekt auf den <strong>Filder</strong>n.<br />
Offensichtlich hält Ministerpräsident<br />
Günther Oettinger nicht soviel von<br />
den Versprechen seiner Vorgänger.<br />
Unmittelbar nach der Landtagswahl<br />
im Frühjahr 2006 kündigte Flughafenchef<br />
Fundel ein Gutachten über eine<br />
zweite Startbahn an und MP Oettinger<br />
sagte nur, er wolle dieses Gutachten<br />
„ergebnisoffen prüfen.“<br />
Die neue Bahn soll südlich zwischen<br />
Bernhausen und Neuhausen, parallel<br />
zur bestehenden und weit nach Osten<br />
verschoben, bis über die Autobahn<br />
hinweg verlaufen. Eine Horrorvision,<br />
besonders für alle Bewohner im Einflugbereich<br />
des Flughafens. Seit kurzem<br />
wird auch über eine zweite<br />
Variante nördlich der Autobahn zwischen<br />
Plieningen und Scharnhausen<br />
spekuliert.<br />
Eine zweite Bahn würde erneut 150<br />
bis 200 Hektar allerbestes Ackerland<br />
für alle Zeiten zerstören.<br />
Flughafenchef Fundel lieferte öffentlich<br />
folgende Zahlen nach:<br />
2006 hatte der Flughafen 10 Millionen<br />
Flugpassagiere. Reizt man die jetzige<br />
Bahn aus und baut dann noch eine<br />
zweite dazu, so könne man bis zu 23<br />
Millionen Passagiere befördern. Das<br />
heißt, die Flugbewegungen würden<br />
sich grob gerechnet mehr als verdoppeln<br />
und damit auch der Flughafenzubringerverkehr<br />
sowie der Lärm, die<br />
Abgase und die Staus. Dazu kommen<br />
die Folgewirkungen der neuen Messe:<br />
20<br />
Mindestens an Messeeröffnungstagen<br />
werden sich Messe- und Flughafenverkehr<br />
gegenseitig strangulieren. Im<br />
September stauten sich bei einer Doppelmesse<br />
die Autos auf der B27 bis<br />
nach Pliezhausen zurück.<br />
Der Widerspruch der betroffenen Kommunen<br />
ließ nicht lange auf sich warten.<br />
Inzwischen haben außer dem KAF<br />
(Kommunaler Arbeitskreis <strong>Filder</strong>) mehr<br />
als 20 Gemeinden – von Herrenberg<br />
über die <strong>Filder</strong>orte und den Schurwald<br />
bis nach Plochingen – klare Resolutionen<br />
gegen diese Pläne gefasst. Die<br />
Unterschriftenaktion der <strong>Schutzgemeinschaft</strong><br />
<strong>Filder</strong> gegen eine zweite<br />
Startbahn führte bis jetzt zu über<br />
23.000 (!) Unterschriften.<br />
Warum will der Flughafen<br />
ausbauen?<br />
Die Zuwachsraten am Stuttgarter Flughafen<br />
kommen einmal durch das Winterdrehkreuz<br />
zustande, das heißt Stuttgart<br />
entwickelt sich zum Umsteigeplatz.<br />
Von überall her karrt man Touristen<br />
an, die hier neu sortiert in die<br />
ganze Welt weiterfliegen.<br />
Der wesentliche Grund für den Passagierzuwachs<br />
aber sind die Billigflieger,<br />
die der Flughafen mit aller Macht<br />
fördert und herholt. Nur 20 Prozent<br />
der Billigflugpassagiere stammen übrigens<br />
aus der Region (StN 11.5.06).<br />
Wenn aber subventionierte Billigflieger<br />
die Leute zum Shoppen außer<br />
Landes verführen, so schadet dies der<br />
heimischen Wirtschaft und insbesondere<br />
den Einzelhändlern in den Innenstädten.<br />
Es wird ein Bedarf geweckt,<br />
den vorher niemand kannte. Neben<br />
dem Kaufkraftexport leidet auch der<br />
innerdeutsche Tourismus unter dieser<br />
neuen Entwicklung. Der einzige, der<br />
davon profitiert ist der Flughafen,<br />
(siehe auch Artikel zu Billigfliegern<br />
vom VCD).<br />
Schon lange vor der Diskussion um<br />
eine zweite Startbahn plante der Flughafen<br />
eine Westerweiterung auf fast<br />
30 Hektar für 20 bis 40 Flugzeugab-<br />
stellflächen zwischen dem Echterdinger<br />
Polstermarkt und dem Parkhaus<br />
P0. Inzwischen ist klar, dass die geplante<br />
Westerweiterung, die eine Verdoppelung<br />
der Flugzeugabstellflächen<br />
bedeutet, nur Sinn macht, wenn<br />
eine 2. Startbahn kommt. Das heißt,<br />
die Westerweiterung ist das Einstiegstürchen<br />
in die 2. Startbahn. Auch das<br />
im Jahr 2000 gebaute neue Luftfrachtzentrum<br />
im Süden ist heillos überdimensioniert.<br />
Sollen dort einmal Flugzeuge<br />
für eine zweite Startbahn abgefertigt<br />
werden? Spielte man auch<br />
hier bereits mit falschen Karten, als<br />
vom hohen Bedarf an Frachtflächen<br />
die Rede war?<br />
Lärmgrenzwerte – nur<br />
Makulatur?<br />
Flughafen und Politik halten sich nicht<br />
mal an klare, verbindliche Grenzen,<br />
<strong>Standpunkt</strong><br />
Heinz Blank,<br />
Altbach<br />
„Flugzeuge nach<br />
und von Osten<br />
überqueren in allen<br />
drei Flugkorridoren<br />
bei Altbach<br />
das Neckartal.<br />
Seit der Verlegung und Verlängerung<br />
der Startbahn um 1380 m<br />
nach Osten, die 1996 fertiggestellt<br />
wurde, und der Passagierzahlerhöhung<br />
von damals 3,5 Millionen<br />
(80er Jahre) auf heute 10 Millionen,<br />
haben wir im Neckartal neben<br />
der Zunahme der Schadstoffemissionen<br />
den erhöhten Fluglärm<br />
ungedämmt direkt von oben. Es ist<br />
eine Horrorvorstellung, dass eine<br />
zweite Start- und Landebahn –<br />
2000 Meter in unsere Richtung<br />
und durch das tiefere Überfliegen<br />
des Neckartales – den Lärm noch<br />
einmal in gleichem Maß steigern<br />
könnte wie in den vergangenen 20<br />
Jahren. Sie darf nicht realisiert<br />
werden.“
N und S: markieren die möglichen<br />
Gebiete für das Betonband<br />
einer zweiten Startund<br />
Landebahn (nördlich<br />
bzw. südlich der Autobahn).<br />
Dazu kommen Rollwege und<br />
Sicherheitszonen.<br />
Echterdingen<br />
Messe<br />
geplante Westerweiterung<br />
die von Behörden und Gerichten schon<br />
mehrfach festgeschrieben wurden. So<br />
heißt es im Planfeststellungsbeschluss<br />
des Startbahnausbaus Anfang der<br />
neunziger Jahre: „Die Lärmfestschreibung<br />
schreibt zwingend vor, dass<br />
nach dem Ausbau beim Dauerschall<br />
an keinem Punkt (auf den <strong>Filder</strong>n) das<br />
Lärmniveau des Jahres 1978 überschritten<br />
werden darf“. Seit 1978 sind<br />
die einzelnen Flugzeuge zwar durch<br />
bessere Technik leiser geworden, die<br />
Flugzahlen haben sich aber seither<br />
mehr als verdreifacht. Eine zweite<br />
Startbahn würde zu einer Verdoppelung<br />
der heutigen Fluggastzahlen –<br />
heute 10 Millionen – führen. Die geplanten<br />
Startbahnen, sei es die Nordoder<br />
Südvariante, liegen dazuhin seitlich<br />
neben der bestehenden Bahn. Es<br />
würde also nicht „nur“ lauter, es würden<br />
völlig neue Gebiete verlärmt.<br />
Da fragt man sich, welchen Wert haben<br />
eigentlich bindende Planfeststellungsbeschlüsse<br />
oder Gerichtsentscheide?<br />
Eine klare Begrenzung des Flughafenwachstums<br />
gebietet uns auch die für<br />
alle erkennbare Klimaveränderung.<br />
Flughafen<br />
Plieningen<br />
N<br />
Scharnhausen<br />
Luftfrachtzentrum<br />
S<br />
Bernhausen<br />
Bild: Flughafen Stuttgart GmbH, bearbeitet von der <strong>Schutzgemeinschaft</strong> <strong>Filder</strong><br />
Das Flugzeug ist das Verkehrsmittel,<br />
das am stärksten klimabeeinflussend<br />
wirkt (siehe Klimakiller Flugzeug).<br />
Werden unsere Kinder noch tief durchatmen<br />
können?<br />
Ist es nicht erstaunlich, dass in unserem<br />
Autoland Baden-Württemberg,<br />
Industrie und Politik beginnen, wenn<br />
auch viel zu zaghaft, solche Autos zu<br />
fördern, die weniger CO 2 produzieren,<br />
weniger Feinstaub? Ja, sogar von<br />
Fahreinschränkungen ist die Rede.<br />
Wie kann es dann aber sein, dass die<br />
gleichen Politiker eine zweite Startbahn<br />
in Erwägung ziehen und damit<br />
den klimaschädlichen Flugverkehr<br />
noch weiter anheizen?<br />
Gutachten-Theater<br />
Nachdem sich der Widerstand gegen<br />
die 2. Startbahnpläne immer stärker<br />
formiert, hat Ministerpräsident<br />
Oettinger jetzt ein Gutachten angekündigt,<br />
das das vom Flughafen<br />
für Ende November angekündigte<br />
Gutachten zu einer zweiten SL-Bahn<br />
noch einmal „ergebnisoffen“ bewerten<br />
soll. Hier kann nur noch von<br />
einem absurden Theater gesprochen<br />
werden: Georg Fundel, der Flugha-<br />
fenchef, ist Angestellter des Landes –<br />
und dessen Gutachten soll durch das<br />
Land noch einmal begutachtet werden.<br />
Was mag da wohl herauskommen?<br />
Wie sagte doch MP Oettinger bei der<br />
Pressekonferenz zur Messeeröffnung:<br />
Ob eine zweite Startbahn kommt „ist<br />
letztlich eine Frage des Bedarfs der<br />
Flughafengesellschaft, von Kosten<br />
und von Nutzen.“ (SZ 18.10.07) Er<br />
spricht nicht etwa von der Zerstörung<br />
allerbester Böden oder von lärmgeplagten<br />
Menschen oder von Klimaschäden<br />
usw.<br />
Doch damit nicht genug: Der Flughafenchef<br />
Georg Fundel spricht jetzt<br />
auch noch davon, dass er morgens<br />
schon ab 5 Uhr anfangen will zu<br />
fliegen. Was will er noch alles? Eine<br />
zweite Startbahn und/oder eine Aufhebung<br />
des (eingeschränkten) Nachtflugverbots?<br />
Wann endlich pfeift ihn<br />
die Landesregierung – sie ist schließlich<br />
Hauptgesellschafterin beim Flughafen<br />
– oder der mit Politikern<br />
besetzte Flughafen-Aufsichtsrat zurück?<br />
Wer hat hier eigentlich das<br />
Sagen?<br />
21
Nicht mehr auszuhalten<br />
Würde eine zweite Startbahn realisiert,<br />
verlören Wohnungen von Holzgerlingen<br />
im Schönbuch über die <strong>Filder</strong><br />
bis nach Altbach im Neckartal an Wert,<br />
Kindergärten könnten ihre Fenster<br />
nicht mehr öffnen, Naherholung würde<br />
zunehmend unmöglich… Schon<br />
heute ist der Fluglärm an manchen<br />
Tagen kaum mehr auszuhalten.<br />
Milliardenbeträge, für Messe und<br />
Flughafen ausgegeben, fehlen unserer<br />
Gesellschaft für Sinnvolleres wie<br />
Schulen und Ausbildung und müssen<br />
einmal von unseren Kindern aufgebracht<br />
werden.<br />
Nicht nur deren Gesundheit steht auf<br />
dem Spiel, auch deren politischer und<br />
gestalterischer Spielraum. Die eigentlichen<br />
Verursacher der Misere, die heute<br />
unseren Kindern eingebrockt wird,<br />
können zukünftig nicht mehr zur Rechenschaft<br />
gezogen werden, weil sie<br />
längst nicht mehr an der Macht sind.<br />
Zusammengefasst:<br />
Die größenwahnsinnigen Pläne für<br />
eine zweite Startbahn, die auf einem<br />
Wortbruch fußen, sind nicht hinzunehmen,<br />
sie sind eine Kriegserklärung<br />
an die <strong>Filder</strong> und ihre fruchtbaren<br />
Böden, sie sind eine Kriegserklärung<br />
an das Klima und damit an die Bevölkerung<br />
und die Kinder.<br />
Steffen Siegel, Gabi Visintin<br />
22<br />
Lautes Flugzeug? Beschweren Sie sich bei:<br />
Lärmschutzbeauftragter Flughafen Stuttgart,<br />
Tel: 0711- 948 4711 (werktags 8-16 Uhr)<br />
Mail: fluglaermstuttgartairport@gmx.de,<br />
Fax: 0711-948 4711<br />
„Aktionstag gegen eine 2. Startbahn“ mit einer Fahrradsternfahrt zum großen Zelt<br />
am 7.8.2007 in Neuhausen. Es kommen insgesamt 3000 Startbahngegner/innen.<br />
Das eingeschränkte Nachtflugverbot<br />
für Stuttgart<br />
(festgeschrieben im Planfeststellungsbeschluss, Oktober 1987)<br />
Mit Inbetriebnahme der neu ausgebauten Start- und Landebahn im Jahr<br />
1996 sind die allgemeinen Betriebszeiten für strahlgetriebene Luftfahrzeuge<br />
mit einem Lärmzeugnis nach ICAO-Annex 16, Kapitel 3 (das sind die leiseren),<br />
auf 6.00 Uhr bis 23 Uhr für Starts und auf 6.00 Uhr bis 23.30 Uhr für<br />
Landungen beschränkt worden.<br />
Von diesem Nachtflugverbot generell ausgenommen sind:<br />
– alle nichtstrahlgetriebenen Luftfahrzeuge, also Propellerflugzeuge<br />
und Hubschrauber, sowie alle militärischen Fluggeräte.<br />
– Starts und Landungen von Kapitel 3-Flugzeugen im Nachtluftpostdienst<br />
der Deutschen Post AG.<br />
– Landungen bei Verspätung von strahlgetriebenen Kapitel 3-Flugzeugen,<br />
wenn die planmäßige Ankunftszeit vor 23.30 Uhr liegt und die verspätete<br />
Landung vor 24 Uhr erfolgt.<br />
– bei Benutzung des Flughafens als Not- oder Ausweichflughafen aus<br />
meteorologischen, technischen oder sonstigen Sicherheitsgründen.<br />
– im Einsatz für Katastrophenschutz oder für medizinische Hilfeleistungen.<br />
– bei Vermessungsflügen zur Überprüfung der flugsicherheitstechnischen<br />
Anlagen und Navigationseinrichtungen.<br />
Das Regierungspräsidium kann zudem in begründeten Einzelfällen Ausnahmen<br />
zulassen, wenn dies im öffentlichen Interesse, insbesondere zur<br />
Aufrechterhaltung der Sicherheit des Luftverkehrs oder zur Vermeidung von<br />
Störungen des Luftverkehrs erforderlich erscheint.<br />
Beschwerden über militärische Flugbewegungen:<br />
Department of the Army – Public Affairs Office<br />
Tel: 0711- 7292712, Fax: 0711- 7292570<br />
<strong>Standpunkt</strong><br />
Reinhart Hund,<br />
lärmgeplagter<br />
Denkendorfer:<br />
„Es ist nicht einzusehen,<br />
dass auch beim<br />
Thema zweite Startbahn<br />
wieder Entscheidungen<br />
über die Köpfe<br />
der Wähler hinweg getroffen werden"<br />
Georg Fundel: „Die Westerweiterung<br />
ohne zweite Startbahn wäre nicht<br />
logisch“ (SZ; 6.05.06)
Städte und Gemeinden<br />
gegen die zweite Startbahn<br />
Seit Mitte 2006 formiert sich auch der Widerstand der Kommunen gegen eine weitere Start- und Landebahn. Den<br />
Auftakt machte der Kommunale Arbeitskreis <strong>Filder</strong> (KAF). Er beschloss im Juli 2006 einstimmig: „Der<br />
ständige Ausschuss beim Kommunalen Arbeitskreis <strong>Filder</strong> lehnt auf der Basis der vorliegenden Informationen die<br />
Pläne für eine zweite Start- und Landebahn ab.“ (Der KAF vertritt die Kommunen: Denkendorf, Esslingen, <strong>Filder</strong>stadt,<br />
Leinfelden-Echterdingen, Neuhausen, Ostfildern, Steinenbronn, Stuttgart)<br />
Unabhängig vom gemeinsamen KAF-Beschluss sprachen sich folgende (24) Kommunen im Großraum<br />
Stuttgart in eigenen Beschlüssen gegen eine zweite Bahn aus (Stand Herbst 2007):<br />
Herrenberg Plieningen Altdorf, Kreis Böblingen<br />
Birkach Holzgerlingen Weil im Schönbuch<br />
Schönaich Hildrizhausen Steinenbronn<br />
Waldenbuch Wolfschlugen Leinfelden-Echterdingen<br />
Berkheim Denkendorf Neuhausen a.d.F.<br />
Aichtal Stadt Esslingen Baltmannsweiler<br />
Deizisau Lichtenwald <strong>Filder</strong>stadt<br />
Plochingen Altbach Ostfildern<br />
Foto: S. Melzian<br />
Von links nach rechts: Bürgermeister Ingo Hacker, Neuhausen, KAF-Vorsitzender; Helmut Schumacher, Landwirt, Bernhausen, Vorstandsmitglied der<br />
Schutzgem. <strong>Filder</strong>; Steffen Siegel, Neuhausen, Vorsitzender der Schutzgem. <strong>Filder</strong>; Bürgermeister Frank Ziegler, Wendlingen, nach der Pressekonferenz,<br />
wo zum Aktionstag der <strong>Schutzgemeinschaft</strong> <strong>Filder</strong> und der Gemeinde Neuhausen am 8.7.2006 eingeladen wurde. Im Hintergrund der Flughafenzaun.<br />
Georg Fundel: „Wenn ein Flughafengeschäftsführer sich jeden Tag in erster Linie um Ökologie kümmert, ist er falsch<br />
in der Firma.“ (EZ, 24.10.2006)<br />
Die <strong>Schutzgemeinschaft</strong> meint: „Wenn er sich aber ausschließlich um Ökonomie kümmert, mit Sicherheit auch.“<br />
23
Wer Startbahnen<br />
24<br />
sät, wird<br />
BILLIGFLIEGER<br />
ernten<br />
Ein altes – aber nach wie vor gültiges – Motto lautet: „Wer Straßen<br />
sät, wird Verkehr ernten“. Gemeint ist damit, dass neu gebaute<br />
Infrastruktur nicht nur bestehenden Verkehr aufnimmt, sondern<br />
immer auch neuen Verkehr erzeugt, den sogenannten ‚induzierten<br />
Verkehr’. Das Angebot schafft sich also seine Nachfrage.<br />
Doch gilt das auch für den Flugverkehr?<br />
In den letzten Jahren war der<br />
Flugverkehr der am stärksten wachsende<br />
Verkehrsträger. Diese Entwicklung<br />
ging einher mit einer Zunahme<br />
von kleinen, regionalen Flughäfen,<br />
die meist auf Betreiben ehrgeiziger<br />
Lokalpolitiker eine Passagierfluglizenz<br />
erhalten haben. Da<br />
diese Flughäfen in der Regel nicht<br />
kostendeckend zu betreiben sind,<br />
werden sehr oft Billigfluglinien mit<br />
allerhand Subventionen oder verbilligten<br />
Gebühren geködert. Und genau<br />
diese Billigfluglinien sind es, die<br />
entscheidend zum Wachstum im Flugverkehr<br />
beigetragen haben.<br />
Auch im Landesflughafen Leinfelden-<br />
Echterdingen, quasi dem Maybach<br />
unter den baden-württembergischen<br />
Flughäfen, wird schon rund ein Drittel<br />
des Flugverkehrs von Billigfluglinien<br />
abgewickelt. So haben sich im Geschäftsjahr<br />
2006 ‚Germanwings’ und<br />
‚TUIfly’ Stuttgart als neuen Standort<br />
auserkoren. Bleibt die Frage nach der<br />
Henne und dem Ei. Bedienen diese<br />
Billigflugangebote eine wachsende<br />
Nachfrage? Oder wird eine Nachfrage<br />
von den Angeboten erzeugt,<br />
weil ja Geiz angeblich immer noch<br />
geil ist?<br />
Zwar sind Billigflugangebote für den<br />
Kunden nicht immer so billig, wie es<br />
die Werbung verspricht. Den wenigsten<br />
gelingt es, für 9,90 Euro mal eben<br />
zum Shoppen nach Mailand oder<br />
London zu fliegen. Trotzdem erreichen<br />
diese Angebote mit den vermeintlich<br />
niedrigen Preisen auch jene<br />
Menschen, die bisher nicht geflogen<br />
sind oder nur selten fliegen.<br />
Zu Risiken und<br />
Nebenwirkungen<br />
fragen Sie die<br />
<strong>Schutzgemeinschaft</strong><br />
Etwa 60 Prozent aller Billigflugkunden<br />
geben an, nur wegen des<br />
Schnäppchenpreises zum allerersten<br />
Mal ins Flugzeug gestiegen zu sein.<br />
Und von diesen neuen Kunden hätten<br />
mehr als zwei Drittel ihre Reise ohne<br />
das Billigflugangebot gar nicht angetreten.<br />
Etwa ein Drittel wäre mit<br />
einem umweltfreundlicheren Verkehrsmittel<br />
gereist, z.B. mit der Bahn.<br />
Aus Sicht des Verkehrsclubs Deutschland<br />
(VCD) ist es offensichtlich, dass es<br />
sich beim größten Teil des Billigflugbetriebes<br />
um unnötigen, induzierten<br />
Verkehr handelt. So wird eine nicht zu<br />
rechtfertigende Belastung für Klima,<br />
Umwelt, Mensch und – angesichts der<br />
unverschämten Subventionen im Flugverkehr<br />
– auch für die Volkswirtschaft<br />
erzeugt.<br />
Darüber hinaus wird der Preiskampf<br />
im Flugverkehr auf dem Rücken der<br />
Beschäftigten ausgetragen. Gewerkschaften,<br />
Tarifverträge oder bezahlte<br />
Fortbildungen sind bei den Billigfluglinien<br />
kaum zu finden. Auch die<br />
Sicherheit leidet unter dem harten<br />
Wettbewerb, denn einige Billigflieger<br />
bewegen sich in der Pilotenausbildung<br />
oder der Flugzeugwartung<br />
nur äußerst knapp innerhalb der<br />
gesetzlichen Vorgaben.<br />
Ziel politischen Handels müsste eigentlich<br />
sein, Verkehr und die damit<br />
Grafik: Heinz Bauer<br />
verbunden Belastungen zu vermeiden.<br />
Wo Verkehr nicht vermeidbar ist,<br />
sollte er auf umweltverträgliche Verkehrsmittel<br />
verlagert und dann möglichst<br />
nachhaltig abgewickelt werden.<br />
Stattdessen wird auf den <strong>Filder</strong>n der<br />
Flughafenausbau vorangetrieben und<br />
unnötiger (Billig-) Flugverkehr erzeugt,<br />
für den es eigentlich gar keine Nachfrage<br />
gibt.<br />
Das ist ökonomischer und ökologischer<br />
Unsinn. Und deshalb unterstützt<br />
der VCD die <strong>Schutzgemeinschaft</strong><br />
<strong>Filder</strong> im Widerstand gegen<br />
eine zweite Start- und Landebahn für<br />
den Landesflughafen. Herzlichen Glückwunsch<br />
zum 40jährigen Jubiläum!<br />
Werner Korn - Geschäftsführer -<br />
VCD Landesverband<br />
Baden-Württemberg e.V.<br />
www.vcd-bw.de
FLUGLÄRM<br />
Die Geißel der <strong>Filder</strong> und der Region<br />
Endlich bestätigt die Landesregierung<br />
schwarz auf weiß, was<br />
wir <strong>Filder</strong>-Bewohner ohnehin schon<br />
längst wissen: Die Region rund<br />
um den Flughafen Stuttgart ist<br />
der Lärmschwerpunkt in Baden-<br />
Württemberg. Dies ist das Ergebnis<br />
der aktuellen Erhebung zur<br />
tatsächlichen Lärmbelastung des<br />
Umweltministeriums Baden-Württembergs.<br />
Die Ergebnisse sind auf<br />
Lärmkarten dokumentiert. Notwendig<br />
geworden waren diese<br />
Messungen aufgrund der Richtlinien<br />
der Europäischen Union<br />
zum so genannten Umgebungslärm<br />
in nationales Recht. Hierzu<br />
sind bis 2009 Aktionspläne zu<br />
erstellen, die aufzeigen müssen,<br />
wie die Lärmbelastung vermindert<br />
werden kann.<br />
Ein weiteres Indiz für die extreme<br />
Lärmbelastung auf den <strong>Filder</strong>n rund<br />
um den Flughafen kann angeführt<br />
werden: Wir auf den <strong>Filder</strong>n – die<br />
Kommunen, das Land und die Flughafen<br />
Stuttgart GmbH (FSG) – nehmen<br />
viel Geld in die Hand, um Konzepte<br />
für die Lärmreduzierung zu<br />
entwickeln, etwa in Schallschutzprogramme,<br />
in der Lärmminderungsplanung<br />
oder im Lkw-Verkehrslenkungskonzept<br />
<strong>Filder</strong>. Nur: Es wird gemessen,<br />
erhoben und berechnet. Doch<br />
davon wird es nicht leiser auf den <strong>Filder</strong>n!<br />
Es muss etwas getan werden!<br />
<strong>Standpunkt</strong><br />
Katja Schnabl<br />
Neuhausen<br />
„Für unsere Werte<br />
müssen wir kämpfen<br />
und nicht resigniert<br />
den Kopf<br />
in den Sand stecken,<br />
nach dem Motto,<br />
die machen ja sowieso was sie<br />
wollen. Die <strong>Schutzgemeinschaft</strong><br />
wehrt sich nun seit 40 Jahren. Dafür<br />
möchte ich Euch danken und ermutigen<br />
weiter kämpferisch zu bleiben.<br />
Es ist leider notwendig.“<br />
Dies zeigt: Wir auf den <strong>Filder</strong>n wissen<br />
um die Lärmbelastung in unserem<br />
Lebensraum.<br />
Die Fluglärmberichte<br />
Die FSG betreibt acht Messstellen rund<br />
um den Flughafen, jeden Monat legt<br />
der Flughafen seinen Fluglärmbericht<br />
vor, zwei Mal im Jahr tagt die Fluglärmkommission,<br />
der Lärmschutzbeauftragte<br />
berichtet regelmäßig. Und<br />
das Ergebnis? An der Fluglärmmessstelle<br />
M4 Bernhausen ist es am lautesten.<br />
Am 26. Juli 2007 zum Beispiel<br />
war es mit 87 dB (dB = Dezibel, Maß<br />
für den Lärmwert) besonders laut.<br />
(Dabei ist dieser Wert ein Mittelwert<br />
über den ganzen Tag.) Hier in Bernhausen<br />
bestimmen die Flugzeuggeräusche<br />
die Gesamtgeräusche; ebenso<br />
an der Messstelle M6 Steinenbronn<br />
(56 dB am selben Tag). An den anderen<br />
sechs Fluglärmmessstellen – M1<br />
Scharnhausen, M2 Berkheim, M3 Neuhausen,<br />
M5 Stetten, M7 Echterdingen,<br />
M8 Denkendorf – überwiegen die<br />
Umgebungsgeräusche. Das ist ein Hinweis<br />
darauf, wie stark die <strong>Filder</strong> vom<br />
Gesamtlärm belastet sind, egal ob er<br />
aus der Luft oder von den Straßen<br />
(A8, Regional- und Verbindungsstraßen)<br />
kommt.<br />
Ursache und Wirkung<br />
Was sind die Ursachen dieses erhöhten<br />
(Flug)lärms? Ein Blick in den<br />
Bericht des Fluglärmschutzbeauftragten<br />
für den Flughafen Stuttgart gibt<br />
uns die Antwort (38. Jahresbericht,<br />
2006):<br />
– Die Flugbewegungen haben sich in<br />
den letzten 10 Jahren erheblich erhöht<br />
(1996: 140.000; 2006: 168.000<br />
= + 20%).<br />
– Auch die Ausnahmegenehmigungen<br />
von den Nachtflugbeschränkungen<br />
wurden kontinuierlich erhöht (Starts<br />
und Landungen 2001: 104, 2006:<br />
215, = + 107%; Triebwerksstandläufe<br />
2001: 62, 2006: 123, = + 71%).<br />
Diese Entwicklung findet ihren deutlichen<br />
Niederschlag in den zunehmenden<br />
Fluglärmbeschwerden (2005:<br />
946, 2006: 1.520, = + 60%). Die Beschwerdeschwerpunkte<br />
(über 40 Beschwerden)<br />
liegen verteilt rund um<br />
den Flughafen, aber auch in der weiteren<br />
Umgebung (Denkendorf, Steinenbronn,<br />
Waldenbuch, Leinfelden/<br />
Echterdingen, Stuttgart/Stadtteile, Neuhausen<br />
a.d.F., Stgt.-Vaihingen/Rohr/<br />
Kaltental, Bernhausen, Scharnhausen).<br />
Als Ursachen werden angeführt:<br />
Zunahme der Gesamtflugbewegungen,<br />
Zunahme der Beschwerden über<br />
Flugabweichungen, Nachtflugbewegungen,<br />
militärischer Flugbetrieb, Flughafenlärm<br />
und Fluglärm allgemein,<br />
Kleinflugzeuge, zivile Hubschrauberflüge.<br />
Viele, die sich einige Male beschwert<br />
haben, resignieren längst, da<br />
ihre Beschwerden ohne jede Resonanz<br />
bleiben.<br />
Diese Ergebnisse sind insofern von<br />
Bedeutung, als in den zurückliegenden<br />
20 Jahren die Düsenflugzeugbewegungen<br />
sich mehr als verdoppelt<br />
haben (1985: 25.000, 2005: 65.000, = +<br />
160%) und im gleichen Zeitraum der<br />
an den Fluglärmmessstellen ermittelte<br />
Lärm erstaunlicherweise ganz erheblich<br />
zurückgegangen ist (1985: 61 dB,<br />
2005: 54 dB) – bezogen jeweils auf die<br />
sechs verkehrsreichsten Monate Mai<br />
bis Oktober. Dies ist zugleich die Grundlage<br />
für die Berechnung des Beurteilungspegels<br />
nach dem Fluglärmgesetz.<br />
Dazu muss man wissen, dass dieser<br />
Pegel nicht gemessen wird, sondern<br />
nur nach der „Anleitung zur Berechnung<br />
von Fluglärmpegeln“ (AzB) aus<br />
den Flugbewegungen, verknüpft mit<br />
den Flugzeugtypen, berechnet wird.<br />
Lärmmessung und Bewertung<br />
All dies erschwert für den „interessierten<br />
Laien“ die Nachvollziehbarkeit<br />
der berichteten Lärmbelastung. Hinzu<br />
kommt eine Vielzahl an DIN-Normen,<br />
VDI-Richtlinien oder behördlichen<br />
Empfehlungen. Hier werden immer<br />
die verschiedenen Lärmarten und<br />
Lärmquellen betrachtet und die Betroffenheit<br />
der Bevölkerung mit Lärm-<br />
Zuschlägen oder -Abschlägen abgeschätzt.<br />
Festzuhalten ist: Derzeit gibt es in<br />
Deutschland kein System von Richtoder<br />
Grenzwerten, mit dem die Frage<br />
der Zumutbarkeit von Fluglärm zu<br />
Lasten der Bevölkerung verbindlich<br />
25
eantwortet werden kann. Die im<br />
Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm<br />
enthaltenen Lärm-Werte (75 dB und<br />
67 dB) beschreiben lediglich Zonen, in<br />
denen bestimmte bauliche Nutzungen<br />
nur unter bestimmten Voraussetzungen<br />
zulässig sind. Einigkeit besteht<br />
darin, dass diese Werte nicht zeitgemäß<br />
sind. Diesem Sachverhalt wird<br />
im novellierten Fluglärmgesetz teilweise<br />
Rechnung getragen, wobei allerdings<br />
auch die Lärm-Berechnung<br />
modifiziert und neue Kenngrößen<br />
eingeführt wurden, was die Fortschreibung<br />
bzw. Vergleichbarkeit nicht<br />
gerade erleichtert. In jedem Fall begründen<br />
sich die Lärm-Werte nicht aus<br />
Wirkungsuntersuchungen, sondern sie<br />
wurden so festgelegt, wie es die finanziellen<br />
Möglichkeiten zuließen.<br />
In einer großen Studie der DFG (Deutsche<br />
Forschungsgemeinschaft) in den<br />
70er Jahren wurde festgestellt, dass<br />
die Belästigung ausgehend vom Fluglärm<br />
viel stärker ist als bis dahin angenommen.<br />
Es wurde klar, dass der<br />
Mittelwert allein wenig aussagekräftig<br />
ist. Er erlaubt keine vernünftige<br />
Aussage über Kommunikationsstörungen<br />
und das „Aufwecken“ durch<br />
26<br />
Fluglärm. Die Störungen hängen wesentlich<br />
von der Anzahl der Einzelschallereignisse,<br />
deren Maximalpegel<br />
und weiteren Größen ab.<br />
Sind zwei Flugzeuge doppelt so<br />
laut wie eines?<br />
Das menschliche Gehör ist ausschließlich<br />
in der Lage, Änderungen des<br />
Schalldrucks wahrzunehmen. Dabei<br />
muss man sich darüber im Klaren sein,<br />
dass die Messung in Dezibel (dB) einer<br />
logarithmischen Skala folgt. Das heißt,<br />
wenn sich die Anzahl der Flugzeuge<br />
verdoppelt, so verdoppelt sich nicht<br />
die dB-Zahl, sie erhöht sich nur um<br />
3dB. Wenn wir zum Beispiel bei den<br />
jetzigen Flugbewegungen irgendwo<br />
einen Mittelwert von 75 dB(A) messen,<br />
so wird dieser Wert nur auf harmlos<br />
klingende 78 dB(A) steigen, wenn<br />
sich die Flugzahlen verdoppeln.<br />
Fakt ist: Die Lästigkeit von Fluglärm<br />
kann nicht nur mit einem (berechneten!)<br />
Mittelungspegel beschrieben<br />
werden, sondern die beim Überfliegen<br />
auftretenden Einzelpegel müssen<br />
mit berücksichtigt werden. Dies ist in<br />
der Fachwelt unstrittig. Hierbei werden<br />
der Ereignispegel und die maxi-<br />
Illustration F. Groß<br />
male Pegelhöhe sowie die Ereignisdauer<br />
miteinander verknüpft.<br />
Warum kämpfen wir gegen den Fluglärm<br />
und damit für mehr Ruhe? Lärm<br />
und damit Fluglärm ist – neben dem<br />
Flächenverbrauch – das ungelöste Umweltproblem<br />
schlechthin, ganz besonders<br />
im Hinblick auf die gesundheitlichen<br />
Auswirkungen. Wie oben<br />
gezeigt wurde, sind „Lärmgrenzwerte“<br />
ein Buch mit mehr als sieben<br />
Siegeln! Unser Ohr interessiert das<br />
aber herzlich wenig von welcher<br />
Quelle der Lärm kommt, ob vom<br />
Vogelgezwitscher, vom Rasenmäher<br />
oder vom Flugzeug. Der objektiv messbare<br />
Schalldruck ist die eine Seite, die<br />
subjektive Empfindung eine andere<br />
und die gesundheitliche Auswirkung<br />
noch eine weitere.<br />
Lärm, das ungelöste Umweltproblem<br />
Die Lärmwirkungsforscher, also Mediziner,<br />
die die Auswirkungen des Lärms<br />
auf die Gesundheit erforschen, sehen<br />
die Grenze zur Gesundheitsgefährdung<br />
bei 65 dB. Ab hier ist das Risiko<br />
für Herzkreislauferkrankungen nachweislich<br />
erhöht. Lärm kann zu Hör-
<strong>Standpunkt</strong><br />
Conny Geeve,<br />
Stuttgart-<br />
Vaihingen<br />
„Die <strong>Filder</strong> ist Wirtschafts-<br />
und zugleichLebensraum.<br />
Dieser Lebensraum<br />
– unser<br />
Lebensraum – ist schon heute<br />
durch Fluglärm und Straßenverkehr<br />
beeinträchtigt. Eine Vergrößerung<br />
der Belastung und eine<br />
weitere Zerstörung ist nicht hinnehmbar.<br />
Der Schutz der <strong>Filder</strong><br />
und ihrer Landwirtschaft geht uns<br />
alle an. Gegen mächtige Wirtschaftsinteressen<br />
brauchen wir<br />
eine große Solidarität, einen langen<br />
Atem und pfiffige Ideen“.<br />
schädigungen führen, behindert die<br />
Kommunikation und Umweltorientierung,<br />
erregt das zentrale und vegetative<br />
Nervensystem, stört Schlaf und<br />
Entspannung, beeinträchtigt das<br />
Leistungsvermögen, die Konzentrationsfähigkeit<br />
und somit das Lernen.<br />
Fazit: Lärm ist lästig und Lärm<br />
macht krank.<br />
Bezüglich der vom Lärm ausgehenden<br />
Gesundheitsgefahren und erheblichen<br />
Belästigungen sind viele neue Erkenntnisse<br />
hinzugetreten: „Stark belästigt“<br />
fühlen sich Menschen bei 60<br />
dB, und zwar vom Fluglärm 19%,<br />
vom Straßenverkehrslärm 12,4% und<br />
vom Schienenverkehrslärm 6,4%. Bei<br />
Fluglärm von 54 dB, Straßenverkehrslärm<br />
von 59 dB und Schienenverkehrslärm<br />
von 64 dB fühlen sich 10% der<br />
Bevölkerung stark belästigt. Die Zusammenhänge<br />
zwischen Belästigung<br />
und Schallpegeln der verschiedenen<br />
Geräuscharten sind empirisch gesichert,<br />
offen ist die Erklärung für die<br />
Unterschiede.<br />
Ein Erklärungsversuch basiert auf dem<br />
messbaren Unterschied der Lautheit<br />
der drei Quellarten bei gleichem Mittelungspegel,<br />
ein anderer beruht darauf,<br />
dass Schutz vor Fluglärm im<br />
Gegensatz zu Straßen- und Schienenlärm<br />
durch das Ausweichen in Gebäude<br />
kaum möglich ist, eine dritte<br />
Erklärung ergibt sich aus der Frequenzzusammensetzung<br />
und dem<br />
zeitlichen Verlauf des Pegels. Sowohl<br />
beim Landen als auch beim Starten<br />
treten schnelle Pegeländerungen und<br />
tonale Phasen auf, die weder bei<br />
Eisenbahnlärm noch bei Straßenverkehrslärm<br />
zu beobachten sind.<br />
Bewertungsschwellen „erheblich“ oder<br />
„unzumutbar“ im rechtlichen Sinne<br />
regelt die „Verkehrslärmschutzverordnung“<br />
16. BImSchV: Danach gelten<br />
Grenzwerte für Wohngebiete mit 59<br />
dB tagsüber und 49 dB nachts. 10%<br />
der Bevölkerung in Deutschland sind<br />
davon stark belästigt. Dies gilt allgemein<br />
als Schwellenwert, ab dem<br />
von einer „erheblichen Belästigung“<br />
auszugehen ist. Weiter errechnet sich<br />
hieraus, dass für den 24-Stunden-<br />
Pegel (Tag und Nacht) ab 63 dB im<br />
rechtlichen Sinne eine erhebliche Belästigung<br />
vorliegt. Bei Fluglärm sind<br />
dies 53 dB.<br />
Diese allgemeinen Zuordnungen müssen<br />
differenziert werden hinsichtlich<br />
der verschiedenen Nutzungen, also<br />
allgemeine Wohngebiete, Kurgebiete,<br />
Krankenhäuser, Schulen etc. Darüber<br />
hinaus kann eine „Unzumutbarkeitsschwelle“<br />
abgeleitet werden. Sie liegt<br />
für Fluglärm bei 61 dB tagsüber und<br />
bei 51 dB nachts. Bezüglich der Belästigung<br />
sind insbesondere für die<br />
Nachtzeit weitere Differenzierungen<br />
möglich, die sich aus Aufweckreaktionen<br />
ergeben.<br />
Nachtflugverbot erhalten<br />
Die Frage, wann Lärm nachts als<br />
erheblich belästigend anzusehen ist,<br />
ist eng mit der Häufigkeit und Höhe<br />
der Schallereignisse verknüpft, wobei<br />
häufig die Spitzenpegel und deren<br />
Häufigkeit als Kenngrößen herangezogen<br />
werden. Die Betrachtungen<br />
und Berechnungen kommen zum<br />
Ergebnis, dass ein Nachtpegel außen<br />
von 43 dB nicht überschritten werden<br />
sollte, wenn eine Aufweckwahrscheinlichkeit<br />
von 10% eingehalten<br />
werden soll. Allerdings kann der<br />
Lärmpegel hier nicht als das alleinige<br />
Kriterium gelten; denn auch bei<br />
sinkendem Mittelungspegel können<br />
bei gleichzeitiger Erhöhung der Überflugzahl<br />
die Belästigung bzw. die Aufweckreaktionen<br />
zunehmen. Dies ist<br />
für die Fragestellung des Nachtflugverbots<br />
von zentraler Bedeutung. Aus<br />
Sicht der Gesundheitsvorsorge reicht<br />
es also nicht aus, lediglich den Lärmpegel<br />
nachts festzusetzen. Es muss<br />
auch die Anzahl der Lärmereignisse<br />
festgeschrieben werden.<br />
Es mag schon sein, dass wir immer<br />
noch viel zu wenig wissen, dass die<br />
Messungen und Messmethoden nicht<br />
so einfach vergleichbar oder über-<br />
tragbar sind, dass für die Fluglärmmessungen<br />
ganz spezielle Verfahrensvorschriften<br />
gelten (AzB), dass<br />
nicht alles in einen Topf geworfen<br />
werden darf, dass man nicht Äpfel mit<br />
Birnen vergleichen darf. Doch trotz<br />
alledem ist eines unbestritten: Ein<br />
Drittel der Menschen in Deutschland<br />
fühlt sich vom Fluglärm belästigt<br />
und die Wohngebiete rund<br />
um den Flughafen Stuttgart führen<br />
die Baden-Württemberg-Lärmhitliste<br />
an.<br />
Was ist zu tun?<br />
1. Sofort jegliche Ausbaupläne für mehr<br />
Flugverkehr stoppen. Keine zweite<br />
Start- und Landebahn!<br />
2. Billigflug nicht fördern und subventionieren<br />
3. Ein striktes Nachtflugverbot erlassen<br />
und einhalten<br />
4. Lärmminderungsplan FILDER und<br />
Lkw-Lenkungskonzept umsetzen<br />
5. Landesweites Flugverkehrskonzeptes<br />
unter Nachhaltigkeitsaspekten entwickeln<br />
6. Fluglärmgesetz novellieren und die<br />
Erkenntnisse der Lärmwirkungsforschung<br />
übernehmen<br />
7. Flugbenzin besteuern<br />
8. Lärmarme Triebwerke entwickeln<br />
und bauen<br />
Mehr Info: Internet: www.lubw.<br />
baden-wuerttemberg.de - Startseite<br />
LUBW > Themen > Lärm<br />
Plakat und Aufklebermotiv;<br />
gestaltet von Eberhard Hartenstein<br />
27
Fliegen ab Stuttgart – Goldammer im Flughafenzaun (Foto: Gerd de Haan, Ostfildern)<br />
O-Ton: Umwelt und Flughafen<br />
Georg Fundel, Geschäftsführer des Flughafen Stuttgart, äußert sich auf<br />
der CD „Prominente pro Umwelt“ 2004, so:<br />
„Wenn ein Vogel in ein Triebwerk gerät,<br />
kann das für das Flugzeug verheerende<br />
Folgen haben und selbstverständlich<br />
für die Menschen, die im<br />
Flugzeug sitzen.<br />
Um weder Waffen noch Gift einsetzen<br />
zu müssen, bemühen wir uns durch<br />
eine Beratung unserer Nachbarn, dass<br />
keine Gehölze, dass keine Früchte auf<br />
Bäumen wachsen und auch – wir haben<br />
einen kleinen See –, dass dort<br />
möglichst keine Fische drin sind, damit<br />
wir eben Vögel vom Flughafen fernhalten.<br />
Das Gras vom Flughafen ist ein wunderbares<br />
Gras. Einfach deswegen, weil<br />
hier die Natur sich vieles zurückgeholt<br />
28<br />
<strong>Standpunkt</strong><br />
Irmgard Bürck,<br />
Wolfschlugen<br />
„Ruhe, Luft und<br />
Boden sind dem<br />
Größenwahn geopfert<br />
worden.<br />
Das darf nicht so<br />
weitergehen!“<br />
hat. Und diese extensiven Grassorten<br />
haben sehr viele Blümchen, sehr viele<br />
Dinge, die, glaube ich, in einer Milch<br />
sehr gut schmecken würden.<br />
Also, nachdem ich ja einen Beruf<br />
habe, wo Kerosin eine gewisse Rolle<br />
spielt, bin ich bemüht in meiner<br />
Freizeit, wo immer es möglich ist, das<br />
Auto stehen zu lassen, und wenn’s das<br />
Wetter und die Terminsituation zulässt,<br />
fahre ich tatsächlich auch mit<br />
dem Fahrrad ins Büro oder nach<br />
Feierabend nach Hause.“<br />
Ausschnitt aus der CD „Prominente pro Umwelt“<br />
2004, eine Produktion der Hochschule der<br />
Medien; Hrsg.: Ministerium für Umwelt und<br />
Verkehr des Landes Baden-Württemberg. 24<br />
Wortbeiträge; 7. Wortbeitrag: Georg Fundel<br />
Georg Fundel: „Wir spielen seit<br />
ich hier bin mit offenen Karten“<br />
(FZ, 12.05.06)<br />
Umweltministerin Tanja Gönner:<br />
„2,5% aller tödlichen Herzinfarkte<br />
gehen auf Lärmbelastung<br />
zurück“ (SZ. 11.9.2007)<br />
Schild am Stausee, südlich des Flughafens 1993<br />
Aus einem frühen Flugblatt der<br />
<strong>Schutzgemeinschaft</strong> 1977:<br />
„Die Bevölkerung auf den <strong>Filder</strong>n<br />
muss mit dem Flughafen und seinen<br />
Belastungen leben.<br />
Der Flughafen aber muss mit<br />
seinen Beschränkungen leben.“
Landesverband Baden-Württemberg e.V.<br />
Außerparlamentarischer Antrag an den Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg<br />
Antragssteller: BUND, NABU, VCD, <strong>Schutzgemeinschaft</strong> <strong>Filder</strong> e.V., 10. Mai 2007<br />
Global denken – vor Ort handeln<br />
Wir fordern den Klima-Check für baden-württembergische Flughäfen<br />
Der UN-Klimabericht enthält eine lebenswichtige<br />
Botschaft: Es ist Fünf vor<br />
Zwölf. Die Erde steht vor einem Klimakollaps.<br />
Nur wenn die Menschheit<br />
jetzt handelt, können die schlimmsten<br />
Folgen noch verhindert werden. Nur<br />
wer vor Ort handelt, hilft mit, unsere<br />
Lebensgrundlage zu retten. Die Botschaft<br />
des UN-Klimaberichts darf nicht<br />
versanden oder zerredet werden. Denn<br />
es geht um die Existenz unserer Erde<br />
und aller Menschen. Auch Deutschland<br />
ist betroffen: die Fruchtbarkeit<br />
der Böden, die Volkswirtschaft, die<br />
Gesundheit der Menschen, die Lebensqualität.<br />
Deshalb muss jetzt ALLES auf den<br />
Prüfstand. Es darf zu keiner Verschlimmerung<br />
des CO 2-Notstands mehr kommen.<br />
Überall wo es möglich ist, müssen<br />
Schritte zum Rückbau der CO 2-<br />
Emissionen eingeleitet werden. CO 2-<br />
Verursacher müssen auf Herz und<br />
Nieren geprüft werden. Dazu gehört<br />
der Flughafen Stuttgart, der gerade<br />
wieder eine neue Versiegelung von<br />
wertvollem Boden im Auge hat und<br />
den Flugverkehr weiter ausdehnen<br />
will.<br />
Flughäfen und Flugzeuge gehören<br />
zu den besonders umweltbelastenden<br />
Einrichtungen:<br />
– Weltweit tragen Flugzeuge rechnerisch<br />
mit einem rund 3,5 prozentigen<br />
Anteil zum CO 2-Ausstoß<br />
bei. Die Wirksamkeit ihrer Emissionen<br />
ist aber um das Dreifache höher,<br />
weil der Flugverkehr die dünne<br />
Erdhaut mit Abgasen und Wasserdampf<br />
empfindlich beeinträchtigt.<br />
Unterzeichner:<br />
BUND<br />
Dr. Brigitte Dahlbender<br />
Landesvorsitzende Baden-<br />
Württemberg<br />
Landesverband Baden-Württemberg e.V. Landesverband Baden-Württemberg e.V.<br />
NABU<br />
Dr. Stefan Rösler<br />
Landesvorsitzender<br />
Baden-Württemberg<br />
– Die Energiebilanz eines Flugzeugs<br />
ist extrem ungünstig; Tonnen von<br />
Kerosin sind notwendig, um ein Flugzeug<br />
zum Abheben zu bringen und<br />
in der Luft zu halten.<br />
– Start und Landebahnen sowie die<br />
Zubringerstraßen versiegeln sehr viel<br />
Erde. Im Fall des Stuttgarter Flughafens<br />
handelt es sich um eine Erde,<br />
die überdurchschnittlich fruchtbar<br />
ist und angesichts des globalen<br />
Trends sich ausbreitender Steppen<br />
und Wüsten immer wichtiger wird.<br />
Die Auswirkungen des Flughafen<br />
Stuttgarts sind schon heute gesundheitsgefährdend<br />
Im vergangenen Jahr hat der Flughafen<br />
Stuttgart mit 10 Millionen Fluggästen<br />
eine Schallgrenze erreicht, die<br />
nicht allein die direkten Anrainer<br />
enorm belastet, sondern die Bürgerinnen<br />
und Bürger in großen Teilen<br />
des Großraums Stuttgarts. Die Zahl<br />
der Flugbewegungen hat sich von<br />
1989 mit 88.000 Flugbewegungen auf<br />
163.000 Flugbewegungen im Jahr<br />
2006 fast verdoppelt. Das Ziel des<br />
Stuttgarter Flughafens, jetzt auch<br />
noch eine zweite Startbahn für Charterflüge,<br />
Winterdrehkreuz und Billigflug<br />
durchzusetzen, steht nicht<br />
allein den Interessen der Bevölkerung<br />
von Plochingen im Neckartal bis<br />
Holzgerlingen im Schönbuch entgegen.<br />
Es trifft ganz Baden-Württemberg.<br />
Eine zweite Startbahn würde<br />
eine Verdoppelung der heutigen<br />
Fluggastzahlen auf über 20 Millionen<br />
bedeuten. Mit einer enormen Steigerung<br />
der Lärmereignisse ist zu<br />
rechnen.<br />
VCD<br />
Werner Korn, Geschäftsführer<br />
Landesverband<br />
Baden-Württemberg<br />
Der Flughafen Stuttgart muss auf<br />
den Prüfstand – Ausbau-Überlegungen<br />
sofort einstellen<br />
Wir fordern von der Landesregierung<br />
mit gutem Beispiel voranzugehen und<br />
angesichts des UN-Klimaberichts, eine<br />
nachhaltige Politik umzusetzen. Das<br />
Land muss jetzt die Weichen für eine<br />
klimaschonende Wirtschaft stellen.<br />
Deshalb beantragen wir, die folgenden<br />
Maßnahmen umzusetzen:<br />
– Statt Machbarkeitsstudie für die 2.<br />
Startbahn – Klimaschutz-Check des<br />
Flughafens. Dabei ist nicht das Machbare<br />
die Maxime, sondern das ökologisch<br />
Notwendige!<br />
– Das Land wirkt darauf hin, dass der<br />
Flughafen Stuttgart sofort jegliche<br />
Ausbau-Pläne für mehr Flugverkehr<br />
einstellt, z.B. die Westerweiterung<br />
und die 2. Startbahn.<br />
– Das Land verhindert eine weitere<br />
Anwerbung von Billigfliegern.<br />
– Keine weitere Förderung der Flughafen-Infrastruktur<br />
für mehr Flugverkehr.<br />
– Förderung der Bahn statt des Flughafens.<br />
– Erstellung einer landesweiten Flugverkehrskonzeption<br />
unter Nachhaltigkeitsaspekten.<br />
– Einrechnung der sozialen und ökologischen<br />
Folgekosten in den Flugticketpreis.<br />
– Start einer Initiative des Landes für<br />
die Besteuerung des Flugbenzins.<br />
– Einführung einer Emissionsabgabe mit<br />
dem Ziel, die Start- und Landeentgelte<br />
entsprechend der Schadstoff- und<br />
Lärmemissionen zu verteuern.<br />
– Wirksame Einbeziehung des Flugverkehrs<br />
in den Emissionshandel.<br />
<strong>Schutzgemeinschaft</strong><br />
<strong>Filder</strong> e.V<br />
Steffen Siegel<br />
Vorsitzender<br />
29
Schadensbegrenzung –<br />
ein Fall für die <strong>Schutzgemeinschaft</strong> <strong>Filder</strong><br />
+ Ziel der <strong>Schutzgemeinschaft</strong> <strong>Filder</strong><br />
ist es, ein <strong>Filder</strong>schutzgebiet<br />
zu erhalten – als Reservat für die<br />
Landwirtschaft und zur Naherholung.<br />
Der Flughafenausbau vor zehn Jahren<br />
und die erst kürzlich fertig gestellte<br />
Messe konnten nicht verhindert werden.<br />
Die <strong>Schutzgemeinschaft</strong> <strong>Filder</strong><br />
kann hier leider nur noch Schadensbegrenzung<br />
betreiben.<br />
Sie passt darauf auf, dass sich die Aktivitäten<br />
des Flughafens und der Messe<br />
in den gesteckten Grenzen der<br />
Planfeststellungsbeschlüsse bewegen<br />
und sie wird auch darauf achten, dass<br />
die Messegesellschaft das extra für sie<br />
gezimmerte Landesmessegesetz nicht<br />
„vergisst“ und nicht mit Rockkonzerten<br />
und Boxkämpfen übertritt. Das<br />
spezielle Messegesetz ermöglicht Enteignungen<br />
für Messen, Tagungen und<br />
Kongresse, andere Verwendungszwecke<br />
sind nicht erlaubt. Auch<br />
nächtlicher Lärm durch Großereignisse<br />
ist durch den Planfeststellungsbeschluss<br />
nicht gedeckt.<br />
Ohne die <strong>Schutzgemeinschaft</strong> <strong>Filder</strong>,<br />
damals noch <strong>Schutzgemeinschaft</strong> gegen<br />
Großflughafen, gäbe es kein<br />
eingeschränktes Nachtflugverbot, wäre<br />
die Weidacher Höhe in Stetten<br />
(Ortsteil von Leinfelden-Echterdingen)<br />
abgeholzt und abgetragen und es<br />
ginge bei Aus-und Neubauten meist<br />
um das „Wie“ und nicht um das<br />
„Ob“! Bei der <strong>Schutzgemeinschaft</strong><br />
<strong>Filder</strong> können die Probleme, die<br />
diesen Landstrich betreffen zusammengetragen<br />
und können Erfahrungen<br />
ausgetauscht werden. Es wird<br />
gemeinsam nach einer Lösung gesucht.<br />
+ Was die <strong>Schutzgemeinschaft</strong><br />
<strong>Filder</strong> gegen eine 2. Startbahn unternimmt<br />
Wir leben mit dem jetzigen Ausmaß<br />
des Flughafens – wohl oder übel. Es<br />
braucht aber weder eine West-Erweiterung<br />
für Flugzeugabstellplätze,<br />
noch eine luftseitige Kapazitätserhöhung<br />
der ersten Start- und Landebahn,<br />
noch eine zweite Start- und<br />
Landebahn. Egal wo eine zweite<br />
Startbahn von der Flughafengesellschaft<br />
angedacht ist – sie passt nicht<br />
30<br />
mehr in die <strong>Filder</strong>landschaft. Sie passt<br />
nicht in die dicht besiedelte Region<br />
Stuttgart. Sie passt nicht in eine Zeit,<br />
in der die Klimabombe tickt.<br />
Langfristig geht es um eine Vermeidungsstrategie<br />
des Flugverkehrs.<br />
+ Zusammenarbeit zwischen Kommunen<br />
und <strong>Schutzgemeinschaft</strong><br />
weiter ausbauen<br />
Vom Schönbuchrand bis ins Neckartal<br />
gibt es schon Gemeinderatsbeschlüsse<br />
und Resolutionen gegen eine weitere<br />
Startbahn (siehe Seite 23)<br />
+ Weitere Sensibilisierung von<br />
Gemeinderäten, Bezirksbeiräten,<br />
Landtagsabgeordneten und Parteien<br />
Gespräche, gemeinsame Aktionen,<br />
Informationsaustausch<br />
- Bei den Kommunen dafür werben,<br />
den Kommunalen Arbeitskreis <strong>Filder</strong><br />
(KAF) weiter zu entwickeln,<br />
- und Mitglied in der „Bundesvereinigung<br />
gegen Fluglärm“ (BVF) zu<br />
werden (wer es noch nicht ist);<br />
+ Zusammenführen aller Bürgerinnen<br />
und Bürger sowie Gruppierungen,<br />
die sich gegen die <strong>Filder</strong>zer-<br />
Emblem des Aktionskreises, Idee von<br />
Helmut Nolda, gestaltet von F. Blankenhorn<br />
Ehrenamtspreis<br />
Beim Wettbewerb: „Echt gut! Ehrenamt in Baden-Württemberg 2006“<br />
wählte die Bevölkerung die <strong>Schutzgemeinschaft</strong> <strong>Filder</strong> auf den zweiten Platz.<br />
störung sowie den zunehmenden<br />
Lärm und Emissionen wehren wollen;<br />
z.B. im Aktionskreis „Die <strong>Filder</strong> leben<br />
lassen!“<br />
+ Bündnisse mit Initiativen und<br />
Verbänden<br />
Beispiel: Außerparlamentarischer Antrag<br />
(siehe Seite 29)<br />
+ Unterschriften gegen die 2. Startbahn<br />
Stand Herbst 2007: 23 000 Unterschriften<br />
+ Aktionen<br />
Zum Beispiel Aktionstage, Demonstrationen,<br />
Felderrundfahrten, Oettinger-<br />
Besuche etc.<br />
+ Öffentlichkeits- und Informationsarbeit<br />
mit Informationsständen, Veranstaltungen,<br />
Pressekonferenzen, Presseerklärungen<br />
etc.<br />
+ Juristischer Widerstand<br />
Als letztes Mittel ziehen wir den juristischen<br />
Widerstand in Betracht
Der Vorstand der<br />
<strong>Schutzgemeinschaft</strong><br />
1987<br />
Vorsitzende: Dr.Liesel Hartenstein, Echterdingen<br />
Stellv. Vors.: Dagmar Halm, Stgt.-Birkach<br />
Stellv. Vors.: Manfred Raff, Stetten<br />
Öffentlichkeitsarbeit:<br />
Jörg Huber, Stgt.-Vaihingen<br />
Kassier: Hermann Steck, Bernhausen<br />
Beisitzer: Helmut Gehrung, Stgt.-Plieningen<br />
Ingrid Grischtschenko, Stetten<br />
Andreas Klütz, Bernhausen<br />
Helmut Schumacher, Bernhausen<br />
Irene Sekler, Ostfildern-Kemnat<br />
Steffen Siegel, Neuhausen .<br />
Ehrenvorstand: Wilhelm Hertig, Plieningen<br />
Gabi Visintin,<br />
Vorsitzende<br />
von<br />
1994<br />
bis<br />
2004<br />
2007<br />
Vorsitzender: Steffen Siegel, Neuhausen<br />
Stellv. Vors.: Ingrid Grischtschenko, Stetten<br />
Stellv. Vors.: Wolfgang Feldner, Stgt.-Plieningen<br />
Öffentlichkeitsarbeit:<br />
Gabi Visintin, Bonlanden<br />
Kassier: Eberhard Alber, Echterdingen<br />
Beisitzer: Frank Grafe, Echterdingen<br />
Rolf Keck-Michaeli, Wolfschlugen<br />
Michael von Koch, Stgt.-Möhringen<br />
Prof. Dr. Willfried Nobel, Bernhausen<br />
Dr. Jörg Schnellbach, Bernhausen<br />
Helmut Schumacher, Bernhausen<br />
Signet des Aktionskreises gegen den Flughafenausbau<br />
in den 80er Jahren<br />
Plakat von Heinz Bauer<br />
Seit kurzem in Plieningen<br />
Unterstützung von über all her<br />
Stefan Rösler (NABU)<br />
„Jede heute noch bewusst in Kauf genommene<br />
oder gar geförderte CO2-<br />
Steigerung ist, wie wenn Sie ihr Kind,<br />
das schon einen schweren Sonnenbrand<br />
hat, aktiv und bewusst weiterhin<br />
ungeschützt der Sonne aussetzen.“<br />
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Aktionstag in Bernhausen am<br />
18.06.2006 (Foto: J. Schnellbach)<br />
Werden Sie Mitglied bei der <strong>Schutzgemeinschaft</strong> <strong>Filder</strong> e.V.<br />
Jahresbeitrag: 12,50 Euro<br />
Wenden Sie sich an das SG <strong>Filder</strong><br />
Vorstandsmitglied: Rolf Keck,<br />
In den Kirchhofländern 33,<br />
72649 Wolfschlugen<br />
Mehr Informationen finden<br />
Sie unter:<br />
www.schutzgemeinschaft-filder.de<br />
Kindermal-Wettbewerb<br />
des Fördervereins Kinder-und-Jugendheim Neuhausen e.V.<br />
Aktionstag 8.7.2007<br />
Gemeinsam sind wir stärker<br />
<strong>Schutzgemeinschaft</strong> <strong>Filder</strong>,<br />
Spendenkonto<br />
Kreissparkasse Esslingen,<br />
Kontonr.: 105 976 51, BLZ: 61150020<br />
Verantwortlich: <strong>Schutzgemeinschaft</strong> <strong>Filder</strong> e.V, Steffen Siegel (Tel. 07158/5850), Gabi Visintin.<br />
Ein besonderer Dank gilt Friederike Groß, die uns ihre Karikaturen zur Verfügung stellte.<br />
Gestaltung: Carl Vogg Grafik-Design, <strong>Filder</strong>stadt<br />
Fotos: Steffen Siegel<br />
Moritz Hölzer, Neuhausen, 7 Jahre<br />
SCHUTZ-<br />
GEMEINSCHAFT<br />
FILDER