Die Reise durch Italien
Eine Leseprobe des Buches "Eine Reise durch Italien - Stationen der Erinnerungen"
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1. Juni
Gleich in der Frühe fahren wir weiter, verlassen den Ort und finden
nur wenige Kilometer entfernt einen schönen Platz auf einer
gemähten Wiese für das Frühstück. Ungefähr nach der Himmelsrichtung
und mit nur vereinzelten Blicken auf das Navi fahren wir
weiter, kommen auf winzig schmalen Wegen über die Berge und
finden uns wieder in einer total verlassenen Landschaft, ähnlich
dem Wilden Westen. Ein weites, steppenähnliches, fast bis zum
Horizont reichendes Tal liegt vor uns und ganz hinten in der Ferne
sehe ich die Hügelkette mit unserem nächsten Ziel, die Ortschaften
Catenanuova und darüberliegend Centuripe, das sich in die
höchsten Bergmulden schmiegt. Wir durchqueren das weite Tal
und beginnen den Aufstieg auf der engen Straße. Kein Auto, kein
Pferdewagen, kein Mensch begegnet uns.
Der Weg führt uns immer höher und oben liegt schließlich der
mittelalterliche Ort Centuripe, mit engen Torbögen, kleinen Brücken
und Säulen, auf denen mächtige Erker lasten. Es ist wie im
Kino. Wenn jetzt König Artus und seine Mannen mit gezücktem
Schwert die Straße auf uns zu galoppierten, es würde mich nicht
verwundern.
So aber fahren wir auf einer schmalen Gasse immer höher in die
Innenstadt; rechts stehen dichtgedrängt, Wand an Wand, die alten
Häuser, links liegt die Schlucht. Es ist kurz vor Mittag, gnadenlos
brennt die Sonne auf den Ort. Hier eine typische Trattoria in
einem kühlen Gewölbe zu finden, einheimische Pasta mit einem
guten Roten zu genießen, das wär’s. Vielleicht bin ich durch diese
hoffnungsvollen Gedanken etwas unaufmerksam geworden. Die
Leute auf der Straße betrachten uns jedenfalls etwas eigenartig
und plötzlich winkt ein Mann und ruft etwas. Und nach noch
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einem weiteren kurzen Stück haben auch wir verstanden. Die
Straße endet und wird zum Fußweg mit weiter höher führenden
Absätzen und Treppen. Unsere Reise ist beendet. Wir stehen ratlos
neben einem Haus, das breite gewölbte Tor ist geöffnet, darin
arbeiten mehrere Männer an einem Auto. Reifenwechsel. Es ist
eine Reparaturwerkstatt, voll mit Werkzeugen und Geräten, manche
davon vielleicht noch aus Zeiten Garribaldis. Der Chef kommt
zu uns heraus und erklärt, dass es hier nicht weitergeht. Aber das
haben wir schon selbst gesehen. Kurze Überlegung, dann schlägt
er die folgende Vorgehensweise vor: Wir fahren im Rückwärtsgang
ein paar Meter zurück, er montiert das Rad wieder an das Reparaturfahrzeug
in seiner Werkstatt. Dann fährt er das Auto hinaus,
soweit es geht nach oben, wir folgen, stoßen rückwärts in seine
Werkstatt hinein, rangieren vorwärts wieder hinaus und können
dann den Weg zurückfahren, auf dem wir bergauf gekommen
sind. Es ist alles sehr eng, die Werkstatt ist ein Gewölbe, also heißt
es auch, mit der Fahrzeughöhe an den Seiten aufzupassen. Alle
helfen mit, jeder gibt Ratschläge und an jeder Ecke steht jemand,
der winkt und schaut, ob es noch geht. Lautstark erklingen die
Hinweise wie »avanti, es geht noch«, »weiter rechts«, »einschlagen«
und vor allem »Attenzione Signora, lento.« Mehrfaches Rangieren,
schwitzen, rufen und fragen, aber alle behalten die Nerven. Auch
meine Fahrerin. Tatsächlich gelingt es, das Fahrzeug wieder in
Fahrtrichtung aus der Werkstatt hinaus zu bekommen. Wo wir
denn eigentlich hin wollen, fragt der Chef. Wenn ich ihm jetzt
gesagt hätte, »das weiß ich auch nicht, wir fahren nur spazieren«,
das hätte niemand hier verstanden. Also nenne ich den Namen
einer Ortschaft in der Nähe. Das sei wegen der vielen Baustellen
»molto complicato«, meint er, fährt uns mit seinem Motorrad
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über die schmale Straße voraus und bringt uns zurück auf den
richtigen Weg. Ich versuche, ihm zu erklären, dass dies wirklich
nicht notwendig sei, aber er lässt sich nicht mehr davon abbringen,
zumal er das »M« auf unserem Kennzeichen gesehen hat und
auch er vom Fußball und vom Oktoberfest träumt. Wir schaffen
es, die ganze lange und enge Straßenzeile wieder zurückzufahren.
So kommen wir, ohne es zu wollen und schneller, als wir vorhatten,
wieder aus dem romantischen Ort Centuripe heraus, aber
unser Helfer bleibt noch auf der Straße stehen, winkt und beobachtet,
ob wir auch wirklich den richtigen, von ihm beschriebenen
Weg nehmen, bereit bei der kleinsten Abweichung sofort mit dem
Motorrad uns nachzufahren, um uns auf den richtigen Weg zu
leiten. Aus dem Essen im Mittelalter wird nichts.
Wir fahren also weiter und reden darüber, irgendwo ein bisschen
Olivenöl zu kaufen, um es den Kindern zuhause mitzubringen.
Über den weiteren Streckenverlauf haben wir uns mittlerweile
mit dem Navi geeinigt.
Und dann befinden wir uns wieder mitten im Chaos. Ein Gewirr
von Baustellen, Straßensperren und Umleitungen umfängt
uns. Offensichtlich hatte der Chef der Auto-Werkstatt mit seiner
Warnung recht gehabt. Wir sind allein, bleiben mitten auf einer
Kreuzung stehen und versuchen, die Wegweiser zu entziffern. Die
meisten sind verbogen, abgebrochen oder die Beschriftung ist in
der südlichen Sonne unlesbar verblichen. Ein Auto mit zwei Männern
darin kommt uns entgegen, hält neben uns und die beiden
wollen wissen, was wir suchen. Wir fragen nach dem Weg zu besagter
Ortschaft, der uns jetzt ziemlich lange und ausführlich erklärt
wird. Drei oder vier andere Autos, die inzwischen auch an
der Kreuzung eingetroffen sind, warten geduldig und ohne zu hu-
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pen. Danke, und ach ja, dann noch die Frage, ob die beiden vielleicht
auch wüssten, wo wir Olivenöl kaufen könnten. Die beiden
schauen sich an, dann weitere langwierige Erklärungen, die mit
der Aufforderung enden, wir sollten ihnen einfach hinterherfahren.
Das tun wir; sie wenden und wir folgen ihnen. Nach zwanzig
Minuten Hinterherfahren durch wildeste Straßen, Sträßchen und
Feldwege kommen uns die ersten Zweifel. Endlich erreichen wir
eine Kleinstadt und fahren wie im Auto-Scooter auf dem Oktoberfest.
Von links und rechts, von überall kommen Autos. Ein
Gewirr von Straßen und Gässchen. Wer da gerade Vorfahrt hat, ist
nur zu vermuten. Sicher werden wir jetzt gleich da sein, so nehmen
wir an. Aber die beiden halten nirgends, der Ort wird durchquert
und auch wieder verlassen. Wir blicken uns belustigt an.
Drei Möglichkeiten erscheinen uns mittlerweile als wahrscheinlich:
Sie haben uns nicht richtig verstanden und bringen uns zu
einem Supermarkt, wo wir Olivenöl kaufen könnten. Oder sie
fahren mit uns zu ihrer Familie und schenken uns eine Flasche
ihres eigenen Öls. Oder aber drittens, sie haben uns tatsächlich
richtig verstanden und bringen uns zu einem weit entfernten Öl-
Bauern, den sie kennen. Nach weiteren zehn Minuten biegen sie
ab in einen großen, modernen Fabrikhof, die Aufschrift »Olio«
prangt am Tor. Wir fahren hinein und atmen durch. Sogleich beginnen
die beiden heftig, auf einen vor einer Halle stehenden
Mann einzureden. Trotz der sizilianischen Mundart glaube ich
verstehen zu können, dass jetzt Mittagszeit und der Chef beschäftigt
sei.
Doch es dauert nicht lange, der Chef erscheint, ein junger
freundlicher Mann, er zeigt uns seinen Betrieb, eine Internetpräsentation,
die neuesten Pressen und Abfüllanlagen, und uns wird
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langsam klar, dass wir in einer der größten und modernsten Olivenöl-Manufakturen
Siziliens stehen: Olio Consoli in Adrano.
Unsere beiden »Führer« verabschieden sich höflich und sind ehrlich
erfreut, uns geholfen zu haben. Wunderbare, wohlschmeckende
und wohlriechende Produkte werden uns präsentiert, alles
in Bio-Qualität. Wir sind mehr als nur erstaunt. In kürzester Zeit
beschließen wir, künftig sizilianisches Olivenöl nach Deutschland
zu importieren und bei uns zu Hause zu verkaufen. Und ehe wir
uns versehen, befinden wir uns auf einem gewaltigen Einkaufstrip.
Aus den geplanten drei bis vier kleinen Flaschen ist eine ganze
Palette der besten und verschiedensten Öle geworden. Die gesamte
Sendung wird noch in unserem Beisein zusammengestellt und
für die Spedition vorbereitet.
Wir verabschieden uns hocherfreut, nicht ohne dem Chef, wie er
es gewünscht hat, noch unseren Iveco – diesmal auch von innen –
gezeigt zu haben.
Die Strecke führt uns über immer kleiner werdende Straßen an
der westlichen Seite des noch immer spuckenden Ätna hinauf.
Dort, wo die Straße schließlich endgültig endet, finden wir auf
einem kleinen Besucherparkplatz eine wunderbare Bleibe, alleine
und mitten in der Natur, mit Aussicht auf die in der Nacht rötlich
gefärbte Kraterspitze. Gelegentlich vernehmen wir ein tiefes
Grummeln, das wir aber lieber nicht deuten wollen.
Ich erinnere mich an die Erzählungen meiner Mutter und an
den rötlich schimmernden Lavabrocken, den sie mir aus Sizilien
vom Ätna mitgebracht hat. Meiner ganzen Schulklasse hatte ich
ihn damals zeigen müssen. Gedankenverloren packe auch ich ein
Stück Lava in eine Papiertüte ein und lege es in unser Auto.
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