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wer saniert den schweizer gebäudepark? - LESERF Architekten, Bern

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TALk<br />

WER SANIERT DEN<br />

SCHWEIZER GEBÄUDEPARK?<br />

Renovainvest hat vier ausgewiesene Fachpersonen zu einem Gespräch über Minergie und die Situation im Sanierungsmarkt<br />

Schweiz eingela<strong>den</strong>: Hansruedi Kunz, Abteilungsleiter Energie beim Kanton Zürich, <strong>den</strong> <strong>Architekten</strong><br />

Thierry Leserf, <strong>den</strong> Bauherrenvertreter Jürg Hirschi und Franz Beyeler, Geschäftsführer Minergie.<br />

INTERvIEW: ROLAND SCHöNENBERGER<br />

FOTOS: PALMA FIACCO<br />

Renovainvest: Heute wird zwar breit<br />

über <strong>den</strong> Klimawandel debattiert, im<br />

Schweizer Gebäudepark bewegt sich aber<br />

kaum etwas, um <strong>den</strong> Energieverbrauch zu<br />

reduzieren. Wie sehen Sie die Situation?<br />

Hansruedi Kunz: Wenn wir vom Zürcher<br />

Energieamt <strong>den</strong> Gesamtbestand der Bau-<br />

ten betrachten und vergleichen, wie viele<br />

Häuser mit Bewilligung erneuert <strong>wer</strong><strong>den</strong>,<br />

dann weicht dieser Zyklus deutlich von<br />

Jürg Hirschi: Gesetze machen viele Bauherren kopfscheu.<br />

renova!nvest<br />

demjenigen ab, der für die Werterneue-<br />

rung notwendig wäre. Sanierungen ohne<br />

Baubewilligung kompensieren dies aus<br />

unserer Sicht nicht. Insgesamt ist sicher<br />

ein Rückstand vorhan<strong>den</strong>.<br />

Thierry Leserf: Es wird seit langem zu-<br />

wenig <strong>saniert</strong>. Nach dem 2. Weltkrieg<br />

konzentrierten sich alle auf Neubauten.<br />

Saniertwurdekaum,waseingesellschafts-<br />

politisches Problem sein dürfte: Sowohl<br />

bei Abstimmungen wie bei Baueingaben<br />

wird nur über die Erstellungskosten ge-<br />

sprochen. Was nachher kommt, was die-<br />

se Häuser kosten, wird nie thematisiert.<br />

Bei Privaten oder der öffentlichen Hand<br />

ist darum selten eine Kasse da, um nach<br />

20 Jahren die Sanierungen zu zahlen. Es<br />

handelt sich also weniger um einen Stau,<br />

als um ein grundsätzliches Versäumnis.<br />

Franz Beyeler: Dieses gesellschaftspoli-<br />

tische Problem würde sich schnell auflö-<br />

sen, wenn sich Liegenschaftsbesitzer wie<br />

Autobesitzer verhalten wür<strong>den</strong>: Es gäbe<br />

nur noch wunderbare Gebäude. Wenn<br />

sich umgekehrt die Autobesitzer wie die<br />

Liegenschaftsbesitzer verhalten wür<strong>den</strong>,<br />

dann hätten wir auf <strong>den</strong> Strassen nur 50-<br />

jährige Autos, also VW-Käfer der ersten<br />

Generation!<br />

Thierry Leserf: Stichwort Auto, da sehe<br />

ich ebenfalls Parallelitäten. Die Frage ist<br />

ja der Zusammenhang von Klimadebatte<br />

und Sanierungsstau. Ich behaupte, dass<br />

hat gar keinen Zusammenhang: Denn<br />

Franz Beyeler: Warum nicht Häuser wie Autos pflegen?<br />

<strong>wer</strong> fährt weniger Auto, weil das Benzin<br />

teurer ist? Im Moment noch niemand. Ich<br />

behaupte auch, dass jetzt nicht mehr sa-<br />

niert wird, weil man jetzt plötzlich mehr<br />

über die Klimaproblematik spricht.<br />

Hansruedi Kunz: Diese Klimadebatte<br />

wird beim Erneuerungsverhalten nicht<br />

viel verändern. Diejenigen, die für etwas<br />

energetisch Geschicktes motiviert waren,<br />

die waren es schon vorher. Neue stossen<br />

kaum dazu. Die Anreize sind zu klein und<br />

die Selbstüberwindung zu gross, um Geld<br />

in die Hauserneuerung zu investieren.<br />

Nr. 4 November 2007


Jürg Hirschi: Eigenheimbesitzer ab 50<br />

Jahren haben letztlich keinen Mut mehr,<br />

noch einmal zu bauen, Sanierungen zu<br />

machen und Baulärm in Kauf zu nehmen.<br />

Aber auch die Gesetze, die wir haben, ma-<br />

chen sie kopfscheu. Zudem <strong>den</strong>ken viele:<br />

Wenn sie etwas investieren wür<strong>den</strong>, hät-<br />

ten sie 10 Prozent Mehrkosten und fragen<br />

sich, wie man die amortisieren könnte.<br />

Renovainvest: Ein springender Punkt<br />

sind die Kosten. Können die Subventio-<br />

nensbeiträge der Kantone die Situation<br />

verbessern?<br />

Hansruedi Kunz: Subventionen sind ein<br />

Thema aber man muss sich über die Rol-<br />

le des Staates im Klaren sein. Da baut ein<br />

Privater ein Haus, hat das Geld nicht, um<br />

es zu erneuern und dann subventioniert<br />

ihn der Staat, damit er sein Eigenheim<br />

erneuern kann. Ist das die Zielsetzung?<br />

Eine staatsquotenneutrale Lenkungsab-<br />

gabe auf der Energie, wie die CO 2 -Abgabe,<br />

die ab 2008 eingeführt wird, wäre da aus<br />

staatlicher Sicht eine prüfens<strong>wer</strong>te Alter-<br />

native. Man verpflichtet <strong>den</strong> Hausbesitzer<br />

nicht, etwas zu machen, aber man gibt<br />

ihm einen Anreiz, über das Thema Ener-<br />

giekosten nachzu<strong>den</strong>ken. Über Subventi-<br />

onen gibt man lediglich durch Vorzeigeob-<br />

jekte kurzfristig Anreize, um die Leute für<br />

ein Thema zu sensibilisieren. Es ist aber<br />

illusorisch, mit staatlichen Subventionen<br />

<strong>den</strong> gesamten Gebäudepark der Schweiz<br />

verändern zu wollen.<br />

Franz Beyeler: Ich <strong>den</strong>ke auch, dass es<br />

nicht die Aufgabe des Staates ist, <strong>den</strong> Ge-<br />

bäudepark zu erneuern. Das ist die Auf-<br />

gabe jedes Besitzers, die er ja auch bei<br />

seinem Auto oder bei seiner Gesundheit<br />

übernimmt. Auf der anderen Seite habe<br />

ich steuerliche Vorteile, wenn ich ein<br />

Gebäude saniere, was man anscheinend<br />

immer noch zu wenig weiss, weshalb wir<br />

extra zu diesem Thema Informationsver-<br />

anstaltungen machen.<br />

Renovainvest: Hätten die <strong>Architekten</strong> ih-<br />

rerseits Möglichkeiten, <strong>den</strong> Sanierungs-<br />

prozess zu beschleunigen?<br />

Thierry Leserf: Sie hätten Möglichkeiten,<br />

wenn sie dafür das nötige Wissen besäs-<br />

sen! Aber als Architekt ist es einfach, jah-<br />

Nr. 4 November 2007<br />

relange für jedes Projekt dieselbe Schub-<br />

lade zu öffnen. Bei finanziellen Anreizen<br />

stellt sich für mich zudem die Frage, wie-<br />

viel der bürokratische Aufwand ver-<br />

schlingt und wieviel vom ursprünglichen<br />

Topf wirklich verbaut wird. Ich bin dafür,<br />

vorhan<strong>den</strong>es Geld zu verbauen und nicht<br />

damit zu theoretisieren oder Behör<strong>den</strong> zu<br />

beschäftigen.<br />

Vergessen wir auch nicht, dass wir<br />

Schweizer ja zu zwei Dritteln ein Volk<br />

von Mietern sind. Und die Ansprüche der<br />

Mieter, die ja noch mit der hinterletzten<br />

Wohnung zufrie<strong>den</strong> sind, stimmen schon<br />

ziemlich nach<strong>den</strong>klich. Niemand fragt bei<br />

einer Wohnung nach Wärmedämmung<br />

oder Komfortlüftung. Natürlich haben wir<br />

kein Überangebot und jeder muss heute<br />

froh sein über eine Wohnung in der Stadt<br />

oder der Agglomeration. Doch eigentlich<br />

müsste der Druck der Mieter gegenüber<br />

<strong>den</strong> Eigentümern erhöht <strong>wer</strong><strong>den</strong>.<br />

Jürg Hirschi: Es gibt andererseits sehr<br />

wenige Mieter, die sagen, sie profitieren<br />

von Minergie. Bei <strong>den</strong> Garantieabnahmen<br />

im Wohnpark Von Roll müssen wir noch<br />

immer fragen, warum die Fenster ständig<br />

offen sind und die Lüftungsanlage auf<br />

Stufe 2. Diese Gewohnheiten bringen die<br />

Leute mit in eine Minergie-Wohnung und<br />

ändern sie trotz entsprechen<strong>den</strong> Informa-<br />

tionsveranstaltungen nicht so schnell. Die<br />

Hansruedi Kunz: Subventionen allein ändern wenig.<br />

TALk<br />

Thierry Leserf: Sanieren ist verpönt und kein Studienfach.<br />

Mieter zügeln wegen der Siedlung, dem<br />

grossen Wohnzimmer und der offenen Kü-<br />

che, nicht um in einer Minergie-Wohnung<br />

etwas zur Ökologie beizutragen.<br />

Thierry Leserf: Die Anleger wissen das:<br />

Ich saniere viel für die UBS oder Zurich<br />

Versicherungen, die nicht an Minergie-<br />

Sanierungen interessiert sind, weil die<br />

Nachfrage mieterseitig gar nicht da ist.<br />

Jürg Hirschi: Ob ältere oder jüngere Leu-<br />

te, es gibt einen enormen Informationsbe-<br />

darf. Hier braucht es klare Schlagworte,<br />

sonst kommen wir nicht weiter.<br />

Franz Beyeler: Das Problem ist uns be-<br />

wusst. Es erweist sich als äussert schwie-<br />

rig, diese Verhaltensänderungen zu reali-<br />

sieren. Ich vergleiche deshalb Minergie oft<br />

mit der Kartoffel, die 1537 von Südamerika<br />

nach Europa kam. Noch 257 Jahre später<br />

schrieb ein Zürcher Landarzt: ‚Esst ja kei-<br />

ne Kartoffeln, sonst <strong>wer</strong>det ihr unweiglich<br />

krank!’ Es braucht manchmal wahnsinnig<br />

lang, bis etwas akzeptiert wird. Wobei wir<br />

auch feststellen, dass heute professionelle<br />

Investoren wie Migros, Coop, Ikea oder<br />

Credit Suisse ihre Dienstleistungsbauten<br />

oder Verkaufslokale nach Minergie bau-<br />

en. Die Jugendherbergen haben es eben-<br />

falls durchgerechnet und bauen wegen<br />

dem Zusatznutzen für <strong>den</strong> Gast nur noch<br />

nach Minergie.<br />

renova!nvest


TALk<br />

Renovainvest: Was wären neben <strong>den</strong> Kos-<br />

ten mögliche Druckfaktor, um die Sanie-<br />

rungsquote zu erhöhen?<br />

Thierry Leserf: Die Ausbildung der Ent-<br />

scheidungsträger ist sehr wichtig.<br />

Renovainvest: Wie steht es mit gesetz-<br />

liche Anreizen wie beispielsweise dem Ge-<br />

bäudeenergieausweis.<br />

Hansruedi Kunz: Der Gebäudeenergie-<br />

ausweis könnte auf einer freiwilligen<br />

Basis eine Möglichkeit schaffen, dass sich<br />

Hausbesitzer und Mieter orientieren kön-<br />

nen, wo ihr Haus energetisch steht. Aber<br />

wenn dieser Ausweis obligatorisch <strong>wer</strong><strong>den</strong><br />

soll und jedes Haus alle zehn Jahre einen<br />

solchen Ausweis braucht, dann spart das<br />

keine zusätzliche Kilowattstunde Energie,<br />

sondern ist einfach ein weiterer Papierti-<br />

ger. Er kann als Informationsinstrument<br />

dienen, aber er kann kein staatliches Steu-<br />

erungsinstrument sein.<br />

Thierry Leserf: Ich bin aus zwei Grün-<br />

<strong>den</strong> gegen diesen Ausweis. Erstens habe<br />

renova!nvest<br />

ich schon genug Bürokrieg. Zweitens hat<br />

der Ausweis in Deutschland im Durch-<br />

schnitt 500 Euro gekostet, also rund 850<br />

Schweizer Franken: Das entspricht einer<br />

Wärmedämmung von 16cm für rund 40m 2<br />

Fassade!<br />

Franz Beyeler: Ich betrachte <strong>den</strong> Aus-<br />

weis nicht derart rechnerisch. Meiner<br />

Ansicht nach wäre er ein zusätzliche<br />

Chance. Wenn man auf einer Immobilien-<br />

Online-Plattform suchen und dort die En-<br />

ergiekategorie des Gebäudes angegeben<br />

würde, könnten energetisch ungenügende<br />

Objekte sofort aussortiert <strong>wer</strong><strong>den</strong>. Statt<br />

ein fragliches E-Haus zu nehmen würde<br />

man nach einem B-Objekt suchen, was die<br />

Sanierungsquote wahrscheinlich positiv<br />

beeinflussen würde. Die Besitzer von En-<br />

ergieschleudern kämen nicht mehr auf<br />

<strong>den</strong> Markt und müssen folglich etwas tun.<br />

Voraussetzung ist jedoch ein Energiepreis<br />

von über 10 Rappen pro Kilowattstunde.<br />

Thierry Leserf: Das wäre schön, aber<br />

auch A- oder B- Klasse-Autos <strong>wer</strong><strong>den</strong> nicht<br />

wegen der besseren Kategorie gekauft.<br />

Franz Beyeler: Beim Auto sind es Pre-<br />

stige oder Image, die entschei<strong>den</strong>, bei<br />

Gebäu<strong>den</strong> das Schwimmbad, Grösse und<br />

Standort. Wohnkomfort durch gute Raum-<br />

luft oder angenehme Oberflächentempe-<br />

raturen sind dagegen heute noch zu wenig<br />

wichtig.<br />

Renovainvest: Wäre es <strong>den</strong>n eine Mög-<br />

lichkeit, dass die Kantone ihre Gebäude-<br />

vorschriften für Sanierungen auf <strong>den</strong> Mi-<br />

nergie-Standard heben?<br />

Hansruedi Kunz: Die Kantone sind dar-<br />

an, neue Mustervorschriften zu erarbei-<br />

ten, die im Jahr 2009 in Kraft treten sollen.<br />

Aber wir müssen schauen, wo diese Vor-<br />

schriften wirken. Bei Neubauten kommt<br />

niemand an <strong>den</strong> Vorschriften vorbei und<br />

sie entfalten sofort Wirkung. Im Erneu-<br />

erungsbereich wirken die Vorschriften<br />

aber nur, wenn jemand eine Baubewilli-<br />

gung benötigt. Bei Erneuerungen ohne<br />

Bewilligung wirken auch die Vorschriften<br />

nicht. Wenn wir nun im Erneuerungsbe-<br />

reich Minergie vorschreiben, dann sind<br />

wir eher Erneuerungskiller als Erneue-<br />

Nr. 4 November 2007


ungsförderer. Dann ist das der Anreiz für<br />

die Leute, nur noch das zu machen, was<br />

keine Baubewilligung benötigt. Denn eine<br />

Baubewilligung würde sonst sofort eine<br />

Gesamterneuerung bedingen.<br />

Franz Beyeler: Eine weitere Komplika-<br />

tion entsteht durch <strong>Architekten</strong>, die das<br />

Sanieren oft Andern überlassen. Des-<br />

halb erfolgen 60 bis 70 Prozent der Sanie-<br />

rungen ohne <strong>Architekten</strong>. Man geht für<br />

die Heizung zum Heizungsfachmann, der<br />

zwar <strong>den</strong> Heizkessel erneuert, aber sicher<br />

nicht die Fassa<strong>den</strong> und Fenster anschaut.<br />

Man müsste eine neue Zunft aufbauen,<br />

nämlich <strong>den</strong> Sanierungsmanager, der sich<br />

steuertechnisch auskennt, über die Etap-<br />

pierbarkeit Bescheid weiss und in allen<br />

Disziplinen beschlagen ist, die zur Reali-<br />

sierung beigezogen <strong>wer</strong><strong>den</strong> müssen.<br />

Jürg Hirschi: Das dürfte schwierig <strong>wer</strong>-<br />

<strong>den</strong>, <strong>den</strong>n gerade bei Privaten ist ein neu-<br />

er Trend auszumachen. Sie ziehen nicht<br />

einmal mehr Hand<strong>wer</strong>ker bei, sondern<br />

sanieren selbst! Wenn das Modell eines<br />

Sanierungsmanagers eine Chance haben<br />

Nr. 4 November 2007<br />

soll, dann müsste gesetzlich vorgegeben<br />

sein, dass solche Übungen nicht ohne<br />

Fachperson erfolgen dürfen. Womit wir<br />

wieder bei gesetzlichen Vorschriften wä-<br />

ren, die die Leute kopfscheu machen.<br />

Thierry Leserf: Ja, das Sanieren ist ver-<br />

pönt, weil man weniger verdient, respek-<br />

tive mehr arbeiten muss fürs Geld. Es ist<br />

aber auch eine Frage der Ausbildung der<br />

<strong>Architekten</strong>: Sanieren ist auch an der<br />

Fachhochschule, die sich immer mehr<br />

der ETH angleicht, kein Thema. Es wird<br />

praktisch nur Städtebau betrieben. Da<br />

ist ein Ursprung der Schwierigkeiten:<br />

Wenn ein junger Architekt auf <strong>den</strong> Markt<br />

kommt, hat er keine Ahnung, was eine<br />

Sanierung ist. Deutsche <strong>Architekten</strong> ha-<br />

ben dagegen eine viel praxisorientiertere<br />

Ausbildung.<br />

Franz Beyeler: Die Sanierungsrate in der<br />

Schweiz ist irreal tief: Wüest & Partner be-<br />

zifferten die Rate vor 2 Jahren auf 0,05‰,<br />

das heisst unser Gebäudepark wäre auf<br />

einen 2000-jährigen Lebenszyklus ange-<br />

legt! Das ist offensichtlich unmöglich:<br />

TALk<br />

Man kann eine Sanierung aufschieben,<br />

aber irgendwann steht sie an – oder man<br />

sprengt das Haus.<br />

Hansruedi Kunz: Das ist ein interes-<br />

santer Punkt: Vergleicht man, wieviel<br />

Energie ein Haus über seine Lebensdau-<br />

er verbraucht und wieviel graue Energie<br />

in <strong>den</strong> Bau und <strong>den</strong> Abbruch des Hauses<br />

geht, dann könnte man mit gutem Gewis-<br />

sen sagen, ein Haus kann auch einmal ab-<br />

gebrochen und neu gebaut <strong>wer</strong><strong>den</strong>.<br />

Renovainvest: Wäre das eine Lösung, ins-<br />

besondere qualitativ wenig überzeugende<br />

Gebäude aus <strong>den</strong> 50er- bis 70er-Jahren ab-<br />

zureissen, statt aufwändig zu sanieren?<br />

Franz Beyeler: Aus meiner Sicht müsste<br />

man das Abbrechen viel mehr fördern.<br />

Wie ein deutscher Immobilien-Fachmann<br />

einmal sagte: ‚Nur Dumme und Reiche sa-<br />

nieren.’ Man hat manchmal das Gefühl,<br />

jedes Haus hätte einen eigenen Charakter,<br />

<strong>den</strong> man nicht verändern möchte. Wegen<br />

Denkmalschutz oder Kernzone darf man<br />

ihn oft auch nicht verändern.<br />

renova!nvest


TALk<br />

Thierry Leserf: Es wird wirklich zuwenig<br />

abgebrochen. Aber wenn ich ein Haus ab-<br />

brechen will und es wohnen Mieter darin,<br />

dann habe ich einen Prozess am Hals. Das<br />

Projekt wird unendlich lang verzögert –<br />

oder dann ist das Haus geschützt. Da wird<br />

viel verunmöglicht.<br />

Jürg Hirschi: Gewisse Häuser müsste<br />

man in der Tat abbrechen. Aber wenn<br />

man an der Stelle des alten Hauses et-<br />

was Neues errichten will, sollten die ge-<br />

setzlichen Vorschriften nicht hinderlich<br />

sein. Wenn ich abbreche, sollte ich nicht<br />

wegen Einsprachen zwei Jahre lang war-<br />

ten müssen. Weil jeder Neubau am glei-<br />

chen Standort zehn Einsprachen bedeu-<br />

ten würde, bricht man jedoch nicht ab,<br />

sondern versucht es mit Sanieren. Sanie-<br />

rungen bedeuten aber oft Mehrkosten als<br />

anfangs budgetiert, was sich wiederum<br />

negativ auswirkt.<br />

Renovainvest: Tickt in der Schweiz in<br />

diesem Sinne eine Zeitbombe?<br />

Franz Beyeler: Die tickt nicht nur in der<br />

Schweiz: In Frankreich ist die Situation<br />

noch schlimmer, in England und Deutsch-<br />

land ungefähr vergleichbar.<br />

Thierry Leserf: In Ostdeutschland ist sie<br />

jedoch anders. Dres<strong>den</strong> ist zum Beispiel<br />

super <strong>saniert</strong>. Das mag geschichtliche<br />

Gründe haben, aber es zeigt: Wäre der po-<br />

litische Wille vorhan<strong>den</strong>, wäre vieles mög-<br />

lich. Wobei ich mir die Nebenwirkungen<br />

wie hohen Steuern und Abgaben nicht<br />

wünsche.<br />

Franz Beyeler: In Österreich stehen im<br />

Rahmen eines Förderprogramms jährlich<br />

2 Milliar<strong>den</strong> Euro für Sanierungen bereit.<br />

Trotzdem lässt sich damit gar nichts be-<br />

wegen, obwohl die Bedingungen viel ein-<br />

facher zu erfüllen sind!<br />

Thierry Leserf: Beim Klimarappen ist<br />

die Situation ähnlich: Er wird zuwenig ge-<br />

braucht, obwohl ich bei Sanierungen nach<br />

Minergie höhere Ansätze geltend machen<br />

kann! Wenn es im Detailhandel 10 Prozent<br />

gibt, sind die Lä<strong>den</strong> sofort überlaufen!<br />

Hansruedi Kunz: Das Geld wäre da, aber<br />

man muss die Leute fast zwingen, es ab-<br />

zuholen! Ein Grund scheinen die zu tiefen<br />

Fördersätze zu sein, die sich an <strong>den</strong> Qua-<br />

dratmeter Baufläche bemessen.<br />

Renovainvest: Wie steht es vor diesem<br />

Hintergrund mit der 2000-Watt-Gesell-<br />

schaft? Ist sie ein realisitisches Ziel oder<br />

bleibt sie uneinholbare Utopie?<br />

Hansruedi Kunz: Das ist eine Frage des<br />

Zeithorizonts: 2000-Watt-Gesellschaft bis<br />

2050 muss man unter Utopie abbuchen. Die<br />

Vorsichtigen sagen 2000-Watt-Gesellschaft<br />

bis 2150, was man als Vision gelten las-<br />

sen kann. Wir müssen uns einfach genau<br />

überlegen, wo unsere künftigen Probleme<br />

liegen: Müssen wir <strong>den</strong> Energieverbrauch<br />

unbedingt auf 2000-Watt reduzieren oder<br />

wäre es nicht besser, Energien zu nut-<br />

zen, die umweltfreundlich sind und uns<br />

von dieser Reduktion entbin<strong>den</strong> wür<strong>den</strong>?<br />

Für mich ist die CO 2 -Reduktion auf eine<br />

Tonne pro Jahr und Einwohner fast das<br />

wichtigere Ziel. Ich vertraue noch auf <strong>den</strong><br />

Erfindergeist der Menschheit. Deshalb<br />

müssen wir vor allem Leitplanken bei der<br />

Klimabelastung setzen und nicht das Spa-<br />

ren in vollendeter Form predigen.<br />

Thierry Leserf: Die 2000-Watt-Gesell-<br />

schaft ist eine Utopie, aber Utopie meint ja<br />

eine Wunschvorstellung, die man mit heu-<br />

tigen technischen Mitteln noch nicht er-<br />

reichen kann. Langfristig sind viele Uto-<br />

pien realisert wor<strong>den</strong>. Ich bin überzeugt,<br />

dass uns die Realität bald einholen wird.<br />

Wenn man schaut, was in diesem Bereich<br />

in <strong>den</strong> letzten 20 Jahren gegangen ist, hat<br />

sich doch vieles bewegt, sehr viel sogar.<br />

Das Um<strong>den</strong>ken hat ganz stark stattgefun-<br />

<strong>den</strong>, Energie ist in jeder Bausitzung und<br />

jedem Baustellengesuch ein Thema, was<br />

es vor 10 oder 15 Jahren noch nicht war.<br />

Franz Beyeler: Insgesamt ist heute die<br />

Bereitschaft zum besseren Bauen da. Alle<br />

Dämmstoffhersteller in der Schweiz ha-<br />

ben beispielsweise längere Lieferzeiten<br />

haben! Es wird zwar gut gedämmt, aber<br />

man ist sich der bauphysikalischen Fol-<br />

gen viel zuwenig bewusst. Minergie ver-<br />

langt genau deshalb eine Komfortlüftung<br />

Hansruedi Kunz: 2000-Watt-Gesellschaft<br />

heisst aber nicht nur besser bauen, son-<br />

dern auch die Wohnfläche verkleinern.<br />

Das wäre nochmals eine gewaltige ge-<br />

sellschaftliche Änderung. Ich bin einver-<br />

stan<strong>den</strong>, dass die Häuser markant besser<br />

<strong>wer</strong><strong>den</strong>, da sind wir gut unterwegs. Aber<br />

ob die Bevölkerung ohne Not Wohnfläche<br />

und Mobilität einschränkt, das ist eine an-<br />

dere Frage.<br />

Franz Beyeler: Gemäss einer Studie des<br />

Nationalfonds <strong>wer</strong><strong>den</strong> wir in der Schweiz<br />

2010 einen Anteil an Single-Haushalten<br />

von 60 Prozent haben. Zwar ist es uns ge-<br />

lungen, die Effizienz zu verbessern, doch<br />

diese Einsparungen <strong>wer</strong><strong>den</strong> alle durch<br />

<strong>den</strong> zusätzlichen Komfortanspruch und<br />

die grössere Wohnfläche aufgefressen.<br />

Thierry Leserf: Ja, das Benutzerverhal-<br />

ten ist schwierig zu ändern, was man<br />

selbst merkt, wenn man fünf Kilo abneh-<br />

men will und plötzlich das Feierabendbier<br />

nicht mehr drinliegt. Dann wirds schwie-<br />

10 renova!nvest<br />

Nr. 4 November 2007<br />

rig.

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