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Traudl's Erinnerungen - über eine alte Münchnerin und ihr unruhiges Leben

Der Autor beschreibt die Geschichte einer Münchnerin, noch vor dem Krieg geboren und in einem einsamen Bahnwärter-Häusl an der Strecke München – Rosenheim in sehr einfachen Verhältnissen von den Großeltern aufgezogen. Sie erlebt den Krieg und den danach folgenden wirtschaftlichen Aufschwung, heiratet ihre Jugendliebe, gründet mit ihm eine Existenz und hat zwei Kinder. Als ihr Mann plötzlich stirbt, bricht ihre Welt zusammen. Wieder fängt sie ganz von unten an und arbeitet sich hoch, heiratet erneut und erlebt mit diesem Mann einen steilen Aufschwung zur geschätzten Mitarbeiterin eines deutschen Multimillionärs und endet schließlich als Verkäuferin an einer Würstel-Bude in Trudering. Eine Geschichte aus dem alten München zum Nachdenken und nicht allzuweit entfernt vom Schicksal der vielen alten Leute, die vom Verein „Lichtblick e.V.“ unterstützt werden.

Der Autor beschreibt die Geschichte einer Münchnerin, noch vor dem Krieg geboren und in einem einsamen Bahnwärter-Häusl an der Strecke München – Rosenheim in sehr einfachen Verhältnissen von den Großeltern aufgezogen. Sie erlebt den Krieg und den danach folgenden wirtschaftlichen Aufschwung, heiratet ihre Jugendliebe, gründet mit ihm eine Existenz und hat zwei Kinder.
Als ihr Mann plötzlich stirbt, bricht ihre Welt zusammen. Wieder fängt sie ganz von unten an und arbeitet sich hoch, heiratet erneut und erlebt mit diesem Mann einen steilen Aufschwung zur geschätzten Mitarbeiterin eines deutschen Multimillionärs und endet schließlich als Verkäuferin an einer Würstel-Bude in Trudering.
Eine Geschichte aus dem alten München zum Nachdenken und nicht allzuweit entfernt vom Schicksal der vielen alten Leute, die vom Verein „Lichtblick e.V.“ unterstützt werden.

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In den Ferien war das wunderbar, weil meine Freunde Zeit

hatten, und wir konnten mit den einfachsten Dingen spielen.

»Drallern« – das war ein kegelförmiger Kreisel, in dem

Rillen zum Schnur aufwickeln eingefräst waren. Dieses

Holzteil stellten wir gefühlvoll mit der aufgewickelten

Schnur auf den Boden – die Schnur wurde mit Schwung

weggezogen und der Kreisel tanzte. Wem seiner sich am

längsten drehte, der hatte gewonnen.

Falls wir Kreide hatten, zeichneten wir die ganze Woche

»Himmel und Hölle« auf das Pflaster und mit einem Bein

wurde von Montag bis Sonntag gehüpft. »Fang – a – Mandl«

oder »Verstecken« waren auch sehr beliebte Spiele.

Leider waren die Ferien immer schnell zu Ende und meine

Freunde wieder in der Schule. Und ich, weil ich die Jüngste

und Kleinste war und es einen Kindergarten in dieser Gegend

nicht gab, musste wieder allein »auf da Straß« herumhängen

und träumen.

Einmal wurde ich jäh aus meinen Träumen gerissen: Ein

von der Trabrennbahn entlaufenes Pferd war frei und ohne

Halfter, mit wehender Mähne in meine Richtung unterwegs.

Schnell galoppierend, die Freiheit spürend und freudig

erregt! Schön für das Pferd – für mich aber ein schlimmes

Erlebnis. Ich hatte schreckliche Angst vor diesem

Riesentier und wollte mich verkriechen, aber es tat sich nirgends

ein Loch auf, wo ich hätte verschwinden können. Ich

stand neben dem Zaun, erstarrte und schloss die Augen.

Erst als ich das Pferdegetrampel von weiter entfernt hörte

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und sich der Straßenstaub legte, getraute ich mir, meine Augen

wieder zu öffnen und mich vom Zaun, an den ich mich

fest gepresst hatte, aus meiner Starre zu lösen. Erleichtert

und erlöst schlenderte ich in Richtung Omas Gemüsegarten

zur Müllgrube, die sich ans Bahnwärterhäusl anschloss und

durch einen hohen Bretterzaun von der Rennbahn getrennt

war.

Die Grube wurde von den Rennbahnern für den Abfall

benutzt, denn es gab ja noch keine Mülltonnen. Was es da

für Kinder nützliche Dinge gab! In dieser Fundgrube

»gruschte« ich herum: kleine Flascherl, Töpfe von Salben,

Schnüre oder Schleifen, Stofffetzen für Puppenkleider – lauter

wunderbare Dinge zum Spielen. Mit meiner Beute

konnten wir, der Kare, die Sieglinde und ich, am Nachmittag,

wenn sie von der Schule zurück, und zu Hause mit den

Hausaufgaben fertig waren, »feine Leute im Hotel« spielen,

oder »wir verreisen«. Dazu wurde Opas (zwangsläufig grün

gestrichener) Leiterwagen mit Schachteln, Strohmatten und

Kartoffelsäcken beladen, ganz oben saß meine Puppe

Marian ne, mit einer großen Schleife in Haar, passend zu

ihrem Kleid.

Am Abend kam oft ein Freund vom Opa, der Albert, um

mich zum Kontrollgang durch die Trabrennbahn abzuholen.

Zu schauen, ob die Pferde ruhig und zufrieden in ihren

Boxen standen und kein Pferd eine Kolik hatte. Dann

sperrte der »Atze«, wie der Albert genannt wurde, die Stalltüren

zu. Für mich sind diese Stunden unvergesslich, wenn

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wir durch die friedliche Abendstimmung schlenderten. Den

Geruch der Pferde, Heu und Stroh, Leder, mit irgendwelchen

Einreibungen vermischt, atmete ich ganz tief ein. Da

liebte ich diese Untiere, wenn sie in ihren Boxen sicher eingesperrt

waren.

Zum Abschluss gingen wir noch zum »Herrn Verwalter«,

um ihm zu berichten, dass alles in Ordnung sei. Albert bekam

noch ein Bierchen oder ein Glaserl Wein oder Likör,

den er manchmal nur aus Höflichkeit trank. Ich durfte mit

der Verwalterstochter spielen, sie hatte tolle Puppen und Bären

und Spielsachen, die ich nicht hatte und auch nie bekam.

Egal, ich war zufrieden, denn ich hatte Menschen, die

mich mochten und sich mit mir beschäftigten, es war ein

schönes Leben.

Albert hatte auch einen Sohn, den Fritz. Für mich war er

der schönste, blondeste, liebste Kerl auf der ganzen Welt. In

Fritz war ich mit meinen vier Jahren abgrundtief verliebt. Er

war Soldat und nur ab und zu bei seinen Eltern auf Heimaturlaub

zu Hause. Es reichte mir schon, ihn manchmal zu

sehen, mit ihm zu sprechen oder zu spielen. Wie ich ihn so

anhimmelte, gefiel ihm schon auch, er kaufte mir manchmal

Süßigkeiten im Kolonialwarengeschäft in der Nähe vom

Bahnwärterhäusl, und ich kam mir vor wie eine Prinzessin

und dachte: Welches Madl hat schon so einen Freund wie

ich?« Stolz war ich, wenn die Leute in seiner Anwesenheit zu

mir sagten: »Den Fritz, den mogst scho ganz gern, gell«?

Wenn der Fritz dann gelacht hat und zu den Leuten gesagt

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hat: »Ja, des Trauderl is scho a liabs Dirndl«, dann wurde ich

rot bis hinter die Ohren.

Meine geliebte Oma bekam einen Knödel groß wie ein Tennisball

am Bein, in allen Farben und ziemlich schmerzhaft.

Sie musste in die Klinik, aber ich durfte sie nicht besuchen.

Nur ein paar Tage war die Oma in der Klinik. Meine Mutter

sagte mir dann, dass die Oma eine Lungen–Embolie bekommen

hatte und daran verstorben war. Ich wusste nicht,

was eine Lungenembolie ist und ob es wirklich die Todesursache

war; die Erwachsenen haben mir den Tod der Oma

so geschildert. Ich war viereinhalb Jahre alt und endlos traurig;

ich hatte den allerliebsten Menschen der Welt verloren.

An was die Oma wirklich verstorben war, haben sie mir vielleicht

gar nicht gesagt. Ich habe oft darüber nachgedacht.

Nachdem meine Oma nun nicht mehr lebte, haben sich

meine Mutter und ihre Schwester, die Tante Betty, den

Haushalt beim Opa geteilt und sich um ihn gekümmert. Ich

war die ganze Woche beim Opa. Drei Tage war meine Mutter

da, sie hatte vorübergehend ihre Verkäuferinnen–Stelle

aufgegeben. Tante Betty war auch drei Tage da, am Sonntag

waren wir zwei allein. Das war mir der liebste Tag, der Sonntag,

da durfte ich mithelfen beim »Malzkaffee kochen und

beim Butter–Marmeladen-Brot schmieren. Ich versuchte,

auch die Betten aufzuschütteln, es blieb aber nur ein Versuch,

denn was richtet schon eine Vierjährige gegen die

schweren Betten aus? Zu klein und zu wenig Kraft!

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