MÄA-20-23 online
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TITELTHEMA<br />
Münchner Ärztliche Anzeigen<br />
Dr. Jürgen Herzog ist Ärztlicher<br />
Direktor und Chefarzt der neurologischen<br />
Rehabilitation und Frührehabilitation,<br />
der Tagesklinik für<br />
Demenz und Ambulanz sowie der<br />
neurologischen Tagesklinik an der<br />
Schön Klinik München Schwabing.<br />
Foto: Schön Klinik<br />
Akutkliniken stattfinden und daher in<br />
den Krankenhausplänen nicht vorkommen.<br />
Wir gehen aber davon aus,<br />
dass es in ganz Deutschland ca.<br />
15.000 Phase-C- oder -D-Betten<br />
gibt. Das klingt nach einer großen<br />
Zahl, ist aber de facto viel zu wenig.<br />
Auch wir bieten eigentlich Phase-Coder<br />
Phase-D-Betten an, aber wir<br />
haben so geringe Kapazitäten dafür,<br />
dass dies nicht einmal für alle unseren<br />
internen Phase-B-Patient*innen<br />
genügt, die sich im Laufe der<br />
Behandlung verbessern und so in<br />
die nächste Reha-Phase kommen.<br />
Immer wieder müssen wir Patient*innen<br />
in externe Kliniken, teilweise<br />
weit weg, verlegen – bis in den<br />
Bayerischen Wald oder ins Berchtesgadener<br />
Land. Wenn Sie berücksichtigen,<br />
dass die meisten von einem<br />
Schlaganfall Betroffenen älter sind<br />
und ebenfalls ältere, nicht so mobile<br />
Lebenspartner*innen haben, kann<br />
das ein KO-Kriterium für eine Reha<br />
sein, weil die Angehörigen dies einfach<br />
nicht schaffen.<br />
Kellert: Aber auch die Phase-B-Betten<br />
sind knapp. In München haben<br />
wir jedes Jahr schätzungsweise zwischen<br />
6.000 und 8.000 Schlaganfälle.<br />
Meiner Erfahrung nach benötigt<br />
etwa die Hälfte der Schlaganfallpatient*innen<br />
irgendeine Reha inklusive<br />
der geriatrischen Reha. Von denjenigen,<br />
die rehabilitationsfähig sind,<br />
bekommen schätzungsweise ca. 10<br />
bis <strong>20</strong> Prozent eine Phase-B-Frühreha.<br />
Da ist man schnell bei 1.000 bis<br />
1.500 Patient*innen allein in München.<br />
Als Folge werden Patient*innen<br />
häufig nicht in die richtige Rehaphase<br />
oder zu spät verlegt. Nicht<br />
jeder Schlaganfallpatient, der in die<br />
Reha-Phase B verlegt werden müsste,<br />
bekommt zeitnah ein solches<br />
Bett. Leider ist auch eine Planbarkeit<br />
oft nicht gegeben, weil sich Patient*innen<br />
immer wieder kurzfristig<br />
z.B. aufgrund einer Lungenentzündung<br />
verschlechtern, obwohl sie für<br />
eine Phase-C-Reha angemeldet<br />
wären oder weil für die Phase B<br />
angemeldete Patient*innen sich<br />
unerwartet rasant bessern. Wir können<br />
bei den Betten auch nicht einfach<br />
von B auf C wechseln, weil wir<br />
dafür jeweils andere Ressourcen<br />
brauchen.<br />
Was müsste passieren, damit die<br />
Versorgung wieder besser wird?<br />
Herzog: Die Vergütung für die Versorgung<br />
von Phase-C- und D-Patient*innen,<br />
die ja immer noch eingeschränkt<br />
sind und einen gewissen<br />
Pflegebedarf haben, müsste besser<br />
werden. Hinzu kommt noch der<br />
bürokratische Mehraufwand für diese<br />
Betten: Kliniken müssen Maßnahmen<br />
der Phasen C und D erst beim<br />
Kostenträger beantragen und auf<br />
eine Kostenübernahme warten. Dies<br />
verzögert nicht nur den so wichtigen<br />
Prozess der Verlegung, sondern<br />
führt auch dazu, dass wir deutlich<br />
weniger Phase-C-Betten haben als<br />
wir sie gerne hätten. Zu Pandemiezeiten<br />
wurde interessanterweise der<br />
Bewilligungsvorbehalt für eine Reha<br />
aufgehoben und wir Krankenhäuser<br />
konnten die Patient*innen direkt in<br />
eine Reha verlegen. Einige Multicenter-Auswertungen<br />
haben gezeigt,<br />
dass dies die Wartezeit auf einen<br />
Reha-Platz um etwa ein Viertel verkürzt<br />
und die Wahrscheinlichkeit,<br />
dass Schlaganfallpatient*innen<br />
überhaupt in die Neuroreha kommen,<br />
um ein Viertel erhöht hat. Die<br />
Bürokratie ist ein großer Hemmschuh.<br />
Was für Botschaften haben Sie an<br />
die niedergelassenen Ärztinnen<br />
und Ärzte?<br />
Kellert: Die Zusammenarbeit funktioniert<br />
meiner Meinung nach grundsätzlich<br />
sehr gut. Insbesondere die<br />
intersektorale Versorgung bietet<br />
allerdings immer noch Potential zur<br />
Verbesserung. Hier sind der Informationsfluss<br />
und die Kommunikationskanäle<br />
noch nicht optimal und ich<br />
setze große Hoffnung in eine weitere<br />
Digitalisierung der Medizin. Leider<br />
beschäftigen sich viele unserer älteren,<br />
multimorbiden Patient*innen im<br />
Krankenhaus zum ersten Mal damit,<br />
wie sie sich ihr weiteres Leben<br />
womöglich mit einer Behinderung<br />
vorstellen – der Schlaganfall kommt<br />
ja ganz plötzlich.Die hausärztliche,<br />
fachärztliche und stationäre Versorgung<br />
müsste besser ineinandergreifen,<br />
um für diese Patient*innen ein<br />
tragbares Gesamtkonzept zu entwickeln:<br />
Wollen die Patient*innen eine<br />
Versorgung zu Hause, durch die<br />
Angehörigen oder in einem Pflegeheim?<br />
Brauchen diese Patient*innen<br />
dann noch einen wertvollen Phase-B-<br />
Reha-Platz, oder nicht? Das sind Fragestellungen,<br />
die oft zusätzlich Zeit<br />
und Ressourcen kosten.<br />
Herzog: In der Sekundärprophylaxe<br />
zur Verhinderung eines weiteren<br />
Schlaganfalls hat sich in den letzten<br />
Jahren enorm viel verändert. Man<br />
kann viel bewirken, wenn man sich<br />
etwa um die Höhe des Blutdrucks,<br />
der Cholesterinwerte, die Diabeteseinstellung<br />
oder den Nikotinverzicht<br />
etc. kümmert. In der Nachsorge von<br />
Schlaganfällen wünsche ich mir von<br />
den niedergelassenen Kolleginnen<br />
und Kollegen, dass sie sich genauso<br />
als Teil der Behandlungskette sehen<br />
wie die Akut- und die Frührehakliniken.<br />
Manchmal ist das natürlich<br />
schwierig: für die Patient*innen ist<br />
es durch ihre körperlichen Einschränkungen<br />
oft sehr aufwändig, in<br />
die Praxis zu kommen und einige<br />
Patient*innen sind auch nicht sehr<br />
compliant.<br />
Das Gespräch führte Stephanie Hügler