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Verena Hammes | Jens Haverland | Rainer Kiefer | Dietrich Werner (Hrsg.): In der Liebe Christi weitergehen (Leseprobe)

Die 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen fand vom 31. August bis zum 8. September 2022 unter dem Motto »Die Liebe Christi bewegt, versöhnt und eint die Welt« erstmals in Deutschland (Karlsruhe) statt. Über 4.000 internationale Gäste aus den 352 Mitgliedskirchen haben gemeinsam debattiert, Texte verabschiedet, gesungen und gebetet. Wie viel ist davon ein Jahr nach der Vollversammlung geblieben? Woran gilt es weiterzuarbeiten? Wie sieht die Zukunft der Ökumene in Deutschland und weltweit aus? Das Arbeitsbuch »In der Liebe Christi weitergehen« widmet sich diesen Fragen. Über 40 Autorinnen und Autoren aus dem internationalen Kontext geben in kurzen Beiträgen zu acht ausgewählten Schwerpunktthemen Einblicke in die Ergebnisse der Vollversammlung und Impulse für die Weiterarbeit – vor Ort, regional, national und weltweit.

Die 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen fand vom 31. August bis zum 8. September 2022 unter dem Motto »Die Liebe Christi bewegt, versöhnt und eint die Welt« erstmals in Deutschland (Karlsruhe) statt. Über 4.000 internationale Gäste aus den 352 Mitgliedskirchen haben gemeinsam debattiert, Texte verabschiedet, gesungen und gebetet. Wie viel ist davon ein Jahr nach der Vollversammlung geblieben? Woran gilt es weiterzuarbeiten? Wie sieht die Zukunft der Ökumene in Deutschland und weltweit aus?
Das Arbeitsbuch »In der Liebe Christi weitergehen« widmet sich diesen Fragen. Über 40 Autorinnen und Autoren aus dem internationalen Kontext geben in kurzen Beiträgen zu acht ausgewählten Schwerpunktthemen Einblicke in die Ergebnisse der Vollversammlung und Impulse für die Weiterarbeit – vor Ort, regional, national und weltweit.

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<strong>Verena</strong> <strong>Hammes</strong><br />

<strong>Jens</strong> <strong>Haverland</strong><br />

<strong>Rainer</strong> <strong>Kiefer</strong><br />

<strong>Dietrich</strong> <strong>Werner</strong> (<strong>Hrsg</strong>.)<br />

<strong>In</strong> <strong>der</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>Christi</strong><br />

<strong>weitergehen</strong><br />

Zukunft und Neuaufbruch<br />

weltweiter Ökumene –<br />

ein Jahr nach Karlsruhe<br />

Ein Arbeitsbuch


<strong>In</strong>halt<br />

<strong>Verena</strong> <strong>Hammes</strong>, <strong>Jens</strong> <strong>Haverland</strong>, <strong>Rainer</strong> <strong>Kiefer</strong> und<br />

<strong>Dietrich</strong> <strong>Werner</strong><br />

Vorwort <strong>der</strong> Herausgeber. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13<br />

Radu Constantin Miron<br />

Geleitwort des Vorsitzenden <strong>der</strong> Arbeitsgemeinschaft<br />

Christlicher Kirchen in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16<br />

Heinrich Bedford-Strohm<br />

Geleitwort des Mo<strong>der</strong>ators des Zentralausschusses. . . . . . . . 18<br />

Vermächtnis Agnes Abuom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20<br />

Mo<strong>der</strong>atorin Zentralausschuss 2013–2022<br />

Vergangenheit und Zukunft<br />

Ioan Sauca<br />

Die ökumenische Familie zusammenhalten –<br />

eine Vollversammlung inmitten antagonistischer<br />

Spannungen vorbereiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27<br />

Schlüsselaufgaben <strong>der</strong> ökumenischen Bewegung<br />

im Kontext einer globalen Krise<br />

5


<strong>In</strong>halt<br />

Durch Gott berufen, seinen Zielen in <strong>der</strong> Welt<br />

zu dienen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42<br />

Die Ökumenische Bewegung nach <strong>der</strong><br />

11. Vollversammlung. Ein <strong>In</strong>terview mit Jerry Pillay<br />

Überblick und Kontext<br />

Was bleibt von <strong>der</strong> Vollversammlung des ÖRK<br />

in Karlsruhe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59<br />

Ein <strong>In</strong>terview mit Petra Bosse-Huber<br />

<strong>Verena</strong> <strong>Hammes</strong><br />

Ökumene des Herzens: Die <strong>Liebe</strong> <strong>Christi</strong> bewegt,<br />

versöhnt und eint die Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64<br />

Eine Reflexion zur bleibenden Bedeutung des Themas<br />

Simone Sinn<br />

»Die <strong>Liebe</strong> <strong>Christi</strong> drängt uns« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69<br />

Die Botschaft <strong>der</strong> Vollversammlung artikuliert<br />

Haltung und Handlungsfähigkeit in <strong>der</strong> Ökumene<br />

Andrea Riedl<br />

Deutsche Ökumene und katholische Kirche<br />

nach Karlsruhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74<br />

Dietmar Arends<br />

Aus <strong>der</strong> Mitte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79<br />

Impulse aus Karlsruhe für das ökumenische<br />

Miteinan<strong>der</strong> in Zeugnis und Dienst<br />

6


<strong>In</strong>halt<br />

Carsten Claußen<br />

Lange Wege und gemeinsame Schritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84<br />

Der Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden<br />

in Deutschland und die Mitgliedschaft im ÖRK<br />

Beate Hofmann<br />

Vom globalen Süden Handeln lernen – Das Potenzial<br />

<strong>der</strong> Ökodiakonie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89<br />

Die Relevanz <strong>der</strong> Debatte über ökumenische Diakonie<br />

im Kontext <strong>der</strong> Karlsruher Vollversammlung für das<br />

Verhältnis von Kirche/Diakonie und Gesellschaft in<br />

Deutschland<br />

Thematische Schwerpunkte <strong>der</strong><br />

Vollversammlung<br />

Einheit<br />

Susan Durber<br />

Die Relevanz <strong>der</strong> Einheitserklärung für die<br />

Zukunft <strong>der</strong> ökumenischen Bewegung in einem<br />

Kontext tiefer Konflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97<br />

Fernando Enns<br />

Gerechtigkeit, Versöhnung und Einheit –<br />

als transformierende Erfahrung des ökumenischen<br />

Pilgerwegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102<br />

7


<strong>In</strong>halt<br />

Odair Pedroso Mateus<br />

Zukunftsorientiert leben - mit göttlicher<br />

(Mit-)Leidenschaft (com-passion) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106<br />

Eine Anmerkung zur Feier des 1700. Jahrestages<br />

des Konzils von Nicäa im Jahr 2025<br />

Uta Andrée<br />

Kultur – Was ist das? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110<br />

Jugend<br />

Megan Louis Schuster<br />

Beteiligung von jungen Menschen in <strong>der</strong> Ökumene . . . . . 114<br />

Ruth Mathen<br />

Das Potenzial <strong>der</strong> asiatischen Jugend in <strong>der</strong><br />

Ökumene freisetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117<br />

Impulse und Wirkungen <strong>der</strong> Vollversammlung<br />

in Karlsruhe aus asiatischer Perspektive<br />

Dorina Diesing und Paula Lottmann<br />

Impulse aus Karlsruhe für die Zukunft<br />

internationaler ökumenischer Vernetzung . . . . . . . . . . . . . 122<br />

Benjamin Simon<br />

Aufgaben <strong>der</strong> Stärkung interkulturellökumenischer<br />

Kompetenz in <strong>der</strong> theologischen<br />

Ausbildung nach Karlsruhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125<br />

Globale und regionale Ökumenisch-Theologische<br />

<strong>In</strong>stitute<br />

8


<strong>In</strong>halt<br />

Liturgie, Bibel und Gottesdienst<br />

Elisabeth Krause-Vilmar<br />

Die Gebete als »Herzschlag« <strong>der</strong> Vollversammlung . . . . . . 128<br />

Rosalee Velloso Ewell<br />

Die Bibel durch die Augen an<strong>der</strong>er lesen . . . . . . . . . . . . . . . . 131<br />

Anne Heitmann<br />

Vielstimmig eins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135<br />

Impulse für ökumenisches und interkulturelles Singen<br />

Naher Osten<br />

<strong>Dietrich</strong> <strong>Werner</strong><br />

Unerledigte Anfragen im Blick auf den<br />

Nahost-Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138<br />

Den Schmerz <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en verstehen<br />

Sani Ibrahim Azar<br />

Streben nach Gerechtigkeit und Frieden für alle<br />

im Nahen Osten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142<br />

Zeit zu Handeln<br />

Ukraine, Belarus und Russland<br />

Georgios Vlantis<br />

Ukraine und Russland – <strong>der</strong> ÖRK als Plattform<br />

<strong>der</strong> Versöhnung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145<br />

9


<strong>In</strong>halt<br />

Natallia Vasilevich<br />

Politische Repression in Weißrussland und<br />

die Rolle <strong>der</strong> Kirchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148<br />

Andrey Kordochkin<br />

Perspektiven des Dialogs mit dem<br />

Moskauer Patriarchat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154<br />

Die Rolle abweichen<strong>der</strong> Stimmen zur Friedensethik<br />

innerhalb <strong>der</strong> Russisch-Orthodoxen Kirche<br />

Menschenrecht und Religionsfreiheit<br />

Jochen Motte<br />

Zur Zukunft <strong>der</strong> Menschenrechtsarbeit als<br />

Kernaufgabe <strong>der</strong> ökumenischen Gemeinschaft<br />

<strong>der</strong> Kirchen weltweit nach Karlsruhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159<br />

Stärkung christlicher Perspektiven auf Menschenwürde<br />

und Menschenrechte<br />

Sabine Dreßler<br />

Zur Zukunft <strong>der</strong> ökumenischen Arbeit für<br />

Religionsfreiheit weltweit als Kernmandat von ÖRK<br />

und kirchlicher Partnerschaftsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164<br />

Ökumene und Zivilgesellschaft<br />

Silke Lechner<br />

Übergriffige Störung o<strong>der</strong> wertschätzende<br />

Mahnung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168<br />

Die Bedeutung <strong>der</strong> Rede des Bundespräsidenten für<br />

die Vollversammlung<br />

10


<strong>In</strong>halt<br />

Katja Dorothea Buck<br />

<strong>In</strong> ökumenische Sprachfähigkeit investieren . . . . . . . . . . . . 171<br />

Marianne Ej<strong>der</strong>sten<br />

Die Präsenz <strong>der</strong> Vollversammlung in den<br />

sozialen Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174<br />

Sind soziale Medien die Zukunft <strong>der</strong> ökumenischen Kommunikation?<br />

Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung<br />

Lydia Funck und Antje Hei<strong>der</strong>-Rottwilm<br />

Was zum Frieden dient . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179<br />

Herausfor<strong>der</strong>ungen und Prioritäten für die Zukunft<br />

ökumenischer Friedensethik und -praxis<br />

Kenneth Mtata<br />

Was <strong>der</strong> globalen Gerechtigkeit dient . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183<br />

Herausfor<strong>der</strong>ungen und Prioritäten <strong>der</strong><br />

ökumenischen Arbeit zu Fragen <strong>der</strong> sozialen Ungleichheit<br />

und des globalen Entwicklungskonflikts<br />

Kristina Kühnbaum-Schmidt<br />

Gottes Schöpfung – <strong>der</strong> lebendige Planet . . . . . . . . . . . . . . . . 188<br />

Masiiwa Ragies Gunda<br />

Auf dem Wege zu interkulturell<br />

kompetenten Kirchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191<br />

Weiterarbeit an einer anti-rassistischen und<br />

dekolonialisierten Orientierung von Kirchen<br />

11


<strong>In</strong>halt<br />

Anhang: Zentrale Dokumente <strong>der</strong><br />

Zentralausschuss-Sitzung des ÖRK<br />

vom Juni 2023<br />

Begrüßungsworte des Vorsitzenden Bischof<br />

Dr. Heinrich Bedford-Strohm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197<br />

Bericht des Generalsekretärs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208<br />

Strategieplan des ÖRK (2023–2030) –<br />

überarbeitete Fassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255<br />

12


Vorwort <strong>der</strong> Herausgeber<br />

Im Zuge <strong>der</strong> Vorbereitung auf die 11. Vollversammlung des<br />

Ökumenischen Rates <strong>der</strong> Kirchen in Karlsruhe 2022 ist das<br />

Format eines digitalen <strong>In</strong>formations- und Netzwerktreffens<br />

entwickelt worden. Auf <strong>In</strong>itiative <strong>der</strong> Arbeitsgemeinschaft<br />

Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK) mit Unterstützung<br />

von Brot für die Welt und Evangelische Mission Weltweit und<br />

weiterer Akteur*innen kamen Menschen aus allen Teilen<br />

Deutschlands in Videokonferenzen zusammen, um sich über<br />

die Planungen <strong>der</strong> Vollversammlung zu informieren und um<br />

gemeinsam an ökumenischen Themen zu arbeiten, die die<br />

Vollversammlung prägen sollten.<br />

Der Erfolg dieser Plattform hat uns ermutigt, ein Jahr nach<br />

<strong>der</strong> Vollversammlung »<strong>In</strong> <strong>der</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>weitergehen</strong>. Zukunft und Neuaufbruch<br />

weltweiter Ökumene – ein Jahr nach Karlsruhe. Ein Arbeitsbuch«<br />

vorzulegen, das zur Weiterarbeit an den Themen des<br />

Weltkirchenrats einlädt. Denn eines ist klar: wenn es nicht<br />

gelingt, die Impulse des ÖRK in Kirchen, Gemeinden, <strong>In</strong>itiativen<br />

und Netzwerke hinein zu vermitteln, damit Anregungen<br />

aufgenommen werden können, wird vieles, was die Delegierten<br />

auf den Weg gebracht haben, ökumenische Theorie<br />

bleiben. Und gerade in Deutschland als Austragungsort spüren<br />

wir eine beson<strong>der</strong>e Verantwortung, den ökumenischen<br />

Geist weiterzutragen.<br />

Schon wenige Wochen nach dem Ende <strong>der</strong> Vollversammlungen<br />

haben wir Menschen in den Kirchen und ökumeni-<br />

13


Vorwort <strong>der</strong> Herausgeber<br />

schen Netzwerken eingeladen, einen Beitrag zu einem spezifischen<br />

Thema <strong>der</strong> 11. Vollversammlung zu schreiben. Wir<br />

sind dankbar, dass viele Freund*innen spontan zugesagt und<br />

profunde Texte eingereicht haben. Uns war wichtig, die unterschiedlichen<br />

Dimensionen ökumenischen Redens und<br />

Handelns in diesem Arbeitsbuch abzubilden und damit englischsprachige<br />

Berichte zur Nacharbeit mit einem deutschen<br />

Band zu ergänzen. Dies gilt für die grundlegenden theologischen<br />

Fragestellungen, aber auch Fragen des entwicklungspolitischen<br />

Handelns für Gerechtigkeit und Frieden, die Stärkung<br />

<strong>der</strong> Menschenrechte und Anliegen einer ganzheitlichen<br />

Mission. Gleichzeitig ist uns klar, dass wir trotz aller Bemühung<br />

um Vielfalt längst nicht alle Themen <strong>der</strong> Vollversammlung<br />

abdecken können. <strong>In</strong> kurzen, konzisen und überblicksartigen<br />

Artikeln können manche Themen nur angerissen<br />

werden und Lust machen, sich vertiefen<strong>der</strong> mit <strong>der</strong> Thematik<br />

auseinan<strong>der</strong>zusetzen. Um jedem und je<strong>der</strong> den Einstieg in<br />

die ökumenischen Themen zu ermöglichen, haben wir uns<br />

entschieden, die Beiträge aus <strong>der</strong> weltweiten Ökumene ins<br />

Deutsche zu übersetzen. An dieser Stelle gebührt unserem<br />

Herausgeberkreismitglied <strong>Dietrich</strong> <strong>Werner</strong> <strong>der</strong> ausdrückliche<br />

Dank für seine sensible und verständige Fleiß- und Textarbeit.<br />

Literaturhinweise am Ende <strong>der</strong> Texte laden zu Diskussion und<br />

Weiterarbeit ein. Wir freuen uns, einen Beitrag zu ökumenischen<br />

Diskursen <strong>der</strong> kommenden Jahre anzubieten.<br />

Ein beson<strong>der</strong>er Dank gilt <strong>der</strong> Arbeitsgemeinschaft Christlicher<br />

Kirchen in Deutschland, Brot für die Welt und <strong>der</strong> Evangelischen<br />

Mission Weltweit für finanzielle Zuschüsse, die das<br />

vorliegende Arbeitsbuch möglich gemacht haben.<br />

Eine Person, die den Charakter und den Erfolg <strong>der</strong> 11. ÖRK-<br />

Vollversammlung in Karlsruhe wesentlich geprägt hat, kann<br />

das Erscheinen dieses Arbeitsbuches nicht mehr miterleben.<br />

14


Die langjährige Mo<strong>der</strong>atorin des Zentralausschusses Dr. Agnes<br />

Abuom verstarb nach kurzer Krankheit am 31. Mai 2023. Aus<br />

Dankbarkeit und mit Respekt gegenüber ihrem Wirken in <strong>der</strong><br />

weltweiten Ökumene sei ihr dieses Arbeitsbuch gewidmet.<br />

Gefragt nach ihrer Hoffnung für die Zukunft hat Agnes<br />

Abuom einmal geantwortet: »Die Weltgeschichte hat uns gezeigt,<br />

dass es immer Krisen geben wird – aber, dass es auch<br />

Raum gibt, viel Gutes und <strong>Christi</strong> Werk in <strong>der</strong> Welt zu tun.<br />

Die Frage ist, wie wir uns in den Herausfor<strong>der</strong>ungen zurechtfinden,<br />

wie wir den Krisen gemeinsam und einzeln begegnen<br />

und wie wir die Fundamente unserer Krisenbewältigung kennen<br />

und anerkennen. Der christliche Glaube schenkt uns<br />

Schlüsselprinzipien, wie wir in guten und in schlechten Zeiten<br />

miteinan<strong>der</strong> umgehen, handeln und unseren Glauben und<br />

die damit verbundenen Werte ausleben können . . ..«<br />

Diese Zuversicht hat Agnes Abuom ausgestrahlt. Möge<br />

dieses Arbeitsbuch in diesem Sinne dazu beitragen, dass wir<br />

ohne Furcht in <strong>der</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>Christi</strong> <strong>weitergehen</strong> und die Aufbruchstimmung<br />

<strong>der</strong> weltweiten Ökumene von Karlsruhe zukünftig<br />

in die verschiedenen Orte und Gruppen tragen.<br />

<strong>Verena</strong> <strong>Hammes</strong>, <strong>Jens</strong> <strong>Haverland</strong>,<br />

<strong>Rainer</strong> <strong>Kiefer</strong> und <strong>Dietrich</strong> <strong>Werner</strong><br />

im August 2023<br />

Vorwort <strong>der</strong> Herausgeber<br />

15


Geleitwort des Vorsitzenden<br />

<strong>der</strong> Arbeitsgemeinschaft Christ -<br />

licher Kirchen in Deutschland (ACK)<br />

Radu Constantin Miron<br />

Als Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland<br />

(ACK) mit ihren 25 Mitgliedskirchen denken wir dankbar zurück<br />

an dieses historische Ereignis, das vor rund einem Jahr<br />

in Karlsruhe stattfand. Historisch auch deswegen, weil die<br />

jetzt lebenden Generationen voraussichtlich keine Vollversammlung<br />

des Ökumenischen Rates <strong>der</strong> Kirchen (ÖRK) hierzulande<br />

mehr erleben werden. <strong>In</strong> meinem damaligen Grußwort<br />

zur Eröffnung habe ich mir in Anspielung auf den<br />

Ortsnamen Karlsruhe gewünscht, dass die Vollversammlung<br />

»im kollektiven Gedächtnis <strong>der</strong> Christenheit nicht als Ort des<br />

Schlafes gespeichert werden wird, son<strong>der</strong>n als Ort des Wachrufes<br />

an die Welt, an die Kirchen, an uns alle«.<br />

Ein Jahr nach <strong>der</strong> Vollversammlung können wir feststellen,<br />

dass Karlsruhe ein »Aufwachen« war – weltweite Begegnung<br />

nach <strong>der</strong> Corona-Pandemie, gemeinsames Singen, Tanzen,<br />

Gotteslob, diskutieren, streiten, immer in <strong>der</strong> Gewissheit,<br />

dass wir als <strong>Christi</strong>nnen und Christen geeint sind als Glie<strong>der</strong><br />

am Leib <strong>Christi</strong>.<br />

Wie geht es nun weiter mit den Kirchen, <strong>der</strong> Ökumene, in<br />

Deutschland? Welche Impulse nehmen wir mit und wo halten<br />

wir das Feuer lo<strong>der</strong>nd, das in <strong>der</strong> ökumenischen Bewegung<br />

durch Karlsruhe neu o<strong>der</strong> wie<strong>der</strong> neu entfacht worden ist? Als<br />

Kirchen in Deutschland haben wir eine beson<strong>der</strong>e Verantwortung,<br />

die unterschiedlichen Themen <strong>der</strong> Vollversammlung<br />

16


Geleitwort des Vorsitzenden <strong>der</strong> ACK<br />

aufzunehmen, an unsere Situation anzupassen und den »Geist<br />

von Karlsruhe« weiterleben zu lassen. Diese Publikation<br />

nimmt diesen Auftrag an und versammelt mit ihrer großen<br />

Themenbandbreite Expertinnen und Experten auf den verschiedenen<br />

Gebieten. Sie gibt Anstöße, wie es mit <strong>der</strong> Ökumene<br />

in Deutschland ein Jahr nach Karlsruhe <strong>weitergehen</strong><br />

kann – verbunden in <strong>der</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>Christi</strong>, die die Welt bewegt,<br />

versöhnt und eint. Ich wünsche Ihnen, liebe Leserin und lieber<br />

Leser, dass Sie das Feuer, die <strong>Liebe</strong> und die Leidenschaft für<br />

die weltweite Ökumene in diesem Buch spüren und im wahrsten<br />

Sinne des Wortes begeistert und ermutigt werden für den<br />

weiteren gemeinsamen Pilgerweg.<br />

Erzpriester Radu Constantin Miron,<br />

Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in<br />

Deutschland (ACK)<br />

17


Vergangenheit<br />

und Zukunft


Ioan Sauca<br />

Die ökumenische Familie<br />

zusammenhalten – eine Vollver<br />

sammlung inmitten antago nis -<br />

tischer Spannungen vorbereiten<br />

Schlüsselaufgaben <strong>der</strong> ökumenischen Bewegung im<br />

Kontext einer globalen Krise<br />

Berufen, in Zeiten beispielloser Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />

zu dienen<br />

Nach dem Ausscheiden des ÖRK-Generalsekretärs, Pfarrer Dr.<br />

Olav Fykse Tveit, im März 2020, als dieser zum Vorsitzenden<br />

<strong>der</strong> Bischofskonferenz <strong>der</strong> norwegischen Kirche ernannt<br />

wurde, wurde ich gebeten, die Verantwortung für das Generalsekretariat<br />

zu übernehmen. Ich nahm die Berufung für eine<br />

Übergangszeit von zwei Monaten an und bereitete die Wahl<br />

eines neuen Generalsekretärs vor.<br />

Wir standen damals am Anfang <strong>der</strong> Covid-19-Krise und<br />

niemand konnte vorhersagen, was folgen würde. Die Krise<br />

verschärfte sich: Der Zentralausschuss konnte nicht einberufen<br />

werden und es konnten auch keine Wahlen stattfinden.<br />

<strong>In</strong> dieser schwierigen und analogielosen Situation wurde ich<br />

erneut berufen, bis Ende 2022 als amtieren<strong>der</strong> Generalsekretär<br />

im Büro des Generalsekretariats tätig zu sein und die Vorbereitungen<br />

für die 11. Vollversammlung des ÖRK in Karlsruhe,<br />

Deutschland, sicherzustellen, die von 2021 auf das Jahr 2022<br />

verschoben wurde.<br />

27


Ioan Sauca<br />

Als wir mit den Vorbereitungen für die Vollversammlung<br />

fortfuhren, hatten wir mit schwierigen und unvorhersehbaren<br />

Herausfor<strong>der</strong>ungen zu kämpfen. Alle unsere Bemühungen<br />

galten dabei dem Ziel, die ökumenische Familie inmitten antagonistischer<br />

Spannungen zusammenzuhalten und alle in<br />

<strong>der</strong> Vollversammlung zusammenzubringen. Viele sprachen<br />

davon, dass die Vorbereitungssituation für die Karlsruher<br />

Vollversammlung und ihre Herausfor<strong>der</strong>ungen denen <strong>der</strong><br />

ersten ÖRK-Vollversammlung in Amsterdam ähnelte. An<strong>der</strong>e,<br />

die sich mit all den Ungewissheiten hinsichtlich <strong>der</strong> Entwicklung<br />

<strong>der</strong> Covid-Krise konfrontiert sahen, interpretierten die Situation<br />

in spiritueller Perspektive und konstatierten: Wenn die Vollversammlung<br />

wie geplant tatsächlich stattfindet, dann kann<br />

das nur SOLA GRATIA geschehen: allein durch Gottes Gnade.<br />

Und sie fand tatsächlich wie geplant statt. Die Menschen<br />

sprechen heute von <strong>der</strong> Vollversammlung in Karlsruhe als<br />

Erfahrung einer Vorsehung, sie war eine historische und zukunftsweisende<br />

Vollversammlung, die einen klaren Weg in<br />

die Zukunft gewiesen hat.<br />

Im Folgenden werde ich versuchen, auf das Thema einzugehen,<br />

das mir gestellt wurde und kurz einige <strong>der</strong> heiklen<br />

und gegensätzlichen Herausfor<strong>der</strong>ungen beschreiben, denen<br />

wir uns bei unseren Bemühungen, die ökumenische Familie<br />

in diesen Krisenzeiten zusammenzuhalten, gegenübersahen.<br />

Die Covid-19-Krise<br />

Die Pandemie hat unzählige Menschenleben gefor<strong>der</strong>t, darunter<br />

viele Mitglie<strong>der</strong> und Leiter unserer Kirchen sowie viele<br />

ökumenische Freunde. Diese Pandemie hat uns an unsere gemeinsame<br />

Verletzlichkeit erinnert und ein starkes Gefühl <strong>der</strong><br />

28


Die ökumenische Familie zusammenhalten<br />

Solidarität zwischen den Kirchen als Gemeinschaft und mit<br />

<strong>der</strong> gesamten Menschheitsfamilie geschaffen. Gleichzeitig hat<br />

die Pandemie bestehende Ungleichheiten, insbeson<strong>der</strong>e für<br />

gefährdete Gruppen, verstärkt. Zudem hat die Pandemie hat<br />

das liturgische und pastorale Leben vieler unserer Kirchen<br />

empfindlich gestört. Doch auch wenn wir durch die Pandemie<br />

vielfach physisch voneinan<strong>der</strong> getrennt wurden, wurden wir<br />

gleichzeitig geistlich einan<strong>der</strong> nähergebracht. Wir haben neue<br />

Arbeitsweisen und die Möglichkeiten von digitalen und Online-Technologien<br />

zur Sicherstellung von Begegnung kennengelernt.<br />

Die meisten Anfragen, die wir in dieser Zeit von<br />

unseren Mitgliedskirchen erhielten, betrafen Ressourcen für<br />

Gottesdienste sowie biblische, theologische und spirituelle<br />

Materialien.<br />

Eine heikle Herausfor<strong>der</strong>ung bestand darin, dass einige<br />

Kirchen und sogar einige Kirchenführer einen apokalyptisch<br />

geprägten Diskurs über Covid und die Notwendigkeit von<br />

Impfungen propagierten und wir mit <strong>der</strong> Verbreitung einiger<br />

sehr schädlicher und irreführen<strong>der</strong> Theologien konfrontiert<br />

wurden. Es war dabei keine leichte Aufgabe, solche »Theologien«<br />

theologisch in Frage zu stellen, aber gleichzeitig sicherzustellen,<br />

dass die Kirchen das ökumenische Boot und den<br />

Runden Tisch des Dialogs nicht verlassen. Durch Gottes Gnade<br />

ist es uns gelungen, die Gemeinschaft zusammenzuhalten<br />

und eine Theologie zu för<strong>der</strong>n und verbreiten, die das Leben<br />

för<strong>der</strong>t.<br />

29


Ioan Sauca<br />

»Die <strong>Liebe</strong> <strong>Christi</strong> bewegt, versöhnt und eint die Welt«:<br />

Theologische Herausfor<strong>der</strong>ungen und Fragen zum Thema<br />

<strong>der</strong> Vollversammlung<br />

Als ich das Amt des Generalsekretärs übernahm, waren die<br />

Vorbereitungen noch im Gange, und es kamen weiterhin<br />

Kommentare und Fragen zum eigentlichen Kern des Vollversammlungsthemas<br />

von Partnern und Mitgliedskirchen, insbeson<strong>der</strong>e<br />

von denen, die in Min<strong>der</strong>heitensituationen in<br />

Asien, aber auch in Europa und den USA leben. Da sich das<br />

Thema auf die <strong>Liebe</strong> <strong>Christi</strong> ausrichtete, wurde die Frage gestellt,<br />

inwieweit ein solches Vollversammlungsthema als ausschließlich<br />

für Christen formuliert erscheint o<strong>der</strong> als triumphalistisch<br />

und exklusivistisch verstanden werden kann und<br />

ob und wie es Wege für Dialog und Zusammenarbeit mit <strong>der</strong><br />

Welt und Menschen an<strong>der</strong>er Glaubensrichtungen eröffnen<br />

könnte.<br />

Zu Beginn wurde <strong>der</strong> Akzent ganz auf die mitfühlende<br />

und barmherzige <strong>Liebe</strong> <strong>Christi</strong> für an<strong>der</strong>e gelegt und sowohl<br />

die ausgewählten Bibeltexte als auch <strong>der</strong> vorgeschlagene Gottesdienst<br />

folgten dieser inklusiven Richtung. Doch dieser Ansatz<br />

beantwortete noch nicht ausreichend die oben aufgeworfenen<br />

ernsthaften theologischen Nachfragen noch erklärte er<br />

theologisch, wie die <strong>Liebe</strong> <strong>Christi</strong> für an<strong>der</strong>e Menschen und<br />

nicht nur für die Christen gedacht war.<br />

Basierend auf einer trinitarisch orientierten Theologie –<br />

die über Jahrzehnte in ÖRK-Dokumenten entwickelt, artikuliert<br />

und vereinbart wurde – habe ich die internationale Themengruppe<br />

beraten und geleitet, die <strong>Liebe</strong> <strong>Christi</strong> in den Kontext<br />

<strong>der</strong> <strong>Liebe</strong> des dreieinigen Gottes für die ganze Welt zu<br />

stellen, die ihre umfassende Gestalt in <strong>der</strong> <strong>In</strong>karnation von<br />

Jesus Christus findet (das Konzept <strong>der</strong> recapitulatio – anake-<br />

30


Die ökumenische Familie zusammenhalten<br />

faleo, wie es vom Heiligen Irenäus von Lyon und an<strong>der</strong>en entwickelt<br />

wurde).<br />

Wenn man seinen Ausgangspunkt bei <strong>der</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>Christi</strong><br />

nimmt, spricht man von <strong>der</strong> kenotischen und unterschiedslosen<br />

<strong>Liebe</strong> Gottes in Christus für die gesamte Schöpfung. Das<br />

ist die Essenz unseres Glaubens. <strong>In</strong> dieser Richtung haben wir<br />

auch die Ausrichtung des Common Un<strong>der</strong>standing and Vision<br />

Dokuments (CUV) des ÖRK bekräftigt, in dem es heißt, dass<br />

Versöhnung und Einheit Gottes letzte in Christus verwirklichte<br />

Absicht für die Menschheit und die ganze Schöpfung<br />

sind (Kol. 1,19), die sich auch in <strong>der</strong> Barmherzigkeit <strong>Christi</strong><br />

für die Leidenden wi<strong>der</strong>spiegelt in Matthäus (9:35-39) und vielen<br />

an<strong>der</strong>en Passagen <strong>der</strong> vier Evangelien. Diese Perspektive<br />

eröffnet solide theologische Wege für den Dialog und die Zusammenarbeit<br />

mit <strong>der</strong> Welt. Dies betrachte ich als meinen<br />

konkreten Beitrag zur Klärung des Vollversammlungsthemas<br />

und zur Festlegung <strong>der</strong> neuen theologischen Richtung mit<br />

Beiträgen aus orthodoxer und altkirchlicher Perspektive.<br />

Ich betone die Bedeutung <strong>der</strong> Struktur des Gottesdienstes<br />

auf <strong>der</strong> Versammlung und insbeson<strong>der</strong>e seiner theologischen<br />

Artikulationen, da ich aus Erfahrung gelernt habe, dass <strong>der</strong><br />

Gottesdienst <strong>der</strong> am meisten wertgeschätzte, aber auch umstrittenste<br />

Teil <strong>der</strong> Vollversammlungen war. Ich war froh über<br />

das Ergebnis des Karlsruher Gottesdienstlebens, da ich nur<br />

Worte <strong>der</strong> positiven Würdigung und Anerkennung hörte.<br />

31


Durch Gott berufen, seinen Zielen<br />

in <strong>der</strong> Welt zu dienen<br />

Die Ökumenische Bewegung nach <strong>der</strong><br />

11. Vollversammlung. Ein <strong>In</strong>terview mit Jerry Pillay<br />

1. Sie haben als gewählter Generalsekretär an <strong>der</strong> Vollversammlung<br />

in Karlsruhe teilgenommen. Was war eine <strong>der</strong> wichtigsten<br />

Botschaften <strong>der</strong> Hoffnung, die Sie von <strong>der</strong> Versammlung mitgenommen<br />

haben?<br />

Ich freue mich sehr über die Gelegenheit, zu diesem Band mit<br />

Einschätzungen und Perspektiven zur Arbeit des Ökume -<br />

nischen Rates <strong>der</strong> Kirchen im Anschluss an seine 11. Voll -<br />

versammlung und zum Beginn einer neuen Periode des vom<br />

Glauben inspirierten Engagements in unserer ökumenischen<br />

Mission beizutragen. Dies gilt insbeson<strong>der</strong>e, weil wir den<br />

75. Jahrestag <strong>der</strong> Gründung des ÖRK seit Amsterdam im Jahr<br />

1948 feiern. Wir leben jetzt in einer radikal verän<strong>der</strong>ten, ja<br />

s o g a r g e f ä h r d e t e n W e l t , a n d i e w i r u n s e r e A r b e i t a n p a s s e n<br />

müssen. Die Realitäten in <strong>der</strong> Welt und in <strong>der</strong> Kirche erfor<strong>der</strong>n<br />

ökumenische Erneuerung, Relevanz und Transformation.<br />

Während wir das Zeugnis, die Arbeit und das Leben<br />

des ÖRK in den letzten 75 Jahren erinnern und feiern, bleiben<br />

wir zugleich fest verwurzelt in unserem Glauben und<br />

in unserem Ziel und sind überzeugt, dass es <strong>der</strong> Gott des<br />

Lebens ist, <strong>der</strong> die Kontrolle behält. Deshalb werden wir weiterhin<br />

freudig und zuversichtlich die Hoffnung verkünden,<br />

die wir auf den auferstandenen Herrn Jesus Christus<br />

setzen!<br />

42


Durch Gott berufen, seinen Zielen in <strong>der</strong> Welt zu dienen<br />

Ich bin mir sicher, dass die meisten von uns <strong>der</strong> Auffassung<br />

zustimmen werden, dass die 11. ÖRK-Vollversammlung letztes<br />

Jahr in Karlsruhe ein voller Erfolg war. Das Treffen vom<br />

31. August bis 8. September brachte 660 Delegierte und mehr<br />

als 4.000 an<strong>der</strong>e Teilnehmende aus allen Regionen <strong>der</strong> Welt<br />

unter dem Motto »Die <strong>Liebe</strong> <strong>Christi</strong> bewegt, versöhnt und eint<br />

die Welt« zusammen. Ich möchte unsere tiefe Dankbarkeit für<br />

die Zusammenarbeit und Unterstützung ausdrücken, die wir<br />

von den deutschen Kirchen bei <strong>der</strong> Planung und Durchführung<br />

dieser wun<strong>der</strong>baren Vollversammlung erfahren haben.<br />

Was ist in Karlsruhe passiert? Ich denke, man kann mit<br />

Recht sagen, dass die Versammlung mit ihrer Betonung <strong>der</strong><br />

<strong>Liebe</strong> <strong>Christi</strong> und <strong>der</strong> Orientierung an ihren Früchten in Gerechtigkeit,<br />

Versöhnung und Einheit wirklich »eine Ökumene<br />

des Herzens« geför<strong>der</strong>t hat. Die <strong>Liebe</strong>, unsere Selbsthingabe<br />

an Gott im Glauben und unsere Hingabe an unsere Schwestern<br />

und Brü<strong>der</strong> in Solidarität stehen jetzt fest im Mittelpunkt<br />

unseres gesamten ökumenischen Bemühens. Eine sich vertiefende,<br />

globale ökumenische Spiritualität wurde in Karlsruhe<br />

mit christozentrischem Akzent zum Ausdruck gebracht.<br />

Für mich bestand das größte Zeichen <strong>der</strong> Hoffnung auf<br />

<strong>der</strong> Vollversammlung in Karlsruhe darin, die Einheit <strong>der</strong> Kirchen<br />

zu erleben, während wir beteten, Gottesdienste feierten,<br />

die heiligen Schriften studierten, Gemeinschaft pflegten und<br />

über wichtige globale Probleme diskutierten, mit denen die<br />

Welt heute konfrontiert ist, wie z. B. Armut, Krieg, Konflikte,<br />

Gewalt, Geschlechterungerechtigkeit, Rassenungerechtigkeit<br />

und insbeson<strong>der</strong>e Klimaungerechtigkeit, neben vielen weiteren<br />

Themen. Wir hatten einige sehr schwierige Gespräche,<br />

aber wir konnten diese im Geiste <strong>der</strong> Einheit und des Friedens<br />

meistern. Wir haben erkannt, wie wichtig es ist, dass die ökumenische<br />

Bewegung in einer zerbrochenen, gespaltenen und<br />

43


<strong>In</strong>terview mit Jerry Pillay<br />

leidenden Welt weiterhin Gott gemeinsam dient. Die Einheitsbotschaft<br />

<strong>der</strong> Versammlung bringt dies gut auf den<br />

Punkt:<br />

Wir bekräftigen die Vision des ÖRK einer sichtbaren Einheit<br />

aller <strong>Christi</strong>nnen und Christen, und wir laden an<strong>der</strong>e Menschen<br />

christlichen Glaubens ein, diese Vision mit uns zu teilen. Wir<br />

laden auch Gläubige und Menschen des guten Willens ein, darauf<br />

zu vertrauen, dass eine an<strong>der</strong>e Welt möglich ist: eine gegenüber<br />

<strong>der</strong> lebenden Erde respektvolle Welt, eine Welt, in <strong>der</strong><br />

je<strong>der</strong> sein tägliches Brot und ein Leben in Fülle hat, eine dekolonialisierte<br />

Welt, eine liebevollere, harmonischere, gerechtere<br />

und friedlichere Welt möglich ist. <strong>In</strong> einer Welt nie<strong>der</strong>gedrückt<br />

durch so viel Schmerz, Qual und Angst, glauben wir, dass die<br />

<strong>Liebe</strong>, die wir in Christus gesehen haben, die befreienden Möglichkeiten<br />

<strong>der</strong> Freude, <strong>der</strong> Gerechtigkeit für alle und des Friedens<br />

mit <strong>der</strong> Erde bringt. Bewegt vom Heiligen Geist, getrieben von<br />

einer Vision von Einheit, reisen wir gemeinsam weiter, entschlossen,<br />

die <strong>Liebe</strong> <strong>Christi</strong> zu leben und seinen Schritten als<br />

seine Jünger zu folgen. Wir tragen eine Fackel <strong>der</strong> <strong>Liebe</strong> in die<br />

Welt und vertrauen auf die Zusage, dass <strong>Christi</strong> <strong>Liebe</strong> die Welt<br />

bewegt, versöhnt und eint. (Aus <strong>der</strong> Einheitserklärung <strong>der</strong><br />

11. Versammlung)<br />

Vielleicht erfor<strong>der</strong>n diese Zeiten am meisten eine ökumenische<br />

Erneuerung und Neuverpflichtung. <strong>In</strong>dem wir diese<br />

Glaubensreise, die wir Pilgerweg nennen, fortsetzen, arbeiten<br />

wir für eine Vertiefung unserer verheißenen Gemeinschaft<br />

(Einheit), eine Ausweitung <strong>der</strong> gemeinsamen Anwaltschaft<br />

(öffentliches Zeugnis) und eine <strong>In</strong>tensivierung des gemeinsamen<br />

diakonischen Handelns (Diakonie), um die Welt zu verän<strong>der</strong>n<br />

und sowohl die Menschen wie den Planeten zu retten.<br />

44


Durch Gott berufen, seinen Zielen in <strong>der</strong> Welt zu dienen<br />

Tatsächlich haben die 11. Versammlung und seitdem auch<br />

unsere Konsultationen und Planungen nicht einen radikalen<br />

Richtungswechsel, son<strong>der</strong>n eine Kontinuität unserer Mission<br />

gezeigt, verbunden mit einer <strong>In</strong>tensivierung unserer Bemühungen,<br />

unter Einschluss auch einiger taktischer Än<strong>der</strong>ungen<br />

hinsichtlich <strong>der</strong> Art und Weise, wie wir für Einheit, Zeugnis<br />

und Dienst für die Welt eintreten. Basierend auf unserem gemeinsamen<br />

Engagement als Nachfolger*innen <strong>Christi</strong> können<br />

die Gemeinschaft unseres Bundes, unser öffentliches Engagement<br />

und unsere mitfühlende Solidarität tatsächlich eine<br />

transformative Wirkung darstellen und einen entscheidenden<br />

Unterschied für die Zukunft <strong>der</strong> Welt bewirken.<br />

2. Schauen wir auf Ihre ersten Monate als Generalsekretär mit<br />

all <strong>der</strong> Verantwortung für die Arbeit des ÖRK. Können Sie<br />

schon einige Highlights und vielleicht schon einige Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />

nennen?<br />

Meine ersten Monate als ÖRK-Generalsekretär, die offiziell<br />

im Januar 2023 begannen, erwiesen sich für mich als ziemlich<br />

arbeitsreich und mit einer Reihe von Aktivitäten verbunden.<br />

Dazu gehörten Besuche bei Mitgliedskirchen und Treffen mit<br />

wichtigen Partnern, darunter dem Netzwerk <strong>der</strong> Ökumene-<br />

Referenten aus Kirchen und Werken, den Generalsekretären<br />

regionaler ökumenischer Organisationen (REOs), den Funding<br />

Partnern und vielen an<strong>der</strong>en, die den ÖRK weiterhin<br />

unterstützen, sowie an<strong>der</strong>en, die unsere Unterstützung benötigen.<br />

Es waren sehr bedeutungsvolle und fruchtbare Begegnungen,<br />

die die Gemeinschaft weiterhin stärken.<br />

Beson<strong>der</strong>s erfreulich waren Besuche in Rom bei Papst<br />

Franziskus und den Dikasterien des Vatikans sowie in Istanbul<br />

45


<strong>In</strong>terview mit Jerry Pillay<br />

bei dem Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios und dem<br />

neu eingesetzten armenischen Patriarchen Katholikos Sahak<br />

Mashalian. Sehr ermutigend waren auch meine Besuche beim<br />

National Council of Churches in <strong>In</strong>dien und Sri Lanka. Ich<br />

freue mich, berichten zu können, dass wir neben <strong>der</strong> herz -<br />

lichen Begrüßung auch eine uneingeschränkte und enthusiastische<br />

Unterstützung für die Arbeit und Pläne des ÖRK<br />

erhalten haben, zusammen mit <strong>der</strong> Zusage, weiterhin uneingeschränkt<br />

bei den vielen <strong>In</strong>itiativen und <strong>der</strong> wichtigen Arbeit,<br />

die wir <strong>der</strong>zeit unternehmen, mitzuarbeiten.<br />

Eher ernüchternd und betrüblich, ja teils entmutigend<br />

waren unsere Besuche an den türkischen Orten <strong>der</strong> Verwüstung<br />

in <strong>der</strong> türkischen Republik nach dem jüngsten Erdbeben.<br />

Mit dem Generalsekretär <strong>der</strong> ACT Alliance, Herrn Rudelmar<br />

Bueno de Faria, konnte ich nach dem Erdbeben im<br />

Februar den betroffenen Menschen meine Solidarität zum<br />

Ausdruck bringen. Es war eine herzzerreißende Erfahrung,<br />

die Verwüstung und Vertreibung so vieler Gemeinden zu sehen.<br />

Die ACT Alliance arbeitet hartnäckig und sorgfältig daran,<br />

humanitäre Hilfe in die betroffenen Gebiete in <strong>der</strong> Türkei<br />

und nach Syrien zu bringen. Die vielleicht größte Herausfor<strong>der</strong>ung,<br />

vor <strong>der</strong> wir heute stehen, ist die Frage, wie wir Gottes<br />

Welt inmitten von so viel Schmerz, Leid, Katastrophe und Gebrochenheit<br />

effektiv dienen können. Wie können wir dazu<br />

beitragen, die Einheit <strong>der</strong> Kirche zu bewahren, obgleich wir<br />

uns in deutlichen Differenzen begegnen? Wie können wir<br />

Vielfalt annehmen, auf Heilung und Versöhnung hinarbeiten,<br />

geschützte Räume für theologische und ethische Fragen schaffen<br />

und gemeinsam für Frieden inmitten <strong>der</strong> Orte von Gewalt<br />

und Konflikten arbeiten?<br />

46


Überblick und Kontext


Was bleibt von <strong>der</strong> Vollversammlung<br />

des ÖRK in Karlsruhe?<br />

Ein <strong>In</strong>terview mit Petra Bosse-Huber<br />

1. Was war Ihr persönliches Highlight während <strong>der</strong> Vollversammlung<br />

in Karlsruhe? Ist Ihnen eine Begegnung ganz<br />

beson<strong>der</strong>s in Erinnerung geblieben?<br />

Für mich ist es immer noch ein Wun<strong>der</strong>, dass die Vollversammlung<br />

überhaupt stattfinden konnte. Nach all den Hürden,<br />

vor allem bedingt durch die Pandemie und die damit<br />

notwendig gewordene Verschiebung um ein Jahr, war das bis<br />

zuletzt eine einzige Zitterpartie. Aber viele tatkräftige und betende<br />

Menschen haben dann mitgeholfen, dass nach einer<br />

unglaublich kurzen letzten Vorbereitungszeit Karlsruhe ein<br />

großes Fest des Glaubens werden konnte, mit dem Gottesdienstzelt<br />

als spirituellem Zentrum. Lassen Sie mich hier stellvertretend<br />

für die vielen, die die Hoffnung über die Jahre nicht<br />

haben sinken lassen unsere damalige Mo<strong>der</strong>atorin Dr. Agnes<br />

Abuom nennen, die am 31. Mai 2023 verstorben ist. Sie hat<br />

mich tief beeindruckt mit ihrer Klarsicht, Demut und tiefen<br />

Gläubigkeit. Wir verdanken ihr und dem ganzen Leitungsteam<br />

nicht nur für die Vollversammlung in Karlsruhe unendlich<br />

viel.<br />

2. Gibt es auch Momente, die Sie überrascht haben? Wo fanden<br />

Sie die Tage in Karlsruhe eher anstrengend? Gab es beson<strong>der</strong>s<br />

herausfor<strong>der</strong>nde Situationen?<br />

59


<strong>In</strong>terview mit Petra Bosse-Huber<br />

Bereits im Vorfeld <strong>der</strong> Vollversammlung standen ja deutliche<br />

Spannungen, gerade in Bezug auf die Positionierung <strong>der</strong><br />

Vollversammlung zum Israel-Palästina-Konflikt und zum<br />

Krieg in <strong>der</strong> Ukraine, greifbar im Raum. Gerade die Debatten<br />

um das Dokument »Streben nach Gerechtigkeit und Frieden<br />

für alle im Nahen Osten« waren kräftezehrend. Zugleich bin<br />

ich froh und dankbar über den offenen und respektvollen Austausch.<br />

Ich bin dankbar, dass es gelungen ist, neben den spannungsreichen<br />

Themen in an<strong>der</strong>en zentralen Fragen mit einer<br />

klaren gemeinsamen Stimme zu sprechen, insbeson<strong>der</strong>e in<br />

dem klaren Eintreten für Klimagerechtigkeit mit dem Dokument<br />

»Der lebendige Planet: Streben nach einer gerechten und<br />

zukunftsfähigen weltweiten Gemeinschaft«. Als positiv und<br />

durchaus nicht selbstverständlich habe ich auch wahrgenommen,<br />

dass in <strong>der</strong> Vollversammlung Konflikte in den Blick genommen<br />

werden konnten, die nicht im Mittelpunkt <strong>der</strong> Weltöffentlichkeit<br />

stehen, wie im Dokument »Folgen des Krieges<br />

in Bergkarabach von 2020«.<br />

3. Schauen wir auf die Ergebnisse <strong>der</strong> Vollversammlung. Welche<br />

Dokumente sind für die Ökumene in Deutschland von<br />

beson<strong>der</strong>er Relevanz? Können Sie eine Leseempfehlung für<br />

ein o<strong>der</strong> zwei Dokumente geben?<br />

Ich glaube, dass das Dokument »Was dem Frieden dient« in<br />

<strong>der</strong> aktuellen friedensethischen Debatte einen guten Akzent<br />

setzen kann, da es sich dem Begriff des gerechten Friedens von<br />

sehr unterschiedlichen Blickrichtungen annähert: Es fokussiert<br />

»peacebuilding« nicht allein auf die Resolution militärischer<br />

Konflikte, son<strong>der</strong>n stellt den Begriff auch in den Kontext<br />

<strong>der</strong> Überwindung sozialen Unfriedens, religiösen Machtmiss-<br />

60


Was bleibt von <strong>der</strong> Vollversammlung des ÖRK in Karlsruhe?<br />

brauchs, von Rassismus und weiteren globalen Konfliktfel<strong>der</strong>n.<br />

Dabei verweist es auf einen Reichtum an Texten und<br />

Dokumenten, die in <strong>der</strong> friedensethischen Debatte bleibende<br />

Bedeutung haben. Zugleich verbleibt das Dokument nicht im<br />

Allgemeinen, son<strong>der</strong>n spricht eine Vielzahl aktueller Konflikte<br />

an und bringt konkrete For<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Weltchristenheit<br />

zur Sprache.<br />

Und natürlich kann ich nur empfehlen, die Einheits -<br />

erklärung <strong>der</strong> Vollversammlung mit ihrer Entfaltung des<br />

Begriffs <strong>der</strong> »Ökumene des Herzens« zu studieren, gerade auch<br />

im Hinblick auf geschichtliche Linie, die das Dokument<br />

in Bezug auf die Entwicklung des Einheitsbegriffs des ÖRK<br />

zeichnet.<br />

4. Nach Ihrer Einschätzung: Jede Vollversammlung des ÖRK<br />

ist mit einer bestimmten Botschaft in die Geschichte <strong>der</strong><br />

Ökumenischen Bewegung eingegangen. Wie werden sich<br />

die Menschen in 50 o<strong>der</strong> 100 Jahren zurückerinnern? Wie<br />

wird Karlsruhe Geschichte schreiben?<br />

Ich glaube, in 50 o<strong>der</strong> 100 Jahren wird den Menschen noch viel<br />

bewusster vor Augen stehen, dass die heutige Gegenwart ein<br />

Wendepunkt in <strong>der</strong> Entwicklung unseres Planeten dargestellt<br />

hat. Sollte es dann gelungen sein, einen Weg zur Überwindung<br />

<strong>der</strong> ökologischen Krise einzuschlagen, dann wird man sich<br />

vielleicht auch daran erinnern, dass die weltweite Gemeinschaft<br />

<strong>der</strong> Kirchen dazu beigetragen hat, ein Bewusstsein für<br />

das Ausmaß <strong>der</strong> notwendigen Verän<strong>der</strong>ungen zu schaffen und<br />

mit konkreten Schritten, die vereinbart wurden, ein good<br />

practice example zu geben.<br />

61


<strong>In</strong>terview mit Petra Bosse-Huber<br />

5. Was wünschen Sie sich für die Ökumene in Deutschland?<br />

Welche Themen sollten unbedingt aufgegriffen und fortgeführt<br />

werden? Wo sehen Sie Anknüpfungspunkte für den<br />

weiteren ökumenischen Weg?<br />

Ich wünsche mir, dass das Bewusstsein für die <strong>In</strong>ternationalität<br />

und Vielfalt <strong>der</strong> Ökumene, das wir in Karlsruhe erleben konnten,<br />

in <strong>der</strong> Ökumene in Deutschland lebendig bleibt. Viele<br />

drängende Fragen unserer Zeit, denen wir uns auch als Kirchen<br />

in Deutschland stellen, sind gar nicht an<strong>der</strong>s zu fassen als in<br />

einem internationalen Horizont – seien es Fragen <strong>der</strong> Ökologie,<br />

<strong>der</strong> sozialen Gerechtigkeit o<strong>der</strong> des nachhaltigen Konsums.<br />

Zugleich haben beson<strong>der</strong>s die Gottesdienste spüren lassen,<br />

wie viel reicher unsere Spiritualität wird, wenn sie sich mehrsprachig<br />

und multitraditionell vollzieht, wenn sich die Klänge<br />

und Harmonien verschiedener musikalischer Traditionen<br />

ebenso verweben wie die spirituellen Melodien <strong>der</strong> verschiedenen<br />

Kirchen <strong>der</strong> Welt. Wenn dieser internationale Geist von<br />

Karlsruhe hier in <strong>der</strong> deutschen Ökumene weiter weht, dann<br />

hat die Vollversammlung allein dadurch schon viel bewirkt.<br />

Literaturhinweise<br />

Was zum Frieden dient: die Welt zu Versöhnung und Einheit<br />

bewegen. Erklärung <strong>der</strong> 11. Vollversammlung des Ökumenischen<br />

Rates <strong>der</strong> Kirchen (ÖRK) in Karlsruhe, Deutschland,<br />

im <strong>In</strong>ternet: https://www.oikoumene.org/de/resources/documents/the-things-that-make-for-peace-moving-the-worldto-reconciliation-and-unity.<br />

Erklärung zur Einheit <strong>der</strong> 11. Vollversammlung, Ökumenischer<br />

Rat <strong>der</strong> Kirchen, Karlsruhe, Deutschland, im <strong>In</strong>ternet: https://<br />

62


Was bleibt von <strong>der</strong> Vollversammlung des ÖRK in Karlsruhe?<br />

www.oikoumene.org/de/resources/documents/unity-statement-of-the-wcc-11th-assembly.<br />

Petra Bosse-Huber ist Auslandsbischöfin <strong>der</strong> Evangelischen Kirche in<br />

Deutschland (EKD).<br />

63


<strong>Verena</strong> <strong>Hammes</strong><br />

Ökumene des Herzens:<br />

Die <strong>Liebe</strong> <strong>Christi</strong> bewegt, versöhnt<br />

und eint die Welt<br />

Eine Reflexion zur bleibenden Bedeutung des Themas<br />

Das Motto <strong>der</strong> Vollversammlung – Zufall o<strong>der</strong> bewusst<br />

gewählt?<br />

Als das Motto <strong>der</strong> 11. Vollversammlung des Ökumenischen<br />

Rates <strong>der</strong> Kirchen bekannt gegeben wurde, gab es unterschiedliche<br />

Reaktionen. Einige jubelten über den theologischen<br />

Sinngehalt, an<strong>der</strong>e fanden das Motto zu lang, zu schwierig,<br />

zu »churchy«.<br />

Mottos <strong>der</strong> Vollversammlungen des ÖRK sind nicht einfach<br />

rein zufällig gewählte Slogans, vielmehr zeichnen sie damit<br />

»einen Rahmen für die Zusammenkunft <strong>der</strong> Gemeinschaft«,<br />

wie es <strong>der</strong> Grundlagentext des ÖRK zum Motto<br />

festhält. Sie geben die Ausrichtung des künftigen Weges vor.<br />

Aus dem Motto <strong>der</strong> Vollversammlung in Busan (»Gott des Lebens,<br />

weise uns den Weg zu Gerechtigkeit und Frieden«) ist<br />

<strong>der</strong> Pilgerweg <strong>der</strong> Gerechtigkeit und des Friedens hervorgegangen.<br />

Daher war zu vermuten, dass die wichtigsten Signalwörter<br />

des Mottos <strong>der</strong> Karlsruher Vollversammlung auch ein<br />

<strong>In</strong>diz für die weitere programmatische Ausrichtung <strong>der</strong> weltweiten<br />

Christenheit sein würden.<br />

Zunächst muss festgehalten werden, dass das Thema in<br />

<strong>der</strong> englischen Originalversion an<strong>der</strong>s klingt als in <strong>der</strong> dann<br />

folgenden offiziellen deutschen Übersetzung. Aus »Christ’s<br />

64


Ökumene des Herzens<br />

Love Moves the World to Reconciliation and Unity« (wörtlich:<br />

»Die <strong>Liebe</strong> <strong>Christi</strong> bewegt die Welt zu Versöhnung und Einheit«)<br />

wurde »Die <strong>Liebe</strong> <strong>Christi</strong> bewegt, versöhnt und eint die<br />

Welt«. Mit dieser leichten Verschiebung erhoffte man sich,<br />

durch die Wahl von Verben anstatt Substantiven die Dynamik<br />

des Mottos besser sichtbar zu machen.<br />

<strong>Liebe</strong><br />

Die Zusage »Gott ist <strong>Liebe</strong>« (1. Joh 4,16) und die Verheißung<br />

<strong>Christi</strong> »Wie mich <strong>der</strong> Vater geliebt hat, so habe ich euch geliebt«<br />

(Joh 15,9), aber auch paulinische Aussagen wie: »Denn<br />

ich bin gewiss, dass we<strong>der</strong> Tod noch Leben, we<strong>der</strong> Engel noch<br />

Mächte noch Gewalten, we<strong>der</strong> Gegenwärtiges noch Zukünftiges<br />

(. . .) uns scheiden kann von <strong>der</strong> <strong>Liebe</strong> Gottes, die in Christus<br />

Jesus ist« (Röm 8,38) o<strong>der</strong> das berühmte Hohelied <strong>der</strong> <strong>Liebe</strong>:<br />

»Nun aber bleiben Glauben, Hoffnung, <strong>Liebe</strong>, diese drei; aber<br />

die <strong>Liebe</strong> ist die größte unter ihnen« (1 Kor 13,13) zeigen, dass<br />

die <strong>Liebe</strong> Gottes, Fleisch geworden in Jesus Christus und bleibend<br />

präsent im Heiligen Geist, eine <strong>der</strong> wichtigsten biblischen<br />

Aussagen ist. Es war daher höchste Zeit, dass das Motiv <strong>der</strong><br />

<strong>Liebe</strong> seinen verdienten Platz im Motto einer Vollversammlung<br />

des ÖRK erhält – und das zum ersten Mal in seiner Geschichte.<br />

Die Texte zur Gebetswoche 2017, die aus Anlass des Reformationsgedenkjahres<br />

von deutschen Kirchen vorbereitet worden<br />

waren, trugen den Titel: »Versöhnung – die <strong>Liebe</strong> <strong>Christi</strong><br />

drängt uns« (nach 2 Kor 5,14–20) und zeigen somit eine Spur,<br />

dass die Sprechweise von <strong>der</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>Christi</strong> durchaus Eingang<br />

gefunden hat in die ökumenische Bewegung.<br />

Die durch die Vollversammlung verabschiedete Einheitserklärung<br />

nimmt die <strong>Liebe</strong> <strong>Christi</strong> auf und for<strong>der</strong>t davon aus-<br />

65


<strong>Verena</strong> <strong>Hammes</strong><br />

gehend eine »Ökumene des Herzens«. Durch die Teilhabe an<br />

<strong>der</strong> <strong>Liebe</strong> Gottes durch den Tod und die Auferstehung <strong>Christi</strong><br />

und durch den Heiligen Geist sind wir als Kirchen aufgerufen,<br />

diese selbstlose und aufopferungsvolle <strong>Liebe</strong>, die zu nichts<br />

zwingt, niemanden drängt, son<strong>der</strong>n vielmehr ermutigt, aufbaut<br />

und Gemeinschaft konstituiert, zu verkünden und zu<br />

leben. Im Miteinan<strong>der</strong> auf dem gemeinsamen Pilgerweg zur<br />

Einheit <strong>der</strong> Christen ist es die <strong>Liebe</strong>, die uns drängt, weiterzugehen,<br />

im an<strong>der</strong>en ein Glied an dem einen Leib <strong>Christi</strong> zu<br />

sehen und so wie die ersten <strong>Christi</strong>nnen und Christen Erstaunen<br />

bei den Mitmenschen aufgrund <strong>der</strong> großen gegenseitigen<br />

<strong>Liebe</strong> zu erzeugen. Damit können <strong>Christi</strong>nnen und Christen<br />

einen Unterschied bilden zu den gewaltsamen, erniedrigenden<br />

und verachtenden Systemen und Umgangsformen <strong>der</strong><br />

heutigen Welt. <strong>In</strong> all den Herausfor<strong>der</strong>ungen, wie dem Klimawandel,<br />

den Folgen <strong>der</strong> weltweiten Pandemie, den Ungleichheiten,<br />

<strong>der</strong> digitalen Revolution, <strong>der</strong> Kriege und <strong>der</strong><br />

Hoffnungslosigkeit ist es die Pflicht von <strong>Christi</strong>nnen und<br />

Christen, die Hoffnung auf Gottes erste und vornehmste Haltung<br />

gegenüber <strong>der</strong> Welt, nämlich <strong>der</strong> <strong>Liebe</strong>, deutlich zu machen.<br />

Dann wird eine »Ökumene des Herzens« Wirklichkeit.<br />

Versöhnung und Einheit<br />

Diese beiden Begriffe mögen auf den ersten Blick sehr innerkirchlich<br />

wirken. Versöhnungsprozesse haben in <strong>der</strong> Vergangenheit<br />

sowohl in gesellschaftlichen als auch in kirchlichen<br />

Kontexten stattgefunden und meist zu stabilen, sicheren,<br />

friedvollen und zukunftsweisenden Entwicklungen geführt.<br />

Als <strong>Christi</strong>nnen und Christen sind wir Botschafterinnen und<br />

Botschafter <strong>der</strong> Verheißung, dass Gott die Welt mit sich durch<br />

66


Ökumene des Herzens<br />

seinen Sohn versöhnt hat und darum mahnt: »Lasst euch versöhnen<br />

mit Gott!« (2 Kor 5,20). Das heißt aber auch eine immer<br />

bleibende Verpflichtung, Versöhnung nicht als abgeschlossenen<br />

Prozess, son<strong>der</strong>n als immerwährendes Desi<strong>der</strong>at anzuerkennen<br />

und zu üben. Voraussetzung ist die Umkehr (metanoia).<br />

Versöhnung kann zur Einheit führen. Dass sich <strong>der</strong><br />

Ökumenische Rat <strong>der</strong> Kirchen seit jeher in seinen Grund -<br />

lagentexten als <strong>In</strong>strument mit dem Ziel <strong>der</strong> Einheit <strong>der</strong><br />

Christen versteht, zeigt, wie wichtig dieser Gedanke in <strong>der</strong><br />

ökumenischen Bewegung ist. Wie immer man die Einheit<br />

theologisch versteht, so ist sie doch Auftrag <strong>Christi</strong>, <strong>der</strong> vor<br />

seinem Tod um die Einheit gebetet hat (Joh 17,21). Einheit ist<br />

und bleibt Gabe und Aufgabe zugleich und doch ist es in einer<br />

immer stärker polarisierten und zerrissenen Welt drängen<strong>der</strong><br />

als zuvor, die Einheit <strong>der</strong> Christen untereinan<strong>der</strong> sichtbar zu<br />

machen und zu bezeugen, dass es möglich ist, Einheit in Vielfalt<br />

zu leben.<br />

Schlussbemerkungen: Bleibende Relevanz des Themas<br />

Die Vollversammlung des ÖRK hat dazu aufgerufen, den in<br />

Busan begonnenen Pilgerweg weiterzuführen. Konsequent<br />

zum Motto ermutigt sie die Kirchen und alle Menschen guten<br />

Willens zu einem Pilgerweg <strong>der</strong> Gerechtigkeit, Versöhnung<br />

und Einheit. Als Kirchen sind wir eingeladen, uns diesem<br />

Pilgerweg anzuschließen, in Demut umzukehren, eine Ökumene<br />

des Herzens zu praktizieren und so <strong>der</strong> Welt ein Zeugnis<br />

<strong>der</strong> <strong>Liebe</strong> Gottes zu geben. Das Motto <strong>der</strong> Vollversammlung<br />

des ÖRK in Karlsruhe ist zeitlos und eine bleibende Verpflichtung,<br />

o<strong>der</strong>, um mit den Worten des Grundlagentextes zu<br />

schließen:<br />

67


<strong>Verena</strong> <strong>Hammes</strong><br />

»Das Thema <strong>der</strong> Vollversammlung ist ein Loblied auf den<br />

Gott, dessen <strong>Liebe</strong> uns in Christus bewegt. Es ist ein Bekenntnis<br />

unseres Glaubens und Vertrauens, dass es <strong>der</strong> Wille Gottes ist, uns<br />

durch <strong>Liebe</strong> zu Versöhnung und Einheit zu bewegen. Es ist<br />

eine Botschaft an die Welt über die <strong>Liebe</strong>, die im Zentrum des<br />

christlichen Glaubens steht. Es ist eine Einladung an die Kirchen<br />

und alle Menschen guten Willens in aller Welt, an <strong>der</strong><br />

allgemeinen Weisheit <strong>der</strong> <strong>Liebe</strong> teilzuhaben, die uns alle bewegt,<br />

miteinan<strong>der</strong> versöhnt zu sein und unsere wahre Einheit<br />

als Menschengeschlecht zu finden.«<br />

Literaturhinweise<br />

Die <strong>Liebe</strong> <strong>Christi</strong> bewegt, versöhnt und eint die Welt. Gedanken<br />

zum Thema <strong>der</strong> 11. Vollversammlung des Ökumenischen<br />

Rates <strong>der</strong> Kirchen, Karlsruhe 2022, im <strong>In</strong>ternet: https://www.<br />

oikoumene.org/de/resources/publications/reflection-on-thetheme-of-the-11th-assembly.<br />

<strong>Hammes</strong>, <strong>Verena</strong>, The Soul of an Assembly. The Theme of the<br />

11 th Assembly of the World Council of Churches in 2022 Seen<br />

through the Lenses of Previous Assembly Themes, in: Ecumenical<br />

Review 73 (3/2021), 404–416.<br />

Sauca, Ioan, Impulse für einen neuen Aufbruch auf dem Weg zur<br />

Versöhnung und Einheit in Christus. Die 11. Vollversammlung<br />

des Ökumenischen Rates <strong>der</strong> Kirchen in Karlsruhe, in:<br />

Ökumenische Rundschau 71 (2/2022), 138–149.<br />

Dr. <strong>Verena</strong> <strong>Hammes</strong> ist Geschäftsführerin <strong>der</strong> Arbeitsgemeinschaft<br />

Christlicher Kirchen in Deutschland, sie war Mitglied <strong>der</strong> Arbeitsgruppe<br />

zur Erstellung <strong>der</strong> Einheitserklärung.<br />

68


Thematische<br />

Schwerpunkte <strong>der</strong><br />

Vollversammlung


Einheit<br />

Susan Durber<br />

Die Relevanz <strong>der</strong> Einheitserklärung<br />

für die Zukunft <strong>der</strong> ökumenischen<br />

Bewegung in einem Kontext tiefer<br />

Konflikte<br />

»Lasst uns dafür beten, dass wir niemals versuchen zu spalten<br />

o<strong>der</strong> zu erobern, auszunutzen o<strong>der</strong> zu demütigen, durch Gewalt<br />

zu überwältigen o<strong>der</strong> Einheit zu erzwingen; und nicht<br />

länger mit den Ungleichheiten dieser Welt zu koalieren.«<br />

(Erklärung zur Einheit <strong>der</strong> 11. Vollversammlung des ÖRK)<br />

Wir leben in einer Welt voller Konflikte, die von wirtschaftlicher<br />

Ungleichheit geprägt ist und viele Menschen in Armut<br />

zurücklässt und wo oft im Namen des Profits misshandelt<br />

und ausgebeutet wird. Es gibt »Kulturkriege« und Streitigkeiten<br />

über die Natur <strong>der</strong> Menschheit, die sogar zur Rechtfertigung<br />

von Kriegen werden. Es herrscht Besorgnis über den Klimanotstand,<br />

und es wird vorhergesagt, dass es bald zu Kriegen<br />

um Wasser kommen wird. Es gibt Konflikte zwischen Nationen,<br />

zwischen politischen Ideologien, zwischen unterschiedlichen<br />

<strong>In</strong>terpretationen <strong>der</strong> Vergangenheit und unterschiedlichen<br />

Visionen für eine bessere Zukunft. Die Kirchen sind<br />

mit denselben Konflikten verbunden und schaffen auch einige<br />

eigene. Wie könnte die Einheitserklärung <strong>der</strong> 11. Vollver-<br />

97


Susan Durber<br />

sammlung des Ökumenischen Rates <strong>der</strong> Kirchen die ökumenische<br />

Bewegung in einer solchen Welt prägen?<br />

Die Kirchen haben begonnen, mehr über ihre eigene<br />

Beteiligung an den Konflikten <strong>der</strong> Vergangenheit und <strong>der</strong> Gegenwart<br />

zu verstehen, und sind in gewissem Maße entschlossen,<br />

Buße zu tun und sich von ihnen abzuwenden. Beispielsweise<br />

vertieft sich das Verständnis für die Mitschuld und<br />

Kollaboration <strong>der</strong> Kirchen an Projekten <strong>der</strong> Kolonialisierung,<br />

einschließlich des Rassismus. Und wenn die Kirchen auf die<br />

Stimmen von Frauen hören, auf die Stimme <strong>der</strong>jenigen, die<br />

mit einer Behin<strong>der</strong>ung o<strong>der</strong> aus welchen Gründen auch immer<br />

am Rande <strong>der</strong> Gesellschaft leben, dann beginnen sie zu<br />

verstehen, wie manche Formen des kirchlichen Lebens und<br />

sogar einige Formen <strong>der</strong> Ökumene verwoben sind. Dies wären<br />

dann Zeiten einer wirklichen Epiphanie.<br />

Die ökumenische Bewegung hat komplexe Wurzeln und<br />

Anfänge, von denen viele auf die gute Ursprungsintention zurückzuführen<br />

sind, sichtbare Einheit zu finden, für die Christus<br />

gebeten hat, einige aber sind auch auf tragische Weise mit<br />

dem Wunsch verbunden, an Machtpositionen in <strong>der</strong> Welt festzuhalten,<br />

Besitzstände zu verteidigen o<strong>der</strong> kulturelle Vorherrschaft<br />

auszuüben. Wenn man auf die Missionsbewegung des<br />

frühen 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts zurückblickt, haben einige das Plädoyer<br />

für die Einheit damals lediglich als einen Ruf zur Zusammenarbeit<br />

in Übereinstimmung mit den Prinzipien des<br />

damaligen Kolonialismus verstanden. Für viele, die seinerzeit<br />

zu den Empfängern einer so verstandenen missionarischen<br />

Tätigkeit gehörten, wurde eine solche Mission als rassistischer<br />

Imperialismus erlebt, <strong>der</strong> die lokale Kultur zerstörte und Ressourcen<br />

stahl. So ist die Einheit <strong>der</strong> Kirche mancherorts zu<br />

e i n e m I n s t r u m e n t d e r U n t e r d r ü c k u n g g e w o r d e n . S o g a r d i e<br />

Formen <strong>der</strong> Ökumene, die beispielsweise im traditionellen<br />

98


Die Relevanz <strong>der</strong> Einheitserklärung für die Zukunft<br />

theologischen Dialog modelliert wurden, konnten eine Form<br />

<strong>der</strong> Einheit darstellen, die eine bestimmte Art von dominantem<br />

Diskurs voraussetzt bzw. auferlegt, <strong>der</strong> für einige angenehm<br />

und vertraut ist, während er für an<strong>der</strong>e befremdend<br />

und entmächtigend ist. Das Plädoyer für die Einheit kann Teil<br />

eines Versuchs sein, legitime Meinungsverschiedenheiten<br />

zum Schweigen zu bringen, eine einheitliche Sichtweise<br />

durchzusetzen, wenn die Unterschiede groß sind, o<strong>der</strong> wenn<br />

Min<strong>der</strong>heiten durch den Einsatz kultureller o<strong>der</strong> wirtschaftlicher<br />

Macht dominiert werden. Für manche wird das bloße<br />

Wort »Einheit« als ein Code für Konformität empfunden,<br />

eine Einheit, die sich sehr nach Unterdrückung anfühlt, also<br />

nicht wie ein Geschenk Gottes, son<strong>der</strong>n wie ein allzu menschlicher<br />

Missbrauch von Macht. Wenn <strong>der</strong> Aufruf zur Einheit<br />

(miss)braucht wird, um den Willen einer dominanten Macht<br />

o<strong>der</strong> einer bestimmten Kultur, Tradition o<strong>der</strong> Kirche durchzusetzen,<br />

dann ist dies definitiv nicht die Einheit, für die<br />

Christus gebetet hat.<br />

Die Einheitserklärung <strong>der</strong> 11. Vollversammlung des ÖRK<br />

plädiert in Anerkennung dieser Geschichte für eine erneuerte<br />

ökumenische Bewegung, die nicht auf einer missbräuchlichen<br />

Verzerrung des Verständnisses von Einheit basiert, son<strong>der</strong>n<br />

auf <strong>der</strong> liebevollen, befreienden und lebensspendenden Gemeinschaft,<br />

die das Geschenk <strong>Christi</strong> darstellt für seine Kirche,<br />

eine <strong>Liebe</strong>, die er in seinem Leben, seinem Tod und seiner Auferstehung<br />

vorgelebt und die er gleichzeitig seinen Anhängern<br />

geboten hat. Eine Ökumene, die in <strong>der</strong> <strong>Liebe</strong> <strong>Christi</strong> verwurzelt<br />

ist, eine »Ökumene des Herzens«, wird sich stark von allem<br />

unterscheiden, was Gewalt, Unterdrückung o<strong>der</strong> Ausbeutung<br />

beinhaltet. Eine solche Ökumene wird <strong>der</strong> Welt einen Weg<br />

zeigen, menschliche Gemeinschaft zu schaffen und zu vertiefen,<br />

selbst über tiefe Unterschiede und Konflikte hinweg, <strong>der</strong><br />

99


Susan Durber<br />

zu Versöhnung und Frieden führt. Christliche Einheit kann<br />

keine Einheit sein, in <strong>der</strong> sich jemand dominiert, unterdrückt<br />

o<strong>der</strong> überfor<strong>der</strong>t fühlt, son<strong>der</strong>n sie stellt vielmehr eine Einheit<br />

dar, die alle zu einer gegenseitigen und liebevollen Beziehung<br />

einlädt, in <strong>der</strong> eine enge und freudige Gemeinschaft entsteht.<br />

Die ökumenische Bewegung gibt häufig Erklärungen ab,<br />

in denen sie die Konfliktparteien unserer Welt dazu auffor<strong>der</strong>t,<br />

einen gerechten und dauerhaften Frieden zu finden. Von<br />

lokalen Kirchengemeinden bis zu den globalen Bewegungen<br />

<strong>der</strong> Ökumene for<strong>der</strong>n Stimmen ein Ende von Gewalt, Ungleichheit<br />

und Krieg. Aber solche Aussagen machen dann<br />

w e n i g S i n n , w e n n s i e n i c h t a u f d e r R e a l i t ä t d e r B e w e g u n g<br />

selbst basieren. Wie kann man von den Menschen <strong>der</strong> Welt<br />

erwarten, dass sie Appelle für eine gerechte und friedliche Einheit<br />

hören, wenn sie von denen kommen, die in ihrer Gemeinschaft<br />

untereinan<strong>der</strong> selbst keine Einheit finden können?<br />

Jesus sagte bekanntlich zu seinen Jüngern:<br />

»Ihr habt gehört, dass gesagt wurde: Du sollst deinen Nächsten<br />

lieben und deinen Feind hassen.’ Ich aber sage euch: Liebt eure<br />

Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kin<strong>der</strong><br />

eures Vaters im Himmel werdet. Denn er lässt seine Sonne aufgehen<br />

über Bösen und Guten und lässt regnen über Gerechte<br />

und Ungerechte. Denn wenn du diejenigen liebst, die dich lieben,<br />

welchen Lohn hast du dann? Tun das nicht auch die Steuereintreiber?<br />

Und wenn Sie nur Ihre Brü<strong>der</strong> und Schwestern<br />

grüßen, was tun Sie dann mehr als an<strong>der</strong>e?« (Mt 5,43–47a)<br />

Mit diesen bekannten Worten, die das »Gesetz <strong>der</strong> <strong>Liebe</strong>« über<br />

das hinausführen, was die meisten Menschen für vernünftig<br />

o<strong>der</strong> erreichbar halten, bewegt uns Jesus zu einer Einheit, die<br />

sogar mit denen gefunden werden kann, mit denen wir im<br />

100


Die Relevanz <strong>der</strong> Einheitserklärung für die Zukunft<br />

Konflikt stehen, sogar mit unseren Feinden. Eine solche (auf<br />

<strong>Liebe</strong> gegründete) Einheit ist nicht <strong>der</strong> Endpunkt einer wachsenden<br />

Beziehung, son<strong>der</strong>n ihr Anfang. Wir bewegen uns<br />

nicht linear vom Feind zum Freund und dann zum Geliebten,<br />

son<strong>der</strong>n wir beginnen mit <strong>der</strong> <strong>Liebe</strong>, die Einheit schafft. Und<br />

die <strong>Liebe</strong>, die wir leben sollen, erwartet nicht, dass wir über<br />

unsere Feinde »siegen«, son<strong>der</strong>n dass wir nach Freundschaft,<br />

Gerechtigkeit und <strong>Liebe</strong> streben. Während einige Modelle <strong>der</strong><br />

Einheit nur alte Rivalitäten beenden könnten, indem sie gewaltsam<br />

einen Sieger hervorbringen, baut eine Ökumene <strong>der</strong><br />

<strong>Liebe</strong> Gemeinschaft über alle Grenzen hinweg auf und erschafft<br />

so die Welt neu.<br />

Die Welt braucht mehr denn je diejenigen, die eine auf<br />

<strong>Liebe</strong> gegründete Einheit vorleben und dafür eintreten. Es<br />

mag wie eine unmögliche Herausfor<strong>der</strong>ung erscheinen, aber<br />

es ist die, die Christus uns stellt. »Die <strong>Liebe</strong> <strong>Christi</strong> bewegt die<br />

Kirche, sie versöhnt und eint die Welt.«<br />

Reverend Dr. Susan Durber ist Europa-Präsidentin des ÖRK und war<br />

Mitglied <strong>der</strong> Arbeitsgruppe zur Erstellung <strong>der</strong> Einheitserklärung.<br />

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Bibliographische <strong>In</strong>formation <strong>der</strong> Deutschen Nationalbibliothek<br />

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in <strong>der</strong><br />

Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten<br />

sind im <strong>In</strong>ternet über http://dnb.dnb.de abrufbar.<br />

© 2023 by Evangelische Verlagsanstalt GmbH • Leipzig<br />

Printed in Germany<br />

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.<br />

Jede Verwertung außerhalb <strong>der</strong> Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne<br />

Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbeson<strong>der</strong>e<br />

für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung<br />

und Verarbeitung in elektronischen Systemen.<br />

Das Buch wurde auf alterungsbeständigem Papier gedruckt.<br />

Cover: <strong>Jens</strong> Vogelsang, Aachen<br />

Coverbild: © 2022 Ökumenischer Rat <strong>der</strong> Kirchen, Logo <strong>der</strong><br />

11. Voll versammlung des Ökumenischen Rates <strong>der</strong> Kirchen Karlsruhe<br />

Satz: Steffi Glauche, Leipzig<br />

Druck und Binden: BELTZ Grafische Betriebe, Bad Langensalza<br />

ISBN 978-3-374-07506-5 // eISBN (PDF) 978-3-374-07507-2<br />

www.eva-leipzig.de

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