WeltBlick 3/2023
200 Jahre Berliner Mission
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Meditation<br />
INNEHALTEN<br />
vor Gott<br />
»Nicht das Leben, das wir empfangen, ist<br />
kurz, nein, wir machen es dazu, weil wir<br />
niemals mit uns selbst zusammen sein<br />
können.«<br />
Seneca<br />
VON KONSISTORIALPRÄSIDENTIN DR. VIOLA VOGEL<br />
Sich Zeit nehmen – das ist ein bewusster Akt des<br />
Innehaltens vor Gott. Ein Gottesdienst ist<br />
immer eine Möglichkeit zu erleben, was der Stoiker<br />
Seneca mit »sich selbst gehören« beschreibt –<br />
sich selbst zu gehören in Rückbindung an Gott,<br />
möchte ich anfügen. Sich selbst gehören in Rückbindung<br />
an Gott (und nichts anderes heißt ja »Re-<br />
Ligio«: Religion), das ist nicht wenig in dieser unserer<br />
geschäftigen Zeit. Einer Zeit, die bestimmt ist<br />
von vermeintlich dauernd nötiger Selbstoptimierung,<br />
Selbstverwirklichung, einer rasant voranschreitenden<br />
Digitalisierung unseres Lebens im<br />
Dauerrauschen von »immer schneller, höher und<br />
weiter«. Einer Zeit, die buchstäblich alle unsere<br />
Sinne gefangen nimmt und sie allein nach außen<br />
orientiert und auf das »Haben« im Sinne eines Sich-<br />
Einverleibens und Konsumierens richtet.<br />
Dabei, so sagt Seneca, haben wir »kein kurzes<br />
Leben empfangen, wir haben es nur kurz gemacht«<br />
und zwar, weil wir unsere Sinne immer nur nach<br />
außen, auf die vergnügungssüchtige Welt gerichtet<br />
haben, aber niemals, wie er sagt, »mit uns selbst<br />
zusammen sein konnten«.<br />
Was also tun? In einer Zeit wie der unseren, die<br />
als Zeit der rasanten Transformation beschrieben<br />
wird. Dieser Container-Begriff Transformation, der<br />
alle Megatrends zugleich meint: Digitalisierung,<br />
Individualisierung, Säkularisierung, Vereinsamung,<br />
demographische Entwicklung, Fachkräftemangel,<br />
Post-Corona-Gesellschaft …<br />
Diese Transformation heißt und verheißt ja vom<br />
Wortsinn her ganz positiv »Umgestaltung, Verwandlung«,<br />
lässt aber den von ihr betroffenen Menschen<br />
gegenüber offen, auf welches Ziel hin, wofür und<br />
mit welcher Verheißung sie sich auf diese umfassende<br />
Dauer-Transformation unserer Gesellschaft<br />
und ihres persönlichen Lebens einlassen sollen.<br />
Könnte diese Ziellosigkeit der Transformation unserer<br />
Gesellschaft einer der Gründe dafür sein, dass<br />
viele Menschen sie als reine Verlustgeschichte wahrnehmen,<br />
die zu Ohnmachtsgefühlen und Angst – bei<br />
manchen auch zu Aggression und Wut – führt,<br />
jedenfalls nicht als die verheißungsvolle »Verwandlung«<br />
hin zu einer besseren, liebesfähigeren und<br />
gütigeren Welt, um die es sich zu kämpfen lohnt?<br />
Und wenn das so ist, was kann dann unsere Landeskirche,<br />
die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische-Oberlausitz<br />
als Stimme Gottes in<br />
der Welt – zu diesem Transformationsprozess – beitragen?<br />
Denn Transformation im Sinne eines<br />
Modernisierens, Reformierens und Verwandelns der<br />
»Institution Kirche« ist ja wünschenswert, notwendig<br />
geradezu und durchaus verheißungsvoll.<br />
Nun habe ich die Ehre, als Präsidentin des Konsistoriums<br />
der EKBO einer kirchlichen Verwaltungsbehörde<br />
in unserer Landeskirche vorzustehen, die<br />
6 <strong>WeltBlick</strong> 3/<strong>2023</strong>