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Dezember 2023

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30 www.oderbruch-rundschau.de <strong>Dezember</strong> <strong>2023</strong><br />

Das Weihnachtsessen – neben Baum<br />

und Geschenken DER Eckpfeiler des<br />

Festes und eine zuweilen heikle<br />

Angelegenheit. Was passiert, wenn<br />

m a n s i c h m u t w i l l i g m i t e i n e r<br />

kulinarischen Tradition anlegen will?<br />

Von Jessica Wagener<br />

„Lass uns doch dieses Jahr mal was<br />

Anderes essen, Oma." Ich würde nicht<br />

sagen, dass ich ein bisschen maulig<br />

w a r . I c h w a r s e h r m a u l i g .<br />

Standardmäßig gab es bei meinen<br />

Großeltern bisher nämlich jedes Jahr<br />

Es gibt Kartoffelsalat!<br />

an Heiligabend Seelachsfilet und<br />

Kartoffelsalat mit Mayonnaise. Wobei<br />

letztere laut Oma das Geheimnis ist:<br />

"Die Mayonnaise kaufe ich immer<br />

beim Fischhändler." Jahrein, jahraus<br />

der gleiche – zweifelsohne köstliche –<br />

Kartoffelsalat. Doch in dem Jahr wollte<br />

ich einfach was Anderes. Unbedingt.<br />

Oma plusterte sich auf: "Was stimmt<br />

d e n n b i t t e n i c h t m i t m e i n e m<br />

Kartoffelsalat?" "Nichts. Ich meine,<br />

alles. Es ist halt immer das gleiche."<br />

"Und was willst du stattdessen essen?“<br />

Ich erklärte meiner Oma, dass mir der<br />

Sinn mitnichten nach Schickilacki und<br />

Schischi stünde. Nichts Getrüffeltes<br />

und Geschäumtes, kein Fusion Food<br />

und nichts Veganes. Keine Zutat, die in<br />

irgendeinem Bett oder Nest Platz zu<br />

nehmen oder sich auf einem Spiegel<br />

zu räkeln hätte. Nur eben was Anderes<br />

als in Scheibchen geschnittene<br />

Kartoffeln. Oma verschränkte die<br />

A r m e . U n d d a n n , i n e i n e m<br />

unbedachten Sekündchen, rutschte es<br />

mir heraus: "Ich kann ja kochen." „DU?"<br />

"Äh, ja. Warum denn nicht?" Jetzt<br />

plusterte ich mich auf. Immerhin war<br />

ich zu dem Zeitpunkt schon Mitte<br />

Zwanzig (also fast erwachsen), hatte<br />

mir und meinem Freund durchaus<br />

erfolgreich das eine oder andere Steak<br />

bzw. Spiegelei in die Pfanne geworfen<br />

und ohne nennenswerte Nebenwirkungen<br />

verspeist. "In Ordnung",<br />

sagte Oma. Ein fulminantes Mahl?<br />

Ein aufkommendes Mulmig-Gefühl<br />

beiseite schiebend, stürzte ich mich<br />

regelrecht enthusiasmiert in die<br />

Planung meines ersten fulminanten<br />

und dabei trotzdem bestechend<br />

schlichten Weihnachts-mahls für die<br />

ganze Familie. Die verbleibende<br />

Woche bis zum Fest verbrachte ich bis<br />

zur Nasenspitze zwischen den Seiten<br />

diverser Kochbücher und betrieb<br />

zusätzlich Internetrecherche. Aber je<br />

mehr ich las, desto verwirrter wurde<br />

ich. Gans mit Klößen? Forelle blau mit<br />

Gurkensalat? Oder doch lieber<br />

Yorkshire-Pudding von Jamie Oliver?<br />

Die Umstände (meine Kocher-fahrung,<br />

Omas Küchengegeben-heiten und<br />

Opas eher experimentierunfreudige<br />

G e s c h m a c k s r e z e p t o r e n )<br />

berücksichtigend, entschied ich mich<br />

s c h l i e ß l i c h f ü r R o a s t b e e f m i t<br />

Bratkartoffeln.<br />

Das Fleisch bei Niedrigtemperatur im<br />

Ofen, die in mühevoller Kleinarbeit<br />

geschälten Kartöffelchen in der<br />

Pfanne, zogen wir uns an Heiligabend<br />

ins Wohnzimmer zurück. Und hatten<br />

e i n e n R i e s e n s p a ß . M i t O p a s<br />

G e s a n g s e i n l a g e n , m i t m e i n e m<br />

ironischen Blockflötenspiel, mit<br />

f a m i l i ä r e n K a b b e l e i e n u n d<br />

Neckereien. Bis es plötzlich zu riechen<br />

anfing. Wie der Blitz sprang ich vom<br />

Sofa, riss einen Schwung Lametta vom<br />

Baum, flitzte durch Rauchschwaden in<br />

die Küche – und blickte traurig auf<br />

Brikettkartoffeln. Mehr als der Verlust<br />

der Beilage schmerzte mich die<br />

Schmach.<br />

Oma, die mir hinterhergekommen<br />

w a r , ö f f n e t e w o r t l o s d i e<br />

Kühlschranktür und holte eine<br />

Schüssel hervor.<br />

Darin: Kartoffelsalat. „Was ..." Ich<br />

verstummte, Omi lächelte. "Ach, Kind.<br />

ohne K ar toffelsalat ist es kein<br />

Weihnachten."

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