Anzeiger für die Professio- nalisierung - Anzeiger für die Seelsorge
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Anzeiger für die Professio- nalisierung - Anzeiger für die Seelsorge
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<strong>Anzeiger</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />
Zeitschrift <strong>für</strong> Pastoral und Gemeindepraxis<br />
1 2008<br />
S c h w e r p u n k t t h e m a 1<br />
<strong>Professio</strong><strong>nalisierung</strong><br />
Wider <strong>die</strong> falschen<br />
Alternativen<br />
Die Ambivalenzen pastoraler<br />
<strong>Professio</strong><strong>nalisierung</strong><br />
<strong>Professio</strong>nalität<br />
versus Spiritualität in<br />
der <strong>Seelsorge</strong>?<br />
Zu einer falschen<br />
Alternative<br />
Das Gute behaltet!<br />
(1 Thess 5,21)<br />
Qualitätsmanagement<br />
und pastorale Arbeit<br />
www.anzeiger-fuer-<strong>die</strong>-seelsorge.de<br />
I m Bl I c k<br />
Wie viel Zen verträgt das Christentum?<br />
In den Spuren von P. Lassalle<br />
Leben bis zur letzten Sekunde<br />
Von der Schwierigkeit, Abschied zu nehmen
Viele kleine Dinge wurden<br />
durch <strong>die</strong> richtige Art von<br />
Werbung groß gemacht<br />
… sagte der Schriftsteller Mark Twain (1835-1910)<br />
Ab 2008 bieten wir Ihnen viele interessante neue<br />
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von Mark Twain anregen und nehmen Sie bitte<br />
Kontakt mit uns auf. Wir beraten Sie gern.<br />
Die praktische Handreichung<br />
Solide Information über Kirchenjahr und<br />
Brauchtum – eine stichwortartig und<br />
übersichtlich dargestellte Handreichung<br />
im praktischen DIN A4-Format, mit vielen<br />
Schaubildern. Eine wichtige Arbeitshilfe <strong>für</strong><br />
Gottes<strong>die</strong>nst, Bibelkreise und Glaubenskurse,<br />
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Informationen über Kirchenjahr und Brauchtum<br />
<strong>Anzeiger</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />
Zeitschrift <strong>für</strong> Pastoral und Gemeindepraxis<br />
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<br />
AfS_1_08_1_2_Schn_Kirchenjahr 07.12.2007 15:12 Uhr Seite 1<br />
Theodor Schnitzler<br />
Kirchenjahr und Brauchtum<br />
neu entdeckt<br />
In Stichworten und Übersichten<br />
Herausgegeben von<br />
Christian Renken<br />
48 Seiten | Durchgehend<br />
vierfarbig gestaltet | Geheftet<br />
9,90 /SFr 18.80 /[A] 10,20<br />
ISBN 978-3-451-32067-5<br />
Auf<br />
ein Wort<br />
Liebe Leser,<br />
„wir müssen noch professioneller werden.“<br />
– So oder in ähnlicher Form erklingt<br />
es oft in kirchlichen Kreisen.<br />
Es drängt sich der Eindruck auf, dass<br />
mit „<strong>Professio</strong>nalität“ nicht der ursprüngliche<br />
Wortsinn gemeint ist. Hinter<br />
dem ständigen Verweis auf den Begriff<br />
der „<strong>Professio</strong>nalität“ steckt im<br />
Gegensatz zur ursprünglichen Wortbedeutung<br />
eher eine Abgrenzung zum Begriff<br />
„Stümperei“. In Wirklichkeit soll<br />
gesagt werden: „Bei uns darf nicht geschlampt<br />
werden, hier muss ordentlich<br />
gearbeitet werden.“<br />
Aber kann das Ziel kirchlicher Pastoral<br />
tatsächlich „nur“ in der <strong>Professio</strong><strong>nalisierung</strong><br />
liegen? Top-Leistungen bringen<br />
Christen – ganz im Gegenteil – doch<br />
eher durch eine Amateurhaftigkeit, <strong>die</strong><br />
es glücklicherweise häufig gibt und <strong>die</strong><br />
ebenso wie <strong>die</strong> <strong>Professio</strong>nalität kultiviert<br />
werden muss. Denn Amateure<br />
(lat. amare: lieben) machen etwas aus<br />
Leidenschaft. Wörtlich übersetzt aus<br />
Liebe. Und wo Menschen etwas aus<br />
<strong>die</strong>ser Motivation heraus im kirchlichen<br />
Dienst tun, legen sie sich ganz von<br />
selbst ins Zeug und geben ihr Bestes.<br />
Große Ziele werden nur dort erreicht,<br />
wo Menschen mit Leidenschaft tätig<br />
sind. Also als Amateure ans Werk gehen.<br />
Deshalb müssen <strong>Seelsorge</strong>r bei aller<br />
<strong>Professio</strong>nalität zunächst Amateure<br />
bleiben. Und immer wieder werden.<br />
Ihnen wünsche ich eine<br />
anregende Lektüre<br />
In <strong>die</strong>sem Heft<br />
Schwerpunktthema<br />
Rainer Bucher<br />
Wider <strong>die</strong> falschen Alternativen<br />
Die Ambivalenzen pastoraler <strong>Professio</strong><strong>nalisierung</strong> ..................... 5<br />
Gut geerdet nach oben steigen<br />
Gedanken zum Titelbild .............................................................. 10<br />
Stefan Knobloch<br />
<strong>Professio</strong>nalität versus Spiritualität in der <strong>Seelsorge</strong>?<br />
Zu einer falschen Alternative ..................................................... 11<br />
Andreas Wollbold<br />
<strong>Professio</strong><strong>nalisierung</strong> und Amateurisierung<br />
Ihr schillerndes Verhältnis in der <strong>Seelsorge</strong> ............................... 15<br />
Martin Lätzel<br />
Das Gute behaltet! (1 Thess 5,21)<br />
Qualitätsmanagement und pastorale Arbeit ............................. 19<br />
Impulse<br />
Mitten im Leben:<br />
Irgendwie schwierig… .................................................................. 24<br />
Fünf-Minuten-Meditation: Hingabe statt Opfer ....................... 25<br />
Im Bild: Buntstifte ........................................................................ 26<br />
Persönlich: Georg Austen ............................................................ 27<br />
Fünf-Minuten-Predigt: Jesus – mein Juwelier ........................... 28<br />
Im Blick<br />
Paul Rheinbay<br />
Wie viel Zen verträgt das Christentum? .................................. 29<br />
Petra Thorbrietz<br />
Leben bis zur letzten Sekunde ................................................... 32<br />
Service<br />
Für Sie entdeckt / Für Sie gesurft ................................................ 36<br />
Für Sie gefunden .......................................................................... 37<br />
Für Sie gelesen .............................................................................. 40<br />
Für Sie gehört ............................................................................... 43<br />
Hersteller- und Lieferantenverzeichnis ....................................... 44<br />
Dienst am Glauben ....................................................................... 48<br />
Leser haben das Wort<br />
Sie schreiben uns .......................................................................... 4<br />
Themenvorschau ......................................................................... 49<br />
Cartoon/Impressum .................................................................... 50<br />
5<br />
Edi t o r i a l / in h a l t
6 Sie schreiben uns<br />
lEsErbriEfE<br />
Tod wird verdrängt<br />
Seit knapp einem Jahr bin<br />
ich jetzt Klinikseelsorger,<br />
Jahrgang ’38, und griff<br />
schnell als Anfänger in <strong>die</strong>sem<br />
Beruf zu dem Heft mit<br />
dem Schwerpunkt „Sterbende<br />
begleiten“. Was da<br />
steht, ist ja gut und schön,<br />
nur finde ich wenig Hilfe<br />
<strong>für</strong> meine tägliche Arbeit,<br />
vor allem <strong>für</strong> <strong>die</strong> auf der<br />
Palliativstation. Der Tod<br />
ist da alltäglicher Gast,<br />
aber <strong>die</strong> meisten unserer<br />
vorübergehenden Gäste<br />
wollen ihn nicht zur<br />
Kenntnis nehmen. Als<br />
Begleiter kann ich sie dazu<br />
nicht zwingen und wenn<br />
sich Gevatter Tod kräftiger<br />
bemerkbar macht, dann<br />
versinken viele mehr oder<br />
weniger im Dauerschlaf,<br />
in Bewusstlosigkeit oder<br />
in der Demenz. Halbwegs<br />
bewusste Auseinandersetzung<br />
mit dem Tod oder<br />
Die dessen Annahme ge-<br />
Redaktion schieht nur sel-<br />
freut sich über ten, wie mir<br />
jeden Leserbrief.<br />
scheint.<br />
Schreiben Sie uns bitte,<br />
was Ihnen am <strong>Anzeiger</strong><br />
gefällt, welche Beiträge Sie besonders<br />
ansprechen bzw. worüber Sie sich<br />
beim Lesen ärgern. Auch künftig werden<br />
wir Ihre Leserbriefe im <strong>Anzeiger</strong> veröffentlichen.<br />
Eine Folge der kollektiven<br />
Todesverdrängung?<br />
Was heißt da <strong>Seelsorge</strong><br />
oder Vermittlung von<br />
Auferstehungshoffnung?<br />
Das kommt schon auch<br />
vor. Aber unsere wichtigere<br />
Aufgabe wäre doch<br />
der Trost in der Wüste?!<br />
Wie? Davon schreiben Sie<br />
nichts. Sollte das im Westen<br />
Deutschlands so viel anders<br />
sein als im Osten oder<br />
sehen Sie nur <strong>die</strong> Arbeit im<br />
Kreis der Gläubigen?<br />
Bernd Knüfer SJ<br />
Beerdigungsgottes<strong>die</strong>nst<br />
<strong>für</strong> Suizidanten<br />
Ergänzend zu den sehr interessanten<br />
Ausführungen<br />
von Gabriele Krämer-Kost<br />
zum Thema „<strong>Seelsorge</strong> im<br />
Umfeld von Suizid“ möchte<br />
ich noch ergänzen, dass<br />
natürlich auch der Beerdigungsgottes<strong>die</strong>nst<br />
eines<br />
Suizidanten sehr hilfreich<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> Angehörigen sein<br />
kann (und sein sollte).<br />
Persönlich habe ich sehr<br />
gute Erfahrungen damit<br />
gemacht, in Form eines<br />
Abschiedsbriefes an den<br />
Verstorbenen (den<br />
ich dann den<br />
Angehörigen<br />
<strong>Anzeiger</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Seelsorge</strong> + Klaus Vellguth + Münsterstraße 319 + 52076 Aachen<br />
Fax: 0241 / 1804603 + E-Mail: schriftleitung@anzeiger-fuer-<strong>die</strong>-seelsorge.de<br />
sofort als Symbol aushändige)<br />
<strong>die</strong> Predigt zu gestalten,<br />
in dem zum Beispiel<br />
Verständnis <strong>für</strong> seine Lage<br />
signalisiert wird. Gerade<br />
wenn der Verstorbene<br />
keinen Abschiedsbrief<br />
hinterlassen hat, ist <strong>die</strong>se<br />
Art des Ansprechens und<br />
Aussprechens seines Todes<br />
meiner Erfahrung nach<br />
sehr entlastend.<br />
Pfr. Markus Krell<br />
Zukunftsfähige<br />
Kirchenfinanzierung<br />
Jede Gemeinde <strong>die</strong> ein<br />
Projekt unterhält, sei es<br />
ein Kindergarten o.ä.,<br />
wird das Bistum brauchen,<br />
um den Papierkrieg<br />
in den Griff zu kriegen<br />
(wir sind ja schließlich in<br />
Deutschland), aber mehr<br />
Spenden, das funktioniert<br />
doch jetzt schon mit der<br />
Kirchensteuer nicht: Von<br />
einem Kollegen, der in<br />
einer Pfarrei mit geldigen<br />
Leuten sitzt, habe ich gehört,<br />
dass ein Reicher aus<br />
der Kirche ausgetreten ist,<br />
weil er das viele Geld nicht<br />
in den großen Rachen werfen<br />
will, dass er aber gerne<br />
bereit wäre, es der Pfarrei<br />
direkt zur Verfügung zu<br />
stellen. Und keine Pfarrei<br />
wird, wenn sie sich auf <strong>die</strong><br />
Hinterfüße gestellt hat und<br />
Finanzmittel eingeworben<br />
hat, <strong>die</strong> mit dem Bistum<br />
teilen wollen. Und wenn<br />
<strong>die</strong> Pfarrei teilen muss,<br />
dann wird halt flugs ein<br />
Förderverein gegründet,<br />
der Geld nur ans Projekt<br />
und nirgends sonst hin<br />
abgibt.<br />
Wenn <strong>die</strong> Pfarrei X ein<br />
Projekt hat, werden Leute<br />
aus der Pfarrei Y das<br />
zwar immer schön und<br />
gut finden, aber nur dann<br />
zu finanziellen Leistungen<br />
bereit sein, wenn sie selber<br />
sich mit dem Ziel identifizieren<br />
können (z. B. bei<br />
Projekten in sogenannte<br />
Missionsländern) oder sie<br />
selber etwas davon haben<br />
(Kindergarten, Sozialstation,<br />
...). Bei der zweiten<br />
Gruppe (Einrichtungen<br />
vor Ort) in der Regel<br />
nur dann, wenn sie selber<br />
profitieren. Also den<br />
Vorschlag, der sich mit<br />
englischen Begriffen so<br />
„smart“ anhört, den halte<br />
ich nicht <strong>für</strong> praktikabel.<br />
Pfr. Helmut Meier,<br />
Ruhmannsfelden<br />
Wider <strong>die</strong><br />
falschen<br />
Alternativen<br />
Die Ambivalenzen pastoraler <strong>Professio</strong><strong>nalisierung</strong><br />
und wie man mit ihnen umgehen sollte<br />
Die deutsche katholische Kirche ist bekanntlich weltkirchlich<br />
gesehen immer noch ausgesprochen reich. Sie arbeitet auch ohne<br />
Zweifel in vielen Bereichen hoch professionell. Beides hängt<br />
natürlich zusammen, denn sie kann sich <strong>die</strong>sen hohen <strong>Professio</strong>nalitätsgrad<br />
einfach leisten. Sie hat ihn auch nicht ohne Grund<br />
entwickelt, sondern um auf eine Krise zu antworten, <strong>die</strong> schon<br />
länger andauernde Krise ihrer klerikalen Sozialform.<br />
Von Rainer Bucher<br />
Als in den 60er Jahren des 20.<br />
Jahrhunderts das priesterlich<br />
dominierte „katholische<br />
Milieu“ ziemlich<br />
spektakulär ero<strong>die</strong>rte, konnte <strong>die</strong><br />
deutsche katholische Kirche mit einer<br />
überraschenden Strategie reagieren:<br />
mit professioneller Expansion. Das<br />
„personale Angebot“ wurde massiv<br />
ausgebaut und professionalisiert. Das<br />
meint: Man gab und forderte von<br />
seinen Mitarbeiter/innen eine spe-<br />
Rai n e R Bu c h e R<br />
geb. 1956, Professor <strong>für</strong> Pastoraltheologie<br />
an der Katholisch-Theologischen<br />
Fakultät<br />
der Universität Graz.<br />
Weitere Informationen:<br />
www.rainer-bucher.de<br />
zialisierte, geregelte und hochwertige<br />
Ausbildung, definierte spezifische<br />
pastorale Berufsfelder und da<strong>für</strong> notwendige<br />
Handlungskompetenzen<br />
und stellte <strong>die</strong> an Fachhochschulen<br />
oder Universitäten Ausgebildeten<br />
„pastoralen Profis“ auch tatsächlich<br />
ein. Wesentliche Teile des von der<br />
Kirche in Deutschland und Österreich<br />
beschäftigten Personals, etwa<br />
in den Bereichen Diakonie, Aus-,<br />
Weiter- und Erwachsenenbildung<br />
oder auch im Religionsunterricht,<br />
werden von professionell ausgebildeten,<br />
professionell entlohnten und<br />
auch professionell arbeitenden Menschen<br />
gestellt, <strong>die</strong> allermeisten von<br />
ihnen „Laien“.<br />
Dieser <strong>Professio</strong><strong>nalisierung</strong>sprozess<br />
etablierte an der Basis der Pastoral<br />
eine konkurrierende, nichtpriesterliche<br />
Personalstruktur neben<br />
der weiterhin in vielen Bereichen<br />
letztentscheidenden priesterlichen<br />
Hierarchie. Das aber setzte nun seinerseits<br />
<strong>die</strong> Priester unter pastoralen<br />
<strong>Professio</strong><strong>nalisierung</strong>sdruck und schuf<br />
damit eine nicht leicht aufzulösende<br />
Spannung zum klassischen, nachtridentinischen<br />
und vor allem amtstheologisch-sakramental<br />
fun<strong>die</strong>rten,<br />
also gerade nicht professionell-funktional<br />
geprägten Priesterbild.<br />
Der <strong>Professio</strong><strong>nalisierung</strong>s- und<br />
Differenzierungsprozess der deutschen<br />
und, etwas reduziert, auch der<br />
österreichischen katholischen Kirche<br />
folgte dabei der allgemeinen Linie<br />
einer funktionalen Differenzierung<br />
ehemals integrierter gesellschaftlicher<br />
Handlungsbereiche. Hinter<br />
<strong>die</strong>sen Entklerikalisierungs- und<br />
<strong>Professio</strong><strong>nalisierung</strong>sprozessen<br />
steckte freilich kein pastorales Gesamtkonzept,<br />
das wesentlich über<br />
das Reagieren auf konkrete Heraus-<br />
7<br />
sch w E r p u n k t t h E m a
8<br />
sch w E r p u n k t t h E m a<br />
forderungen nach Mustern hinausginge,<br />
wie sie <strong>die</strong> moderne Gesellschaft<br />
selbst zur Verfügung stellt.<br />
Dieses konzeptionelle Defizit<br />
holt nun <strong>die</strong> Kirche in Zeiten der<br />
Ressourcenknappheit recht nachdrücklich<br />
ein. Denn angesichts der<br />
anstehenden Prioritätenentscheidungen<br />
treten <strong>die</strong> Ambivalenzen<br />
der <strong>Professio</strong><strong>nalisierung</strong> im Zuge der<br />
anstehenden Gesamtanalyse der Lage<br />
sehr offen zu Tage. Das allein freilich<br />
wäre noch nicht das Problem. Das<br />
liegt vielmehr darin, dass es offenbar<br />
schwer fällt, mit <strong>die</strong>sen mehr oder<br />
weniger unvermeidbaren Ambivalenzen<br />
produktiv umzugehen. Noch<br />
befindet man sich im Stadium ihrer<br />
erstaunten Analyse.<br />
Die Ambivalenzen der<br />
<strong>Professio</strong><strong>nalisierung</strong><br />
Dass pastorale <strong>Professio</strong><strong>nalisierung</strong><br />
ein ambivalenter Prozess ist, das<br />
scheint mir unbestreitbar. Drei solcher<br />
Ambivalenzen sind unübersehbar:<br />
eine personale, eine gesamtpastorale<br />
sowie eine amtstheologische.<br />
Alle drei signalisieren anstehende<br />
und noch weitgehend ungelöste Basisprobleme<br />
der katholischen Kirche<br />
in entwickelten Gesellschaften.<br />
Relativ bewusst ist <strong>die</strong> personale<br />
Ambivalenz. Sie wird im Zusammenhang<br />
der <strong>Professio</strong>nalitätsthematik<br />
auch oft angesprochen. Explizit<br />
christliches Handeln, das bezahlt,<br />
gelernt und beruflich ausgeübt wird,<br />
scheint irgendwie zweitrangig, ja fast<br />
defizitär gegenüber christlichem<br />
Handeln, das unbezahlt, spontan<br />
und ganz jenseits beruflicher Rollenmuster<br />
einfach aus der Forderung<br />
der Situation heraus geschieht. Der<br />
Effektivitätsgewinn und der Zuwachs<br />
an Sachgerechtigkeit, <strong>die</strong> <strong>Professio</strong>nalität<br />
normalerweise bedeuten, sie<br />
werden, so meint man häufig, bezahlt,<br />
zu teuer bezahlt mit dem Authentizitätsdefizit<br />
bloß gelernten, gut<br />
bezahlten Berufshandelns.<br />
Die gesamtpastorale Ambivalenz<br />
hingegen ist bislang eher weniger ins<br />
kirchliche Bewusstsein gedrungen, so<br />
drängend sie <strong>für</strong> <strong>die</strong> deutsche und<br />
österreichische Kirche etwa zurzeit<br />
auch sein mag. <strong>Professio</strong><strong>nalisierung</strong><br />
der Pastoral bedeutete nämlich fast<br />
immer auch Aufbau eines Handlungsbereichs<br />
außerhalb der traditionellen<br />
kirchlichen Basisstruktur,<br />
der Pfarrei; so geschehen etwa in<br />
der Diakonie oder im Bildungssystem,<br />
inklusive Religionsunterricht.<br />
Die deutsche katholische Kirche teilt<br />
sich denn auch gegenwärtig in eine<br />
schwächelnde „Gemeindekirche“,<br />
eine davon zu unterscheidende Ritenkirche<br />
und einen um <strong>die</strong>se beiden<br />
herum gelagerten Kranz von<br />
professionalisierten kirchlichen<br />
Handlungssektoren (schulische und<br />
außerschulische Bildung, Kategorialpastoral,<br />
Caritas, Werke der Mission<br />
und Entwicklungszusammenarbeit<br />
et cetera ...). Diese Differenzierung,<br />
unabdingbare Begleiterscheinung des<br />
<strong>Professio</strong><strong>nalisierung</strong>sprozesses, führt<br />
jenseits der Oberhoheit des Bischofs<br />
und seiner Behörden vor Ort zu einer<br />
weitgehenden Desintegration der<br />
ehemals durch den Klerus integrierten<br />
kirchlichen Handlungsstruktur.<br />
Dem Differenzierungsgewinn steht<br />
ein deutlicher Zusammenhangsverlust<br />
gegenüber.<br />
Die amtstheologische Ambivalenz<br />
des pastoralen <strong>Professio</strong><strong>nalisierung</strong>sprozesses<br />
ist vor allem an der<br />
Schwierigkeit ablesbar, <strong>die</strong> klassische,<br />
nach-tridentische Amtstheologie<br />
und <strong>die</strong>sen <strong>Professio</strong><strong>nalisierung</strong>sprozess<br />
der Pastoral konzeptionell<br />
zu verbinden und somit zu verhindern,<br />
dass sich „<strong>Professio</strong>nalität“<br />
und „Weihe“ rivalisierend auf unterschiedliche<br />
Handlungsgruppen der<br />
Kirche verteilen. Diese katholische<br />
Weihe-Amtstheologie, zumal in ihrer<br />
ontologisierenden Zuspitzung, hatte<br />
nicht pastorale Handlungskompetenz,<br />
sondern <strong>die</strong> (Weihe-)Gnade in<br />
den Mittelpunkt der priesterlichen<br />
(Berufs-)Rolle gerückt und als deren<br />
Pendant auf Seiten des Priesters<br />
persönliche Heiligkeit und Tugend,<br />
nicht aber unbedingt pastorale <strong>Professio</strong>nalität<br />
angesetzt, zumindest<br />
offiziell. „Weihe“ oder „<strong>Professio</strong>nalität“<br />
geraten dann plötzlich in einen<br />
merkwürdigen Gegensatz: „<strong>Professio</strong>nalität“<br />
wird <strong>für</strong> <strong>die</strong> angestellten<br />
Laientheolog/innen leicht zum Ersatz<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> fehlende „Weihe“ und<br />
„Weihe“ <strong>für</strong> <strong>die</strong> Priester zum Ersatz<br />
<strong>für</strong> potentielle <strong>Professio</strong>nalitätsdefizite.<br />
Der Kompetenzgewinn der <strong>Professio</strong>nalität<br />
wird zum Rivalitätsort<br />
gegenüber der Sakramentalität des<br />
Priestertums.<br />
Pastoral und<br />
<strong>Professio</strong><strong>nalisierung</strong><br />
Die Ambivalenzen des pastoralen<br />
<strong>Professio</strong><strong>nalisierung</strong>sprozesses<br />
sind eine Realität – und eine große<br />
Versuchung. Diese Ambivalenzen<br />
verbieten es, <strong>die</strong> Entwicklung <strong>für</strong><br />
selbstverständlich zu halten und<br />
einfach als Normalität zu betrachten.<br />
Das ist sie weder weltkirchlich<br />
noch kirchengeschichtlich, aber eben<br />
auch von ihrer sachlichen, inneren<br />
Struktur her nicht.<br />
Die Versuchung aber besteht in<br />
einer falschen Alternative: entweder<br />
<strong>die</strong>sen Ambivalenzen entfliehen zu<br />
wollen, indem man sie leugnet und<br />
unkritisch auf pastorale <strong>Professio</strong><strong>nalisierung</strong><br />
setzt, so als ob sie das Allheilmittel<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> Konstitutionsprobleme<br />
der Kirche wäre. Oder, indem man,<br />
konträr, <strong>die</strong> <strong>Professio</strong><strong>nalisierung</strong> der<br />
Pastoral denunziert und versucht, sie<br />
zurückzunehmen. Letzteres wäre der<br />
Weg zurück in vormoderne, entdifferenzierte<br />
kirchliche Gemeinschaftsformen.<br />
So etwas gibt es aber nach<br />
den Differenzierungsprozessen der<br />
Moderne nur in drei, allesamt problematischen<br />
Varianten: als romantische<br />
Kleingruppeninszenierung, als<br />
eventhafte, also punktuelle Großereignisinszenierung<br />
oder, am schrecklichsten,<br />
als Ergebnis zwanghafter<br />
Disziplinierung in geschlossenen,<br />
homogenisierten Gruppen.<br />
Die Aufgabe wäre aber, in <strong>die</strong>sen<br />
Ambivalenzen zu bestehen. Das<br />
kann nur bedeuten, <strong>die</strong> potentiell<br />
negativen Konsequenzen <strong>die</strong>ser Ambivalenzen<br />
zu minimieren und <strong>die</strong><br />
potentiell positiven Folgen zu maximieren.<br />
Insofern <strong>die</strong>se Ambivalenzen<br />
unvermeidbar sind, darf man sie<br />
auch nicht als Alternativen, sondern<br />
muss sie als Polaritäten verstehen, <strong>die</strong><br />
unabweisbare Forderungen an uns<br />
stellen, Forderungen, wirklich Neues<br />
zu versuchen.<br />
Freilich muss es ein Kriterium<br />
außerhalb <strong>die</strong>ser Polaritäten, also<br />
außerhalb der <strong>Professio</strong><strong>nalisierung</strong>sthematik<br />
selber geben, das anzeigt,<br />
ob wir <strong>die</strong>sen Forderungen gerecht<br />
werden. Dieses Kriterium gibt es<br />
auch, es steckt in nichts anderem als<br />
dem Pastoralbegriff des II. Vatikanums.<br />
Denn dann wird erkennbar:<br />
<strong>Professio</strong>nalität, wie überhaupt alle<br />
Institutionalität der Kirche, ist kein<br />
Selbstzweck, sondern ist alleine dazu<br />
da, dem Zweck der Kirche zu <strong>die</strong>nen:<br />
der Pastoral.<br />
Dann aber gilt: Die personale<br />
Ambivalenz von Effektivitätsgewinn<br />
versus Authentizitätsverlust im <strong>Professio</strong><strong>nalisierung</strong>sprozess<br />
der deutschen<br />
katholischen Kirche fordert<br />
einen differenzierten Blick auf das,<br />
was jeweils notwendig ist. Natürlich<br />
müssen <strong>die</strong> pastoralen Akteure bei<br />
aller <strong>Professio</strong>nalität auch an ihrer<br />
pastoralen Authentizität arbeiten,<br />
denn sie ist recht verstanden Teil ihrer<br />
<strong>Professio</strong>nalität. Sie ist aber auch ein<br />
Geschenk, eine Gnade und damit nur<br />
bedingt einzufordern. Allein von den<br />
pastoralen Akteuren <strong>die</strong> Bearbeitung<br />
der Polarität von Effektivitätsgewinn<br />
L i t e R at u R t i p p<br />
I R. Bucher, Desintegrationstendenzen<br />
der Kirche. Pastoraltheologische<br />
Überlegungen, in: A. Franz (Hrsg.),<br />
Was ist heute noch „katholisch“?<br />
Zum Streit um <strong>die</strong> innere Einheit<br />
und Vielfalt der Kirche, Freiburg-<br />
Basel-Wien (QD) 2001, S. 266-290.<br />
und Authentizitätsverlust zu verlangen,<br />
verlagert einseitig strukturelle<br />
Probleme auf <strong>die</strong> einzelnen, wie es<br />
innerkirchlich freilich, etwa auch bei<br />
den Schwierigkeiten mit der Glaubensweitergabe,<br />
leider immer wieder<br />
geschieht.<br />
Notwendig wäre <strong>die</strong> Reflexion<br />
darauf, was an welchen Orten prioritär<br />
ist. Zu entwickeln wäre eine<br />
„pastorale Topologie“ als Lehre, wo<br />
Spontaneität und hohe persönliche<br />
Authentizität, wo eher <strong>Professio</strong>nalität<br />
und Sachgerechtigkeit im Vordergrund<br />
stehen sollten. Niemand käme<br />
auf <strong>die</strong> Idee, <strong>die</strong> <strong>Professio</strong>nalität des<br />
Operateurs gegen <strong>die</strong> tröstende Hand<br />
der mitfühlenden Angehörigen auszuspielen,<br />
beides braucht der Kranke,<br />
beides an seinem Ort und beide,<br />
Operateure wie Mitleidende sollen<br />
sich schätzen und respektieren im<br />
Interesse des Kranken.<br />
Das gilt aber auch <strong>für</strong> <strong>die</strong> gesamtpastorale<br />
Ambivalenz von<br />
Differenzierungsgewinn versus Zu-<br />
sammenhangsverlust im <strong>Professio</strong><strong>nalisierung</strong>sprozess<br />
der deutschen<br />
katholischen Kirche. Diese Ambivalenz<br />
fordert Kommunikation, Anerkennung<br />
der pastoralen Unverzichtbarkeit<br />
des und der anderen,<br />
Überwindung einer Kultur des Ressentiments<br />
als Versuch der Selbstkonstitution<br />
durch Fremdabwertung.<br />
Diese Ambivalenz fordert den<br />
Blick auf das, was der/<strong>die</strong> andere hat,<br />
ich aber nicht und ich von ihm/ihr<br />
daher potentiell geschenkt bekomme.<br />
Diese urchristliche Haltung der<br />
Überwindung jedes pastoralen Konkurrenzdenkens,<br />
der Anerkennung<br />
der anderen und der Neugierde auf<br />
ihre spezifischen Kompetenzen, sie ist<br />
gefordert wie selten in der Geschichte<br />
der Kirche. Denn nur mit <strong>die</strong>ser<br />
Haltung können wir den potentiellen<br />
Zusammenhangsverlust, den <strong>die</strong> pastorale<br />
<strong>Professio</strong><strong>nalisierung</strong> bedeutet,<br />
auffangen, damit der Gefahr des neointegralistischen<br />
Gegenschlags entgehen<br />
und gleichzeitig den Effektivitäts-<br />
und Sachgerechtigkeitsgewinn<br />
der <strong>Professio</strong><strong>nalisierung</strong> sichern.<br />
Seinen eigentlichen Lakmustest<br />
aber wird der <strong>Professio</strong><strong>nalisierung</strong>sprozess<br />
der Kirche in der Frage der<br />
Rivalität zum sakramentalen Priestertum<br />
zu bestehen haben. Denn<br />
<strong>die</strong>se Ambivalenz fordert von beiden<br />
Seiten viel, von den professionellen<br />
pastoralen Laien wie von den Priestern.<br />
Sie fordert von den Laien <strong>die</strong><br />
Überwindung ihrer angesammelten<br />
Kränkungserfahrungen sowie der<br />
damit verbundenen kompensatorischen<br />
Rivalitätsimpulse und von den<br />
Priestern <strong>die</strong> Entwicklung von Realisationsformen<br />
ihres Priestertums<br />
jenseits seiner Machtgeschichte der<br />
letzten Jahrhunderte und auf der Basis<br />
allein seiner gnadentheologischen<br />
Legitimation und jenseits aller Ersatz-<br />
Identitäten. Das ist noch ein weiter<br />
Weg. Die Kirche jedenfalls braucht<br />
beides: <strong>die</strong> Zusage der unver<strong>die</strong>nten<br />
und ungeschuldeten Gnade jenseits<br />
aller <strong>Professio</strong>nalität und <strong>die</strong> Gnade<br />
professionellen Handelns an jenen,<br />
<strong>die</strong> leiden an Seele und Leib.<br />
Die pastorale <strong>Professio</strong><strong>nalisierung</strong><br />
ist, wie alle grundlegenden<br />
Veränderungsprozesse im institutionellen<br />
Gefüge der Kirche, eine große<br />
Herausforderung. Denn mit ihr<br />
locken zwei konträre Versuchungen:<br />
Man kann sie als Allheilmittel <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />
Konstitutionsprobleme der Kirche in<br />
der späten Moderne missverstehen<br />
oder als Teil des Problems selber, das<br />
es nach rückwärts zu überwinden<br />
gälte. Beides ist falsch. Die erste Meinung<br />
übersieht den Dienstcharakter<br />
der <strong>Professio</strong><strong>nalisierung</strong> und leugnet<br />
ihre Ambivalenzen, <strong>die</strong> zweite übersieht<br />
ihren Fortschrittscharakter und<br />
leugnet <strong>die</strong> Chance gesteigerter Sachgerechtigkeit<br />
pastoralen Handelns.<br />
Überwunden werden können <strong>die</strong>se<br />
Straßengräben aber nur im Blick auf<br />
<strong>die</strong> pastorale Grundaufgabe der Kirche<br />
und mit einer Spiritualität pastoraler<br />
Demut, <strong>die</strong> weiß, dass all unser<br />
pastorales Tun ohne <strong>die</strong> anderen<br />
nicht viel und ohne Gottes Beistand<br />
eigentlich gar nichts ist.<br />
9<br />
sch w E r p u n k t t h E m a
1_08_AfS_DS_Fastenz 07.12.2007 15:09 Uhr Seite 1<br />
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12 <strong>Professio</strong>nalität<br />
Die <strong>Professio</strong><strong>nalisierung</strong> in der <strong>Seelsorge</strong> gleicht einer<br />
Treppe. Die Pastoral steht einerseits vor der Herausforderung,<br />
stets auf das Fundament der Treppe zu<br />
verweisen und <strong>die</strong> Frage nach dem Warum pastoralen<br />
Handelns zu beantworten. Doch zugleich muss im<br />
Rahmen einer <strong>Professio</strong><strong>nalisierung</strong> <strong>die</strong> Frage nach<br />
dem Wie immer wieder neu erarbeitet werden. Die<br />
Antwort auf <strong>die</strong>se Frage sollte dabei auf den höheren<br />
Stufen der Treppe gesucht werden, <strong>die</strong> auf einem<br />
sicheren Fundament gebaut ist.<br />
Titelbild: Lothar Nahler<br />
versus<br />
Spiritualität in<br />
der <strong>Seelsorge</strong>?<br />
Zu einer falschen Alternative<br />
Angesichts der heutigen weitreichenden Strukturreformen in den einzelnen<br />
Bistümern – Pfarrgruppen und Pfarreienverbünde werden ins<br />
Leben gerufen, größere Raumeinheiten werden geschaffen – haben<br />
sich <strong>die</strong> Anforderungen an <strong>die</strong> <strong>Seelsorge</strong> in <strong>die</strong>sen größeren Räumen<br />
erheblich verändert. Nicht, dass bisherige Anforderungen weggefallen<br />
wären. Neue sind hinzugekommen. Das Kompetenzprofil der <strong>Seelsorge</strong><br />
hat sich gewandelt.<br />
Ste fa n Kn o B L o c h<br />
Jahrgang 1937, Kapuziner,<br />
war von 1988 bis 2002 Professor<br />
<strong>für</strong> Pastoraltheologie<br />
am Fachbereich Katholische<br />
Theologie der Johannes-Gutenberg-Universität<br />
Mainz.<br />
Seine letzte Veröffentlichung (2006)<br />
erschien bei Herder unter dem Titel<br />
„Mehr Religion als gedacht! Wie <strong>die</strong><br />
Rede von Säkularisierung in <strong>die</strong> Irre<br />
führt“.<br />
Von Stefan Knobloch<br />
<strong>Seelsorge</strong>r und <strong>Seelsorge</strong>rinnen<br />
müssen heute in Bereichen<br />
fit sein, <strong>die</strong> früher nicht<br />
im Vordergrund standen.<br />
Sie müssen teamfähig sein, Sitzungen<br />
leiten, organisationale Fragen<br />
bewältigen, Entscheidungsprozesse<br />
gestalten und vieles andere mehr. In<br />
<strong>die</strong>sem Zusammenhang taucht mit<br />
einiger Dringlichkeit <strong>die</strong> Frage nach<br />
einer <strong>die</strong>sen Verhältnissen angepassten<br />
„<strong>Professio</strong>nalität“ der <strong>Seelsorge</strong><br />
auf.<br />
Manche <strong>Seelsorge</strong>r und <strong>Seelsorge</strong>rinnen<br />
beschleicht vor den Pro-<br />
fessio<strong>nalisierung</strong>stendenzen in der<br />
<strong>Seelsorge</strong> ein ungutes Gefühl. Gehöre<br />
so viel <strong>Professio</strong>nalität wirklich zum<br />
A und O ihres Amtes?, so fragen sie<br />
bisweilen. Sie verstehen sich lieber im<br />
herkömmlichen Sinn als „<strong>Seelsorge</strong>r“,<br />
nicht aber als „Manager der <strong>Seelsorge</strong>“.<br />
Das neue <strong>Professio</strong>nalitätsprofil<br />
scheint ihnen kaum vereinbar zu<br />
sein mit dem Spiritualitätsprofil,<br />
unter dem sie sich als <strong>Seelsorge</strong>r definieren,<br />
auch wenn sie einräumen<br />
müssen, <strong>die</strong>sem nie ganz gerecht zu<br />
werden. Gerne stimmen sie deshalb<br />
der These Kardinal Lehmanns zu, <strong>die</strong><br />
13<br />
sch w E r p u n k t t h E m a
14<br />
sch w E r p u n k t t h E m a<br />
<strong>die</strong>ser bereits 1990 so formuliert hat:<br />
„<strong>Seelsorge</strong> ... bleibt eine einzigartige,<br />
ja <strong>die</strong> erste und vornehmste Aufgabe<br />
der Kirche, <strong>die</strong> ihr von niemandem<br />
sonst abgenommen werden kann.<br />
Ihre Sendung steht und fällt mit <strong>die</strong>sem<br />
Auftrag.“ Exakt <strong>die</strong>se erste und<br />
einzigartige Aufgabe verbinden viele<br />
lieber mit dem semantischen Wortfeld<br />
der Spiritualität als mit dem der<br />
<strong>Professio</strong>nalität.<br />
Nur, wären wir auf dem richtigen<br />
Weg, wenn wir <strong>Professio</strong>nalität und<br />
Spiritualität in einem unversöhnlichen<br />
Gegenüber sähen? Wohlgemerkt,<br />
nicht jede seelsorgerliche<br />
<strong>Professio</strong>nalität wird damit abgelehnt.<br />
Die spirituell motivierte <strong>Professio</strong>nalität<br />
der <strong>Seelsorge</strong> wird nicht<br />
in Frage gestellt. Nur <strong>die</strong> neue, vermeintlich<br />
spiritualitätsferne <strong>Professio</strong>nalität<br />
gerät unter den Verdacht,<br />
der einzigartigen und vornehmsten<br />
Aufgabe der Kirche nicht wirklich<br />
gerecht zu werden.<br />
Gemeinsame<br />
Schnittmenge<br />
In <strong>die</strong>ser Gegensätzlichkeit aber<br />
sollten wir <strong>die</strong> Dinge nicht sehen.<br />
Hier ist mehr gemeinsame Schnittmenge<br />
gegeben, als gemeinhin angenommen<br />
wird. Womit andererseits<br />
nicht in Abrede gestellt sei, dass in<br />
den von den Bistumsleitungen initiierten<br />
Strukturreformen eine gewisse<br />
Verführung zu einer <strong>Professio</strong>nalitätsauffassung<br />
liegt, <strong>die</strong> der <strong>Seelsorge</strong><br />
abträglich ist.<br />
Was damit lediglich angedeutet<br />
ist, gilt es zu entfalten. Zunächst<br />
ist zuzugeben, dass organisationale<br />
Fragen in der <strong>Seelsorge</strong> schon immer<br />
eine Rolle gespielt haben. Sie spielte<br />
sich nie in strukturlosen und organisationsfreien<br />
Räumen ab. Man denke<br />
zum Beispiel nur an frühere großstädtische<br />
Pfarrgemeinden mit einem<br />
Pfarrer und zwei bis drei Kaplänen,<br />
da war von den <strong>Seelsorge</strong>rn durchaus<br />
eine gewisse Organisationskompetenz<br />
erwartet worden. Nur ist <strong>die</strong><br />
heute in weit höherem Maß gefordert.<br />
Ein Problem, das hier von den<br />
Bistumsleitungen auf <strong>die</strong> Gestaltung<br />
der <strong>Seelsorge</strong> heute durchschlägt,<br />
besteht in der Vorgabe, <strong>die</strong> <strong>Seelsorge</strong>rinnen<br />
und <strong>Seelsorge</strong>r sollten <strong>die</strong><br />
neuen Einheiten „mit Leben füllen“.<br />
Gewissermaßen: Nachdem <strong>die</strong> neuen<br />
Einheiten geschaffen sind, soll in sie<br />
Leben hineingepumpt werden. Das<br />
ist schon sprachlich verräterisch,<br />
wenn Bistumsleitungen und Generalvikariate<br />
davon ausgehen, dass<br />
das Leben „von außen“ in <strong>die</strong> neuen<br />
Einheiten eingebracht werden müsse,<br />
als gäbe es <strong>die</strong>ses vor Ort in den<br />
Gemeinden nicht längst.<br />
Nur ist das hier nicht unser eigentlicher<br />
Punkt. Aber er macht<br />
immerhin deutlich, dass <strong>die</strong> Bistumsprozesse<br />
in aller Regel weniger<br />
getragen sind vom unmittelbaren<br />
Wahrnehmen und Erleben der betroffenen<br />
Personen, der <strong>Seelsorge</strong>r<br />
und <strong>Seelsorge</strong>rinnen ebenso wie der<br />
Gemeindemitglieder, sondern dass<br />
sie sich den Plausibilitätskriterien<br />
und der logischen Notwendigkeit<br />
aus der Sicht der Bistumsleitungen<br />
verdanken. Wir wollen das hier nicht<br />
überbetonen. Aber zu bedenken gegeben<br />
sei dennoch – im Sinn einer<br />
freien Assoziation –, dass es nach<br />
dem englischen Psychoanalytiker<br />
W. R. Bion eine antithetische Denkbewegung<br />
von „Zusammenkommen<br />
und Zerfallen“ gibt, was im Blick auf<br />
<strong>die</strong> neuen <strong>Seelsorge</strong>einheiten zumindest<br />
nicht ausschließt, dass der<br />
Zerfallsprozess den erhofften Synergieeffekten<br />
einen Strich durch <strong>die</strong><br />
Rechnung macht.<br />
Die Gefahr des machtförmigen<br />
Handelns<br />
Um solches von vornherein auszuschließen<br />
– und damit sind wir bei<br />
unserer Frage nach dem Verhältnis von<br />
<strong>Professio</strong>nalität und Spiritualität –,<br />
liegt <strong>für</strong> <strong>Seelsorge</strong>r und <strong>Seelsorge</strong>rinnen<br />
<strong>die</strong> Gefahr nahe, <strong>die</strong> von ihnen<br />
erwartete neue <strong>Professio</strong>nalität in<br />
machtförmigem beziehungsweise in<br />
zumindest unterschwellig machtförmigem<br />
Handeln ins Werk zu setzen.<br />
Sie nähmen damit lediglich <strong>die</strong> Dynamik<br />
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wusst – von den Bistumsleitungen<br />
vorgegeben wird. Ein Doppeltes<br />
kommt hier demnach zusammen:<br />
Nicht nur, dass sich <strong>Seelsorge</strong>r und<br />
<strong>Seelsorge</strong>rinnen in neuer Weise in<br />
ihrer Arbeit mit organisationalen<br />
Fragen befassen müssen. Sie sind<br />
auch versucht, <strong>die</strong>se in machtförmigem<br />
Handeln zu bewältigen. Womit<br />
sie mit ihrer Rolle in einen gewissen<br />
Zwiespalt kommen.<br />
Sie könnten es deshalb als Ausweg<br />
ansehen, zwischen ihrer Identität, also<br />
zwischen dem, wie sie sich sehen<br />
und was sie sein wollen, und ihrer<br />
Zuständigkeitskompetenz, also dem,<br />
womit sie beauftragt und wo<strong>für</strong> sie<br />
zuständig gemacht worden sind, einen<br />
Trennungsstrich zu ziehen. Auf<br />
Dauer aber kann eine solche Trennung<br />
nicht befriedigen. Sie kann<br />
zur „déformation professionelle“<br />
und zum Burn-out führen. Aber<br />
auch eine andere Möglichkeit liegt<br />
nahe, und wieder wäre <strong>die</strong> Frage nach<br />
<strong>Professio</strong>nalität und Spiritualität berührt:<br />
<strong>Seelsorge</strong>r könnten in einem<br />
starren Rollenkonzept stereotyp <strong>die</strong><br />
Vorgaben und Erwartungen der<br />
Bistumsleitungen umsetzen, dabei<br />
aber vor Ort <strong>die</strong> Kommunikation<br />
mit ihren Mitarbeitern und Beratern,<br />
mit deren Ideen und Vorstellungen,<br />
vernachlässigen. Wird <strong>die</strong>ser<br />
Handlungsmodus – so darf gefragt<br />
werden – durch <strong>die</strong> Übernahme des<br />
Modus, in dem <strong>die</strong> Bistumsprozesse<br />
gewöhnlich von oben her in den Stiel<br />
gestoßen worden sind und in denen<br />
manch „blinder Passagier“ mitreist,<br />
nicht geradezu gefördert?<br />
Soll das heißen – ohne dass wir<br />
das allzu sehr problematisieren wollen<br />
– <strong>die</strong> Spiritualität habe als Grundelement<br />
der <strong>Seelsorge</strong> schlechte Karten?<br />
So dass wir das Fragezeichen in<br />
unserer Überschrift streichen müssten?<br />
So ist es Gott sei dank nicht.<br />
Orientierung am dreigliedrigen<br />
Amt Christi<br />
Monika Udeani hat darauf hingewiesen,<br />
dass hinter der heute häufigen<br />
Rede von den Grundfunktionen<br />
der Kirche/der Gemeinde, der Verkündigung,<br />
der Liturgie und der Diakonie<br />
– manche zählen <strong>die</strong> Koinonia<br />
als vierte Grundfunktion hinzu – <strong>die</strong><br />
Orientierung am dreigliedrigen Amt<br />
Christi, das in der Kirche fortlebt,<br />
zu kurz komme. Die Anknüpfung<br />
an das dreigliedrige Amt Christi, an<br />
das prophetische, priesterliche und<br />
königliche beziehungsweise hirtliche<br />
Amt, gebe den Blick da<strong>für</strong> frei, dass<br />
auch <strong>die</strong> heute besonders geforderten<br />
Leitungsaufgaben beziehungsweise<br />
<strong>die</strong> „Auferbauung der Gemeinde“<br />
eine originäre, sich aus dem dreigliedrigen<br />
Amt Christi ableitende<br />
Aufgabe der <strong>Seelsorge</strong> sei. So sei<br />
zumindest theologisch klar, dass in<br />
den von den <strong>Seelsorge</strong>rn und Seel-<br />
sorgerinnen gewöhnlich weniger geschätzten<br />
Aufgaben, wie Sitzungen<br />
zu leiten, strukturelle Veränderungen<br />
anzugehen, Entscheidungsprozesse<br />
zu gestalten, Baumaßnahmen in <strong>die</strong><br />
Wege zu leiten und dergleichen mehr,<br />
das Leitungsamt Christi ausgeübt<br />
werde.<br />
Diese theologische Einsicht hilft<br />
freilich in concreto wenig weiter. Es<br />
ist damit zu rechnen, dass im Bereich<br />
<strong>die</strong>ser Aufgaben gleichwohl „<strong>die</strong> Katze<br />
wieder auf <strong>die</strong> alten Pfoten fällt“,<br />
was heißen soll, dass <strong>Seelsorge</strong>r und<br />
<strong>Seelsorge</strong>rinnen <strong>die</strong>se Aufgaben weiterhin<br />
nicht als ihre originäre Aufgaben<br />
ansehen oder dass sie – wie oben<br />
angedeutet – deren spirituellen Fokus<br />
dadurch verfehlen, dass sie sie machtförmig,<br />
starr und stereotyp und zu<br />
wenig kommunikativ ausüben.<br />
Selbsterfahrungsgruppen<br />
Der bloße Verweis auf <strong>die</strong> theologische<br />
Dignität auch der Leitungsaufgaben<br />
der <strong>Seelsorge</strong> verpufft also<br />
möglicherweise, wenn nicht gleichzeitig<br />
<strong>die</strong> Fähigkeit der <strong>Seelsorge</strong>r<br />
und <strong>Seelsorge</strong>rinnen gefördert wird,<br />
<strong>die</strong>sen Aufgaben auch tatsächlich<br />
nachzukommen. Heribert Wahl hat<br />
mit Nachdruck darauf hingewiesen,<br />
dass <strong>Seelsorge</strong>r und <strong>Seelsorge</strong>rinnen,<br />
gerade angesichts der heutigen pastoralen<br />
Aufgaben, in Selbsterfahrungsgruppen<br />
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15<br />
sch w E r p u n k t t h E m a
16<br />
sch w E r p u n k t t h E m a<br />
Kompetenzverstärkung herangeführt<br />
werden sollten. Darunter sind<br />
geschützte Lern- und Erfahrungsgruppen<br />
von sechs bis acht Personen<br />
zu verstehen, in denen empathisch<br />
verstehend pastorale Szenen ausgetauscht,<br />
besprochen und reflektiert<br />
werden. Frei von vorschnellen Beurteilungen,<br />
gar von Verurteilungen. So<br />
erfährt <strong>die</strong> einzelne Person im Spiegel<br />
der anderen und vor sich, wo sie<br />
durch ihre eigenen Stereotypen daran<br />
gehindert wird, ihrem pastoralen<br />
Handeln, ihrer pastoralen <strong>Professio</strong>nalität<br />
aus einer existentiell geerdeten<br />
Spiritualität mehr Gesicht und mehr<br />
Gewicht zu verleihen. In der Gruppe<br />
wird gelernt, aufeinander zu hören,<br />
eine Gabe, eine Fähigkeit, <strong>die</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />
Praxis der <strong>Seelsorge</strong> – hier aber zumal<br />
der männlichen <strong>Seelsorge</strong>r – von<br />
entscheidender Bedeutung ist.<br />
Nicht selten folgen <strong>Seelsorge</strong>r<br />
und <strong>Seelsorge</strong>rinnen dem leitenden<br />
Anspruch, immer das Sagen zu haben.<br />
Das seien sie schließlich ihrem<br />
Auftrag zur Verkündigung schuldig.<br />
Dabei übersehen sie, dass das Hören,<br />
das Hören sowohl auf eigene Erfahrungen<br />
wie auf <strong>die</strong> Erfahrungen<br />
anderer, eine unabdingbare Voraussetzung<br />
ihres Verkündigungsauftrags<br />
ist. Es mag an der Stelle wie eine Umdeutung<br />
erscheinen, aber auch in<br />
<strong>die</strong>sem umgedeuteten Sinn behält<br />
der Satz aus dem Römerbrief seine<br />
Gültigkeit: „Der Glaube kommt vom<br />
Hören“ (Röm 10,17). Dieses Hören<br />
bezieht sich zuallererst auf <strong>die</strong> eigene<br />
Erfahrung. <strong>Seelsorge</strong>r und <strong>Seelsorge</strong>rinnen<br />
sollten aus dem Erfahrungsschatz<br />
ihres Lebens schöpfen.<br />
Denn sie sind in ihrer Ausstattung,<br />
L i t e R at u R t i p p<br />
I Doris Nauer, <strong>Seelsorge</strong>konzepte im<br />
Widerstreit. Ein Kompendium,<br />
Stuttgart Berlin Köln 2001.<br />
I Georg Köhl (Hg.), <strong>Seelsorge</strong> lernen<br />
in Studium und Beruf, Trier<br />
2006.<br />
mit ihren Talenten und Fähigkeiten,<br />
aber auch mit ihren Grenzen das „Instrument“<br />
ihrer <strong>Seelsorge</strong>.<br />
Damit <strong>Professio</strong>nalität nicht zu<br />
kalter instrumenteller <strong>Professio</strong>nalität<br />
verkommt, sondern ihr der<br />
warme empathische Zug geerdeter<br />
Spiritualität zu eigen bleibt, sollten<br />
<strong>Seelsorge</strong>r aus jener Toleranz berufliches<br />
Kapital schlagen, <strong>die</strong> sie<br />
gewöhnlich gegenüber sich selbst<br />
aufbringen. Sie machen doch bei sich<br />
selbst <strong>die</strong> Erfahrung, dass ihr eigener<br />
Glaube immer wieder durchhängt.<br />
Sie kennen den eigenen Unglauben,<br />
eigene Anfechtung, eigenen Zweifel.<br />
Eine Situation, <strong>die</strong> der des Vaters eines<br />
besessenen Knaben im Markus-<br />
Evangelium ähnlich ist: „Ich glaube;<br />
hilf meinem Unglauben!“ (Mk<br />
9,24). Diese Erfahrung macht sie<br />
gewissermaßen zu einem „verwundeten<br />
Arzt“, der im Wissen um seine<br />
eigenen Wunden sich den Wunden<br />
anderer zuwendet und in solcher Zuwendung<br />
– gelegentlich <strong>für</strong> ihn selbst<br />
überraschend – seinerseits Heilung<br />
und Trost erfährt.<br />
Die heutigen Anforderungen an<br />
<strong>die</strong> <strong>Seelsorge</strong>r und <strong>Seelsorge</strong>rinnen<br />
scheinen von ihnen hohe Macher-<br />
und Managerqualitäten abzuverlangen.<br />
Das ist – wie wir unter dem<br />
Stichwort der „Auferbauung der Gemeinde“<br />
bereits gesehen haben –<br />
nichts Negatives. Im Gegenteil, auch<br />
<strong>die</strong>se Handlungsfelder wollen spirituell,<br />
vom Geist Gottes durchwirkt,<br />
bearbeitet werden. Problematisch<br />
wird es erst, wenn das Machertum<br />
zu eigenmächtigem und eigenwilligem<br />
Managertum verkommt, das<br />
den Erfolg allein von der eigenen<br />
Leistung abhängig macht, da mit<br />
Gott, mit seinem Interesse eigentlich<br />
nicht zu rechnen sei. Je nachdem verbindet<br />
sich dann mit solch selbstbezogener<br />
und selbstgefälliger Erfolgsorientierung<br />
entweder ein hektischer<br />
Arbeitsstil oder aber Niedergeschlagenheit<br />
und Depression bis hin zum<br />
Burn-out, wenn sich der Erfolg nicht<br />
einstellt. Es sollte deshalb zur spiri-<br />
tuellen Grun<strong>die</strong>rung der seelsorglichen<br />
<strong>Professio</strong>nalität gehören, dass<br />
sie es aushält, Stückwerk und Fragment<br />
zu bleiben. Gerade so können<br />
<strong>Seelsorge</strong>r und <strong>Seelsorge</strong>rinnen darin<br />
reifen, sich in ihren Grenzen anzunehmen.<br />
Das freilich darf nicht mit<br />
der Weigerung verwechselt werden,<br />
sich im Rahmen der Möglichkeiten<br />
– siehe das Stichwort der Selbsterfahrungsgruppen<br />
– weiterzuentwickeln.<br />
Die Trägheit, <strong>die</strong> eigenen<br />
Talente, <strong>die</strong> Gott einem geschenkt<br />
hat, nicht weiterzuentwickeln, sie<br />
brach liegen zu lassen, darf sich keinesfalls<br />
auf <strong>die</strong> Erfahrung des Paulus<br />
im zweiten Korintherbrief berufen:<br />
„Wenn ich schwach bin, dann bin ich<br />
stark“ (2 Kor 12,10).<br />
Reiner Dienst, reine<br />
Hilfestellung<br />
Die Gesamtproblematik des Verhältnisses<br />
von seelsorglicher <strong>Professio</strong>nalität<br />
und Spiritualität scheint<br />
mir Karl Rahner einmal treffend<br />
und geradezu einen Lösungsweg<br />
aufweisend so formuliert zu haben:<br />
„Alles Kirchliche, also alles Institutionelle,<br />
Rechtliche, Sakramentale,<br />
alles Wort, aller Betrieb in der Kirche<br />
und also auch alle Reform von<br />
all <strong>die</strong>sem Kirchlichen ist im letzten<br />
Verstand und in der letzten Absicht,<br />
so es sich nur selber richtig begreift<br />
und sich nicht selbst vergötzt, reiner<br />
Dienst, bloße Hilfestellung, <strong>für</strong> etwas<br />
ganz anderes, etwas ganz Einfaches<br />
und so gerade unbegreiflich Schweres<br />
und Seliges zumal: <strong>für</strong> Glaube,<br />
Hoffnung und Liebe in den Herzen<br />
aller Menschen.“ (Karl Rahner, Das<br />
Konzil – ein neuer Beginn, Freiburg<br />
Basel Wien 1966, S. 23.) Die Orientierung<br />
immer wieder daran brächte<br />
<strong>die</strong> seelsorgliche <strong>Professio</strong>nalität und<br />
Spiritualität in ein dauerhaft ausgewogenes<br />
Verhältnis.<br />
<strong>Professio</strong><strong>nalisierung</strong><br />
und<br />
Amateurisierung<br />
Ihr schillerndes Verhältnis in der <strong>Seelsorge</strong><br />
Neulich kam ich wegen eines Staus bei der Fahrt<br />
aus der Münchener Innenstadt nicht mehr ganz<br />
pünktlich zur Messe. Da meinte ich nur zum ältesten<br />
der Ministranten: „Das nächste Mal<br />
kannst du ja schon mal anfangen!“ Diese Bemerkung<br />
war natürlich bar jeder Dogmatik,<br />
aber sie enthielt doch ein Körnchen Wahrheit:<br />
Was <strong>die</strong> Messfeier als Vollzug angeht, kann jemand<br />
das heute zur Not auch, wenn er nur öfters<br />
gut hingeschaut hat. Dazu genügt es, gewis-<br />
and R e a S WoLLBoLd<br />
geb. 1960 in Saarbrücken,<br />
1978-1986 Studium der<br />
Philosophie, Theologie und<br />
patristischen Wissenschaften<br />
in Trier, Rom, Poona und<br />
München, 1993 Promotion,<br />
1997 Habilitation, 1997-2003 Professor<br />
<strong>für</strong> Pastoraltheologie und<br />
Religionspädagogik in Erfurt, seit<br />
2003 Professor <strong>für</strong> Pastoraltheologie<br />
in München.<br />
Von Andreas Wollbold<br />
Lasst <strong>die</strong> Profis ran?“ Aus<br />
dem Vergleich der beiden<br />
Erlebnisse ergibt sich überraschenderweise<br />
eine Entprofessio<strong>nalisierung</strong><br />
in der neueren<br />
Pastoral. Der Beruf des <strong>Seelsorge</strong>rs<br />
gehört zwar neben dem des Juristen<br />
und des Arztes zu den ältesten<br />
<strong>Professio</strong>nen. Paradoxerweise<br />
wurde seine berufliche Kompetenz<br />
jedoch in dem Maß zurückgenommen,<br />
wie <strong>die</strong> <strong>Professio</strong><strong>nalisierung</strong><br />
in anderen Bereichen der Gesellschaft<br />
zunahm. Am auffälligsten ist<br />
<strong>die</strong>s tatsächlich bei der Liturgie. In<br />
sermaßen wie eine angelernte Kraft, Messbuch,<br />
Direktorium und etwas Verstand zu gebrauchen.<br />
Tags darauf kam der Elektriker zur Reparatur<br />
der Klingelanlage ins Pfarrhaus. Ich schaute ihm<br />
gut auf <strong>die</strong> Finger, <strong>die</strong> im Gewirr von Leitungen<br />
und Schaltplänen beinahe verschwanden, verstand<br />
aber fast nichts davon! Denn den Umgang<br />
mit elektrischen Anlagen muss man von der Pike<br />
auf gelernt haben. „Lasst <strong>die</strong> Profis ran!“, das gilt<br />
hier uneingeschränkt.<br />
ihrer alten Form hätte selbst ein<br />
altge<strong>die</strong>nter Ministrant oder Mesner<br />
vom bloßen Zuschauen und<br />
Mitwirken kaum das kunstvolle<br />
Gebilde aller Rubriken, Kommemorationen<br />
und Inklinationen verstanden.<br />
Der Priester war Fachmann,<br />
er war <strong>für</strong> den Vollzug<br />
verantwortlich. Ähnliches gilt <strong>für</strong><br />
<strong>die</strong> zu Unrecht verunglimpfte<br />
frühere Beichtpraxis, <strong>die</strong> durch eine<br />
praxisnahe Moraltheologie, Kasuistik<br />
und jahrelange Ausbildung<br />
und Prüfung eine hohe Kunstfertigkeit<br />
entwickelt hatte. Liturgie<br />
17<br />
sch w E r p u n k t t h E m a
18<br />
sch w E r p u n k t t h E m a<br />
fazit<br />
E <strong>Seelsorge</strong> hat einen Teil ihrer<br />
<strong>Professio</strong>nalität verloren.<br />
Humanwissenschaftliche<br />
Kenntnisse sind hilfreich, aber<br />
<strong>die</strong> eigentliche <strong>Professio</strong>nalität<br />
wird anderswo gewonnen: in<br />
der Arbeit an sich selbst und in<br />
der Fähigkeit, Menschen zu<br />
Gott zu führen.<br />
und Beichte haben sich aber grundlegend<br />
gewandelt. Die bei ihnen zu<br />
beobachtende Entprofessio<strong>nalisierung</strong><br />
reicht sogar weit über <strong>die</strong><br />
spezifisch priesterliche <strong>Seelsorge</strong><br />
hinaus. Zum Beispiel Spiritualität.<br />
Ob Bibel-Teilen, Exerzitien im Alltag,<br />
geistliche Begleitung, „Nacht<br />
der Lichter“ oder geistlicher Impuls<br />
in der Schulpastoral, trotz aller<br />
Ausbildungen dazu bleibt deren<br />
Grundlage meist bewusst einfach:<br />
Jeder Beteiligte soll zu sich selber<br />
finden. Die gängigsten Parameter<br />
geistlicher Theologie dagegen, <strong>die</strong><br />
übrigens auch unerlässlich zum<br />
Verständnis der Klassiker wie der<br />
Mystikerinnen von Helfta, Johannes<br />
vom Kreuz, der Therese<br />
vom Kinde Jesus oder selbst Edith<br />
L i t e R at u R t i p p<br />
I Ulrich Bätz, Die <strong>Professio</strong><strong>nalisierung</strong>sfalle.<br />
Paradoxe Folgen der<br />
Steigerung glaubensreligiösen<br />
Engagements durch professionelles<br />
Handeln – dargestellt am Beispiel<br />
der Verwirklichung pfarrgemeindlicher„Verlebendigungsprogrammatiken“<br />
durch hauptamtliche<br />
Laientheologen (= Praktische<br />
Theologie im Dialog 10), Freiburg<br />
i.d. Schweiz 1994.<br />
I Michael Hochschild, Das offene<br />
Berufsgeheimnis. Vom kirchlichen<br />
Metier des Menschen, in: Theologie<br />
der Gegenwart 47 (2004), S. 280-286.<br />
I Andreas Wollbold, Handbuch der<br />
Gemeindepastoral, Regensburg 2004.<br />
Steins sind, bleiben weitgehend<br />
ausgeklammert: obere und niedere<br />
Seelenkräfte, Tugenden, Laster und<br />
Gaben des Heiligen Geistes, dreifacher<br />
Weg, Lesung, Meditation<br />
und Kontemplation und vieles andere.<br />
Traditionsbruch,<br />
Entklerikalisierung und<br />
Schein-<strong>Professio</strong>nalität<br />
Was sind <strong>die</strong> Gründe <strong>für</strong> <strong>die</strong>sen<br />
Trend zur Entprofessio<strong>nalisierung</strong>?<br />
Wohl drei. Da ist zunächst der Verdacht,<br />
dass <strong>die</strong> der <strong>Professio</strong>nalität<br />
zugrundeliegenden Standards nicht<br />
mehr zeitgemäß seien. So wurde spätestens<br />
in der Mitte des 20. Jahrhunderts<br />
<strong>die</strong> Praxis des Nachfragens in<br />
der Beichte und <strong>die</strong> genaue Einschätzung,<br />
ob etwas Todsünde war oder<br />
nicht, in Frage gestellt.<br />
Neben <strong>die</strong>ser Krise der Tradition<br />
ist zum anderen der Wunsch nach<br />
Entklerikalisierung zu nennen. Ein<br />
<strong>Seelsorge</strong>r soll demnach nicht der<br />
Geistliche mit dem von niemandem<br />
verstandenen Spezialwissen sein,<br />
sondern zunächst ein Christ unter<br />
Christen, der das allen Gemeinsame<br />
fördert. In <strong>die</strong>sem Sinn ist <strong>die</strong> Formel<br />
vom Amtspriestertum als Dienst<br />
am gemeinsamen Priestertum (etwa<br />
in Lumen Gentium 10) wohl auch<br />
soziologisch als Programm der Entprofessio<strong>nalisierung</strong><br />
um einer Demokratisierung<br />
willen zu verstehen.<br />
Daher auch das Pathos der Einfachheit,<br />
ja der Formlosigkeit, in fast<br />
allen Bereichen des kirchlichen Lebens.<br />
So sucht man keine komplizierten<br />
Katechismuswahrheiten,<br />
sondern einfache Glaubenserfahrung,<br />
also Tischmütter statt Christenlehre;<br />
keine Lehrer, sondern Zeugen;<br />
nichts „Verkopftes“, sondern<br />
Erlebbares; keine „überladenen“ Barockkirchen,<br />
sondern Communio-<br />
Räume; nicht Hochwürden, sondern<br />
den Bruder; nicht den „Pontifex maximus“,<br />
sondern „Benedetto, Benedetto“.<br />
Rousseaus Programm des<br />
„Zurück zur Natur!“ ist hier gewissermaßen<br />
aufgegriffen: „Zurück zum<br />
Wesen des Christentums! Weg mit<br />
den Überwucherungen und Kompliziertheiten!<br />
Hin zum Elementaren,<br />
Unmittelbaren, Einfachen!“ Es ist<br />
hier nicht der Ort, über den Erfolg<br />
<strong>die</strong>ses Programms Bilanz zu ziehen.<br />
Es genügt an <strong>die</strong>ser Stelle, <strong>die</strong> Ambivalenzen<br />
der Entwicklung wahrzunehmen<br />
und nüchtern auf Verluste<br />
hinzuweisen.<br />
Ein dritter Grund gehört wohl zu<br />
den nicht beabsichtigten Nebenwirkungen,<br />
wie sie fast jede Veränderung<br />
mit sich bringt, nämlich eine Schein-<br />
<strong>Professio</strong><strong>nalisierung</strong>. Wissenssoziologisch<br />
neigen Gruppen stets dazu,<br />
sich durch eigene Sprache, Überzeugungen<br />
und Handlungsmuster von<br />
ihrer Umwelt zu unterscheiden. Sie<br />
unterscheiden sich, ohne dass daraus<br />
automatisch ein Gewinn an Qualität<br />
folgt. Am Stammtisch führt man<br />
Stammtischgespräche. Sie sind unverkennbar,<br />
aber nicht unbedingt<br />
dazu geeignet, sofort dem Bundestag<br />
vorgelegt zu werden. Solange es also<br />
bezahlte und formell ausgebildete<br />
<strong>Seelsorge</strong>r gibt, wird sich über <strong>die</strong><br />
beobachtete Entprofessio<strong>nalisierung</strong><br />
doch wieder eine feine Schicht von<br />
„group think“ und „group speak“<br />
legen. „Deine Sprache verrät dich!“,<br />
gilt eben doch immer noch vom Prediger<br />
ebenso wie vom seelsorglichen<br />
Besucher am Krankenbett. Ein in der<br />
Tarifgruppe A13 Angestellter ist eben<br />
kein freikirchlicher Prediger, kein<br />
afrikanischer Katechist oder Sprecher<br />
einer Basisgemeinde, der ansonsten<br />
einer Arbeit wie jeder andere<br />
in seiner Gemeinde nachgeht.<br />
Aber <strong>die</strong> Schein-<strong>Professio</strong><strong>nalisierung</strong><br />
könnte noch weiter reichen. Eigenartigerweise<br />
wird in der Fachliteratur<br />
unter <strong>Professio</strong><strong>nalisierung</strong> der<br />
<strong>Seelsorge</strong> oft nur ihre Anreicherung<br />
mit humanwissenschaftlichen<br />
Kenntnissen und Fertigkeiten verstanden.<br />
Unbestritten kann <strong>die</strong> Einzelseelsorge<br />
viel von der Psychologie,<br />
kann <strong>die</strong> Leitung von Sitzungen viel<br />
von der Kommunikationswissenschaft<br />
und kann der Gemeindeaufbau<br />
viel von der Organisationssoziologie<br />
lernen. In der Regel wird all<br />
das <strong>für</strong> Theologen jedoch nicht über<br />
in Kursen Angelerntes und Erprobtes<br />
hinausgehen. Ihr eigentliches Metier<br />
bleibt das, was sie über Jahre hinweg<br />
gelernt haben und wo<strong>für</strong> sie<br />
angestellt sind: <strong>die</strong> Theologie. Es ist<br />
dagegen aufschlussreich, wie Paul M.<br />
Zulehner in seiner bekannten Typisierung<br />
der Priester vom „zeitnahen<br />
Kirchenmann“ sagt, er habe aus der<br />
Berufung einen Beruf gemacht:<br />
„<strong>Professio</strong>nalität ist ihm wichtiger<br />
als Spiritualität.“ Wird also das humanwissenschaftlich<br />
Angelernte<br />
zum Ausweis der eigentlichen <strong>Professio</strong>nalität,<br />
dann ist es nur noch ein<br />
kleiner Schritt zum Tun-als-Ob, der<br />
Scharlatanerie. Am Ende meint sie<br />
nicht mehr als ein professionelles<br />
Auftreten, also das, was den Event-<br />
Backshop von der im wahrsten Sinn<br />
des Wortes hausbackenen Bäckerei<br />
mit der nebenan liegenden Backstube<br />
unterscheidet. Luftballons, Aktionsbrötchen<br />
und poppige Kleidung<br />
der Verkäuferinnen erwecken den<br />
Anschein, hier sei <strong>die</strong> erste Adresse<br />
in Sachen Backwaren. Ob es dort<br />
wirklich so gut schmeckt?<br />
Was Theologen<br />
wirklich können<br />
So ist das Verhältnis von <strong>Professio</strong><strong>nalisierung</strong><br />
und Entprofessio<strong>nalisierung</strong><br />
in den seelsorglichen Berufen<br />
also schillernder als zunächst<br />
angenommen. Umso berechtigter ist<br />
<strong>die</strong> Frage, was Theologen <strong>für</strong> ihre<br />
Berufsausübung wirklich wissen und<br />
können müssen, und zwar aufgrund<br />
ihrer akademischen Bildung, ihrer<br />
fachlichen Aus- und Weiterbildung<br />
und ihrer beruflichen Erfahrung.<br />
Welche Kompetenz und gesicherte<br />
Effizienz berechtigt es somit, dass<br />
Theologen mit ihrem Tun ihre Brötchen<br />
ver<strong>die</strong>nen? Sonst wird ihre Tätigkeit<br />
auf Dauer zum bloßen Job.<br />
Das wäre <strong>für</strong> sie selbst ebenso wie<br />
<strong>für</strong> alle, <strong>die</strong> von ihnen ein Zeugnis<br />
christlicher Hoffnung erwarten dürfen,<br />
zu dürftig. Zwei Kriterien der<br />
professionellen Standards von Theologen<br />
lassen sich nennen.<br />
<strong>Seelsorge</strong> hat es mit allem und<br />
allen zu tun: mit Jungen und Alten,<br />
mit Himmelhochjauchzenden und<br />
zu Tode Betrübten, mit Menschen<br />
im Gefängnis, im Krankenhaus, in<br />
einer Bildungsstätte und nicht zuletzt<br />
bei ihnen zuhause. „Geht zu<br />
allen Völkern!“ (Mt 28,19). In der<br />
Gemeindepastoral kommt noch dazu,<br />
dass <strong>die</strong> <strong>Seelsorge</strong>r auch Teil der<br />
Lebenswelt der Gemeindemitglieder<br />
sind: Wen man gestern eine Beerdigung<br />
halten sah, trifft man heute mit<br />
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19<br />
sch w E r p u n k t t h E m a
20 Das Gute<br />
sch w E r p u n k t t h E m a<br />
dem Einkaufswagen bei ALDI. Was<br />
kann an <strong>Seelsorge</strong> dann noch Besonderes<br />
sein? Offensichtlich <strong>die</strong> Fähigkeit,<br />
alles und alle auf Gott zu beziehen.<br />
Diese mystagogische Fähigkeit<br />
will aber wirklich gekonnt sein. Ihr<br />
Ceterum censeo lautet im Anschluss<br />
an Augustinus’ bekanntes Wort: „Vergessen<br />
Sie nicht, Sie sind auf Gott hin<br />
geschaffen, und unruhig ist unser<br />
Herz, bis es ruht in ihm!“ Dies so sagen<br />
zu können, dass es nicht aufgesetzt<br />
erscheint, nicht angelernt oder<br />
bloß so dahingesagt, sondern plausibel,<br />
überzeugt und vernünftig, ist<br />
das erste Kriterium der seelsorglichen<br />
<strong>Professio</strong>nalität.<br />
Ein zweites Kriterium folgt daraus.<br />
Das wichtigste Instrument<br />
der <strong>Seelsorge</strong> ist <strong>die</strong> Person des<br />
<strong>Seelsorge</strong>rs selbst. Der Hausarzt<br />
bringt seinen Arztkoffer mit, der<br />
KfZ-Mechaniker lächelt unter seiner<br />
Hebebühne hervor, und selbst<br />
<strong>für</strong> den Psychoanalytiker klassischer<br />
Prägung ist <strong>die</strong> Couch geradezu<br />
sprichwörtlich geworden. Hier und<br />
dort mag <strong>Seelsorge</strong> zwar ebenfalls<br />
Instrumente, Me<strong>die</strong>n und allerhand<br />
Inszenierungen gebrauchen.<br />
Wesentlich <strong>für</strong> sie ist aber nur <strong>die</strong><br />
Begegnung – mit freien Händen unter<br />
freiem Himmel. Noch radikaler<br />
als in allen übrigen helfenden Berufen<br />
sind darum Selbsterkenntnis<br />
und Arbeit an sich selbst unabdingbar.<br />
Denn <strong>die</strong>se Begegnung verlangt,<br />
gleichzeitig ganz präsent und ganz<br />
transparent zu sein. Dem Gegenüber<br />
und seinen Äußerungen will man in<br />
nichts ausweichen. Eine solche Präsenz<br />
gelingt aber nur, wenn sie von<br />
seelsorglicher Liebe getragen ist (vgl.<br />
Presbyterorum Ordinis 14). Der Profi<br />
bleibt Amateur, also Lieb-Haber<br />
der Menschen um Christi willen.<br />
Dieselbe Liebe verlangt aber auch,<br />
<strong>die</strong> eigene Person nicht mit ihren<br />
Privatmeinungen und Wünschen<br />
vor Gott zu schieben. Denn das wäre,<br />
wie wenn sich der Mond vor <strong>die</strong><br />
Sonne schiebt, nämlich eine totale<br />
Sonnenfinsternis.<br />
<strong>Professio</strong>nalität praktisch<br />
O <strong>Professio</strong>nalität ist Anwendungsfähigkeit.<br />
Sie erschöpft sich<br />
nicht in Prinzipienfestigkeit. Deshalb<br />
ist abschließend zu fragen, was<br />
all das praktisch bedeutet.<br />
O Wille zum Thema: „Begleitung“<br />
ist zum Zauberwort der Pastoral<br />
geworden. Zuerst ist da gelebtes<br />
Leben und seine Subjekte, dann tritt<br />
ein <strong>Seelsorge</strong>r hinzu und hört, geht<br />
darauf ein, tröstet und stützt. In der<br />
Sprache der Musik ist <strong>die</strong> Begleitung<br />
normalerweise <strong>die</strong> harmonische Füllung<br />
einer Melo<strong>die</strong>stimme, meist<br />
durch ein anderes Instrument ausgeführt.<br />
Oder wenn man es im Bild<br />
des Paartanzes sehen möchte, so ist<br />
<strong>Seelsorge</strong> damit von der Rolle des<br />
Führenden zu der des Geführten<br />
gewechselt. Sensibilität <strong>für</strong> den anderen<br />
und der Altruismus des Hörens<br />
kennzeichnen Begleitung. Dahinter<br />
sollte <strong>Seelsorge</strong> nicht<br />
zurückfallen. Dennoch braucht sie<br />
das Wissen und den Willen zum eigenen<br />
Thema. Denn Gott kommt im<br />
Reden der Menschen nicht von selbst<br />
vor: „Wie sollen sie an den glauben,<br />
von dem sie nichts gehört haben?“<br />
(Röm 10,14). Verkündigung aber<br />
beginnt mit der Heilsansage, dem<br />
Kerygma, und <strong>die</strong>ses griechische<br />
Wort meint den Heroldsruf, nicht<br />
das peinliche Schweigen.<br />
O Wille zur Tradition: Der genannte<br />
Traditionsbruch hat dem<br />
Selbstbewusstsein und dem Ansehen<br />
der <strong>Seelsorge</strong> geschadet. Er ist nicht<br />
durch geborgte Schein-<strong>Professio</strong>nalität<br />
kompensierbar. Vielmehr gilt es,<br />
sich von neuem das reiche Erbe seelsorglicher<br />
Kenntnisse und Fertigkeiten<br />
anzueignen und mit einem<br />
heutigen Weltverständnis zu verbinden.<br />
Da<strong>für</strong> nur ein Beispiel: Die<br />
christlichen Kenntnisse über <strong>die</strong> Leidenschaften<br />
der Seele („passiones<br />
animae“), also von Liebe und Hass,<br />
Begehren und Abwehr, Freude und<br />
Trauer, Hoffnung und Verzweiflung,<br />
Mut und Furcht sowie Zorn sind<br />
bestens anschlussfähig an <strong>die</strong> psychosomatische<br />
Medizin und <strong>die</strong> Psychoanalyse.<br />
Denn sie zeichnen sich<br />
stets durch eine spezifische körperliche<br />
Begleiterscheinung aus, <strong>die</strong><br />
krankhaft werden kann, und sie sind<br />
nur aus dem komplexen Zusammenspiel<br />
von Rationalität und Irrationalität<br />
zu verstehen.<br />
O Wille zur Effizienz: Ein psychoanalytischer<br />
Lehranalytiker hat einmal<br />
gegen ein Schwelgen in der endlosen<br />
Analyse <strong>die</strong> knappe Frage<br />
gestellt: „Und was hilft das alles <strong>für</strong>s<br />
Gesundwerden?“ Vor welcher Frage<br />
hat sich der Theologe zu verantworten?<br />
Vielleicht: „Und wie hilft das<br />
alles weiter zu Gott?“<br />
O Wille zur Radikalität: Pastorale<br />
<strong>Professio</strong>nalität soll <strong>die</strong> Berufung<br />
nicht zum Beruf herunterstutzen.<br />
Vielmehr soll sie helfen, <strong>die</strong> Berufung<br />
situationsgerecht, ziel- und<br />
mittelbewusst in <strong>die</strong> Sendung Christi<br />
einzuordnen. Bei ihr geht es ums<br />
Ganze: Stets hinter dem Getriebe der<br />
Welt, den vielen Worten und Gesten<br />
wahrzunehmen, was hier der Wille<br />
Gottes ist.<br />
behaltet! (1 Thess 5,21)<br />
Qualitätsmanagement und pastorale Arbeit<br />
Marktwirtschaftliches Denken hat sich in den letzten Jahren in<br />
den Bistümern breit gemacht, ausgelöst durch <strong>die</strong> Krise in Finanzen<br />
und personellen Ressourcen. Berechtigt ist <strong>die</strong> Angst vor einer<br />
schleichenden Ökonomisierung der Kirchen, hinter der <strong>die</strong> Frage<br />
nach den Kosten vor der Frage nach der Substanz steht. Trotz <strong>die</strong>ser<br />
Bedenken wird man sich Entwicklungen nicht verschließen<br />
können. Die Beschäftigung mit dem Qualitätsmanagement bietet<br />
gute Entwicklungsmöglichkeiten <strong>für</strong> <strong>die</strong> Pastoral.<br />
MaRt i n Lä t z e L<br />
Leiter der Pastoralen Dienststelle<br />
Schleswig-Holstein in<br />
Kiel, entwickelt im Rahmen<br />
eines Habilitationsprojektes<br />
ein EFQM-basiertes Qualitätsmanagement<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> pastorale<br />
Arbeit.<br />
Von Martin Lätzel<br />
Nachdenklich machen<br />
einige Überlegungen<br />
des Spiegel-Korrespondenten<br />
Dirk Kurbjuweit,<br />
der eine Abrechnung mit der „Diktatur<br />
der Ökonomie und ihre Folgen“<br />
verfasst hat. Er argumentiert gegen<br />
<strong>die</strong> Durchsetzung aller Lebensbereiche<br />
durch <strong>die</strong> Wirtschaft und<br />
hofft, dass <strong>die</strong> Kirchen einen Gegen-<br />
Trend bieten können: „Wenn sich <strong>die</strong><br />
Kirche, als Ort von Spiritualität, den<br />
gleichen Gesetzen unterwirft wie ein<br />
Unternehmen, dann hat sie ihren<br />
Zweck verfehlt, dann verliert sie ihre<br />
Daseinsberechtigung.[...] Ich säße<br />
lieber mit einem Pfarrer zusammen,<br />
der nicht auf <strong>die</strong> Uhr gucken muss,<br />
weil er seinen Tag effizient zu gestalten<br />
hat.“<br />
21<br />
sch w E r p u n k t t h E m a
22<br />
sch w E r p u n k t t h E m a<br />
fazit<br />
E Die Auseinandersetzung mit dem Qualitätsmanagement bietet<br />
gute Entwicklungsmöglichkeiten in der pastoralen Arbeit.<br />
E Als mögliche Grundlage bietet sich das Modell der EFQM an.<br />
E Qualitätsmanagement führt zu einer transparenten pastoralen<br />
Arbeit, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Bedürfnisse der Zielgruppen und der Mitarbeiter<br />
in den Blick nimmt.<br />
E Jegliche Beschäftigung mit betriebswirtschaftlichen Instrumenten<br />
hat sich am Auftrag des Evangeliums zu orientieren.<br />
Kurbjuweit beschreibt <strong>die</strong> Kirche<br />
als einen Schutzraum. Diese Perspektive<br />
ist so nicht mehr aufrecht zu erhalten.<br />
Längst hat eine Finanzkrise<br />
<strong>die</strong> deutschen Diözesen und Landeskirchen<br />
erfasst, der Druck, sich<br />
mit wirtschaftlichen Fragen auseinanderzusetzen<br />
ist hoch. Das kann<br />
nur mit ökonomischer Kompetenz<br />
gelingen und insofern ist <strong>die</strong> Prüfung<br />
von Instrumenten und Methoden<br />
geboten.<br />
Das Christentum hat sich in seiner<br />
Geschichte nie von Verwaltung<br />
frei machen können und war immer<br />
Organismus und Organisation. Das<br />
bedingt <strong>die</strong> Unterworfenheit in weltliche<br />
Strukturen und Kulturen. Zur<br />
Verkündigung der kirchlichen Botschaft<br />
bedarf es immer der Güter, des<br />
Personals und der Mittel. Aus <strong>die</strong>ser<br />
Sicht verantwortet sich <strong>die</strong> Auseinandersetzung<br />
mit der Frage nach einem<br />
Qualitätsmanagement.<br />
Was heißt Qualität?<br />
Das Deutsche Institut <strong>für</strong> Normung<br />
(DIN) versteht unter Qualität<br />
das „Vermögen einer Gesamtheit<br />
inhärenter Merkmale eines Produkts,<br />
Systems oder Prozesses zur Erfüllung<br />
von Forderungen von Kunden und<br />
anderen interessierten Parteien“.<br />
Das deutsche Wort „Qualität“ entstammt<br />
dem lateinischen „qualitas“,<br />
das übersetzt „Beschaffenheit“ bedeutet.<br />
Auf <strong>die</strong>se Etymologie hebt<br />
Walter Geiger in seiner Qualitätsdefinition<br />
ab: „[Qualität] bezeichnet<br />
das Ergebnis des Vergleichs zwischen<br />
zwei Beschaffenheiten, <strong>die</strong> beide zur<br />
betrachteten Einheit gehören. […]<br />
Die Definition <strong>für</strong> den Fachbegriff<br />
Qualität lautet daher: Realisierte<br />
Beschaffenheit einer Einheit bezüglich<br />
Qualitätsforderungen an <strong>die</strong>se.“<br />
Wenn wir danach fragen, wie etwas<br />
beschaffen ist, wollen wir Auskunft<br />
über <strong>die</strong> Eigenarten, das Aussehen<br />
und <strong>die</strong> „inneren Werte“, schlicht<br />
das, was einem Ding nach Innen<br />
zukommt und was es nach Außen<br />
ausmacht. Dies meint das DIN, wenn<br />
es von der „Gesamtheit inhärenter<br />
Merkmale“ spricht. Die Merkmale<br />
orientieren sich in der Produktion<br />
an der Kundennachfrage. Produziert<br />
wird, was gefällt. Walter Geiger<br />
spricht dagegen nicht von der Qualität<br />
als der Beschaffenheit an sich,<br />
sondern von der Differenz zwischen<br />
der realisierten Beschaffenheit und<br />
den Qualitätsanforderungen, also<br />
von einem Prozess.<br />
Was ist Qualitätsmanagement?<br />
Seine Wurzeln hat <strong>die</strong> Methode in<br />
Japan und den USA. Die „Gründerväter“<br />
waren auf der Suche nach einem<br />
Weg, <strong>die</strong> Produktion und das Produkt<br />
zu verbessern, um <strong>die</strong> Kundenwünsche<br />
befriedigen zu können und um<br />
in der Konkurrenz mit dem Bewerber<br />
besser abzuschneiden. Der Autohersteller<br />
Toyota war einer der ersten,<br />
<strong>die</strong> ein Total Quality Management,<br />
ein umfassendes Qualitätsmanagement<br />
eingeführt haben. Zwar gab es<br />
schon vorher Qualitätsprüfungen des<br />
Produktes, aber erst in den sechziger<br />
Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts<br />
begann man, das gesamte Unternehmen<br />
nach Qualitätskriterien zu<br />
strukturieren. In den USA begann W.<br />
Edwards Deming mit der Entwicklung<br />
von Qualitätsmaßnahmen. Als<br />
europäisches Gegenstück wurde 1990<br />
<strong>die</strong> European Foundation for Quality<br />
Management (EFQM) mit einem an<br />
<strong>die</strong> amerikanischen Vorgaben angelehnten<br />
System gegründet.<br />
Das Qualitätsmanagement widmet<br />
sich der Effizienz, also der Verhältnismäßigkeit<br />
des Aufwandes,<br />
auch der Wirtschaftlichkeit einer<br />
Tätigkeit und ihrer Effektivität, der<br />
Wirksamkeit und Zielerreichung.<br />
Kurz gesagt: Es geht darum, das Richtige<br />
richtig zu machen.<br />
Eine einfache Strukturierung des<br />
Qualitätsmanagement besteht aus der<br />
Unterscheidung zwischen Struktur-,<br />
Prozess- und Produktqualität. Unter<br />
der Strukturqualität wird alles verstanden,<br />
was an Bedingungen <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />
Erstellung eines Produktes oder einer<br />
Dienstleistung bereitgestellt werden<br />
muss. Dazu gehören Räume, Maschinen,<br />
Arbeitsbedingungen, aber auch<br />
personelle Ressourcen. Zur Prozessqualität<br />
gehören <strong>die</strong> Prozesse, <strong>die</strong> zur<br />
Erstellung eines Produktes beziehungsweise<br />
einer Dienstleistung notwendig<br />
sind: Kommunikation, Wissensmanagement,<br />
Entwicklung und Verwaltung.<br />
Die Produktqualität schließlich<br />
beschreibt <strong>die</strong> Eigenschaften des Ergebnisses,<br />
des Produktes.<br />
Gratuität versus<br />
Neoliberalismus?<br />
Dürfen kirchliche Einrichtungen<br />
nach einem Qualitätsmanagement,<br />
also nach Erfolg und Ergebnissen fragen,<br />
wo doch, einem Bonmot Martin<br />
Bubers folgend, „Erfolg keiner der<br />
Namen Gottes“ sei und wo doch <strong>die</strong><br />
Gnade Gottes „gratis“ zu haben ist?<br />
Die Botschaft des Evangeliums ist <strong>die</strong><br />
eines Gottes, der <strong>die</strong> Erfolgsverlierer<br />
schaut. (Mt 5,3)<br />
Die Gefahr, eine neoliberalistische<br />
und entsolidarisierte Ökonomie<br />
durch Beteiligung oder Relativierung<br />
heilig zu sprechen, ist ohne Zweifel<br />
gegeben und darf nicht vernachlässigt<br />
werden. Genauso nachlässig wäre<br />
es aber, sich von dem Dialog mit der<br />
Wirtschaft beziehungsweise ihren Instrumenten<br />
ganz abzuschotten. Die<br />
Konkurrenz auf dem (Sinn)Markt ist<br />
evident. Hier ist zu prüfen, inwieweit<br />
Methoden nützlich sein können und<br />
wo ihre Grenzen innerhalb der Anwendung<br />
in der Pastoral liegen. So<br />
kann eine entstehende Diskrepanz<br />
zur ökonomischen Logik oder <strong>die</strong><br />
Andersartigkeit im Umgang mit<br />
wirtschaftlichen Instrumenten zum<br />
Zeichen des Jesuswortes werden:<br />
„Bei euch aber soll es nicht so sein,<br />
sondern wer bei euch groß sein will,<br />
der soll euer Diener sein, und wer<br />
bei euch der Erste sein will, soll der<br />
Sklave aller sein.“ (Mk 10,42 f.) Mit<br />
<strong>die</strong>ser Maxime ordneten sich <strong>die</strong><br />
beschriebenen Ansätze allein dem<br />
Ziel unter, <strong>die</strong> Botschaft Christi zu<br />
leben. Sie muss nah am Lebenskontext<br />
der Menschen sein und da der<br />
Kontext, wie oben beschrieben, stark<br />
von geschäftlichen Abläufen geprägt<br />
ist, darf sich <strong>die</strong> Kirche nicht auf <strong>die</strong><br />
sprichwörtliche „grüne Wiese“ zu-<br />
L i t e R at u R t i p p<br />
I Martin Pott, Kundenorientierung<br />
in Pastoral und Caritas, Anstöße<br />
zum kirchlichen Handeln in der<br />
Marktgesellschaft, Münster 2000.<br />
I Ralf Haderlein, Wertorientiertes<br />
Qualitätsmanagement in caritativdiakonischen<br />
Einrichtungen der<br />
katholischen Kirche, Würzburg<br />
2003.<br />
I Karl-Heinz Boeßenecker (Hg.),<br />
Qualitätskonzepte in der Sozialen<br />
Arbeit, Weinheim 2003.<br />
I Hans-Dieter Zollondz, Lexikon<br />
Qualitätsmangement, 2. Aufl.,<br />
München 2008.<br />
rückziehen, sondern muss „mittendrin“<br />
im Geschehen präsent sein.<br />
Pastoral und Qualität<br />
Die Pastoral sieht sich dem Auftrag<br />
Jesu zur Sammlung und Sendung<br />
verpflichtet, zur Hinwendung<br />
zum Notleidenden (Mt 25,40), zur<br />
Ver-Antwortung der Hoffnung (1<br />
Petr 3,15) und zur missionierenden<br />
Verkündigung (Mt 28,20). Vom Verständnis<br />
der Beschaffenheit her wäre<br />
<strong>die</strong> Qualität der kirchlichen Arbeit<br />
das offenkundige Leben und Feiern<br />
aus und in der Frohen Botschaft. Die<br />
Definition Walter Geigers ist insofern<br />
hilfreich, als auch <strong>die</strong> Theologie <strong>die</strong><br />
Differenz zwischen Anspruch und<br />
Wirklichkeit kennt: den eschatologischen<br />
Vorbehalt. Damit wäre eine<br />
qualitätvolle Arbeit nie allein aus<br />
menschlicher Kraft vollendet zu erreichen,<br />
sondern es bedarf Gottes,<br />
das Werk und <strong>die</strong> Welt insgesamt<br />
zu vollenden. Was bleibt, ist <strong>die</strong><br />
Verantwortung des Menschen, <strong>die</strong><br />
Beschaffenheit des pastoralen und<br />
caritativen Wirkens so zu tun, wie es<br />
vom Evangelium verlangt wird (im<br />
übertragenen Sinn: von den „Qualitätsanforderungen“)<br />
– ohne sich zu<br />
überfordern.<br />
Dabei kann das konkrete Gegenüber<br />
durchaus auch als „Kunde“ verstanden<br />
werden, als jemand, der mir<br />
„Kunde“ verschafft, um in den Dialog<br />
über das Leben und den Glauben zu<br />
treten und dadurch <strong>die</strong> Möglichkeit<br />
bietet, dazuzulernen. Pastorale Arbeit<br />
ist kundenorientiert im positiven Sinn.<br />
Martin Pott versteht Kundenorientierung<br />
„nicht als manipulative Technik<br />
zur Instrumentalisierung von Käufern<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> eigene Gewinnsteigerung, sondern<br />
im Sinne des modernen Dienstleistungsmarketings<br />
[…], <strong>für</strong> das kundenorientiertes<br />
Beziehungshandeln der<br />
Dreh- und Angelpunkt der Begegnung<br />
von Anbieter- und Abnehmer-Seite ist.<br />
[…] Kundenorientierung [in Pastoral<br />
und Caritas, Erg. M.L.] ist Beziehungshandeln,<br />
das theologisch immer im Ho-<br />
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23<br />
sch w E r p u n k t t h E m a
24<br />
sch w E r p u n k t t h E m a<br />
rizont des Beziehungshandeln Gottes<br />
an uns steht.“<br />
Qualitätsmanagement in<br />
der Pastoral?<br />
Als Grundlage <strong>für</strong> ein Qualitätsmanagement-System<br />
in der pastoralen<br />
Arbeit bietet sich das Modell<br />
der EFQM an. Es findet Verbreitung<br />
im Dienstleistungssektor (und<br />
als solcher muss, selbst bei theologischen<br />
Unschärfen, <strong>die</strong> Pastoral<br />
verstanden werden) und deckt ein<br />
breites Spektrum der Arbeit ab, im<br />
Gegensatz zum System des Deutschen<br />
Instituts <strong>für</strong> Normung (DIN<br />
ISO), das allein <strong>die</strong> Prozessqualität<br />
untersucht.<br />
Das EFQM-Modell unterscheidet<br />
zwischen den „Befähigern“, also den<br />
Faktoren, <strong>die</strong> direkt oder indirekt zu<br />
einem Produkt oder einer Dienstleistung<br />
führen (<strong>die</strong> Struktur- und<br />
Anzeige_KM_AZ0108 13.12.2007 10:13 Uhr Seite 1<br />
Forum Weltkirche<br />
Voneinander wissen. Weltweit.<br />
Prozessqualität), und den erzielten<br />
Ergebnissen (<strong>die</strong> Produktqualität).<br />
Diese werden in neun Kategorien<br />
eingeteilt, <strong>die</strong> jeweils unterschiedlich<br />
bewertet werden. Den höchsten Wert<br />
nimmt dabei <strong>die</strong> Kundenzufriedenheit<br />
ein. EFQM arbeitet mit einem<br />
Qualitätskreis, <strong>die</strong> Befähiger führen<br />
zu den Ergebnissen, <strong>die</strong> Rückschlüsse,<br />
<strong>die</strong> daraus zu ziehen sind, gehen<br />
als Innovation und Lernen in <strong>die</strong><br />
Unternehmenskultur ein.<br />
Das Modell arbeitet mit einer<br />
Selbstbewertung. In einem System<br />
(Unternehmen) werden <strong>die</strong> eigenen<br />
Unternehmensabläufe unter<br />
<strong>die</strong> Lupe genommen, um das Verbesserungspotenzialherauszuarbeiten.<br />
Es geht also um das „Wie“<br />
der Arbeit – <strong>die</strong> Effizienz – und das<br />
„Was“ – <strong>die</strong> Effektivität. Im Blick ist<br />
dabei <strong>die</strong> nachhaltige Entwicklung<br />
des Unternehmens, da <strong>die</strong> jeweiligen<br />
Rückschlüsse immer wieder Konse-<br />
Wollen Sie wissen,<br />
was <strong>die</strong>se Augen sehen?<br />
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haben sollten. Die sind von der<br />
Organisation wirklich zu beeinflussen,<br />
während <strong>die</strong> Ergebnisse „nur“<br />
evaluiert werden können.<br />
Pro<br />
Qualitätsmanagement<br />
Was spricht <strong>für</strong> Einführung eines<br />
Qualitätsmanagement in kirchlichen<br />
Organisationen beziehungsweise <strong>für</strong><br />
<strong>die</strong> Anwendung von Elementen des<br />
Qualitätsmanagement? Das soll im<br />
Folgenden kurz skizziert werden.<br />
O Die systemische Reflexion:<br />
In der Pastoral werden bereits<br />
Reflexionsmethoden geübt. Supervision-<br />
und Intervision werden angewendet<br />
und haben sich etabliert. Die<br />
Anwendung eines Qualitätsmanagements<br />
bietet jetzt über <strong>die</strong>se Ebene<br />
hinaus eine Reflexionsmöglichkeit<br />
der Organisation. Oft hat <strong>die</strong> Su-<br />
Ja, „Forum Weltkirche“<br />
interessiert mich.<br />
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pervision <strong>die</strong> Aufgabe, <strong>die</strong> Arbeitszufriedenheit<br />
angesichts unklarer<br />
Strukturen und defizitärer Arbeitsbedingungen<br />
aufrecht zu erhalten.<br />
Ein Qualitätsmanagement bietet<br />
<strong>die</strong> Möglichkeit, sich <strong>die</strong> Systeme, in<br />
denen sich pastorale Arbeit bewegt,<br />
anzuschauen und zu optimieren. Die<br />
persönliche Supervision ist dann eine<br />
optimale Ergänzung.<br />
O Transparenz:<br />
Die systemische Reflexion führt<br />
zu einer notwendigen Transparenz<br />
in der Arbeit. Indem Fragen zu Prozessen,<br />
Strukturen und Produkten<br />
beantwortet werden, können bisher<br />
sublime Strukturen, Kommunikationshindernisse,<br />
Machtverhältnisse<br />
transparent dargestellt werden. Die<br />
Offenheit erleichtert den Umgang<br />
mit ihnen und steigert <strong>die</strong> Arbeitszufriedenheit,<br />
<strong>die</strong> Arbeitsabläufe und<br />
zeigt einen Weg <strong>für</strong> weiteres Vorgehen<br />
auf.<br />
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O „Kundenzufriedenheit“:<br />
Die Terminologie des „Kunden“<br />
verhilft dazu, den Gegenstand der<br />
Pastoral zu erklären. Wer <strong>die</strong> Kundenzufriedenheit<br />
evaluiert, handelt<br />
nicht anders, als dem ursprünglichen<br />
jesuanischen Auftrag zu entsprechen,<br />
nämlich der Orientierung am<br />
Bedürfnis des jeweiligen Nächsten:<br />
„Was soll ich dir tun?“ (Mk 10,51)<br />
Den Bedürfnissen der Kunden zu<br />
entsprechen, bedeutet nicht, ein „gefälliges<br />
Programm“ zu bieten, das <strong>die</strong><br />
Botschaft verwischt. Bedürfnissen<br />
explizit nicht zu entsprechen, kann<br />
heilsame Irritation erzeugen und ist<br />
Ausdruck geschwisterlicher „Parrhesia“<br />
(H. Steinkamp).<br />
O Orientierung an der Botschaft:<br />
In der Auseinandersetzung mit<br />
Unternehmensberatungen wird im<br />
kirchlichen Bereich immer <strong>die</strong> Diskussion<br />
um das so genannte „Kerngeschäft“<br />
geführt. Die Gefahr einer<br />
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Verengung ist dabei evident. Nicht<br />
verengend wirkt jedoch <strong>die</strong> Frage<br />
nach dem evangeliumsgemäßen Auftrag.<br />
Im Rahmen des Qualitätsmanagement<br />
besteht <strong>die</strong> Möglichkeit,<br />
<strong>die</strong> eigene Arbeit einer Kriteriologie<br />
des Evangeliums zu unterziehen. Ist<br />
das, was wir tun und wie wir es tun,<br />
im Sinne Jesu?<br />
O Steigerung von Mitarbeiterzufriedenheit:<br />
Nicht zuletzt wird ein Qualitätsmanagement<br />
<strong>die</strong> Mitarbeiterzufriedenheit<br />
steigern. EFQM anzuwenden<br />
gelingt nur, wenn <strong>die</strong> Leitung und<br />
<strong>die</strong> Mitarbeiter/innen gemeinsam<br />
arbeiten (Dienstgemeinschaft). Die<br />
Reflexion der Arbeit ist auf <strong>die</strong> Konstruktivität<br />
aller Beteiligten angewiesen,<br />
bedeutet ein Ernst nehmen<br />
jeglicher Arbeit, von Kritik und<br />
Wünschen. Jede und jeder in der<br />
Pastoral Tätige wird als Fachmann<br />
und -frau ihrer Arbeit gewürdigt.<br />
25<br />
sch w E r p u n k t t h E m a
26 Irgendwie<br />
schwierig …<br />
imp u l s E<br />
E<br />
igentlich ist mir <strong>die</strong> Ökumene ja schon ein Anliegen<br />
… und interessanterweise klappt es ja in der Regel<br />
auch ziemlich gut in den Feldern, wo man miteinander<br />
arbeitet, zum Beispiel in der Notfallseelsorge.<br />
Ein bisschen schwieriger scheint es im Moment da zu<br />
sein, wo offizielle Stellen mitsprechen … aber nun gut. Das<br />
Fass werde ich hier in <strong>die</strong>ser Rubrik nicht aufmachen.<br />
Aber immer im Januar werde ich stutzig. Da steht dann<br />
in den entsprechenden Verlautbarungen: „Eine zentrale<br />
Bedeutung <strong>für</strong> <strong>die</strong> geistliche Belebung und <strong>die</strong> Stärkung<br />
der Zusammenarbeit der Kirchen hat <strong>die</strong> Gebetswoche<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> Einheit der Christen. Sie<br />
wird jedes Jahr vom 18.-25. Januar<br />
gefeiert oder zwischen Christi<br />
Himmelfahrt und Pfingsten bzw.<br />
einem anderen, von den örtlichen<br />
Gemeinden selbst gewählten und<br />
vereinbarten Termin begangen.“<br />
Dieser örtliche Termin ist bei uns<br />
im November, in der Woche, in der<br />
der Buß- und Bettag liegt.<br />
Mitten<br />
im<br />
Leben<br />
Es mag ja jeweils gute Gründe haben, warum der Termin da<br />
liegt, wo er liegt – aber wie wollen wir denn um <strong>die</strong> Einheit<br />
der Christen beten, wenn wir es noch nicht einmal zu einem<br />
gemeinsamen Termin schaffen, an dem wir darum beten?<br />
Diese Offenheit des Termins mag seine Geschichte haben – so<br />
wie ich das christliche Deutschland kenne, hat es garantiert<br />
seine Geschichte. Und einige Leser vom <strong>Anzeiger</strong> werden<br />
<strong>die</strong>se Geschichte vielleicht auch noch kennen.<br />
Aber ich kenne sie nicht mehr. Ich stehe ein wenig ratlos<br />
davor, wie man denn um <strong>die</strong> Einheit der Christen an zwei<br />
verschiedenen offiziellen Terminen und möglicherweise,<br />
örtlich bedingt, alternativ auch noch an einem dritten beten<br />
kann.<br />
Man mag sich auf höchsten Ebenen über Verlautbarungen<br />
und Kirchenverständnis streiten, über Bibelübersetzungen<br />
und Rechtfertigungslehre. Es ist wahrscheinlich notwendig.<br />
Ich hätte eigentlich Lust, mit den evangelischen Mitchristen<br />
um <strong>die</strong> Einheit der Christen zu beten – und nicht erst klären<br />
zu müssen, ob wir das im Januar, im Mai oder im November<br />
tun.<br />
Na gut, man kann es natürlich auch an allen drei Terminen<br />
tun, schaden würde es bestimmt nichts. Aber dann komme<br />
ich doch ein wenig in Zeitdruck mit dem Tag des offenen<br />
Denkmals, dem Internationalen Frauentag, dem Tag des<br />
Friedhofs, dem Welt-Lepra-Tag, dem Welttag der Feuchtgebiete<br />
oder dem der Fremdenführer, dem Internationalen<br />
Tag der Muttersprache oder dem der Hauswirtschaft<br />
– irgendwo und irgendwie sind wir ja<br />
als Kirche, Gott sei Dank, immer noch<br />
gefragt – und jeder will ja, dass wir an<br />
„seinem“ Tag dabei sind.<br />
Das Gebet <strong>für</strong> <strong>die</strong> Einheit der Christen<br />
möchte ich nicht auf das Niveau des Murmeltiertages<br />
herabwürdigen (doch, ganz<br />
ehrlich, den gibt es in den USA wirklich!!)<br />
– im Gegenteil. Aber eventuell könnte ein<br />
zentraler Tag des Gebetes mit einem ökumenischen<br />
Gottes<strong>die</strong>nst auf höchster Ebene das Anliegen<br />
doch ein wenig aufwerten …<br />
Zumindest <strong>für</strong> uns vor Ort wäre es vielleicht ein wenig einfacher<br />
…<br />
Andrea Schwarz<br />
PS: Übrigens, <strong>die</strong> Gedenktage, <strong>die</strong> ich in dem Text erwähnt<br />
habe, entspringen nicht meiner schriftstellerischen Phantasie.<br />
Die habe ich dem Wikipedia-Kalender der offiziellen<br />
Gedenktage entnommen beziehungsweise den Anfragen,<br />
<strong>die</strong> in den letzten Wochen hier in den Gemeinden an uns<br />
herangetragen wurden. Und dabei habe ich sogar noch den<br />
„Tag des Butterbrotes“ vergessen …<br />
5-Minuten-<br />
Meditation<br />
Ein Gang durch <strong>die</strong> biblischen Bücher:<br />
Das Buch Hosea<br />
Hingabe statt Opfer<br />
„Liebe will ich, nicht Schlachtopfer,<br />
Gotteserkenntnis statt Brandopfer.“<br />
(Hosea 6,6)<br />
Mit 18 Jahren habe ich in einer ökumenischen<br />
Bibelgruppe <strong>die</strong> Fülle der biblischen Bücher entdeckt.<br />
Eine neue Welt eröffnete sich mir, in der<br />
meine Sehnsucht sich gut aufgehoben fühlte. In der<br />
Begeisterung las ich während zwei Jahren <strong>die</strong> ganze<br />
Bibel, mit großer Faszination und Entfremden.<br />
Eine Spannung, <strong>die</strong> bis heute geblieben ist. Ich weiß<br />
noch genau den Ort und <strong>die</strong> Zeit, als mich meine<br />
Mitstudentin fragte, was mir denn vom Ersten Testament<br />
geblieben sei. Zu meinem eigenen Erstaunen<br />
erwähnte ich ohne Zögern den oben erwähnten<br />
Vers aus dem Buch des Propheten Hosea, der uns<br />
bestärkt, Hingabe zu wagen, um nicht in einer<br />
angstbesetzten Opferfrömmigkeit stecken zu bleiben.<br />
In <strong>die</strong>sem Vers, den wir auch im Matthäusevangelium<br />
wieder finden, verdichtet sich <strong>für</strong> mich<br />
<strong>die</strong>se tiefe Sehnsucht, Gott immer mehr liebend zu<br />
erkennen. Eine Sehnsucht, <strong>die</strong> im Mitsein und Handeln<br />
Jesu offensichtlich wird und uns <strong>die</strong> Tür zum<br />
Himmel eröffnet, der schon im Hier und Jetzt erfahrbar<br />
wird. Wie wunderbar-anspruchsvoll <strong>die</strong>se<br />
liebende Gottessuche, <strong>die</strong> sich in der Selbst- und<br />
Nächstenliebe verwirklicht, sein kann, lässt sich<br />
auch beim Propheten Hosea entdecken. Gottes verwundbare<br />
Liebe wird im Symbol der Intimität<br />
zwischen Frau und Mann entfaltet. Wegen der Zuwendung<br />
Israels zu anderen Göttinnen und Göttern<br />
muss Hosea <strong>die</strong>sen „Ehebruch“ drastisch sichtbar<br />
werden lassen, in dem er auf Befehl Gottes das „hurerische<br />
Weib“ Gomer heiratet. Wer sich auf <strong>die</strong><br />
tiefere Kraft der Symbole einlässt, wird in <strong>die</strong>sen<br />
kraftvollen Texten existenzielle Lebensthemen er-<br />
kennen, <strong>die</strong> auch unser Gottesbild verwandeln<br />
können. Wir begegnen darin einem leidenschaftlichen<br />
Gott, der um <strong>die</strong> Liebe seines Volkes ringt.<br />
Dass wir Gott brauchen zum Leben, ist klar, doch<br />
Gott braucht auch uns, weil er <strong>die</strong> Liebe ist. Seine<br />
Liebe befähigt uns mitten im Leben, Hingabe zu<br />
wagen:<br />
Du<br />
ereignest dich<br />
in unserer Menschwerdung<br />
aus Liebe<br />
Du<br />
er-löst uns von der Angst<br />
nicht zu genügen<br />
verwandelst uns zu uns selber<br />
Du<br />
stärkst unser Rückgrat<br />
<strong>für</strong> eine Zivilisation der Liebe<br />
<strong>die</strong> Frieden in Gerechtigkeit schafft<br />
Dich<br />
suche ich leidenschaftlich<br />
alle Tage meines Lebens<br />
in meinem liebenden Aufmerken<br />
Pierre Stutz<br />
www.pierrestutz.ch<br />
27<br />
imp u l s E
28<br />
imp u l s E<br />
Buntstifte<br />
zeigen<br />
ihre Farben<br />
in lockerer Reihe<br />
recken<br />
und strecken<br />
verbinden<br />
und verbünden sich<br />
ihre Spitzen<br />
gegen<br />
das Dunkel<br />
Buntstifte<br />
Klaus Jäkel<br />
Foto: Lothar Nahler<br />
Geo R G au S t e n<br />
wird als Nachfolger von Prälat<br />
Clemens A. Kathke Generalsekretär<br />
des Bonifatiuswerks.<br />
Was empfinden Sie als Ihre Stärke?<br />
Kommunikationsfreudigkeit, Organisationstalent,<br />
Unternehmungslust<br />
Was stört Sie an sich selbst?<br />
Meine Ungeduld<br />
Welche Eigenschaft schätzen Sie bei<br />
anderen Menschen?<br />
Menschen, <strong>die</strong> mit ihren Worten im Reden und Handeln<br />
glaubwürdig sind<br />
Welche Eigenschaft stört Sie bei<br />
anderen Menschen?<br />
Unzuverlässigkeit, Menschen ohne Ecken und Kanten,<br />
Unehrlichkeit<br />
Wer hat Sie stark beeinflusst?<br />
Meine Familie, einzelne <strong>Seelsorge</strong>r, Erfahrungen in<br />
der Jugendverbandsarbeit<br />
Welcher Theologe fasziniert Sie?<br />
Johannes XXIII., Alfred Delp, Madeleine Debrêl<br />
Welche Bibelstelle gibt Ihnen (heute) Kraft<br />
<strong>für</strong> den Alltag?<br />
„Wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit.“<br />
(2 Kor 3,17)<br />
Was ärgert Sie an der Kirche?<br />
Kleinkariertheit, wenn überwiegend Strukturen und<br />
Finanzen <strong>die</strong> Pastoral bestimmen<br />
Persönlich<br />
Was wünschen Sie der Kirche?<br />
Nicht nur um sich selbst zu kreisen, sondern aus der<br />
Beziehung zu Christus <strong>die</strong> Welt zu gestalten und einladend<br />
zu sein<br />
Was wünschen Sie sich von der Kirche?<br />
Eine Kirche von „innen“ <strong>für</strong> „draußen“ zu sein<br />
In welchen Momenten empfinden Sie<br />
tiefes Glück?<br />
In guten und ehrlichen Begegnungen und Momenten,<br />
in denen man spürt: Hier hat der Himmel <strong>die</strong> Erde<br />
berührt<br />
Wie lautet Ihr Lebensmotto?<br />
„Das Leben kann nur in der Schau nach rückwärts<br />
verstanden, aber nur in der Schau nach vorwärts gelebt<br />
werden.“ (Sören Kierkegard)<br />
Für welche Hobbys nehmen Sie sich Zeit?<br />
Lesen, reisen, spielen (Skat, Doppelkopf, Gesellschaftsspiele)<br />
Wer ist Ihr Lieblingsschriftsteller?<br />
Henning Mankell, Hans Conrad Zander<br />
Welche Musik bevorzugen Sie?<br />
Gospel, Jazz, konzertante Blasmusik<br />
Von welchem Leben träumen Sie heimlich?<br />
Von einem etwas weniger gestressten Zeitplan und<br />
mehr Zeit <strong>für</strong> <strong>die</strong> Begegnung mit Freunden<br />
Was möchten Sie im Leben erreichen?<br />
Freude am Leben zu behalten sowie <strong>die</strong> mir gestellten<br />
Aufgaben mit meinen Gaben und Fähigkeiten<br />
anzugehen<br />
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imp u l s E
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imp u l s E<br />
5-Minuten-<br />
Predigt<br />
Jesus – mein Juwelier<br />
Einmal, so erzählt eine persische Sage, wanderte<br />
ein Mann am Meer entlang und fand ein Säckchen<br />
mit Steinen. Er öffnete das Säckchen, betrachtete<br />
<strong>die</strong> Steine kurz und ließ sie dann sacht durch<br />
<strong>die</strong> Finger gleiten. Gleichzeitig beobachtete er <strong>die</strong><br />
Möwen, <strong>die</strong> auf den Wellen schaukelten, erheiterte<br />
sich an ihrem Spiel und warf dann probehalber<br />
den einen oder anderen Stein in ihre Richtung.<br />
Ein einziger Stein blieb ihm am Ende erhalten, ihn<br />
nahm er mit nach Hause. Dieser Stein aber erwies<br />
sich, bei hellem Licht betrachtet, als Edelstein. Da<br />
half kein Jammern und Weh, einen Schatz hatte er<br />
verworfen – einen Schatz, der so unvergleichlich<br />
ist wie das Leben, das uns Tag um Tag Edelsteine<br />
in <strong>die</strong> Hände legt, wenn wir sie denn als solche<br />
erkennen.<br />
Im neuen Jahr wird uns das Leben – neben manchen<br />
schweren und harten Brocken – auch wieder<br />
Edelsteine in <strong>die</strong> Hände legen. Wir müssen sie nur<br />
entdecken. Helfen könnte uns dabei ein Experte,<br />
der mit einem Blick <strong>die</strong> echten von den falschen<br />
Steinen unterscheiden kann.<br />
Ich möchte mir Jesus zum Juwelier wählen. Bei<br />
ihm will ich in <strong>die</strong> Sehschule gehen, und von ihm<br />
erhoffe ich eine gute Beratung, damit ich <strong>die</strong> Edelsteine<br />
meines Lebens nicht achtlos wegwerfe.<br />
Er sagt: „Achtet auf das, was ihr hört!“ (Mk 4,24) –<br />
Deshalb möchte ich <strong>die</strong> vielen Worte, <strong>die</strong> um mich<br />
herum gesprochen werden, genau unter <strong>die</strong> Lupe<br />
nehmen. Dann kann ich <strong>die</strong> Edelsteine unter ihnen<br />
herausfinden – Worte, <strong>die</strong> mir ein Licht aufgehen<br />
lassen; Sätze, <strong>die</strong> mich trösten und ermutigen;<br />
wertvolle Gedanken, <strong>die</strong> mir eine neue Perspektive<br />
eröffnen; Einladungen, <strong>die</strong> mir gut tun und<br />
Freude schenken; aber auch Anfragen, <strong>die</strong> mich<br />
provozieren und weiterbringen.<br />
Mein Juwelier rät auch: „Seid wachsam! Denn ihr<br />
wisst weder den Tag noch <strong>die</strong> Stunde.“ (Mt 25,13)<br />
– Deshalb möchte ich <strong>die</strong> Stunden, <strong>die</strong> mir im<br />
neuen Jahr geschenkt werden, wach und sorgfältig<br />
betrachten. Dann kann ich <strong>die</strong> „Stern-Stunden“<br />
unter ihnen erkennen – <strong>die</strong> kostbaren Stunden der<br />
Stille, in denen ich zu mir komme und spüre, was<br />
Gott mit meinem Leben vorhat, welche Talente<br />
er mir in <strong>die</strong> Wiege gelegt hat; <strong>die</strong> Stunden der<br />
Gottes<strong>die</strong>nste, <strong>die</strong> mich bereichern, weil mir in<br />
ihnen <strong>die</strong> Frohe Botschaft unter <strong>die</strong> Haut und zu<br />
Herzen geht; <strong>die</strong> Stunden mitten im Alltag, in denen<br />
ich mich an meinem Leben freuen und da<strong>für</strong><br />
dankbar sein kann.<br />
Jesus legt mir schließlich ans Herz: „Du sollst deinen<br />
Nächsten lieben wie dich selbst!“ (Mk 12,31)<br />
– Deshalb möchte ich <strong>die</strong> Menschen, <strong>die</strong> mir in den<br />
Wochen und Monaten des neuen Jahres nahekommen,<br />
wohlwollend anschauen. Dann kann ich <strong>die</strong><br />
„Perlen“ unter ihnen entdecken – Menschen, <strong>die</strong><br />
mich mit ihrer Freundlichkeit und ihrem Lachen<br />
anstecken; Menschen, <strong>die</strong> ein offenes Ohr haben,<br />
wenn ich mit meinen Sorgen nicht allein bleiben<br />
kann; Menschen, <strong>die</strong> überzeugend und geradlinig<br />
ihren Weg gehen und mir zum Vorbild werden;<br />
Menschen, ohne <strong>die</strong> mein Leben ärmer wäre.<br />
Ich wünsche Ihnen und mir ein gutes Jahr 2008<br />
und den geschulten Blick des Juweliers, damit wir<br />
<strong>die</strong> Edelsteine der kommenden Tage – <strong>die</strong> kostbaren<br />
Worte, <strong>die</strong> wertvollen Stunden und <strong>die</strong> bereichernden<br />
Menschen – nicht achtlos durch <strong>die</strong><br />
Finger gleiten lassen.<br />
Wolfgang Raible<br />
Wie viel Zen<br />
verträgt das<br />
Christentum?<br />
In den Spuren von P. Lassalle<br />
Am 11. November des vergangenen Jahres 2007 fand im Bildungs-<br />
und Exerzitienhaus des Bistums Essen (Kardinal Hengsbach<br />
Haus in Essen-Werden) eine Feier statt zur „Taufe“ des<br />
dortigen Meditationssaales in den „Enomiya Lassalle Raum“.<br />
Eine Plakette, <strong>die</strong> von einem japanischen Künstler angefertigte<br />
Kopie des Portraits in der Weltfriedenskirche in Hiroshima,<br />
wurde enthüllt und angebracht. In den Ansprachen und der<br />
Gesprächsrunde ging es, dem Erbe von P. Lassalle (1898-1990)<br />
verpflichtet, um <strong>die</strong> Verbindung von Ost und West, von Zen und<br />
christlicher Kontemplation, um <strong>die</strong> Hoffnung, dass aus einem<br />
spirituell vertieften interreligiösen Dialog ein Friedenspotential<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> globalisierte Menschheit erwächst.<br />
Von Paul Rheinbay<br />
Initiator der Feier war das Meditationsprogramm<br />
des Bistums Essen<br />
„Leben aus der Mitte – Zen-Kontemplation“.<br />
Es wurde begründet<br />
pa u L Rh e i n B ay<br />
geb. 1959, Pallottiner seit 1979. Seit<br />
1993 Professor <strong>für</strong> Alte Kirchengeschichte<br />
an der Phil.-Theol. Hochschule<br />
Vallendar. Exerzitien und<br />
Meditationskurse, Zen-Schüler und<br />
Mitarbeiter von P. Johannes Kopp<br />
SAC.<br />
und wird geleitet vom Pallottiner und<br />
Zenmeister Johannes Kopp, der zum<br />
Kreis jener Frauen und Männer gehört,<br />
<strong>die</strong> in den 70er Jahren von P.<br />
Lassalle eingeladen wurden, nach Japan<br />
zu kommen und sich dort unter<br />
Führung eines buddhistischen Meisters<br />
im Zen schulen zu lassen. Dies bewirkte,<br />
dass es seitdem im „Westen“<br />
(Europa, USA, Australien) innerhalb<br />
der christlichen Kirchen Angebote<br />
gibt, Zen zu praktizieren. In vielen<br />
kirchlichen Bildungshäusern bilden<br />
entsprechende Kurse einen festen Bestandteil<br />
des Programms. Die nach<br />
außen hin sichtbare Verknüpfung<br />
mit christlicher Frömmigkeitspraxis<br />
(Gebete, Eucharistiefeier) wird<br />
unterschiedlich gehandhabt. Dies<br />
ist <strong>für</strong> kritische Beobachter Grund<br />
genug zu fragen, „wie viel Zen das<br />
Christentum vertrage“.<br />
Geht es um eine synkretistische<br />
Vermischung, einen exotischen<br />
Schnellweg zu etwas, was als „Erleuchtung“<br />
ganz unterschiedlich<br />
verstanden wird? Werden Menschen,<br />
<strong>die</strong> der Kirche fern stehen, in christlichen<br />
Programmen der Faszination<br />
des Buddhismus ausgesetzt? Wäre<br />
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im bl i c k
32<br />
im bl i c k<br />
es nicht viel sinnvoller, Angebote<br />
der eigenen christlichen mystischen<br />
Tradition neu zu beleben? Geht es im<br />
Schweigen der Meditation um eine<br />
Verneinung des in Worte gefassten<br />
Glaubensbekenntnisses? Haben wir<br />
<strong>die</strong> Diskussion um „Nabelschau“, um<br />
egozentrisch verstandene Selbstverwirklichung,<br />
um Flucht vor Weltverantwortung<br />
nicht schon ausreichend<br />
geführt?<br />
Die mit viel persönlichem Einsatz<br />
verbundene und wohl ernst zu nehmende<br />
Suche vieler Menschen nach<br />
einem „Mehr“ in ihrem Leben rechtfertigt<br />
es, sich mit dem Phänomen<br />
„Zen und Christentum“ verantwortlich<br />
auseinanderzusetzen. In <strong>die</strong>sem<br />
und in weiteren 2008 erscheinenden<br />
Beiträgen soll darüber informiert<br />
werden aus der Sicht eines Christen,<br />
Theologen und Priesters, der im Zen<br />
eine bisher nicht gekannte Vertiefung<br />
des eigenen Glaubens erlebt. Damit<br />
sei zugleich eine Ergänzung geboten<br />
zu vielen Stellungnahmen, welche <strong>die</strong><br />
„Szene“ von außen betrachten und<br />
darin natürlich ebenfalls ihre Berechtigung<br />
haben.<br />
Ein Angebot <strong>für</strong><br />
Suchende<br />
Denn schon von außen drängt<br />
sich eine Frage geradezu auf: Was<br />
bewegt eigentlich Menschen mit<br />
unterschiedlichsten Biografien, sich<br />
dem Zen zuzuwenden?<br />
Schaut man auf das sich bietende<br />
Bild eines Zen-Kurses, ist der erste<br />
Eindruck eher befremdend als anziehend.<br />
Es gibt keine Wissensvermittlung,<br />
kaum Ansprache, da<strong>für</strong> stundenlanges<br />
Sitzen im Schweigen, wenn<br />
auch nicht unbedingt und immer im<br />
Schmerzen bereitenden Lotussitz am<br />
Boden, das Gesicht zur Wand gerichtet,<br />
alle 25 Minuten ein meditatives<br />
Gehen hintereinander im Kreis, pro<br />
Tag ein Vortrag und ein kurzes Gespräch<br />
mit dem Leiter, frühes Aufstehen<br />
am Morgen, ein unveränderter<br />
Programmablauf, der sich Tag <strong>für</strong><br />
Tag wiederholt. Dies alles ist nicht<br />
sehr werbewirksam, und Werbung<br />
in gewöhnlichem Sinne ist auch im<br />
Zen verpönt. Niemand soll von außen<br />
motiviert kommen, wenn nicht<br />
das eigene Innere ihn zu „so etwas“<br />
hin zieht.<br />
Fragt man Kursteilnehmer, warum<br />
sie da sind, dann werden unterschiedlichste<br />
Geschichten erzählt: Da sind<br />
Gestresste, <strong>die</strong> einfach einmal „in<br />
Ruhe gelassen werden“ wollen; Menschen<br />
mit existentiellen Lebenserfahrungen,<br />
denen ein inneres Fragen<br />
und Bohren keine Ruhe mehr lässt;<br />
von Glauben und Gemeinde Abgekommene,<br />
<strong>die</strong> spüren, dass ihnen etwas<br />
Wichtiges fehlt; Glaubende, <strong>die</strong><br />
nach der Erfahrungsdimension ihrer<br />
Beziehung zu Gott suchen; sozial Engagierte,<br />
<strong>die</strong> spüren, dass eine regelmäßige<br />
Zeit im Schweigen ihnen und<br />
ihrem Tun „gut tut“. Dazu kommt<br />
oft ein Frust aus der Überlast von<br />
Worten, aus ökonomisierten Denkstrukturen,<br />
aus oft überfordernden<br />
Berufs- und Familien-Situationen.<br />
Es sind Menschen in der Lebensmitte,<br />
<strong>die</strong> neu lernen wollen, mit sich<br />
selbst etwas „anzufangen“; es sind<br />
ältere, denen sich Fragen um Leben<br />
und Tod neu stellen. Sie kommen aus<br />
ganz verschiedenen sozialen wie auch<br />
kulturellen Milieus. Sie kommen aus<br />
den christlichen Kirchen wie auch<br />
von außerhalb. Was sie verbindet, ist<br />
<strong>die</strong> Bereitschaft, sich auf ein „Nicht-<br />
Programm“, auf sich selbst und ihr<br />
inneres Programm einzulassen. Und<br />
<strong>die</strong>s oft mit einem Bewunderung<br />
abverlangenden guten Willen und<br />
einem Ernst, der dem Wesentlichen<br />
des Mensch-Seins entspricht.<br />
Atomkatastrophe<br />
und Konzil<br />
Eine ähnliche Erfahrung machte<br />
der Japan-Missionar und Jesuit Enomya-Lassalle:<br />
Er begegnete Menschen,<br />
<strong>die</strong> durch <strong>die</strong> Übung des Zen<br />
sich selbst auf <strong>die</strong> Spur gekommen<br />
waren. Er sah hierin nicht nur eine<br />
Möglichkeit <strong>für</strong> sich selbst, den östlichen<br />
Menschen besser zu verstehen.<br />
Er erkannte den Zen-Weg als eine<br />
mögliche Befruchtung <strong>für</strong> Christen,<br />
einen durchdringenden Impuls <strong>für</strong><br />
den christlichen Grundwasserspiegel.<br />
Es wurde sein Lebensanliegen, <strong>die</strong>sem<br />
„Dialog des Schweigens“ <strong>die</strong> Wege zu<br />
ebnen. Dabei sind zwei Ereignisse<br />
zu nennen, <strong>die</strong> wie ein Katalysator<br />
wirkten: <strong>die</strong> Atom-Katastrophe 1945<br />
sowie das 2.Vatikanische Konzil. Mit<br />
dem Abwurf der Atombombe am<br />
6.8.1945 in Hiroshima, deren unmittelbarer<br />
Zeuge Lassalle wurde, stellte<br />
sich ihm ein <strong>für</strong> alle Mal <strong>die</strong> Frage<br />
nach der Möglichkeit einer inneren,<br />
der Atomkraft gleichenden, spirituellen<br />
Macht zum Weltfrieden. Und<br />
mit der Öffnung des Konzils gegenüber<br />
anderen Weltreligionen wurde<br />
<strong>die</strong> lange praktizierte Isolation des<br />
Christentums gegenüber anders<br />
Glaubenden aufgehoben. Hinzu kam<br />
auf der anderen Seite ein Interesse<br />
vor allem <strong>für</strong> <strong>die</strong> innere Seite des<br />
Christentums mit ihren Werten und<br />
ihrer Gotteserfahrung. Dadurch motiviert<br />
warb Lassalle bei vielen Reisen<br />
in der Heimat und in Europa <strong>für</strong> das<br />
Kennenlernen der Zen-Praxis, um<br />
dadurch Christen zum Innersten zu<br />
führen. Von der „essential nature“ des<br />
Menschen sprach sein Zen-Lehrer,<br />
Yamada Roshi, häufig, also von der<br />
Wesensnatur des Menschen, <strong>die</strong> zu<br />
erkennen das zu erstrebende und zu<br />
erbittende Ziel der Zen-Übung sei.<br />
Schon Lassalle fragte seinen Zen-<br />
Lehrer, ob denn <strong>für</strong> ihn als Europäer<br />
und Christ ein solcher Weg möglich<br />
sei. Er bekam zur Antwort, dass <strong>die</strong>s<br />
natürlich so sei, da er ja „einen Körper<br />
habe“. In <strong>die</strong>ser lapidaren Antwort<br />
drückt sich etwas vom Wesentlichen<br />
des Zen aus, <strong>die</strong> Einbeziehung<br />
des Leibes.<br />
Einbezug des Leibes<br />
Wer den Weg in <strong>die</strong> Stille sucht,<br />
wird auf zwei zentrale Voraussetzungen<br />
hingewiesen: <strong>die</strong> äußere<br />
Haltung und den Umgang mit Gedanken.<br />
Die äußere Haltung soll<br />
aufgerichtet und aufrichtend sein<br />
– so, dass in der Sitzhaltung <strong>die</strong><br />
Leibesmitte, das Kommunikationszentrum<br />
des Menschen, frei ist. In<br />
<strong>die</strong>sem Aufrichten ist zugleich auch<br />
schon <strong>die</strong> innere Form eines „aufrichtig<br />
da sein“ angesprochen: es gibt<br />
nichts Äußeres ohne Entsprechung<br />
im Inneren. Als zweites: das Lassen<br />
der Gedanken, denn <strong>die</strong>se sorgen<br />
gerade im Schweigen <strong>für</strong> eine ganz<br />
eigene Lärm-Welt. Der Weg zu deren<br />
Befriedung führt zum Atem. In<br />
der Konzentration darauf, im nichtrechnenden<br />
Zählen der Atemzüge, im<br />
Begleiten des Atems durch ein Wort.<br />
Im Sitz-Rhythmus von jeweils 25 Minuten<br />
geübt, als inneres Programm<br />
während der ganzen Zeit des Kurses<br />
beibehalten, fängt der im Schweigen<br />
„bei sich“ Einkehrende an, seinen<br />
Körper als oft verkanntes Potential<br />
zu spüren und wertzuschätzen. Er<br />
kommt nicht daran vorbei: ihm wird<br />
nichts anderes geboten. Hören und<br />
noch einmal hören. Gedanken und<br />
Gefühle, Erinnerungen und Vorbehalte<br />
gehen und kommen lassen. Das<br />
Einfachste, nur da zu sein, ist zugleich<br />
das Schwierigste. Und trotzdem sagen<br />
Menschen: „Das ist es!“<br />
Ein Weg <strong>für</strong> Christen?<br />
Darf <strong>die</strong>s ein Christ jedoch ohne<br />
weiteres sagen, ohne sich der Gefahr<br />
auszusetzen, sich dem eigenen Glauben<br />
zu entfremden? Auf <strong>die</strong>se immer<br />
wieder gestellte Frage sei eine erste<br />
Antwort versucht, <strong>die</strong> in den weiteren<br />
Beiträgen zu ergänzen ist.<br />
Im Zen treffen wir auf eine Jahrhunderte<br />
alte Tradition der Versenkung,<br />
<strong>die</strong> sich in der östlichen Hemisphäre,<br />
in In<strong>die</strong>n, China und Japan<br />
entwickelt hat und dort mit religiösen<br />
Ausdrucksformen des Buddhismus<br />
verknüpft war und ist. Es ist <strong>die</strong><br />
nach vielem Suchen, Kasteiung und<br />
nach langem Sitzen in der Stille geschenkte<br />
Erfahrung des Shakyamuni<br />
Buddha gewesen, dass „alle Wesen erleuchtet“<br />
sind. Übersetzt in unsere<br />
Sprache ließe sich vielleicht sagen,<br />
dass <strong>die</strong> absolute Wirklichkeit in<br />
allem, was ist, aufleuchtet. Und dass<br />
es jedem Menschen grundsätzlich<br />
möglich ist, <strong>die</strong>s zu erkennen und<br />
<strong>für</strong> sein Leben zu realisieren. Zen in<br />
<strong>die</strong>ser Sichtweise ist keine Religion,<br />
sondern eine Tiefendimension, ein<br />
„Transzendenz-Bohrer“, der sich<br />
an jegliche religiöse Motivation anlegen<br />
lässt. Denn in jeder Religion<br />
geht es um „glauben“, also um ein<br />
„vertrauendes sich hin schenken an<br />
Gott“. Dies schließt eine Dimension<br />
ein, <strong>die</strong> über das rein Intellektuelle<br />
hinausgeht, vielleicht mit „Frömmigkeit“<br />
zu benennen ist, <strong>die</strong> jedem<br />
Menschen, unabhängig von seiner<br />
akademischen Bildung möglich ist.<br />
Vertrauen ist, <strong>die</strong>s belegen leicht<br />
<strong>die</strong> tief im Menschen wurzelnden<br />
Ängste, als Potential im Inneren des<br />
Menschen, in seiner Tiefendimesion<br />
und damit auch in seiner Leiblichkeit<br />
verwurzelt. Wie soll ein Mensch<br />
vertrauen, das heißt glauben können,<br />
wenn er nicht mehr zur Ruhe kommen<br />
kann?<br />
Bei <strong>die</strong>ser menschlichen Grundwirklichkeit<br />
setzt Zen an und führt<br />
über <strong>die</strong> Ruhe des aufgerichteten<br />
Leibes und <strong>die</strong> in Versöhnlichkeit<br />
gelassenen Gedanken zu einer Seins-<br />
und Einheitserfahrung, <strong>die</strong> zunächst<br />
religiös neutral ist. Ihre Benennung<br />
hängt ab vom religiösen Geprägtsein<br />
des Menschen. Ein Christ wird sich<br />
schweigend in <strong>die</strong> Atmosphäre Jesu<br />
Chrsti hineinbegeben und wird das<br />
ihm dort Geschenkte als Seine Gabe<br />
empfangen. Er wird im Lassen von<br />
Vorstellungen sich bereiten da<strong>für</strong>,<br />
dass Christus sich ihm auf eine Art<br />
und Weise zeigen kann, wie Er es will.<br />
Er wird Christus groß werden lassen,<br />
größer als jegliches Gegenüber, hin<br />
zu einer lebendigen Erfahrung von<br />
„Christus in allem“. Er kann in der<br />
ehr<strong>für</strong>chtigen und konzentrierten<br />
Atmosphäre des Zen eine Atmosphäre<br />
finden, in der er sein Beten sich<br />
vertiefen lässt, über Worte hinaus.<br />
Er wird dankbar ein mit der Zeit<br />
gewachsenes System entdecken, das<br />
alle Störungen fernhält und sorgfältig<br />
beste Bedingungen da<strong>für</strong> schafft, dass<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> begrenzte Zeit eines Kurses es<br />
nichts Wichtigeres zu geben braucht,<br />
als in Aufmerksamkeit bei sich selbst<br />
zu sein.<br />
Als am 11. November in Essen<br />
der Lassalle-Raum eingeweiht wurde,<br />
konnte das Programm Zen-Kontemplation<br />
zurückblicken auf 35 Jahre.<br />
Vergleichbare Initiativen sind etwa<br />
genauso alt. Und <strong>die</strong>s ist ein sehr<br />
kurzer Zeitraum, um <strong>die</strong> Begegnung<br />
zweier kontemplativer Traditionen<br />
würdigen zu können. Die vom Konzil<br />
aufgestoßene Tür führt hinaus in<br />
einen weiten Raum respektvoller Begegnung<br />
und gegenseitiger Bereicherung.<br />
Der interreligiöse Dialog setzt<br />
voraus, dass <strong>die</strong> Dialogpartner einen<br />
eigenen Standpunkt haben, von dem<br />
aus sie hörend und ergänzungsbereit<br />
auf andere zugehen. Vom Osten her<br />
gesprochen darf <strong>die</strong>ser Standpunkt,<br />
wenn es um das Menschsein geht,<br />
nicht nur intellektueller Natur sein.<br />
Dementsprechend beruht <strong>die</strong> Zen-<br />
Tradition zum großen Teil auf mündlicher<br />
Überlieferung; geschriebene<br />
Texte <strong>die</strong>nen oft dazu, den Leser<br />
von der Oberfläche des Gesagten<br />
weg zur Erfahrung des ursprünglich<br />
Gemeinten zu führen. Zen fordert<br />
im Gespräch mit dem Christentum<br />
dessen Tiefendimension heraus und<br />
trifft damit <strong>für</strong> unsere Zeit auf einen<br />
empfindsamen Nerv: <strong>die</strong> Hoffnung<br />
auf eine Zukunft des Christseins im<br />
säkularisierten Westen hängt an <strong>die</strong>ser<br />
Möglichkeit, sich mit allen Fasern<br />
seines Menschseins („Du sollst den<br />
Herrn Deinen Gott lieben aus allen<br />
deinen Kräften“) auf den Weg eines<br />
vertrauendes Sich-Überlassens zu<br />
begeben.<br />
33<br />
im bl i c k
34<br />
im bl i c k<br />
Leben bis zur<br />
letzten Sekunde<br />
Von der Schwierigkeit, Abschied zu nehmen<br />
Innerhalb von nur dreieinhalb Monaten ist mein Mann János<br />
Pásztory gestorben, an einer besonders aggressiven Form von<br />
Krebs. Alles ging sehr schnell. Wir kämpften noch um etwas Leben<br />
und merkten gar nicht, dass es schon sein Sterben war. Plötzlich<br />
war er tot.<br />
pet R a th o R B R i e t z<br />
ist Autorin, Regisseurin und Moderatorin.<br />
Vor knapp vier Jahren hat<br />
sie ihren Mann durch eine aggressive<br />
Form von Krebs verloren. Über<br />
ihre Erfahrungen schrieb <strong>die</strong> Wissenschaftsjournalistin<br />
ein Buch über<br />
<strong>die</strong> Frage, wie und unter welchen<br />
Umständen man in Deutschland<br />
sterben muss:<br />
I Petra Thorbrietz, Leben bis zum<br />
Schluss. Abschiednehmen und würdevolles<br />
Sterben – eine persönliche<br />
Streitschrift, zsdebatten, München<br />
2007.<br />
Von Petra Thorbrietz<br />
Jeden von uns kann es täglich<br />
treffen. Und das wird es auch –<br />
irgendwann, irgendwie. Trotzdem<br />
sind wir, als Betroffene wie<br />
als Angehörige, erstaunt und völlig<br />
unvorbereitet, wenn es dann passiert.<br />
Verletzt und wütend. Ratlos und<br />
verzweifelt. Wir haben das Sterben<br />
aus unserem Leben verdrängt, weil<br />
wir den Tod <strong>für</strong>chten. Am liebsten<br />
schliefen wir einfach ein und wachten<br />
nicht mehr auf. Doch ein solcher Tod<br />
gehört zu den sehr seltenen Ausnahmen.<br />
Wenn ich meinen Mann nicht auf<br />
<strong>die</strong>se Weise verloren hätte, wäre auch<br />
ich dem Thema weiter ausgewichen.<br />
Wie wir beerdigt werden wollten,<br />
fragte János zwei Jahre vor seinem eigenen<br />
Tod bei der Beerdigung seiner<br />
Mutter. Ich war geschockt. „Das ist<br />
mir doch egal“, sagte ich und wechselte<br />
das Thema. Doch ein Stachel<br />
der Verunsicherung blieb. Dann, als<br />
er krank wurde und ich jeden seiner<br />
Schritte in der Klinik begleiten musste,<br />
weil er als Ungar nicht gut genug<br />
Deutsch sprach, um sich zweifelsfrei<br />
mit den Ärzten zu verständigen, da<br />
sagte er mehrfach: „Das ist jetzt aber<br />
hart <strong>für</strong> dich, dich mit all dem zu<br />
konfrontieren ...“<br />
Ich habe mich damit konfroniert,<br />
und solange mein Mann lebte, war<br />
das gar nicht einmal so schwer. Seine<br />
Liebe und Energie trugen mich durch<br />
<strong>die</strong> Routine der Krebsklinik, <strong>die</strong><br />
schlaflosen Nächte, <strong>die</strong> sprachlosen<br />
Momente der Angst und Verzweiflung.<br />
Aber als er dann starb, war er<br />
plötzlich weg und blieb auch meinen<br />
Träumen fern. Amnesie. Ich schämte<br />
mich da<strong>für</strong>. Erst nach vielen Monaten<br />
sah ich ihn im Schlaf, eingefroren in<br />
einen Eisberg. Mit gespreizten Armen<br />
und Beinen tauchte er, umhüllt von<br />
dem tauben Weiß, aus den Tiefen<br />
des Meeres auf. Sein Gesicht war von<br />
mir abgewandt. Rauhreif hatte meine<br />
Welt überzogen.<br />
Auf der Suche nach meinen<br />
Gefühlen, nach dem Schmerz und<br />
der Trauer begann ich, ein Buch zu<br />
schreiben, das Unfassbare in Buchstaben<br />
zu kleiden und ihm dadurch<br />
Gestalt zu geben. Erst da merkte ich,<br />
wie groß das Tabu wirklich ist.<br />
Ein Buch über das Sterben? Abscheu<br />
und Mitleid beschlich das<br />
Gesicht meiner Freunde, als ich<br />
zwei Jahre nach dem Tod von János<br />
immer noch nicht mit dem Thema<br />
abgeschlossen hatte. „Dann muss es<br />
aber auch mal gut sein“, sagte eine<br />
nahe Freundin, und zu manchen<br />
Festen wurde ich nicht mehr eingeladen,<br />
weil das Gespräch irgendwie<br />
immer wieder auf das Thema kam.<br />
Weniger weil meine Trauer kein Ende<br />
nehmen wollte. Sondern weil ich<br />
trotz meines Schmerzes so unglaublich<br />
viel Positives erfahren habe in der<br />
Konfrontation mit dem Ende. Denn<br />
Sterben hat, so habe ich es erfahren,<br />
viel mehr mit dem Leben zu tun als<br />
mit dem Tod. Im Sterben erleben wir<br />
vielleicht <strong>die</strong> intensivsten Momente<br />
unserer Existenz – den Abschied von<br />
dem, was uns wichtig war, <strong>die</strong> Frage,<br />
was bleibt, wenn wir gegangen sind.<br />
Es ist deshalb nicht egal, wo und wie<br />
uns der Tod begegnet.<br />
János hatte unstillbare Schmerzen,<br />
und doch hatte er das Glück, auf einer<br />
Palliativstation zu sterben, begleitet<br />
von Menschen, <strong>die</strong> ihn achteten und<br />
umsorgten. Das war der eine Grund,<br />
<strong>die</strong>ses Thema nicht ruhen zu lassen:<br />
<strong>die</strong>se Seite der Medizin und Pflege<br />
bekannter zu machen, <strong>die</strong> sich um<br />
das Lindern von Leid kümmert, wo<br />
es nicht mehr kuriert werden kann.<br />
Sie erlaubte mir, auf eine wunderbare<br />
Weise Abschied zu nehmen.Sie<br />
erlaubte ihm, bis zur letzten Sekunde<br />
er selbst zu bleiben, seinen Stolz nicht<br />
zu verlieren, seine Leidenschaft und<br />
endlose Liebe. Den Menschen, <strong>die</strong><br />
das ermöglichten, werde ich immer<br />
dankbar sein.<br />
Die meisten von uns sterben aber<br />
nicht auf <strong>die</strong>se Weise, sondern alleingelassen,<br />
unter großen Beschwerden<br />
und unwürdigen Umständen, in der<br />
gehetzten Regelversorgung der Krankenhäuser<br />
oder der Heime. Im Laufe<br />
meiner Recherchen bin ich Schicksalen<br />
begegnet, <strong>die</strong> ich früher <strong>für</strong><br />
unglaublich gehalten hätte – wenn<br />
ich das Thema Tod nicht immer verdrängt<br />
gehabt hätte. Aber auch <strong>die</strong><br />
Medizin mag sich damit nicht konfrontieren.<br />
Viele Ärzte haben nicht<br />
<strong>die</strong> geringste Ahnung, was beim Sterben<br />
geschieht – nicht einmal von den<br />
körperlichen Vorgängen. Sterbende<br />
müssen deshalb oft ohne Not leiden<br />
und mit ihnen ihre Familie, Freunde<br />
und Partner. Die Angehörigen machen<br />
sich später Vorwürfe: Wo war<br />
der Punkt, an dem man <strong>die</strong> Behandlung<br />
hätte abbrechen sollen? Hätte es<br />
Alternativen gegeben? Was habe ich<br />
falsch gemacht?<br />
Der Ruf nach aktiver Sterbehilfe<br />
oder nach dem autonomen Patienten,<br />
der sich per Verfügung selbst<br />
„abstellt“, soll das Drama am Lebensende<br />
entschärfen. Doch wir können<br />
den vielen Fragen, vor <strong>die</strong> uns der<br />
medizinische Fortschritt stellt, nicht<br />
einfach durch einen schnellen Tod<br />
ausweichen. Stattdessen müssen wir<br />
uns klar darüber werden, wie unscharf<br />
<strong>die</strong> Trennlinie zwischen Leben<br />
und Tod längst geworden ist: Welchen<br />
Preis zahlen wir <strong>für</strong> ein längeres<br />
Leben? Was erwartet uns, wenn wir<br />
<strong>die</strong> letzten Chancen nützen wollen?<br />
Wann sollen <strong>die</strong> Ärzte anfangen aufzuhören?<br />
Verantwortung<br />
übernehmen<br />
Wir müssen selbst, das hat mich<br />
János’ Schicksal gelehrt, Verantwortung<br />
<strong>für</strong> unser Lebensende übernehmen.<br />
Niemand kann sie uns abnehmen,<br />
<strong>die</strong> Ärzte nicht, <strong>die</strong> Juristen<br />
nicht, der Pfarrer nicht. Wir müssen<br />
das Leiden akzeptieren, wo es nicht<br />
zu ändern ist. Und wir müssen uns<br />
mit der Frage konfrontieren, was wir<br />
selbst da<strong>für</strong> tun, es zu lindern. Nicht<br />
ausweichen, ehrlich sein, Gefühle<br />
zulassen – das ist etwas, was <strong>die</strong> Patienten<br />
auf einer Palliativstation erfahren<br />
und was ihrem Leben neuen<br />
Sinn geben kann, auch in Momenten<br />
tiefster Verzweiflung.<br />
Am Ende der Therapieversuche,<br />
wenn <strong>die</strong> Krankheit siegt,<br />
quälen <strong>die</strong> Patienten oft massive<br />
Symptome: Schmerzen, Juckreiz,<br />
Luftnot, eiternde, übelriechende<br />
Wunden, Schluck- und Sprechstörungen,<br />
Krämpfe, Ödeme, Übelkeit<br />
und Angst. Wenn sie Glück haben,<br />
landen sie dann auf einer Palliativstation.<br />
Dort arbeiten Atem- und<br />
Kunsttherapeuten, <strong>Seelsorge</strong>r, Sozialpädagogen,<br />
Psychologen, Physiotherapeuten,<br />
Masseure – und<br />
nicht zuletzt Ärzte und Pflegende,<br />
<strong>die</strong> doppelt so viel Zeit <strong>für</strong> ihre Patienten<br />
haben wie auf einer normalen<br />
Abteilung. Und oft eine Haltung, <strong>die</strong><br />
dem Menschen mehr zugewandt ist<br />
als sonst in der Medizin. Den Tagen<br />
mehr Leben geben, nicht dem Leben<br />
mehr Tage – dazu hatte <strong>die</strong> Mentorin<br />
des Palliativgedankens, <strong>die</strong> Engländerin<br />
Cecily Saunders, aufgefordert.<br />
Meistens ist es anders: Die 85-jährige<br />
Mutter einer Freundin hat Brustkrebs,<br />
eine aggressive Form, <strong>die</strong> ihrem<br />
langen und erfüllten Leben ein<br />
Ende setzen wird. Im Krankenhaus<br />
kann man nichts mehr <strong>für</strong> sie tun.<br />
Also wartet sie zuhause auf den Tag,<br />
35<br />
im bl i c k
36<br />
im bl i c k<br />
an dem ihre Symptome so massiv<br />
sein werden, dass ihre Sterbephase<br />
anbricht. Alle um sie herum wissen,<br />
dass sie nicht mehr lange zu leben<br />
hat. Aber niemand spricht mit ihr<br />
darüber. Sie selbst schützt ihre Familie<br />
und will weder Schmerz noch<br />
Panik zeigen, der Arzt weicht Fragen<br />
aus, auf <strong>die</strong> er keine Antwort hat, <strong>die</strong><br />
zerfressene Brust nässt, und sie bleibt<br />
allein, eingeschlossen in ihrem Körper,<br />
der zerfällt.<br />
Wie sehr ein bewusster Abschied<br />
den Schmerz lindern kann, zeigen <strong>die</strong><br />
Erfahrungen in Kinderhospizen. Von<br />
Palliativstationen und Erwachsenenhospizen<br />
unterscheidet sie, dass ihre<br />
Gäste oft noch Jahre zu leben haben<br />
und immer wiederkehren, um sich<br />
mit dem Gedanken an das Ende auseinanderzusetzen,<br />
mit der Hilfe anderer<br />
Betroffener und vieler Helfer.<br />
Das andere Sterben<br />
Im ersten Kinderhospiz Deutschlands,<br />
im westfälischen Olpe, findet<br />
im Garten jedes Jahr einmal ein Gedenkfest<br />
statt. Noch Jahre nach dem<br />
Tod ihrer Kinder kommen <strong>die</strong> Eltern<br />
mit den Geschwistern und stellen<br />
kleine Windräder mit den Namen<br />
der verstorbenen Jungen oder Mädchen<br />
auf. Trauerarbeit ist eine wichtige<br />
Säule des Hospizgedankens. Im<br />
Gegensatz zu den Älteren begegnen<br />
<strong>die</strong> Kleinen unter den Kindern dem<br />
Tod fast wie einem Freund, und sie<br />
spüren seine Nähe auch dort, wo sie<br />
Erwachsene immer noch verdrängen.<br />
Jürgen Schulz, Vorstand einer Stiftung,<br />
<strong>die</strong> unter anderem in Berlin das<br />
Kinderhospiz Sonnenhof unterhält,<br />
erinnert sich an seinen Sohn, der<br />
mit acht Jahren an Leukämie starb.<br />
Während der kleine Björn auf dem<br />
Fußboden mit Autos spielte, schlug<br />
er seiner Mutter, <strong>die</strong> daneben kochte,<br />
völlig unverhofft vor, doch noch ein<br />
Baby zu bekommen. „Aber warum<br />
denn? Wir haben doch dich?“, fragte<br />
<strong>die</strong> Mutter erstaunt, denn <strong>die</strong> Eltern<br />
waren noch überzeugt, dass ihr Kind<br />
es schaffen würde. „Aber nicht mehr<br />
lange“, sagte Björn und brauste weiter<br />
mit seinen Autos durch das Zimmer.<br />
Aber ich weiß auch, wie schwer<br />
es ist, den Tod vorwegzunehmen.<br />
„Ich weiß es, aber ich kann es nicht<br />
glauben: Ich habe Krebs.“ Abends,<br />
wenn wir aus der onkologischen<br />
Tagesklinik nach Hause kamen, telefonierte<br />
János, rief seine Familie in<br />
Budapest an, <strong>die</strong> Freunde. Sie haben<br />
unterschiedlich reagiert, verlegen,<br />
beschwichtigend, schulterklopfend,<br />
ratlos. „Es wird schon wieder werden“<br />
– was soll man schon anderes<br />
sagen auf eine Diagnose, <strong>die</strong> „unheilbar“<br />
lautet. Wir konnten uns ja selbst<br />
nicht vorstellen, dass sein Leben, unser<br />
gemeinsames, glückliches Leben<br />
plötzlich zu Ende sein sollte. „Ich will<br />
nicht sterben“, hatte János zu dem<br />
Onkologen gesagt, klar und sachlich.<br />
„Ich versuche es mit der Chemotherapie<br />
und werde kämpfen.“ Monate.<br />
Vielleicht Jahre. Es blieben uns nur<br />
112 Tage.<br />
Christian, genannt Chrigu, ist 21,<br />
als er <strong>die</strong> Diagnose bekommt. Der<br />
junge Schweizer hält <strong>die</strong> Kamera unter<br />
dem Arm und steht im Bad der<br />
Klinik, in der er eine Chemotherapie<br />
macht. Ein seltener Nervenkrebs. Das<br />
Objektiv wird zu seinem Tunnel in<br />
<strong>die</strong> Ewigkeit. Er ahnt, dass <strong>die</strong> Bilder<br />
länger leben werden als er selbst.<br />
Der junge Schweizer hat sein eigenes<br />
Sterben gefilmt, erst alleine, dann mit<br />
Hilfe seines besten Freundes, des<br />
Filmhochschülers Jan Gassmann. Ein<br />
Jahr lang dauerte das Auf und Ab von<br />
Therapien, Hoffnung, Zweifeln und<br />
Abschiednehmen. Drinnen in der<br />
Klinik, da ist das irgendwie okay, da<br />
findet man sich damit ab, sagt er, als<br />
er entlassen wird, weil man ihm nicht<br />
mehr helfen kann. Aber draußen,<br />
mitten im Leben, beginnen sich <strong>die</strong><br />
Zeittunnel zu verschieben. Die einen<br />
leben weiter. Er löst sich auf.<br />
Nochmal <strong>die</strong> Tortur mit den Therapien<br />
– da würde er sich lieber umbringen,<br />
sagt er in einer Einstellung.<br />
Später, nach der Lungenembolie und<br />
den vielen Metastasen, blickt er mit<br />
seinen dunklen Augen unverwandt in<br />
<strong>die</strong> Kamera und sagt mit schwachem<br />
Lächeln: „Ich habe mich nicht umgebracht.<br />
Das Leben ist zu schön.“<br />
Das Sonnenlicht. Die Freunde und<br />
<strong>die</strong> Eltern. Gemeinsam warten sie<br />
auf den Tod. „Der Film soll nicht<br />
traurig werden. Der Film soll nicht<br />
moralisieren. Der Film soll lustig<br />
werden“, fordert Chrigu, als es schon<br />
gar nicht mehr komisch ist um ihn<br />
herum. Kissen werden aufgetürmt,<br />
um das Bett noch weicher zu machen,<br />
<strong>die</strong> Schmerzpumpe muss immer höhere<br />
Dosen an Morphium abgeben.<br />
Seine Stimme wird heiser und <strong>die</strong><br />
Luft wird knapp. Der Freund und <strong>die</strong><br />
Kamera begleiten ihn, <strong>die</strong> stockenden<br />
Gespräche über das, was man doch<br />
nicht verstehen kann oder nicht<br />
wirklich ausdrücken, <strong>die</strong> Liebe zur<br />
Mutter zum Beispiel, Freundschaft,<br />
Gefühle. Aber sie wollen verstehen,<br />
was passiert, suchen und weichen<br />
nicht aus.<br />
Auf dem Münchner Dokfestival<br />
sind <strong>die</strong> Vorstellungen von „Chrigu“<br />
ausverkauft. Dicht gedrängt verfolgt<br />
ein überwiegend sehr junges Publikum<br />
sein Schicksal. „Die wenigen<br />
Menschen, <strong>die</strong> ich so stark und bewusst<br />
sterben gesehen habe, sind alle<br />
unter 30“, sagt ein Freund, der als<br />
Palliativmediziner schon viele Tode<br />
erlebt hat. „Ich glaube, das liegt daran,<br />
dass sie nur von dem Abschied<br />
nehmen müssen, was ihnen <strong>die</strong><br />
Krankheit an Zukunft raubt. Ältere<br />
Menschen müssen von dem Abschied<br />
nehmen, was sie in der Vergangenheit<br />
versäumt haben. Das ist eine<br />
ganz andere Form von ungelebtem<br />
Leben ...“<br />
1_08_AfS_Ministranten 12.12.2007 9:20 Uhr Seite 1<br />
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spielerisch dazu an, den Gottes<strong>die</strong>nst als Feier<br />
Gottes mit uns Menschen verständlich und damit<br />
erfahrbar zu machen. Ein frisch aufgemachter Kurs<br />
mit jeder Menge Erklärungen, Spielen und Übungen<br />
und vielen praktischen Anregungen <strong>für</strong> Zeiten des<br />
Innehaltens, des Betens und des Feierns <strong>für</strong> <strong>die</strong> neuen<br />
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sind auf der beiliegenden CD-ROM abgespeichert.<br />
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Zum 30. Europäischen<br />
Jugendtreffen lädt <strong>die</strong> Gemeinschaft<br />
von Taizé vom<br />
28. Dezember 2007 bis 1.<br />
Januar 2008 nach Genf<br />
ein und informiert auf der<br />
Homepage über <strong>die</strong> Veranstaltung.<br />
Christus-Oratorium<br />
Schon als Jugendlicher<br />
wollte Franz Liszt<br />
Priester werden. Sein Lebensweg<br />
führte ihn dann<br />
aber doch zunächst in<br />
<strong>die</strong> Welt der Musik, wo er<br />
sich allerdings nie ganz zu<br />
Hause fühlte. Und so begab<br />
Liszt sich schließlich<br />
nach Rom, wo er sich auf<br />
<strong>die</strong> Aufnahme in den geistlichen<br />
Stand vorbereitete.<br />
www.ruhama.de<br />
Seit vielen Jahren bereichern<br />
Neue Geistliche<br />
Lieder der Gruppe Ruhama<br />
nicht nur <strong>die</strong> Liturgie.<br />
Auf ihrer Homepage stellt<br />
sich <strong>die</strong> Gruppe vor und<br />
lädt zu aktuellen Veranstaltungen<br />
ein.<br />
Dort vollendete der Komponist<br />
1866 sein großes<br />
Christus-Oratorium nach<br />
lateinischen Texten aus der<br />
heiligen Schrift und der<br />
katholischen Liturgie <strong>für</strong><br />
Soli, Chor, Orchester und<br />
Orgel. Das weithin unbekannte<br />
Werk, das <strong>die</strong> Geburt,<br />
das Wirken und <strong>die</strong><br />
Passion Christi in faszinierenden<br />
Chor- und Orche-<br />
www.katholikentag.de<br />
Vom 21. bis 25. Mai<br />
2008 findet in Osnabrück<br />
der 97. Katholikentag unter<br />
dem Motto „Du führst<br />
uns hinaus in das Weite“<br />
statt. Informationen rund<br />
um das Treffen finden sich<br />
im Netz.<br />
sterfarben schildert, wird<br />
in der hier vorliegenden<br />
Mehrkanal-Aufnahme zu<br />
einem geistlichen und musikalischen<br />
Hörgenuss.<br />
Bestellt werden kann<br />
das CD-Paket (Bestell-Nr.<br />
679.7435) zum Preis von<br />
€ 39,90 bei Herdershop24.<br />
Tel. 0761/2717-300,<br />
Fax 0761/2717-360,<br />
www.herdershop24.de<br />
www. lumen-tenebris.de<br />
Einen Namen hat sich<br />
Stefan W. Knor inzwischen<br />
mit seinen Installationen<br />
im sakralen Raum gemacht.<br />
Seine eindrucksvollen Projekte<br />
stellt er auf der Site<br />
vor und zeigt, wie der ungewöhnliche<br />
Einsatz von<br />
Licht und Farbe sakralen<br />
Räumen neue Ausdruckskraft<br />
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Zweiter Sonntag nach Weihnachten A<br />
Die Ohnmacht der Worte<br />
Deshalb erwartete er von den Wörtern nichts mehr. Er<br />
glaubte nicht mehr, dass <strong>die</strong> intelligent aneinandergereihten<br />
Wörter den Menschen und der Welt noch helfen<br />
konnten. Und wirklich, <strong>die</strong> Wörter sind heutzutage<br />
so komisch verdreht, weißt du, auch das einfache Wort,<br />
auch wenn zwei bloß miteinander sprechen, so wie wir<br />
jetzt. Die Wörter scheinen keinen Sinn mehr zu haben,<br />
überflüssig wie Denkmäler. In Wirklichkeit ist aus den<br />
menschlichen Wörtern eine Art Gebrüll geworden, etwas,<br />
das laut knatternd aus Lautsprechern kommt.<br />
Er glaubte also nicht mehr an <strong>die</strong> Wörter und genoss sie<br />
doch, berauschte sich an einzelnen ungarischen Vokabeln,<br />
schlürfte sie, nachts, in der verdunkelten Stadt, so wie<br />
du gestern den Grand Napoleon, den dir der südamerikanische<br />
Drogenschieber angeboten hat. Ja, du hast <strong>die</strong><br />
kostbare Flüssigkeit genauso mit geschlossenen Augen<br />
und Sachkenntnis und Andacht geschluckt wie jener<br />
Mensch, wenn er »gyöngy« oder »borbolya« sagte. Für<br />
ihn bestanden <strong>die</strong> Wörter aus einem essbaren Material,<br />
aus Fleisch und Blut. Und wenn er <strong>die</strong> seltsamen Wörter<br />
<strong>die</strong>ser asiatischen Sprache rief und stöhnte, glich er<br />
einem Betrunkenen oder Verrückten. Das Ganze kam<br />
mir wie eine fernöstliche Lustbarkeit vor, als sähe ich<br />
in der dunklen Nacht auf einmal ein Volk, oder eher<br />
das, was von ihm übriggeblieben ist, einen Menschen<br />
und ein paar Wörter, <strong>die</strong> von fernher, von sehr weit weg,<br />
sich hierher verirrt hatten. Bis dahin hatte ich nie darüber<br />
nachgedacht, dass ich Ungarin war. Obwohl ich das<br />
wirklich bin, ich schwör’s dir, alle meine Ahnen stammen<br />
aus der Künsäg. Ich habe ja auch <strong>die</strong>ses Mal am Rücken,<br />
von dem man sagt, es sei kein Muttermal, sondern ein<br />
Stammeszeichen. Du willst es sehen? Gut, nachher.<br />
Sándor Márai Wandlungen einer Ehe. Piper Verlag, München<br />
2003.<br />
Das erste Foto von Gott<br />
So sah ich aus nach jenem ersten Tag.<br />
Ich allein mit meinen Steinen aus Stein,<br />
ich allein mit meinen Lüften aus Luft.<br />
Das war der Tag, an dem ich noch glücklich war,<br />
<strong>die</strong> Erde noch öde und leer.<br />
Erst nachher schuf ich <strong>die</strong> Bäume;<br />
<strong>die</strong> Tiere, das Heer und <strong>die</strong>sen Fotografen.<br />
Oft habe ich Sehnsucht nach jenem Tag,<br />
an dem ich ihn machte, als ersten.<br />
Er und ich, zusammen in meiner Schöpfung,<br />
ich in meiner weinroten Jacke zwischen meinen Lüften<br />
aus Luft,<br />
er mit seinem Auge wie ein Spiegel<br />
auf meinen Steinen aus Stein,<br />
und sonst nichts.<br />
Cees Noteboom, So könnte es sein, Suhrkamp Verlag, Frankfurt.<br />
Taufe des Herrn A<br />
Die Taufe<br />
Ein Mann und zwei Frauen traten plötzlich in <strong>die</strong> Kirche.<br />
Eine der beiden Frauen war <strong>die</strong> angetraute Gattin<br />
Peppones, des Führers der Roten. „Es ist was zum Taufen“,<br />
sagte der Mann. Und eine der Frauen zeigte ein<br />
Wäschebündel mit einem Neugeborenen darin. Von<br />
wem ist es?“ fragte Don Camillo. „Von mir“, antwortete<br />
Peppones Gattin. „Und deinem Mann?“ erkundigte<br />
sich Don Camillo. „Natürlich! Von wem denn? Von ihnen<br />
vielleicht?“ antwortete trocken Peppones Gattin. Don<br />
Camillo zog <strong>die</strong> Kirchengewänder an und stellte sich<br />
zum Taufbecken.<br />
„Wie wollt ihr ihn nennen?“ fragte Don Camillo Peppones<br />
Gattin. „Lenin, Libero, Antonio“, erwiderte <strong>die</strong>se.<br />
„Lass ihn in Russland taufen“, sagte Don Camillo ruhig<br />
und deckte das Taufbecken wieder zu. Don Camillo hatte<br />
Hände, groß wie Schaufeln, und <strong>die</strong> drei gingen, ohne ein<br />
Wort zu sagen. Don Camillo versuchte in <strong>die</strong> Sakristei<br />
zu entschlüpfen, Christi Stimme nagelte ihn aber fest.<br />
„Don Camillo du hast wieder etwas sehr Schlechtes getan<br />
Geh, rufe <strong>die</strong> Leute zurück und taufe das Kind!“ „Jesu“,<br />
antwortete Don Camillo, „bedenke, dass <strong>die</strong> Taufe keine<br />
Komö<strong>die</strong> ist. Die Taufe ist eine heilige Sache. Die Taufe...“.<br />
„Don Camillo“, unterbrach ihn Christus, „wen willst du<br />
denn belehren, was <strong>die</strong> Taufe ist? Mich vielleicht, der<br />
sie eingesetzt hat?“ Don Camillo breitete <strong>die</strong> Arme aus:<br />
„Jesu, bitte, bedenke einen Moment. Wenn man sicher<br />
wäre, dass es später einmal in <strong>die</strong> Hölle kommt, könnte<br />
man’s noch machen. Und dann, sag mir bitte wie kann<br />
ich gestatten, dass zu Dir ins Para<strong>die</strong>s Leute kommen,<br />
<strong>die</strong> Lenin heißen? Ich habe es <strong>für</strong> den guten Ruf des.<br />
Himmels gemacht.“ „Für den guten Ruf des Himmels<br />
sorge ich“, rief Jesus ärgerlich Don Camillo zu. „Ist schon<br />
gut“, antwortete Don Camillo. „Ich habe nie recht. Ich<br />
werde versuchen, es wieder gutzumachen.“ In <strong>die</strong>sem<br />
Moment betrat jemand <strong>die</strong> Kirche. Es war Peppone allein,<br />
mit dem Kind auf dem Arm. Peppone schloß das<br />
Kirchentor und schob den Riegel vor. „Ich gehe nicht von<br />
39<br />
sEr v i c E
40<br />
sEr v i c E<br />
hier“, sagte er, „solange mein Sohn nicht auf den Namen<br />
getauft ist, den ich will!“ „In Ordnung, Peppone“, sagte<br />
er. „Das Kind wird getauft, aber nicht auf den verfluchten<br />
Namen. „Don Camillo“, murmelte Peppone, „denken Sie<br />
daran, dass ich einen sehr empfindlichen Bauch habe,<br />
seit mich damals, im Gebirge, eine Kugel getroffen hat.<br />
Machen Sie keine Tiefschläge, oder ich beginne mit<br />
<strong>die</strong>ser Bank zu schlagen!“ „Sei ruhig, Peppone, ich werde<br />
dich schon am Oberteil zurechtbiegen“, antwortete<br />
Don Camillo und versetzte ihm eine Maurerohrfeige<br />
hinters Ohr. Sie waren zwei Riesen mit Armen wie aus<br />
Stahl, und <strong>die</strong> Ohrfeigen pfiffen durch <strong>die</strong> Luft. Nach<br />
zwanzig Minuten schweigsamen und wilden Kampfes<br />
hörte Don Camillo eine Stimme hinter seinem Rücken:<br />
„Fest, Don Camillo! Einen Hieb auf den Unterkiefer!“ Es<br />
war Christus vom Hauptaltar. Don Camillo feuerte auf<br />
den Unterkiefer. Peppone streckte sich auf dem Boden<br />
aus. „Wie werden wir ihn nennen?“ fragte Don Camillo.<br />
„Camillo, Libero, Antonio“, murmelte Peppone. Don<br />
Camillo schüttelte den Kopf. „Nein, nennen wir ihn<br />
lieber Libero, Camillo, Lenin“, sagte er. „Ja, auch Lenin.<br />
Wenn nämlich ein Camillo dabei ist, können <strong>die</strong> anderen<br />
nichts mehr anrichten.“ Als alles fertig war, ging Don<br />
Camillo am Altar vorbei. Christus sagte lächelnd: „Don<br />
Camillo, ich muss schon sagen: Von der Politik verstehst<br />
du mehr als ich.“ „Von den Schlägen auch“, antwortete<br />
Don Camillo sehr stolz, eine große Beule auf der Stirn<br />
gleichgültig betastend.<br />
Giovannino Guareschi, Don Camillo und Peppone. Rowohlt Verlag,<br />
Reinbek.<br />
Wie der Täufer sein<br />
„Das letzte Zeichen lass an uns geschehen,<br />
erscheine in der Krone deiner Kraft,<br />
und gib uns jetzt (nach aller Weiber Wehen)<br />
des Menschen ernste Mutterschaft.<br />
Erfülle, du gewaltiger Gewährer,<br />
nicht jenen Traum der Gottgebärerin,<br />
nicht auf den Wichtigen: den Tod-Gebärer,<br />
und führ uns mitten durch <strong>die</strong> Hände derer,<br />
<strong>die</strong> ihn verfolgen werden, zu ihm hin.<br />
Denn sieh, ich sehe seine Widersacher,<br />
und sie sind mehr als Lügen in der Zeit,<br />
und er wird aufstehen in dem Land der Lacher<br />
und wird ein Träumer heißen: denn ein Wacher<br />
ist immer Träumer unter Trunkenheit.<br />
Du aber gründe ihn in deine Gnade,<br />
in deinem alten Glanze pflanz ihn ein;<br />
und mich lass Tänzer <strong>die</strong>ser Bundeslade,<br />
lass mich den Mund der neuen Messiade,<br />
den Tönenden, den Täufer sein.<br />
Rainer Maria Rilke, Sämtliche Werke I. Band. Buch von der Armut<br />
und dem Tode, Insel Verlag, Frankfurt am Main 1987, S. 350 f.<br />
Zweiter Sonntag im Jahreskreis A<br />
Die Reinwaschung<br />
Der Regen wäscht deine Kreideschrift von der Wand und<br />
dein Blut von den Steinen.<br />
Und <strong>die</strong> Tränen <strong>die</strong> um dein Blut geweint worden sind<br />
<strong>die</strong> wäscht er noch schneller ab als das Blut und <strong>die</strong> Kreide.<br />
Die Welt wäscht sich wieder rein.<br />
Zuerst <strong>die</strong> Tränen<br />
und dann das Blut<br />
und <strong>die</strong> Kreide zuletzt<br />
Was zuerst da war<br />
währt am längsten<br />
Was zuletzt kam<br />
verschwindet zuerst.<br />
In <strong>die</strong>ser Reihenfolge<br />
hegt keine Bedeutung,<br />
nur <strong>die</strong> dass <strong>die</strong> Welt sich reinwäscht,<br />
wenn auch nur nach und nach<br />
Aus: Erich Fried, Das Gesamtwerk. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin.<br />
Zum Täufer gehen<br />
Eine Weile atmete er heftig und wühlte mit den Zehen in der<br />
Erde. Plötzlich packte er Jesus am Arm, und seine Stimme<br />
klang heiser und verzweifelt. „Ich weiß nicht, wie ich dich<br />
nennen soll. Marias Sohn? Des Zimmermanns Sohn? Davids<br />
Sohn? Ich weiß es noch nicht, wer du bist, du selbst weißt es<br />
auch nicht. Wir müssen es aber wissen, um uns beiden Erleichterung<br />
zu verschaffen. So kann es nicht weitergehen! Sieh<br />
nicht auf <strong>die</strong> andern, sie folgen dir wie Schafe und blöken,<br />
sieh nicht auf <strong>die</strong> Frauen, <strong>die</strong> dich loben und weinen, sie sind<br />
Frauen, sie haben ein Herz, aber kein Hirn! Sie brauchen wir<br />
nicht! Wir beide müssen wissen, wer du bist, was das <strong>für</strong> eine<br />
Flamme ist, <strong>die</strong> in dir brennt, Israels Gott oder der Teufel!<br />
Wir müssen, wir müssen es wissen!“<br />
Jesus bebte am ganzen Körper. „Was sollen wir tun, mein<br />
Bruder Judas? Wie können wir es erfahren? Hilf mir.“<br />
„Es gibt einen Weg.“<br />
„Welchen?“<br />
„Wir werden zu Johannes dem Täufer gehen, er soll es<br />
uns sagen. Er ruft doch: ,Er kommt! Er kommt!‘ Sobald<br />
er dich sieht, wird er erkennen, ob du es bist, der da<br />
kommen soll oder nicht.“<br />
Nikos Kazantzakis, Die letzte Versuchung, © by F A, Herbig Verlagsbuchhandlung<br />
GmbH, München. Deutsche Übersetzung von<br />
Werner Krebs.<br />
Interview<br />
Wenn er kommt, der Besucher,<br />
Der Neugierige und dich fragt,<br />
Dann bekenne ihm, dass du keine<br />
Briefmarken sammelst,<br />
Keine farbigen Aufnahmen machst,<br />
Keine Kakteen züchtest.<br />
Dass du kein Zuhause hast,<br />
Keinen Fernsehapparat,<br />
Keine Zimmerlinde.<br />
Dass du nicht weißt,<br />
warum du dich hinsetzt und schreibst,<br />
Unwillig, weil es dir kein Vergnügen<br />
macht.<br />
Dass du den Sinn deines Lebens immer<br />
noch nicht<br />
Herausgefunden hast, obwohl du schon<br />
alt bist.<br />
Dass du geliebt hast, aber mit<br />
zaghaften Armen.<br />
Dass du an vielen Orten zu Hause warst,<br />
Aber ein Heimrecht hast an keinem.<br />
Dass du dich nach dem Tod sehnst und<br />
ihn <strong>für</strong>chtest.<br />
Dass du kein Beispiel geben kannst<br />
als <strong>die</strong>ses:<br />
Immer noch offen.<br />
Marie-Luise Kaschnitz, aus: Dein Schweigen – meine Stimme,<br />
©1962 by Claasen Verlag, Düsseldorf.<br />
Dritter Sonntag im Jahreskreis A<br />
Einmal<br />
Einmal,<br />
da hörte ich ihn,<br />
da wusch er <strong>die</strong> Welt,<br />
ungesehn, nachtlang,<br />
wirklich.<br />
Eins und Unendlich,<br />
vernichtet,<br />
ichten.<br />
Licht war. Rettung.<br />
Paul Celan<br />
Der Augenblick des Fensters<br />
Jemand schüttet Licht<br />
Aus dem Fenster.<br />
Die Rosen der Luft<br />
Blühen auf,<br />
Und in der Straße<br />
Heben <strong>die</strong> Kinder beim Spiel<br />
Die Augen.<br />
Tauben naschen<br />
Von seiner Süße.<br />
Die Mädchen werden schön<br />
Und <strong>die</strong> Männer sanft<br />
Von <strong>die</strong>sem Licht.<br />
Aber ehe es ihnen <strong>die</strong> anderen sagen,<br />
Ist das Fenster von jemandem<br />
Wieder geschlossen worden.<br />
Aus: Heitmeyer, Wort Gottes feiern mit literarischen Texten. Verlag<br />
Butzon & Bercker, Kevelaer.<br />
Armut<br />
In jenem bürgerlichen Überfluss des beginnenden Jahrhunderts<br />
standen zwischen »Arm« und »Reich« noch nicht<br />
solche bewusstseinsweckenden und zum Hass aufrufenden<br />
Losungen wie zwei Jahrzehnte später; aus der Art, wie man<br />
in den »besseren Kreisen« über <strong>die</strong> Armen sprach, klang<br />
lediglich etwas wie verlegenes Schuldbewusstsein heraus:<br />
Nun ja, es ist recht traurig, aber so ist es halt, und wahrscheinlich<br />
ist es gottgewollt, denn »anders ist es nie gewesen«.<br />
Niemand dachte auch nur im Traum daran, dass das<br />
Problem der Armut in <strong>die</strong>ser liberalen und immer wohlhabenderen<br />
Gesellschaft akuter war, als es schien, und dass es<br />
auf dem Wege der Wohltätigkeit nicht zu lösen sein würde<br />
... Die Gesellschaft kannte ihre Pflichten und brachte <strong>die</strong> altersschwachen<br />
Armen nicht alle, nur <strong>die</strong> »rechtschaffenen«<br />
im Armenhaus unter. Dieser gräßliche, ranzige, verliesartige<br />
Bau steckte stets voller greiser Ammen und abgehalfterter<br />
Dienstmädchen, von denen sich <strong>die</strong> bürgerlichen Familien<br />
anders nicht hatten befreien können ... Dem Anschein nach<br />
war in <strong>die</strong>ser Welt alles in Ordnung, der Arme arbeitete,<br />
wenn er durfte und konnte, er bekam Almosen, wenn er<br />
bedürftig war, und war er rechtschaffen, stand ihm <strong>für</strong> den<br />
Lebensabend auch noch das Armenhaus offen.<br />
Das »soziale« Empfinden der Kinder ist verdreht und unentwickelt.<br />
Jedes Kind ist ehrgeizig und ein unverhüllter<br />
Anhänger des unbegrenzten Privatbesitzes. Auch ich<br />
machte mir als Kind wenig Gedanken über <strong>die</strong> Lage der<br />
Armen auf Erden. Dunkel ahnte ich, dass <strong>die</strong> Armen nicht<br />
grundlos arm sind, wahrscheinlich sind sie selber schuld<br />
daran, vielleicht haben sie ein gemeinsames Verbrechen<br />
begangen und büßen jetzt da<strong>für</strong>. Mit halbem Ohr hörte<br />
ich zuweilen auch Schlechtes über sie; sie seien faul, sie<br />
seien arbeitsscheu, wenn sie zu Geld kämen, vertränken<br />
sie es. Deshalb empfand ich eher nur Abscheu vor ihnen<br />
und dachte insgeheim voller Verachtung an sie. Wenn ein<br />
Bettler bei uns klingelte, sah ich mir <strong>die</strong> zerlumpte Gestalt<br />
mit unverhüllter Abneigung an; ich vermutete, er bettle aus<br />
Faulheit und niederen Beweggründen. Nein, mich hat ganz<br />
bestimmt nie irgendwer den »Klassenhass« gelehrt. Die Erwachsenen,<br />
<strong>die</strong> Familie und <strong>die</strong> Schule schwiegen eher über<br />
<strong>die</strong>se peinlichen, fast ungehörigen, komplizierten Fragen.<br />
Die Erziehung drehte den Kindern diskret den Kopf beiseite,<br />
gab ein Zeichen, dass es sich nicht gehöre hinzusehen. Nie<br />
lehrte es mich jemand mit ausgesprochenen Worten, aber<br />
insgeheim empfand ich <strong>die</strong> »Armen« als Feinde.<br />
Sándor Márai, Bekenntnisse eines Bürgers, Piper Verlag, München.<br />
41<br />
sEr v i c E
42<br />
sEr v i c E<br />
Für Sie<br />
gelesen<br />
Textur-Bildung<br />
Welchen Beitrag kann der<br />
Religionsunterricht leisten,<br />
wenn <strong>die</strong> „Text-Gewebe“<br />
Kultur, Identität und Religion<br />
beziehungsweise<br />
Religiosität immer weniger<br />
eindeutig erscheinen?<br />
Beate-Irene Hämel reflektiert<br />
unter religionspädagogischenGesichtspunkten<br />
aktuelle Erkenntnisse<br />
der Kultur-, Sozial- und<br />
Identitätsforschung. Sie<br />
schlägt vor, interkulturelles<br />
Lernen immer auch<br />
als intrakulturelles und<br />
intersubjektives Lernen zu<br />
verstehen. Damit sieht sich<br />
der Religionsunterricht in<br />
der Pflicht, Jugendliche als<br />
Subjekte ihrer eigenen Bildung<br />
anzuerkennen und<br />
sie in ihrer Entwicklung zu<br />
unterstützen. Ein Buch, das<br />
nicht unverzichtbar, aber<br />
ein guter Beitrag zum Dialog<br />
von Kultur und Religionspädagogik<br />
ist. (LEI)<br />
Beate-Irene Hämel, Textur-<br />
Bildung. Religionspädagogische<br />
Überlegungen zur<br />
Identitätsentwicklung im<br />
Kulturwandel. Schwabenverlag,<br />
Ostfildern 2007.<br />
Nur wer den<br />
Aufbruch wagt<br />
Die Bücher Jona, Rut, Tobit<br />
gehören zu den bewegendsten<br />
Dichtungen der<br />
Bibel. Diese Bücher stellen<br />
uns Menschen vor Augen,<br />
<strong>die</strong> zunächst gegen ihr<br />
Schicksal oder ihren Gott<br />
aufbegehren, um schließlich<br />
doch einzusehen, dass<br />
in ihrem Leben eine Fügung<br />
waltet.<br />
Josef Imbach, der lange<br />
Jahre an der Päpstlichen<br />
theologischen Fakultät St.<br />
Bonaventura in Rom lehrte,<br />
gelingt es, <strong>die</strong> Aktualität<br />
<strong>die</strong>ser Erzählungen <strong>für</strong><br />
den Leser spürbar werden<br />
zu lassen. Ihm geht es dabei<br />
weniger um eine historisch-kritische<br />
Analyse<br />
der Texte – auch wenn er<br />
durchaus historisch-kritischeForschungsergebnisse<br />
<strong>für</strong> seine Auslegung<br />
fruchtbar macht. Imbach<br />
will vielmehr das Potential<br />
an Lebenshilfe, das <strong>die</strong>se<br />
Texte auszeichnet, <strong>für</strong> den<br />
Leser fruchtbar werden<br />
lassen. In den drei alttestamentarischen<br />
Büchern,<br />
so Imbach im Vorwort,<br />
„ist von lauter Dingen <strong>die</strong><br />
Rede, <strong>die</strong> so nie geschehen<br />
sind, <strong>die</strong> aber dennoch täglich<br />
neu sich ereignen.“<br />
Und tatsächlich nimmt<br />
Imbach den Leser mit hi-<br />
nein in <strong>die</strong> Wirklichkeit der<br />
biblischen Geschichten, so<br />
dass sie schon bald zur eigenen<br />
Geschichte werden.<br />
Es sind Geschichten, <strong>die</strong><br />
glaubhaft davon erzählen,<br />
dass kein blindes Schicksal<br />
unser Leben bestimmt<br />
und dass der, der aufbricht,<br />
darin Schutz erfährt. Das<br />
Buch eignet sich sehr gut<br />
zur täglichen, meditativen<br />
Lektüre. Doch auch <strong>die</strong>, <strong>die</strong><br />
<strong>für</strong> Predigt, Bibelkreise u.ä.<br />
Hilfen und Anregungen<br />
suchen, werden hier fündig.<br />
(FR)<br />
Josef Imbach, Nur wer den<br />
Aufbruch wagt ... Jona –<br />
Rut – Tobit, Patmos Verlag,<br />
Düsseldorf 2007.<br />
Der „heilige Rest“?<br />
Die aktuelle Situation in<br />
der Kirche bietet immer<br />
wieder Anlass zur Reflexion<br />
und zur Neubesinnung<br />
auf das, was wesentlich ist<br />
<strong>für</strong> Kirche. In knapper und<br />
gut lesbarer Form bietet der<br />
ehemalige Spiritual <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />
Priesteramtskandidaten<br />
im Bistum Münster, Ste-<br />
fan Zekorn, eine Diagnose<br />
der aktuellen Situation<br />
der Kirche in Deutschland.<br />
Anhand von zehn Thesen<br />
weist er Wege auf, <strong>die</strong> aus<br />
seiner Sicht <strong>für</strong> eine Weiterentwicklung<br />
der Kir-<br />
che wesentlich sind. Auch<br />
wenn nur wenig Neues<br />
zur Sprache kommt, legt<br />
Zekorn kein resignatives<br />
Buch vor. Das Buch eignet<br />
sich aufgrund des geringen<br />
Umfangs und der klaren<br />
und einfachen Sprache gut<br />
dazu, mit interessiertenGemeindemitgliedern<br />
in<br />
einen Dialog zu<br />
kommen, in welche<br />
Richtung sich<br />
Kirche weiterentwickeln<br />
soll und welche<br />
Maßnahmen in den<br />
Gemeinden ergriffen<br />
werden müssen, um<br />
<strong>die</strong>se Veränderung zu<br />
ermöglichen. (FR)<br />
Stefan Zekorn, Der „Heilige<br />
Rest“? Christliche Gemeinde<br />
und ihre Zukunft, Butzon &<br />
Bercker, Kevelaer 2007.<br />
Wo wohnt Gott?<br />
Wo wohnt Gott? Warum<br />
tut er nichts gegen das<br />
Leid der Welt? Was passiert<br />
mit uns nach dem<br />
Tod? Nur drei von vielen<br />
Fragen, wie sie Kinder oft<br />
recht unverhofft an <strong>die</strong><br />
Erwachsenen stellen. In<br />
<strong>die</strong>sem Buch findet man<br />
Antworten. Kurz und klar<br />
formuliert und dabei immer<br />
kindgerecht und offen<br />
in der Ansprache.<br />
Ganzseitige Illustrationen<br />
und zahlreiche Cartoons<br />
machen das Buch zu<br />
einem abwechslungsreichen<br />
Lesebuch, das<br />
nicht zu fromm geschrieben<br />
ist und auf der Höhe<br />
der theologischen Zeit<br />
steht. Interessant etwa <strong>die</strong><br />
Frage, ob man auch Christ<br />
sei, wenn man in In<strong>die</strong>n<br />
geboren würde. Eher<br />
nicht, weil dort <strong>die</strong> mei-<br />
sten Menschen Hindus<br />
seien, aber es gäbe dort<br />
auch Christen. Ehrlich<br />
und verständlich, immer<br />
bemüht, Verständnis zu<br />
wecken und keine oberflächlichen<br />
Antworten zu<br />
geben.<br />
Gleichzeitig machen<br />
<strong>die</strong> Autoren auch<br />
nicht den Versuch, auf alles<br />
eine Antwort zu haben.<br />
Stattdessen werden<br />
offene Fragen deutlich<br />
benannt. Ein Buch, das<br />
sich gut als Geschenk eignet.<br />
(LEI)<br />
Charles Delhez / Erwin<br />
Roosen, Wo wohnt Gott? ...<br />
und 99 weitere Fragen zum<br />
Glauben, Butzon & Bercker,<br />
Kevelaer 2007.<br />
Ständige Diakone –<br />
Stellvertreter der<br />
Armen?<br />
Das Werk „Ständige Diakone<br />
– Stellvertreter der<br />
Armen?“ nimmt Stellung<br />
zum Projekt „Pro Diakonia“,<br />
das in den Jahren<br />
2002 und 2003 in der Diözese<br />
Rottenburg-Stuttgart<br />
stattgefunden hat. Das Ziel<br />
<strong>die</strong>ses Projektes war dadurch<br />
bestimmt, dass <strong>die</strong><br />
ständigen Diakone in Kooperation<br />
mit der verbandlichen<br />
Caritas <strong>die</strong> Wirkung<br />
von Diakonie in ihrem jeweiligen<br />
Umfeld gestalten<br />
und vertiefen. Namhafte<br />
43<br />
sEr v i c E
44<br />
sEr v i c E<br />
Persönlichkeiten beziehen<br />
Stellung: Albert Biesinger,<br />
Ottmar Fuchs, Bernd Jochen<br />
Hilberath, Bischof<br />
Franz Kamphaus, Weihbischof<br />
Johannes Kreidler,<br />
Klaus Kießling (Hg.), Michael<br />
Ebertz und andere.<br />
Sigrid Zinnecker vom Diözesancaritasverband<br />
stellt<br />
unter anderem den interorganisatorischenLernprozess<br />
in den Vordergrund:<br />
eine Art<br />
dialektischer Prozess hat<br />
dadurch etwas Neues zu<br />
Tage gefördert und nachhaltig<br />
<strong>die</strong> Zukunft gestaltet.<br />
Das Buch bietet auch<br />
<strong>für</strong> Leser außerhalb der<br />
Diözese Rottenburg-Stuttgart<br />
zahlreiche Anregungen:<br />
Für Verantwortliche<br />
in der Ausbildung<br />
ständiger Diakone, <strong>für</strong><br />
ständige Diakone, <strong>für</strong> leitende<br />
Mitarbeiter in der<br />
verbandlichen Caritas sowie<br />
Hauptamtliche mit<br />
diakonischem Auftrag in<br />
der <strong>Seelsorge</strong>. Es finden<br />
sich unter anderem interessante<br />
Impulse <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />
Praxis: Woran lässt sich<br />
beispielsweise messen, ob<br />
Solidarität im eigenen<br />
Wirkungsbereich wächst<br />
(Klaus Kießling)? – Eine<br />
empfehlenswerte, kleine<br />
Schatzkiste rund um das<br />
Thema Amt, Diakonie und<br />
Caritas! Und: Die offene<br />
Frage des Buchtitels lädt<br />
ein, sich seine eigenen Gedanken<br />
zu machen! (MJ)<br />
Klaus Kießling (Hg.),<br />
Ständige Diakone – Stellvertreter<br />
der Armen? Projekt<br />
Pro Diakonia: Prozess – Positionen<br />
– Perspektiven, Lit<br />
Verlag, Berlin und Münster<br />
2006.<br />
Kirche nach dem<br />
Infarkt<br />
Für Michael Albus ist <strong>die</strong><br />
Kirche nicht in einer Krise<br />
und nicht krank, sie hat<br />
den Infarkt bereits hinter<br />
sich. Der Autor schickt <strong>die</strong><br />
Kirche in <strong>die</strong> Reha. Wobei<br />
er gleich am Anfang feststellt,<br />
dass es heute weniger<br />
um <strong>die</strong> Kirchen als vielmehr<br />
um <strong>die</strong> Religion, <strong>die</strong><br />
Sehnsucht des Menschen<br />
nach Antworten auf <strong>die</strong><br />
Fragen des Lebens geht.<br />
Von den Institutionen erwarten<br />
viele keine tragfähige<br />
Wegweisung mehr.<br />
Michael Albus macht sich<br />
auf <strong>die</strong> Suche nach einer<br />
lesbaren Möglichkeit von<br />
Religion. In <strong>die</strong>sem Buch<br />
lotet er mit vielen Erfahrungen<br />
angereichert nüchtern<br />
und leidenschaftlich<br />
zugleich <strong>die</strong> Erfahrungen<br />
der Religion aus und wagt<br />
einen realistischen Blick in<br />
ihre Zukunft. Ohne einfache<br />
Rezepte, mit Schritten,<br />
<strong>die</strong> der Leser nachvoll-<br />
ziehen muss. Sicherlich ist<br />
Albus keine Pflichtlektüre<br />
gelungen, aber eine spannendeZustandsbeschreibung<br />
und vielleicht auch<br />
Streitschrift, wie <strong>die</strong> Kirche<br />
wieder auf <strong>die</strong> Beine kommen<br />
kann. (LEI)<br />
Michael Albus, Kirche nach<br />
dem Infarkt. Von der Zukunft<br />
der Religion, Gütersloher Verlagshaus,<br />
Gütersloh 2007.<br />
Stimmen der Zeit<br />
Im Januarheft der Stimmen<br />
der Zeit befasst sich<br />
der Münchner Rechtsphilosoph<br />
Norbert Brieskorn<br />
mit den Konsequenzen der<br />
zunehmenden<br />
Ausweitung<br />
der Rechtsräume<br />
in der<br />
Europäischen<br />
Union und<br />
auf Weltebene.<br />
Der Germanist<br />
und<br />
frühere Präsident<br />
der<br />
Deutschen<br />
Forschungsgemeinschaft<br />
Wolfgang<br />
Frühwald porträtiert anlässlich<br />
seines 150. Todestages<br />
Joseph von Eichendorff<br />
auf dem politischen<br />
und sozialen Hintergrund<br />
seiner Zeit. Er deutet den<br />
Dichter als „verspäteten<br />
Romantiker“.<br />
Am 1. Juli 2002 ist das<br />
deutsche Stammzellgesetz<br />
in Kraft getreten. Der<br />
Münchener Moraltheologe<br />
Konrad Hilpert zieht nach<br />
fünf Jahren Bilanz und<br />
analysiert <strong>die</strong> Argumente<br />
<strong>für</strong> eine Gesetzesnovellierung.<br />
Autoren wie Richard<br />
Dawkins haben einen neuen<br />
Streit um <strong>die</strong> Gottesfrage<br />
ausgelöst. Jan-Heiner<br />
Tück hinterfragt unter Bezugnahme<br />
auf Pascal Merciers<br />
Roman „Der Nachtzug<br />
nach Lissabon“ den<br />
Glauben an den Unglauben.<br />
Karl-Heinz Grohall, Professor<br />
<strong>für</strong> Sozialwesen an<br />
der Fachhochschule Münster,<br />
würdigt bürgerschaftliches<br />
Engagement als<br />
Kern der Zivilgesellschaft.<br />
Kritisch untersucht er, inwieweit<br />
ein neues Gesetz<br />
ehrenamtliches Handeln<br />
anzuregen vermag und<br />
ihm öffentliche Anerkennung<br />
geben kann. In der<br />
religiösen Kunstszene in<br />
Köln sorgten<br />
2007 das neue<br />
Domfenster<br />
von Gerhard<br />
Richter<br />
und das neue<br />
Kunstmuseum<br />
Kolumba<br />
<strong>für</strong> Aufsehen.<br />
Friedhelm<br />
Mennekes<br />
würdigt <strong>die</strong>se<br />
beiden Kunstinnovationen<br />
als Meilensteine<br />
<strong>für</strong> das Verhältnis<br />
von moderner Kunst und<br />
alten Kirchen. In einem<br />
Umschau-Beitrag widmet<br />
Michael Braun dem am<br />
5. Oktober 2007 verstorbenen<br />
Chronisten und<br />
Schriftsteller Walter Kempowski<br />
einen Nachruf.<br />
Stimmen der Zeit, Heft<br />
1/2008. Einzelheft € 10,-.<br />
Probe-Abonnement (2 Hefte<br />
gratis): Tel.: 0761/2717-422,<br />
E-Mail kundenservice@<br />
herder.de.<br />
Glaubenszeugen –<br />
Lebenshelfer<br />
Die Ideen und Impulse<br />
<strong>die</strong>ser Materialmappe er-<br />
schließen in kreativen Zugängen<br />
Lebensweg und<br />
Glaubenszeugnis ausgewählter<br />
Heiliger. Jeweils<br />
zwei thematische Gestaltungsvorschläge<br />
bieten<br />
praxiserprobte Anregungen,<br />
Heilige als inspirierende<br />
Vorbilder <strong>für</strong> ein durch<br />
<strong>die</strong> Gottesbeziehung erfülltes<br />
Leben zu entdecken<br />
– in Gottes<strong>die</strong>nsten, Gruppenstunden<br />
und Gebetskreisen,<br />
bei Bibelnachmittagen,<br />
Festen und Feiern.<br />
Viele Materialien sind variabel<br />
auch <strong>für</strong> Kindergar-<br />
Für Sie<br />
gehört<br />
Zum Jahresbeginn eine<br />
ungewöhnliche Interpretation<br />
eines Meilensteins der<br />
klassischen Musikliteratur:<br />
Die Goldberg-Variationen<br />
von Johann Sebastian<br />
Bach, auf einer Woehl Orgel<br />
von Jürgen Sonnentheil<br />
eingespielt. Die bachschen<br />
Goldberg-Variationen<br />
blieben jahrelang ein viel<br />
ten und Schule oder auf<br />
Pilger- und Wallfahrten<br />
verwendbar. Die vielfältigen<br />
und abwechslungsreichen<br />
Bausteine und<br />
bewundertes, aber selten<br />
gespieltes Meisterwerk.<br />
Übergroße Ehrfurcht der<br />
Musikwissenschaftler und<br />
Vorsicht der Interpreten<br />
machten sie zu einem jener<br />
legendären Werke, <strong>die</strong> nur<br />
wenige Musiker öffentlich<br />
spielten und nur eingefleischte<br />
Musikliebhaber<br />
wirklich hören wollten.<br />
1955 änderte sich <strong>die</strong>s<br />
durch den damals noch<br />
fast unbekannten Pianisten<br />
Glenn Gould, der mit<br />
seiner ersten Einspielung<br />
<strong>die</strong>ses monumentale Werk<br />
in den Blick der Öffentlichkeit<br />
rückte.<br />
Wilhelm Middelschulte<br />
schuf im Jahre1924 eine<br />
Gestaltungselemente verleihen<br />
jeder Feier einen<br />
besonderen Akzent: Gebete<br />
und Fürbitten, Zitate,<br />
Kurzgeschichten und<br />
Gedichte, Meditationen<br />
und Fantasiereisen, Symbole<br />
und Zeichen, Lieder<br />
und Musik, Malerei, Grafik,<br />
Plastik, Spielszenen,<br />
Sprechmotetten und Aktionen,<br />
Tänze und Bewegung.<br />
Mit Hilfe der CD-ROM<br />
können alle Texte, Bilder<br />
und Vorlagen sofort ausgedruckt<br />
oder in anderen<br />
Bearbeitung der Goldberg-<br />
Variationen <strong>für</strong> Orgel, <strong>die</strong><br />
in der hier vorgestellten<br />
CD von dem Cuxhavener<br />
Organisten und Dirigenten<br />
Jürgen Sonnentheil fantasievoll<br />
und mit großem<br />
Können eingespielt wurde.<br />
Die intim wirkende<br />
Klangfülle <strong>die</strong>ser Einspielung<br />
und das neuartige<br />
Erlebnis, <strong>die</strong> Goldberg-<br />
Variationen auf einer<br />
Orgel zu hören, ist nicht<br />
nur <strong>für</strong> Musikkenner eine<br />
Bereicherung. Gerade<br />
durch mehrmaliges Hören<br />
erschließen sich dem<br />
Hörer immer wieder neue<br />
Facetten der grandiosen<br />
Programmen weiterverarbeitet<br />
werden. Folien komplettieren<br />
das bequem und<br />
effektiv einsetzbare Materialangebot.<br />
Dagmar Keck (Hrsg.),<br />
Glaubenszeugen –<br />
Lebenshelfer. Bausteine und<br />
Gestaltungselemente <strong>für</strong> das<br />
Heiligengedenken,<br />
Verlag Herder, Freiburg im<br />
Breisgau 2007.<br />
Einzelpreis € 17,90,<br />
Preis im Fortsetzungsbezug<br />
auf Anfrage:<br />
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kundenservice@herder.de.<br />
Transkription Middelschultes,<br />
<strong>die</strong> zu einer tiefen<br />
Entspannung führen<br />
können. Natürlich handelt<br />
es sich hier nicht um ein<br />
sakrales Werk, aber <strong>die</strong> verschiedenen<br />
Spielweisen des<br />
schlichten Themas haben<br />
einen meditativen Charakter,<br />
wirken wie ein immer<br />
wieder rezitiertes Gebet.<br />
Daher sei <strong>die</strong>se außergewöhnliche<br />
Einspielung<br />
als besondere Empfehlung<br />
zum Jahresbeginn ausgesprochen.<br />
Wilhelm Middelschulte<br />
Goldberg Variations<br />
Organ Works 4<br />
Jürgen Sonnentheil<br />
cpo 7770215-2<br />
45<br />
sEr v i c E
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Anz_HK_Spez_08_1 13.12.2007 10:14 Uhr Seite 1<br />
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des 21. Jahrhunderts? Die Herder Korrespondenz<br />
unternimmt in <strong>die</strong>sem Themenheft eine<br />
umfassende Standortbestimmung. Die Stellung<br />
der Theologie an einer Universität, <strong>die</strong> in tief<br />
greifenden Reformprozessen steckt, wird ebenso<br />
beleuchtet wie ihre Bedeutung <strong>für</strong> das gesellschaftliche<br />
und kirchliche Leben: herausgefordert<br />
durch naturwissenschaftliche, ethische und<br />
ökonomische Anfragen auf der einen Seite und<br />
ein starkes kirchliches Lehramt auf der anderen.<br />
Darüber hinaus werden <strong>die</strong> Schwerpunkte und<br />
methodischen Diskussionen gegenwärtiger<br />
theologischer Forschung in den einzelnen<br />
Fächern präsentiert. Der kompakte Überblick<br />
<strong>für</strong> Stu<strong>die</strong>rende, Forschende und Lehrende der<br />
katholischen Theologie – und <strong>für</strong> alle, <strong>die</strong> ihr<br />
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Dienst am Glauben<br />
unmögliche Berufe<br />
Es wird der Feder des Begründers der Psychoanalyse,<br />
Sigmund Freud, zugeschrieben, dass es drei unmögliche<br />
Berufe gibt: Erziehen, Regieren und Analysieren.<br />
Das „Unmögliche“ <strong>die</strong>ser Berufe liegt darin, dass sich<br />
Vertreter <strong>die</strong>ser Berufe bei deren Ausübung aufrichtig<br />
bemühen, gleichzeitig dabei aber oft das Empfinden haben,<br />
den damit verbundenen Anforderungen nicht völlig<br />
genügen zu können. So konfrontiert etwa <strong>die</strong> psychoanalytische<br />
Tätigkeit mit unterschiedlichsten Facetten<br />
menschlicher Regungen, auch mit solchen, mit denen<br />
man sich lieber nicht befassen würde. Nicht zu jedem<br />
Zeitpunkt ist alles, was <strong>die</strong> Klientel als psychische Problematik<br />
mitbringt, <strong>für</strong> Analysierende aushaltbar. Trotzdem<br />
verbietet sich aus fachlichen Gründen eine Flucht vor<br />
der Auseinandersetzung damit, weil deren Bearbeitung<br />
<strong>für</strong> ein erfolgreiches Ausüben des Berufes konstitutiv<br />
ist. Wer <strong>die</strong>sen unmöglichen Beruf des Analysierens gut<br />
ausüben will, muss demnach bereit und fähig sein, sich<br />
je neu allen Facetten und Abgründen der menschlichen<br />
Seele auszusetzen. Wer nicht stagnieren will, muss selbst<br />
innerlich vorankommen. Dazu muss <strong>die</strong> eigene Psyche<br />
beleuchtet werden, um das kreative Potential des Berufes<br />
tatsächlich ausschöpfen zu können.<br />
Solche Herausforderungen stellen sich nicht nur beim<br />
Erziehen, Regieren und Analysieren, wie Sigmund Freud<br />
meint, sondern mit Variationen auch in anderen Beziehungsberufen.<br />
Zu ihnen zählt <strong>die</strong> <strong>Seelsorge</strong>, wenn sie als<br />
der Beruf verstanden wird, der sich gemäß christlichem<br />
Fundament der vieldimensionalen Beziehungsarbeit am<br />
Dreiklang von Gottes-, Nächsten- und Selbstliebe verschreibt.<br />
Die freudsche Liste der unmöglichen Berufe<br />
ist dann um einen vierten zu erweitern, nämlich um<br />
das <strong>Seelsorge</strong>n. Auch <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Seelsorge</strong> ist es konstitutiv,<br />
sich immer wieder von den Menschen und ihrer Suche<br />
nach Sinn und Heil berühren zu lassen. Mitunter ist das<br />
eine mühsame Angelegenheit, wenn etwa Phänomene<br />
im Vordergrund stehen, <strong>die</strong> der Gottes-, Nächsten- oder<br />
Selbstliebe widersprechen. Es begegnen uns ja nicht wenige<br />
Frauen und Männer, <strong>die</strong> Selbstliebe mit Selbstverliebtheit<br />
verwechseln und ihre eigenen Interessen ohne<br />
Rücksicht auf Verluste anderer durchsetzen. Andere<br />
gehen in einer falsch verstandenen Nächstenliebe auf,<br />
<strong>die</strong> jegliche eigenen existentiellen Bedürfnisse negiert.<br />
Wieder andere leugnen Gott und glauben, ohne religiösen<br />
Bezug sinnerfüllt leben zu können. Es sind oft<br />
Grenzerfahrungen, <strong>die</strong> solche Lebenskonstrukte durchkreuzen<br />
und nur schwer lässt sich angesichts der Härte<br />
von Leid Gottes Liebe und Güte ins Wort bringen.<br />
In der <strong>Seelsorge</strong> sind <strong>die</strong> Menschen so wie sie kommen<br />
anzunehmen und gleichzeitig sind <strong>die</strong> Signale wahrzunehmen,<br />
mit denen sie – vielleicht ohne es selbst zu wissen<br />
und ohne es zu vermögen – nach einem „Mehr“ im<br />
Leben suchen. Für <strong>die</strong>se Aufgabe ist <strong>die</strong> eigene Gottes-,<br />
Nächsten- und Selbstliebe der <strong>Seelsorge</strong>nden angefragt.<br />
Es braucht ein gerütteltes Maß an Gelassenheit und Sensibilität,<br />
<strong>die</strong> sich beide aus spirituellen Ressourcen spei-<br />
sen. So entsteht ein permanentes Ringen um ein tieferes<br />
Eindringen in das Geheimnis unseres Glaubens und um<br />
<strong>die</strong> Ausbildung seelsorglicher Fähigkeiten.<br />
Es stellt heute ein besonderes Wagnis dar, den eigenen<br />
Glauben zum Beruf zu machen. Dies gilt nicht allein auf<br />
dem Hintergrund, dass <strong>die</strong> einzelnen <strong>Seelsorge</strong>rinnen<br />
und <strong>Seelsorge</strong>r wie auch <strong>die</strong> Kirche(n) insgesamt gefordert<br />
sind, wieder Kontakt zu allen Bevölkerungsgruppen<br />
zu suchen. Es greift zu kurz, wollte man <strong>Seelsorge</strong><br />
einzig auf <strong>die</strong> Gottes<strong>die</strong>nstgemeinden begrenzen. Wie<br />
in jüngster Zeit <strong>die</strong> Ergebnisse der Sinus-Stu<strong>die</strong> belegen,<br />
findet <strong>die</strong> Kirche derzeit vornehmlich nur noch in den<br />
konservativen und traditionsverwurzelten Milieus sowie<br />
in der bürgerlichen Mitte Gehör. Doch selbst dort wird<br />
deren Akzeptanz in Frage gestellt, während sie in den<br />
Lebenswelten der Mehrzahl der Milieus kaum mehr eine<br />
Rolle spielt. Die selbstkritische Frage muss erlaubt sein,<br />
ob wir es insgeheim selbst <strong>für</strong> unmöglich halten, <strong>die</strong>sen<br />
vielen „anderen“ <strong>die</strong> Botschaft unseres Glaubens so mitzuteilen,<br />
dass <strong>die</strong>se Menschen darin eine Befreiung zu<br />
Vorschau<br />
Im nächsten Heft lesen Sie<br />
Lebenslust<br />
Über lustlose Gesundheitsreligion und<br />
lustvolles Christentum<br />
Ich habe nicht einen Leib,<br />
ich bin mein Leib<br />
Durch Fasten <strong>die</strong> Sensibilität <strong>für</strong><br />
meinen Körper steigern<br />
Wellnessboom und Glaube<br />
Behutsame Provokationen<br />
wirklichem Leben entdecken, <strong>die</strong> allen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Botschaft<br />
annehmen, zugesagt ist.<br />
In der <strong>Seelsorge</strong> scheint es mir ein Zeichen der Zeit zu<br />
sein, das Ohr <strong>für</strong> <strong>die</strong> Ausdrucksformen von Sehnsüchten<br />
unserer Mitmenschen nach Zugehörigkeit, nach Sinn<br />
und nach Heilsein zu schärfen. Auch heute haben Frauen<br />
und Männer, Junge und Alte vielfältige religiöse Fragen,<br />
<strong>die</strong> jedoch mit anderen Worten formuliert werden,<br />
als wir Kirchenleute zu reden gewohnt sind. Um sie zu<br />
verstehen, bedarf es einer Grundhaltung, <strong>die</strong> Menschen<br />
vorbehaltlos annimmt. Für deren Sichtweise ist Gottes<br />
Wort so zu deuten, dass sich ihnen daraus neues Leben<br />
erschließt. Dabei dürfen sich <strong>die</strong> seelsorgerisch Tätigen<br />
als Mensch zeigen, der sich selbst mit Hoffen und mit<br />
Zweifeln auf dem Weg zu Gottes ganzer Wahrheit bewegt.<br />
Sie folgen damit dem biblischen Imperativ: „Freut<br />
euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden“<br />
(Röm 12,15). So wird <strong>die</strong>ser scheinbar unmögliche Beruf<br />
„<strong>Seelsorge</strong>“ heute doch menschenmöglich.<br />
Angelika M. Eckart<br />
Wir freuen uns auf Ihre<br />
Themenwünsche,<br />
Anregungen,<br />
Anfragen<br />
oder<br />
Kritik.<br />
Die Schwerpunkt-<br />
Themen der nächsten<br />
Ausgaben:<br />
März:<br />
Emmaus<br />
April:<br />
Bibelarbeit<br />
Mai:<br />
Priesterliche Lebensformen<br />
Juni:<br />
Ehepastoral<br />
Juli/August:<br />
Religion und Film<br />
51<br />
diE n s t a m Gl a u b E n
52<br />
car t o o n<br />
Das fehlte noch<br />
C A R T O O N<br />
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