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MÄA-04-24 online

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TITELTHEMA<br />

Münchner Ärztliche Anzeigen<br />

Dr. Christian Lechner ist Oberarzt<br />

der Frauenklinik an der München<br />

Klinik Harlaching. Foto: privat<br />

Wir möchten die Frauen nicht im<br />

Nothilfetrubel sitzen lassen. Daher<br />

führen wir sie in einen ruhigeren,<br />

geschützten Bereich. Bei uns gibt es<br />

etwas abseits liegende Aufnahmeräume,<br />

in denen sich Kolleg*innen<br />

zeitnah um sie kümmern können.<br />

Das Wichtigste ist, dass die Frau die<br />

Richtung und die Geschwindigkeit<br />

selbst vorgibt. Sie darf auf keinen<br />

Fall das Gefühl bekommen, dass<br />

Schritte durchgeführt werden, die<br />

sie nicht möchte. Sie soll keinen<br />

weiteren Kontrollverlust erleben.<br />

Wichtig ist auch die Aufklärung über<br />

die verschiedenen Möglichkeiten.<br />

Die Frau weiß von Anfang an, dass<br />

sie Untersuchungen oder auch Teile<br />

davon ablehnen kann. Sie bestimmt,<br />

was sie möchte, und was nicht.<br />

Wenn sie keinen DNA-Abstrich oder<br />

keine vaginale Untersuchung möchte,<br />

wird das akzeptiert. Auch wenn<br />

sie den Täter nicht anzeigen möchte<br />

oder noch nicht weiß, ob sie eine<br />

Anzeige erstatten möchte, ist das<br />

ihre freie Entscheidung. Gerade<br />

dafür ist die vertrauliche Spurensicherung<br />

gedacht. Manche Frauen<br />

befinden sich zum Untersuchungszeitpunkt<br />

vielleicht noch in einer<br />

gewissen Abhängigkeit zum Täter,<br />

weil sie zum Beispiel noch mit ihm<br />

zusammenwohnen. Erfahrungsgemäß<br />

ist dieser ja häufig nicht ein<br />

Unbekannter, sondern leider stammen<br />

die Täter oft mindestens aus<br />

dem erweiterten Bekanntenkreis der<br />

Opfer.<br />

Gibt es nach der ersten Untersuchung<br />

eine weitere Einbestellung?<br />

Nein, in der Regel übergeben wir die<br />

weitere medizinische Behandlung<br />

dann an die niedergelassenen Frauenärzt*innen,<br />

weil sie ja auch die<br />

Vertrauenspersonen für diese Frauen<br />

sind. Die psychologische Behandlung<br />

läuft über den Frauen*notruf.<br />

Wir empfehlen dringend eine Kontaktaufnahme<br />

mit dem Frauen*notrufweil<br />

die Gespräche mit den Psycholog*innen<br />

dort bei der Traumaverarbeitung<br />

helfen und weitere<br />

Möglichkeiten und Hilfsangebote<br />

aufgezeigt werden können.<br />

Geht es bei der Kampagne nur um<br />

die sexuelle Gewalt gegenüber<br />

Frauen?<br />

Man weiß, dass nicht nur Frauen von<br />

sexueller Gewalt betroffen sind.<br />

Unser Spurensicherungskit ist auch<br />

auf beide biologische Geschlechter<br />

ausgelegt, die Körperschemen sind<br />

von beiden Geschlechtern vorhanden.<br />

Tatsächlich übernehmen wir als<br />

Frauenklinik nur die Versorgung der<br />

Frauen. Betroffene Männer haben<br />

nach meinem Kenntnisstand in München<br />

derzeit leider keine äquivalente<br />

Anlaufstelle. Vielleicht ändert sich<br />

das ja nach diesem Artikel.<br />

Wie lässt sich der Datenschutz im<br />

Krankenhaus gewährleisten?<br />

Die Patientin wird zwar zunächst bei<br />

uns in der Frauenklinik ambulant<br />

aufgenommen und erhält bei uns<br />

auch Laboruntersuchungen auf HIV,<br />

Hepatitis etc. Die Toxikologie und die<br />

DNA gehen in die Rechtsmedizin. Der<br />

Aufnahmegrund ist jedoch nicht<br />

rückverfolgbar. Der Dokumentationsbogen<br />

wird gesondert von der ja<br />

auch schon durch das Arztgeheimnis<br />

hervorragend geschützten allgemeinen<br />

Klinikdokumentation verwahrt,<br />

sodass auch ich nicht jederzeit an<br />

ihn herankomme. Fotodateien werden<br />

mit besonderen Zugriffsbeschränkungen<br />

im System abgelegt,<br />

sodass auch hierüber kein<br />

Rückschluss auf den Konsultationsanlass<br />

möglich ist.<br />

Natürlich wird auch bei uns die elektronische<br />

Patientenakte kommen,<br />

aber diesen Bereich werden wir ausgliedern.<br />

Gerade in einem so großen<br />

Unternehmen wie der München Klinik<br />

kann es immer sein, dass man<br />

eine Woche später eine andere<br />

Behandlung braucht. Dann soll niemand<br />

sehen, dass die Betroffene<br />

kurz vorher vergewaltigt wurde.<br />

Was sollten Leser*innen der MÄA<br />

wissen?<br />

Wir möchten vor allem unser niederschwelliges<br />

Angebot für die Betroffenen<br />

bekannt machen. Wenn Kolleg*innen<br />

uns Patientinnen schicken<br />

möchten, sollten sie dies möglichst<br />

zeitnah tun. Die Betroffenen sollten<br />

möglichst nicht duschen, zähneputzen,<br />

essen, trinken oder rauchen um<br />

möglichst wenig Spuren zu zerstören.<br />

Unser Anliegen ist, dass die Niedergelassenen<br />

unseren Patientinnen<br />

dann für die Nachbetreuung zur Verfügung<br />

stehen. Wenn jemand ebenso<br />

wie wir eine Akutversorgung<br />

anbieten möchte, freuen wir uns<br />

natürlich auch über eine Kontaktaufnahme<br />

und eine Unterstützung.<br />

Erfahrungsgemäß wird der Zeitaufwand<br />

in einer regulären Praxis aber<br />

zu hoch sein und den Praxisalltag<br />

eher sprengen. Vielleicht gibt es<br />

auch Kolleginnen und Kollegen, die<br />

sich künftig auch der betroffenen<br />

Männer annehmen möchten.<br />

Das Gespräch führte Stephanie Hügler<br />

Was bedeutet Frau*?<br />

Manche Menschen identifizieren<br />

sich nicht als Frau, haben keine<br />

weiblichen Namen oder sehen<br />

nicht weiblich aus, haben aber<br />

dennoch weibliche Genitalien.<br />

Auch diese Menschen werden<br />

im Rahmen des Projekts in den<br />

Kliniken behandelt und von den<br />

Hilfsorganisationen beraten.

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