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MÄA-05-24 online

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TITELTHEMA<br />

Münchner Ärztliche Anzeigen<br />

PD Dr. Katharina Bühren ist<br />

Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie<br />

und -psychotherapie<br />

sowie Ärztliche Direktorin des<br />

kbo-Heckscher Klinikums mit<br />

zehn Standorten in Oberbayern.<br />

Foto: kbo-Heckscher Klinikum<br />

der sozialen Kompetenzen und des<br />

Körperbilds sowie Familien- und<br />

Elternarbeit. Eltern sind für uns<br />

wichtige Kotherapeut*innen. Wir<br />

holen sie ins Boot und machen dann<br />

z.B. Belastungserprobungen zu Hause,<br />

damit das Essen dann auch zu<br />

Hause nachhaltig funktioniert.<br />

Haben Sie Tipps zum Essen, wie<br />

das gut funktioniert?<br />

Den Patient*innen ist es oft wichtig,<br />

sich gesund zu ernähren. Gleichzeitig<br />

müssen sie viele Kalorien zu sich<br />

nehmen. Wenn man sie bittet, täglich<br />

eine Tüte Chips zu essen,<br />

kommt man nicht weit. Da das<br />

Magenvolumen der Betroffenen<br />

zunächst oft sehr klein ist, sollte<br />

man Speisen finden, die die Patient*innen<br />

sich zutrauen zu essen,<br />

die aber auch eine gewisse Energiedichte<br />

haben. Nüsse z.B. sind gute,<br />

gesunde Energielieferanten, die sie<br />

auch zwischendurch snacken können.<br />

Viele Jugendliche sagen z.B.: „In<br />

der Schulpause isst niemand etwas,<br />

da kann ich nicht mit drei Broten<br />

ankommen“. Wir machen dann mit<br />

ihnen aus, dass sie z.B. einen Eiweißdrink<br />

in einer blickdichten Flasche<br />

mitnehmen und dazu noch Nüsse<br />

essen.<br />

Wie ist die Prognose bei Magersucht?<br />

Bei der jugendlichen Magersucht ist<br />

sie gut und bei einer adäquaten und<br />

zeitnahen Therapie versterben die<br />

Patient*innen nicht. Die Prognose ist<br />

umso schlechter je jünger das<br />

Erkrankungsalter ist und je länger<br />

die Patient*innen erkrankt sind. Bei<br />

denjenigen, die im Erwachensenalter<br />

immer noch erkrankt sind, liegen die<br />

Mortatlitätsraten dann wegen der<br />

psychischen und körperlichen Folgen<br />

der Erkrankung bei bis zu zehn<br />

Prozent.<br />

Wann handelt es sich um einen<br />

Notfall, bei dem man sofort handeln<br />

muss?<br />

Für uns ist eine akute Magersucht<br />

immer eine Notfallindikation. Wann<br />

ein Klinikaufenthalt nötig ist, kann<br />

man leider nicht genau sagen, weil<br />

die somatische Gefährdung davon<br />

abhängt, wieviel Gewicht in welchem<br />

Zeitraum verloren wurde.<br />

Ausschlaggebend ist also nicht die<br />

BMI-Perzentile oder eine bestimmte<br />

Gewichtsgrenze. Eine deutlich<br />

untergewichtige Patientin, die<br />

schon immer sehr schlank gewesen<br />

ist und nur zwei Kilo abgenommen<br />

hat, können wir hingegen vielleicht<br />

noch ambulant behandeln. Eine<br />

andere Patientin ist noch nicht<br />

untergewichtig, hat aber innerhalb<br />

von zwei Monaten zehn Kilo verloren.<br />

In diesem Fall ist sie häufig<br />

psychopathologisch und somatisch<br />

bereits schwer krank und muss stationär<br />

aufgenommen werden. Wenn<br />

der Herzschlag schon massiv verlangsamt<br />

ist und die Blutwerte<br />

außer Kontrolle geraten sind, ist<br />

auch das eine Indikation für schnelles<br />

Handeln. Bei einem Verdachtsfall<br />

sollten zunächst die Kinderärztinnen<br />

und -ärzte die ersten<br />

Ansprechpartner*innen sein. Wir<br />

bitten dann, vor der Überweisung<br />

Labor und EKG einmal durchzuchecken.<br />

Wenn die Betroffenen nicht<br />

am Monitor überwacht werden<br />

müssen, fühlen wir uns immer<br />

zuständig und nehmen auch<br />

notfallmäßig auf. Wir haben über<br />

ganz Oberbayern verteilt zehn verschiedene<br />

Standorte. Die Rottmannshöhe<br />

am Starnberger See<br />

z.B. ist generell auf Essstörungen<br />

und unser Standort in Rosenheim<br />

speziell auf Kinder mit Magersucht<br />

spezialisiert. Wir können den Eltern<br />

auch dort ein Vorgespräch vermitteln.<br />

Wann besteht eine psychische<br />

Indikation für eine Notaufnahme?<br />

Wenn eine akute Suizidalität hinzukommt,<br />

ist das für uns immer eine<br />

Indikation für eine notfallmäßige<br />

Aufnahme. Suizidalität ist bei uns<br />

mit 90 bis 95 Prozent unabhängig<br />

von der Grunderkrankung der häufigste<br />

Grund für eine Notaufnahme.<br />

Wenn die Patient*innen nicht versprechen<br />

können, sich nichts anzutun,<br />

werden sie sofort bei uns aufgenommen.<br />

Wir sind für Notfälle in<br />

ganz Oberbayern zuständig. Unsere<br />

Notaufnahme ist Tag und Nacht<br />

offen, <strong>24</strong> Stunden und 365 Tage im<br />

Jahr. Wenn sich Eltern aber akut Sorgen<br />

um Leib und Leben der Tochter<br />

oder des Sohns machen, brauchen<br />

wir keine Einweisung. Vor Ort entscheiden<br />

wir dann, ob wir sofort aufnehmen<br />

oder ob es noch etwas Zeit<br />

hat und beraten die Eltern, wie es<br />

weitergehen kann.<br />

Was wünschen Sie sich von den<br />

Niedergelassenen?<br />

Wir wünschen uns vor allem eine<br />

höhere Awareness. Bei der Magersucht<br />

landen die Mädchen oft<br />

zunächst bei den Gynäkolog*innen,<br />

weil bei ihnen die Menstruation ausgeblieben<br />

ist, oder bei Kinderärzt*innen<br />

wegen der Gewichtsabnahme.<br />

Wir würden uns freuen, wenn diese<br />

dann auch die gedankliche Verbindung<br />

zur Magersucht ziehen und<br />

explizit fragen würden, ob sie in letzter<br />

Zeit viel abgenommen haben.<br />

Nicht selten wird in solchen Fällen<br />

zunächst die Pille verschrieben, weil<br />

niemand an die Magersucht denkt.<br />

Ebenso sind Kinderärzt*innen häufig<br />

verunsichert, an welcher Stelle sie<br />

wie eingreifen sollten. Hier stehen<br />

wir gerne zu einem engen kollegialen<br />

Austausch zur Verfügung!<br />

Das Gespräch führte Stephanie Hügler

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