Palais Börseplatz - Revitalisierung der ehemaligen k.k. Telegrafen Centrale Leseprobe
Die k.k. Telegrafen Centrale am Börseplatz 1 ist nicht nur ein historisches Gebäude im Zentrum Wiens, sondern auch ein imposantes Monument der Baukunst der Ringstraßenepoche. Stilistisch einem Renaissance-Palais nachempfunden, war die k.k. Telegrafen Centrale seit jeher Schmelztiegel innovativer Technik und Gradmesser eines Zeitalters des sozialen- und gesellschaftlichen Umbruchs in der k. u. k. Donaumonarchie. Die Centrale ist somit Teil einer bewegten Geschichte, die bis ins 21. Jahrhundert reicht und das Gebäude, seine Struktur und Ausstattung massiv geprägt und verändert hat. Auch wenn sie sich von außen nicht viel anmerken lässt, erlebte die Centrale eine Vielzahl von kleinen und großen Umbauten. Knapp 150 Jahre nach Baubeginn durften wir selbst für einige Jahre an der Geschichte des seit 2004 denkmalgeschützten Gebäudes teilhaben und ein neues Konzept für die kommende Nutzungsphase planen. Im Gegensatz zu vielen anderen Projekten in Wien, wo Ideen und Planungen oftmals wieder verworfen werden, konnten wir unseren Vorschlag gemeinsam mit einer Vielzahl von Expert:innen und Fachfirmen tatsächlich umsetzen. Trotz der hochkomplexen, langwierigen und durch Covid-19 und andere Krisen erschwerten Bauphase wichen wir der k.k. Telegrafen Centrale für einige Jahre nicht mehr von der Seite. Als Abschluss dieser über zehn Jahre dauernden, höchst fordernden und aufwendigen Reise wollen wir das Ergebnis und den dazugehörigen Planungs- und Bauprozess, im Sinne der historischen Kontinuität der k.k. Telegrafen Centrale, nun gebührend in diesem Buch festhalten.
Die k.k. Telegrafen Centrale am Börseplatz 1 ist nicht nur ein historisches Gebäude im Zentrum Wiens, sondern auch ein imposantes Monument der Baukunst der Ringstraßenepoche. Stilistisch einem Renaissance-Palais nachempfunden, war die k.k. Telegrafen Centrale seit jeher Schmelztiegel innovativer Technik und Gradmesser eines Zeitalters des sozialen- und gesellschaftlichen Umbruchs in der k. u. k. Donaumonarchie. Die Centrale ist somit Teil einer bewegten Geschichte, die bis ins 21. Jahrhundert reicht und das Gebäude, seine Struktur und Ausstattung massiv geprägt und verändert hat. Auch wenn sie sich von außen nicht viel anmerken lässt, erlebte die Centrale eine Vielzahl von kleinen und großen Umbauten.
Knapp 150 Jahre nach Baubeginn durften wir selbst für einige Jahre an der Geschichte des seit 2004 denkmalgeschützten Gebäudes teilhaben und ein neues Konzept für die kommende Nutzungsphase planen. Im Gegensatz zu vielen anderen Projekten in Wien, wo Ideen und Planungen oftmals wieder verworfen werden, konnten wir unseren Vorschlag gemeinsam mit einer Vielzahl von Expert:innen und Fachfirmen tatsächlich umsetzen. Trotz der hochkomplexen, langwierigen und durch Covid-19 und andere Krisen erschwerten Bauphase wichen wir der k.k. Telegrafen Centrale für einige Jahre nicht mehr von der Seite.
Als Abschluss dieser über zehn Jahre dauernden, höchst fordernden und aufwendigen Reise wollen wir das Ergebnis und den dazugehörigen Planungs- und Bauprozess, im Sinne der historischen Kontinuität der k.k. Telegrafen Centrale, nun gebührend in diesem Buch festhalten.
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leseprobe.
3
4
5
6
Vorwort
Willkommen am Börseplatz
09
10
geschichte & gebäude.
Lage: ein geschichtsträchtiges Viertel
Bauwerk und Funktion: Telegrafie und Rohrpost
Veränderung: die Aufstockung
Ausstattung: am Puls der Zeit
Nutzung: jüngere Vergangenheit
Alma: Kunst, Theater oder doch Bauprojekt?
16
20
26
30
32
36
projekt & entwicklung.
Projektgeschichte: neue Nutzungsideen
Projektorganisation: Generalplaner? Generalunternehmer?
Projekt: das Gebäude und seine Revitalisierung
40
48
50
denkmalschutz & baumaßnahmen.
Bauen im Bestand: Ressourcenmanagement und Denkmalschutz
Denkmalschutz: Verstehen – Bewerten – Handeln
Statik: Erdbeben und Erdarbeiten
Baumaßnahmen: Mauern und Decken
Erhalten und Rekonstruieren: zwischen Denkmalschutz und Norm
Dach- und Wohnungsausbau
72
80
86
90
94
106
projektbeteiligte & anmerkungen.
Projektbeteiligte
hochform. Architekten
Abbildungsnachweis
120
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7
8
9
10
Vorwort
Thomas Schwed
Die k.k. Telegrafen Centrale am Börseplatz 1
ist nicht nur ein historisches Gebäude im
Zentrum Wiens, sondern auch ein imposantes
Monument der Baukunst der Ringstraßenepoche.
Stilistisch einem Renaissance-Palais
nachempfunden, war die k.k. Telegrafen
Centrale seit jeher Schmelztiegel innovativer
Technik und Gradmesser eines Zeitalters des
sozialen und gesellschaftlichen Umbruchs in
der k. u. k. Donaumonarchie.
Die Centrale ist somit Teil einer bewegten
Geschichte, die bis ins 21. Jahrhundert reicht
und das Gebäude, seine Struktur und Ausstattung
massiv geprägt und verändert hat. Auch wenn
sie sich von außen nicht viel anmerken lässt,
erlebte die Centrale eine Vielzahl von kleinen
und großen Umbauten.
Knapp 150 Jahre nach Baubeginn durften
wir selbst für einige Jahre die Geschichte des
seit 2004 denkmalgeschützten Gebäudes
mitgestalten und ein neues Konzept für die
künftige Nutzung planen. Im Gegensatz zu vielen
anderen Projekten in Wien, wo Ideen und
Planungen oftmals wieder verworfen werden,
konnten wir unseren Vorschlag zu guter Letzt
gemeinsam mit Fachleuten aus zahlreichen,
spezialisierten Planungsbüros und Fachfirmen
tatsächlich umsetzen. Trotz der hochkomplexen,
langwierigen und durch Covid-19 und
andere Krisen erschwerten Bauphase, wichen
wir der k.k. Telegrafen Centrale für einige Jahre
nicht mehr von der Seite.
Waren wir zu Planungsbeginn in den 2010er
Jahren noch von den Ansätzen unserer architektonischen
Ziehväter geprägt, insbesondere
von Günther Domenig und Wolf Prix, und von
der Idee besessen, dem Monument als Ausdruck
der Transformation ins 21. Jahrhundert ein
modernes skulpturales Dach aufzusetzen,
entwickelten wir im Laufe der Auseinandersetzung
mit der historischen Bausubstanz
und dem Bundesdenkmalamt einen gänzlich
anderen Zugang.
Das Ergebnis ist eine gestalterisch sanfte und
denkmalpflegerisch höchst präzise Transformation
des ehemaligen Verwaltungsgebäudes
mit seinem Repräsentationsanspruch in ein
überwiegend als Wohnhaus genutztes Stadtpalais.
Auf einen skulpturalen Paukenschlag
verzichteten wir.
Als Abschluss dieser über zehn Jahre
dauernden, höchst fordernden und aufwändigen
Reise wollen wir mit dem vorliegenden
Buch den anspruchsvollen Planungs- und
Bauprozess darstellen und das Ergebnis unserer
Adaptierung der k.k. Telegrafen Centrale
präsentieren.
Wie uns das Gebäude und seine lange
Geschichte lehren, wird das sicher nicht die
letzte Episode, der letzte Umbau gewesen
sein!
Besonderen Dank an die Projektleitung und vor
allem an Johannes Weigl, der den Überblick
behalten, das Projekt maßgeblich betreut und
den Prozess von Anfang bis Ende begleitet hat.
Weiters gilt unser Dank den Auftraggebenden,
dem Bundesdenkmalamt, insbesondere
Landeskonservator Hofrat Friedrich Dahm,
der MA37BB und allen, die zum Gelingen
des Projekts beigetragen haben.
11
Willkommen am Börseplatz
Silvester Kreil
Lage und Geschichte
Die k.k. Telegrafen Centrale befindet sich nicht
direkt an der Wiener Ringstraße, sondern ist
Teil der zweiten Gebäudereihe innerhalb des
Rings. Das Baufeld am Börseplatz 1 wird von
der Wipplingerstraße, der Rockhgasse, der
Hohenstaufengasse und der Helferstorferstraße
eingefasst (heutige Straßennamen).
Mit ihrer Errichtung von 1870 bis 1873 ist die
Centrale eines jener Staatsgebäude, die zu
einem frühen Zeitpunkt der Ringstraßenbebauung
fertiggestellt wurden. Die Börse
selbst entstand hingegen erst zwischen 1873
und 1877.
Von Theophil Hansen und Carl Tietz errichtet,
ist diese, wie auch einige der anderen Gebäude,
die das heutige Stadtbild prägen (Rathaus,
Parlament, Burgtheater, Kunst- und Naturhistorisches
Museum etc.), erst in einer späteren
Entwicklungsphase erbaut worden.
Gebäude
Nach den Plänen des Architekten Josef Winterhalder
errichtet, verfügt das frei stehende Bauwerk
über drei Stiegenhäuser, einen Innenhof
und zwei Einfahrtsmöglichkeiten in diesen. Es
hat eine Länge von 54 Metern und ist 42 Meter
breit. Das Erdgeschoß liegt 1,5 Meter über
dem Gehsteigniveau, darüber befinden sich
fünf Obergeschoße sowie ein Dachgeschoß.
Drei weitere Geschoße und ein Technik-
Kollektor bilden die unterirdischen Ebenen.
Dem während der Ringstraßenbebauung
beliebten Neorenaissance-Stil folgend,
präsentiert sich die k.k. Telegrafen Centrale
als Mix unterschiedlicher Stilelemente.
Das Vestibül ist beispielsweise eine dreischiffige
Halle mit ionischen Säulen, Wandgliederung
und Arkaden, während der ehemalige
Kassensaal im Parterre mit Stuckdecken und
korinthischen Säulen ausgestattet ist. Im Hauptstiegenhaus
erschließt eine monumentale
Vierpfeilertreppe mit kannelierten Säulen
toskanischer Ordnung alle Geschoße des
Gebäudes.
Die Räumlichkeiten waren sowohl architektonisch
als auch technisch stets auf die Nutzung
als zentraler Knotenpunkt des Telegrafie- und
Postnetzwerks in Österreich ausgelegt. Bis
2018 ragte ein ab 1964 am Dach errichteter 50
Meter hoher Funkturm in den Himmel.
Projekt
Im Zuge der ab 2003 angestoßenen und 2011
begonnenen Revitalisierung entschieden sich
die Auftraggebenden, nach Erprobung
unterschiedlicher Konzepte, für das ehemalige
Bürogebäude einen Nutzungsmix mit
überwiegendem Wohnanteil im gehobenen
Segment zu entwickeln.
Die Projektphase ab 2011, in die hochform.
Architekten aktiv involviert war, beinhaltete
unter anderem eine intensive Untersuchung
und Beprobung des Bestands, eine vorlaufende
Entkernung der nicht denkmalgeschützten
Bereiche, Studien und Vorentwurf,
Verhandlungen mit dem Bundesdenkmalamt
etc. und mündete 2016 in einem konkreten
Umplanungsauftrag und der Übernahme von
Generalplanung und Örtlicher Bauaufsicht.
In einer Arbeitsgemeinschaft mit Architektur-
Consult wurden so die Leistungen Architekturentwurf,
Denkmalschutz, Tragwerksplanung,
Bauphysik, Einreichung, Ausführungsplanung,
technische Gebäudeausrüstung,
Elektroplanung, Brandschutzplanung und
Bauarbeitenkoordination abgedeckt.
12
Dokumentation des Projekts
Die vorliegende Dokumentation des Umbaus
der ehemaligen k.k. Telegrafen Centrale – 2004
zur Gänze unter Denkmalschutz gestellt –
präsentiert exemplarisch die Herangehensweise
und Erfahrungen von hochform. Architekten
bei der Revitalisierung eines großen Bestandsobjekts
und der Arbeit an denkmalgeschützter
Bausubstanz. In diesem Buch möchten wir
den Projektverlauf ausführlich beleuchten
und Einblicke in die Entscheidungsfindung,
die notwendigen Maßnahmen und deren
Umsetzung geben.
Eckdaten zum Projekt
Revitalisierung und
Nutzungstransformation
eines denkmalgeschützten
Gebäudes
Gebäudedaten
Erbauung
1870–73
Ort
Börseplatz 1, 1010 Wien
Gesamtfläche
10.600 m²
davon genutzt für
Wohnnutzung
7.500 m²
Büronutzung
1.400 m²
Sonstiges
1.700 m²
Vogelperspektive: Börseplatz und Umgebung, 2011
13
14
Blick vom Börseplatz auf die
k.k. Telegrafen Centrale,
November 2020
15
geschichte &
gebäude.
Lage: ein geschichtsträchtiges Viertel
Claudiu Silvestru
Der Name der 5,2 km langen Wiener Ringstraße
geht auf das Jahr 1859 zurück. Ihre Vorgeschichte
reicht jedoch viel weiter zurück und ist direkt
mit der Geburtsstunde der Stadt Wien verbunden.
Die Verlegung der Babenberger-Residenzstadt
nach Wien, 1155 durch Herzog Heinrich II.
Jasomirgott, beschleunigt die Stadtentwicklung
und führt zu Erweiterungen außerhalb der
Grenzen des ehemaligen römischen Legionslagers
Vindobona. Mit dem Lösegeld für den
1192 auf der Durchreise gefangen genommenen
englischen König Richard I. Löwenherz errichtet
Herzog Leopold V. eine neue Stadtmauer im
Bereich der heutigen innerstädtischen Randbebauung
der Ringstraße. 1296 verleiht Herzog
Albrecht I. Wien das erneuerte Stadtrecht.
In Folge der 1. Türkenbelagerung 1529 sowie
des Dreißigjährigen Krieges 1618–1648 wird die
Babenberger Mauer durch die Habsburger zu
einer Renaissance-Befestigungsanlage mit Bastionen
und bebauungsfreiem Glacis ertüchtigt.
Nach der 2. Türkenbelagerung 1683 verliert die
Stadtmauer an Bedeutung – was letztendlich
dazu führt, dass das Glacis in der zweiten Hälfte
des 18. Jahrhunderts zu einem Naherholungsgebiet
mit beleuchteten Alleen und Freiluftwerkstätten
wird. 1809 lässt Napoleon die Burgbastei
sprengen und die Revolution 1848 tut ihr
Übriges, um die nunmehrige Nutzlosigkeit
der Wehranlage zu verdeutlichen.
Mit der Eingemeindung der Vorstädte 1850 wird
die Stadtmauer zunehmend zur stadtentwicklungsbehindernden
Barriere. Dieser Umstand
– und die Vergleichsbeispiele insbesondere aus
Frankreich – bringen Kaiser Franz Joseph I. 1857
zur Entscheidung, die Stadtmauer schleifen und
stattdessen einen Repräsentationsboulevard
errichten zu lassen.
Der Abbruch beginnt 1858 und zieht sich bis
1875. Es wird – ähnlich wie heute – in Abschnitten
gebaut. Die feierliche Eröffnung der Ringstraße
findet bereits 1865 statt – ebenfalls ähnlich wie
heute – vor der Gesamtfertigstellung. Zu diesem
Zeitpunkt sind unter anderem die Abschnitte
des Universitätsrings sowie des Schottenrings
noch unverbaut.
Die Hoheit über die Projektentwicklung führt zu
einem Disput zwischen Wiener Magistrat und
Staatsregierung. Schließlich wird ein im
Ministerium für Inneres angesiedelter Stadterweiterungsfonds
mit der Aufgabe betraut.
Unter anderem ist dieser für den Verkauf von
Grundstücken und die anfallenden Kosten zur
Errichtung öffentlicher Gebäude zuständig – er
ist sozusagen die Mutter aller städtebaulichen
Verträge in Wien.
Die k.k. Telegrafen Centrale ist eines jener Gebäude,
welche im Verlauf der babenbergischen
Stadtmauer aus dem 13. Jahrhunderts stehen.
Der zugehörige Abschnitt der Ringstraße – der
Schottenring zwischen Schottengasse und
Franz-Josefs-Kai – wird von 1860 bis 1869
errichtet. Der Name bezieht sich auf das 1155
von Heinrich Jasomirgott noch außerhalb der
Stadtmauer gegründete Schottenstift, das wiederum
auf die damals übliche Bezeichnung der
aus Irland stammenden Benediktinermönche
zurückgeht.
Auf dem gleichen Namen basieren auch die
mittelalterlichen Bezeichnungen des Schottentors
sowie des Schottenviertels. Damit ist
der Schottenring ein Symbol kontinuierlicher
Stadtentwicklung und -erweiterung: von der
Erschließung eines neuen Areals, über städtisches
Grenzgebiet, bis hin zum integrierten
öffentlichen Repräsentationsraum – ganz im
Sinne des außergewöhnlichen universellen
Werts der UNESCO Welterbestätte Wien
Innere Stadt.
18
erte Fragmente - Die touristische Interpretation historischer Zusammenhänge am Beispiel des mittelalterlichen Kulturerbes von Wien
Börseplatz 1
Abb. 2.2.2 -
ührung 2012 Wien
Innere Stadt
Stadtplan 2012
Stadtplan 2012
Schottenviertel
Stubenviertel
2.2.3 - Vergleich
Stand 2012 mit
nführung um 1547
em Grundrissplan
t Wien von Bonifaz
Wolmuet
Widmerviertel
Kärntnerviertel
Stadtplan 1547 Stadtplan - nach 1547 Bonifaz – nach Wolmuet Bonifaz Wolmuet
Schottenviertel
Stubenviertel
Vergleichende Pläne der mittelalterlichen Stadt
mit historischen Bezeichnungen der umliegenden
Viertel. Stand 2012, überlagert mit zwei
Stadtplänen aus dem Jahr 1547
2.2.4 - Vergleich
Stand 2012 mit
nführung um 1547
em Grundrissplan
r Stadt Wien von
gustin Hirschvogel
Widmerviertel
Kärntnerviertel
Stadtplan 1547 Stadtplan - nach 1547 Augustin – nach Hirschvogel Augustin Hirschvogel
Aus Claudiu Silvestrus unveröffentlichter
Dissertation (TU Wien, 2014):
Inszenierte Fragmente – Die touristische
Interpretation historischer Zusammenhänge am
Beispiel des mittelalterlichen Kulturerbes von Wien
19
20
Historischer Schnitt durch das Gebäude
samt angedachter Installationen
Plangrafik der Actien-Gesellschaft für
Wasserleitungen, Transport-Brunnen,
Gas- und Heizungsanlagen,
Datierung unbekannt
21
Bauwerk und Funktion: Telegrafie und Rohrpost
Silvester Kreil
Anfang des 19. Jahrhunderts werden die ersten brauchbaren Telegrafen entwickelt, um
1850 hat sich der Schreibtischtelegraf als Standard durchgesetzt, 1870 sind bereits große
Teile der Welt mittels Telegrafie verbunden.
Telegrafie
In seiner Anfangszeit in Österreich dem
Kaiserhaus und Militär vorbehalten, bekommt
das Medium dank der Freigabe für die private
Kommunikation ab 1850 einen größeren Stellenwert.
Um dem technischen Fortschritt und
dem Glauben an die Zukunftsfähigkeit der
elektrischen Telegrafie Ausdruck zu verleihen,
wird von 1870 bis 1873 mit großem Qualitätsanspruch
die k.k. Telegrafen Centrale im
Zentrum Wiens errichtet.
Vom Architekten Josef Winterhalder, der zum
damaligen Zeitpunkt als Oberingenieur im
Baudepartement des Innenministeriums tätig
ist, nach den modernsten Grundsätzen des
19. Jahrhunderts geplant, bildet die Centrale
ab 1910 den wichtigsten Knotenpunkt des
Staatstelegrafennetzes in der Donaumonarchie.
Zahlreiche Leitungen münden in dem Gebäude
und werden von dort direkt zu Kabelhäusern
bei Bahnhöfen und oberirdisch über Bahnstrecken
weitergeführt. Von den europäischen
Staaten sind zu diesem Zeitpunkt England
und Deutschland federführend, während
sich Frankreich und die k. u. k. Monarchie
Österreich direkt dahinter positionieren.
Rohrpost
Die Centrale am Börseplatz 1 dient parallel
zur Telegrafie auch als Hauptknotenpunkt
für das unterirdische Rohrpostnetz in Wien.
Die ersten Anlagen der „pneumatischen
Post“ werden am 15. Februar 1875 in Betrieb
genommen.
Zu Beginn sind zehn Postämter (alle innerhalb
des Gürtels, der zweiten Wiener „Ringstraße“)
im Abstand von maximal drei Kilometern mit
Rohrleitungen verbunden. Ab 1879 wird das
bestehende Netz erweitert und 1883 werden
auch das Rathaus und das Parlament angeschlossen.
Die größte Reichweite erlangt es schließlich,
als 1913 das k.k. Kriegsministerium am
Stubenring mit einbezogen wird. Zu diesem
Zeitpunkt verbindet die Wiener Rohrpost mit
einer Netzlänge von 88,5 Kilometern und
53 Rohrpoststationen große Teile der Stadt.
22
k.k. Post und Telegrafen-Direktion Wien III, um 1900
23
24
Das Wiener Telegrafennetz, 1884
Das Wiener Telegrafennetz in stetiger Erweiterung, 1901
25
Plan des historischen Dachstuhls mit dem exakten
Aufbau der Stahlgespärre, Datierung unbekannt
26
Blick auf die fertiggestellte Centrale
während die Errichtung der Ringstraße
noch in vollem Gange ist, 1875
Begehung des Saalgeschoßes und die visuelle
Überlagerung mit dem historischen Zustand, 2011
27
Veränderung: die Aufstockung
Silvester Kreil
Auch wenn die k.k. Post- und Telegrafenverwaltung
zum neuen Kommunikationsmedium
Telefonie nach dessen Einführung
1881 vorerst auf Distanz bleibt, wird neben
Telegrafie, Brief-, Paket- und Rohrpost bereits
zur Jahrhundertwende auch Telefonie als
Dienstleistung am Börseplatz 1 angeboten.
Die Öffnung der Telefonie für Privatpersonen
und die Zusammenlegung aller bestehenden
Telefonnetze in die Obhut der österreichischen
Post- und Telegrafenverwaltung 1895,
führen zu einer stark steigenden Nutzung
und folglich zu einem Ausbau des Netzes. Der
stetige technologische Fortschritt der Kommunikationsmedien
macht nur knapp 30 Jahre
nach der Errichtung eine Erweiterung des
Gebäudes unumgänglich.
Von 1902 bis 1905 wird vom Architekten
Eugen Fassbender schließlich ein sieben
Meter hohes, repräsentatives Saalgeschoß
aufgesetzt und das Dach mitsamt dem
bestehenden Stahlfachwerk angehoben. Der
genietete Dachstuhl stammt von der zu dieser
Zeit äußerst bedeutenden Wiener Schlosserfirma
Ignaz Gridl, welche unter anderem das
Palmenhaus in Schönbrunn und auch die
Dachstühle anderer Telegrafenämter baut.
Die k.k. Telegrafen Centrale vor und nach der Aufstockung,
obere Abbildung 1900, untere Abbildung 1910
28
Der vorspringende Mittelrisalit, ausgerichtet
zum Börseplatz, gekrönt durch die auf einem
Globus sitzende Allegorie der Telegrafie,
November 2022
Auch die Figurengruppe auf dem Mittelrisalit
wird bei der Aufstockung um eine Etage nach
oben gehoben. Die vertikale Verlegung der
30.000 Kilogramm schweren Skulptur stellt
sich als aufwändig dar und ist für die damalige
Zeit eine außergewöhnliche Ingenieursleistung.
In den doppelgeschoßigen Sälen werden von
nun an die Telegrafenapparate untergebracht.
Die enorme Raumhöhe ist notwendig, um die
Abwärme der Apparate abzuführen.
Die Säle besitzen eine Bodenfläche von insgesamt
1.600 m² – der größte ist 13 Meter breit
und 40 Meter lang – und sind Tag und Nacht
Arbeitsplatz für hunderte Personen. Wegen
der Verbreitung der Telegrafie und dem damit
einhergehenden Infrastrukturausbau samt
einer Vielzahl neu errichteter Telegrafenämter,
welche meist dieselben räumlichen Konfigurationen
und Saal-Typologien benötigten,
entsteht eine neue Gebäudetypologie.
29
Historischer Plan des Saalgeschoßes, Datierung unbekannt
Arbeitendes Personal in einem der Apparaten-Säle,
Abbildung aus einer Publikation des k.k. Handelsministeriums, 1907
30
31
Ausstattung: am Puls der Zeit
Silvester Kreil
Die k.k. Telegrafen Centrale ist Zeit ihres
Bestehens ein Schauplatz der Realisierung
fortschrittlicher Technologien und Arbeitsstandards.
Die Apparaten-Säle verfügen
beispielsweise über Lichtdecken und werden
zusätzlich durch eine seitliche Reihe von
großen Bogenfenstern erhellt.
Auch die Belichtungsproblematik in den
Nachtstunden wird innovativ und am Puls der
Zeit gelöst: Für die Notbeleuchtung mittels
Gasinstallation sind 1258 Glühlampen und
66 Bogenlampen erforderlich.
Der monumentale Kellerbereich des Amtsgebäudes
spielt bei der Implementierung der
Arbeitsinfrastruktur eine zentrale Rolle. Er
erstreckt sich über drei Untergeschoße und
bietet Platz für die gesamte Technik der Rohrpostanlage
und die innovative Lüftungs- und
Heizungstechnik.
Das Medium Telefonie erfordert ununterbrochenen
Betrieb – in dem Gebäude gibt
es deshalb nicht nur Räumlichkeiten für den
Dienstleistungsverkehr, die Verwaltung und
die hierfür erforderlichen technischen und
infrastrukturellen Einrichtungen, sondern
auch Erholungsräume für die dort tätigen
Personen. Es gibt Garderoben, eine Cafeteria
und Schlafräume, die nach der Aufstockung
direkt unter den Sälen im 3. Obergeschoß
Platz finden.
Für einen reibungslosen Schichtbetrieb werden
zusätzlich Wendeltreppen eingebaut, die die
Säle und Schlafräume direkt verbinden. Telegramme
werden mit einer Seilschlittenbahn
direkt zur Rohrpost transportiert. Später füllen
Kassen und Sprechzellen, teilweise exklusiv
journalistischer Tätigkeit vorbehalten, das
Hochparterre.
Ein 32 Meter langer unterirdischer Luftkanal
führt direkt von der Gartenanlage am Börseplatz
in das 3. Untergeschoß und versorgt
das Gebäude konstant mit Frischluft. Baulich
besonders interessant gelöst, gelangt diese
durch eine Vielzahl von Schächten, welche
im Inneren der Außenwände laufen, aus den
Tiefen des Kellers bis in die Säle. Auf diesem
Weg passiert die Luft mehrere Filter aus Segeltuch
sowie einen Wasserzerstäubungsapparat,
die es ermöglichen die Säle im Sommer zu
kühlen und im Winter nicht nur zu erwärmen,
sondern auch zu befeuchten.
Sprechzellen mit Telefonapparaten im Hochparterre,
Datierung unbekannt
32
Historischer Schnitt des Gebäudes samt Saalgeschoß
und Dachboden sowie dem Kellerausbau,
Datierung unbekannt
33
Nutzung: Jüngere Vergangenheit
Silvester Kreil
Nach dem Zusammenbruch der Monarchie
kommt es zu weiteren Umbauten im Inneren
der Centrale. Hauptsächlich geht es darum,
die Anlagen laufend an den technologischen
Fortschritt anzupassen. Der im Stadtbild am
stärksten wahrnehmbare Eingriff erfolgt ab
1964 und inkludiert die Errichtung eines
50 Meter hohen Fernmeldefunkturms.
Eine weitere Adaptierung wird 1990 bewilligt
und größtenteils ausgeführt. Der Einbau einer
mechanischen Lüftungsanlage macht es
damals notwendig, bei drei der vier
Apparaten-Säle Zwischendecken aus Stahlbeton
einzuziehen. In diesem Zusammenhang
werden die historischen Stuckdecken und die
Oberlichtkonstruktionen abgebrochen, das
Stahltragwerk wird hingegen ausgespart und
bleibt zur Gänze erhalten.
Um den fortlaufenden Betrieb der neuen
Lüftungsanlagen im Falle eines Stromausfalls
zu sichern, werden außerdem die Kellergeschoße
umgebaut und mit Notstromgeneratoren
bestückt.
1849
Gründung des k.k. Telegrafenzentralbureaus
im Palais Modena in der Herrengasse;
erste österr. Telegrafenlinie innerhalb Wiens
von Ministerium zu Ministerium und entlang
der Eisenbahn von Wien nach Brünn.
1870–1873
Errichtung der k.k. Telegrafen Centrale
am Börseplatz.
1947
Wiederaufbau und Reparatur,
Gründung des FZA
(Fernmeldetechn. Zentralamt)
in der Centrale am Börseplatz.
1850
Telegrafen werden freigegeben für
Privatkorrespondenz.
1902–05
Aufstockung des 4. Obergeschoßes
durch Architekt Eugen Fassbender.
1964
Bau des Funkturms.
1850 1900 1950
1874 1908 1964
34
Mit dem Auszug der Österreichischen Post AG aus der k.k. Telegrafen Centrale endet 1996
eine bedeutende Ära der Telekommunikation. Bis zu 800 Bedienstete arbeiteten Tag und
Nacht in dem Gebäude, welches mit dem technischen Fortschritt des 20. Jahrhunderts
mitwuchs.
1996 wird die Centrale stillgelegt und steht für
mehrere Jahre leer, um schließlich 2003 von
der Post- und Telekom Immobilien GmbH an
einen privaten Eigentümer verkauft zu werden.
In den Jahren vor dem Beginn der Revitalisierung
wird das Gebäude für diverse kulturelle
Veranstaltungen zwischengenutzt: neben der
Vienna Art Week unter anderem auch für das
von Paulus Manker inszenierte Simultandrama
Alma – A Show Biz ans Ende.
bis 1996
wird das Gebäude vom österreichischen
Post- und Telekommunikationsamt genutzt.
Zuletzt ist es Sitz der Post- und
Telegrafenverwaltung.
2008–2010, 2012–2013
finden in der ehemaligen Centrale
über die Sommermonate immer
wieder Aufführungen des interaktiven
Dramas „Alma - A Show Biz ans Ende“
von Joshua Sobol in der Inszenierung
von Paulus Manker statt.
2000
16 Jahre leerstehend – viele Besitzwechsel
2003–2005
Verkauf an einen privaten Eigentümer
und erste Planungen
2006–2010
Verkauf an eine Immobilien-
Entwicklungsgesellschaft und
weitere Planungen
2011
Kauf durch Immovate und folgende
Nutzungsstudien
Zeitstrahl zur Entwicklung der k.k. Telegrafen Centrale – vor dem Start der Revitalisierung
35
1873
Kommunikation mittels Brief- und Rohrpost sowie Telegrafie: Schnitt durch die neu
errichtete k.k. Telegrafen Centrale samt unterirdischem Frischluftkanal zum Börseplatz
1905
Kommunikation mittels Brief- und Rohrpost sowie Telegrafie und Telefonie:
Schnitt durch die um ein Saalgeschoß erweiterte k.k. Telegrafen Centrale
36
1965
Kommunikation mittels der bereits genannten Kanäle und zusätzlich dem Fernmeldewesen,
weiterhin genutzt als Postgebäude: Schnitt mit gerade errichtetem Funkturm
2022
Kommunikation hauptsächlich mittels Internet, nun genutzt als Wohn- und
Bürogebäude – Kellergeschoß samt neuer Tiefgarage, dem weiter bestehenden
Frischluftkanal, dem neuen Dachbodenausbau, aber ohne Funkturm
37
Alma: Kunst, Theater oder doch Bauprojekt?
Thomas Schwed
Den meisten Wienerinnen und Wienern
wurde die Telegrafen Centrale erst durch die
von Paulus Manker inszenierte und gefeierte
Theaterproduktion über das Leben Alma
Mahler-Werfels ein Begriff.
Paulus Manker und sein Team erweckten
2008 das seit 1996 im Dornröschenschlaf vergessene
Ringstraßenjuwel zu neuem Leben,
öffneten das Gebäude und verhalfen dem
Palais zu einer nie dagewesenen Bekanntheit.
Besonders die Prunktreppenhäuser, Telegrafenbüros
und Apparaten-Säle, die in dieser
Form für die Öffentlichkeit überhaupt noch
nie zugänglich waren, zogen das interessierte
Publikum wie auch so manche Immobilienentwickelnde
und Architekturschaffende an.
Manker bereitete das Stück akribisch vor
und erarbeitete einen historischen Zusammenhang
zwischen den Figuren des Stücks
und dem Gebäude. Die Wegführung für das
Stationentheater entwickelte er vor Ort und
durchwanderte dafür immer und immer
wieder die einzelnen Räume. Gegenüber dem
klassischen Theater mit definierter Bühne verschmolz
diese in der Telegrafen Centrale mit
dem Zuschauerraum. Die Produktion eroberte
das ganze Haus – kein Raum blieb von Alma
unberührt – und kaschierte die Überraschungen
und Beschädigungen durch die unsachgemäße
Nutzung in den Nachkriegsjahren.
Auch für die Theaterproduktion selbst wurden
massive bauliche Installationen angestrengt,
es wurden Trennwände abgebrochen, der
historische Stuck übermalt und ganze Räume
samt Interieur neu geschaffen.
Für das Publikum entstand so eine höchst
beeindruckende Synthese aus der Lebensgeschichte
Almas, den aufwändig gestalteten
Kulissen und dem Palais selbst. Die Ausstattung
für die Theaterproduktion war keine
Imitation aus Pappe, sondern bestand Großteils
aus historischen Möbeln und Requisiten.
Das führte dazu, dass die Ausstattung über die
Jahre mit dem Gebäude gleichsam verwuchs.
Die vorhandene Patina des Hauses verstärkte
diesen Effekt von „Realität“ zusätzlich.
Rückwirkend betrachtet war die Alma Produktion
keine kurze „Zwischennutzung“, sondern
eine über 5 Jahre (2008–2013) andauernde
Bespielung, die dem beeindruckenden
Denkmal bereits vor dem Umbau neues Leben
eingehaucht hat. In gewisser Weise war Alma
die erste Bewohnerin des Palais.
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ende leseprobe.
palais
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Impressum
Herausgeber
hochform. Architekten ZT GmbH
Projektleitung
Wolfgang Ruthensteiner
Johannes Weigl
Bernhard Wolf
Mark Balzar
Redaktion
Silvester Kreil
Michael Rainer
Lektorat
Claudia Mazanek
Gestaltung
Burak Genc
Clara Fidesser
Collage Cover
Burak Genc
Fotodokumentation
Maximilian Haidacher
Verlag
SIMB Verlag
6330 Kufstein / Österreich
www.simb.at
© 2023 hochform. Architekten
SIMB Verlag
ISBN 978-3-9505291-8-0