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6/<strong>2024</strong> Das Magazin für Popkultur<br />
Beth Gibbons<br />
Das wichtigste Solodebüt des Jahrzehnts<br />
MUSIK<br />
BUCH<br />
KUNST<br />
Opulenter<br />
Hollywoodpop<br />
LINDSEY<br />
STIRLING<br />
Bissige<br />
Gegenwartsanalysen<br />
T. C. BOYLE<br />
Gigantische<br />
Installationen<br />
JOANA VASCONCELOS
Titelfotos: Domino Records (Beth Gibbons) | Heather Koepp (Lindsey Stirling) | Peter-Andreas Hassiepen (T. C. Boyle) | Lore Kalamala (Joana Vasconcelos)<br />
4 Musik<br />
4 Pop<br />
28 Jazz + Klassik<br />
68 Klubs + Konzerte<br />
34 Special<br />
SciFi + Horror + Fantasy<br />
40 Film<br />
40 Kino<br />
46 Streaming + DVD<br />
48 4Teens<br />
52 Buch<br />
52 Literatur<br />
56 Krimi<br />
58 Kunst + Kultur<br />
Der Juni ist Pride Month, und der Kampf gegen die Kriminali -<br />
sierung, Stigmatisierung und Ausgrenzung aufgrund von sexueller<br />
Identität ist so wichtig wie lange nicht. Findet auch John Grant:<br />
„Ich lebe nun seit vielen Jahren in Reykjavík und habe die<br />
isländische Staatsbürgerschaft, aber jeden Tag überlege ich, ob<br />
ich nicht zurückgehen sollte, um vor Ort zu sein und zu kämpfen“,<br />
erzählt er in unserem Interview auf Seite 19. Vor vielen Jahren<br />
hat der Musiker und LGTBQ-Aktivist die USA verlassen, wendet<br />
sich in seinen Songs aber immer wieder gegen das konservative<br />
Amerika. Auch auf seinem aktuellen Album „The Art of the Lie“,<br />
das nicht gerade zufällig im Juni erscheint. „Mit meiner Musik<br />
dagegenzuhalten, reicht mir nicht mehr“, sagt er – und denkt<br />
dabei an die rasant ansteigende Gewalt gegenüber der queeren<br />
Community und die Zensur von Literatur. „Schon in den 80ern<br />
hat Frank Zappa eine christliche Theokratie prophezeit – und da<br />
sind wir jetzt angekommen.“<br />
Von der Situation in Afrika erzählt der ergreifende Debütroman des<br />
24-jährigen Nigerianers Chukwuebuka Ibeh. In seinem Heimat -<br />
land wird Homosexualität mit bis zu 14 Jahren Freiheitsentzug<br />
bestraft, in den islamisch geprägten Bundesstaaten droht gar<br />
die Todesstrafe durch Steinigung. Ibeh wehrt sich mit zarter<br />
und doch so scharfkantiger Sprache, wenn er in „Wunden“ eine<br />
Coming-of-Age-Geschichte erzählt, die das Verstecken und die<br />
Selbstverleugnung dokumentiert (Seite 52).<br />
Sounds gay, we’re in!<br />
Foto: Lauren Harris<br />
9 Rachel Chinouriri<br />
Inhalt<br />
Ganz andere Töne schlagen die Stars der lesbischen Dating -<br />
show „Princess Charming“ an, wenn sie gemeinsam mit Ricarda<br />
Hofmann vom „Busenfreundin“-Podcast auf ihre „Pride Special<br />
<strong>2024</strong>“-Tour gehen (Seite 67). Auf unseren 4Kids + 4Teens-Seiten<br />
stellen wir regenbogenfarbene Jugendbücher vor, die für Toleranz<br />
werben und eine bunte Party feiern. Und natürlich haben wir<br />
die queeren Stimmen auch in unserem Special zu SciFi,<br />
Fantasy und Horror nicht vergessen, das auf Seite 34 beginnt.<br />
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Viel Vergnügen mit noch mehr Kultur!<br />
Kultur erleben<br />
.de<br />
<strong>kulturnews</strong> | 3
Musik<br />
In der glattgewalzten Poplandschaft nimmt Charli XCX eine<br />
Sonderstellung ein: Hintergrund als Songwriterin, Freund -<br />
schaften mit Hyperpopvorreitern wie A. G. Cook und<br />
Undergroundcredentials auf der einen, Mainstreamappeal<br />
und Starpower auf der anderen Seite. Der seit Jahren prophezeite<br />
Erfolg hat lange auf sich warten lassen, ehe „Crash“<br />
im Jahr 2022 endlich die Charts geknackt hat – Charli selbst<br />
nennt es ihr „Sell-out-Album“. Mit ihrer sechsten Platte<br />
„Brat“ bringt die Britin nun beide Seiten zusammen, verbindet<br />
Pop und Klub – und macht sich im Video zur Single „360“<br />
über das eigene Image lustig, wenn sie gemeinsam mit<br />
Rachel Sennott, Julia Fox und Chloë Sevigny das „new hot<br />
internet girl“ sucht. Irgendwie ironisch, irgendwie aber auch<br />
ernst gemeint – der klassische Charli-Spagat eben. mj<br />
Foto: Warner Music<br />
4 | <strong>kulturnews</strong>
Szene<br />
Foto: Universal Music<br />
Lust auf Meer<br />
In dem Wissen, dass Billie Eilish Wasser fürchtet, wirft das dunkelblaue<br />
Tauchgangcover ihrer dritten Platte Fragen auf und trifft doch den Kern:<br />
Denn Eilish lebt von solchen Extremen. Der Albumtitel „Hit me hard and<br />
soft“ sowie ihr Hang zu zweiteiligen Stücken, die etwa aus weichen<br />
Akustiktönen in kantigen Discopop münden, spiegeln dieses Paradox<br />
wider. Die 22-Jährige ist mehr Kunstwerk als Musikerin – es lohnt sich,<br />
zwischen den Zeilen, Melodien und Bildern ihres neusten Werks zu<br />
lesen. Sie sagt, die Farbe Blau sei, wie sie sich wahrnehme; ihr drittes<br />
Album sei sie: „Es fühlt sich wie die ,When we all fall asleep, where do<br />
we go?‘-Version von mir an. Es fühlt sich an wie meine Jugend und, wer<br />
ich als Kind war“. Mit ihrer neuen Musik hat Eilish ihr authentisches<br />
Selbst aus ihren einstigen Wurzeln neu erbaut. jm<br />
„Das ist ganz<br />
genau der Scheiß,<br />
den man lernt<br />
in Therapie“<br />
Aus: „Therapie“<br />
Zu lieben und zu leben sind die beiden großen Heraus -<br />
forderungen, an denen sich Wanda seit fünf Alben ab -<br />
arbeiten. „Diese Sessions waren eine transzendentale<br />
Erfahrung“, fasst Marco<br />
Wanda den Entstehungs -<br />
prozess des aktuellen, sechsten<br />
Albums „Ende nie“<br />
zusammen. Womöglich gilt<br />
hier wirklich die alte Binse:<br />
Musik ist Therapie. Be hand -<br />
lungsgründe gibt es für die<br />
Wiener Rockband genug.<br />
Foto: Luis Engels<br />
Gou it again!<br />
Wenn es einen Spagat braucht, um Rave und Radio zu<br />
vereinen, ist Peggy Gou Meisterturnerin: Features mit<br />
Kylie Minogue und Lenny Kravitz auf der einen, Gigs in<br />
den relevantesten Technoklubs auf der anderen Seite.<br />
Online inszeniert sich die Südkoreanerin zu Recht wie<br />
ein Popstar, ist ihr mit „(It goes like) Nanana“ 2023<br />
doch einer der größten Hits des Jahres gelungen.<br />
Obwohl Gou spätestens seit 2018 und erst recht „It<br />
makes you forget“ auf dem Zettel aller House-Fans stehen<br />
sollte, erscheint mit „I hear you“ erst jetzt ihr<br />
Debütalbum, mit dem sie ihre unnachahmliche Fähig -<br />
keit, Pop und Techno zu jonglieren, perfektioniert:<br />
Citypop trifft auf Trance, 90er-House à la Robin S. auf<br />
Faithless-Gedächtnis Rave, Ostblockzieh harmonika<br />
auf spanischen Rap. fe<br />
RUMPELIGE RETROGROOVES<br />
Kennen wir uns?<br />
Foto: Jessie Morgan<br />
Foto: XL Recordings<br />
Kaum zu glauben, dass Alfie Templeman erst 21 Jahre alt ist. Immerhin<br />
schreibt der Popboy seit sechs Jahren Songs, die bereits in zwei<br />
Soloalben gemündet sind. Da kann der Pool an Kreativität schon mal<br />
leergepumpt sein. Und wo zieht es einen Anfang 20-jährigen Süd -<br />
engländer in der Krise hin? Nach Miami und LA, wo Nile Rodgers<br />
den Jungen mit frischen Grooves versorgt hat. Zurück im grauen<br />
Südengland, hält der Glow glücklicherweise an, und so klingt<br />
Templemans drittes Album „Radiosoul“ nach Foals, Jungle und Parcels:<br />
Manchmal rumpeln die Retrogrooves, um gleich wieder clean und elektronisch<br />
zu spuren. Templemans neue Acid-Pop-Songs wirken, als<br />
würde man sie schon ewig kennen. fe<br />
<strong>kulturnews</strong> | 5
Musik<br />
„Ich habe oft gedacht:<br />
Was tun wir hier?“<br />
Beth Gibbons veröffentlicht Meisterwerke – doch darüber reden will sie nicht.<br />
Dann muss eben Produzent James Ford erklären, was das Solodebüt der Portishead-Sängerin<br />
zum wohl wichtigsten Album dieses Jahrzehnts macht.<br />
James, erinnerst du dich noch an den<br />
Moment, in dem du zum ersten Mal die<br />
Stimme von Beth Gibbons gehört hast?<br />
James Ford: Da war ich noch ein Teenager<br />
und habe das Portishead-Debüt „Dummy“<br />
ganz allein in meinem Schlafzimmer gehört.<br />
Ehrlich gesagt wusste ich beim ersten Mal<br />
nicht so recht, was ich mit diesem Sound<br />
anfangen sollte. Vielleicht hatte die Platte<br />
einen schweren Start, weil ich die CD von<br />
meinem Vater bekommen hatte, aber diese<br />
dunkle und geheimnisvolle Musik war auch<br />
ganz anders als die Sachen, die ich damals<br />
sonst so gehört habe. Trotzdem hat mich<br />
Beths Stimme dazu gebracht, dass ich sie<br />
immer wieder gehört habe, und nach und<br />
nach ist sie eine meiner Lieblingsplatten<br />
geworden. Vor allem aber ist es definitiv das<br />
erste Mal gewesen, dass ich mich intensiver<br />
mit der Produktion von Musik beschäftigt<br />
habe: Warum klingt das alles so seltsam und<br />
so interessant?<br />
Beth hat mehr als zehn Jahre an ihrem<br />
Solodebüt gearbeitet. Wann bist du dazugekommen?<br />
Ford: Ungefähr auf halber Strecke, es war<br />
auf jeden Fall noch vor der Pandemie. Beth<br />
hatte zunächst allein und dann gemeinsam mit dem Talk-Talk-Schlag -<br />
zeuger Lee Harris an den Songs gearbeitet. Sie wollte weg von Portishead:<br />
keine Elektronik, Loops oder Samples. Es ging darum, elektronische<br />
Texturen mit akustischen Instrumenten umzusetzen, und die beiden<br />
waren an einem Punkt angelangt, an dem sie Hilfe brauchten.<br />
Du bist kein Egoproduzent, sondern stellst dich ganz in den Dienst der<br />
Musiker:innen, mit denen du arbeitest. Macht es dir Spaß zu experimentieren,<br />
oder hast du es lieber, wenn Künstler:innen ganz klare<br />
Vorstellungen haben?<br />
Ford: Für mich war der langsame Prozess ungewohnt, denn ich arbeite<br />
eigentlich sehr schnell. Wir haben immer für ein oder zwei Wochen gearbeitet<br />
und dann mehrere Monate pausiert. Aber das Experimentieren<br />
macht Spaß. Der Arbeitsprozess bestand vor allem darin, dass ich Dinge<br />
ausprobiere. Beth hat mich angeleitet, und sie hat sich dann die Sachen<br />
rausgesucht, die ihr gefallen haben.<br />
Hast du gezählt, wie viele verschiedene Instrumente du auf dem<br />
Album spielst?<br />
Ford: Irrwitzigerweise bestimmt 30 oder 40. Bassklarinette und Violine<br />
James Ford (45) hat als Produzent für die<br />
Arctic Monkeys, Depeche Mode, Florence<br />
And The Machine und zuletzt für die Pet<br />
Shop Boys und Blur gearbeitet. Er ist für<br />
das Album „Myths of the near Future“ von<br />
den Klaxons verantwortlich, das im Jahr<br />
2007 den Mercury Prize gewonnen hat. Mit<br />
Jas Shaw bildet Ford das Duo Simian<br />
Mobile Disco, im Jahr 2023 ist mit „The<br />
Hum“ sein Solodebüt erschienen.<br />
Foto: Pip Bourdillon<br />
habe ich etwa nie zuvor gespielt, und Beth<br />
hat mir auch ein Dreierpack Blockflöten in<br />
die Hand gedrückt, mit denen ich zuletzt in<br />
der Grundschule zu tun gehabt hatte.<br />
Allerdings habe ich auch mitgezählt, wenn<br />
ich etwa eine seltsam gestimmte Gitarre ge -<br />
spielt und dabei auf dem Boden gelegen<br />
habe. Und für „Tell me who you are today“<br />
hat Beth vorgeschlagen, dass ich die Saiten<br />
des Klaviers mit einem Löffel bearbeite. Es<br />
ging in erster Linie immer darum, spezielle<br />
Sounds aus den Instrumenten rauszuholen.<br />
Wenn etwas zu konventionell klang, wollte<br />
Beth das meist nicht.<br />
Stimmt es, dass ihr sogar auf dem<br />
Boden rumgerobbt seid und Tiergeräusche<br />
imitiert habt?<br />
Ford: Es waren eher Atemgeräusche. (lacht)<br />
Da ging es um den Raumsound, und wir<br />
haben Mikrofone in die Luft gehalten, damit<br />
über unseren Köpfen ein Pfeifen entsteht. Ich<br />
habe oft gedacht: Was tun wir hier? Aber die<br />
Platte profitiert von all diesen Details, und<br />
diese Aufnahme haben wir etwa für „Floating<br />
on a Moment“ verwendet.<br />
War es auch Beths Idee, bei diesem Stück<br />
mit einem Kinderchor zu arbeiten?<br />
Ford: Das sind tatsächlich Beths Kids, und wir haben das dann so bearbeitet,<br />
dass es nach einem Chor klingt. Den Gesang haben wir häufig bei<br />
Beth in Bristol aufgenommen, wo sie ein kleines Gartenhausstudio hat.<br />
Währenddessen haben die Kinder in einem aufblasbaren Pool gespielt,<br />
was in dem Song ja auch zu hören ist. „All going to nowhere“, was für<br />
ein trostloser Satz. Aber es ist unglaublich ergreifend, wenn die lieblichen<br />
Kinderstimmen diese nihilistische Zeile singen.<br />
Trotz allem steckt auch Hoffnung in dem Album, und sei es auch nur, dass<br />
man in diesen dunklen Zeiten endlich wieder Beth an seiner Seite hat.<br />
Ford: Mir war es wichtig, auch musikalisch immer wieder anschmieg -<br />
same Passagen als Ausgleich zu haben. Aber klar, unsere Gegenwart ist<br />
extrem niederschmetternd. Zudem verhandelt Beth in ihren Songs das<br />
Älterwerden, es geht um die eigene Sterblichkeit, den Verlust von<br />
Freunden und Familie.<br />
„Lives outgrown“ wird aus vielen Gründen in die Musikgeschichte eingehen.<br />
Womöglich auch, weil es die erste Platte ist, auf der die<br />
Wechseljahre ein zentrales Thema sind.<br />
Ford: Stimmt, sie ist da sehr explizit, und mir fällt nichts Vergleichbares<br />
6 | <strong>kulturnews</strong>
Musik<br />
Foto: Netty Habel<br />
ein. Ich habe mit ihr viel über das Älterwerden gesprochen, und gerade<br />
weil ich zuletzt auch mit etablierten Künstlern wie Blur und den Pet Shop<br />
Boys gearbeitet habe, fällt mir auf, wie sehr es mich berührt, wenn ältere<br />
Stimmen mit Leidenschaft von den Punkten im Leben berichten, an<br />
denen sie sich gerade befinden. Die Musikindustrie setzt ja vor allem auf<br />
die Jugend, und auch wenn Energie und eine<br />
charmante Naivität natürlich oft spektakulär<br />
sind, kann Lebenserfahrung das auch toppen.<br />
Beth ist der Gegenentwurf zu einer Madonna,<br />
die für immer 18 sein will.<br />
Die Intensität ihrer Musik wird dadurch ge -<br />
steigert, dass sie seit den Anfängen von<br />
Portishead konsequent Interviews verweigert<br />
hat. Mich hat es komplett überrascht, dass<br />
sie die Ankündigung von „Lives outgrown“<br />
zumindest mit ein paar Kommentaren flankiert<br />
hat.<br />
Ford: Wir haben nicht darüber gesprochen,<br />
aber ich vermute, dass ist den Spielregeln des<br />
Social-Media-Alltags geschuldet. Und sie hat<br />
es ja so minimalistisch wie möglich gehalten.<br />
Die Magie meiner größten Helden wie Prince<br />
Lives outgrown<br />
ist gerade erschienen<br />
oder David Bowie speist sich nicht zuletzt aus der Tatsache, dass sie sich<br />
dieser Nahbarkeit stets verweigert haben, und in gewisser Weise macht<br />
es ein Frank Ocean heute auch nicht anders. Beth kann sich das mit<br />
ihrer Stimme rausnehmen. Selbst wenn wir zusammen gearbeitet und<br />
den Gesang aufgenommen haben, hatte ich jedes Mal eine Gänsehaut.<br />
Selbst dann, wenn das Arbeiten mit ihr zur<br />
Geduldsprobe geworden ist?<br />
Ford: Auch wenn ich schnell arbeite, bin ich<br />
eigentlich ein sehr geduldiger Mensch. Ja,<br />
Beth hat das mehr herausgefordert als jede:r<br />
Künstler:in zuvor. Für mich war das Album<br />
schon ein Jahr früher fertig als für Beth. Selbst<br />
als ich ihr erklärt habe, dass wir bereits krass<br />
überzogen haben und ich andere Projekte zu<br />
erledigen hatte, wollte sie immer noch ein<br />
Detail überarbeiten. Aber genau das macht sie<br />
eben auch zu einer der herausragendsten<br />
Künstler:innen unserer Zeit.<br />
LIVE 2. 6. Berlin<br />
Interview: Carsten Schrader<br />
<strong>kulturnews</strong> | 7
Musik<br />
Apocalypse<br />
soon<br />
von links: Colin Caulfield, Andrew Bailey,<br />
Ben Newman, Zachary Cole Smith<br />
Foto: Shervin Lainez<br />
Mit ihrem vierten Album begleiten DIIV die graduelle Zerstörung unserer Welt.<br />
Auch die Band hat die Aufnahmen nur knapp überlebt.<br />
Ben, Cole, Colin, bei „Frog in boiling Water“ denke ich sofort an die<br />
Metapher von dem Frosch, der nicht merkt, wie das Wasser um ihn<br />
herum zu kochen anfängt. Wer ist in eurem Szenario der Frosch?<br />
Ben Newman: Es geht auf jeden Fall auch ums Klima, aber eigentlich<br />
um alles zugleich. Jeder Song auf dem Album handelt von einem anderen<br />
Thema. Cole hat sich an die Sache mit dem Frosch aus einem Buch erinnert,<br />
das er vor langer Zeit gelesen hat, und die Idee mitgebracht, als das<br />
Album schon fertig war. Er hat den Titel vorgeschlagen, und uns war<br />
sofort klar, dass er alles zusammenfasst.<br />
Zachary Cole Smith: Der banale Abstieg in die Dystopie, der so langsam<br />
und alltäglich ist, dass du nicht merkst, wie schlimm es wirklich ist.<br />
Lässt sich die Metapher auch auf euch als Band<br />
übertragen? Ihr hattet ja einige Probleme mit der<br />
Produktion des Albums …<br />
Smith: Wenn man die Metapher so weit treiben will,<br />
war der Tag, an dem wir uns als Band ausgesprochen<br />
haben, sozusagen das Rausspringen aus dem Topf.<br />
Colin Caulfield: Das mit dem banalen Abgleiten ins<br />
Dystopische gilt auch für Beziehungen: Oft werden<br />
die Dinge schlimm, bevor man überhaupt erkennt,<br />
was passiert. Es ist schwer, ein destruktives System<br />
zu konfrontieren, während du gleichzeitig mit deinen<br />
persönlichen Bedürfnissen beschäftigt bist. In einer<br />
Gruppe ist es dasselbe, weil es immer einen Grund<br />
Frog in boiling Water<br />
ist gerade erschienen<br />
gibt, das Gespräch aufzuschieben: Ich muss nach Hause, was erledigen,<br />
wir müssen das Album beenden …<br />
Ihr habt ganze vier Jahre daran gearbeitet und hattet mehrere<br />
Fehlstarts.<br />
Smith: Da treffen sich die beiden Ebenen. Die materiellen Bedingungen<br />
für Musiker:innen waren noch nie so schlecht wie jetzt. Wenn wir das<br />
Album besser machen wollen, müssen wir auch länger ohne Geld auskommen.<br />
Das verstärkt natürlich die Spannungen in der Band, weil es<br />
nicht mehr nur um unsere Kreativität oder Freundschaft geht – es geht<br />
um unser Leben und das unserer Familien.<br />
Ursprünglich sollte das Album wesentlich elektronischer klingen, jetzt<br />
stehen doch wieder Gitarren im Mittelpunkt. Hat<br />
das auch mit der durchgestandenen Krise zu tun?<br />
Caulfield: Wenn du genau hinhörst, fallen dir noch<br />
Sprengsel aus dem Computer auf. Hast du mal was<br />
über das Making-of von „Apocalypse now“ gelesen?<br />
Coppola hatte eine genau durchgeplante Vision für<br />
den Film. Doch der Dreh hat sich ewig gezogen, und<br />
das Drehbuch hat sich immer mehr verändert.<br />
Ab einem bestimmten Punkt schaffst du nicht wirklich<br />
mehr den Film, sondern reagierst nur noch darauf,<br />
was der Film will. So war es bei uns auch:<br />
ein Abenteuer.<br />
Interview: Matthias Jordan<br />
8 | <strong>kulturnews</strong>
Schicht<br />
für<br />
Schicht<br />
Musik<br />
reservix.de<br />
dein ticketportal<br />
Auf dem Debütalbum schält Rachel Chinouriri<br />
ihren Indierock und diverse Traumata, bis nur<br />
noch Liebe übrig bleibt.<br />
›<br />
Laut aktuellem Traumadiskurs ist wenig wichtiger, als das<br />
ominöse innere Kind zu umarmen. Doch obwohl Rachel<br />
Chinouriri ihr Debütalbum selbst als eine Ansammlung unterschiedlichster<br />
Umgangsformen mit den eigenen Traumata beschreibt, verzichtet<br />
sie auf etwaigen Heilungshokuspokus. Womöglich, weil sie<br />
sich mit ihren 25 Jahren sowieso noch in Rufweite zur eigenen<br />
Kindheit bewegt, oder, weil sie Narben trägt, die schlicht kein<br />
Selfcare-Ratgeber zu heilen imstande wäre: Als Tochter simbab -<br />
wischer Eltern, aufgewachsen in prekären Verhältnissen in<br />
Südlondon, waren Entwurzelung, Rassismus und Unterdrückung früh<br />
ein Thema. Anstatt sich mit ihrer Familie in die Kirche zu flüchten,<br />
wurden Indierock und Britpop ihre Anker: Coldplay statt Gospel,<br />
Songwriting statt Beichte. Einige Jahre und drei EPs später steht nun<br />
ein Debütalbum an, das klingt, als wäre es bereits ihr zehntes. „What<br />
a devastating Turn“ ist groß und doch intim, dringlich und unausweichlich,<br />
aber ungeschönt direkt wie ein Tagebuch. Eine Erzählung<br />
von Trennung, Tod und transgenerationalen Traumata.<br />
Dabei bildet speziell der Sound der ersten Hälfte des Albums diese<br />
inhaltliche Schwere kaum ab: 2000er-Indiegitarren tänzeln um<br />
Chinouriris smoothe Gesangsmelodien, während anmutiger Britpop<br />
mit 80er-Claps und soften Synthies betupft wird. Unter all der erhabenen<br />
Tanzbarkeit brodelt es allerdings: Zugehörigkeitsfragen, verpackt<br />
in hymnische Chorusse („The Hills“), Absagen ans eigene<br />
Helfersyndrom („Never need me“) und süffisante Abrechnungen mit<br />
lästigen Ex-Freunden, pfeifend und rappend vorgetragen, irgendwo<br />
zwischen Lily Allen und Sleaford Mods („It is what it is“). Verpanzert<br />
sich Chinouriri zunächst noch hinter Nihilismus und Humor, steuert<br />
alles auf die bereits im Albumtitel angelegte Wende zu. Und so, wie<br />
sich der Sound allmählich schält, immer akustischer und zärtlicher<br />
wird, beginnt auch die Londonerin, sich zu öffnen, berichtet vom Selbst -<br />
mord einer Frau im Angesicht einer Abtreibung (Titeltrack), dem Tod<br />
eines jungen Familienmitgliedes („Robbed“) und tiefem Selbsthass<br />
(„I hate myself“). Dass Chinouriri schließlich nur mit Akustikgitarre bei<br />
der Liebe landet, widerlegt versöhnlich die Ausgangsthese des Openers:<br />
„My god, it’s sinking in/There’s no point in anything”. Womöglich hat<br />
sie sich da getäuscht.<br />
Felix Eisenreich<br />
What a devastating Turn ist gerade erschienen.<br />
LIVE 16.–18. 8. Hamburg, Dockville<br />
<strong>kulturnews</strong> | 9<br />
Foto: Lauren Harris<br />
01.03.25 Düsseldorf<br />
03.03.25 Frankfurt<br />
04.03.25 Stuttgart<br />
08.03.25 Wien<br />
14.03.25 München<br />
... und weitere Termine<br />
28.07.24 Pratteln<br />
31.07.24 Berlin<br />
04.08.24 Köln<br />
08.08.24 Hamburg<br />
04. – 07.<br />
JULI<br />
Alle Angaben ohne Gewähr<br />
Ben Becker<br />
01. & 02.11.24 Berlin<br />
22. & 23.11.24 Düsseldorf<br />
04.12.24 München<br />
14.12.24 Bremen<br />
12.02.25 Potsdam<br />
...und weitere Termine<br />
Joanna<br />
Gemma Auguri<br />
03.09.24 Silent Green, Berlin<br />
Pippo Pollina<br />
07.07.24 Passau<br />
13.07.24 Riehen<br />
11.08.24 Berlin<br />
01.10.24 Leipzig<br />
02.10.24 Wolfsburg<br />
...und weitere Termine<br />
Tickets unter reservix.de<br />
Hotline 0761 888499 99
Musik<br />
Grüner wird’s nicht!<br />
Foto: Holly Whitaker<br />
Die drei Mitglieder von Goat Girl trauen sich mehr als je zuvor –<br />
indem sie sich ein Vorbild an der Natur nehmen.<br />
Rosy, Holly, Lottie, auf eurem dritten Album klingt ihr sehr selbstbewusst<br />
und souverän. Woher kommt diese neue Sicherheit?<br />
Rosy Jones: Sie kommt einfach natürlich mit der Zeit. Aber dadurch,<br />
dass wir marginalisierten Gendern angehören, waren wir lange Zeit nicht<br />
so selbstsicher. Ich persönlich hatte am Anfang wenig Vertrauen in mich,<br />
das muss sich erst aufbauen. Die Leute um dich herum können dabei<br />
helfen, was ein Grund ist, warum wir gemeinsam so gut funktionieren.<br />
Holly Mullineaux: Wir kennen uns auch gegenseitig besser, was vor allem<br />
für mich gilt, weil ich ja später dazugekommen bin. Dieses Album hat<br />
zwar immer noch lange gebraucht, aber der Prozess hat sich müheloser<br />
angefühlt als beim Vorgänger. Wir haben erstmals offiziell koproduziert<br />
und mehr ausprobiert. Der Song „Motorway“ etwa hat weder Gitarre<br />
noch Bass.<br />
„Below the Waste“ wirkt sehr organisch, arbeitet<br />
viel mit Streichern und Naturgeräuschen – und<br />
thematisch geht es ja auch viel um Prozesse in<br />
der Natur.<br />
Pendlebury: Am Anfang, als ich mit dem Schreiben<br />
der Texte angefangen habe, war alles eher ein<br />
Gedankenstrom. Aber dieselben Themen sind immer<br />
wieder aufgetaucht, auch in meinen Träumen und<br />
den Büchern, die ich gelesen habe. Es ist die Welt um<br />
dich herum, die mit einfließt. Als ich etwa das Demo<br />
zu „Pretty Faces“ in meinem Schlafzimmer aufgenommen<br />
habe, hat es geregnet, also habe ich einfach das<br />
Mikro aus dem Fenster gehalten.<br />
Below the Waste<br />
erscheint am 7. Juni<br />
Was genau bedeutet der Titel für euch?<br />
Mullineaux: Für mich bedeutet es, sich anzuschauen, was unter den<br />
Dingen liegt, vor allem den Dingen, die überflüssig oder nicht hilfreich<br />
sind. Da kann es natürlich um die Umwelt gehen, aber auch um den Um -<br />
gang mit anderen Menschen. Es hat etwas von einem Aufstehen:<br />
Es erkennt die Ekelhaftigkeit der Gesellschaft an, versucht aber, sie<br />
zu überwinden.<br />
Pendlebury: Es geht auch darum, sich den Zyklen des Lebens auszuliefern.<br />
Wir leben in der Stadt, also ist unsere Vorstellung der Natur anders<br />
als von Leuten, die auf dem Land aufgewachsen sind. Aber gerade diese<br />
Ästhetik fasziniert mich: Wurzeln, die aus Häusern wachsen, oder<br />
Bäume, die sich um Telefonzellen ranken.<br />
Spannend, dass du Zyklen erwähnst, denn der erste und letzte Song<br />
gehen ineinander über. Ist das ganze Album ein Zyklus?<br />
Jones: Eigentlich sollte der Opener später im Album<br />
kommen, aber dann hatte Holly die Idee, ihn an den<br />
Anfang zu setzen. Wir haben viel darüber gesprochen,<br />
wie cool es ist, wenn Alben mit einer Art Einleitung<br />
beginnen, die den Rest vorbereiten. Das ist auch von<br />
klassischer Musik inspiriert, die ja viel mit wiederkehrenden<br />
Motiven arbeitet – auch etwas, das wir mit diesem<br />
Album stärker einbeziehen konnten.<br />
Interview: Matthias Jordan<br />
LIVE<br />
11. 10. Nürnberg | 12. 10. Köln | 13. 10. Berlin<br />
10 | <strong>kulturnews</strong>
Musik<br />
Fanboy’s<br />
Daydream<br />
„Rock’n’Roll Star!“ bietet den bisher tiefsten<br />
Einblick in David Bowies kreative Hochphase.<br />
›<br />
Kaum einen Künstler kann man so tiefgehend und nerdig lieben wie<br />
David Bowie: Seine verschiedenen kreativen Phasen sind wie Disko -<br />
grafien von ganz unterschiedlichen Musikern – vom Glam Rock der 70erüber<br />
den Krautrock der 80er-Jahre bis hin zur kreativen Wieder auferstehung<br />
mit modernem Pop in den 20ern des neuen Jahrtausends. Dabei hat<br />
jede:r wohl einen Lieblings-Bowie – und für die meisten ist das sein<br />
androgynes Rockstar-Alien Ziggy Stardust.<br />
Das ausführliche Boxset „Rock’n’Roll Star!“<br />
bietet nun jenen Fans die Gelegenheit, noch<br />
tiefer in sein Schaffen einzutauchen – mit<br />
29 bisher unveröffentlichten Tracks, zwei<br />
Büchern und einer 36-seitigen Zusammen -<br />
stellung von Nach drucken aus persönlichen<br />
Notizbüchern des Künstlers. jl<br />
Rock’n’Roll Star! erscheint am 14. Juni.<br />
DIE LIVE SENSATION AUS NEW ORLEANS<br />
"mixes his signature blues-influenced howl with<br />
doses of country, soul and rock"<br />
Foto: Brian Ward<br />
tickets<br />
02.10.24 | CH_Rubigen, Mühle<br />
03.10.24 | CH_Langenthal, Old Capitol<br />
04.10.24 | München, Freiheitshalle<br />
05.10.24 | Winterbach, Lehenbachhalle<br />
<strong>06</strong>.10.24 | Mainz, Frankfurter Hof<br />
08.10.24 | Köln, Kulturkirche<br />
15.10.24 | Hamburg, Fabrik<br />
16.10.24 | Berlin, Lido<br />
audio<br />
<strong>kulturnews</strong> | 11
Musik<br />
Bitte<br />
recht<br />
freundlich!<br />
Foto: Joséphine Leddet<br />
Auf ihrem Debüt klangen King Hannah noch düster und angespannt.<br />
›<br />
Nun aber lässt sich das britische Indierock-Duo in neue Richtungen treiben.<br />
Optimistisch und zuversichtlich sind Wörter, die einem beim Sound<br />
von King Hannah so ziemlich als Letztes durch den Kopf gehen.<br />
Zu sehr hat der mit Shoegaze infizierte Indierock des Liverpooler Duos<br />
bisher „Schneisen unter die Haut geschlagen“. Genau diese Wörter nehmen<br />
Hannah Merrick und Craig Whittle in den Mund, um ihren zweiten<br />
Longplayer „Big Swimmer“ zu beschreiben. Die neue Entspanntheit<br />
beginnt schon beim großartigen Titelstück, das mit hellem Vintage-Folk<br />
und Sharon van Etten als Gastsängerin verführt. „Der Titel“, sagt Merrick,<br />
„ist eine Metapher dafür, niemals aufzugeben und der eigenen Version zu<br />
folgen“. Das erklärt auch, warum sowohl der Opener als auch die meisten<br />
der anderen Songs auf „Big Swimmer“ in verschiedenen Richtungen<br />
ausufern – gerade noch sturmerprobt und gitarren -<br />
getrieben, im nächsten Moment anlehnend und von<br />
flirrender Leichtigkeit umwoben.<br />
Überall, wo zuvor bleierne Tristesse begeistert hat,<br />
wenden sich King Hannah nun der Hoffnung zu,<br />
ohne dabei allerdings das entschlossene Aufbäumen<br />
zu vernachlässigen. Einflüsse von Mazzy Star und<br />
PJ Harvey bis zu Bill Callahan und John Prine sind<br />
zu erahnen oder so offensichtlich wie im finalen Song<br />
„John Prine on the Radio“. „Diese Einflüsse sind schon<br />
immer Teil unserer Musik gewesen“, räumt Merrick<br />
ein, „aber nun hört man die Musik, die wir mögen,<br />
sehr viel deutlicher heraus“.<br />
Big Swimmer<br />
erscheint am 31. Mai<br />
Jeder Song wirkt wie eine Reise, auf der man die Gelassenheit findet, mit<br />
Unvorhersehbarkeiten umzugehen. „Wir hatten viel mehr Zeit, dieses<br />
Album zu schreiben, was bedeutet, dass wir die Songs nehmen konnten,<br />
die wir wirklich mögen, während vorher der Druck größer war, schnell<br />
fertig zu werden“, erklärt Merrick die entschleunigte Atmosphäre, die<br />
„Big Swimmer“ trotz Noise-Momenten kennzeichnet. Gleichzeitig waren<br />
die beiden sich einig, mit dem zweiten Album dicht an ihrem Livesound<br />
zu bleiben, der beim Debüt aufgrund der Pandemie noch nicht aus -<br />
reichend erprobt gewesen war. Die neuen Songs sind nun auf großer<br />
US-Tour entstanden. Eine Erfahrung, die sich auf den traumwandelnden<br />
Desertrock von „Somewhere near El Paso“ genauso ausgewirkt hat<br />
wie auf den Sheryl-Crow-Moment in „New York,<br />
let’s do nothing“. Einfach im Van auf endlosen<br />
Straßen unterwegs sein, ein Motel in der Ödnis gegen<br />
ein Hostel in der Metropole tauschen. Vor allem aber<br />
eins mit sich sein. Da wundert es wenig, dass die<br />
ehemals in Melancholie Ertrinkenden nun diese Zeile<br />
so entwaffnend wie aufbruchsbereite Slacker-Hobos<br />
singen: „You gotta take it slow if you’re gonna make it<br />
out of here.”<br />
Verena Reygers<br />
LIVE<br />
5. 9. Berlin | 19. 9. Hannover<br />
12 | <strong>kulturnews</strong>
Same same<br />
but different<br />
Foto: Juliana Giraffe<br />
Ihr Folkpop schwelgt in der Vergangenheit. Was aber noch lange<br />
nicht heißt, dass Marina Allen sich nicht weiterentwickelt.<br />
Marina, der erste Song auf deinem neuen<br />
Album heißt „I’m the same“ – hast du dich<br />
seit deinem letzten Album „Centrifics“ denn<br />
gar nicht weiterentwickelt?<br />
Marina Allen: Doch! (lacht) Beim Songwriting<br />
für „Centrifics“ bin ich sehr nach Plan vorgegangen,<br />
bei „Eight pointed Star“ hatte ich<br />
dagegen kein bestimmtes Konzept im Kopf. Im<br />
Gegenteil, ich habe viel entspannter und un -<br />
gezwungener gearbeitet.<br />
Musikalisch hast Du schon immer entspannt<br />
geklungen, aber nun wirkst du nahezu befreit.<br />
Allen: Das liegt zum einen daran, dass ich viel<br />
offener war, zu experimentieren und mich<br />
überraschen zu lassen. Aber auch daran, dass<br />
ich mit tollen Musikern im Studio war, die es<br />
geschafft haben, die Platte in sieben Tagen<br />
einzuspielen, obwohl wir das Studio für zehn<br />
Tage gebucht hatten.<br />
Stichwort überraschen lassen: Was war<br />
denn für dich die größte Überraschung bei<br />
der Produktion?<br />
Allen: Wahrscheinlich der Prozess, in dem<br />
„Red Cloud“ entstanden ist. Ich war sehr<br />
nervös, weil ich nur eine Rohfassung von dem<br />
Song hatte. Gleichzeitig war in meinem Kopf<br />
aber eine ganz konkrete Vision. Dass sich die<br />
anderen so gut in diese Vision hineinversetzen<br />
konnten und der Song schließlich genau so<br />
geworden ist, wie ich ihn mir vorgestellt habe,<br />
hat mich am meisten überrascht.<br />
Man sagt dir gerne nach, dass du nach Joni<br />
Mitchell und Carole King klingst. Stimmt’s?<br />
Allen: Bei meinen ersten beiden Alben haben<br />
viele gedacht, ich sei ausschließlich von den<br />
60er- und 70er-Jahren beeinflusst. Das bin<br />
ich zwar auch, aber ich bin auch ein riesiger<br />
Fan von PJ Harvey und Liz Phair.<br />
Du hast viel von Prozessen gesprochen.<br />
Ganz konkret: Wie hast du dich durch diese<br />
Platte verändert?<br />
Allen: Jedes Mal, wenn du ein Ziel hast und dieses<br />
Ziel erreichst, verändert sich etwas. Alben<br />
sind wie Meilensteine, mit jedem reifst du auf<br />
die eine oder andere Art. Je mehr Musik ich<br />
veröffentliche, desto mehr fühle ich mich wie<br />
die Musikerin, die ich im Grunde sein will. Es<br />
geht nicht darum, erfolgreicher zu sein, eher<br />
darum, auf einer spirituellen Ebene dir selbst<br />
näherzukom men. So betrachtet, kommt mein<br />
bestes Album erst noch. (lacht)<br />
Interview: Verena Reygers<br />
Eight pointed Star erscheint am 21. Juni.<br />
<strong>kulturnews</strong> | 13
Szene<br />
Das Schweigen<br />
brechen<br />
Während sich andere Schauspieler:innen mit<br />
Biografien verewigen, hat sich Oscarpreisträgerin<br />
Sam Morton mit Produzent Richard Russell<br />
zusammengetan und sich musikalisch porträtieren<br />
lassen. Entstanden ist „Daffodils & Dirt“: eine<br />
Elektro-Altpop-Verhandlung von Mortons Auf -<br />
wachsen in Kinderheimen und Pflegefamilien, die<br />
von Russell mit fiktionalen Inhalten flankiert wird.<br />
„Es fühlte sich an, als sei ich mein Leben lang<br />
zum Schweigen gebracht worden, und dann sagte<br />
jemand zu mir: Du darfst nun sprechen“ – und<br />
singen. jm<br />
Abb.: Sedsoulciety<br />
Das Revival des Vinyls dauert an, beschränkt sich bei vielen<br />
Schönwetterfans aber auf Alben. Echte Kenner:innen da -<br />
gegen erinnern sich, dass das 7″-Singleformat die heutige<br />
Popmusik entscheidend geprägt hat. In Hamburg bringt das<br />
neu gegründete Label Sedsoulciety Recordings ikonische<br />
Funk-, Soul- und Boogiesingles heraus, darunter Hits von<br />
Bobby Byrd und Cool Million. mj<br />
Foto: Anton Corbijn<br />
Der große Bruder<br />
Es liegt nahe, die australische Psychrockband Pond mit Tame<br />
Impala zu vergleichen. Immerhin sind beide Bands eng befreundet,<br />
und neben den Tame-Impala-Mitgliedern Julien Barbagallo<br />
und Cam Avery war selbst Frontmann und kreative Seele Kevin<br />
Parker lange Zeit Drummer und Produzent von Pond. Und doch<br />
ist die Band aus Perth mehr als der kleine Bruder von Tame<br />
Impala. Denn während sich Parker zunehmend dem Pop verschrieben<br />
hat, zieht es Pond auf ihrem aktuellen Album „Stung!“<br />
dorthin, wo alles angefangen hat:<br />
in die absolute Freiheit des Psych -<br />
rock. Und so gönnen sie sich<br />
düstere Synthiewände über organischen<br />
Drums und achtminütige<br />
Songs, in denen Kirchenglocken<br />
in Saxofon, Querflöte und<br />
derangiert-hypnotische Gitarren -<br />
soli übergehen. fe<br />
Foto: Michael Tartaglia<br />
Still got it<br />
Wenn Metalbands ihr angestammtes Genre verlassen,<br />
führt das oft nicht zu viel. Anders bei Darkthrone:<br />
Das Duo hat in den 90er-Jahren zwar Black Metal mitbegründet,<br />
sich aber seither zunehmend davon distanziert.<br />
Mittlerweile voll und ganz in der dankbaren „Wir<br />
machen, was wir wollen“-Zone angekommen, verorten<br />
sie sich auch mit „It beckons us all“ irgendwo zwischen<br />
Doom, Black, Thrash und Heavy Metal – glänzen aber<br />
noch immer mit dem Songwriting, das sie schon mit 20<br />
zu Legenden gemacht hat. jl<br />
Foto: Peer Olav Kittilsen<br />
14 | <strong>kulturnews</strong>
Musik<br />
UND DANN WAR ALLES ANDERS<br />
Frank Turner über den Moment, in dem Kultur sein Leben verändert hat<br />
Foto: Shannon Shumaker<br />
„Meine einzige Reaktion war: What the Fuck!“<br />
„Als ich zehn Jahre alt war, war mir Musik wirklich noch scheißegal.<br />
Meine Eltern haben klassische und Kirchenmusik gehört. Zu der Zeit war<br />
ich vor allem verrückt nach Warhammer, diesem Tabletop-Spiel mit den<br />
kleinen Figürchen. Und ganz nebenbei: Ich war richtig beschissen darin.<br />
Wie so oft war ich also mit einem Freund am Warhammer spielen, und<br />
die Tür zum Zimmer seines älteren Bruders stand einen Spalt offen, weshalb<br />
ich an seiner Wand ein Iron-Maiden-Poster erspähen konnte.<br />
Natürlich hab ich gedacht, dass es ein Warhammer-Poster sein muss.<br />
Was sonst? Ich wollte meinem Kumpel erst nicht glauben, als er meinte,<br />
dass es ein Band-Poster sei. Ich mein’: Welche Band kann so cool sein?<br />
Natürlich kannte ich Bands aus dem Radio, Bon Jovi, Duran Duran und<br />
so was, aber keine Band, die je so cool sein könnte wie dieses Poster. Zu<br />
Hause habe ich dann meinen Eltern von diesem Ding namens Iron<br />
Maiden erzählt. Und tatsächlich hat mir mein Vater nur kurze Zeit später<br />
eine Kopie von „Killers“, dem zweiten Iron-Maiden-Album, auf Kassette<br />
besorgt. Für ihn ist das bis heute sein größter Erziehungsfehler. Ich kann<br />
mich immer noch daran erinnern, wie ich die Kopfhörer aufgesetzt habe<br />
In Bahrain geboren, in England aufgewachsen, war Frank<br />
Turner schon immer ein Wandler zwischen den Welten. Ob<br />
Folk, Indierock oder Punk – der 42-Jährige liebt es, sich<br />
auszuprobieren. Auf seinem zehnten Album „Undefeated“<br />
lehnt er sich in den Poppunk der 1990er- und 2000er-<br />
Jahre, den Sound seiner Jugend – und er rechnet mit den<br />
Idealen seines 15-jährigen Punk-Ichs ab.<br />
und der Opener „The Ides of March“ mit diesen ikonischen Drums eingesetzt<br />
hat. Meine einzige Reaktion war: What the Fuck! So etwas hatte ich<br />
noch nie zuvor gehört. Das Entscheidende war aber, dass es meins war.<br />
Niemand hat mir diese Musik aufgezwungen, sie mir gezeigt, nicht<br />
meine Eltern, nicht meine Schwester. Ich hab sie verdammt noch mal<br />
selbst gefunden.“<br />
Aufgezeichnet von fe<br />
<strong>kulturnews</strong> | 15
Musik<br />
JOSH KAUFMAN<br />
Songwriter,<br />
Multiinstrumentalist, Produzent<br />
für Bob Weir, The War On<br />
Drugs, Taylor Swift u.v.m.<br />
ANAÏS MITCHELL<br />
Singer/Songwriterin, Autorin,<br />
acht Tonys und ein Grammy<br />
für das Broadway-Musical<br />
„Hadestown“<br />
ERIC D. JOHNSON<br />
Kopf der Fruit Bats,<br />
früher Mitglied der Shins,<br />
Komponist<br />
für Filmmusik<br />
LIVE 15. 11. Hamburg<br />
Wie geschmiert<br />
Foto: Jay Sansone<br />
Die Folk-Supergroup Bonny Light Horseman ist längst kein Nebenprojekt mehr.<br />
Um trotzdem spontan zu bleiben, reibt das Trio schon mal ein Klavier mit Olivenöl ein.<br />
Anaïs, Eric, viele Bands sind bei ihrem dritten Album schon komplett<br />
routiniert. Bei euch ist das anders: Das Debüt war ja ursprünglich als<br />
einmaliges Projekt gedacht, der Nachfolger dann eher die Bestätigung,<br />
dass ihr eine richtige Band seid. Seid ihr mittlerweile angekommen?<br />
Eric D. Johnson: Ich glaube schon, allerdings haben wir versucht, uns<br />
wieder mehr in eine ungewohnte Situation zu begeben, um das Aben -<br />
teuer des ersten Albums einzufangen.<br />
Anaïs Mitchell: Unser Debüt war ja stark geprägt von traditionellen<br />
Songs, beim zweiten haben wir begonnen, mehr selbst zu schreiben.<br />
Dieses Mal wussten wir schon, dass wir das gemeinsam hinkriegen, also<br />
konnten wir spontaner sein.<br />
Ist es deshalb ein Doppelalbum geworden?<br />
Mitchell: Wir konnten uns einfach von keinem<br />
Song trennen – also haben wir sie alle zu Tisch<br />
gebeten. (lacht) Ich würde sagen, etwa die Hälfte<br />
ist in Irland entstanden, die andere in unserem<br />
Heimatstudio in New York.<br />
Ihr habt in Irland nicht etwa im Studio, sondern<br />
in einem Pub aufgenommen. Wie ist es dazu<br />
gekommen?<br />
Mitchell: Es war eine dieser mystischen Sachen,<br />
die mir am Anfang meiner Karriere oft passiert<br />
sind. Ich war auf Tournee mit Rozi Plain gewesen,<br />
die Bassistin von This Is The Kit und auch selbst<br />
Songwriterin ist. Sie hat mir Joe vorgestellt, dem<br />
der Pub gehört. Als wir mit Bonny Light Horseman<br />
ein paar Auftritte in Irland hatten, wollten wir<br />
Keep me on your Mind/<br />
See you free<br />
erscheint am 7. Juni<br />
Songs aufnehmen, die uns unter den Nägeln gebrannt haben, aber kein<br />
Studio hat uns so richtig gefallen. Da ist mir eingefallen, dass ich ja einen<br />
Typen kenne, dem ein Pub gehört. Wir haben ihn dann für drei Tage in<br />
Beschlag genommen.<br />
Wie hat dieser Ort die Aufnahmen beeinflusst?<br />
Johnson: Diese Stadt in Irland ist sehr alt, wunderschön, ein bisschen<br />
hippiemäßig. Sie hat sich angefühlt wie unsere Band, mit traditionellen<br />
Aspekten, aber einem modernen Überbau. Am dritten Tag waren Gäste<br />
des Pubs dabei. Es ist kein Livealbum, aber es hat eine besondere Atmo -<br />
sphäre erzeugt, dass ein Publikum dabei gewesen ist.<br />
Mitchell: Am Ende ist fast alles, was auf dem<br />
Album gelandet ist, an diesem Tag entstanden.<br />
Vielleicht hat es was mit der irischen Kultur zu<br />
tun, aber die Leute haben total verstanden, worum<br />
es geht. Sie haben mitgesungen, und auf dem<br />
Album kannst du die Autos draußen vorbeifahren<br />
und die Gläser klirren hören.<br />
Stimmt es, dass ihr das Klavier mit Olivenöl eingerieben<br />
habt, um es am Knarzen zu hindern?<br />
Ich wusste gar nicht, dass das funktioniert.<br />
Johnson: Da müsstest du unseren Experten Josh<br />
fragen. Aber ja, eigentlich wollten wir diese Im -<br />
perfektionen, doch das Klavier hat so laut geknarrt,<br />
dass es ablenkend gewesen wäre. Und das einzige<br />
Schmiermittel, das wir finden konnten, war nun<br />
mal Olivenöl. (lacht)<br />
Interview: Matthias Jordan<br />
16 | <strong>kulturnews</strong>
Musik<br />
FESTIVAL DAY<br />
MRS. GREENBIRD / LINA BÓ / JOSHUA PATRON /<br />
SUNDANCE IN MOONLIGHT<br />
WINGENFELDER<br />
25.08.<strong>2024</strong><br />
26.08.<strong>2024</strong><br />
AKUSTIK QUARTETT / SUPPORT: MRS. GREENBIRD<br />
Open-Air<br />
im StrandGut Resort<br />
st. peter-ordinG<br />
Foto: Madeline McManus<br />
King of Klagelied<br />
Anstatt zu resignieren, lässt er sich von<br />
Krisen beflügeln. John Cale läuft mit 82<br />
noch mal zur Hochform auf.<br />
›<br />
Dass Alter bloß eine Zahl sei, mag in der Welt geiler alter Böcke<br />
stimmen. Es hilft beim Versuch, John Cales Artpop zu verstehen,<br />
aber nur bedingt. Schließlich hinterlassen 82 Lebensjahre ihre Spuren.<br />
Es sind Spuren, die bis in die 60er-Jahre zurückreichen, als sich Cale<br />
mit The Velvet Underground und seinem Kumpel Andy Warhol auf<br />
dem subversiveren Ende des Hippie-Spektrums bewegt hatte, ihm<br />
gegenüber die Beatles und ein John Lennon, der heute in etwa so alt<br />
wäre wie Cale. Wie damals findet sich der 82-Jährige auch jetzt in<br />
Zeiten des Aufruhrs und der Paradigmenwechsel wieder: Rechtsruck,<br />
Klimakatastrophen, zügelloses Wachstum. Grund genug, wütend zu<br />
sein. Und so kultiviert der gebürtige Waliser mit seinem neuen Album<br />
„POPtical Illusion“ eine Wut fernab blinder Mittzwanziger-Explosivität<br />
oder verbitterter Rentnerpöbeleien vom Beckenrand. Seine Wut ist eine<br />
zugewandte Sorge, ein Unbehagen, das sich zwischen knarzenden<br />
Slowdancern und synthetisch-surrealistischen Klageliedern ausbreitet.<br />
WOLFGANG NIEDECKEN (BAP)<br />
AM PIANO MIKE HERTING / PROGRAMM „DYLANREISE & GESCHICHTEN<br />
UND LIEDER AUS DEM LEBEN“ / SUPPORT: GRILLMASTER FLASH<br />
MAX GIESINGER<br />
AKUSTIK-KONZERT IM QUARTETT / SUPPORT: JESSE TELLEM<br />
YARED DIBABA<br />
& DIE SCHLICKRUTSCHER<br />
28.08.<strong>2024</strong><br />
31.08.<strong>2024</strong><br />
Jetzt Tickets & Packages sichern unter<br />
www.strandgut-resort-shop.de<br />
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DAS NEUE ALBUM<br />
27.08.<strong>2024</strong><br />
STRANDGUT<br />
ACOUSTIC<br />
Se 猀 ions<br />
klein · fein · exklusiv<br />
<strong>2024</strong><br />
„Avoid the mistakes we made when we were younger“, singt Cale in<br />
„Davies and Wales“, was mehr eine zukunftsgerichtete Warnung als<br />
ein Rückblick auf jugendliche Peinlichkeiten ist. Obwohl sich dieses<br />
Album kaum festlegen mag, es aus eklektischen Soundfragmenten<br />
von HipHop bis Punk und gedanklichen Collagen besteht, scheint dieser<br />
Mann auf eine bescheidene Art etwas Essenzielles verstanden zu<br />
haben: wie wir uns gegenseitig Schmerzen zufügen („Edge of<br />
Reason“), den Grund dafür auch bei uns selbst zu suchen haben („I’m<br />
angry“) und trotzdem irgendwann loslassen müssen („How we see the<br />
Light“). Nur zu gern verzeiht man Cale seinen mitunter pastoralen<br />
Gestus, schlummern unter all der magischen Poesie doch Humor und<br />
ernsthaftes Interesse an einer besseren Welt: „The right-wingers burning<br />
their libraries down”, verkündet er über düster wummernden<br />
Synthies („Setting Fires“). Hoffentlich behält er recht. Es sind die<br />
Krisenzeiten, die Cale wieder zur Hochform auflaufen lassen.<br />
„POPtical Illusion“ ist wie schon der Vorgänger „Mercy“ das Konzen trat<br />
einer seit Pandemiebeginn neu entfachten Kreativität. „Can I close another<br />
chapter in the way we run our lives?“, fragt Cale. Für Erste gern, auch<br />
wenn’s das noch lange nicht gewesen sein wird.<br />
Felix Eisenreich<br />
POPtical Illusion erscheint am 14. Juni.<br />
<strong>kulturnews</strong> | 17
SINKANE<br />
WE BELONG<br />
Musik<br />
COMA<br />
FUZZY FANTASY<br />
Foto: Ashley Olah<br />
JESSICA PRATT<br />
HERE IN THE PITCH<br />
KING HANNAH<br />
BIG SWIMMER<br />
Listen HERE<br />
›<br />
Abgetaucht<br />
Auf ihrem zweiten Album nehmen The Marías uns mit<br />
auf eine Reise in die Tiefen der Seele.<br />
Wenn The Marías ihre neue Platte<br />
„Submarine“ genannt haben, ist dieser<br />
Titel natürlich musikhistorisch vorbelastet.<br />
Doch trotz psychedelischer Grundierung ist die<br />
US-Band denkbar weit von dem fidelen<br />
Kinderlied entfernt, mit dem das Wort gemeinhin<br />
assoziiert wird. Man könnte auch sagen:<br />
Wo das U-Boot der Beatles quietschgelb war,<br />
klingt das der Marías irgendwie blau – und das<br />
liegt nicht nur am Cover. Denn die Metapher<br />
bedeutet für die Band nicht etwa Eskapismus:<br />
Es ist ein Abtauchen in die Tiefen der eigenen<br />
Seele, um das es Frontfrau María Zardoya<br />
geht. Und so sind die Texte auf „Submarine“<br />
intim und persönlich, es geht um komplexe<br />
Beziehungen und psychische Weiter ent -<br />
wicklung. „Damals war ich konfliktscheu und<br />
bin immer weggelaufen, wenn jemand über<br />
etwas Ernstes reden wollte“, sagt die Sängerin<br />
etwa über das Schreiben der Single „Run your<br />
Mouth“. „Ich habe gelernt, dass das ein Schutz -<br />
mechanismus war und mir die Fähigkeit fehlte,<br />
mich zu öffnen.“<br />
Zardoya und ihrem Partner, Drummer Josh<br />
Conway. Der Sound ist dabei absichtlich weniger<br />
bombastisch als auf dem Debüt „Cinema“,<br />
trotzdem werden Fans sich zurechtfinden – so<br />
gibt es etwa mit „LeJos de ti“ und „Ay no puedo“<br />
erneut zwei Songs, die die in Puerto Rico ge -<br />
borene Zardoya auf Spanisch singt. Überhaupt<br />
ist es ihr Gesang, dem das Album einen<br />
Großteil seiner emotionalen Schlagkraft verdankt.<br />
Dass es die abenteuerlichen Klänge im<br />
Hintergrund gar nicht braucht, damit ihre<br />
Stimme fesselt, beweist die jazzige Klavier -<br />
ballade „If only“ – bevor ein Trompetensolo<br />
den Song in neblige Noir-Sphären hebt. Kein<br />
Wunder, dass zu Zardoyas Einflüssen viele<br />
Größen des Jazzgesangs zählen, mit Norah<br />
Jones bekommt eine von ihnen in „Sienna“<br />
sogar einen Shout-out. Jones ist ja bekanntlich<br />
die Tochter von Ravi Shankar, der George<br />
Harrison einst das Sitarspielen beigebracht hat –<br />
die nächste Beatles-Connection.<br />
Volle Kraft voraus!<br />
Matthias Jordan<br />
Musikalisch getragen wird der Trip in die Tiefe<br />
von dem leicht angefunkten, träumerischen<br />
Indierock der Band unter der Leitung von<br />
Submarine ist gerade erschienen.<br />
LIVE 1. 11. Berlin | 3. 11. Köln<br />
WWW.CITYSLANG.COM<br />
18 | <strong>kulturnews</strong>
k fusion präsentiert<br />
Musik<br />
Foto: Hördur Sveinsson<br />
Doppelwumms<br />
LIVE <strong>2024</strong><br />
Natürlich kämpft LGTBQ-Aktivist John Grant gegen das konservative<br />
Amerika. Doch was ist mit dem deutschen Kanzler?<br />
27. JULI | LÖRRACH STIMMEN FESTIVAL<br />
28. JULI | KÖLN PALLADIUM<br />
30. JULI | BERLIN ADMIRALSPALAST<br />
John, eigentlich ist „The Art of the Lie“ ein<br />
typisches John-Grant-Album, bei dem der<br />
dunkle Kern mit Humor und Wortspielereien<br />
ummantelt ist. Aber trotz Funkiness und musikalischer<br />
Opulenz ist die Wahrschein lich keit so<br />
hoch wie nie zuvor, dass die Hörer:innen verheult<br />
aus der Platte auftauchen.<br />
John Grant: Stimmt, aber in Zeiten wie diesen<br />
tut einem das doch ganz gut. (lacht)<br />
Mit „Father“, „Mother and Son“ und „Daddy“<br />
sind gleich drei Songs dabei, die dein Auf -<br />
wachsen als queerer Teenager unter reli -<br />
giösen Fanatikern verarbeiten. Ist dieses<br />
Thema jetzt wieder aufgeploppt, nachdem<br />
du eigentlich schon deinen Frieden damit<br />
gemacht hattest?<br />
Grant: Einerseits liegt das sicher an der politischen<br />
Situation. Weil meine ganze Familie im<br />
Jahr 2016 Trump gewählt hat, ist das alles<br />
wieder in den Vordergrund gerückt. Andererseits<br />
ist es wohl auch eine Frage des Alters. Du<br />
kannst dir deine eigene Familie suchen und<br />
dich der queeren Community zuwenden. Aber<br />
es gibt kein Entkommen, irgendwann musst<br />
du dich der Auseinandersetzung stellen.<br />
Es ist bewundernswert, wie du dich trotz<br />
aller Hoffnungslosigkeit auch mit dieser Platte<br />
wieder gegen das konservative Amerika<br />
stellst.<br />
Grant: Es gibt so viele Tage, an denen ich<br />
nicht mehr weiter weiß. Ich lebe nun seit<br />
vielen Jahren in Reykjavík und habe die isländische<br />
Staatsbürgerschaft, aber jeden Tag<br />
überlege ich, ob ich nicht zurückgehen sollte,<br />
um vor Ort zu sein und zu kämpfen. Mit meiner<br />
Musik dagegen zu halten, reicht mir nicht<br />
mehr. Schon in den 80ern hat Frank Zappa<br />
eine christliche Theokratie prophezeit – und<br />
da sind wir jetzt angekommen.<br />
Wie würdest du „Twistin Scriptures“ ins<br />
Deusche übersetzen? Freie Bibelauslegung?<br />
Grant: Oh, ihr habt so geile Verben im<br />
Deutschen. Vielleicht: Bibelverse verzerren.<br />
Oder besser noch: Bibelverse verstümmeln.<br />
Bei deiner Liebe zur deutschen Sprache und<br />
speziell zur Lautmalerei habe ich ein bisschen<br />
Angst, dass du wegen des Doppel -<br />
wumms jetzt mit Olaf Scholz sympathisierst.<br />
Grant: Das habe ich gar nicht mitbekommen.<br />
Was bedeutet „Doppelwumms“?<br />
Och, so hat er nach dem russischen Überfall<br />
auf die Ukraine die staatlichen Entlastungen<br />
genannt, damit wir trotz steigender Energie -<br />
preise durch den Winter kommen.<br />
Grant: (lacht) Okay, sagen wir so: Ich habe ihn<br />
jetzt zumindest ein kleines bisschen lieber.<br />
Interview: Carsten Schrader<br />
The Art of the Lie erscheint am 14. Juni.<br />
LIVE 6. 11. Köln | 7. 11. Berlin<br />
<strong>kulturnews</strong> | 19<br />
/RBK_FUSION<br />
Tickets & infos unter<br />
www.reservix.de & www.rbk-fusion.de
Musik<br />
Träumen<br />
Die US-amerikanische<br />
Violinistin Lindsey Stirling hat<br />
in ihrer Karriere sehr viel erreicht.<br />
In ihrem Privatleben besteht jedoch<br />
noch Optimierungspotenzial.<br />
Lindsey, die Stücke auf deinem neuen Album „Duality“ haben etwas<br />
wuchtiges, monumentales, cineastisches. Ist das Album deine Be -<br />
werbung, um endlich den Soundtrack für einen großen Hollywoodfilm<br />
zu komponieren?<br />
Lindsey Stirling: Ja, komm, wir rufen jetzt sofort zu sammen bei den<br />
Machern von „Dune“ an du fragen, ob sie interessiert<br />
sind. (lacht) Ich finde, mein Stück „Evil Twin“<br />
passt total super in diese surreale Wüstenwelt.<br />
„Dune“ ist eine Triloge, zwei Teile sind schon<br />
draußen. Eine Chance hast du also noch.<br />
Stirling (lacht): Eben. Im Ernst, ich würde liebend<br />
gerne Musik für einen Film machen. Ich spekuliere<br />
ein bisschen darauf, dass dieses Album mich<br />
diesem Ziel näherbringt. Die Hauptmotivation für<br />
„Duality“ war das aber nicht.<br />
Sondern?<br />
Stirling: Wie eigentlich immer, habe ich versucht,<br />
mich mit Hilfe meiner Musik besser kennenzulernen.<br />
Hört sich an, als wäre das ein lebenslanger Prozess.<br />
Duality<br />
erscheint am 14. Juni<br />
Stirling: Gott ja, ich fürchte, das ist auch so. (lacht) Wir Menschen sind<br />
zerrissene Wesen. Wir sind so vieles gleichzeitig, und selbst das reicht<br />
uns häufig nicht aus. Ich führe schon mein Leben lang Ausein -<br />
andersetzungen mit mir selbst. Mal bin ich überzeugt, dass ich alles<br />
schaffen kann und dass meine Träume bestimmt wahr werden. Doch die<br />
andere Seite ist auch stark, sie lässt mich alles<br />
hinterfragen, zweifeln, mich wertlos fühlen. Das<br />
ist schon aus psychologischer Sicht sehr faszinierend,<br />
und ich habe bereits Jahre damit verbracht,<br />
schlauer aus mir selbst zu werden und zu lernen,<br />
welche Teile meines Innenlebens ich ausbauen<br />
und welche ich besser rausreißen sollte.<br />
Klingt nicht gerade einfach, Lindsey Stirling<br />
zu sein.<br />
Stirling: Das ist es auch nicht. Andererseits ist es<br />
natürlich auch fantastisch. Ich habe die Chance,<br />
mich mit meiner Kunst wirklich mitzuteilen und<br />
auszuleben, das ist ein Geschenk. An guten Tagen<br />
stelle ich mir vor, dass ich ein magisches Wesen<br />
20 | <strong>kulturnews</strong>
Musik<br />
erlaubt<br />
Keep Me On Your Mind<br />
/ See You Free<br />
LP/CD (Jagjaguwar)<br />
MARINA<br />
ALLEN<br />
Eight Pointed Star<br />
LP/CD (Fire)<br />
LIVE<br />
15. 10. Düsseldorf | 18. 10. Hamburg<br />
19. 10. Berlin | 22. 10. Frankfurt<br />
POND<br />
Stung!<br />
LP/CD<br />
(Spinning Top Records)<br />
Foto: Heather Koepp<br />
Into The Blue<br />
LP/CD (Dead Oceans)<br />
bin, das in einer überaus praktischen Welt<br />
zurechtkommen muss. An schlechten wird diese<br />
Magie durch immer wieder heraufkriechende<br />
Depressionen bedroht. Gerade in Phasen der<br />
Unsicherheit ist es eine permanente An -<br />
strengung, mir ein positives Gedankengerüst<br />
zu bauen.<br />
Woraus besteht dein Gedankengerüst?<br />
Stirling: Oft aus Traumszenarien. Ich stelle mir<br />
vor, mein großes Idol Pink ruft an und fragt<br />
mich, ob ich mit ihr auf Tour gehen möchte.<br />
Oder dass ich nachher im Supermarkt den<br />
Mann meiner Träume kennenlerne. Ist noch<br />
nie passiert, aber träumen ist ja erlaubt.<br />
Wenn du eine Sache aussuchen müsstest:<br />
Pink oder Mann?<br />
Stirling: Dann nehme ich den Mann. (lacht)<br />
Dein neuer Song „Survive“, auf dem Sarah<br />
Blackwood von Walk Off The Earth die Rolle<br />
der Vokalistin übernimmt, ist deine Eigen -<br />
komposition, basiert aber auf Gloria Gaynors<br />
„I will survive“. Was hast du für eine<br />
Geschichte mit dem Song?<br />
Stirling: Ich liebe ihn halt. Für mich ist „I will<br />
survive“ der perfekte Trennungssong. Als ich<br />
letzten Sommer „Survive“ geschrieben habe,<br />
ging es mir richtig dreckig, ich hatte gerade<br />
eine richtig beschissene Trennung hinter mir.<br />
Aber ich wusste, mein Herz wird wieder heilen,<br />
und ganz ehrlich, dass ich ohne diesen Vogel<br />
besser dran bin, war mir schon klar, als wir<br />
noch zusammen waren. Ich schreibe nur selten<br />
so konkret über die Liebe, meist handeln<br />
meine Stücke ja eher von Feen und Elfen und<br />
sowas. Aber „Survive“ hat mir so richtig in der<br />
Seele gutgetan.<br />
Interview: Steffen Rüth<br />
<strong>kulturnews</strong> | 21<br />
THE LEMON<br />
TWIGS<br />
A Dream Is All We Know<br />
LP/CD/MC<br />
(Captured Tracks)<br />
Peanuts<br />
LP/CD (Chrysalis)<br />
14.10.<strong>2024</strong> Köln, Jaki<br />
15.10.<strong>2024</strong> Berlin, Privatclub<br />
16.10.<strong>2024</strong> Hamburg, Nochtwache<br />
cargo-records.de<br />
cargorecordsgermany<br />
cargorecords
Platten<br />
Die beste Musik<br />
# 6/<strong>2024</strong><br />
H Ö R H I G H L I G H T<br />
#6/<strong>2024</strong><br />
K.I.Z<br />
Görlitzer Park<br />
Eklat Tonträger/Warner Music<br />
RAP Spätestens seit „Hurra die Welt<br />
geht unter“ sind K.I.Z Deutschraps unangefochtene<br />
Könige des Konzeptsongs. Mit<br />
„Görlitzer Park“ besteigt das Trio nun auch den<br />
Thron des Konzeptalbums. Angetrieben von<br />
biografischen Einblicken, umreißen Tarek,<br />
Maxim und Nico die jüngere Genese Berlins<br />
und landen in unserer politischen Gegenwart.<br />
Es ist das Nachwende-Berlin, lange vor der<br />
Gentrifizierung Kreuzbergs: Arabella läuft im<br />
TV, der Heimweg gleicht einer Mutprobe,<br />
Klappmesser und 20-Cent-Wassereis sind die<br />
wichtigsten Utensilien, um den Sommer voll<br />
jugendlicher Feindseligkeiten und eigener Un -<br />
sicherheit zu überstehen. Doch wieso erzählen<br />
uns die Herren das? Etwa Nostalgie? Keines -<br />
wegs. Die von Hakenkreuzgraffitis gesäumte<br />
Ost-Berliner Vergangenheit, die Tarek auf dem<br />
NNDW-Hit „Jahrmarkt“ so akkurat einfängt, ist<br />
der Ausgangspunkt neuer rassistischer Ressenti -<br />
ments („Sensibel“). Die verschwendete Jugend<br />
hat ihre Spuren hinterlassen („Berlin wird dich<br />
töten“, „Die Party ist vorbei“) und Freunde<br />
geraubt („Lächel doch mal“). Und der „Görli“<br />
wird zum Symbol gescheiterter Sozial politik<br />
(Titelsong). Dass die Band trotz allem weder die<br />
Lust an den eigenen Abgründen noch an pointierten<br />
Lines verloren hat und die Beats von<br />
Haftbefehl-Hommagen und rumpelndem Boom<br />
Bap bis zu Trance reichen, macht dieses Album<br />
womöglich zum besten ihrer Diskografie. fe<br />
Foto: Philipp Gladsome<br />
Shelter Boy<br />
Mercyland<br />
Scruff Of The Neck<br />
BRITPOP Natürlich surft er die Neue Neue<br />
Deutsche Welle, und Referenzen wie<br />
Betterov, Edwin Rosen und auch Drangsal<br />
gehen voll auf – nur ist Simon Graupner alias<br />
Shelter Boy zugleich eben auch der Brit -<br />
popboy dieser Szene. Da ist der verunsicherte<br />
Teenager, der auf der Rückbank eines Autos<br />
auf dem Weg in die Schule bei Zwickau ist.<br />
Seine Nachmittage verbringt er kiffend in<br />
Skatepark, ständig in Angst, dass er mit seiner<br />
introvertierten Andersartigkeit aneckt.<br />
Und da ist der heutige Musiker, der seine<br />
Vergangenheit abgeschüttelt hat und bei<br />
dem im Manchester ansässigen Label Scruff<br />
Of The Neck unter Vertrag ist. „Mercyland“<br />
funktioniert als musikalischer Entwicklungs -<br />
roman, bei dem es um ostdeutsche<br />
Neonazis, Männlichkeitsbilder, psychische<br />
Gesundheit und das Festhalten an den eigenen<br />
Träumen geht. Seinem größten Vorbild<br />
widmet Graupner einen eigenen Song<br />
(„Jamie T forever“), doch es sind vor allem<br />
hymnische Stücke wie „Messed up Kids“,<br />
„Moving backwards“ und das fast schon<br />
postpunkige „Growing Pains“, die diesen<br />
Sommer auch in den ostdeutschen Indie -<br />
discos rauf und runter laufen werden. cs<br />
Dehd<br />
Poetry<br />
Fat Possum<br />
INDIEROCK Dehd haben ihr fünftes Album zu<br />
großen Teilen auf einem Roadtrip geschrieben.<br />
Das erklärt zum einen die verschiedenen, aber<br />
immer amerikanischen Genres, die auf „Poetry“<br />
anklingen: „Necklace“ und „Light on“ erinnern<br />
an den Collegerock der 90er, „Hard to love“ hat<br />
Country-Untertöne, der Closer „Forget“ Shoe -<br />
gaze-Texturen. Zugleich fängt das Album das<br />
Gefühl ein, in Sommernächten durch wilde Land -<br />
schaften zu brettern. Das Trio setzt erneut auf<br />
seine Stärken: Ohrwurmmelodien, die explosive<br />
Mischung aus Emily Kempfs expressiver und Jason<br />
Ballas flacher Stimme, Eric McGradys unprätentiöse<br />
Drums – und gute Vibes. Selbst einen absoluten<br />
Tiefpunkt, an dem der Tourstress bei Kempf zu<br />
einem Nervenzusammenbruch geführt hat, verwandelt<br />
die Band in eine Ode an die Freundschaft<br />
(„Dist B“). Eine Ausnahme ist „Knife“, ein Song voller<br />
Bitterkeit, Herzschmerz und anti patriarchalem<br />
Zorn mit Zeilen wie „I laughed and I smiled and I<br />
played it sweet/But now I kill you in my sleep“. Es<br />
ist der letzte Track, der auf „Poetry“ gelandet ist –<br />
gut möglich, dass er den Weg in eine Zukunft weist,<br />
in der Dehd mehr Raum für Grau töne und Ab -<br />
gründe lassen. Wäre doch auch mal spannend. mj<br />
22 | <strong>kulturnews</strong>
Platten<br />
La Luz<br />
News of the Universe<br />
Sub Pop<br />
INDIEROCK Neulich hieß<br />
es in den Nachrichten, es<br />
sei nur noch eine Frage der<br />
Zeit, bis sich außer irdisches<br />
Leben auf der Erde zeige.<br />
Dass La Luz mit „News of<br />
the Universe“ auf diese<br />
Prophezeiung hinweisen<br />
wollen, ist möglich, schließlich bezieht sich das US-Trio mit seinem<br />
fünften Album auf die Science-Fiction-Autorin Octavia E. Butler. Mehr<br />
noch aber versucht La-Luz-Frontfrau und Songwriterin Shana<br />
Cleveland in den zwölf Songs ihre Brustkrebsdiagnose zu verarbeiten.<br />
Entsprechend verunsichert und schwerelos, lost in space und irdischverträumt<br />
klingt das Album, das gerade mal 35 Minuten dauert. Was<br />
in aller Ambivalenz charmant bis herausfordernd sein könnte, ist eher<br />
unentschlossen bis langweilig. Zwar zeigt das Quartett auf seinem<br />
Debüt für Sub Pop alle psychedelischen Facetten von Surf bis Folk,<br />
experimentiert mit Gitarren, Synthies, Orgel und Schlagzeug, bleibt<br />
damit aber zu oft hinter den Erwartungen zurück, die es seit seiner<br />
Gründung vor zwölf Jahren beständig geweckt hat. Mehr wirkt<br />
„News of the Universe“ wie ein orientierungsloses Raumschiff, das nie<br />
richtig abhebt. vr<br />
DER KLEINE GITARREN-LIEBLING DES MONATS<br />
VON JÖRG TRESP (DEVILDUCK RECORDS)<br />
12. - 14. SEPTEMBER <strong>2024</strong><br />
IN ST. PETER-ORDING<br />
Spoon Benders<br />
How Things repeat<br />
Nadine Records<br />
Psych-Rock is back! Hier mag<br />
dieses großartige Musikgenre<br />
vielleicht eher noch die Älteren<br />
ansprechen, aber das wird sich<br />
ziemlich bald ändern, denn in<br />
den USA schlägt der Psych-<br />
Rock gerade alles kurz und<br />
klein – ob alt oder jung, männlich oder weiblich, spielt dabei keine<br />
Rolle. Und so war ich Zeitzeuge beim tollen Treefort-Festival in Boise<br />
(Idaho), wo ich eine Euphorie in mich aufnehmen konnte, die ich<br />
lange nicht erlebt habe. Exemplarisch sollen hier die Spoon Benders<br />
aus Portland, Oregon zum Zuge kommen, denn an vielen mag ihr<br />
zweites Album „How Things repeat“ wahrscheinlich und völlig zu<br />
Unrecht vorbeigegangen sein. Diese Schande gilt es auszumerzen,<br />
und schon der Opener „Dichotomatic“ zeigt den Groove und Druck<br />
dieses gemischten Doppels und leitet einen acht Songs währenden<br />
Trip ein, der die ganze Breite des Psych-Rocks abdeckt und die<br />
Monotonie des Stoner Rocks mit Leichtigkeit an die Seite drängt.<br />
<strong>kulturnews</strong> | 23
Platten<br />
Full Of Hell<br />
Coagulated Bliss<br />
Closed Casket Activities<br />
GRINDCORE Es mutet seltsam an, bei einer<br />
Band von Zugänglichkeit zu sprechen, die in<br />
so extremen Gefilden unterwegs ist wie Full<br />
Of Hell. Doch wo das fünfte Studioalbum des<br />
Quartetts aus Maryland den angestammten<br />
Sound der Band zugespitzt und verdichtet<br />
hat, ist der Nachfolger eingängig und luftig<br />
wie nie. „Coagulated Bliss“ erscheint kaum<br />
ein halbes Jahr nach „When no Birds sing“,<br />
der Kollaboration mit der Shoegaze-Band<br />
Nothing, und diese jüngste von vielen<br />
Zusammenarbeiten hat mehr Raum denn je<br />
geschaffen: Überall wurden die Stell schrauben<br />
gelockert, sodass einzelne Momente auch<br />
beim ersten Hören schon glänzen – und nicht<br />
erst, wenn man sich durch die vielen Ebenen<br />
des verschlungenen Sounds getunnelt hat:<br />
„Half Life of Changelings“ öffnet mit einem<br />
schräg-fallenden Noise-Rock-Riff, „Fractured<br />
Bonds to Mecca“ stampft mit Doom-Einschlag<br />
voran, und der Titeltrack wartet mit einem<br />
Garage-Rock-Riff auf, das den vielleicht<br />
ersten Full-Of-Hell-Ohrwurm liefert. Fans werden<br />
darin das kreative Songwriting erkennen,<br />
über das Full Of Hell schon immer verfügt<br />
haben, aber „Coagulated Bliss“ wird vielleicht<br />
auch endlich die Herzen der Post-Punk, Mathund<br />
cs erobern, die der Band eigentlich schon<br />
längst gehören sollten. jl<br />
Girli<br />
Matriarchy<br />
All Points<br />
ALT POP „Mädchenhaft“ – ein Begriff, den<br />
Girli mit ihrem Künstlerinnennamen als<br />
etwas Kraftvolles definieren möchte. Die<br />
unkonventionelle Alt-Pop-Sängerin steht für<br />
Empower ment, umso mehr auf ihrem zweiten<br />
Album. Ihre Musik lebt von expliziten<br />
Texten wie in „Nothing hurts like a Girl“: „No<br />
one knows me better, no one gets me wetter“.<br />
Ihre Beats sind energetisch, tangieren<br />
80er-Synthie sounds („Overthinking“) oder<br />
explosiven Dancepop („Feel my Feelings“).<br />
Obwohl sie Themen wie schmerzhafte<br />
Trennungen oder depressive Verstimmungen<br />
behandelt, bleiben ihre Melodien leicht und<br />
beflügelnd. Eine große Rolle in Girlis Musik<br />
spielen queeres Erwachen und Feminismus.<br />
Der Titelsong „Matriarchy“ spiegelt diese<br />
Essenz wider: „When we touch, we fuck, we<br />
fuck the patriarchy“. Neben Identität und<br />
Verbunden heit geht es um das Finden von<br />
Selbstliebe, wie Girli im letzten Song<br />
„Happier her“ beweist. Hier lernen wir sie reifer<br />
und teils akustisch kennen – eine Seite,<br />
die ihr ebenfalls gut steht. jm<br />
Foto: Claryn Chong<br />
James Vincent<br />
McMorrow<br />
Wide open, Horses<br />
Nettwerk Music Group<br />
FOLKPOP Sein Name ist das Komplizierteste an<br />
James Vincent McMorrow. Musikalisch steht<br />
der irische Singer/Songwriter nämlich für gefühligen<br />
Folkpop, der nicht weh tut, aber genügend<br />
Schmiss besitzt, um sich für Festivalbühnen zu<br />
empfehlen. Oder fürs Radio. Eine Besonderheit<br />
zeichnet den Musiker, der mit „Wide open, Horses“<br />
sein immerhin siebtes Album veröffentlicht, dann<br />
doch aus: seine Stimme. Die passt nämlich oft<br />
nicht richtig zu den behaglichen Melodien.<br />
Wenn McMorrow das sanfte Getrappel von<br />
Schlagzeug und Gitarre im Opener „Never gone“<br />
durchbricht, das introvertierte „Stay cool“<br />
aufraut oder in „White out (Demo)“ unbeteiligt<br />
flüstert, verwandeln sich die auf den ersten Blick<br />
vorhersehbaren Songs in nuancierte Arrange -<br />
ments, die „Wide open, Horses“ vor zu viel<br />
Belanglosigkeit bewahren. Da wird es mal dynamisch<br />
mit Claps, mal flirrend mit Steel Guitar,<br />
und am Ende wartet mit „Meet me in the Garden“<br />
sogar ein spannender Finalsong, der trotz eines<br />
Anflugs von Pathos auf das ganz große Drama<br />
verzichtet. Komplex statt kompliziert. vr<br />
24 | <strong>kulturnews</strong>
Platten<br />
NxWorries<br />
Why Lawd?<br />
Stones Throw<br />
SOULHOP Vor acht Jahren<br />
haben Sänger, Rapper und<br />
Drummer Anderson .Paak<br />
und Produzent und Beat -<br />
maker Knxwledge ihren<br />
gemeinsamen Erstling „Yes<br />
Lawd!“ veröffentlicht, jetzt<br />
gibt es die Fortsetzung.<br />
Vom Titel ausgehend wirkt<br />
es, als wäre dem Duo in der Zwischenzeit einiges an Sicherheit<br />
abhandengekommen. Und tatsächlich scheint „Why Lawd?“ eine<br />
Krise zu dokumentieren. Zwar gibt es die souligen Sounds und exaltierten<br />
Raps, die wir von beiden gewohnt sind, und mit „FallThru“<br />
auch den expliziten Sex-Song, der bei .Paak nie weit entfernt ist. Doch<br />
egal, ob sich NxWorries bei „KeepHer“ Thundercat, auf „Where I go“<br />
H.E.R. für einen Rap-Part oder Snoop Dogg für „FromHere“ dazuholen –<br />
es geht immer wieder um unglückliche Liebe, Verrat und Verlassen -<br />
werden. Dabei sei nur nebenher erwähnt, dass sich .Paak vor ein paar<br />
Monaten hat scheiden lassen. Knxwledge passt sich der gedämpften<br />
Stimmung seines Kollegen an und setzt auf Beats, die eher ans Herz<br />
gehen als in die Beine – vor allem kurze Zwischentracks und<br />
Anderson .Paaks dann doch ununterdrückbarer Humor erinnern<br />
daran, dass das hier immer noch ein Stones-Throw-Album ist. mj<br />
NEUES VON GESTERN<br />
Diverse<br />
Der Text ist meine Party –<br />
Die Hamburger Schule 1989–2000<br />
Tapete<br />
HAMBURGER SCHULE Vielleicht lag es am kommerziellen Erfolg von<br />
Tocotronic, Die Sterne und Blumfeld, dass so viele der Protagonist:innen<br />
über Jahrzehnte abgestritten haben, Teil dieser (Jugend-)Bewegung<br />
ge wesen zu sein. Jetzt aber wird die Hamburger Schule mit Nachdruck<br />
festgeschrieben: Natascha Geier hat für den NDR eine zweiteilige Doku<br />
gedreht, beim Ventil Verlag erscheint ein Buch von Jonas Engelmann –<br />
und die Compilation „Der Text ist meine Party“ macht die Musik dazu.<br />
Natürlich sind neben dem Dreigestirn auch weitere bekannte Acts wie<br />
Bernd Begemann, die Goldenen Zitronen und Kante vertreten, doch<br />
spannend wird die Zusammenstellung vor allem durch die weithin<br />
vergessenen Wegbereiter:innen des Diskurspop: Knarf Rellöms Huah!,<br />
Concord um Julia Lubcke, Cpt. Kirk & oder die jüngst reformierten<br />
Ostzonen suppen würfel machenkrebs. Der wunderbare Titel dieser<br />
Anthologie stammt übrigens aus „Party“ von Kolossale Jugend, der<br />
Band des vor zwei Jahren verstorbenen Kristof Schreuf. Wobei natürlich<br />
jeder der ins gesamt 18 Beiträge ein vergleichbares Hochkaliber in<br />
den Lyrics hat, das als Namensgeber getaugt hätte, etwa Blumfeld:<br />
„Politisch und sexuell anders denkend“. cs<br />
DAS SOLO-DEBUTALBUM<br />
JETZT ERHÄLTLICH AUF CD, VINYL UND DIGITAL
Plattenchat<br />
SOUND OF KULTURNEWS<br />
listen on <strong>kulturnews</strong>.de<br />
Auflegen oder aufregen?<br />
Platten, die man im Juni hören muss – oder eben nicht.<br />
EELS<br />
JON MUQ<br />
LARY<br />
TITEL<br />
Eels Time!<br />
VÖ<br />
7. 6.<br />
TITEL<br />
Flying away<br />
VÖ<br />
gerade erschienen<br />
TITEL<br />
Stereo noir<br />
VÖ<br />
gerade erschienen<br />
Christine: Teils melancholische, teils träume -<br />
rische Nachdenkmusik, ohne dabei deprimierend<br />
zu werden. Erinnert mich stellenweise an<br />
die Strokes. Die Stimme kam mir sofort sehr<br />
bekannt vor. Ich konnte mir nicht erklären,<br />
woher, bis mir aufgefallen ist, dass seine alten<br />
Songs Teil des „Shrek“-Soundtracks sind.<br />
Ich bin Fan!<br />
Jonah: Fan war ich auch lang, und es tut gut,<br />
mal wieder was von Mark Oliver Everett zu<br />
hören – mehr noch, wenn er seine Altherren -<br />
blues-Tendenzen außen vor lässt. Wo aber<br />
gerade mit Steve Albini ein anderer Held meiner<br />
Jugend gestorben ist, würde ich Everett auf<br />
seinem drölfzigsten Album aber vielleicht sogar<br />
das verzeihen.<br />
Felix: Ich hab die letzten drölf (14) Alben wohl<br />
verschlafen, und dieses lullt mich hinten raus<br />
auch ordentlich ein. In Sachen Jugendheld<br />
bin ich sowieso eher Team Oger. Wobei es<br />
„Sweet Smile“ in meine Riege der Lieblings -<br />
song geschafft hat.<br />
Matthias: Bei mir funktionieren auch die<br />
lahmeren Songs, solange sie so melodisch<br />
komponiert und solide produziert sind wie<br />
hier. Einer meiner Favoriten: Das Liebeslied<br />
„I can’t believe it’s true“ – denkbar einfach,<br />
denkbar effektiv.<br />
Christine: Einzelne Stellen haben vielleicht<br />
Ohrwurmpotenzial, aber das Album entspricht<br />
eher weniger meinem Geschmack. Vieles<br />
kommt mir sehr willkürlich vor, seien es Lyrics,<br />
Melodien oder einfach der Aufbau der Songs.<br />
Hat meiner Meinung nach leider keinen<br />
Wiedererkennungswert.<br />
Felix: Dafür ist die diasporische Geschichte<br />
hinter diesem Album unglaublich: Jon Muq<br />
ist als Kreuzfahrtschiffmusiker dem prekären<br />
Leben in Uganda entflohen, um schließlich in<br />
Texas zu ankern und dort dieses Debüt zu<br />
schreiben. Aber ja, mir sind Nummern wie<br />
„Butterflies“ auch zu schnulzig. Womöglich<br />
aber perfekter Kreuzfahrtsound?<br />
Matthias: Gut möglich, dass tropische Sonnen -<br />
untergänge das Album ganz anders klingen<br />
lassen. Das wirft generell die Frage auf, wie<br />
wichtig Kontext ist: Ohne die Hintergrund -<br />
geschichte und auf Deutsch übersetzt wäre<br />
„Crying, laughing, loving, living“ womöglich<br />
nicht weit weg von „Lachen, weinen, tanzen“.<br />
Jonah: Ich fühle mich wie früher, wenn ich<br />
in der Schule meine Hausaufgaben nicht ge -<br />
macht hatte. Habe die Pressetexte (wie sonst<br />
auch) ignoriert und bin jetzt plötzlich gespannt,<br />
ob die Entstehungsgeschichte so schlimme<br />
Songs wie „Shake shake“ retten kann.<br />
Christine: Eigentlich gefällt mir deutsche Musik<br />
sehr gut, weil Texte in der Muttersprache oft<br />
nahbarer sein können. Leider haben mich die<br />
Texte bei diesem Album nicht wirklich überzeugen<br />
können, aber wahrscheinlich auch,<br />
weil mir die Stimme an manchen Stellen zu<br />
anstrengend ist.<br />
Matthias: Lustig, bei mir ist das bei Musik mit<br />
deutschen Texten eher umgekehrt, Lary mag<br />
ich dafür. Allerdings hat mir auch anfangs<br />
der Zugang gefehlt, weil ich das Album mit<br />
Pop-Ohren gehört habe. Erst die französische<br />
Version von „Stella“ hat mir klargemacht:<br />
Das ist eigentlich Chanson.<br />
Jonah: Du hast grad in Worte gefasst, was ich<br />
vorher nur schlecht greifen konnte. Anders als<br />
bei Nnella ist das hier Chansonesques, wie<br />
ich es mag: ein bisschen düster, ein bisschen<br />
verbraucht. „Ironisch, dass man mit nem<br />
Lebemann/Wirklich alles außer leben kann“<br />
gehört mit zum Besten, was ich dieses Jahr<br />
an deutschen Texten gehört habe.<br />
Felix: Obwohl das Album immer an der<br />
Grenze zum Deutschpop balanciert, gefällt mir<br />
das sehr gut. Gerade die Ode an die Schwäche,<br />
die Antikriegshyme „Krieger“, die sich so viel<br />
Raum und Zeit lässt, ist fantastisch. Wer hätte<br />
gedacht, dass „99 Lufballons“-Referenzen an<br />
die EU-Hymne so gut funktionieren?<br />
26 | <strong>kulturnews</strong>
Plattenchat<br />
Foto: Nils Heuner<br />
Foto: Sascha Wysk<br />
Foto: privat<br />
GASTHÖRERIN<br />
Foto: privat<br />
MATTHIAS JORDAN<br />
stellt wiederholt fest, dass es<br />
alte Männer in dieser Chat -<br />
runde nicht gerade leicht<br />
haben, lässt sich aber davon<br />
nicht seinen Geburtstag verderben.<br />
Eher destilliert er aus<br />
dem Decemberists-Doppel -<br />
album geduldig eine perfekte<br />
EP heraus. Das ist doch ein<br />
jugendliches Hobby, oder?<br />
JONAH LARA<br />
hat das mit dem Jungsein<br />
schon längst aufgegeben, ist<br />
aber insgeheim beruhigt,<br />
dass ihm der Altherren-Blues<br />
nur in Teilen, moderner Soul<br />
und Pop dagegen umso<br />
besser gefallen. Um ein<br />
bisschen Eels-Nostalgie<br />
kommt er dennoch nicht rum.<br />
FELIX EISENREICH<br />
gehört als „Shrek“-Fan noch<br />
zum jugendlichen Teil dieser<br />
Runde. Für Kollegen Jordan<br />
und Lara empfiehlt er eine<br />
Kreuzfahrt mit Jon Muq.<br />
Da gibt’s mit Sicherheit<br />
auch Rentnergymnastik<br />
und Massagesessel. Und<br />
gemeinsam mit Lary winkt<br />
er dann vom Ufer und lässt<br />
einen Luftballon steigen.<br />
CHRISTINE GERSTMAIER<br />
greift als Praktikantin der Musikredaktion<br />
unter die Arme und beweist nicht nur<br />
beim Identifizieren von „Shrek“-<br />
Soundtracks ein überaus genaues Ohr.<br />
Nur schade, dass sie sonst keins der<br />
Alben so richtig umgehauen hat.<br />
Allerdings ist sie damit in diesem Monat<br />
nicht allein …<br />
MRCY<br />
NNELLA<br />
THE DECEMBERISTS<br />
TITEL<br />
Volume 1<br />
TITEL<br />
Close to a Reality<br />
TITEL<br />
As it ever was, so it will be again<br />
VÖ<br />
gerade erschienen<br />
VÖ<br />
gerade erschienen<br />
VÖ<br />
14. 6.<br />
Christine: Eine gute Mischung aus tanzbaren<br />
und entspannenden Melodien, die ich mir<br />
gerne im Hintergrund beim Kochen anhören<br />
würde. Mir würde wahrscheinlich kein Song<br />
besonders stark im Gedächtnis bleiben – heißt<br />
aber nicht, dass ich es für das Ambiente nicht<br />
gerne laufen lassen würde.<br />
Felix: Dann gibt’s bei dir wohl Soul Food,<br />
Christine. Diese opulenten Grooves und um -<br />
armenden Refrains wie etwa von „Flowers in<br />
Mourning“ erinnern mich angenehm an die<br />
alten Jungle-Sachen. Das perfekte Album für<br />
den ausgebrochenen Sommer!<br />
Jonah: Ich bin eher beim letzten sonnigen Tag,<br />
bevor der Herbst beginnt, wenn Barney Lister<br />
und Kojo Degraft-Johnson bei „Lorelei“ melancholisch<br />
angehauchten Soul auf moderne Pro -<br />
duktion treffen lassen. Vielleicht eine Typfrage,<br />
aber großartig ist das natürlich trotzdem.<br />
Matthias: Mit Kopfstimme gesungener Soul<br />
holt mich eigentlich immer ab, das ist auch<br />
hier nicht anders. Allerdings gibt es bei mir<br />
ein starkes Gefälle zwischen den schnelleren<br />
Songs wie „Days like this“ und den Balladen<br />
à la „Seven Candles“, die lassen mich eher<br />
kalt. Aber ich bin ja auch bei Marvin Gaye<br />
eher ein Fan der frühen Sachen …<br />
Christine: Sehr experimentell. Man merkt, dass<br />
Nnella etwas Einzigartiges schaffen möchte.<br />
Obwohl ich eigentlich oft auf diesen experimen -<br />
tellen Kram stehe, konnte mich dieses Album<br />
aber leider nicht ganz abholen. Trotzdem würde<br />
es mich nicht überraschen, wenn jemand<br />
anderes riesiger Fan davon wäre.<br />
Jonah: Die Vorarlbergerin macht vieles richtig,<br />
und doch will bei mir der Funke nicht so recht<br />
überspringen. Nur, wenn Nnella richtig auffährt<br />
und etwa bei „St. Valentine“ die Streicher einsteigen,<br />
geh ich richtig mit. Sonst ist mir das<br />
leider noch zu close an der reality eines<br />
Chanson-Donnerstags in der Szenekneipe.<br />
Matthias: Bin da bei dir. Auf dem Papier müsste<br />
mir das Album sehr liegen, beim Hören reißt<br />
mich nichts so richtig mit. Am spannendsten<br />
fand ich den Moment, als Nnella auf „Hin &<br />
weg“ inmitten englischer Lyrics plötzlich im<br />
Vorarlberger Dialekt singt. Was hältst du als<br />
halber Österreicher davon, Felix?<br />
Felix: Musste an der Stelle auch kurz stocken.<br />
Dabei finde ich es eigentlich immer sehr sympathisch,<br />
wenn Sänger:innen ihren Dialekt<br />
nicht verstecken. Und von kultiger<br />
Mundartmusik ist Nnella sowieso meilenweit<br />
entfernt. Dafür lehnt sie sich viel zu euphorisch<br />
in die große Tragik.<br />
Christine: Typische Indiefolksongs, bei denen<br />
ich beim Hören am liebsten in einem Van leben<br />
würde, um im Spätsommer durch Ackerfelder<br />
und grüne Wiesen zu fahren. Dabei trage ich<br />
weiße Kleider, und alle denken, ich wäre eine<br />
coole Hippiebraut, die zu The Decemberists<br />
aus der Reihe tanzt. Würde ich mir außerhalb<br />
von dieser Situation aber wahrscheinlich<br />
nicht anhören.<br />
Matthias: Selten, dass ich mich ein Album so<br />
hin- und herreißt. Bei einem Song wie „The<br />
Black Maria“ mit Waldhorn und Harmonie -<br />
gesang musste ich kurz sogar an Neutral Milk<br />
Hotel denken, nur um zwei Tracks später bei<br />
„Born to the Morning“ komplett aus der Kurve<br />
zu fliegen.<br />
Felix: Einzig die Schunkelbläser bei „Oh No!“<br />
oder „America made me“ halten mich noch in<br />
der Kurve. Ansonsten ist mir das alles zu sehr<br />
Altherrenromantik: Pedal-Steel-Gitarre und ein<br />
sehnsüchtiges „Seattle down and watch the<br />
Sun rise“? Danke, nein.<br />
Jonah: Bei „Oh no!“ sitze ich plötzlich mit<br />
Mitte 50 in der Tapas-Bar und römer mir<br />
gepflegt einen hinter die Rüstung. Dass mir<br />
das gefällt, hätte ich auch nicht gedacht, aber<br />
auf Albumlänge funktioniert das absolut nicht –<br />
und das, obwohl ich Pedal Steel und Land -<br />
romantik sonst so gern hab!<br />
<strong>kulturnews</strong> | 27
Jazz + Klassik<br />
Dreigestirn<br />
Foto: Leandro Manuel Emede<br />
Il Volo waren noch Kinder, als ihr Höhenflug in einer italienischen Castingshow begonnen hat. Nun<br />
sind die einstigen Pop-Oper-Crossover-Kids um die 30 und haben schon drei Mal den Papst getroffen.<br />
Piero, Ignazio, Gianluca, wie kam es eigentlich, dass ihr euch als<br />
Jungs schon in die Oper verliebt habt?<br />
Piero Barone: Wir haben da tatsächlich alle einen ähnlichen Werdegang.<br />
Es waren unsere Großeltern, die uns diese Musik nahegebracht haben.<br />
Die italienische Geschichte ist reich an herausragenden Stimmen in diesem<br />
Genre, denken wir nur an Luciano Pavarotti oder an Andrea Bocelli.<br />
Wir möchten diese Fackel weitertragen.<br />
Kommen denn mehr Omas und Opas oder mehr Enkel zu euren<br />
Konzerten?<br />
Ignazio Boschetto: Sie kommen alle zusammen. Und bringen auch die<br />
Eltern mit.<br />
Ihr habt 2010 mit „O Sole mio“ euren ersten großen Erfolg gefeiert,<br />
2015 wart ihr mit „Grande Amore“ beim ESC auf Platz drei, das neue<br />
Album „Ad Astra“ beinhaltet fast nur Eigenkompositionen.<br />
Gianluca Ginoble: Langweilig wird es nicht. Gerade haben wir zum<br />
bestimmt zehnten Mal in der Arena di Verona gesungen, in Italien ist das<br />
so ziemlich das Größte. Wir haben jetzt schon die Hälfte unseres Lebens<br />
zusammen verbracht, eigentlich ist das total der Wahnsinn. Aber das ist<br />
unser Leben, und wir haben nach wie vor große Lust darauf.<br />
Wie kommt ihr miteinander aus?<br />
Ginoble: Gut, meistens. Manchmal haben wir morgens noch keine Lust<br />
zu reden. Und es stimmt schon, so ein Erfolg spielt ein bisschen mit deinem<br />
Kopf, wenn du jung bist. Aber wir mögen uns schon sehr, schließlich<br />
haben wir die großartigsten Momente unseres Lebens zusammen<br />
verbracht. Wir waren zusammen in einem japanischen Tempel, haben<br />
zusammen mit Barbra Streisand getourt, waren zusammen beim Papst.<br />
Wie oft habt ihr den Heiligen Vater getroffen?<br />
Barone: Einmal beim Weltjugendtag in Panama, zweimal in Rom. Der<br />
Papst ist cool, wirklich. Er hat sogar ein Selfie mit uns gemacht. (lacht)<br />
Eure Lieder sind romantisch, leidenschaftlich. Warum hören sich<br />
Songs über große Gefühle und die große Liebe auf Italienisch besser<br />
an als in anderen Sprachen?<br />
Ginoble: Italien ist das Land der Musik. Musikalische Begriffe wie lento oder<br />
adagio kommen aus dem Italienischen. Verdi und Puccini haben im 19. Jahr -<br />
hundert einige der schönsten Melodien aller Zeiten geschrieben, sie waren<br />
die Ed Sheeran und Taylor Swift ihrer Epoche. Und es klingt wie ein Klischee,<br />
ist aber Realität: Italiener lieben das Drama, gerade auch in der Musik.<br />
Womit hängt das zusammen?<br />
Barone: Das muss etwas mit unserem Land zu tun haben. Italien ist dramatisch<br />
schön. Das Meer, die Berge, das Essen, die Menschen. Es<br />
kommt ja nicht von ungefähr, dass Italien in der ganzen Welt so einen<br />
Zauber entfacht. Wir wollen positive Botschafter für unser Land sein.<br />
Ihr interpretiert auf der neuen Platte Queens „Who wants to live forever“.<br />
Ewig leben wollt ihr also auch?<br />
Boschetto: Nein, nein. Uns ist Qualität wichtiger als Quantität. Wir finden<br />
den Song einfach sehr schön, er handelt vom Leben, von der Ewigkeit,<br />
von den ganz großen Dingen. Eben Drama durch und durch.<br />
Ad Astra ist gerade erschienen.<br />
Interview: Steffen Rüth<br />
LIVE 16. 10. Düsseldorf | 17. 10. Berlin | 19. 10. Frankfurt<br />
28 | <strong>kulturnews</strong>
Jazz + Klassik<br />
Ganz so<br />
wie früher<br />
Foto: Simon Emmett<br />
Schon zum zweiten Mal kehrt Starcellist Hauser zu seinen<br />
Klassik-Wurzeln zurück – doch bleibt er für Überraschungen gut.<br />
›<br />
Sowohl als Mitglied des Erfolgsduos<br />
2Cellos als auch als Solokünstler hat sich<br />
Hauser einer Mission verschrieben: die Viel -<br />
seitigkeit des Cellos beweisen. In der Praxis<br />
bedeutet das Michael-Jackson-Cover, eine<br />
Tour mit Elton John, ein Weihnachtsalbum<br />
und mit „The Player“ eine Platte voller Latin-<br />
Pop-Hits. Im Vergleich dazu wirkt ein Album<br />
mit ausschließlich klassischer Musik fast<br />
schon einfallslos. Doch Fans wissen, dass<br />
Hauser mehr ist als ein Interpret, der Kroate ist<br />
auch – vielleicht vor allem – ein Arrangeur.<br />
Und auch in der Welt der Klassik gibt es genügend<br />
Stücke, die er für das Cello adaptieren<br />
kann. Wie schon beim Vorgänger ist auf<br />
„Classic II“ also nicht etwa Saint-Saëns’<br />
„Schwan“ zu hören, sondern Werke, die für<br />
alle möglichen Instrumente geschrieben wurden,<br />
darunter Bachs „Arioso“, Brahms’ „Wiegen -<br />
lied“ oder Mozarts Klavierkonzert Nr. 23.<br />
„Ich bin mit diesen Kompositionen aufgewachsen,<br />
sie haben mich schon immer begleitet“,<br />
erklärt Hauser die Auswahl der Stücke, unter<br />
denen sich mit Yirumas ursprünglich fürs<br />
Klavier geschriebem Hit „Kiss the Rain“ auch<br />
etwas Neoklassik findet. Zwei Tracks haben<br />
dabei besondere Bedeutung für ihn: Das „Lied<br />
an den Mond“ aus Dvořáks Oper „Rusalka“ hat<br />
er als Cellostudent in London für sich selbst<br />
transkribiert und damit seine Bestimmung ge -<br />
funden. Und das dem barocken Komponisten<br />
Albinoni zugeschriebene „Adagio“, ebenfalls von<br />
Hauser selbst für das Cello arrangiert, hat ihm<br />
einst auf YouTube zum Durchbruch verholfen.<br />
Wie schon bei „Classic“ wird Hauser vom<br />
London Symphony Orchestra unter der<br />
Leitung von Robert Ziegler begleitet. „Sie sind<br />
wirklich eines der besten Orchester der Welt“,<br />
schwärmt er. „Ich glaube, wir haben wieder<br />
dieselbe Magie eingefangen.“ Magie ist das<br />
Stichwort, denn für den Musiker selbst scheinen<br />
die „Classic“-Alben den Kern seines<br />
Schaffens darzustellen. „Es ist das, was ich<br />
am meisten genieße – wenn ich zu meinen<br />
Wurzeln, zum klassischen Repertoire zurückkehre“,<br />
sagt er. „Ich habe Hunderte von Tracks,<br />
von denen ich mich auf diese Weise inspirieren<br />
lassen kann, also freue ich mich darauf,<br />
in Zukunft noch viele weitere ,Classic‘-Alben<br />
zu veröffentlichen!“<br />
Matthias Jordan<br />
Classic II ist gerade erschienen.<br />
LIVE 17. 7. Regensburg<br />
<strong>kulturnews</strong> | 29
Jazz + Klassik<br />
Weit<br />
weg<br />
von<br />
zu Hause<br />
Foto: Emily Dennison<br />
Mit der in Manchester aufgenommenen Live-EP wandelt<br />
das britische Jazztrio GoGo Penguin auf den Spuren der Beatles.<br />
Doch Bassist Nick Blacka schwärmt vor allem von einer anderen Stadt.<br />
Nick, eure neue EP trägt den Titel „From the North“. Was ist die<br />
Geschichte dahinter?<br />
Nick Blacka: Der Titel ist eine Hommage an das Studio in Manchester,<br />
in dem wir seit 2016 aufnehmen. Das Gebäude war früher die Heimat<br />
von Granada TV, einem lokalen Fernsehsender aus Manchester. „From<br />
the North – It’s Granada Televsion“ war der Slogan. Wir wollten diesem<br />
Ort, an dem wir so gerne sind, und der Stadt Manchester ein Denkmal<br />
setzen. Schließlich ist auch sie Teil unserer Band-Identität.<br />
Viele legendäre Bands wie etwa die Beatles sind früher in diesen<br />
Fernsehstudios aufgetreten. Das muss ein besonderes Gefühl sein,<br />
dort live aufzunehmen.<br />
Blacka: Es fühlt sich wirklich gut an, vor allem, weil<br />
wir damals schon überzeugt waren, dass wir nie wieder<br />
die Gelegenheit dazu haben würden, dieses Studio<br />
zu betreten. Es kam aus heiterem Himmel, als wir eingeladen<br />
wurden, wir haben dann aber direkt zugesagt,<br />
weil wir den Sound im Live-Raum schon immer<br />
geliebt haben. Das erste Mal waren wir für eine<br />
Youtube-Live-Session in diesem Studio und haben<br />
dann auch unser Album „A humdrum Star“ dort aufgenommen.<br />
Es war ein wirklich schöner Moment für uns,<br />
eine weitere Gelegenheit zu bekommen, dort aufzutreten.<br />
Ihr veröffentlicht seit über zehn Jahren gemeinsam<br />
Musik. Wie schafft ihr es nach einer so langen Zeit,<br />
From the North<br />
ist gerade erschienen<br />
immer wieder auf frische Ideen zu kommen?<br />
Blacka: Ich denke, dass wir uns als Band weiterentwickelt haben und in<br />
den letzten zehn Jahren viel passiert ist. Wir haben immer gesagt, dass ein<br />
Album eine Momentaufnahme dessen ist, wer man in diesem Moment<br />
ist, und dass sich Menschen im Laufe ihres Lebens verändern. Eine Band<br />
ist da nicht anders. Am Anfang hatten wir viele Ideen und viel zu beweisen,<br />
aber jetzt konzentrieren wir uns mehr auf das, was wir sagen wollen. Es<br />
ist wichtig, dass man beim Schreiben seinem Instinkt vertraut. Wenn wir<br />
Zeit und Energie in den Prozess investieren, entsteht aus der harten<br />
Arbeit normalerweise etwas Gutes.<br />
Was sind eure liebsten Momente, die ihr bei Live-Shows hattet?<br />
Blacka: Es gibt viele Lieblingsmomente. Eine meiner<br />
schönsten Erinnerungen ist der erste Auftritt in New<br />
York. Ich wusste nicht, was die Leute von uns halten<br />
oder ob sie uns mögen würden, und ich erinnere<br />
mich, dass ich im Januar in einem Klub in New York<br />
gespielt habe. Draußen schneite es, und die Leute<br />
warteten in einer langen Schlange darauf, dass die<br />
Türen geöffnet wurden. Es hat sich einfach unglaublich<br />
besonders angefühlt, so weit weg von zu Hause<br />
zu sein, zum ersten Mal in einem neuen Land, und die<br />
Leute haben gewusst, wer wir waren.<br />
Interview: Christine Gerstmaier<br />
30 | <strong>kulturnews</strong>
Jazz + Klassik<br />
Iiro Rantala<br />
HEL Trio<br />
Tough Stuff<br />
ACT<br />
NORDIC JAZZ Nicht einmal<br />
der mit wirklich allen<br />
nordischen Wassern ge -<br />
waschene Jazzhead muss<br />
zwingend wissen, wer<br />
sich hinter dem Band -<br />
namen Trio Töykeät verbirgt.<br />
Als der finnische Pianist Iiro Rantala mit diesem Trio Erfolge<br />
feierte, hatte außerhalb Skandinaviens noch kaum jemand wahr -<br />
genommen, mit welchen Pfunden die Drei in Sachen Jazz wuchern<br />
können. Das Trio hat sich bereits 20<strong>06</strong> wieder aufgelöst, und seitdem<br />
übt sich Rantala in Klassik, Filmmusik und diversen Crossover-<br />
Projekten. Jetzt gibt's den Vollgas-Tastenmann wieder im Dreierpack –<br />
mit Drummer Anton Eger und dem britischen Bassisten Conor Chaplin.<br />
„Tough Stuff“ ist für Rantala und seine Begleiter eine intensive<br />
Spielwiese, auf der alles zu gehen scheint: clowneskes Uptempo,<br />
klassikinspirierte Momente, swingaffine Fingerflitzereien – alles mit<br />
hohem Funfaktor und virtuoser Leichtigkeit. Endlich mal wieder ein<br />
Pianotrio, das nicht in melancholischer Bedeutungsschwere versinkt,<br />
sondern hörbar mit Spaß bei der Sache ist. ron<br />
KÖLN<br />
HANNOVER<br />
MANNHEIM<br />
MÜNCHEN<br />
19.02.2025<br />
. 2 0 2 LANXESS S ARENA<br />
20.02.2025<br />
0 2 . 2 0 2 ZAG ARENA<br />
22.02.20252 2 . 2 0 2 SAP ARENA<br />
23.02.2025<br />
2 . 2 0 2 OLYMPIAHALLE<br />
STUTTGARTT<br />
25.02.2025<br />
2 . 2 0 2 5<br />
HANNS-MARTIN-SCHLEYER-HALLE<br />
H E R -HAL L E<br />
LEIPZIG<br />
28.02.2025<br />
2 . 2 0 2 QUARTERBACK IMMOBILIEN ARENA<br />
DORTMUND<br />
D<br />
01.03.2025<br />
. HAMBURG<br />
WESTFALENHALLEE L E<br />
02.03.2025<br />
03.2 0 2 BARCLAYS ARENA<br />
KARSTEN JAHNKE KONZERTDIREKTION & AEG PRÄSENTIEREN<br />
OKTOBER<br />
SO <strong>06</strong> KÖLN<br />
THEATER AM TANZBRUNNEN<br />
FR 18 BERLIN<br />
UBER EATS MUSIC HALL<br />
SA 19 HAMBURG<br />
KAMPNAGEL - K6<br />
SONNTAGS AN DER GEIGE ZUPFEN<br />
AEGPRESENTS.CO.UK KJ.DE THEBIANCADELRIO.COM<br />
Andrew Bird<br />
Trio<br />
Sunday Morning Put-on<br />
Blue Note<br />
JAZZFOLK Es gibt tausende<br />
Versionen von „Caravan“,<br />
diesem geheim nisvoll orientalischen<br />
Duke-Ellington-<br />
Standard, von Ella bis Monk,<br />
von Busta Rhymes wurde er<br />
gesamplet. Nun ist ein weiteres Cover hinzugekommen, der Drummer<br />
verschleppt einen trockenen Beat, eine gezupfte Geige setzt ein, dann<br />
wird sie gestrichen, und spätestens, als der Sänger das Wort „Night“<br />
betont, wird klar: Das hier hat Klasse. Andrew Bird, der von jedem mit<br />
Herz für seinen mal poppigen, mal experimentellen Indie-Folk geliebt<br />
wird, hat als Student von morgens bis abends Jazz im Radio gehört –<br />
in diese Zeit taucht er mit seinem 17. Album ein. Der Künstler firmiert<br />
nun als Andrew Bird Trio – klassische Jazz-Namensgebung. Wo bei<br />
Jazzplatten ein Blasinstrument zu hören ist, erklingt hier Birds Violine,<br />
so wehmütig wie nie. Und hat Birds Stimme jemals weicher, präsenter<br />
geklungen? Der Titel beschreibt ganz unironisch das, was man jeden<br />
Sonntagmorgen tun sollte: im Halbschlaf zur Anlage schlurfen und<br />
eine wirklich gute, relaxte Jazzplatte auflegen. Eine wie diese hier. jp<br />
<strong>kulturnews</strong> | 31<br />
29.<strong>06</strong>.<strong>2024</strong> • NIENDORF<br />
Jazz Baltica<br />
03.07.<strong>2024</strong> • FRANKFURT<br />
Euro <strong>2024</strong> Festival Frankfurt<br />
Fan Zone Mainufer<br />
28.07.<strong>2024</strong> • HILDESHEIM<br />
Marktplatz Musik Festival<br />
19.09.<strong>2024</strong> • FREIBURG<br />
Jazzhaus<br />
AUSVERKAUFT!<br />
20.09.<strong>2024</strong> • STUTTGART<br />
BIX Jazzclub<br />
29.09.<strong>2024</strong> • KASSEL<br />
Theaterstübchen<br />
30.09.<strong>2024</strong> • OBERHAUSEN<br />
Ebertbad<br />
01.10.<strong>2024</strong> • HAMBURG<br />
Fabrik<br />
18.10.<strong>2024</strong> • BRAUNSCHWEIG<br />
Westand<br />
TICKETS: (0 40) 4 13 22 60<br />
UND UNTER → KJ.DE<br />
AUSVERKAUFT!<br />
19.10.<strong>2024</strong> • BRAUNSCHWEIG<br />
Westand<br />
09.11.<strong>2024</strong> • KIEL<br />
Pumpe<br />
10.11.<strong>2024</strong> • HERFORD<br />
Museum Marta<br />
12.11.<strong>2024</strong> • LEVERKUSEN<br />
Scala, Leverkusener<br />
Jazztage
Jazz + Klassik<br />
Foto: BMG<br />
Bruderherzen<br />
›<br />
Der verstorbene Paco de Lucía gilt als bester Flamenco-Gitarrist aller Zeiten.<br />
Wie gut er schon als Kind war, beweisen neu entdeckte Aufnahmen mit<br />
seinem Bruder Pepe, die mehr als 60 Jahre alt sind.<br />
Mit Wunderkindern ist das so eine Sache. Heutzutage beginnen ihre<br />
Karrieren oft auf Plattformen wie YouTube, wo man sich etwa den<br />
12-jährigen Justin Bieber beim Singen ansehen kann. Das war früher<br />
nicht so – es gibt keine Aufnahmen des jungen Mozart. Paco de Lucía<br />
und sein Bruder Pepe, zwei Giganten des Flamenco, sind weit vor dem<br />
Internet geboren, und so haben Fans nie damit gerechnet, einen Blick in<br />
die Kindheit der beiden zu bekommen. Doch „Pepito y Paquito“ bietet<br />
genau das: 21 Tracks, aufgenommen in den Jahren 1959 und 1960, als<br />
Pepe und Paco gerade einmal 13 bzw. elf Jahre alt waren.<br />
Ein Mann namens Quique Benitez hat die Tonaufnahmen gemacht, ein<br />
Freund der Familie – „für mich wie Familie“, sagt Pepe de Lucía, der seinen<br />
kleinen Bruder schon um zehn Jahre überlebt hat. 40 Jahre haben die<br />
Lieder in einem Schrank gewartet, bis sie zufällig gefunden wurden –<br />
immer noch in Algeciras, dem Geburtsort der Brüder. „Das Leben wollte,<br />
dass wir sie finden“, sagt Pepe. „Die Überraschung ist riesig, wenn du<br />
dich plötzlich selbst hörst und nicht wiedererkennst.“<br />
Als Zeitkapsel ist „Pepito y Paquito“ allemal interessant – doch was ist<br />
mit dem Album als Album? Es wird niemanden überraschen, dass die<br />
Lucía-Brüder schon als Kinder hervorragende Musiker waren. Tatsächlich<br />
ist nur an Pepes Stimme zu erkennen, dass hier nicht zwei Erwachsene<br />
am Werk sind. Natürlich kam das Können nicht aus dem Nichts: Beide<br />
Brüder wurden von ihrem Vater, ebenfalls Flamenco-Gitarrist, von klein auf<br />
gedrillt. Dabei war Paco der gehorsamere der beiden, wie sich Pepe erinnert.<br />
„Er hatte jeden Tag die Gitarre dabei und hat all die Stunden geübt, die mein<br />
Vater verlangt hat. Ich auf der anderen Seite habe es manchmal ge schafft,<br />
mich davonzuschleichen und Unfug anzustellen“, sagt er und lacht.<br />
In den Liedern selbst gibt es nur selten etwas zu lachen. Es sind 15 verschiedene<br />
Flamenco-Stile, die die Brüder durchmessen, oft inspiriert von<br />
damals aktuellen Veröffentlichungen von Stars der Szene wie Niño Ricardo:<br />
Tangos, Soleares, Bulerías und Pepes Lieblingsstil, die Sequiriya. Ihnen<br />
allen gemein sind Leidenschaft und Dramatik, oft grenzt die Atmosphäre<br />
an Schwermut – oder liegt das nur an der Vergänglichkeit, für die diese<br />
alten Aufnahmen heute stehen? Pepe selbst fühlt beim Hören Trauer und<br />
Schmerz, sagt er. „Vor allem Trauer, weil man sieht, wie die Zeit damals<br />
die Person reflektiert, die man jetzt wird – wenn das Alter einen wieder<br />
zum Kind macht.“<br />
Auch sonst hält der Altmeister nichts vom Verklären: „Ich glaube an die<br />
Geburt und den Tod, nicht mehr“, sagt er. „Der Rest ist Überleben.“ Sicher<br />
spielt dabei auch der Verlust seines Bruders eine Rolle. „Ich wünschte,<br />
ich könnte ihm alles erzählen, was ich fühle“, sagt Pepe. „Wenn er zuhören<br />
könnte, würde ich ihm sagen, dass er mich beschützen soll.“ Ob Paco ihn<br />
hören kann, ist unmöglich zu sagen. Fest steht immerhin: Wer sich auch<br />
nur ein bisschen für Flamenco interessiert, sollte dieses Album hören.<br />
Pepito y Paquito ist gerade erschienen.<br />
Matthias Jordan<br />
32 | <strong>kulturnews</strong>
Jazz + Klassik<br />
Magnus Öström<br />
& Dan Berglund<br />
SOUNDTRACK-HIGHLIGHTS<br />
AUF VINYL<br />
CHAINSAW MAN<br />
e.s.t. 30<br />
ACT<br />
NU JAZZ Dass Esbjörn Svenssons<br />
Trio e.s.t. in den 1990er Jahren<br />
den Beginn einer neuen Ära für<br />
Jazztrios markiert hat, muss an<br />
dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden. Der 2008 unter tragischen<br />
Umständen ums Leben gekommene Pianist hat das große Erbe einer<br />
Musik hinterlassen, die sich dem Jazz verpflichtet fühlt und gleichzeitig<br />
von großartigen Songstrukturen lebt. „Unterm Strich wird immer wieder<br />
klar, dass diese Musik gespielt werden und nicht in einer Schublade<br />
verschwinden sollte", sagt e.s.t.-Drummer Magnus Öström heute, drei<br />
Jahrzehnte nach dem internationalen Durchbruch des Trios. Öström<br />
und Bassist Dan Berglund haben Freunde und Wegbegleiter wie Joel<br />
Lyssarides, Magnus Lindgren, Verneri Pohjola und Ulf Wakenius für<br />
zwei Konzerte in der Kölner Philharmonie und der Stockholmer<br />
Filadelfia-Kirche versammelt. Das Kölner Konzert wurde im Oktober<br />
vergangenen Jahres mitgeschnitten. Selbst für Ersthörer wird sich die<br />
Magie der Kompositionen Svenssons auf „e.s.t. 30“ voll entfalten. Es<br />
ist nicht die erste Hommage an das Werk des Schweden, es wird nicht<br />
die letzte sein – aber es ist sicherlich eine der emotionalsten. ron<br />
SOLO LEVELING<br />
LASS ES REGNEN!<br />
Nduduzo<br />
Makhathini<br />
uNomkhubulwane<br />
Blue Note<br />
SPIRITUAL JAZZ Es heißt, er<br />
habe schon als Teenager seine<br />
Fähigkeiten als traditioneller<br />
Heiler entdeckt. Nduduzo<br />
Makhathini ist keiner dieser<br />
Musiker, die sich durch ihre<br />
Kunst enger mit ihrer spirituellen Seite zu verbinden suchen – die<br />
Spiritualität ist bei dem südafrikanischen Pianisten schon vorher da<br />
gewesen. Bereits der Opener seines neuen Albums hat enorme<br />
meditative Kraft. Makhathini spielt eine hypnotische, simple Figur,<br />
sprechsingt dazu und nutzt die Bantu-typischen Klicklaute.<br />
„uNomkhubulwane“ ist seine Hommage an die gleichnamige Zulu-<br />
Regengöttin. Wassergeister und Trankopfer finden sich in seinen<br />
Titeln, und der Glaube an die Kraft der Zahl Drei. Als dreiteilige Suite,<br />
eingespielt im klassischen Trio, ist das Album nicht nur ein Tribut an<br />
südafrikanische Riten, sondern auch an die reiche Jazztradition des<br />
Landes. Bei allem Einfluss von Bop und Blues: Diese singenden,<br />
melancholischen Melodien, die man sich doch immer mit dem Anflug<br />
eines Lächelns gespielt vorstellen darf, findet man so nur im Süden<br />
dieses viel zu oft übersehenen Kontinents. jp<br />
ASSASSIN’S CREED MIRAGE<br />
<strong>kulturnews</strong> | 33
Auf in andere Welten!<br />
Auch wenn unser Special von Fantasy bis Horror reicht, so hat sich diesmal doch<br />
ein leichter Schlag hin zum Horror ergeben: Wenn selbst in der zweiten Staffel<br />
der Fantasyserie „House of the Dragon“ das Gemetzel so richtig losgeht, ist mit<br />
lieblichen Fabelwesen endgültig Schluss!<br />
Gott dreht durch<br />
„Star Wars“, „Jurassic Park“, „RoboCop“: Über Jahrzehnte hat<br />
Stop-Motion-Experte Phil Tippett die größten Blockbuster mit<br />
wilden Kreaturen und futuristischen Maschinen bevölkert. Die<br />
letzten 30 Jahre hat er im Geheimen an seinem Herzensprojekt<br />
gearbeitet: einem komplett handanimierten Film, in dem seiner<br />
Fantasie keine Grenzen gesetzt sind. Am Ende ist aus Mad God<br />
(gerade auf Blu-ray und DVD erschienen) eine apokalyptische<br />
Vision geworden, in der ein maskierter Attentäter durch die<br />
Unterwelt reist, um die Stadt der Monster zu zerstören.<br />
Foto: Plaion Pictures<br />
Die Hintergrundbilder dieses Specials<br />
sind Szenenfotos aus „Mad God“<br />
34 | <strong>kulturnews</strong>
SciFi | Horror | Fantasy<br />
Noch nicht Schicht<br />
im Schacht<br />
Das deutsche Fantasybestseller-Kollektiv legt<br />
nach und spinnt die Geschichte von mehreren<br />
ungleichen Helden in Grubenstadt weiter: tolle<br />
Charaktere, ein überzeugender Weltenbau und<br />
viel Spannung und Humor. Band drei hält locker<br />
das hohe Niveau der Vorgänger.<br />
Foto: Warner Bros.<br />
Talkshow des Grauens<br />
Neben seinem übermächtigen Konkurrenten Johnny Carson<br />
wirkt Talkshow-Host Jack Delroy (David Dastmalchian) wie ein<br />
kleines Licht. Um aus dem Schatten des TV-Schwergewichts<br />
herauszutreten und seine eigene Sendung „Night Owls“ vor dem<br />
Aus zu bewahren, muss Jack ein großer Coup gelingen. Die<br />
Halloweennacht 1977 soll alles verändern. Zu Gast: Ein<br />
Medium, ein Magier, eine Expertin für Paranormales und ein<br />
junges Mädchen, das von einem Dämon besessen ist. Niemand<br />
kann ahnen, welch unvorstellbares Grauen in Late Night with<br />
the Devil (ab 13. 6. im Kino) auf das Studiopublikum und vor<br />
allem auf Gastgeber Jack Delroy wartet.<br />
Bernhard Hennen, Mira Valentin, Sam Feuerbach, Greg Walters,<br />
Torsten Weitze Minen der Macht – Der Grauzorn<br />
Fischer Tor, <strong>2024</strong>, 480 S., 18 Euro<br />
Fantasy mit KI<br />
Interessante Mischung aus Fantasy und Endzeit-<br />
Science-Fiction, erweitert durch die Präsenz einer<br />
mächtigen KI: Die junge Flora lebt als<br />
Ausgestoßene in einem öden Ort in einer heißen,<br />
unwirtlichen Welt. Ihr Leben verändert sich erst,<br />
als der Gelehrte Konstantin sie als Auszubildende<br />
erwählt. Doch Meister Konstantin hat viel größere Macht, als es auf<br />
den ersten Blick scheint … Was ist sein Plan für die Welt? Und welche<br />
Rolle wird Flora darin spielen?<br />
Robin Hill Strom<br />
Penhaligon, <strong>2024</strong>, 464 S., 18 Euro<br />
:<br />
<strong>kulturnews</strong> | 35
SciFi | Horror | Fantasy<br />
Foto: Capelight Pictures<br />
Wie der Vater so die Tochter<br />
Regisseur M. Night Shyamalan („The sixth Sense“) soll seinen Töchtern<br />
jeden Abend selbst erdachte Gute-Nacht-Grusel-Geschichten erzählt haben.<br />
Das Ergebnis: Mit They see you (ab 6. 6. im Kino) präsentiert seine<br />
Tochter Ishana ihren ersten eigenen Mysterythriller. Mina (Dakota Fanning,<br />
„Ripley“) geht auf einen Trip in die absolute Düsternis. Nachdem sie sich<br />
in einem Wald verlaufen hat, steht sie plötzlich in einem Raum mit drei<br />
Fremden, die alle von einer unbekannten Macht gefangen gehalten werden.<br />
Wie ihr Vater in seinen Filmen erhöht auch Ishana Shyamalan die Spannung<br />
mehr und mehr – bis zu einem denkwürdigen Finale.<br />
After Ork<br />
Über sieben Bände haben uns die Orks<br />
aus Michael Peinkofers Fantasysaga<br />
bestens unterhalten. Jetzt erscheint das<br />
große Finale, und wieder ziehen die beiden<br />
Ork-Brüder Rammar und Balbok in<br />
die Welt hinaus, um – nicht ganz frei -<br />
willig – am Ende die Welt zu retten.<br />
Foto: Plaion Pictures<br />
Michael Peinkofer Die Krone der Orks<br />
Knaur, <strong>2024</strong>, 400 S., 17,99 Euro<br />
36 | <strong>kulturnews</strong>
SciFi | Horror | Fantasy<br />
Zwischen Leben<br />
und Tod<br />
Justin Cronin ist seit seiner großartigen<br />
Trilogie „Der Übergang“ ein internationaler<br />
Bestsellerautor. Ein hohes literarisches<br />
Niveau verknüpft mit einer schlüssigen<br />
Endzeitvision unserer Welt machten die Romane einzigartig. Jetzt<br />
liegt endlich ein neuer Roman von Cronin vor. Die Bewohner der<br />
Insel Prospera verbringen ein paradiesisches Leben, bis mit 100<br />
Jahren die Lebensenergie aufgebraucht ist. Danach führt der Weg<br />
auf eine Nachbarinsel, wo ein neues, weiteres Leben warten soll.<br />
Proctor Bennet ist der Fährmann, der die Alten der Gesellschaft<br />
als Fährmann zu ihrem neuen Zuhause bringt. Seine Aufgabe hinterfragt<br />
er erst, als sein Vater die Fähre besteigen muss. Bennets<br />
Welt gerät vollends ins Wanken, als er eine kryptische Botschaft<br />
erhält, die unliebsame Wahrheiten enthüllt …<br />
Justin Cronin Ferryman – Der Tod ist nur der Anfang<br />
Goldmann, <strong>2024</strong>, 720 S., 28 Euro<br />
Aus d. Engl. v. Rainer Schmidt<br />
Foto: Paramount Pictures<br />
Sag. Kein. Wort<br />
A quiet Place: Tag Eins (ab 27. 6. im Kino) ist Teil drei der<br />
Horrrorfilmreihe und geht zurück an den ersten Tag der Invasion.<br />
Im Mittelpunkt des Films steht die junge Sam (Lupita Nyong’o)<br />
mit ihrer Katze, die auf den Straßen New Yorks unterwegs ist,<br />
als die Außerirdischen die Invasion starten. Gezielte<br />
Sprengungen von Infrastruktur gehen einher mit ersten<br />
Überfällen der blinden Monster mit dem hervorragenden Gehör.<br />
Kein Wimmern, kein Husten, kein befreites Lachen von<br />
Menschen mehr: Wer einen Laut macht, ist tot. Sind die<br />
Außerirdischen vom Lärm der Menschen so sehr genervt?<br />
Magisch, fesselnd und atemberaubend spannend –<br />
Die Fantasy-Sensation aus Korea<br />
Vier auserwählte Völker.<br />
Vier Götter.<br />
Vier Helden, die sich auf eine<br />
gefährliche Reise begeben,<br />
um eine uralte Prophezeiung<br />
zu erfüllen.<br />
Band 2<br />
erscheint im Juli<br />
Band 1<br />
Hardcover | € 22,– [D]
SciFi | Horror | Fantasy<br />
Foto: Plaion Pictures<br />
Foto: © 2023 Home Box Office, Inc. All rights reserved<br />
Armee der Drachen<br />
House of the Dragon ist mit der zweiten Staffel (ab 17. 6. auf<br />
Sky und Wow) zurück. Der GoT-Ableger hat in Staffel eins die<br />
Protagonisten wie auf einem Schachfeld in Position gebracht,<br />
jetzt geht der Kampf los. Sowohl König Aegon als auch Königin<br />
Rhaenyra beanspruchen die Herrschaft über Westeros, und alle<br />
Drachen, die nicht bei drei auf den Bäumen waren, werden für<br />
den Kampf trainiert. Bereits Staffel eins hatte bewiesen, dass<br />
„HotD“ die mit Abstand besten Drachen auf den Bildschirm<br />
bringen kann.<br />
Verliebt in einen<br />
Superhelden<br />
Wer die Romane von Adam Silvera mag, wird<br />
diese Trilogie von T.J. Klune lieben. Im<br />
Eröffnungsband erzählt der auf queere<br />
Fantasy spezialisierte US-Autor von Nick<br />
Bell. Bei dem 16-jährigen Teenager wurde<br />
ADHS diagnostiziert, er leidet unter dem frühen Tod seiner Mutter,<br />
und er hat ein ungewöhnliches love interest: Nick ist in Shadow<br />
Star verknallt, einen Superhelden, der über seine Heimatstadt<br />
Nova City wacht. Klune erzählt mit Action, Humor und vor allem<br />
aber viel Empathie und Feingefühl für Nicks innere Kämpfe. Mitte<br />
Juni folgt „The Extraordinaries – Neue Helden“, der<br />
Abschlussband „The Extraordinaries – Alte Geheimnisse“ ist für<br />
September angekündigt.<br />
T.J. Klune The Extraordinaries – Die Außergewöhnlichen<br />
Heyne, <strong>2024</strong>, 576 S., 20 Euro<br />
38 | <strong>kulturnews</strong>
SciFi | Horror | Fantasy<br />
Der Herr<br />
ohne Ringe<br />
Keine Hobbits, keine Orks, dafür Tolkiens<br />
Interpretation eines altenglischen<br />
Gedichts über einen Wikingerangriff im<br />
10. Jahrhundert. Ein wahres Fest für alle,<br />
die Tolkien nicht nur als Weltenbauer<br />
schätzen, sondern auch als Professor für<br />
englische Literatur.<br />
J.R.R. Tolkien Die Schlacht von Maldon<br />
Klett Cotta, <strong>2024</strong>, 304 S., 26 Euro | Aus d. Engl. v. H. W. Pesch<br />
Fantasy – wie<br />
noch nie!<br />
Lee Young-Do hat das Fantasygenre in<br />
Südkorea etabliert und dabei gleich noch<br />
bewiesen, dass das Genre auch ohne Elfen<br />
und Zwerge funktioniert. „Die Legende vom<br />
Tränenvogel“ fußt auf koreanischen Mythen:<br />
Eine Gruppe aus Vertretern der vier Völker –<br />
Naga, Dokebi, Lekon und Menschen – geht auf eine<br />
Rettungsmission. Doch bald schon findet sie sich im Sog einer<br />
uralten Prophezeiung wieder … Young-Dos Welten gehören zum<br />
Spannendsten, was das Fantasygenre zu bieten hat. Wer befürchtet,<br />
sich darin nicht zurechtzufinden, sei beruhigt: Erzähler<br />
Philipp Schepmann bietet in der Hörbuchfassung die perfekte<br />
Erdung.<br />
TLee Young-Do Das Blut der Herzlosen –<br />
Die Legende vom Tränenvogel Teil 1<br />
Heyne, <strong>2024</strong>, 560 S., 22 Euro<br />
Aus d. Korean. v. Hyuk-Sook Kim u. M. Selzer<br />
Hörbuch bei Randon House Audio, 16h<br />
11min., gelesen v. Phillip Schepmann<br />
Herz oder Hölle?<br />
Klassische High Fantasy mit viel Magie und<br />
etwas Romantik, die auch für jüngere<br />
Leser:innen geeignet ist. Brienna gerät nach<br />
ihrer Ausbildung in den fünf Passionen in eine<br />
höfische Intrige samt Rebellion gegen den König.<br />
Rebecca Ross The Queen’s Rising<br />
Carlsen, <strong>2024</strong>, 496 S., 12 Euro<br />
Aus d. Engl. v. Anne Brauner u. Susann Friedrich<br />
AB DONNERSTAG,<br />
27. JUNI<br />
NUR IM KINO<br />
<strong>kulturnews</strong> | 39<br />
aquietplace-film.de @Paramount.Pictures.Germany.Kino<br />
#AQUIETPLACE #TAGEINS @paramount_pictures_germany<br />
@paramountpicturesgermany<br />
/ParamountPicturesGER
Film<br />
Foto: Warner Bros. Home Entertainment<br />
Schon nach seiner ersten „Dune“-Adaption von 2021 war klar, dass Denis Villeneuve nicht nur die Vorlage von Frank<br />
Herbert verinnerlicht, sondern auch ein Händchen für epische Blockbuster hat. Die Fortsetzung Dune: Part two hat<br />
dann noch einen draufgesetzt: Der Streifen ist bisher der erfolgreichste Kinofilm des Jahres <strong>2024</strong>. Kein Wunder, denn die<br />
Geschichte um Paul Atreides (Timothée Chalamet), der auf dem Planeten Arrakis zur Erlöserfigur der Fremen wird und<br />
sich mit dem Kaiser der Galaxie anlegt, ist so bombastisch wie vielschichtig. Jetzt gibt es „Dune: Part two“ fürs Heimkino<br />
auf Blu-ray, DVD und als limitierte Steelbook-Edition. Um die überwältigenden Wüstenaufnahmen von Greig Fraser und<br />
die Musik von Hans Zimmer richtig würdigen zu können, ist natürlich ein ordentliches Heimkinosystem empfehlenswert.<br />
Aber auch Fans ohne Leinwand und HiFi-Anlage können sich auf über ein Stunde Bonusmaterial freuen, darunter<br />
Unterricht in der Chakobsa-Sprache der Fremen und Blicke hinter die Kulissen der Sets, Kostüme und Special Effects. mj<br />
40 | <strong>kulturnews</strong>
Szene<br />
„In der Mathematik<br />
ist die Konkurrenz groß.<br />
Diejenigen, die in der<br />
Forschung<br />
tätig sind, wissen,<br />
dass sie zur Elite gehören.“<br />
Regisseurin Anna Novion hat mit<br />
Die Gleichung ihres Lebens (ab 27. 6.<br />
im Kino) einen Film über eine französische<br />
Mathematikerin gedreht, dargestellt<br />
von Ella Rumpf (Foto). Filmheldin<br />
Marguerite hat es als einzige Frau in<br />
den Promotionsstudiengang an der<br />
École Normale Supérieure in Paris<br />
geschafft. Nach einem schweren Fehler<br />
wendet sich ihr Professor von ihr ab:<br />
Doch Marguerite gibt nicht auf.<br />
Foto: Weltkino<br />
ARSENALFILM.DE<br />
AB 23. MAI IM KINO<br />
Foto: Sony Pictures<br />
Wer auf dumme Sprüche, schnelle<br />
Autos und ganz, ganz viel<br />
Rumgeballere steht, ist hier<br />
bestens bedient: Bad Boys.<br />
Ride or die mit Will Smith und<br />
Martin Lawrence als erwachsene<br />
Kinder mit Waffen schein<br />
in den Hauptrollen startet am<br />
5. 6. in den Kinos. Regie führen<br />
Adil El Arbi und Bilall Fallah.<br />
OSCAR ® -GE WIN NE RIN<br />
NATALIE<br />
PORTMAN<br />
OSCAR ® -GE WIN NE RIN<br />
JULIANNE<br />
MOORE<br />
FILMFESTIVAL<br />
Wenn vom 5. bis 8. Juni in Köln Ehrenfeld das Seriencamp-Festival<br />
läuft, werden dem Fachpublikum und den Fans nicht nur viele internationale<br />
Serien vorgestellt, sondern auch nagelneue Produktionen<br />
aus Deutschland. RTL+ zeigt „Ich bin Dagobert“ über den legendären<br />
Supermarkterpresser der 1990er Jahre, während Netflix mit der zweiten<br />
Staffel der „Kleo“ mit Jella Haase als DDR-Auftragsmörderin nachlegt.<br />
Aus Norwegen kommt der Spaß „Doomsday“, wo eine Pandemie<br />
die Menschheit nicht tötet, aber kollektiv dumm macht.<br />
<strong>kulturnews</strong> | 41<br />
EIN TODD HAYNES FILM<br />
AB 30. MAI IM KINO
Kino<br />
Die Heide der Hoffnung<br />
Foto: © Henrik Ohsten / Zentropa<br />
Nikolaj Arcels neuer Film King’s Land öffnet mit einem langen, dräuenden<br />
Blick auf die unwirtliche jütländische Heide. In den folgenden<br />
zwei Stunden wird diese zum Austragungsort eines Kampfes, der<br />
mythische Dimen sionen annimmt: Der pensionierte Soldat Ludvig<br />
Kahlen (mit stiller Vehemenz: Mads Mikkelsen) versucht, sich<br />
einen Adelstitel und Land zu verdienen, indem er den Traum des<br />
dänischen Königs Frederik V. verwirklicht – die Heide urbar zu<br />
machen und Zivilisation in die Wildnis zu tragen. Dabei gerät er an<br />
den Großgrundbesitzer Frederik Schinkel (genussvoll ekelig: Simon<br />
Bennebjerg), der seinen Status bedroht sieht. Kahlens Ringen mit<br />
dem Ödland der Heide und den Intrigen der dänischen<br />
Adelsgesellschaft spitzt sich immer weiter zu, bis er sich entscheiden<br />
muss: Was ist ihm die Anerkennung wert? Arcel nimmt sich<br />
wahnsinnig viel Zeit und baut seine komplexe Handlung mit einer<br />
derartigen Intensität auf, dass die Fragen, die „King’s Land“ aufwirft,<br />
bald zu Schlüsselfragen des menschlichen Daseins werden.<br />
Zu deren Auflösung sei nur so viel verraten: Der Film endet auch<br />
mit einer Einstellung der Heide – einer, die Hoffnung anbietet. jl<br />
Geldeintreiber im Niemandsland<br />
Mehdi (Fehd Benchemsi) und Hamid (Abdelhadi Teleb) sind im Film Déserts – Für<br />
eine Handvoll Dirham (ab 27. 6. im Kino) im Auftrag von Kredithaien aus<br />
Casablanca als Geldeintreiber in den ärmlichen Bergdörfern im Süden Marokkos<br />
unterwegs. Sie knüpfen säumigen Schuldnern das letzte Bisschen ab, was diese<br />
noch haben. Der trockene, wortkarge Humor, mit dem Regisseur Faouzi Bensaïdi<br />
sein staubiges Roadmovie inszeniert, ist an Ikonen des Autorenfilms wie Aki<br />
Kaurismäki und Jim Jarmusch geschult – aber Bensaïdi belässt es nicht dabei.<br />
Denn die Good Cop/Bad Cop-Nummer, die Mehdi und Hamid aufführen, kommt zu<br />
einem Ende, als sich die beiden in eine Familienfehde hineinziehen lassen und sich<br />
in einem archaischen Gewirr aus wahrer Liebe, Mordgelüsten und illegalem Alkohol<br />
verirren. Bensaïdi wechselt dabei zu einem magischen Realismus, in dem die stets im<br />
Anzug gekleideten Geldeintreiber wie Abgesandte aus einer fremden Welt wirken. rr<br />
Neue Leitung, neue Preise, neues Logo,<br />
Gastland Kanada: Das Filmfest München<br />
(28. 6.–7. 7.) eröffnet mit der<br />
Weltpremiere der deutsch-deutschen<br />
Komödie „Zwei zu eins“ der Regisseurin<br />
Natja Brunckhorst. In den Hauptrollen:<br />
Sandra Hüller, Max Riemelt und Ronald<br />
Zehrfeld. Oscar-Preisträgerin Kate Winslet<br />
wird nicht nur ihren Film „Die Fotografin“<br />
vorstellen, sondern – neben Jessica Lange,<br />
die den Preis ebenfalls erhält – auch mit<br />
dem CineMerit Award ausgezeichnet.<br />
Foto: Camino Filmverleih<br />
Kino erleben<br />
.de<br />
42 | <strong>kulturnews</strong>
Kino<br />
Foto: Leonine<br />
Die Intimität der Nacht<br />
Bis auf sehr wenige Szenen spielt Daddio (ab 27. 6. im Kino) ausschließlich<br />
während einer nächtlichen Fahrt vom New Yorker Flug -<br />
hafen JFK nach Manhattan. Der Fahrgast ist eine Programmiererin,<br />
die gerade von einem Besuch bei ihrer Halbschwester zurückkehrt;<br />
der Fahrer ist der deutlich ältere Clark, der die jungen Frau in ein<br />
zunehmend persönliches, geradezu intimes Gespräch verwickelt: über<br />
Ehebruch, Schwangerschaft, Geschlechterverhältnisse, Kindheits- und<br />
Familientrauma. Das Kammerspiel will und kann nicht verbergen,<br />
dass es ursprünglich für die Bühne geschrieben wurde. Und so mancher<br />
Monolog wirkt auf der Leinwand immer noch sehr papiernen. Dakota<br />
Johnson und Sean Penn aber, die ihren Figuren durch ihr zurückhaltendes,<br />
subtiles Spiel Leben einhauchen und Tiefe verleihen, meistern<br />
die darstellerische Herausforderung mit Bravour. Johnson enthüllt die<br />
Geheimnisse ihrer Figur mit Feingefühl und Präzision, und auch Penns<br />
Taxifahrer offenbart sukzessive seine verborgenen Verletzungen. ascho<br />
Foto: © Filmgarten<br />
Auf der Suche nach dem Klezmer<br />
Der semidokumentarische Film Das Klezmer-Projekt (ab 30. 5. im Kino)<br />
über die Wurzeln des Klezmer ist vieles in einem: In seiner auf mehreren<br />
Ebenen angelegten Erzählung liefert er gleich zwei Liebes -<br />
geschichten und erzählt ganz nebenbei von der Bedeutung der<br />
Klezmermusik im heutigen Argentinien bis zurück an den Anfang des<br />
20. Jahrhunderts in Osteuropa. Während die auf Jiddisch erzählte<br />
Geschichte vom Totengräber Yankel und seiner Liebe zur Tochter eines<br />
Rabbis aus dem Off erklingt, verliebt sich der Hochzeitsfilmer Leandro<br />
aus Buenos Aires auf einer Feier in die Klarinettistin Paloma und reist<br />
ihr bis in den Westen der Ukraine hinterher. jw<br />
TOM SCHILLING<br />
L I KAROLINE HERFURTH<br />
R H<br />
JETZT T ALS BLU-RAY,<br />
DVD D UND DOWNLOAD<br />
O D<br />
© Warner Bros. Entertainment GmbH. All Rights Reserved.
Kino<br />
Von 1969 bis 1974 war Golda Meir Israels Ministerpräsidentin.<br />
Regisseur Guy Nattiv zeigt sie uns in Golda (ab 30. 5. im Kino) während<br />
des Jom-Kippur-Krieges 1973. Die ägyptische und die syrische Armee<br />
haben das Land angegriffen. Zwischen heimlicher Strahlentherapie –<br />
Meir hat Krebs –, Blutkotzen und Kettenrauchen leitet sie ihr Kabinett voller<br />
Angsthasen. Sie verlangt der Armee viele Verluste ab bis zum Sieg Israels.<br />
Wie es dazu kam, zeigt der Film in vielen klaustrophobisch anmutenden<br />
Szenen in der Kommandozentrale – Befreiung findet Meir lediglich in den<br />
Pausen, wenn sie auf dem Bunkerdach gemeinsam mit ihrer persönlichen<br />
Assistentin raucht. Meir zog schon Anfang der 1930er nach Palästina,<br />
wo die linke Zionistin in der Politik Karriere machte und von 1956 an für<br />
Kette rauchen im Krieg<br />
neun Jahre als Außenministerin im Amt war. Als der US-Außenminister<br />
Henry Kissinger im Film auf Besuch kommt, muss er von der Suppe essen,<br />
die Golda Meirs Haushälterin gekocht hat. Meir erpresserisch leise: „Sie<br />
ist Überlebende!“ Der Film lebt von Helen Mirren als Kriegsherrin am<br />
Limit, und die Kamera verfolgt die alte, gebrechliche Frau aus nächster<br />
Nähe – vom zittrigen ersten Schritt am Morgen bis zum unnachgiebigen<br />
Auftreten gegenüber dem Kabinett. Und wenn die Kamera ganz nah dran<br />
ist an ihrem Gesicht, schneidet Regisseur Nattiv historische Kriegsszenen<br />
dagegen: Was Golda Meir damals aushalten musste, sollen wir heute in<br />
den Kinosesseln gefälligst auch aushalten. jw<br />
Foto: Weltkino Filmverleih<br />
Eier, Gemälde, Exzentrik<br />
Ein junger Einwanderer aus El Salvador möchte in Amerika seinen Traum<br />
verwirklichen. Im Detail wird dieses Vorhaben in Julio Torres’ Film<br />
Problemista (ab 13. 6. im Kino) haarig. Nicht nur scheint Alejandro<br />
(Torres selbst) als Spielzeugdesigner völlig uneinstellbar, denn zu seinen<br />
Ideen zählt ein Treppenläufer, der keine Treppe hinunterläuft, sodass die<br />
Kinder mit Enttäuschungen umzugehen lernen. Er muss für seine exzentrische<br />
Arbeitgeberin Elizabeth (Tilda Swinton) auch noch eine Ausstellung<br />
mit den Gemälden ihres Mannes Bobby organisieren. Das gestaltet sich<br />
wiederum schwierig, da dieser Zeit seines Lebens nur Hühnereier gemalt<br />
hat. Was bescheuert wirken mag an der Handlung, entwickelt durch sorgfältige<br />
Inszenierung und brillantes Schauspiel eine unglaubliche Komik –<br />
sodass die nie erwarteten gefühlvollen Momente besonders gelingen. jl<br />
Foto: Universal Pictures<br />
FILM IM SCHNELLCHECK<br />
THE BIKERIDERS<br />
WORUM GEHT’S?<br />
Wenn Motorradfahren jemals cool war, dann in<br />
den 60ern und in den USA. Regisseur Jeff<br />
Nichols hat mit „The Bikeriders“ das gleichnamige<br />
Buch des Fotojournalisten Danny Lyon verfilmt,<br />
der über Jahre hinweg eine Bikergang begleitete.<br />
WAS BRINGT’S?<br />
Starke Performances bis in die Nebenrollen und<br />
der authentische Look machen den Mangel an<br />
Überraschungen wett. Nur das recht konservative<br />
Ende ist dann doch etwas enttäuschend.<br />
WER WAR’S?<br />
Austin Butler, Jodie Comer und Tom Hardy<br />
können ihre Qualitäten bestens ausspielen.<br />
WANN?<br />
Ab 20. 6. im Kino<br />
Foto: © <strong>2024</strong> Focus Features, LLC.<br />
All Rights Reserved<br />
44 | <strong>kulturnews</strong>
JETZT ALS BLU-RAY, DVD,<br />
4K ULTRA HD UND DOWNLOAD<br />
© <strong>2024</strong> Warner Bros. Entertainment Inc. and Legendary. All rights reserved.
Streaming + DVD<br />
Haute Couture<br />
der Leidenschaften<br />
Innerhalb weniger Monate ist Becoming Karl Lagerfeld (ab 7. 6., Disney+)<br />
nach „The new Look“ bereits die zweite Serie, die sich die Haute Couture als<br />
Thema vornimmt. Doch während die von Apple TV+ gestreamte Serie mit<br />
Juliette Binoche und Ben Mendelsohn in den 1950ern und immer wieder auch<br />
während der Besatz ungszeit im Zweiten Weltkrieg spielt und damit die<br />
Vergangenheit aufarbeitet, steht die Serie von Disney+ im Hier und Jetzt der<br />
1970er-Jahre. Karl Lagerfeld (Daniel Brühl) ist noch ein unbekannter<br />
Modedesigner, als er sich in den jungen Journalisten Jacques de Bascher<br />
(Théodore Pellerin, „Underground“, „Watchdog“) verliebt, dessen Liebe aber nicht<br />
erwidert, sondern ihn vielmehr als Assistenten ausbeutet. Bascher fackelt nicht<br />
lange und fängt ein leidenschaftliches Verhängnis mit Lagerfelds Konkurrenten<br />
Yves Saint Laurent (Arnaud Valois) an, bis es Ende der zweiten Folge an Lagerfelds<br />
Geburtstag zu einem Showdown der Emotionen kommt, bei dem mit allen Tricks<br />
gearbeitet wird. Die Serie des Regisseurs Jérôme Salle widmet sich weniger dem<br />
Kerngeschäft der Mode als vielmehr dem Zwischenmenschlichen drumherum, ohne<br />
dass er deshalb im Tratsch versinkt, im Gegenteil: „Becoming Karl Lagerfeld“ ist der<br />
ernsthafte Versuch, dem Unnahbaren zu Beginn seines späten Ruhms nahe zu sein. jw<br />
DVD-TIPP<br />
Das Monster<br />
in dir<br />
„Sherlock“, „Edison“, „The Imitation Game“<br />
oder „Die wundersame Welt des Louis<br />
Wain“: Benedict Cumberbatch spielt gerne<br />
mal den exaltierten Typen, in der sechs -<br />
teiligen Miniserie Eric (ab 30. 5. bei Netflix)<br />
driftet er dabei als Kindershowpuppenspieler<br />
Vincent in düstere Gefilde ab: Im New York der<br />
1980er-Jahre wird sein kleiner Sohn Edgar entführt.<br />
Die Polizei findet auch nach längerer Zeit keinerlei Spur<br />
Foto: Disney+<br />
Foto: Netflix<br />
Glücksmomente<br />
Eine Million Minuten, das sind 694<br />
Tage oder fast zwei Jahre. So lange Zeit<br />
nehmen sich Wolf Küper (Tom<br />
Schilling) und seine Frau Vera<br />
(Karoline Herfurth), um den Wunsch<br />
ihrer Tochter Nina (Pola Friedrichs) in<br />
die Tat umzusetzen: sich nur auf die<br />
schönen Momente im Leben zu konzentrieren.<br />
Also kündigt Wolf kurzerhand<br />
seinen Job, und sie reisen sie ge -<br />
meinsam um die Welt, nach Thailand<br />
und Island. Eine Million Minuten<br />
(ab 6. Juni auf Blu-ray und DVD) mag<br />
märchenhaft anmuten – basiert aber<br />
auf einer wahren Geschichte. mj<br />
von dem Jungen. Vincent wird immer verzweifelter<br />
und meint schließlich eine Mög -<br />
lichkeit zur Rettung gefunden zu haben: Er<br />
muss die von Edgar gezeichnete Monster -<br />
puppe Eric bauen und ins Fernsehen bringen,<br />
um jeden Preis … Serienschöpferin Abie Morgan<br />
ist als Drehbuchautorin von „Suffragette“ und<br />
„Die eiserne Lady“ bekannt, auch Serien wie<br />
„The Hour“ und „The Split“ veranwortete sie. vs<br />
46 | <strong>kulturnews</strong>
Serien<br />
Foto: © ARD Degeto/Isarstraßen Film/Nik Konietzn<br />
Wo wir sind,<br />
ist oben<br />
Das Haus<br />
am Hang“<br />
Foto: Disney+<br />
Pauline<br />
Foto: © Wowow<br />
Foto: Amazon PrimeFeedMee<br />
Viktor bringt’s<br />
WATCHLIST<br />
+++ Was tun, wenn frau vom Sohn der Teufelin<br />
geschwängert wird? Dieser Frage geht die Serie<br />
Pauline (seit 22. 5. auf Disney+) nach, die aus der<br />
Feder der schwarzhumorigen Macher von „How to<br />
sell Drugs online (fast)“ stammt. +++ Auch wenn<br />
mit Moritz Bleibtreu und Caroline Peters Stars<br />
am Werk sind: Die Serie Viktor bringt’s (ab 30. 5.<br />
Amazon Prime) bringt’s einfach nicht. +++<br />
Risako Yamazaki ist Ehefrau und Mutter, als sie<br />
Laienrichterin in Japan wird und einen Fall von<br />
Kindstötung vorliegen hat. Die Serie japanische Das<br />
Haus am Hang (30. 5. Mediathek, 6. 6. Arte)<br />
widmet sich der Frage, wie die Gesellschaft eine<br />
Mutter zur Mörderin macht. +++ Valerie Hazard<br />
(Nilam Farooq) arbeitet für einen Industrieverband,<br />
Max Lentor für eine Öko-NGO. Welten prallen<br />
aufeinander in der Serie Wo wir sind, ist oben –<br />
ab 14. 6. in der ARD. +++<br />
<strong>kulturnews</strong> | 47<br />
DAKOTA<br />
JOHNSON<br />
„ DAKOTA JOHNSON IST<br />
EINE OFFENBARUNG“<br />
Hollywood Reporter<br />
„ SEAN PENN IN<br />
ABSOLUTER BESTFORM“<br />
Deadline<br />
daddio<br />
EINE NACHT IN NEW YORK<br />
ARTWORK © 2023 RHEA FILMS. ALL RIGHTS RESERVED<br />
MOTION PICTURE © 2023 BEVERLY CREST PROUCTIONS LLC, ALL RIGHTS RESERVED<br />
AB 27. JUNI IM KINO<br />
SEAN<br />
PENN
4Kids + 4Teens<br />
Was wären Stars ohne ihre<br />
Fans? Gar nichts. Aber was ist<br />
mit denen, die alles ein bisschen<br />
zu ernst nehmen? Die im<br />
Internet Fanfiction schreiben,<br />
Kostüme nähen, zu Con ven -<br />
tions gehen – und vielleicht<br />
sogar bereit sind, ihren Lieb -<br />
lingsdarsteller zu kidnappen?<br />
In Fangirl Fantasy (Carlsen,<br />
<strong>2024</strong>, 272 S., 26 Euro) entwirft<br />
Olivia Vieweg ein modernes<br />
„Misery“-Szenario, in dem<br />
drei Fangirls den Schauspieler<br />
Allan entführen. Der hat vor<br />
kurzem alle seine Verträge<br />
gekündigt und will ein seriöseres<br />
Image – doch Ashley, Kate<br />
und Lia wollen ihn zwingen,<br />
die Geschichten privat zu<br />
Ende zu erzählen. Autorin<br />
Olivia Vieweg ist selbst ein<br />
lebenslanges Fangirl und<br />
bringt viel Verständnis für ihre<br />
Figuren mit. So düster wie bei<br />
Stephen King endet ihre<br />
Graphic Novel also nicht … mj<br />
Illustration: Olivia Vieweg/Carlsen Verlag<br />
48 | <strong>kulturnews</strong>
4Kids + 4Teens<br />
MIT DEN STIMMEN VON<br />
DALIA SCHMIDT-FOSS OLIVER KALKOFE<br />
MAX GIERMANN SANTIAGO ZIESMER<br />
Foto: Sebastian Berghaus<br />
Erst das Abi und dann!<br />
Als Konrad Romy den Vorschlag macht, doch gemeinsam ans Meer zu<br />
fahren, hat er eigentlich keine Chance auf eine Zusage. Die beiden<br />
haben gerade ihr Abitur in der Tasche und müssen mal etwas rauskommen.<br />
Gut ist da, dass mit Konrads Freund Julian auch die<br />
Motorisierung gesichert ist: In seinem goldenen Mercedes und außerdem<br />
mit Nele an Bord geht das Quartett auf die Reise. Wie es bei<br />
Roadmovies so ist: Die Reise bewirkt Klärung, Veränderung,<br />
Erwachsenwerden. Regisseur Patrick Büchting hat mit Morgen<br />
irgendwo am Meer (ab 6. 6. im Kino) einen kurzweiligen und tiefgehenden<br />
Coming-of-Age-Film über vier junge Menschen gedreht, die<br />
sich finden müssen. jw<br />
AB 27. JUNI<br />
IM KINO<br />
+++ Ay, caramba! In diesem Jahr werden die<br />
Simpsons 35 Jahre alt. Dazu gibt es bis 27. Oktober<br />
in Dortmund die Ausstellung Die Simpsons –<br />
Gelber wird’s nicht +++<br />
Foto: Studiocanal<br />
Zurück in den Dschungel<br />
Großer Tierfreund: Der französische Regisseur Gilles de Maistre hat sich<br />
in letzter Zeit auf das Drehen mit Vierbeinern spezialisiert – und greift<br />
dabei keineswegs auf Tricktechnik zurück. In Ella und der schwarze<br />
Jaguar (ab 6. Juni auf Blu-ray und DVD) kehrt Ella (Lumi Pollack), die<br />
im Amazonas aufgewachsen ist, dorthin zurück, um ihre beste Freundin<br />
Hope zu retten. Das Besondere: Hope ist ein schwarzer Jaguar, den<br />
Ella als Junges gefunden und selbst aufgezogen hat. Jetzt machen<br />
Wilderer Jagd auf sie … mj<br />
<strong>kulturnews</strong> | 49<br />
NACH DEM GLEICHNAMIGEN KINDERBUCHERFOLG<br />
VON KLAUS BAUMGART
4Kids + 4Teens<br />
+++ Es gibt kein anderes Spielzeug, das die Generationen so sehr vereint wie<br />
Lego. Und was in Amerika längst ein Convention-Klassiker ist, feiert nun Premiere<br />
in Europa. Das Brick Fest Live! (9.–11. 8. Frankfurt, myticket Jahrhunderthalle)<br />
ist ein Paradies für Lego-Fans! +++<br />
Spuk in der Geisterbahn<br />
Eine alte Geisterbahn auf einem Jahrmarkt entpuppt sich als wichtiger Handlungsort des Films<br />
Elli – Ungeheuer geheim (im Kino ab 27. 6.). Doch warum? Nun: Elli ist ein kleines Gespenst,<br />
das bei seinem Onkel Chamberlain in einer alten Spukvilla wohnt. Als der Onkel aber von obskuren<br />
Drohnen entführt wird, macht sich Elli auf die Suche nach Chamberlain und stößt auf die<br />
Geisterbahn, wo die Monster überhaupt nicht glücklich darüber sind, noch ein spukendes Wesen<br />
bei sich zu beherbergen. Doch Elli lässt sich nicht beirren, sucht weiter hartnäckig nach ihrem<br />
Onkel und einem neuen Zuhause … jw<br />
Foto: © <strong>2024</strong> Dreamin' Dolphin Film/ Zooper Film/Productions<br />
CarpeDiem (V) Inc./Traumhaus Studios - All rights reserved<br />
Zoo und nicht anders<br />
Foto: Manfred Esser<br />
Dass der König der Kinderdisco und Kinder lieder -<br />
macher Volker Rosin so tierisch gut ist, liegt vor allem<br />
an seinen Tieren: „Die Eule tanzt“, „Die Kuh<br />
Mathilde“, „Der Gorilla mit der Sonnenbrille“, „Tanz<br />
mit der Gans“, „Maus auf Weltraumreise“. Im<br />
Grunde liest sich Rosins Diskografie wie eine Folge<br />
„Elefant, Tiger & Co.“, und mit seinem neuen<br />
Album Tierische Kinderdisco ruft der Ruhrpottler<br />
zur Fütterung. So versammelt Rosin 25 seiner<br />
bekanntesten Tierlieder auf einer Platte und lässt<br />
gemeinsam mit Rapper, Entertainer und<br />
Schauspieler Bürger Lars Dietrich „Das singende<br />
Känguru“ aus dem Jahr 1992 rappen. fe<br />
50 | <strong>kulturnews</strong>
4Kids + 4Teens<br />
Camryn Garrett Foto: Louisa Wells<br />
Der Juni ist Pride Month, und auch Mahalia will eine Coming-out-Party<br />
feiern. Dumm nur, dass sie sich vor ihrer Mutter noch nicht geoutet<br />
hat. Und wie reagiert ihre neue Mitschülerin Siobhan, auf die Mahalia<br />
ein Auge geworfen hat? Friday I’m in Love (Arena, <strong>2024</strong>, 312 S., 18<br />
Euro, aus d. Engl. v. Isabel Abedi) von Camryn Garrett ist ein leichter<br />
Roman mit ganz viel Gefühl. Nicht weniger romantisch ist die Ge -<br />
schichte von Morgan und Ruby, doch haben die Schönheitskönigin<br />
und die von einer katholischen Privatschule verwiesene Leichtathletin<br />
in Jennifer Dugans Some Girls do (Crocu, <strong>2024</strong>, 368 S., 16 Euro, aus<br />
d. Engl. v. Katrin Aust) mit ein paar grauen Wolken mehr zu kämpfen.<br />
Und die LGTBQ-Community kann sich auch über die Neu veröffent -<br />
lichung eines Klassikers freuen: In Die Tage der Bluegrass-Liebe<br />
(Carlsen, <strong>2024</strong>, 192<br />
S., 10 Euro, aus d.<br />
Niederl. v. Rolf Erdorf)<br />
von Edward van de<br />
Vendel verlieren Tycho<br />
und Oliver ihren Job<br />
in einem US-amerika -<br />
nischen Ferien camp,<br />
als sie erkennen, dass<br />
sie einander mehr<br />
sind als nur gute<br />
Freunde. cs<br />
Abb: Jyamma Games<br />
Sommer, Sonne, Bossfight<br />
Unbarmherziges Gameplay, eine kryptische Story und Kämpfe, an<br />
denen man sich die Köpfe einrennt: Games nach der Dark-Souls-<br />
Formel sind längst ein eigenes Genre. Zumeist dominiert in den<br />
Spielwelten die Dunkelheit, wie der Name bereits andeutet. Nicht so<br />
bei Enotria: The last Song. Das Entwicklerteam hat sich von italienischer<br />
Folklore inspirieren lassen, die Landschaften sind sonnengeflutet<br />
und machen direkt Lust auf Urlaub. Dazu gibt es Kostüme, die<br />
vom Karneval beeinflusst sind. Nur die brutalen Gefechte, die sich<br />
Spieler:innen in ihrer Rolle als Maskenloser stellen müssen, könnten<br />
die Ferienlaune trüben … mj<br />
HIPPE<br />
DANIEL ERNESTO MÜLLER<br />
SIPPE<br />
Papa, Papi, Palme, Patentante und Pfanne. Oder Mama, Mami,<br />
die Mundharmonika und der Malkasten? Oder Mama, Papa, die<br />
Badewanne, das Kuscheltier und die Freund*innen? Wer gehört<br />
alles zur Familie? In Hippe Sippe beschließen vier Menschen,<br />
Familie zu werden. Bei jedem gehört etwas anderes dazu.<br />
PERFORMANCE FÜR ALLE AB 5 JAHREN<br />
SA 22.6. 15 UHR<br />
FFT im KAP1 Konrad-Adenauer-Platz 1 40210 Düsseldorf -duesseldorf.de<br />
Das FFT wird gefördert durch die Landeshauptstadt Düsseldorf und das Ministerium für Kultur und Wissenscha 昀 des Landes Nordrhein-Westfalen.<br />
© Manuel Tiranno<br />
<strong>kulturnews</strong> | 51
Buch<br />
Foto: Stephen Mortland<br />
Am Ende des Romans steht ein Gespräch mit dem Vater, in<br />
dem Obiefuna diesen Satz sagt: „Ich habe mein ganzes<br />
Leben lang in einem Gefängnis gelebt, Papa.“ In Nigeria<br />
wird Homosexualität mit bis zu 14 Jahren Freiheitsentzug<br />
bestraft, in den nördlichen Bundesstaaten, wo das islamische<br />
Recht der Scharia angewandt wird, droht gar die<br />
Todesstrafe durch Steinigung. Chukwuebuka Ibeh wurde in<br />
Nigeria geboren, heute studiert der 24-Jährige an der<br />
Washington University in St. Louis, Missouri, und in seinem<br />
Debüt erzählt er Obiefunas Geschichte. Nachdem der Vater<br />
ihn in einem intimen Moment mit dem Lehrling Aboy<br />
erwischt, verbannt er Obiefuna auf ein christliches Internat.<br />
„Wünschen“ ist ein Coming-of-Age-Roman, der das Ver -<br />
stecken und die Selbstverleugnung dokumentiert und einen<br />
Helden zeigt, der sein Begehren nur heimlich leben kann, der<br />
Missbrauch erfährt und selbst zum Täter wird, um nicht enttarnt<br />
zu werden. Ibeh stattet Obiefuna mit einer Sprache aus,<br />
die inmitten der Gewalt immer wieder Räume von ergreifender<br />
Zartheit öffnet. Es sind die Liebe zur Mutter, die Ent -<br />
grenzung in der Musik und im Tanz, mit der er die Hoffnung<br />
schürt, dass sein Held nicht komplett gebrochen wurde und<br />
ein Leben in Freiheit für ihn möglich ist. cs<br />
Chukwuebuka Ibeh Wünschen<br />
S. Fischer, <strong>2024</strong>, 320 S., 24 Euro<br />
Aus d. Engl. v. Cornelius Reiber<br />
52 | <strong>kulturnews</strong>
Szene<br />
Abb.: Maia Kobabe / Reprodukt<br />
Maia will weder Mädchen noch Junge<br />
sein: In „Genderqueer – Eine nichtbinäre<br />
Autobiografie“ (Reprodukt, <strong>2024</strong>,<br />
240 S., 20 Euro, Aus d. Engl. v.<br />
Matthias Wieland) erzählt Maia<br />
Kobabe vom Ringen mit der<br />
eigenen Identität. Es gibt<br />
nichts Harmloseres? Nicht,<br />
wenn man die USA fragt, wo<br />
der Comic seit Jahren die<br />
Book-Ban-Liste anführt.<br />
Das allein beweist, wie<br />
wichtig Kobabes Arbeit ist.<br />
LITERATURTIPPS<br />
UND TERMINE<br />
Das Programm des LESEN! Literaturfestivals vom 27. Juni<br />
bis zum 7. Juli in Fürth ist spektakulär: Elias Hirschl liefert<br />
„Content“, Bestsellerautor Maxim Leo stellt seinen neuesten<br />
Roman „Wir werden jung sein“ vor, Lene Albrecht liest aus<br />
ihrem Debüt „Weiße Flecken“, und Dana Vowinkel bringt den<br />
Roman „Gewässer in Ziplock“ mit, der im vergangenen Jahr<br />
mit dem Mara-Cassens-Preis ausgezeichnet worden ist.<br />
In ihrem zweiten Roman erzählt Paula Irmschler von einer<br />
verkorksten Mutter-Tochter-Beziehung, und im Juni ist sie mit<br />
„Alles immer wegen damals“ auch auf Lesereise: 6. 6. Moers,<br />
7. 6. Mainz, 8. 6. Stuttgart, 13. 6. Leipzig, 14. 6. Dresden,<br />
15. 6. Meißen, 20. 6. Mühlheim, 21. 6. Köln, 26. 6. Hamburg<br />
„Laut Nachrichtenmeldungen<br />
griff mich A. siebenundzwanzig<br />
Sekunden lang an. In siebenundzwanzig<br />
Sekunden<br />
könnte man – sofern<br />
religiös gesinnt – das<br />
Vaterunser aufsagen.“<br />
Weil er vor mehr als 30 Jahren die religiösen Gefühle radikaler<br />
Islamisten verletzt hat, hat das iranische Regime eine<br />
Fatwa mit Aufforderung zum Töten gegen Salman Rushdie<br />
verhängt. 2022 kam es zu einem Attentat, das er nur knapp<br />
überlebt hat. In „Knife – Gedanken zu einem Mordversuch“<br />
(Penguin, <strong>2024</strong>, 256 S., 25 Euro, Aus d. Engl. v. Bernhard<br />
Robben) schildert der Schriftsteller nicht nur sein Erleben<br />
der Attacke, sondern auch den langen Prozess der Heilung<br />
– und schafft so ein Plädoyer für Mut und Kunstfreiheit.<br />
Dem Leben<br />
entwachsen<br />
„Wenn sie so vögelten, setzte ich immer<br />
meinen Walkmen auf, hörte Portishead<br />
und versuchte mir die Zeit vorzustellen,<br />
in der das alles nur noch eine witzige<br />
Geschichte sein würde.“ Die Prota -<br />
gonistin aus „Auf allen vieren“ erinnert<br />
sich an schmerzhafte Tage Mitte der<br />
Neunziger, als ihre Ex-Freundin und ihr<br />
Ex-bester-Freund in der Wohnung<br />
nebenan Sex hatten – und mit dieser<br />
Szene schließen sich gleich mehrere<br />
Kreise. In diesem Monat kehrt die Portishead-Sängerin Beth Gibbons mit ihrem<br />
Solodebüt zurück, auf dem sie das Älterwerden und die Wechseljahre in den<br />
Mittelpunkt rückt (siehe auch unsere Titelgeschichte auf den Seiten 6 und 7).<br />
Und diese Themen verhandelt auch die US-amerikanische Künstlerin und<br />
Regisseurin („The Future“) Miranda July in ihrem zweiten Roman, der nach<br />
fast zehn Jahren auf „Der erste fiese Typ“ folgt. Die Künstlerin aus „Auf allen<br />
vieren“ ist verheiratet und hat ein non-binäres Kind, doch zu ihrem<br />
45. Geburtstag fährt sie nicht wie geplant mit dem Auto von L.A. nach New<br />
York, sondern steigt unterwegs in einem billigen Motel ab, um<br />
sich mit dem 30-jährigen Davey zu treffen, den sie an einer<br />
Tankstelle getroffen hat. Es ist ein entlarvender, empowernder<br />
und wahnsinnig lustiger Roman – und natürlich passt Beth<br />
Gibbons als Soundtrack perfekt. cs<br />
Miranda July Auf allen vieren<br />
Kiepenheuer & Witsch, <strong>2024</strong>, 416 S., 25 Euro<br />
Aus d. Engl. v. Stefanie Jacobs<br />
Foto: Rachel Eliza Griffiths<br />
Foto: Elizabeth Weinberg<br />
<strong>kulturnews</strong> | 53
Literatur<br />
›<br />
Foto: Peter-Andreas Hassiepen<br />
Schlammschlachten<br />
Und noch eine Superpower von T.C. Boyle:<br />
Das schlimmste No-Go-Thema extrem spannend verhandeln.<br />
›<br />
Erst vergangenes Jahr hat er die derzeit natürlich<br />
massenhaft erscheinenden Dystopien aufgemischt<br />
und mit seinem Bestseller „Blue Skies“ mal<br />
eben den wohl eindringlichsten Roman zum Klima -<br />
wandel veröffentlicht. Und T.C. Boyle legt nach:<br />
„Außerdem – und verzeihen Sie mir, wenn das lächer -<br />
lich klingt – wollte ich mir nicht die Schuhe ruinieren,<br />
nur um meine Schaulust zu befriedigen“, lässt er den<br />
Erzähler in der Titelgeschichte seines neuen Erzähl -<br />
ungsbands sagen. Jener Brandon beobachtet, wie<br />
massive Regenfälle in den kalifornischen Bergen<br />
eine Schlammlawine auslösen, die Häuser, Autos<br />
und auch viele seiner Nachbarn unter sich begräbt.<br />
Mit „I walk between the Raindrops“ kartografiert der<br />
75-jährige Boyle das Nicht-wahrhaben-Wollen und<br />
die Beruhigungsversuche des eigenen Gewissens.<br />
Die 13 Erzählungen sind kurz vor und nach „Blue<br />
Skies“ entstanden, und sie vermessen so komisch wie<br />
schonungslos unsere Gegenwart: In „What’s Love got<br />
to do with it“ diskutiert eine Mutter um die 50 mit<br />
einem jungen Incel-Studenten über einen misogynen<br />
Amokläufer. „Schlaf am Steuer“ zeigt, wie eine Zu -<br />
kunft mit Drohnenautos aussehen könnte. Und Boyle<br />
holt ein Thema zurück, das wir am liebsten eine für<br />
alle Mal vergessen möchten: Im März 2020 geht ein<br />
Ehepaar auf Kreuzfahrt – doch dann bricht das<br />
Covid-19-Virus aus, und die beiden stecken auf dem<br />
Schiff fest. Trotz negativer Reizwörter wie „FFP2-<br />
Masken“ und „Quarantäne“: Bei T.C. Boyle will man<br />
wissen, wie „Der dreizehnte Tag“ endet.<br />
Carsten Schrader<br />
T.C. Boyle<br />
I walk between the Raindrops<br />
Hanser, <strong>2024</strong>, 272 S., 25 Euro<br />
Aus d. Engl. v. Dirk van Gunsteren<br />
u. Anette Grube<br />
Protokoll eines Massakers<br />
Der frühere Geheimdienstoffizier Ron Leshem ist seit<br />
Jahren international als Schriftsteller („Als wir schön<br />
waren“) und Drehbuchautor („Euphoria“, „Kampf um<br />
den Halbmond“) bekannt, der sich für den Frieden zwischen<br />
Israel und den Palästinensern einsetzt. Der offen<br />
schwul lebende Leshem lebt gemeinsam mit Partner<br />
und Kind seit einigen Jahren in Boston. Mit „Feuer“ hat er jetzt nicht nur<br />
eine schonungslose Doku men tation des Massakers der Hamas vom 7.<br />
Oktober vorgelegt. Er analysiert völlig illusionsfrei auch die Konflikte innerhalb<br />
der israelischen Bevölkerung, die zur Schwächung der militärischen<br />
Vertei di gung geführt haben. Der gelernte Geheimdienstler zeigt mit Belegen<br />
auf, welche technische Ausrüstung aus Russland und dem Iran gekommen<br />
ist, der die vollständige Zerstörung Israels auf der Agenda hat und<br />
überhaupt nicht erfreut gewesen ist vom Alleingang der Terror -<br />
organisation. Vor allem aber benennt Leshem jedes Verbrechen der<br />
Hamas sowie der palästinensischen Zivil bevölkerung. Mit Uhrzeit und<br />
Positionsangabe wird der Überfall auf militärische Einrich tungen, auf das<br />
Musikfestival und gezielt auf linke Kibbuzim in allen brutalen Einzelheiten<br />
dokumentiert: das Foltern, Verge waltigen, Ermorden und Ent führen von<br />
Menschen, die in der Vergangenheit für den Frieden in der Region und<br />
gegen Ministerpräsident Netanjahu demonstriert haben. Auch Leshems<br />
Tante Orit Sabirski von der Organisation Women Wage Peace und ihr ge -<br />
schie dener Mann Rafi wurden ermordet, ihr Sohn Itai entführt und er -<br />
schossen – das Video stand im Netz. jw<br />
Ron Leshem Feuer. Israel und der 7. Oktober<br />
Rowohlt Berlin <strong>2024</strong>, 320 S., 25 Euro<br />
Aus d. Hebr. v. Ulrike Harnisch u. Markus Lemke<br />
Tschüss, Gemüs<br />
Die satten fünf Jahre Wartezeit seit<br />
„Herkunft“ seien ihm verziehen.<br />
Nicht nur wegen der Kinderbücher<br />
zwischendurch, sondern auch, weil<br />
Saša Stanišić einen Anproberaum für<br />
das Leben entwickelt hat. Ob er in<br />
dem wohl vorab geluschert hat, ob<br />
sein Verlag diesen gar großartigen, aber<br />
eben auch extrem langen Titel für<br />
seinen Erzählungsband schlucken<br />
wird? Die Texte hängen zusammen,<br />
weswegen Stanišić selbst auch neben Ray Cummings in den Leit -<br />
gedanken auftaucht („Bitte der Reihe nach lesen“), doch ohne den<br />
Überbau eines Romans dreht er so richtig auf: Mit einer Figur namens<br />
Saša geht es auf einen Hochsitz bei Heidelberg und nach Helgoland –<br />
und irgendwie ist ein gewisser Harry Heine immer an seiner Seite. Der<br />
Justiziar Paul Horvath betrügt seinen achtjährigen Sohn Paul beim<br />
Piratenmemory, und in Winsen an der Luhe schafft es Mo nicht zur<br />
Doppelkopfrunde, weil ihm per Post ein Panzer<br />
zugestellt wird. Doch unvergessen bleibt dieses<br />
Buch vor allem wegen Gisel aus Hamburg.<br />
Genau, das ist die mit der Gießkanne. cs<br />
Saša Stanišić<br />
Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert<br />
sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem<br />
Ausguss nach vorne<br />
Luchterhand, <strong>2024</strong>, 256 S., 24 Euro<br />
Foto: Magnus Terhorst<br />
54 | <strong>kulturnews</strong>
Literatur<br />
Fuck Fomo!<br />
Ein Umzug in die Großstadt kann ernüchternd sein. Vor allem, wenn das<br />
Versprechen vom wilden Leben nie eingelöst wird. Mounia, Leon und die Ich-<br />
Erzählerin sind verzweifelt „auf der Suche nach etwas zum Finden“. Bloß wollen<br />
weder das Leben noch der allerkleinste Exzess über sie hereinbrechen. Und<br />
aus Langeweile wird Einsamkeit. „Uns war zu jedem Zeitpunkt schmerzlich<br />
klar, dass wir nicht wild genug, nicht jung genug, nicht wütend genug, nicht<br />
intensiv genug, nicht verschwenderisch genug unsere Zeit verschwendeten“,<br />
lautet das ernüchternde Zwischenfazit in Ilona Hartmanns zweitem Roman „Klarkommen“. Ein<br />
Buch, das sich liest wie das Cold Open eines Coming-of-Age-Films, der jedoch vergeblich auf<br />
den Wende- und somit den Startpunkt wartet: eine leise, graue Rebellion. Und um im Bild zu<br />
bleiben: wie Greta Gerwigs „Lady Bird“. Hinter dem punktgenauen, schlagfertigen und an Twitter-<br />
Zeiten erinnernden Beobachtungsstakkato schlummert eine tiefe Melancholie, in der sich Hartmann<br />
suhlt, und manchmal reichen tatsächlich drei Worte, um alles zu erzählen. Wer unter zwanghafter<br />
Fomo leidet, sollte diesen kurzweiligen Roman lesen. fe<br />
Ilona Hartmann Klarkommen<br />
Park x Ullstein, <strong>2024</strong>, 192 S., 22 Euro<br />
Hinterm eigenen Horizont<br />
Mit verletzlicher Stärke erzählt Saskia Michalski über Liebe, dem Finden<br />
und Annehmen einer Geschlechtsidentität, Sexualität und dem Weg in<br />
die Polyamorie. „Wo liegt die wirkliche Sicherheit in einer Beziehung?“ –<br />
eine von vielen Fragen, die Michalski im ersten Buch verhandelt. In persönlichen<br />
Rückblicken auf eigene Erfahrungen mit Eifersucht, Scham<br />
oder unangenehmen Gefühlen beim Setzen von Grenzen zeigt Michalski<br />
respektvolle und gesunde Wege der Kommu nikation als Schlüssel zu<br />
wahrer Verbundenheit und Intimität. Dabei schreibt Michalski über zahlreiche<br />
tabuisierte Themen und fordert uns weniger zu Polyamorie als vielmehr zu einem<br />
Perspektivwechsel auf. „Wer bin ich, wenn ich nicht die Erwartungen meines Umfelds erfülle?“,<br />
reflektiert Michalski und lehrt uns, sich unabhängig von erlernten Normen und Konventionen<br />
authentisch zu zeigen. „Lieben und lieben lassen“ ermutigt, Liebe in subjektiver Definition zu<br />
leben und vor allem sich selbst kennen wie lieben zu lernen. jm<br />
Saskia Michalski Lieben und lieben lassen<br />
Piper, <strong>2024</strong>, 304 S., 18 Euro<br />
Ein Sturm zieht auf<br />
In einem alten Ruderboot schaukeln Omar und seine Freunde auf die englische<br />
Küste zu, als ihnen zwei rassistische Polizisten den Weg abschneiden.<br />
Am nächsten Morgen findet Cherry, die um ihren verstorbenen Sohn trauert,<br />
am Strand Omars Leiche. Gemeinsam mit Andy, dem reumütigen der beiden<br />
Polizisten, will sie die Angehörigen des jungen Mannes finden, immer verfolgt<br />
von Andys Kollegen Barratt. Doch ihre Mission reißt auch Cherrys Mann und<br />
Tochter, Omars besten Freund Abdi Bile und seine große Liebe Asha mit sich,<br />
bis halb England auf den Beinen scheint. In London baut sich derweil eine Protestwelle auf und<br />
steigt immer höher. Anders Lustgarten, Dramatiker und Drehbuchautor, hat mit „Frieden“ seinen<br />
ersten Roman geschrieben, bleibt aber der politischen Satire treu, indem er die Stagnation,<br />
Rückwärtsgewandtheit und Hoffnungslosigkeit der britischen Gesellschaft anprangert. Wechselnde<br />
Perspektiven und thrillerartige Wendungen treiben dabei den Pulsschlag in die Höhe. Das Ende<br />
jedoch, wenn alle Handlungsstränge inmitten von Massendemos zusammenlaufen, gerät überraschend<br />
kathartisch – und lässt trotz allem sogar Raum für Hoffnung. mj<br />
Klappenbroschur. € (D) 17,–<br />
Das Hörbuch erscheint bei Argon.<br />
MORD AM<br />
GARDASEE<br />
Dubiose Geschäfte, ein elitärer<br />
Geheimbund und eine junge<br />
Lokalreporterin, die in ihrer<br />
persönlichsten Story recherchiert:<br />
Der fulminante Auftakt einer<br />
neuen Reihe und ein extrem<br />
spannendes Lesevergnügen.<br />
Anders Lustgarten Frieden<br />
Hoffmann und Campe, <strong>2024</strong>, 320 S., 25 Euro, Aus d. Engl. v. Hannes Meyer<br />
<strong>kulturnews</strong> | 55
Krimi<br />
Lover, Daddy,<br />
Babykiller<br />
Joyce Carol Oates lässt eine Frau gegen<br />
männliche Gewalt kämpfen. Doch gleichzeitig<br />
will die auch ihre Sehnsüchte befriedigen …<br />
›<br />
Die Handtasche: Prada. Das Halstuch: Dior. Die 39-jährige Hannah<br />
führt als Hausfrau und Mutter von zwei Kindern ein gehobenes<br />
Mittelschichtsleben im Detroit der späten 1970er. Nur das Gefühl, als<br />
Frau noch begehrenswert zu sein, kann sie sich nicht kaufen. Nach elf<br />
Ehejahren ist Hannah der leidenschaftliche Sex abhanden gekommen.<br />
So sucht sie den Kick in einer anonymen Affäre. Ein „Bitte nicht stören“-<br />
Schild hängt vorsorglich schon an der Tür des Grandhotelapartments<br />
6183. Hannah stöckelt in High Heels darauf zu; und stolpert leichtsinnig<br />
in eine Falle, als sie sich hier mit YK trifft. Er ist ein menschliches<br />
Raubtier, sie erfährt Demütigung und Gewalt. Es zeugt von Joyce Carol<br />
Oates’ ganzem Können, wie sie die Brutalität der sexuellen Miss hand -<br />
lungen beschreibt: ohne Voyeurismus, dafür eindringlich und fast schon<br />
quälend ausführlich. Genauso wie die parallel geschilderten Taten eines<br />
Serienmörders. Der wird Babysitter genannt, weil er die Körper seiner<br />
kleinen, weißen Opfer gebadet und nackt wie Neugeborene inszeniert.<br />
Joyce Carol Oates bindet damit eine reale Mordserie der damaligen Zeit<br />
ein und lässt sie für Hannah immer bedrohlicher werden. Die taumelt<br />
zwischen Schmerz, Selbsthass und Schuldgefühlen. Zugleich ist sie<br />
erschrocken über ihre lustvolle Faszination für YK, der sie mehrfach ins<br />
<strong>kulturnews</strong> wünscht alles Gute zum Geburtstag!<br />
Joyce Carol Oates (geb. am 16. Juni 1938)<br />
Hotel bestellt und später sogar damit erpresst. Hannah versucht weiterhin<br />
zu funktionieren: Sie will sich und ihre Kinder nicht nur vor dem<br />
Babysitter schützen, der in der Nachbarschaft mordet. Und sie will ihrem<br />
Horror endlich ein Ende setzen, der für Hannah schon früh begonnen<br />
hat, wie Andeutungen auf Missbrauch durch ihren Vater erahnen lassen.<br />
Joyce Carol Oates zeichnet beeindruckend souverän ein beklemmendes<br />
wie ambivalentes Menschenbild, welches sich hinter bürgerlichen<br />
Gesellschaftsfassaden verbirgt. Von #MeToo über scheinheilige Priester<br />
bis hin zu Black Lives Matter spannt sich der elegante Bogen des Plots.<br />
Als Hannah erneut von YK ins Hotel bestellt wird, kann sie sich<br />
ihm zwar nicht entziehen – aber sie sucht nach einem<br />
finalen Ausweg. So kehrt Joyce Carol Oates am Ende<br />
fast wort gleich an den Anfang ihres Noirs zurück.<br />
Die Handtasche: Prada. Das Halstuch: Dior.<br />
Die Magnum: Smith & Wesson …<br />
Nils Heuner<br />
Joyce Carol Oates Babysitter<br />
Ecco, <strong>2024</strong>, 624 S., 24 Euro<br />
Aus d. Engl. v. Silvia Morawetz<br />
Foto: Dustin Cohen<br />
Foto: privat<br />
Heiliges Land der Mobster<br />
Der Staat Israel ist auf Sand gebaut. Nicht nur,<br />
weil mehr als die Hälfte des Landes von Wüste<br />
bedeckt ist, sondern auch bildlich, denn die als<br />
kritische Masse zusammengedrängte multi-ethnische<br />
Population lebt in permanenter Bedrohung von außen.<br />
Zudem wirken interne Machtkämpfe kontraproduktiv<br />
auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Wer<br />
kriminell oder korrupt ist, will sich bei den vielen<br />
gefährlichen Sandkastenspielen behaupten. Der in London lebende Israeli Lavie Tidhar<br />
springt mit einer Reihe von Schauplätzen durch vier Jahrzehnte: In „Maror“ offenbart<br />
er grenzenlose Gier – und die Geschichte Israels als Verkettung von Gangsterstücken.<br />
1977 gibt es einen groß an gelegten Immobilienbetrug im besetzten Westjordanland.<br />
Das libanesische Beirut des Jahres 1982 wird von einem Revierkampf unter israelischen<br />
Gangstern beherrscht, die dort den Waffenschmuggel organisieren. Und 1995<br />
glaubt ein Drogendealer bei einem Festival in der Negev-Wüste an<br />
eine bessere Zukunft. Doch dann wird dort Hoffnungsträger Yitzhak<br />
Rabin ermordet … Mitten im Chaos: zwei Cops, die Selbstjustiz mit<br />
Bibelzitaten rechtfertigen. Eigentlich schreibt Tidhar abgedrehte Fantasy,<br />
mit diesem epochalen Noir wendet er sich jedoch der Realität zu – und<br />
steckt auch hier nicht den Kopf in den Sand. nh<br />
Lavie Tidhar Maror<br />
Suhrkamp, <strong>2024</strong>, 640 S., 22 Euro | Aus dem Engl. v. Conny Lösch<br />
„Was wollen Sie für die Ware<br />
sehen?“<br />
„Zwanzigtausend pro Stück“<br />
„Wollen Sie mich verarschen?<br />
Zwanzig Riesen für eine<br />
iranische Mieze?“<br />
Hier wird nicht über den Kauf einer Perserkatze verhandelt,<br />
sondern über einen misogynen Deal, den<br />
Mädchenhändler für die Rotlichtszene eintüten wollen.<br />
Auf deren Spur ist ein Rachemörder, dessen Marken -<br />
kern brutal verstümmelte männliche Leichen sind.<br />
Tina N. Martin spannt auch im zweiten Band ihrer Serie<br />
bewährte Spannungsbögen, die mit<br />
feinstem Skandi-Horror immer wieder<br />
gekonnt aufs Glatteis führen.<br />
Tina N. Martin Gewittermann<br />
Blanvalet, <strong>2024</strong>, 512 S., 16 Euro<br />
Aus d. Schwed. v. Leena Flegler<br />
56 | <strong>kulturnews</strong>
Krimi<br />
Töten<br />
wie gedruckt<br />
H A R D B O I L E D H I G H L I G H T<br />
#6/<strong>2024</strong><br />
Wie bei allem sollte man sich auch<br />
bei Verbrechen an die Profis halten: einfallsreiche<br />
Menschen, die Kriminalromane<br />
schreiben. Tartan-Noir-Autorin Val McDermid<br />
spielt mit dieser Idee im mittlerweile siebten<br />
Fall ihrer Edinburgh-Ermittlerin Karen Pirie.<br />
Da scheint sich jemand detailgenau bei einer<br />
Plotidee des (fiktiven) Romanautors Jake Stein<br />
bedient zu haben, um eine Studentin zu entführen.<br />
Für Pirie und ihr eingespieltes Team<br />
stellt sich im April 2020 neben dem Covid-<br />
Lockdown jedoch das Problem, nur eine un -<br />
vollständige Vorlage für diese Tat zur Ver -<br />
fügung zu haben. Stein konnte vor seinem Tod<br />
das Roman-Manuskript nicht vollenden. So<br />
fehlen Karen Pirie wichtige Hinweise, mit denen<br />
sie den Entführer denkbar leicht überführen<br />
könnte. Nun ist Schottland ja aber für seine<br />
Noir-Autorendichte bekannt, und da bietet sich<br />
Steins Konkurrent Ross McEwen mit seiner<br />
Expertise an. Doch wie in Steins Geschichte<br />
findet sich ausgerechnet in dessen Garage die<br />
Leiche der Studentin …<br />
<strong>kulturnews</strong> wünscht alles Gute zum Geburtstag!<br />
Val McDermid (geb. am 4. Juni 1955)<br />
Val McDermid nutzt ihr geniales Verwirrspiel<br />
um Fälschung, Betrug und den vermeintlich<br />
perfekten Mord zugleich für augenzwinkernde<br />
Seitenhiebe gegen die Krimiszene. Dieser wird<br />
ja nachgesagt, auch gerne autobiografische<br />
Elemente in Romanen zu verwenden. Vielleicht<br />
sollte jemand mal in McDermids Garage nachschauen<br />
…? nh<br />
Val McDermid<br />
Die Gabe der Lüge<br />
Droemer, <strong>2024</strong><br />
480 S., 17,99 Euro<br />
Aus d. Engl. v.<br />
Karin Diemerling<br />
Foto: KT Bruce<br />
HIGH-SCHOOL-SPORT IST MORD<br />
Sudden Death<br />
Kaputte Knie, zertrümmerte<br />
Schultern, Hirn -<br />
quetschungen: American<br />
Football ist ein wunderbarer<br />
Sport, falls man sich<br />
oder anderen mal so richtig<br />
wehtun möchte. Der 18-<br />
jährige Billy lässt sich nicht so leicht tackeln,<br />
er hat Blut geleckt. Als Runningback prescht<br />
er so rücksichtslos vor wie ein übellauniger<br />
Pitbull. Sein Frust muss raus, denn zu<br />
Hause bei Mum und Stiefdad im Trailerpark<br />
einer Kleinstadt in Arkansas stinkt es nach<br />
Bierschweiß und Hintern. Der Ton: eher hart<br />
als herzlich. Mal landet eine brennende<br />
Kippe im Nacken oder sein kleiner Bruder<br />
Ricky im Hundezwinger. Billy riskiert durch<br />
eine brutale Aktion seinen wichtigen Einsatz<br />
für die „Pirates“, die kurz vor den Playoffs<br />
stehen. Der neue Coach ist überfordert und<br />
Sheriff Timmons knallhart, als Billys Stief -<br />
vater ermordet wird. Eli Cranors brillantes<br />
Debüt: ein klarer Touchdown! nh<br />
Eli Cranor Bis aufs Blut<br />
Atrium, <strong>2024</strong>, 304 S., 24 Euro<br />
Aus d. Engl. v. Cornelius Hartz<br />
Spread Eagle<br />
Running Tumbling, Flyer-<br />
Stunt, Spread-Eagle-Jump:<br />
Cheerleading ist ein wunderbarer<br />
Sport, falls man<br />
sich als Teenager mädchen<br />
einem Choreo-Drill und<br />
permanenten Wett be -<br />
werbs stress aussetzen möchte. Die 16-jährige<br />
Addy schaut ergeben zu ihrer bitchy<br />
Freun din Beth auf, die deren High-School-<br />
Jubel gruppe dominiert. Als eine neue Trainerin<br />
das Team übernimmt, verliert Beth ihre<br />
Position als Top Girl. Kurz darauf wirbelt ein<br />
rätselhafte Todesfall alles durcheinander.<br />
Addys Nachforschungen stellen ihre Loya -<br />
lität zu Beth auf die Probe und es entspinnt<br />
sich ein manipulatives Machtspiel. Megan<br />
Abbott lässt in ihrem Cheerleader-Noir nicht<br />
nur die Pferdeschwänze wippen, sondern<br />
ent larvt die Stutenbissigkeit hinter dem<br />
Sweet ness-Getue in Umkleide wie Arena.<br />
Zwischen Thigh-Gap-Wahn und Teenie-Tränen:<br />
hoch die Hände, Pompons schwingen! nh<br />
Megan Abbott Wage es nur!<br />
Pulp Master, <strong>2024</strong>, 340 S., 16 Euro<br />
Aus d. Engl. v. Karen Gerwig<br />
»Keiner bringt das Talent<br />
der Menschheit, sich selbst zu<br />
versenken, so auf den Punkt<br />
wie T. C. Boyle.«<br />
FINANCIAL TIMES<br />
»Ein glitzerndes literarisches<br />
Kaleidoskop.«<br />
IRENE BINAL, NEUE ZÜRCHER ZEITUNG<br />
<strong>kulturnews</strong> | 57
Kunst + Kultur<br />
Foto: Anja Beutler<br />
MUSIK/TANZ Was ist das Geheimnis des Ruhrgebiets? Was bindet die Menschen in<br />
der Region so innig an ihre Heimat? Startrompeter Till Brönner hat sich von 2018<br />
bis 2020 im Auftrag der Essener Brost-Stiftung für zwei Jahre auf Spurensuche begeben,<br />
um herauszufinden: Wie schlägt der Puls des Pott? Das Ergebnis seiner<br />
Streifzüge und Porträtstudien bringt er am Schauspielhaus Bochum nun zusammen<br />
mit der Choreografin Nicole Beutler auf die Bühne: Die musikalische und tänzerische<br />
Erkundungsreise Pulse! Till Brönner meets Dance läuft vom 7. bis 9. Juni und will<br />
sich der inneren Beschaffenheit des Ruhrgebiets nähern. Brönner schrieb die Musik<br />
und steht mit seiner Trompete selbst auf der Bühne. vs<br />
Foto Brönner: Nicolas Hudek<br />
58 | <strong>kulturnews</strong>
Szene<br />
Der Kompomisslose<br />
Foto: Axel Martens<br />
LITERATUR Er wurde von der<br />
Bundeswehr verklagt, autonome<br />
Männer- und Frauen-Lesben-<br />
Gruppen stürmten seine Lesungen<br />
und Ex-DDR-Bürgerrechtler die<br />
Redaktionsräume der Tageszeitung<br />
taz: Wiglaf Droste war Zeit seines<br />
schriftstellerischen Lebens der<br />
Aufklärung verpflichtet, polarisierend<br />
und gleichzeitig ein sensibler,<br />
einfühlsamer Mensch. Zum fünften<br />
Todestag hat Christof Meueler<br />
mit „Die Welt in Schach halten.<br />
Das Leben des Wiglaf Droste“ die<br />
erste Biografie über den „Un -<br />
umarm baren“ geschrieben. Sie<br />
zeigt: Droste war nicht nur ein<br />
genialer Polemiker und Satiriker;<br />
ähnlich kompromisslos wie als<br />
Schrift steller war er auch privat.<br />
Erschütternd sind die Details, die Meueler liefert, der nichts am Leben<br />
Drostes beschönigt und dem Humanisten damit überhaupt erst<br />
gerecht wird. jw<br />
Klaus Bittermann & Das Spardosenterzett: Unumarmbar. Über den<br />
Satiriker Wiglaf Droste. 9. 6. Zakk Düsseldorf<br />
Foto: Bettina Strenske<br />
Casting als Show<br />
MUSICAL Das First Stage Theater ist nicht nur bekannt für seine<br />
Musicalschule, sondern auch für seine Inszenierungen. Jetzt steht<br />
eine Neuinszenierung des Musicals A Chorus Line ins Haus, dessen<br />
Verfilmung mit Michael Douglas in der Hauptrolle allen bekannt sein<br />
dürfte. Regisseur und Choreograf Till Nau hat sich bei der<br />
Inszenierung für die neue deutsche Übersetzung von Robin Kulisch<br />
entschieden. Das Musical, das auf der Metaebene spielt – es geht um<br />
das Casting für ein neues Musical –, zeigt, wie sehr Intendanten bei<br />
der Auswahl der Besetzung ans Eingemachte gehen können, dorthin<br />
also, wo häufig schon #MeToo-Relevanz aufploppt. Authentizität und<br />
Identität werden beim Kampf um die Besetzung zur Waffe. jw<br />
Premiere: 10. 6., Shows bis 12. 10. First Stage Theater Hamburg
Kunst + Kultur<br />
Foto: Joana Vasconcelos, Valkyrie Marina Rinaldi, 2014. Copyright: VG Bild-Kunst, Bonn <strong>2024</strong>, www.bildkunst.de/<br />
Foto: Reithalle Schloss Gottorf mit der Künstlerin Joana Vasconcelos<br />
Joanna Vasconcelos<br />
mit ihrer Walküre<br />
Marina Rinaldi<br />
Ritt auf der Walküre<br />
Joana Vasconcelos macht feministische Kunst,<br />
die eine rundum sinnliche Erfahrung ist. Jetzt zu<br />
sehen und nicht zu verpassen im Schloss Gottorf.<br />
Foto: Joana Vasconcelos, Red Independent Heart, 2013.<br />
Copyright: VG Bild-Kunst, Bonn <strong>2024</strong>, www.bildkunst.de/<br />
Foto: Schloss Gottorf, Fotograf Marcus Dewanger<br />
Niki de Saint Phalle hatte ihre Nanas, Joana Vasconcelos hat ihre Walküren,<br />
riesige Skulpturen aus Stoffen, Spitzen, Stickereien, Wolle, Pailletten, Perlen,<br />
Federn und LEDs, die gerade erst in den Uffizien hingen – neben Werken<br />
von Leonardo da Vinci, Michelangelo oder Caravaggio. Doch man muss<br />
nicht nach Italien reisen, um diese beeindruckende, im übertragenen und<br />
wortwörtlichen Sinne große Kunst zu sehen: Was eben noch in Florenz<br />
Schlägt auch für die Betrachterinnen:<br />
das „Red Independent Heart“ aus rotem Plastikbesteck<br />
hing, ist aktuell ganz nah im Schloss Gottorf in Schleswig, in der Schloss -<br />
kapelle, im Kreuzstall, in der Reithalle und in weiteren Räumen. Es ist<br />
die erste große Schau von Vasconcelos in Deutschland.<br />
Mit de Saint Phalles Nanas verbindet Vasconcelos, dass beide mit ihren<br />
voluminösen Plastiken (de Saint Phalle) und Installationen (Vasconcelos) die<br />
starke, selbstbestimmte, ungehemmt weibliche Frau und Body Positivity<br />
feiern. Nicht zufällig ist der Begriff Barock bei Vasconcelos von zentraler<br />
Bedeutung: Barocke Opulenz und Sinnlichkeit verbinden sich bei ihren<br />
Walküren mit selbstbewussten Statements von Weiblichkeit, Emanzipation<br />
und Feminismus. Vasconcelos arbeitet dabei stets mit Leuten zusammen,<br />
die auf ihrem Gebiet spezialisiert sind und bestimmte Techniken besser<br />
beherrschen als Vasconcelos selbst: Schlosser, Zimmerleute, Elektriker,<br />
Ingenieure, Architekten, Dokumentaristen oder Archivare; auch bei Kunst -<br />
handwerken wie Sticken, Nähen und Stricken sucht sich die Künstlerin<br />
Fachkräfte. Die traditionellen, portugiesisch geprägten Handwerkskünste<br />
arbeitet Vasconcelos in ihre zeitgenössische Kunst ein und gibt ihnen<br />
eine moderne Form.<br />
Die Themen, die in Vasconcelos Arbeit einfließen, sind am Puls der Zeit:<br />
Liebe, Leben, Tod, die Rolle der Frau in der Gesellschaft, der soziale<br />
Druck, Mutterschaft, Hausarbeit, Arbeit und Sexualität miteinander zu<br />
vereinbaren, die Unterordnung der Frau in der Kunstwelt. Die Kunst dazu<br />
ist nie verkopft: Zwei riesige Highheels aus Kochtöpfen, ein Kronleuchter<br />
aus 25 000 Tampons, ein Herz aus rotem Plastikbesteck – Vasconcelos<br />
Kunst ist keinesfalls alltäglich, sie ist aber oft aus Materialien unseres<br />
60 | <strong>kulturnews</strong>
Kunst + Kultur<br />
DEICHTORHALLEN<br />
HAMBURG UND FOTOGRAFIE<br />
INTERNATIONALE KUNST<br />
CHECKBRIEF Joanna Vasconcelos<br />
GEBOREN 8. November 1971 in Paris<br />
WURDE BERÜHMT mit einer fünf Meter hohen Konstruktion<br />
aus 25 000 Tampons (Biennale 2005)<br />
WAR die erste Frau, die eine Biennale-Ausstellung kuratierte,<br />
die erste Frau, die im Schloss von Versailles ausstellte, und die<br />
erste portugiesische Künstlerin mit einer Einzelausstellung im<br />
Guggenheim Bilbao<br />
SCHAFFT vor allem Skulpturen und Installationen, aber auch<br />
Videos, Fotografien und Performances<br />
BAUT Handarbeitstechniken wie Häkeln oder Nähen in ihre<br />
Kunst ein<br />
MARKENZEICHEN Opulente Skulpturen aus<br />
Alltagsgegenständen wie Kochtöpfen, Zierdecken oder<br />
Plastikbesteck<br />
WURDE BISHER mit über 30 Kunstpreisen ausgezeichnet<br />
ABBAS AKHAVAN: CURTAIN CALL, VARIATIONS ON A FOLLY, 2023, INSTALLATIONSANSICHT,<br />
COPENHAGEN CONTEMPORARY, DENMARK, COURTESY THE ARTIST,<br />
PHOTO: DAVID STJERNHOLM, DESIGN KEY VISUAL: RECENT PRACTICE (RECENTPRACTICE.COM)<br />
SURVIVAL<br />
IN THE<br />
21st CENTURY<br />
HALLE FÜR AKTUELLE KUNST<br />
18. MAI – 5. NOVEMBER <strong>2024</strong><br />
Credit: Joana Vasconcelos, Valkyrie Thyra, 2023.<br />
Copyright: VG Bild-Kunst, Bonn <strong>2024</strong>, www.bildkunst.de/<br />
Foto: Kapelle Schloss Gottorf, Fotograf Marcus Dewanger<br />
Walküre Thyra schwebt in der Schlosskapelle über den Köpfen der Besucher.<br />
Alltags gefertigt und bleibt somit trotz übergeordnetem Konzept besonders<br />
zugänglich und überraschend. Vasconcelos wichtigste Werte bei<br />
ihrer Kunst sind, Mitgefühl, Liebe und Toleranz, wie sie sagt.<br />
CLAUDIA ANDUJAR, UNTITLED AUS DER SERIE YANOMAMI DREAMS, 2002 (DETAIL)<br />
© CLAUDIA ANDUJAR, COURTESY GALERIA VERMELHO<br />
CLAUDIA ANDUJAR<br />
THE END OF<br />
THE WORLD<br />
PHOXXI. HAUS DER KUNST TEMPORÄR<br />
9. FEBRUAR – 11. AUGUST <strong>2024</strong><br />
Mit ihren Skulpturen und Installationen drückt die 52-jährige<br />
Portugiesin einen dezidiert feministischen Gedanken aus: Frauen können<br />
sein, was sie wollen, nicht nur das, wozu man sie bestimmt hat.<br />
Sie will dabei aber niemandem etwas aufdrängen, sondern „die<br />
Vielseitigkeit eines jeden Menschen spürbar machen“, wie sie in einer<br />
Arte-Dokumentation sagt. Nicht umsonst heißt Vasconcelos Tochter<br />
Alice, nach „Alice im Wunderland“, die sich im Buch ja auch auf<br />
einem wandelreichen Trip zu sich selbst befindet, zu ihren möglichen<br />
Formen und Identitäten, zu dem, was und wer sie sein will.<br />
Mehrdeutigkeit ist auch das Konzept von Vasconcelos Arbeiten.<br />
Privates und Öffentliches, häuslicher und städtischer Raum, das<br />
Männliche und das Weibliche, nicht zuletzt glücklich und unglücklich:<br />
Diese Dualitäten finden sich in Joana Vasconcelos Werken – um ein<br />
Bewusstsein zu schaffen für eine andere Sicht auf die Welt.<br />
Joanna Vasconcelos. Le Chateau des Valkyries läuft<br />
bis 3. November im Schloss Gottorf in Schleswig.<br />
Volker Sievert<br />
ASHLEY HANS SCHEIRL UND JAKOB LENA KNEBL,<br />
PHOTOGRAPHIE CHRISTOPHE MAOUT, COURTESY GALERIE LOEVENBRUCK, PARIS<br />
ASHLEY HANS<br />
SCHEIRL &<br />
JAKOB LENA KNEBL<br />
EINE KOOPERATION MIT DEM PALAIS DE TOKYO, PARIS<br />
SAMMLUNG FALCKENBERG, HAMBURG-HARBURG<br />
27. APRIL – 15. SEPTEMBER <strong>2024</strong><br />
61| <strong>kulturnews</strong><br />
PARTNER DER DEICHTORHALLEN<br />
MEDIENPARTNER<br />
KULTURPARTNER
Kunst + Kultur<br />
Foto: Heike Sieber<br />
Foto: dewil.ch (CC BY-NC-ND)<br />
JOHANNA ADAM<br />
„Demokratie ist wie Sport“<br />
Are we the people:<br />
Lerato Shadi,<br />
BATHO BA ME,<br />
2019, Courtesy<br />
die Künstlerin<br />
… und wir müssen müssen permanent unsere demokratischen Muskeln trainieren, sagt Johanna Adam,<br />
Kuratorin an der Bundeskunsthalle in Bonn. Und hat dazu eine hochaktuelle Ausstellung gemacht.<br />
Frau Adam, eine Umfrage der Bertelsmann Stiftung ergab im Februar:<br />
Mehr als jeder zweite junge Erwachsene vertraut der Regierung<br />
nicht, 45 Prozent misstrauen dem Parlament. Bestätigt Sie das in<br />
der Idee für Ihre Ausstellung „Für alle! Demokratie neu gestalten“?<br />
Johanna Adam: Die große Mehrheit in Europa hält die Demokratie für die<br />
beste Regierungsform, auch wenn sie nicht perfekt ist. Gleichzeitig steigt<br />
in vielen Ländern der Wunsch nach einer starken Führungsperson. Daraus<br />
lässt sich auch eines ablesen: Die vielbeschworene Krise der Demokratie<br />
ist vielmehr eine Krise der Repräsentation. Dies betrifft zum einen die<br />
Wahrnehmung der Kompetenz von Volksvertreter:innen. Es deutet aber<br />
noch auf etwas Anderes, sehr Wichtiges hin: Werden wirklich alle repräsentiert,<br />
sind alle Gruppen und Interessen ausreichend vertreten?<br />
In Zeiten großer Veränderungen wenden sich viele Leute den einfachen<br />
Ant worten rechter Parteien zu. Was kann die Kunst dagegen tun? Aktivis -<br />
tischer werden? AfD-Wählern Tickets für Museen in die Hand drücken?<br />
Adam: Es gibt immer diejenigen, die nicht mehr zu erreichen sind und<br />
jene, die indifferent sind oder die sich so sehr wünschen, einfache<br />
Lösungen für komplexe Fragen zu erhalten. An dieser Stelle können wir<br />
nichts anderes tun, als auf die unangenehme Wahrheit hinzuweisen: Der<br />
Kiosk der einfachen Antworten ist leider dauerhaft geschlossen! Wir thematisieren<br />
all dies in unserer Ausstellung aber auf spielerische Weise und<br />
laden dazu ein, sich einzubringen. Mit nachzudenken, zu diskutieren, die<br />
Zukunft unserer Demokratie mit zu gestalten. Und wir zeigen in der<br />
Ausstellung einige Beispiele demokratischer Beteiligungsprozesse, die<br />
weit über das Wählen hinausgehen.<br />
Die Ausstellung bindet zahlreiche Elemente eines Demokratietrainings<br />
ein. Müssen wir es echt wieder üben, demokratisch zu sein?<br />
Adam: Das ist leider wie beim Sport: Man muss permanent dranbleiben!<br />
Sich auszuruhen, seine demokratischen Muskeln nicht trainieren bedeutet:<br />
Nicht teilnehmen, nicht mitsprechen und das Feld den anderen –<br />
eventuell antidemokratischen – Akteuren zu überlassen.<br />
Wie sollte eine aktive Beteiligung an der Demokratie am besten aussehen?<br />
Adam: Unsere Verfassung, das Grundgesetz, sieht dafür viele unterschiedliche<br />
Möglichkeiten vor. Zur Wahl zu gehen oder sich wählen zu lassen sind<br />
ja nur Teilaspekte. Wir können Petitionen einreichen, unsere Anliegen direkt<br />
mit unseren lokalen Abgeordneten teilen, etwa bei Bürger:innen-Sprech -<br />
stunden. Wir können demonstrieren, protestieren, streiken, uns an Bürger -<br />
räten oder in kommunalen Initiativen engagieren. Das Recht auf freie<br />
Meinungsäußerung gilt im Übrigen nicht nur für die öffentliche Debatte:<br />
Ich finde es auch wichtig, privat immer wieder das Gespräch zu suchen.<br />
Auch mit Freunden und Familie bin ich nicht immer einer Meinung,<br />
schätze aber besonders das kontroverse Gespräch und bin gespannt auf<br />
Argumente, die ich noch nicht kannte. Ich habe bereits viele lehrreiche<br />
Momente in Situationen erlebt, in denen ich nicht damit gerechnet hätte.<br />
Der Ökonom Raghuram Rajan sagte letztens in einem Interview,<br />
dass die Demokratie nicht gehalten habe, was sie versprach.<br />
Brauchen wir nicht nur ein Update, wie sie in Ihrer Ausstellung<br />
sagen, sondern gleich einen Neustart?<br />
Adam: Die Demokratie hat in vielfacher Hinsicht (noch) nicht gehalten,<br />
was sie verheißen hat. Der Titel unserer Ausstellung „Für alle!“ zielt darauf<br />
ab: Löst sich dieses Versprechen für alle ein? Lange Zeit durften Frauen<br />
weder aktiv noch passiv an Wahlen teilnehmen. Menschen, die nicht die<br />
deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, haben kaum Möglichkeiten zur<br />
politischen Teilhabe, auch wenn sie in Deutschland leben, teils hier geboren<br />
sind. Und es gibt natürlich weltweite Defizite: Nicht nur die Menschen<br />
betreffend, die in autoritären Staaten leben, sondern auch Gremien, die<br />
global agieren, aber nicht demokratisch legitimiert sind. Wie zum Beispiel<br />
bei den G7-Gipfeln, wo die Regierenden der ökonomisch führenden Nationen<br />
gemeinsam Entscheidungen fällen, die schlussendlich alle betreffen.<br />
Dennoch stellt sich aus meiner Sicht die Frage: Was erwarten wir, wenn<br />
wir die Demokratie kritisieren? Die Demokratie, so wir sie leben, wurde von<br />
uns, den Menschen als System kreiert. Was nicht gut funktioniert, müssen<br />
wir gemeinsam ändern – das übernimmt niemand anderes für uns. Und dazu<br />
braucht es eben jenes Engagement, von dem wir hier sprechen.<br />
Interview: Volker Sievert<br />
Für alle! Demokratie neu gestalten läuft bis 13. Oktober.<br />
62 | <strong>kulturnews</strong>
Kunst + Kultur<br />
Zur Eröffnung ihrer Ausstellung begrüßen Gilbert & George jeden Gast persönlich,<br />
Blick in die Ausstellung Gilbert & George. Shitty Naked Human World<br />
(18.12.1994–12.3.1995)<br />
Kunst<br />
bei Würth<br />
im Freien<br />
Künzelsau<br />
Happy<br />
Birthday!<br />
Das Kunstmuseum Wolfsburg feiert seinen 30. Geburtstag. Und wie<br />
beschenkt man sich und seine Besucherinnen da am besten? Genau,<br />
mit einer großen Jubiläumsausstellung, die Highlights aus der hochkarätigen<br />
Sammlung des Hauses und zahlreiche neue Schenkungen<br />
umfasst. Es geht um Körper, Sexualität und Identitäten, familiäre<br />
Befindlichkeiten oder gesellschaftliche Werte wie Freiheit und<br />
Gleichberechtigung. Und dabei kommt man in den Genuss, die<br />
„Venus“ von Lucas Cranach dem Älteren in einer Schau mit Cindy<br />
Shermans Sexpuppen zu sehen! Welten in Bewegung läuft bis 4.<br />
August. vs<br />
Ausstellungsansicht James Turrell. The Wolfsburg Project<br />
(24.10.2009–5.4.2010) abgebildetes Werk: Bridget‘s Bardo<br />
Foto © James Turrell Foto: Florian Holzherr Foto © Gilbert & Georg Foto: Kunstmuseum Wolfsburg<br />
Frei zugänglich www.kunst.wuerth.com<br />
[]<br />
Herbert Gerisch-Stiftung<br />
und Café Harry Maasz<br />
Brachenfelder Straße 69<br />
24536 Neumünster<br />
Geö 昀 net Mi-So 12-18 Uhr<br />
www.gerisch-stiftung.de<br />
63| <strong>kulturnews</strong>
Kunst + Kultur<br />
Foto: Courtesy of the Artist and Andrew Kreps Gallery, New York, Foto: Kunning Huang<br />
Kunst als Krisenlöser<br />
Andrea Bowers<br />
Deep Green, 2023<br />
In der letzten Ausgabe der <strong>kulturnews</strong> hat Dirk Luckow, der<br />
Intendant der Deichtorhallen Hamburg, präzisiert, wie sich<br />
Kunst und die Museen heute verändert haben: „Oftmals wird<br />
heute Kunst und Fotografie nicht mehr als Selbstzweck<br />
betrachtet, sondern vielmehr als Instrument für gesellschaftlichen<br />
Wandel eingesetzt. (…) Angefangen beim Klima -<br />
wandel über Migrationsfragen bis hin zu Verschwörungs -<br />
theorien finden sich diese nicht nur in der politischen Arena,<br />
sondern auch in der Kunstwelt wieder.“ Und hier kommt die<br />
Deichtorhallen-Ausstellung zum Deichtorhallen-Zitat:<br />
Survival in the 21st Century fragt nach den Grundlagen des<br />
Lebens im Zeitalter der Polykrise: Klimawandel, digitale<br />
Revolution, wachsende Ungerechtigkeit, Krise der<br />
Demokratie, die Frage von Gemeinschaft. Mit rund 40 internationalen<br />
künstlerischen Positionen und multimedialen<br />
Installationen listet die Schau aber nicht nur Fakten des<br />
Grauens auf. Im Gegenteil: Sie will Weltentwürfe zugänglich<br />
machen, wir als konstruktive Öffentlichkeit sollen gemeinsam<br />
und voneinander lernen, in Workshops und Lectures.<br />
Das Museum wird zu einer Art Schule für das neue<br />
Jahrhundert. „Kunst ist das Medium, Überleben ist das Ziel“,<br />
heißt es. Da sind wir dabei, bis 5. November. vs<br />
Taus Makhacheva<br />
Tightrope Walker<br />
(Videostill), 2015<br />
Foto: © Courtesy the artist<br />
64 | <strong>kulturnews</strong>
Kunst + Kultur<br />
Andy Warhol und Keith Haring, undatiert, Polaroid, 10,8 x 8,35 cm<br />
Foto:The Keith Haring Foundation Collection<br />
2x Warhol<br />
Andy Warhol und seine Kunst sind in gleich zwei<br />
Ausstellungen zu sehen: Die Neue Nationalgalerie in<br />
Berlin widmet sich mit Andy Warhol. Velvet Rage and<br />
Beauty des Künstlers Suche nach einem Ideal der<br />
Schönheit (9. 6.–6. 10.). Und im Münchner Museum<br />
Brandhorst trifft das Pop-Art-Genie zum allerersten Mal<br />
überhaupt auf einen kongenialen, befreundeten<br />
Zeitgenossen: Andy Warhol & Keith Haring. Party of<br />
Life läuft vom 28. 6.–26. 1. 25. (Foto).<br />
65| <strong>kulturnews</strong>
Kunst + Kultur<br />
Foto: Ivo von Renner<br />
Rückkehr einer Gattung<br />
OPERETTE Wann waren Sie das letzte Mal in einer Operette, der „kleinen Oper“, die heutzutage im<br />
Schatten der ernsteren und respektierteren Oper steht? Genau, lange her, gibt ja auch wenige<br />
Angebote – natürlich auch, weil fast alle Komponisten der Gattung von den Nazis mitten in der zweiten<br />
Hochzeit der Operette Anfang der 1930er-Jahre vertrieben oder ermordet wurden. Das<br />
Schauspiel Stuttgart bringt am 22. Juni Hotel Savoy oder Ich hol’ dir vom Himmel das Blau zur<br />
Premiere, eine Hybridoperette, die auf dem gleichnamigen Roman des österreichischen Schriftstellers<br />
Joseph Roth beruht. Die Musicbanda Franui bearbeitet und rekomponiert dazu die größten Hits aus<br />
der Zeit zwischen 1900 und 1935. vs<br />
Der Ball rollt!<br />
FUSSBALLKULTUR In wenigen Tagen beginnt die Fußball-Europameisterschaft, und das<br />
Organisationsteam um Fußballweltmeister Philipp Lahm hat ein fettes Kulturprogramm rund um<br />
das Ereignis bezuschusst. Das Kulturprogramm selbst ist von örtlichen Einrichtungen auf die<br />
Beine gestellt worden, sei es von Bühnen oder Ausstellungshäusern, seien es Filme oder<br />
Konzerte, die sich mit Fußball<br />
auseinandersetzen. Zum Teil<br />
läuft es schon seit Monaten,<br />
doch jetzt kommt mit dem<br />
Turnier selbst auch der End -<br />
spurt im Begleit programm.<br />
Unsere Ab bildung zeigt eine<br />
Karikatur des Duos Greser/<br />
Lenz. Diese und viele weitere<br />
Kunstwerke sind bei einem<br />
Besuch des Museums<br />
Wilhelm Busch in Hanover zu<br />
sehen, wo die Ausstellung<br />
Anpfiff! Schweiß und<br />
Leidenschaft auf dem Rasen<br />
läuft. jw<br />
Abbildung: Greser und Lenz/Museum Wilhelm Busch.<br />
Fußballicon: flaticon.com<br />
Millerntor Gallery 31. 5.–2. 6.<br />
Millerntorstadion Hamburg<br />
Glaube. Liebe. Fußball div. Termine bis Juli,<br />
Düsseldorfer Schauspielhaus<br />
Anpfiff! Schweiß und Leidenschaft<br />
auf dem Rasen bis 14. 7.<br />
Museum Wilhelm Busch Hannover<br />
Radical Playgrounds: From Competition to<br />
Collaboration bis 14. 7., Berliner Festspiele<br />
Unsere Elf. Eine etwas andere Nationalhymne<br />
6., 11. + 14. 6., Schauspiel Hannover<br />
Ballett der Massen 1. 6.–14. 7.<br />
Haus der Kulturen der Welt Berlin<br />
Ein Endspiel bis 23. 6.<br />
Maxim Gorki Theater Berlin<br />
Fangesänge und Aufstiegshoffnungen<br />
7. 6.-31. 7., Theater Bremen<br />
Football moves People bis 31. 7.<br />
Kampnagel Hamburg<br />
Euro DJ-Derby bis 14. 7., Düsseldorf<br />
Bach am Ball bis 31. 7.<br />
Bach-Museum Leipzig<br />
Winner. Filminstallation von Marianna Simnett<br />
bis 31. 8. Hamburger Bahnhof Berlin<br />
Matthew Herbert: The Game.<br />
Live-Konzert und Fußballspiel 18.–21. 9.<br />
Reeperbahnfestival Hamburg<br />
66 | <strong>kulturnews</strong>
Kunst + Kultur<br />
SKULPTUREN-<br />
PARK<br />
WALDFRIEDEN<br />
in WUPPERTAL<br />
skulpturenpark-waldfrieden.de<br />
Anthony Caro. Sculptures<br />
2.3. bis 14.07. <strong>2024</strong><br />
Berta Fischer<br />
27.07.<strong>2024</strong> bis 1.1.<strong>2024</strong><br />
Eduardo Paolozzi<br />
27.07.<strong>2024</strong> bis 1.1.<strong>2024</strong><br />
Foto: FKP Scorpio<br />
Pride Special<br />
SHOW „Princess Charming“ ist in Deutschland die erste lesbische<br />
Datingshow überhaupt gewesen. Doch während auf RTL+ bereits die<br />
dritte Staffel der Show läuft, gehen mit Miriam Bouaouina und Irina<br />
Schlauch die Stars der ersten Staffel live auf Tour – begleitet werden<br />
sie von Ricarda Hofmann, dem Host des Podcasts „Busenfreundin“.<br />
Zu dritt kommen sie mit ihrer „Pride Special <strong>2024</strong>“-Tour in die Städte<br />
München, Köln und Hamburg, wenn dort über mehrere Tage der CSD<br />
gefeiert wird: #LoveisLive heißt ihre Show und feiert die lesbische<br />
Liebe.<br />
Hirschstraße 12 · 42285 Wuppertal · 0202 47898120<br />
Sean Scully, Wall of Light Cubed, 2020 © courtesy the artist, Foto Michael Richter<br />
23. 6. München, 19. 7. Köln, 1. 8. Hamburg<br />
Foto: Kristin Schmidt<br />
Chemnitz kulturell<br />
FESTIVAL 2025 ist Chemnitz Kulturhauptstadt Europas. Und auch<br />
jetzt schon zeigt sich die drittgrößte Stadt Sachsens von ihrer kulturellen<br />
Seite. Der Chemnitzer Parksommer bietet vom 18. Juni bis 21.<br />
Juli vier Wochen lang im Stadthallenpark ein abwechslungsreiches<br />
Programm zwischen Klassik, Jazz, Singer/Songwriter, Poetry-Slam<br />
oder Yoga. Die gechillten Besucher lauschen den Konzerten auf der<br />
Picknickdecke oder im Liegestuhl. vs<br />
67| <strong>kulturnews</strong>
Klubs + Konzerte<br />
FESTIVALS<br />
Würth Open Air<br />
Ob Jung oder Alt: Verschiedenste Generationen werden<br />
Jahr für Jahr auf dem Festivalgelände des Würth Open Air<br />
vereint, um unter freiem Himmel bei bester Stimmung und<br />
in schöner Gesellschaft Pop und Rock zu genießen. Neben<br />
Superstars wie Nico Santos, Leony, Ronan Keating oder<br />
Suzi Quatro wird Lena, die Gewinnerin des Eurovision<br />
Song Contest 2010, die baden-württembergische Bühne<br />
abreißen. Mit ihrer neuen Single „Loyal to myself“ bleibt<br />
Lena sich selbst treu und startet mit „neuen Gedanken,<br />
neuer Energie und neuem Mut“ in das Jahr <strong>2024</strong>, so die<br />
Popsängerin.<br />
Foto: Yan Wasiuchnik<br />
StrandGut Resort Acoustic Sessions<br />
Foto: Morgan Coates<br />
Levke, wenn die StrandGut Acoustic Sessions ein Gericht wären,<br />
welches wäre es?<br />
Levke Kranzusch: Eine bunte, vegane, regionale Vorspeise.<br />
Was macht euer Festival so speziell?<br />
Kranzusch: Wir pflegen schon seit Jahren persönliche, freundschaftliche<br />
Beziehungen zu allen Künstler:innen, die bei uns auftreten.<br />
Die Musiker kommen zu uns ins StrandGut Resort an die<br />
Nordsee, um den Kopf frei zu bekommen, auf neue Gedanken und<br />
Ideen zu kommen, sich kreativ auszutoben, aber insbesondere, um<br />
neue Songs zu schreiben oder für ihre Touren zu proben. Wir sind<br />
für viele mittlerweile eine richtige kreative Heimat geworden, und<br />
diese persönliche Nähe spürt man bei unseren Konzerten sehr.<br />
Klein, intim, einfach etwas ganz Besonderes.<br />
Gibt es bei euch ein besonderes Bühnenkonzept?<br />
Kranzusch: Die Konzertfläche und somit auch die Bühne befindet<br />
sich direkt vor der malerischen Dünenlandschaft von St. Peter-<br />
Ording. Eine unvergessliche Kulisse ist also garantiert.<br />
Wenn du dir einen Headliner – egal ob lebend oder bereits verstorben<br />
– für euer Festival aussuchen dürftest, wer wäre das?<br />
Kranzusch: Paul McCartney.<br />
Gibts es noch etwas, das du gerne loswerden würdest?<br />
Kranzusch: All you need is love
Klubs + Konzerte<br />
FESTIVALS<br />
STADTPARK<br />
OPEN AIR<br />
<strong>2024</strong><br />
PICKING UP GOOD TUNES<br />
SINCE 1975<br />
Foto: MANICPROJECT<br />
3 FRAGEN AN …<br />
I Don’t Know How<br />
But They Found Me<br />
Dallon Weekes alias IDKHOW wird vom<br />
Teufel verfolgt – hoffentlich hängt er ihn fürs<br />
Hurricane/Southside einmal ab.<br />
Dallon, bei deinem neuen Album „Gloom Division“ hast du dir alle<br />
Mühe gegeben, eindeutige Fremdzuschreibungen unmöglich zu<br />
machen. Du spielst mit 70er-Glam- und Yachtrock, orchestriertem<br />
Soul, Pop und Postpunk.<br />
Dallon Weekes: Als ich in meinen frühen Zwanzigern das erste Mal<br />
Elvis Costellos „This Year’s Model“ gehört habe, war ich nur so: Was<br />
ist das? Dieses „Was ist das?“ ist die perfekte Reaktion auf ein Album.<br />
Nach dem dritten Hör durchgang war ich dann verliebt.<br />
Eine düstere Figur, die dich durchs Album begleitet, ist der Teufel.<br />
Bist du religiös?<br />
Weekes: Ich war seit Jahren nicht in der Kirche, bin aber sehr religiös<br />
aufgewachsen. Allerdings habe ich nie einen Draht zu den Leuten aus<br />
der Gemeinde gefunden. Mein Liberalismus hat nicht in diese konservative<br />
Welt gepasst.<br />
Gibt es Momente aus dieser Zeit, deren Bedeutung dir erst als<br />
Erwachsener bewusst geworden ist?<br />
Weekes: Mit 19 war ich Teil einer Missionargruppe. Typen in weißen<br />
Hemden, die an Türen klopfen? Das war ich für zwei Jahre. Heute<br />
denke ich anders darüber: Menschen zu evangelisieren, ist wie kultureller<br />
Kolonialismus. Leute haben Steine und Flaschen nach uns<br />
geworfen, unsere Fahrräder kaputtgemacht. Das war schon hart, hat<br />
mich aber gut aufs Musikbusiness vorbereitet. (lacht)<br />
Interview: Felix Eisenreich<br />
Hurricane 21.–23. 6. | Scheeßel<br />
Southside 21.–23. 6. | Neunhausen ob Eck<br />
Ed Sheeran | K.I.Z | Avril Lavigne | Idles | Ski Aggu | IDKHOW<br />
<strong>kulturnews</strong> | 69<br />
08.<strong>06</strong>. THE SMILE<br />
12.<strong>06</strong>. ALICE COOPER<br />
18.<strong>06</strong>. DROPKICK MURPHYS<br />
22.<strong>06</strong>. LABRASSBANDA<br />
23.<strong>06</strong>. LÜTT IM PARK DAS KINDERMUSIK OPEN AIR<br />
28.<strong>06</strong>. DIANA KRALL (BESTUHLT)<br />
29.<strong>06</strong>. EROBIQUE<br />
03.07. GOSSIP<br />
11.07. STEVE HACKETT (BESTUHLT)<br />
15.07. DAVE STEWART EURYTHMICS<br />
16.07. SEAN PAUL<br />
18.07. ZIGGY ALBERTS<br />
29.07. THE DIRE STRAITS EXPERIENCE (BESTUHLT)<br />
NICK MASON’S<br />
SAUCERFUL OF SECRETS<br />
31.07. (BESTUHLT)<br />
09.08. BEST OF POETRY SLAM<br />
11.08. LICHTERKINDER<br />
20.08. OFF DAYS: MARC REBILLET & FLYING LOTUS<br />
21.08. OFF DAYS: RÓISÍN MURPHY & PEACHES<br />
30./31.08. HELGE SCHNEIDER<br />
01.09. THE TESKEY BROTHERS<br />
04.09. RONAN KEATING<br />
05.09. HEAVEN CAN WAIT CHOR<br />
TICKETS: (0 40) 4 13 22 60 \ KJ.DE \ TICKETS@KJ.DE<br />
STADTPARKOPENAIR.DE<br />
@stadtparkopenair
Klubs + Konzerte<br />
FESTIVALS<br />
Foto: Heilemania<br />
Folkfield<br />
Eigentlich wollte die bayrische Mittelalterrockband Schandmaul<br />
bereits letztes Jahr mit Fans und Freunden ihr 25-jähriges<br />
Bühnenjubiläum feiern, als bei Frontmann und Sänger Thomas<br />
Lindner ein Karzinom im Rachenraum festgestellt wurde. Kurzerhand<br />
wurden die Feierlichkeiten abgeblasen und das von Schandmaul<br />
(Foto) gehostete Folkfield-Festival um ein Jahr verschoben. Gut<br />
gelaunt und frisch genesen geht es also dieses Jahr zur<br />
Jubiläumsparty. Die Gäste bleiben die gleichen, und Besucher:innen<br />
können sich auf weitere Szenegrößen wie Versengold, Subway To<br />
Sally und Rauhbein freuen.<br />
13. + 14. 9. Gelsenkirchen, Amphitheater Gelsenkirchen<br />
Festivalsommer<br />
auf Malta<br />
Wo steht eigentlich geschrieben, dass Festivals immer auf brandenburgischen<br />
Flugplätzen stattzufinden haben? Und wer will nach einer<br />
durchzechten Nacht noch in einen Baggersee springen, wenn es auch<br />
das Mittelmeer sein kann? War Malta bislang für kristallklares Wasser,<br />
ununterbrochenen Sonnenschein und die malerische Hafen- und<br />
Hauptstadt Valetta bekannt, mausert sich der kleine europäische Insel -<br />
staat gerade klammheimlich zum Hotspot gegenwärtiger Musik -<br />
kulturen. So besticht etwa das Malta Jazz Festival mit unvergesslichen<br />
Musiknächten im pittoresken Valletta, eingerahmt von historischen<br />
Palästen und prachtvollen Kirchen. Für alle, die es gerne etwas<br />
schneller haben, liefern der World Club Dome sowie das Lost & Found<br />
den perfekten Sound von EDM bis zu handverlesenem UK-Rave. Und<br />
die MTV Malta Music Week füllt die Rock- und Poplücke zwischen<br />
Elektro und Jazz.<br />
WEITERE FESTIVALS AUF MALTA<br />
Malta Jazz Festival 8.–13. 7.<br />
Isle of MTV Malta 16. 7.<br />
MTV Malta Music Week 16.–21. 7.<br />
World Club Dome Island Edition Malta 2.–4. 8.<br />
Lost & Found Festival TBA<br />
Earth Garden Festival 6.–9. 6.<br />
Foto: Lost and Found - 2019 by Luke Dyson<br />
70 | <strong>kulturnews</strong>
Foto: Beach Motel<br />
SPO³<br />
Festival<br />
Klubs + Konzerte<br />
FESTIVALS<br />
Matze Empen<br />
Hoteldirektor<br />
Foto: Carolin Wehmer<br />
Matze, was macht euer Festival so speziell?<br />
Matze Empen: „Drei Tage am Meer und ich weiß wieder, wer<br />
ich bin“, heißt es so schön in einem bekannten Popsong.<br />
Der endlos weite Sandstrand, die Dünen landschaft und die<br />
rauen Wellen der Nordsee. Kann es einen Ort geben, der<br />
sich zum Abschalten besser eignet als St. Peter-Ording? Für<br />
fulminante Festivals ist der Kurort zwar noch nicht<br />
bekannt, das wollen wir aber ändern. Drei Hotels, das<br />
Urban Nature, das StrandGut Resort und das Beach Motel<br />
SPO, haben sich diesem Auftrag verschworen und möchten<br />
dem Ort ein wildes Wochenende spendieren.<br />
Gibt es bei eurem Festival Angebote abseits der Musik?<br />
Empen: Die Tage werden neben dem musikalischen Teil<br />
noch ausgeschmückt mit einem spannenden kulinarischen<br />
Angebot, so sind nach heutigem Planungsstand z.B. BBQs<br />
geplant. Ferner wird es Naturführungen geben, die den<br />
Bezug und die Nähe zum Weltnaturerbe Wattenmeer aufgreifen<br />
und nochmal unterstreichen werden.<br />
Gibt’s noch etwas, das du gerne loswerden würdest?<br />
Empen: Wir haben Bock – oder wie Lemmy sagen würde:<br />
„We are Motörhead und we play Rock’n’Roll.“ Aber kein<br />
Sorge: Es wird musikalisch nicht nur auf die Ohren geben,<br />
wir sind sehr bemüht, mit viel Fingerspitzengefühl die breite<br />
Masse mitzunehmen, und möchten viele Genres bespielen<br />
und musikalische Leckerbissen mit euch teilen.<br />
<strong>kulturnews</strong> | 71<br />
<br />
DORIAN<br />
ELECTRA<br />
<br />
TROYE<br />
SIVAN<br />
<br />
POLYPHIA<br />
<br />
MAMMOTH<br />
WVH<br />
<br />
ALEXANDER<br />
STEWART<br />
<br />
BETTER<br />
LOVERS<br />
<br />
THE ARMED<br />
<br />
WAXAHATCHEE<br />
<br />
NICK CARTER<br />
<br />
ARAB STRAP<br />
<br />
<br />
ICHIKO<br />
AOBA<br />
<br />
JORGE<br />
DREXLER<br />
<br />
JXDN<br />
<br />
NAOMI JON<br />
<br />
LUKA<br />
BLOOM<br />
<br />
STAND<br />
ATLANTIC<br />
<br />
NORTHLANE<br />
<br />
FINAL<br />
STAIR<br />
<br />
ANNA<br />
ERHARD<br />
<br />
LUVRE47<br />
<br />
PURPLE DISCO<br />
MACHINE<br />
<br />
THE SWEET<br />
<br />
UNPROCESSED<br />
<br />
CARAVAN<br />
PALACE<br />
<br />
CHRISTOPHER<br />
<br />
LIZZ<br />
WRIGHT<br />
<br />
BILLY<br />
LOCKETT<br />
<br />
THE BYGONES<br />
<br />
STONED<br />
JESUS<br />
<br />
GREGOR<br />
HÄGELE<br />
<br />
PHILIPP<br />
POISEL<br />
<br />
NENA<br />
<br />
PAT<br />
METHENY<br />
SOLO<br />
<br />
AZET<br />
<br />
THE<br />
KILKENNYS<br />
<br />
ARXX<br />
<br />
SUMMER<br />
CEM<br />
<br />
GAVIN<br />
DEGRAW<br />
<br />
MARCUS KING<br />
<br />
LUNE<br />
<br />
CÉCILE<br />
MCLORIN<br />
SALVANT<br />
<br />
ÜBERJAZZ<br />
FESTIVAL<br />
<br />
BEARTOOTH<br />
<br />
PALACE<br />
<br />
WOLFGANG<br />
HAFFNER<br />
<br />
ROBERT<br />
GLASPER<br />
<br />
JACOB<br />
COLLIER<br />
<br />
SLEEP TOKEN<br />
<br />
BETH HART<br />
<br />
KLAUS<br />
HOFFMANN<br />
& BAND<br />
<br />
SAGA<br />
<br />
<br />
ILSE DELANGE<br />
TICKETS: KJ.DE
Klubs + Konzerte<br />
SA. 19.10.24 HAMBURG<br />
BARCLAYS ARENA<br />
Italo Nacht<br />
Crucchi Gang feat. Jeremias Heimbach,<br />
Lina Maly, Steiner & Madlaina<br />
30.7. Lübeck, Kulturwerft Gollan<br />
www.werftsommer.de<br />
Werft<br />
sommer<br />
Foto: Deanie Chen<br />
Lawrence<br />
Persönlich, warm, echt: Was familiengeführten Unternehmen oft nachgesagt<br />
wird, trifft in diesem Fall wirklich zu. Der von Stevie Wonder,<br />
Randy Newman und Aretha Franklin inspirierte Soulpop von Gracie und<br />
Clyde Lawrence hat das in New York aufgewachsene Geschwisterduo<br />
mittlerweile um die ganze Welt und in die größten Late-Night-Shows<br />
der USA geschickt. Und gelernt haben Gracie und Clyde bei den<br />
besten: Erst kürzlich sind sie von einer gemeinsamen Tour mit den<br />
Jonas Brothers zurückgekehrt, die bereits Mitte der Nullerjahre vorgemacht<br />
haben, wie ein musikalisches Familienunternehmen gelingen<br />
kann. Erweitert durch sechs weitere Ausnahmemusiker:innen steht<br />
Lawrence mittlerweile auf sicheren Beinen, und der 40-tägigen, internationalen<br />
„Family Business“-Tour steht nichts mehr im Wege.<br />
16. 7. Köln, Gloria Theater | 17. 7. Kassel, Kulturzelt<br />
18. 7. Stuttgart, Jazzopen | 20. 7. Hamburg, Mojo Club<br />
21. 7. Berlin, Columbia | 23. 7. München, Strom<br />
24. 7. Würzburg, Hafensommer | 25. 7. Jena, Kulturarena<br />
72 | <strong>kulturnews</strong>
Klubs + Konzerte<br />
CHECK-BRIEF<br />
The Cult<br />
Foto: Jackie R. Middleton<br />
GESANG Ian Astbury GITARRE Billy Duffy<br />
BASS Charlie Jones (seit 2020) DRUMS John Tempesta (seit 20<strong>06</strong>)<br />
KEYBOARDS Mike Mangan (seit 2022)<br />
GEGRÜNDET 1984<br />
HERKUNFT England<br />
EHEMALS The Southern Death Cult und Death Cult<br />
GENRE Hardrock, Postpunk, Gothic<br />
GELTEN ALS „schamanische Gruftis“<br />
DEBÜTALBUM „Dreamtime“ (1984)<br />
AKTUELLES RELEASE „Under The Midnight Sun“ (2022)<br />
GRÖSSTE HITS „She Sells Sanctuary“, „Rain“<br />
FUN FACT Es gibt über 20 ehemalige Bandmitglieder<br />
LIVE 31. 7. Berlin, Huxley’s neue Welt<br />
4. 8. Köln, Carlswerk Victoria | 8. 8. Hamburg, Große Freiheit 36<br />
Aura<br />
Dione<br />
Nicht selten übernehmen<br />
sich Singer/Song writer:in -<br />
nen mit überambitionierten<br />
Kon zepten. Ein guter<br />
Song ist in allererster<br />
Linie eines: ein Song.<br />
Alle Komplexitäten und<br />
Metaebenen täuschen<br />
nicht über ein schwachen<br />
Lied hinweg. Und<br />
so gilt für den dänischen<br />
Popstar Aura Dione die Maxime: Keep it simple! „Wenn sich ein Song<br />
leicht auf der Gitarre spielen lässt, weiß man, dass er gut ist“, erklärt die<br />
38-Jährige. Ein Grundsatz, den die Dänin von ihrem Vorbild Bob Dylan<br />
übernommen hat, der bereits für Hits wie „Friends“, „Geronimo“ oder „I<br />
will love you Monday“ gesorgt hat und auch wieder ihrem kommenden<br />
Album „Mirrorball of Hope“ zugrunde liegen wird.<br />
3. 10. Hannover, Pavillon | 4. 10. Köln, Kulturkirche<br />
5. 10. Bochum, Christuskirche | 6. 10. Frankfurt, Batschkapp<br />
7. 10. München, Ampere | 8. 10. Filderstadt, Filharmonie<br />
10. 10. Erfurt, Alte Oper | 11. 10. Berlin, Quasimodo<br />
12. 10. Osterholz-Scharmbeck, Stadthalle<br />
13. 10. Hamburg, Laeiszhalle (Kleiner Saal)<br />
Foto: A.S.S. Concerts<br />
Werft<br />
sommer<br />
Fatoumata<br />
Diawara<br />
Queen of Afropop<br />
31.7. Lübeck, Kulturwerft Gollan<br />
www.werftsommer.de<br />
<strong>kulturnews</strong> | 73
Klubs + Konzerte<br />
Gogol Bordello<br />
Auf den ersten Blick ist Gogol Bordello eine abgedrehte achtköpfige<br />
Band, die die traditionelle Musik der Roma mit Punk und Dub wild<br />
vermischt. Ein Nischenprojekt? Keineswegs. Produzentenlegenden<br />
wie Rick Rubin oder Steve Albini haben bereits mit der, wie sie sich<br />
selbst nennt, „Gypsy-Punkband“ zusammengearbeitet, und sogar<br />
Madonna hat die New Yorker bei ihrem Film „Filth and Wisdom“ mitwirken<br />
lassen. Doch am wohlsten fühlt sich die Band immer noch auf<br />
der Bühne, wie Frontsänger Eugene Hütz erklärt: „Am Ende unserer<br />
Konzerte kommen die Leute oft zu uns und sagen, sie waren frei von<br />
all dem Mist, den man sonst die ganze Zeit im Kopf hat. Also, herzlich<br />
willkommen, sei unser Gast!" Diese Einladung schlagen wir auf<br />
keinen Fall aus.<br />
14. 7. Krefeld, Kulturfabrik<br />
16. 7. Dresden, Alter Schlachthof | 20. 7. Berlin, Huxleys<br />
Foto: Sanjay Suchak<br />
CHECK-BRIEF<br />
HEAVN<br />
GESANG, GITARRE Marijn van der Meer KEYS Jorrit Kleijnen<br />
LIVEBAND Bram Doreleijers (Gitarre), Mart Jeninga (Bass),<br />
David Broeders (Drums)<br />
HERKUNFT Amsterdam<br />
GENRE Ambient<br />
SOUND inspiriert von Jorrits Tätigkeit als Filmkomponist und geprägt<br />
von Marjins beruhigender Stimme: cinematisch gleitender Indie-Ambient<br />
DEBÜTALBUM „Eyes Closed“ (2018) – aufgenommen mit einem<br />
Streicherorchester<br />
VORBILDER Leonard Cohen, Bon Iver, Bruce Springsteen, Sting, Ray<br />
LaMontagne, Thomas Newman und Hans Zimmer<br />
LIVE 9. 10. Hamburg, Laeiszhalle | 10. 10. Berlin, Admiralspalast<br />
11. 10. Leipzig, Felsenkeller | 12. 10. Köln, Stadthalle<br />
14. 10. Dresden, Reithalle | 15. 10. München, Muffathalle<br />
16. 10. Essen, Lichtenberg | 17. 10. Frankfurt, Batschkapp<br />
Foto: Kelly Alexandre<br />
Nick Mason’s Saucerful Of Secrets<br />
Auch wenn heute nicht mehr alle Mitglieder von Pink Floyd so<br />
recht zurechnungsfähig zu sein scheinen, ist doch der kulturelle<br />
Wert der Psyrockband bis heute unumstritten. Mit David Gilmour<br />
und Nick Mason gibt es schließlich immerhin noch zwei ganz<br />
wunderbare ehemalige Pink-Floyd-Mitglieder. Und während<br />
Gilmour aktuell sogar an neuen Soloprojekten arbeitet, hat es<br />
sich Mason bereits vor Jahren zur Aufgabe gemacht, das Früh -<br />
werk ihrer einstigen Band in Ehren zu halten und auf Bühnen<br />
zu bringen. „Als ich vor sechs Jahren wieder hinter dem Schlag -<br />
zeug saß und wir anfingen, das frühe Pink-Floyd-Material zu<br />
spielen, war das in vielerlei Hinsicht ein echtes Vergnügen. Viele<br />
der Stücke waren noch nie live gespielt worden, und es hat uns<br />
allen sehr viel Spaß gemacht, sie auf der ganzen Welt aufzuführen.<br />
Die Möglichkeit zu bekommen, für eine weitere Tournee<br />
zurückzukehren, ist etwas, auf das die Band und ich gehofft<br />
hatten, also fühlt es sich gut an, zu sagen: Wir sind zurück!“,<br />
so Mason voller Vorfreude über seine anstehende Tour.<br />
Foto: Patrick Balls/Martin Griffith<br />
7. 7. Leipzig, Haus Auensee | 8. 7. Stuttgart, Liederhalle | 9. 7. München, Tollwood Festival<br />
27. 7. Köln, Roncalli Platz | 28. 7. Breitenbach, Herzberg Festival<br />
30. 7. Berlin, Tempodrom | 31. 7. Hamburg, Stadtpark Open Air | 1. 8. Frankfurt, Jahrhunderthalle<br />
74 | <strong>kulturnews</strong>
Klubs + Konzerte<br />
„Such dir von<br />
deinen Träumen<br />
den größten aus/<br />
Schreib mit dem<br />
Edding deinen<br />
Namen drauf!“<br />
aus: „Wie ein Mädchen“ von Sophia<br />
01.<strong>06</strong>. UK SUBS<br />
SUPPORT: NASTY RUMORS<br />
01.<strong>06</strong>.<br />
UK SUBS<br />
AFTER SHOW PARTY<br />
02.<strong>06</strong>. ALAIN FREI<br />
04.<strong>06</strong>. 50+2 PODCAST LIVE<br />
05.<strong>06</strong>. HAZMAT MODINE<br />
<strong>06</strong>.<strong>06</strong>. PLEWKA & SCHMEDTJE<br />
07.<strong>06</strong>. THE CONGOS &<br />
THE GLADIATORS<br />
08.<strong>06</strong>. HAMBURGS GROẞE<br />
ü40 PARTY<br />
12.<strong>06</strong>. LOS VAN VAN<br />
JUNI<br />
AUSWAHL<br />
16.<strong>06</strong>. MUSIKCOCKTAIL DER<br />
SANKT-ANSGAR-SCHULE<br />
Foto: Phil Hessler<br />
Sophia<br />
7. 10. Dortmund, FZW Halle | 8. 10. Hannover, Musikzentrum<br />
9. 10. Bremen, Kulturzentrum Schlachthof e.V.<br />
11. 10. Hamburg, Gruenspan | 12. 10. Leipzig, Täubchenthal<br />
14. 10. Stuttgart, Im Wizemann | 15. 10. Köln, Die Kantine<br />
17. 10. Frankfurt, Zoom | 18. 10. Berlin, Hole44<br />
19. 10. München, TonHalle<br />
24.<strong>06</strong>. TOAST HAWAII PODCAST LIVE<br />
28.<strong>06</strong>. BOOMER-PARTY<br />
PARTY-MIX: 70ER – 90ER<br />
30.<strong>06</strong>. METHODISCH INKORREKT<br />
11.07. SINA BATHAIE<br />
13.07. THE MIDNIGHT<br />
16.07. GROUNDATION<br />
20.07. MANFRED MANN’S<br />
EARTH BAND<br />
23.07. THE HOOTERS<br />
08.08. THE HAMBURG BOOGIE<br />
WOOGIE CONNECTION<br />
18.08. HAMBURGER<br />
STADTMEISTERSCHAFTEN<br />
POETRY SLAM – FINALE<br />
Alle Termine und aktueIle Informationen<br />
zu unseren Veranstaltungen im Web:<br />
FABRIK.DE<br />
BARNERSTR. 36 · 22765 HH · TEL: 39 10 70<br />
<strong>kulturnews</strong> | 75
Klubs + Konzerte<br />
Deep Purple<br />
Deep Purple gehören zu der Riege unermüdlicher Rocklegenden, die<br />
nicht zu altern scheinen. Grund dafür ist zum einen das regelmäßige<br />
Touren und zum anderen Neubesetzungen wie etwa die jüngste<br />
durch den Mitvierziger Simon McBride. Bei einer Band mit dem<br />
Durchschnittsalter von 77 Jahren ist der Gitarrist geradezu ein<br />
Jungbrunnen. Obwohl der Auslöser für den Austausch von Steve<br />
Morse keineswegs selbstgewählt war. „Steve musste sich aus der<br />
Band zurückziehen, weil er sich um seine sehr kranke Frau ge -<br />
kümmert hat“, verrät Bassist und Co-Produzent Roger Glover im<br />
April 2023 in einem Radiointerview. „Und so haben wir einen<br />
neuen Gitarristen in der Gruppe namens Simon McBride. Das ist<br />
eine komplett neue Erfahrung. Ich meine: Wir sind eine andere<br />
Band dadurch. Auf gewisse Weise müssen wir Veränderung an -<br />
nehmen. Man kann nicht ein und dieselbe Sache immer wieder<br />
machen.“<br />
18. 7. Salem, Schloss Salem | 19. 7. Dresden, Elbufer<br />
21. 7. Winterbach, Zeltspektakel<br />
19. 10. Berlin, Max Schmeling-Halle | 20. 10. Erfurt, Messehalle<br />
22. 10. Mannheim, SAP Arena<br />
23. 10. München, Olympiahalle | 25. 10. Essen, Grugahalle<br />
Foto: Jim Rakete<br />
„The temperature is<br />
rising on this hell-hole/<br />
I know you know/<br />
The rich are full from<br />
trampling over bodies/<br />
I know you know“<br />
aus „Time“ von Missio“<br />
Missio<br />
21. 6. Köln, Luxor<br />
26. 6. München, Strom<br />
27. 6. Berlin, Frannz Club<br />
Foto: Ima Leupp<br />
Nathaniel Rateliff &<br />
The Night Sweats<br />
Foto: Danny Clinch<br />
Nathaniel Rateliff denkt gar nicht daran, die Narben auf seiner Seele zu verheimlichen.<br />
Dafür ist ihm seine Musik viel zu kostbar: „Meine Songs handeln<br />
von den Kämpfen, die ich in meinem Leben hatte. Zu viel trinken, dieser<br />
ganze Mist“, erklärt der Folk- und Bluesmusiker aus Missouri ganz offen. Ist<br />
Rateliff solo unterwegs, leben die Konzerte vom eher folkigen Charakter seiner<br />
Stücke, dem zurückhaltenden Gitarrenspiel und dem Schmelz in Rateliffs<br />
Stimme. Kommt er aber mit den Night Sweats, ist ekstatische Soulfulness<br />
garantiert. Unterstützt von zwei bis drei Bläsern, bringt die achtköpfige Combo<br />
einen satten Sound auf die Bühne, während Rateliff mit seiner souligen<br />
Röhre überrascht. Je mehr, desto besser? Zumindest kann Rateliff sein Leid<br />
dann teilen.<br />
19. 6. Berlin, Kesselhaus | 3. 7. Köln, Gloria<br />
8. 7. München, Backstage Werk<br />
76 | <strong>kulturnews</strong>
Klubs + Konzerte<br />
CHECK-BRIEF<br />
The Midnight<br />
GESANG Jamison Tyler Lyle<br />
PRODUKTION Tim Daniel McEwan<br />
GEHEIMTIPP<br />
Foto: FKP Scorpio<br />
HERKUNFT Los Angeles<br />
GENRE Retrowave<br />
SOUND nspiriert vom „Drive“-Soundtrack und „Blade<br />
Runner“-Retrofuturismus<br />
LEITGEDANKE „mono no aware“<br />
(japanische Melancholie-Ästhetik)<br />
DEBÜTALBUM „Days of Thunder“ (2014)<br />
AKTUELLES RELEASE „Red, White and Bruised:<br />
The Midnight Live“ (2023)<br />
CHARAKTERISTISCH 80s-Drums gepaart mit<br />
Saxophon-Soli<br />
LIVE 13. 7. Hamburg, Fabrik<br />
18. 7. Berlin, Astra Kulturhaus<br />
Steve Hackett<br />
Wird von Genesis gesprochen, geht es meist um Peter Gabriel und<br />
Phil Collins. Natürlich hatte die britische Prog-Rockband einige<br />
Besetzungswechsel, doch vergesst uns bitte nicht Steve Hackett!<br />
Schließlich hat der Londoner mit seinem einzigartigen Gitarrensound<br />
an sechs Studioalben maßgeblich mitgewirkt und ist bis heute fleißig<br />
am Produzieren und noch fleißiger am Touren: Mit seiner anstehenden<br />
„Genesis Greats, Lamb Highlights & Solo“-Tour holt Hackett<br />
zum Rundumschlag aus, feiert das 50-jährige Jubiläum von<br />
„The Lamb lies down on Broadway“, spielt ein handverlesenes<br />
Genesis-Best-of und gibt sein aktuelles<br />
Album „The Circus and the Nightwhale“ zum<br />
Besten.<br />
11. 7. Hamburg, Stadtpark<br />
13. 7. Leipzig, Parkbühne<br />
16. 7. Dresden, Ostrapark<br />
18. 7. Nürnberg, Serenadenhof<br />
19. 7. Winterbach, Zeltspektakel<br />
20. 7. St. Goarshausen,<br />
Night of the Prog Festival<br />
Foto: Lee Millward<br />
<strong>kulturnews</strong> | 77
Klubs + Konzerte<br />
Marc Broussard<br />
Marc Broussard ist unterwegs im Namen der guten<br />
Sache: Der Bayou-Soul-Meister aus dem Mississippi-<br />
Delta ist mit seinem traditionellen Mix aus Funk,<br />
Blues, R’n’B und Rock auf Tour. Mit dabei sein aktuelles<br />
Album „S.O.S. 4: Blues for your Soul“, der vierte<br />
Teil seiner Charity-Albumreihe. Die Tantiemen dieser<br />
Alben gehen zum Großteil an Wohltätigkeits -<br />
organisationen wie etwa an die City of Refuge, die versucht,<br />
Obdachlosigkeit und Armut zu bekämpfen.<br />
Dafür zahlen wir sogar doppelt!<br />
Foto: Jeff Fasano<br />
4. 10. München, Freiheitshalle<br />
5. 10. Winterbach, Lehenbachhalle<br />
6. 10. Mainz, Frankfurter Hof<br />
8. 10. Köln, Kulturkirche<br />
15. 10. Hamburg, Fabrik | 16. 10. Berlin, Lido<br />
L’Impératrice<br />
Die Musikindustrie ist ein Business, das zu gut 90 Prozent aus Männern<br />
besteht. Für Frauen wie Flore Benguigui sei es meistens schwieriger,<br />
sich in einer solchen Umgebung durchzusetzen, obwohl sie auf den<br />
Bühnen zwischen fünf Männern steht. Das berichtet die Leadsängerin<br />
Benguigui der sechsköpfigen Band L’Impératrice. Sexismus und viele<br />
weitere politische Themen werden in ihren Songs ausgiebig verhandelt.<br />
Während die groovigen Melodien locker-leicht durch unsere Ohren tanzen,<br />
stehen die jeweiligen Texte im klaren Kontrast zu den augenscheinlichen<br />
Chansons Joyeuses. Insbesondere, wenn man nicht<br />
Französisch spricht, denn das mitreißende Disco- und French-Funk-<br />
Feeling übermittelt die Pariser Band in ihrer Muttersprache.<br />
27. 10. Köln, Carlswerk Victoria<br />
1. 12. Hamburg, Grosse Freiheit | 8. 12. Berlin, Columbiahalle<br />
Foto: Augustin JSM<br />
The Armed<br />
Für die Post-Hardcore- und Punkband aus Detroit gibt es eine<br />
Maxime: Think big! So kommentiert Sänger Tony Wolski das jüngste<br />
Album, den Nachfolger der gefeierten Durchbruchplatte „Ultrapop“<br />
wie folgt: „,Perfect Saviors‘ ist unser völlig unironischer, aufrichtiger<br />
Versuch, das größte und beste Rockalbum des 21. Jahrhunderts zu<br />
schaffen.“ Ein gesundes Ego, das dem selbstbewusst radikalen Sound<br />
von The Armed mehr als gut zu Gesicht steht. Dabei dürfte es „Perfect<br />
Saviors“ nicht unbedingt so leicht haben, ist das Album doch ein<br />
Abgesang auf die Popkultur und eine Absage an all ihre<br />
Verwertungszwänge. Mit Airplays dürfte es demnach schwer werden.<br />
Bleibt nur noch das Livegeschäft – und das beherrschen The Armed<br />
ohnehin am besten.<br />
8. 7. Hamburg, Knust | 9. 7. Berlin, Hole44<br />
Foto: Aaron Jones<br />
78 | <strong>kulturnews</strong>
Klubs + Konzerte<br />
reservix.de<br />
dein ticketportal<br />
Wiener Johann<br />
Strauss Orchester<br />
04. – 08.02.25<br />
Elbphilharmonie<br />
Hamburg<br />
Emilíana Torrini<br />
08.10.24<br />
Elbphilharmonie<br />
Hamburg<br />
Foto: Hannah Leitsch<br />
Kayef<br />
Für den 29-jährigen Düsseldorfer ist DIY nicht bloß eine hohle Phrase.<br />
Im Alter von 18 Jahren hat Kai Fichter, wie Kayef mit bürgerlichem<br />
Namen heißt, alles auf eine Karte gesetzt: raus aus dem Elternhaus,<br />
raus aus der Ausbildung zum Mediengestalter. Mittlerweile wird Kayef<br />
für seinen authentischen Mix aus Pop, Rap, R’n’B und Rock gefeiert,<br />
seine Songs haben über 80 Millionen Streams, und seine Wände sind<br />
mit Gold- und Platin-Awards behangen. Und das alles ohne große<br />
Plattenfirma. Hat Kayef sein Debüt 2013 noch in Eigenregie vertrieben,<br />
führt er seit 2020 sogar sein eigenes Label. Und damit nicht genug:<br />
Der Drang, selbst anzupacken, hat den Düsseldorfer inzwischen auch<br />
unabdingbar für einige andere große deutsche Popstars gemacht. So ist<br />
er etwa mitverantwortlich für die Artworks von Topic, Merchandise-<br />
Designs von Nico Santos und Songtexte von Vanessa Mai und Wincent<br />
Weiss. Bei dieser Mentalität würde es nicht wundern, wenn Kayef auf<br />
seiner Tour eigens die Stagehand gibt.<br />
9. 11. Stuttgart, Im Wizemann | 10. 11. Nürnberg, Hirsch<br />
11. 11. München, Backstage | 12. 11. Hannover, Pavillon<br />
13. 11. Hamburg, Gruenspan | 18. 11. Berlin, Columbia Theater<br />
19. 11. Dresden, Alter Schlachthof<br />
20. 11. Frankfurt, Batschkapp | 21. 11. Bochum, Zeche<br />
22. 11. Köln, Carlswerk Victoria<br />
<strong>kulturnews</strong> | 79<br />
23. – 26.12.24<br />
Metropol Theater, Bremen<br />
Alle Angaben ohne Gewähr<br />
Freilichtbühne, Lübeck<br />
16.12.24 Kiel<br />
17.12.24 Bremen<br />
22.01.25 Hamburg<br />
Tickets unter reservix.de<br />
Hotline 0761 888499 99
Klubs + Konzerte<br />
Fink<br />
Facettenreicher könnte ein musikalischer Werdegang kaum sein:<br />
Angefangen mit elektronischen Tracks in den Neunzigern, entwickelte<br />
sich Fink zunächst zum renommierten DJ, dessen ersten Ver öffent -<br />
lichungen beim Londoner Trip-Hop- und Dance-Label Ninja Tune er -<br />
schienen sind. Passend zur Jahrtausendwende wuchs in ihm jedoch<br />
eine immer weiter ausgeprägte Vorliebe für akustische Sounds, die<br />
zwar nicht mehr in stickigen Partykellern laufen, aber dafür unsere<br />
Herzen beseelen.<br />
6. 11. Hamburg, Fabrik<br />
Foto: Hella Wittenberg<br />
Joel Havea Trio<br />
Mit ihrem zweiten Album „Ki ’a Lavaka“ hat das Soultrio um Joel<br />
Havea den Schritt ins Persönliche gewagt. Zum ersten Mal haben<br />
Schlagzeuger Leo Lazar, Bassist Arnd Geise und Sänger und Gitarrist<br />
Joel Havea ihre Musik für Joels tongaische Wurzeln geöffnet. Die<br />
Melange aus tropischer Tradition und dem zurückgelehnten Soul hat<br />
das Trio auf ein neues Level gehievt, das die drei Jungs letztes Jahr<br />
auf einem im legendären Hamburger Jazzclub Birdland aufgenommenen<br />
Livealbum festgehalten haben. Wer noch einen Grund braucht,<br />
das Trio live zu besuchen, sollte da mal reinhören.<br />
2. 6. Hamburg, Nochtspeicher<br />
Foto: Tini Lazar<br />
„Das war eben auch ein wichtiger Teil des<br />
Prozesses, diese Songs zu ‚unseren‘ Songs<br />
zu machen, sie nicht nur zu kopieren,<br />
sondern in der uns eigenen Weise zu<br />
interpretieren. Oder vielleicht eben auch so,<br />
wie sie dereinst ursprünglich mal<br />
geschrieben wurden, bevor sie dann von<br />
der typischen 80er-Soundästhetik mit Kitsch<br />
und Pomp aufgeladen wurden.“<br />
Marco Schmedtje über das Projekt „Between the 80’s“<br />
Nile Rodgers<br />
Nile Rodgers gehört zu den einflussreichsten Produzenten unserer<br />
Zeit. Die Liste der Namen, für die der New Yorker Hits zusammengeschraubt<br />
hat, scheint schier endlos zu sein: Madonna,<br />
Pharrell Williams, Diana Ross, Sister Sledge, David Bowie, Daft<br />
Punk und nicht zuletzt Chic, mit denen der Pop-Pionier nun wieder<br />
auf Tour geht, um Welthits wie „Le Freak“ (die meistverkaufte Single<br />
in der Geschichte von Atlantic Records) oder „Good Times“ – ein<br />
Song, der den Weg für den Hip-Hop geebnet hat – endlich wieder<br />
auf die Bühne zu bringen. Und auch in jüngster Vergangenheit<br />
hat der Meister der singenden Funkgitarre Acts wie Roosevelt,<br />
Jonathan Bree oder Disclosure einen neuen Anstrich verliehen.<br />
Plewka &<br />
Schmedtje<br />
6. 6. Hamburg, Fabrik<br />
Foto: Sven Sindt<br />
30. 6. Hannover,<br />
Gilde Park Bühne<br />
Foto: MEWES Entertainment Group<br />
80 | <strong>kulturnews</strong>
Klubs + Konzerte<br />
11. 6. Hamburg,<br />
Nochtspeicher<br />
13.–15. 6. Hamburg, Kampnagel<br />
Rain Parade<br />
Beeinflusst von Bands wie The Byrds, Pink Floyd, Love, Television oder<br />
auch Neil Young waren Rain Parade stets ein absoluter Geheimtipp. Das<br />
Anfang der 80er-Jahre veröffentlichte Debütalbum „Explosions in the<br />
Glass Palace“ und der Nachfolger „Emergency Third Rail Power Trip“ wurden<br />
zu Kritikerlieblingen und Szeneklassikern, dennoch ist der kommerzielle<br />
Riesenerfolg immer ausgeblieben, und so hatten die Jungs aus Los<br />
Angeles 1986 genug. An Relevanz haben die Alben der Psyrockband<br />
jedoch nie verloren, und in Anbetracht der Neo-Psych-Bewegung war es<br />
nur konsequent, sich wieder zusammenzutun. Und so kehren Rain Parade<br />
nun mit den ersten Auftritten seit ihrer Auflösung zurück.<br />
Foto: Billy Douglas<br />
La Fleur<br />
Im Rahmen des Live Art Festivals nimmt die Gruppe La Fleur das<br />
Publikum mit in den legendären Nachtklub „El 9“, der 1977 in<br />
Mexico-City eröffnet wurde. Ein Klub, der nicht nur dem<br />
Amüsement gedient hat. „El 9“ war ein Zufluchtsort für die<br />
LGBTI*-Communities, kulturelles Underground-Zentrum, Nacht -<br />
klub, Ort der AIDS-Prävention und Aufklärung, Anlaufstelle für<br />
Nachtschwärmende und Schauplatz der künstlerischen Gegen kultur<br />
und Auslöser für regelmäßige Polizeirazzien. La Fleur be schwören<br />
den freien und innovativen Geist dieses mythischen Ortes und lassen<br />
symbolträchtige Performances wiederaufleben. Das Team besteht<br />
aus hochkarätigen Showstars und Queer-Aktivist:innen, die<br />
Archivmaterial, Neu-Interpretationen und performative Über -<br />
schreibungen miteinander kombinieren. Jede Show ist ein<br />
Plädoyer und Bekenntnis zu queerer Subkultur und eine<br />
Liebeserklärung an die „Creatures of the Night“.<br />
Foto: Nathanael Mergui<br />
Stadtpark Open Air<br />
The Country Side Of Harmonica Sam<br />
Foto: Jens Nordström<br />
Auch <strong>2024</strong> wird das traditionsreiche Stadtpark Open Air die ikonische<br />
Hamburger Grünfläche wieder mit jeder Menge guter<br />
Musik versorgen. Die Auswahl der dargebotenen Acts ist dabei<br />
ebenso breit aufgestellt wie der Terminkalender: Von Mitte Mai bis<br />
Anfang September ist von Mainstreamgrößen wie Clueso und<br />
Diana Krall bis hin zu Indiedarlings wie The Smile (Foto), Róisín<br />
Murphy und Peaches für alle was dabei. Ein Blick auf die<br />
Festivalseite lohnt also in jedem Fall – und möglichst bald: Einige<br />
Konzerte sind jetzt schon ausverkauft.<br />
11. 5.–8. 9. Hamburg, Stadtpark<br />
Für Laien mag der Sound von The Country Side Of Harmonica Sam nach<br />
ganz klassischem Country klingen. Das täuscht jedoch. Schließlich mäandert<br />
das Quintett auf einem ganz eigenen Zweig der zeitgenössischen<br />
Countrymusik. Es klingt nach den 50er- und 60er-Jahren, ist aber moderner<br />
als der Hillbilly-Stil und entfernt sich zugleich vom aktuellen<br />
Nashville-Sound: Country für Kenner! Und so spielt die Band um den<br />
charmanten Frontmann Harmonica Sam nicht nur eigene Songs, sondern<br />
auch Klassiker von Faron Young, Skeets McDonald, Bill Phillips, Billy<br />
Walker und Ray Price. Eben was für Kenner.<br />
1. 6. Hamburg, Nochtspeicher<br />
Foto: Frank LeBon<br />
<strong>kulturnews</strong> | 81
Klubs + Konzerte<br />
Dekker<br />
Unverkennbar ist Dekker mit seinem großen Hut auf<br />
dem Kopf, der stets einen mystischen Schatten in sein<br />
Gesicht wirft. Auf der Bühne hat er diesen immer auf<br />
und singt dabei von den Geistern der Zukunft und der<br />
Realität des Todes. „Es ist voller Liebe, Angst, Fragen<br />
des wirklichen Lebens und letztendlich Hoffnung“, sagt<br />
der amerikanische Indiefolk-Sänger über sein neustes<br />
Album „Future Ghosts“. Gemeinsam mit seiner Tochter<br />
hat er den Titelsong geschrieben und sich mit den<br />
Geheimnissen des Lebens beschäftigt, mit dem<br />
Durchstehen schwerer Zeiten und dem Glauben an sich<br />
selbst. Gefühlvoll und augenfällig wie sein Hut sind die<br />
melancholischen Lieder von Dekker, und doch hinterlässt<br />
er stets eine Prise Hoffnung.<br />
28. 10. Leipzig, Täubchenthal<br />
29. 10. Berlin, Columbiatheater<br />
30. 10. Rostock, Peter Weiß Haus<br />
31. 10. Bremen, Lagerhaus<br />
1. 11. Osnabrück, Botschaft<br />
5. 11. Düsseldorf, Zakk<br />
6. 11. Saarbrücken, Garage<br />
10. 11. Karlsruhe, Substage<br />
11. 11. München, Muffathalle<br />
Foto: Emily Katy<br />
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