Sylt • Elbphilharmonie/ HafenCity • Tage in Wien
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VON<br />
HELMUT MARRAT<br />
1.<br />
Er hatte sich durchgesetzt. Hatte<br />
darauf bestanden, dass man<br />
dieses Jahr über Weihnachten<br />
ans Meer fahren würde, und nicht<br />
wie sonst <strong>in</strong> irgendwelche Höhenzüge, über die der W<strong>in</strong>d gelangweilt<br />
h<strong>in</strong>wegg<strong>in</strong>g. Sie war e<strong>in</strong>verstanden gewesen, nach e<strong>in</strong>er gewissen<br />
Bedenkzeit. Die dauerte drei <strong>Tage</strong>. Länger, als von ihm erwartet.<br />
Oder auch erhofft. Dabei lag ihr Zögern nahe. Wieso fragte er sich <strong>in</strong><br />
dieser Wartezeit, die ihm geradezu schmerzhaft vorkommen musste,<br />
nach all den Jahren, nach all dem H<strong>in</strong>gehaltenwerden, hatte er sie<br />
nicht e<strong>in</strong>geweiht <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Ideen? Vielleicht, weil er fürchtete, dass sie<br />
gerade dann <strong>in</strong> die ihr typische ablehnende Haltung verfallen wäre?<br />
2.<br />
Noch vier <strong>Tage</strong>. Er saß <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Büro, oder wie man ja immer sagen<br />
musste, <strong>in</strong> Räumen der Kanzlei, die er sich mit Karsten und Bernd und<br />
Felix und Katr<strong>in</strong> teilte. Man kannte sich aus dem Studium. Genauer,<br />
er und Bernd. Und der kannte Karsten, und der Katr<strong>in</strong>, und so fort.<br />
Notariat. Klang langweiliger, als es war. Seit über fünfzehn Jahren<br />
war er nun schon Notar. Seit über fünfzehn Jahren immer die selbe<br />
Kanzlei. Wurde e<strong>in</strong>em als Kont<strong>in</strong>uität angerechnet, war aber nur das<br />
unwahre Gefühl e<strong>in</strong>er Verbundenheit. Anfangs, <strong>in</strong> den ersten paar<br />
Jahren war man noch zusammen regelmäßig ausgegangen, meist <strong>in</strong>s<br />
nahe “Wolters”, und mit Felix war er sogar zum Squash gewesen, das<br />
verschwitzte T-Shirt regelmäßig vom Körper ziehend unter die Dusche<br />
marschiert, wo man mite<strong>in</strong>ander gescherzt hatte, unwillkürlich<br />
verdeckend, dass man auch nach all der Zeit e<strong>in</strong>en unsicheren Blick<br />
auf das prächtigere Gemächt des Anderen nicht unterdrücken konnte.<br />
Doch e<strong>in</strong>es <strong>Tage</strong>s hatte es dann aufgehört, nach e<strong>in</strong>em erzwungenen<br />
Aussetzer aufgrund e<strong>in</strong>er Verletzung des ansonsten Beglückten, und<br />
irgendwie hatte man dann nicht weitergemacht, irgendwie.<br />
Dabei bot die Stadt, <strong>in</strong> die es sie alle verschlagen hatte, <strong>in</strong> dem<br />
Glauben fest, e<strong>in</strong>e mittelgroße Metropole sei noch nicht überlaufen<br />
von Notariaten samt Anwaltskanzleien, was zwar stimmte, aber<br />
leider auch nur zu begründet war, dabei bot diese Stadt mit dem<br />
Kreuzworträtsel-Fluss, den man gar nicht fand, und dem geradezu<br />
grotesken Straßenraster, <strong>in</strong> dem zurechtzuf<strong>in</strong>den ihn e<strong>in</strong>e ewige<br />
Zeit beansprucht hatte, und von dem <strong>Tage</strong> an, als es gelungen war,<br />
ihn nur noch verblüffte, dass es möglich gewesen war, e<strong>in</strong>er solch<br />
kle<strong>in</strong>en Stadt e<strong>in</strong>e solch aufgeplusterte Straßenführung aufzuhalsen,<br />
diese Stadt also bot gar nicht viel, e<strong>in</strong> paar wenige Lokale, die recht<br />
nett waren, mehr nicht, zwei Sportzentren, e<strong>in</strong> Schloss, h<strong>in</strong>ter<br />
dessen wiedererrichtete Fassade man e<strong>in</strong> strahlend langweiliges<br />
E<strong>in</strong>kaufscenter geklemmt hatte, e<strong>in</strong> Theater, das so schwach besetzt<br />
war, dass man es lieber mied, den nahen Harz, den man nicht mögen<br />
musste, und vor allem, die nahe Autobahn, die e<strong>in</strong>en viel zu selten<br />
wegführte. Viel zu weit weg das Meer.<br />
Maler: Manfred Zémsch<br />
Er hatte sie kennengelernt, nach fünf Jahren <strong>in</strong> dieser Stadt. Und<br />
natürlich nicht <strong>in</strong> dieser Stadt. Und natürlich stammte auch sie nicht<br />
aus dieser Stadt. Im Museum hatte er sie kennengelernt. Und zwar<br />
nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gemäldesammlung, sondern <strong>in</strong> der Autostadt. Genau<br />
dort, e<strong>in</strong> Pavillon, <strong>in</strong> dem e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong> Simulator wegführte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e andere<br />
Umlaufbahn, die Überw<strong>in</strong>dung der Erdanziehung als wegreißendes<br />
Erlebnis. Und sie war ihm erst gar nicht aufgefallen, da er doch nicht<br />
mehr damit gerechnet hatte, e<strong>in</strong>e dauerhafte Beziehung mit e<strong>in</strong>er Frau<br />
e<strong>in</strong>gehen zu können. Nur kurze Kontakte hatten sich ergeben, und sei<br />
es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em der um sicher dreißig Kilometer entfernten Wohnwagen<br />
nahe der Bundesstraße, die <strong>in</strong> den Harz führte, die ihn immer erneut<br />
gelockt hatten; vielleicht weil die bunten Lichterketten ihm gefielen,<br />
was lächerlich klang, doch genau besehen ja nur e<strong>in</strong>e Fröhlichkeit<br />
behaupteten, die man tatsächlich nach Verlassen des Wellblechgefährts<br />
noch e<strong>in</strong> wenig mit sich nahm, wenn man pfeifend e<strong>in</strong>e Melodie<br />
<strong>in</strong>tonierte, die mit Auftauchen der ersten Straßenzüge der Stadt, <strong>in</strong><br />
der man nun e<strong>in</strong>mal lebte, regelmäßig verebbte. Es war nicht leicht<br />
gewesen, sich kennenzulernen. Wo g<strong>in</strong>g man h<strong>in</strong>, wo e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>e solche<br />
Masch<strong>in</strong>e zue<strong>in</strong>ander geworfen hatte? Schnell hatte man sich dann auf<br />
das Café <strong>in</strong> der nahen Burg gee<strong>in</strong>igt, die fast ke<strong>in</strong>er kennt, e<strong>in</strong> Schloss<br />
auch dies, aber entgegen dem <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Stadt e<strong>in</strong> echtes, nur das Café,<br />
das man <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em nahen Pavillon untergebracht hatte, der Blick auf die<br />
Burg zur e<strong>in</strong>en oder die Schlote der Autofabrik zur anderen. An Themen<br />
hatte es ihnen nicht gemangelt, an geme<strong>in</strong>samen Interessen auch<br />
nicht, und beim nächsten Treffen, an das er dennoch nicht geglaubt<br />
hatte, unsicher auf dem Bahnsteig auf und ab gehend, bis sie ihn<br />
endlich abholte, hatte sich alles Weitere ergeben. Als e<strong>in</strong>ziges Problem<br />
war der geme<strong>in</strong>same Wohnort geblieben, hier e<strong>in</strong>e erste Probe ihrer<br />
Hartnäckigkeit, und auch hier hatte sie sich Bedenkzeit ausgebeten,<br />
allerd<strong>in</strong>gs vierzehn <strong>Tage</strong>, was sich nicht e<strong>in</strong>mal l<strong>in</strong>dern ließ durch<br />
zärtliche Versuche, sie hatte darauf bestanden; und er, ohneh<strong>in</strong> davon<br />
ausgehend, dass sie sich gegen ihn entscheiden müsste, war wieder<br />
<strong>in</strong> den Harz aufgebrochen, zu den bunten Lichterketten, mal rot, die<br />
Lämpchenreihe zu e<strong>in</strong>em Herz zusammengebunden, mal grün und<br />
rot und blau, das Fenster entlanggeführt, oder sogar außen, das Dach<br />
überspannend. Und regelmäßig, so wie seit e<strong>in</strong>igen Wochen wieder, mit<br />
e<strong>in</strong>em bl<strong>in</strong>kenden Tannenbäumchen oder e<strong>in</strong>er flackernden Eisblume<br />
aus Plastik. In der zweiten Woche des Wartens, sie war nicht e<strong>in</strong>mal<br />
erreichbar gewesen, war er dann ans Meer gefahren. Fast fünf Stunden<br />
Strecke, die ihm dennoch nichts ausgemacht hatten. Fünf Stunden des<br />
Gefühls e<strong>in</strong>er albern anmutenden Freiheit, und dann am Ziel nur e<strong>in</strong><br />
kurzer atemloser Gang ans Wasser, nicht e<strong>in</strong>mal das Meer <strong>in</strong> wahrer<br />
Nähe, nur Sumpfwiesen, die man dem Meer abgezwungen hatte, aber<br />
immerh<strong>in</strong> auf deren Wasserr<strong>in</strong>nen e<strong>in</strong> Widerleuchten der Abendsonne,<br />
orangerote unendliche Bahnen, die man ja nur durchqueren musste,<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em der kle<strong>in</strong>en Boote, oder am besten durchschwimmen, wenn<br />
man nicht fürchten müsste, <strong>in</strong> moorigen Schlick zu geraten, der e<strong>in</strong>en<br />
h<strong>in</strong>dern würde am Vorwärtsgleiten, der e<strong>in</strong>en h<strong>in</strong>abzuziehen drohte,<br />
wer wusste es denn so genau. Aber jeder weitere Gedanke daran verbot<br />
sich, denn schon kl<strong>in</strong>gelte se<strong>in</strong> Handy, sie war dran, so als ob sie<br />
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