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Ein Einstieg über das Drei-Türen-Problem - Stochastik in der Schule

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<strong>E<strong>in</strong></strong> <strong>E<strong>in</strong></strong>stieg <strong>über</strong> <strong>das</strong> <strong>Drei</strong>-<strong>Türen</strong>-<strong>Problem</strong><br />

logo Klemisch, Bielefeld<br />

Zusammenfassung: Der nachfolgende Erfahrungsbericht beschreibt e<strong>in</strong>en experimentellen<br />

<strong>E<strong>in</strong></strong>stieg <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en <strong>Stochastik</strong>-Leistungskurs <strong>der</strong> Oberstufe. Das dafur gewählte "<strong>Drei</strong>-<strong>Türen</strong>­<br />

<strong>Problem</strong>" (auch als "Ziegenproblem" bekannt) erwies sich als äußerst motivierend und fiihrte<br />

den Kurs an e<strong>in</strong>e Vielzahl stochastischer Fragestellungen heran. Beson<strong>der</strong>s wichtig waren mir<br />

dabei die ersten Erfahrungen mit Simulationen und <strong>der</strong>en Auswertung.<br />

Zu Beg<strong>in</strong>n des <strong>Stochastik</strong>-Unterrichts <strong>in</strong> <strong>der</strong> sn (Grundkurs und Leistungskurs)<br />

versuche ich, den Schüler<strong>in</strong>nen (geme<strong>in</strong>t s<strong>in</strong>d hier und im folgenden natürlich<br />

stets auch die männlichen Teilnehmer me<strong>in</strong>es Kurses) mit Hilfe möglichst komplexer<br />

und anregen<strong>der</strong> Situationen, die ihnen auch bei ger<strong>in</strong>gen Vorkenntnissen<br />

Gelegenheit zu großer Eigenaktivität bieten, e<strong>in</strong>en nachhaltigen <strong>E<strong>in</strong></strong>druck <strong>der</strong> zu<br />

diesem Gebiet gehörenden Fragestellungen zu vermitteln. Schon <strong>in</strong> den ersten<br />

Unterrichtsstunden geht es mir dabei nicht um <strong>das</strong> Abarbeiten e<strong>in</strong>es festen Unterrichtskonzeptes<br />

(bei dem die Schüler<strong>in</strong> nur den vom Lehrer vorgegebenen Weg<br />

nachvollzieht) son<strong>der</strong>n darum, daß die Schüler<strong>in</strong>nen selbst, d. h. durch eigene<br />

Vermutungen, Experimente und Diskussionen im Kurs den Unterrichtsgang<br />

weitgehend bestimmen. Die Rolle des Lehrers ist dabei mehr die e<strong>in</strong>es Initiators,<br />

Infragestellers und Diskussionsleiters.<br />

Angeregt durch e<strong>in</strong>e Reihe von Zeitungsveröffentlichungen des Jahres 1991 (von<br />

Randow, 1991 a und b, Leserbriefe <strong>in</strong> "Die Zeit" 34/1991) und bestärkt durch den<br />

Vortrag von Bernd Wollr<strong>in</strong>g (1992), wollte ich me<strong>in</strong>e Schüler<strong>in</strong>nen e<strong>in</strong>es<br />

Leistungskurses diesmal <strong>in</strong>tensiver rur Simulatimen <strong>in</strong>teressieren.<br />

Die erste Unterrichtsdoppelsrup.de zur <strong>Stochastik</strong> war durch Analysen des Galton-Brettes<br />

(vgl. Klemisch, 1985) bestimmt, bei denen sich zeigte, daß die Schüler<strong>in</strong>nen<br />

me<strong>in</strong>es Kurses trotz sehr unterschiedlicher Vorgeschichte (hoher Anteil<br />

ehemaliger Realschüler<strong>in</strong>nen) recht e<strong>in</strong>heitliche Vorkenntnisse im Bereich <strong>der</strong><br />

Grundbegriffe <strong>der</strong> <strong>Stochastik</strong> besaßen, so daß schnell die Frage <strong>der</strong> ModelIierung<br />

und Simulation des (theoretisch bereits verstandenen) Galton-Brett-Versuches im<br />

Vor<strong>der</strong>grund <strong>der</strong> Diskussionen standen.<br />

Zu Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> folgenden <strong>E<strong>in</strong></strong>zelstunde erhielten die Schüler<strong>in</strong>nen e<strong>in</strong> Arbeitsblatt<br />

zum <strong>Drei</strong>-<strong>Türen</strong>-<strong>Problem</strong>. <strong>E<strong>in</strong></strong>e Nachfrage zeigte mir schnell, daß we<strong>der</strong> <strong>das</strong><br />

<strong>Problem</strong> noch die Veröffentlichungen <strong>in</strong> "DIE ZEIT" im Kurs bekannt waren. Die<br />

Beschreibung des Spiels entstand <strong>in</strong> enger Anlehnung an Wollr<strong>in</strong>g (1992):<br />

"Vielleicht ist Dir aus <strong>der</strong> Presse <strong>das</strong> "<strong>Drei</strong>-<strong>Türen</strong>-<strong>Problem</strong>" bekannt:<br />

<strong>E<strong>in</strong></strong> Spieler steht vor drei <strong>Türen</strong>. H<strong>in</strong>ter e<strong>in</strong>er steckt als Gew<strong>in</strong>n e<strong>in</strong> Auto<br />

(besser: e<strong>in</strong>e Jahresnetzkarte <strong>der</strong> DB), h<strong>in</strong>ter zweien als Niete jeweils e<strong>in</strong>e<br />

Ziege. Gespielt wird <strong>in</strong> vier Schritten:<br />

<strong>Stochastik</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> 13 (1993). Nr. 1. 9 - 14


12<br />

verän<strong>der</strong>t), folglich muß die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit fiir die an<strong>der</strong>e Tür 2/3<br />

betragen. In 2/3 aller Fälle ist also Wechsel besser als Nichtwechsel."<br />

waren alle von dieser Lösoog <strong>über</strong>zeugt. Bei <strong>der</strong> folgenden Durchfiihrung <strong>der</strong><br />

Simulationen g<strong>in</strong>g es ihnen noo nicht mehr darum, e<strong>in</strong>e Lösoog zu f<strong>in</strong>den, sie<br />

waren jetzt neugierig darauf, wie die Simulationen die "Wahrheit" abbilden würden.<br />

Nachstehend s<strong>in</strong>d die Ergebnisse <strong>der</strong> Simulationsphase (ca. 20 M<strong>in</strong>uten) <strong>der</strong><br />

Gruppen 1 - 5 dargestellt:<br />

Nummer <strong>der</strong> Gruppe: 1 2 3 4 5<br />

Anzahl <strong>der</strong> Simulationen: 32 60 47 49 239<br />

Gew<strong>in</strong>n bei Wechsel: 19 36 24 30 158<br />

Gew<strong>in</strong>n bei Nichtwechsel: 13 24 23 19 81<br />

Obwohl sich nur bei Gruppe 5 e<strong>in</strong> Verhältnis von annähernd 1:2 e<strong>in</strong>gestellt hatte,<br />

sahen zunächst ausnahmslos alle Schüler<strong>in</strong>nen diese Ergebnisse als volle<br />

Bestätigoog ihrer Lösoog an. Sie hatten ihr Hauptaugenmerk darauf gerichtet, daß<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> ersten Ergebniszeile größere Zahlen stehen als <strong>in</strong> <strong>der</strong> zweiten Zeile ood die<br />

qualitative Feststelloog "Wechsel ist besser" hatte fiir sie e<strong>in</strong>e größere Bedeutilllg<br />

als die zugehörige quantitative Aussage. Entsprechend verblüfft reagierten sie<br />

zunächst auf me<strong>in</strong>e Frage, wie sie denn am Tag zuvor auf Spalte 3 reagiert hätten<br />

ood traten dann <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e heftige Diskussion <strong>über</strong> die Auswertung von Ergebnissen<br />

von Zufallsexperimenten e<strong>in</strong>, <strong>in</strong> <strong>der</strong> (auf <strong>in</strong>tuitiver Basis) sowohl Überlegoogen<br />

zum Gesetz <strong>der</strong> großen Zahl als auch Verträglichkeitsfragen e<strong>in</strong>e Rolle spieten.<br />

In <strong>der</strong> sich \lllffiittelbar anschließenden dritten Stilllde wollten noo noch alle<br />

Kursteilnehmer<strong>in</strong>nen die Computersimulation verfolgen. Die Ergebnisse waren<br />

bee<strong>in</strong>druckend: Schon bei 500 Simulationen ooterschieden sich die ermittelten<br />

Prozentzahlen (Beispiel: 32,8 % fiir "Nichtwechsel", 67,2 % fiir "Wechsel") nur<br />

wenig vom erwarteten Wert. Die Programmierer<strong>in</strong>nen hatten allerd<strong>in</strong>gs mit m<strong>in</strong>imalem<br />

Bildschirm-Layout gearbeitet (<strong>E<strong>in</strong></strong>gabe: Anzahl <strong>der</strong> Versuche; Ausgabe:<br />

Zahl <strong>der</strong> Erfolge bei Nichtwechsel ood Zahl <strong>der</strong> Erfolge bei Wechsel ood jeweils<br />

zugehöriger Prozentsatz) ood wurden noo bedrängt, ihre "Black-Box" zu öffuen<br />

ood nachzuweisen, daß ihre Simulation den Zufallsversuch tatsächlich nachbildet<br />

(e<strong>in</strong>e heilsame Erfahrung, da sie - wie viele Computerfreaks - ihre Arbeit mit <strong>der</strong><br />

Erstelloog des Programms fiir erledigt gehalten hatten).<br />

Anstelle des von den Schüler<strong>in</strong>nen erstellten ELAN-Programmes gebe ich hier<br />

den von ihnen verwendeten Algorithmus an:<br />

1<br />

2<br />

3<br />

4<br />

5<br />

6<br />

7<br />

8<br />

13<br />

e<strong>in</strong>gabe <strong>der</strong> anzahl <strong>der</strong> simulationen;<br />

WIEDERHOLE<br />

ermittle autotür durch zufallsgenerator;<br />

ermittle gewählte tür durch zufallsgenerator;<br />

FALLS gewählte tür = autotür<br />

DANN erhöhe zähler fiir nichtwechsel um e<strong>in</strong>s<br />

ANDERNFALLS erhöhe zähler fiir wechsel um e<strong>in</strong>s;<br />

BIS anzahl <strong>der</strong> simulationen erreicht;<br />

9 berechne relative häufigkeiten <strong>der</strong> erfolge bei wechsel<br />

und nichtwechsel;<br />

10 ausgabe <strong>der</strong> relativen häufigkeiten als prozentzahlen.<br />

Bei <strong>der</strong> Analyse des Programms durch den Kurs (dabei beteiligten sich auch die<br />

Schüler<strong>in</strong>nen, die nicht Informatik belegt haben) wie<strong>der</strong>holten sich Teile <strong>der</strong><br />

Diskussion vom Vortag ood <strong>der</strong> Kurs stellte fest, daß man (analog zum Vorgehen<br />

<strong>der</strong> Gruppe 5) die Programmzeile 3 durch e<strong>in</strong>e konstante Setzung <strong>der</strong> "autotür"<br />

ersetzen kann. <strong>E<strong>in</strong></strong>e zentrale Frage war dann die nach <strong>der</strong> Filllktionsweise <strong>der</strong> im<br />

ELAN-Programm <strong>in</strong> den Zeilen 3 ood 4 verwendeten Prozedur "random": Dazu<br />

ließen wir oos von den Computer"spezialist<strong>in</strong>nen" die Arbeitsweise ooterschiedlicher<br />

Zufalls generatoren erklären ood än<strong>der</strong>ten dann <strong>das</strong> Programm so ab,<br />

daß es fiir e<strong>in</strong>e Reihe von kurzen Versuchsserien die Nummer <strong>der</strong> gewählten Tür<br />

ausdruckte, um zu <strong>über</strong>prüfen, ob <strong>der</strong> ELAN-Zufallsgenerator nicht nach jedem<br />

Programmstart die gleiche Zahlenfolge liefert.<br />

Fazit:<br />

<strong>Drei</strong> mal 45 M<strong>in</strong>uten zum 3-<strong>Türen</strong>-<strong>Problem</strong> haben me<strong>in</strong>e Schüler<strong>in</strong>nen vorwiegend<br />

<strong>über</strong> ihre eigene Initiative an e<strong>in</strong>e Reihe von Fragestelloogen <strong>der</strong> <strong>Stochastik</strong><br />

herangefiihrt, ihr <strong>Problem</strong>bewußtse<strong>in</strong> ood ihre Motivation zum Erwerb von<br />

H<strong>in</strong>tergroodwissen geför<strong>der</strong>t ood ihre Kritikfähigkeit gegen<strong>über</strong> Ergebnissen<br />

elektronischer Datenverarbeitilllg verstärkt.<br />

Nachtrag:<br />

<strong>E<strong>in</strong></strong>e Schüler<strong>in</strong> aus <strong>der</strong> "Computergruppe" hat <strong>in</strong> den Sommerferien, die unmittelbar<br />

nach den geschil<strong>der</strong>ten Unterrichtsstilllden begannen, nach e<strong>in</strong>em Streitgespräch<br />

mit e<strong>in</strong>em promovierten Mathematiker (dieser bestand auf gleicher<br />

Gew<strong>in</strong>nchance bei Wechsel wie Nichtwechsel) e<strong>in</strong>en siebenseitigen<br />

"Mathematischen Aufsatz" (Titel: ''Lösoogsversuch des Ziegenproblems") verfaßt.<br />

Bei <strong>der</strong> Suche nach <strong>über</strong>zeugenden Argumenten ist sie auf <strong>das</strong> gerade erschienene<br />

Buch (von Randow, 1992) gestoßen ood hat sehr erfolgreich versucht,<br />

die dort veröffentlichte Lösoog <strong>in</strong> ihre Sprache zu <strong>über</strong>setzen.


Literatur<br />

14<br />

von Randow, Gero: <strong>E<strong>in</strong></strong>gebung nützt nichts. Die Zeit, 30/1991(a).<br />

von Randow, Gero: <strong>E<strong>in</strong></strong>e <strong>über</strong>zeugende Logik. Die·Zeit, 34/1991(b).<br />

Leserbriefe. In: Die Zeit, 33/199l.<br />

Wollr<strong>in</strong>g, Bernd: Schülerversuche zur Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit. Simulationen zum <strong>Drei</strong>-<strong>Türen</strong>­<br />

<strong>Problem</strong> - erste Evaluation. Vortragsmanuskript zur GDM-Tagung, We<strong>in</strong>garten 1992, Vortrag<br />

<strong>in</strong> Bielefeld am 2.6.1992.<br />

Klemisch, Ingo: Das Galton-Brett. <strong>Stochastik</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> 1/1985.<br />

von Randow, Gero: Das Ziegenproblem. Re<strong>in</strong>bek bei Hamburg, 1992.<br />

Klimakunde<br />

Schon wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong> warmer W<strong>in</strong>ter<br />

So wichen dilletzten W<strong>in</strong>ter (Dez. bis Febr.) vom langjährigen Millel ab<br />

1982/83 83/84 84/85 85/86 86/87 87/88 88/89 89/90 90/911991/92<br />

" .. "<br />

zu trocken<br />

Ingo Klernisch, Bielefeld<br />

Wann wird's mal wie<strong>der</strong> richtig W<strong>in</strong>ter? - <strong>das</strong> mag sich mancher Schnee­<br />

Begeisterte <strong>in</strong> den vergangenen Wochen gefragt haben. Oh, diese Kälte, mögen<br />

<strong>in</strong>des an<strong>der</strong>e gestöhnt haben. Über Wetter läßt sich bekanntlich ebensogut<br />

streiten wie <strong>über</strong> Geschmack. An<strong>der</strong>s sehen <strong>das</strong> die Statistiker: Sie haben<br />

herausgefunden, daß <strong>der</strong> jetzt zu Ende gehende W<strong>in</strong>ter zu warm und zu trocken<br />

war. Wie kalt und naß er denn hätte se<strong>in</strong> sollen - <strong>das</strong> wurde lei<strong>der</strong> nicht <strong>in</strong><br />

konkreten Zahlen ausgedrückt.<br />

(Berl<strong>in</strong>er Morgenpost vom 6.8.1992)

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