DIE 2 BRÜCKE
A <strong>·</strong> N <strong>·</strong> <strong>·</strong> D <strong>·</strong> A <strong>·</strong> C <strong>·</strong> H <strong>·</strong> T Herbsttag von Rainer Maria Rilke Herr: Es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß. Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren und auf den Fluren lass die Winde los. Befiehl den letzten Früchten reif zu sein gib Ihnen noch zwei südlichere Tage dräng sie zur Vollendung hin und jage die letzte Süße in den schweren Wein. Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben, wird lesen, wachen, lange Briefe schreiben und wird auf den Alleen hin und her unruhig wandern, wenn die Blätter treiben. Liebe Gemeinde, viele von Ihnen werden dieses Gedicht von Rilke kennen. Meiner Meinung nach fängt es sehr gut die Stimmung des Herbstes ein. Herr, es ist Zeit… Es ist Zeit, die Früchte zu ernten. Es ist aber auch Zeit, loszulassen und in sich zu gehen. Nicht nur in der Jahreszeit, sondern auch in meinem Leben. Selbst wenn ich nicht schon im Herbst meines Lebens stehe, sondern erst in der Blüte meiner Jahre, ist diese Jahreszeit eine Gelegenheit Bilanz zu ziehen. Wie viele Früchte sind in meinem Leben gereift? Was hatte Erfolg in meinem Leben, was hat sich zerschlagen? Welche Knospe ist erblüht und welche verdorrt? Habe ich meinen Lebensgarten genug bewässert und gedüngt? Ich weiß zwar, dass der Erfolg und die Wirkung meines Handelns nicht immer in meiner eigenen Hand DIE 3 BRÜCKE liegen, aber wenn die Liebe zu Gott und meinen Mitmenschen nicht meine Taten befruchten, dann wird der Wein sauer sein. Dann wird Gott nicht die letzte Süße in den Wein jagen und mein Leben wird traurig und leer bleiben. Wenn wir uns von Gott nicht zur Vollendung drängen lassen, werden Unruhe und inneres Leersein unseren Alltag bestimmen. Im Herbst 2012 und auch im Herbst unseres Lebens, wenn wir merken, dass wir all das, was wir einmal von unserem Leben wollten, nun allein schon aus Zeitgründen nicht mehr bekommen können. Ich selber würde mich noch nicht im Herbst meines Lebens sehen, eher im Spätsommer. Und doch merke auch ich schon, dass etliche Züge für mich bereits abgefahren sind. Das Leben steht mir nicht mehr so offen wie mit 20 oder 30 Jahren. Aber es sind auch eine Menge Früchte da, über die ich mich freue und worüber ich dankbar bin. Und ich überlege mir, welche Saat bei mir noch aufgehen kann. Was wird noch gelingen in meinem Leben an kleinen und auch großen Sachen? Es ist gut Pläne zu machen und auch innezuhalten und Bilanz zu ziehen im Herbst. Als Christ brauche ich aber nicht unruhig hin und her zu wandern, wenn die Blätter treiben oder allein zu sein – weder kurze noch lange Zeit, wenn ich das nicht will. Denn Gott ist bei mir und will mir auch Menschen schenken, die mich durch den Herbst begleiten. Gott ist bei mir und schenkt mir Trost und Vergebung, wenn nicht alle Früchte reifen und alle Blumen aufgehen - oder wenn der Wein sauer bleibt. Darauf dürfen wir vertrauen in allen Jahres - und Lebenszeiten! Eine schöne Herbstzeit wünscht Ihnen Ihre Pastorin Dagmar Krauth-Zirk